Andrea Arnold - Von Top of the Pops nach Venedig

25.12.2011 - 08:00 Uhr
Eine Regisseurin, die ich weiter beobachten werde: Andrea Arnold
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Eine Regisseurin, die ich weiter beobachten werde: Andrea Arnold
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Nicht nur Schauspieler haben uns dieses Jahr beeindruckt, auch Regisseure und Regisseurinnen. Mir ist insbesondere Andrea Arnold im Gedächtnis geblieben.

Das muss ihr erstmal einer nachmachen: Die Oscar prämierte Regisseurin Andrea Arnold, zweifach mit dem Großen Preis der Jury in Cannes ausgezeichnet und dieses Jahr mit ihrem Film Wuthering Heights – Emily Brontës Sturmhöhe beim Festival in Venedig vertreten, hat als Hintergrundtänzerin bei Top of the Pops angefangen. Heute spricht die Britin nicht mehr gerne über diese Zeit, bereut ihr Rumgehopse jedoch nicht. Immerhin konnte sie sich damit nicht nur finanzieren, sondern auch zur Moderatorin im Kinderfernsehen aufsteigen. Doch irgendwann hatte sie genug davon, ging noch einmal zur Filmschule, bekam ein Kind und schlug vollkommen neue Wege ein. Dass das die richtige Entscheidung war, zeigte sich 2005, als sie für ihren Kurzfilm Wasp einen Oscar erhielt.

Von da an ging es steil bergauf. Sie nahm an Advance Party Teil, einem Projekt dänischer Filmproduzenten, das von niemand Geringerem als Lars von Trier initiiert worden war. Aufbauend auf einem festgelegten Cast und teilweise ausgearbeiteten Charakteren schrieb sie das Skript zu Red Road, ihrem ersten Spielfilm. Red Road erzählt von Jackie (Kate Dickie), deren Job es ist, mit Hilfe von Überwachungskameras an öffentlichen Plätzen nach dem Rechten zu sehen und die im Rahmen dieser Observationen eine Figur aus ihrer Vergangenheit entdeckt, die sie zur Rede stellen will. Für den Film bekam Andrea Arnold 2006 den großen Preis der Jury in Cannes verliehen, wie auch drei Jahre später für ihr zweites Werk Fish Tank. Auch dieser zweite Film zeichnete sich durch seine realistische, fast dokumentarisch anmutende Darstellung aus. Im Zentrum steht Mia (eine hochgelobte Performance der Newcomerin Katie Jarvis), ihre Adoleszenzkrise und ihr erotisches Verhältnis zu dem Freund ihrer Mutter, gespielt von Michael Fassbender.

Andrea Arnold besticht durch ihre Bodenständigkeit – nicht nur in ihren Filmen. In Interviews präsentiert sie sich als bescheiden. Sie ist selbst ihre größte Kritikerin und hält nichts vom Award-Rummel: „Ich mag es nicht, vorne vor all diesen Leuten zu stehen. Natürlich freue ich mich, dass die Filme wahrgenommen werden, aber ich will nicht daran glauben, dass Awards etwas bedeuten.“ Bei der Oscar-Verleihung habe sie sich gefühlt wie in einem Film von David Lynch. „Surreal und unbegreiflich. Viele lange Korridore mit rotem Samt und überall Menschen, die dir den Weg weisen.“ (Guardian) Vielleicht war sie also ganz froh, dass sie dieses Jahr in Venedig mit Wuthering Heights – Emily Brontës Sturmhöhe keinen der großen Preise gewann, sondern nur ihr Kameramann Robbie Ryan ausgezeichnet wurde.

Ihre ganz neue Herangehensweise an den Stoff, den Roman Sturmhöhe von Emily Brontë, ist faszinierend. Ausufernde Naturaufnahmen spiegeln die emotionalen Konflikte der Hauptfiguren Heathcliffe und Cathy. Zudem inszeniert Andrea Arnold die Figur des Heathcliffe mit den Schauspielern Solomon Glave bzw. James Howson erstmalig als dunkelhäutigen Mann und verleiht der Geschichte so einen ganz neuen Interpretationsspielraum. Das Publikum in Venedig war begeistert von dieser konsequent düsteren Umsetzung der Romangrundlage. Andrea Arnold selbst begründete ihre Arbeitsweise mit dem Bedürfnis, der Vorlage treu zu bleiben: „Wuthering Heights ist ein befremdliches, dunkles und tiefgründiges Buch und ich wollte diesem Geist Rechnung tragen. Ich fällte meine Entscheidungen so, dass ich sowohl mir selbst als auch dem Geist des Buches treu bleiben konnte.“ (Guardian)

Nun mag es ja viele begabte Regisseure geben, die im Jahr 2011 auf den Festivals dieser Welt von sich Reden machten. Aber es gibt eben nur ganz wenige Regisseurinnen, von denen wir das behaupten können. Andrea Arnold ist sich dieses Alleinstellungsmerkmals durchaus bewusst, findet jedoch selbst auch keine Antwort auf die Frage danach, warum es so wenig Frauen hinter der Kamera gibt. Sie selbst sieht das als großes Manko. Über einen Besuch beim Créteil International Women’s Film Festival in Frankreich sagte sie: „Es machte mir klar, wie männlich dominiert die Perspektive der Filmindustrie ist. Wenn man sich Film als etwas Populäres vorstellt, als einen expressiven Weg dem Leben einen Spiegel vorzuhalten, dann bekommen wir hauptsächlich eine männliche Perspektive zu sehen.“ (Guardian)

Ich hoffe, dass Andrea Arnold sich weiterhin bemüht, an diesem Ungleichgewicht zu arbeiten. Für mich ist sie aktuell die vielversprechendste Filmemacherin und ich hoffe sehr, dass Wuthering Heights – Emily Brontës Sturmhöhe auch bei uns im Kino zu sehen sein wird. Wenn nicht, dann erwarten wir einfach gespannt ihren nächsten Film, denn der kommt ganz bestimmt.

Hier alle Texte zu Tops & Flops sowie Stars des Jahres im Überblick:

Flops 2011
Mattes’ Flop-Film des Jahres – Kill The Boss
Ines’ Flop-Film des Jahres – Sucker Punch
Sophies Flop des Jahres – Pirates of the Caribbean

Tops 2011
Mattes’ Top-Film des Jahres – Winters’ Bone
Ines’ Top-Film des Jahres – Melancholia
Sophies Top Film des Jahres – Planet der Affen

Top-Schauspieler des Jahres 2011
Jennys Star des Jahres – Kristen Wiig
Jennys Star des Jahres – Andy Serkis
Mattes’ Star des Jahres – Mia Wasikowska
Mattes’ Star des Jahres – Ryan Gosling
Sophies Star des Jahres – Michelle Williams
Sophies Star des Jahres – Robert Pattinson
Maltes Star des Jahres – Jennifer Lawrence
Maltes Star des Jahres – Michael Fassbender
Ines’ Stars des Jahres – Alexander Skarsgard
Ines’ Star des Jahres – Saoirse Ronan

Interessante Regisseure des Jahres 2011
Tomas Alfredson – Nordmann mit Ambitionen
Nicolas Winding Refn – Meister der Präzision
Andrea Arnold – Von Top of the Pops nach Venedig
Cary Fukunaga – Bildgewaltige Filme mit viel Kraft

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