Don't Breathe und die ungeschriebenen Regeln des Horrorfilms

17.09.2016 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Don't BreatheSony Pictures
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Kürzlich startete mit Don't Breathe ein vielversprechender Horrorfilm in den Kinos. Fede Alvarez' Kammerspiel schaffte es jedoch nicht, seine Idee über die Laufzeit mit Leben zu füllen. Ein Fall in die Tiefen ungeschriebener Regeln des Genres.

Achtung, Spoiler für Don't Breathe, Devil, Needful Things, Psycho, I Am Legend, Shining, Freitag der 13., Carrie und Halloween.

Fede Alvarez verspricht Großes zu Beginn seines jüngst gestarteten Horrorfilms Don't Breathe: Eine sich von gängigen Genreplots abhebende Idee, die ihre filmische Auflösung in einer virtuosen Regie findet. Seine Geschichte um drei jugendliche Einbrecher, die aus Geldnot ins Haus eines blinden Veterans einbrechen, läutet der Evil Dead-Regisseur mit durch die Szenerie gleitenden, motivreichen Kamerafahrten ein, die er klug zur Exposition seiner gewählten Räumlichkeit nutzt.

Die daraus resultierende atmosphärische Dichte verliert ihre reizende Sogkraft in den Momenten, in denen Alvarez seine Idee durch Hinzunahme diverser Horrorklischees unterwandert und seiner eigentlichen Vision den Rücken kehrt. Er begibt sich auf die Pfade ungeschriebener Regeln des Horror-Genres und inszeniert so mehr exemplarische Collage, denn Auskostung des eigenen Gedankens.

Von bösen Alten und gemeinen Kellern

So ist es dann auch konsequent, dass um den Blinden, den die Jugendclique auszurauben versucht, ein Mysterium konstruiert wird, das ihn angesichts einer Erwartungshaltung gleichzeitig entmystifiziert. Denn sein Fundament fußt auf dem Klischee des alten, gewissermaßen hilflos erscheinenden Mannes. Anfangs noch furchteinflößend, bricht das Konstrukt der von Stephen Lang gemimten Figur zunehmend in sich zusammen, wenn sich herausstellt, dass er nicht mehr verkörpert als die Konvention vom bösen Mann - in Form des Veterans Norman.

Ältere Menschen gelten im Horrorfilm seit jeher als Hort einer in verschiedenen Variationen gearteten dunklen Macht und "alt" bedeutet in diesem Kontext, dass die Figuren deutlich aus dem Altersspektrum der Hauptdarsteller herausfallen. In Devil etwa ist es die ältere Frau, die nicht weniger als den Teufel in Personalunion verkörpert. Max von Sydow, von einer Aura geheimnisvoller Eleganz umhüllt, tritt als ihr männliches Pendant in der Stephen-King-Verfilmung Needful Things auf. All diesen Figuren ist zu eigen, dass sie schlussendlich eine Abwandlung des Antagonisten verkörpern, den es zu überleben gilt.

Die alte Dame wars. Der Teufel in Devil

Nicht das Geheimnis des Höllenherrn, aber ein anderes verbirgt sich in Don't Breathe hinter Norman, das sich konsequent im Handlungsort einer weiteren Regel verborgen hält: Keller sind Orte des Bösen, Perversen, Bizarren und ultimativen Geheimnisses. Psycho Norman Bates (Anthony Perkins) hält die knöchernen Überreste seiner Mutter zwischen verstaubtem Gerümpel versteckt, bei Langs Bösewicht geht es auch um Mutter, Kind sowie einer Spritze Samenflüssigkeit, die mit dem "Basement of Horror" in enger Verbindung stehen und ihn so einmal mehr als Örtlichkeit des Grauens (aus-)nutzen. Fede Alvarez kniet mit Don't Breathe auch hier vor der Regel, die weder filmisch noch narrativ an seine originelle Grundidee anknüpft.

Das immer feindliche Tier, die Unbeholfenheit der Jump-Scares

Horror-Keller sind schon effektive Todesfallen, haben aber für die Opfer den Vorteil, dass sich die Helden im Zweifelsfall von ihnen fernhalten können. Als bewegliche Mördermaschinen tauchen dagegen in aller Regel Tiere auf, denen grundsätzlich ein zerstörerisches, auf Auslöschung ausgerichtetes Naturell innewohnt: Haie (Der weiße Hai, The Shallows) zerfleischen surfende Beachboys, Spinnen (Tarantula, Arachnophobia) nutzen Gift (Arachnophobia) oder schiere Größe (Tarantula) und Hunde (Cujo) springen ihren Opfern beherzt an die Kehle.

Don't Breathes bösartiger Kläffer ist das Leitsymptom des verworfenen Potenzials, das dem Film zunächst innewohnt.

Des Veteranen Gefährte verkörpert nämlich eine absurde Pervertierung, die Fede Alvarez' Hauptelement der Blindheit vollkommen negiert. Der Hund übernimmt die Sehfunktion des Antagonisten, die gegen Ende des Films, als das Haus verlassen wird, die Prämisse und das Spiel von Blindheit und Geräuschkulisse endgültig aushebelt. So zerfleddert der Regisseur schließlich auch die letzten Reste seiner Vision.

In der Horror-Regel immer feindlich: Tiere, wie Der Weiße Hai

Ein ums andere Mal muss die vierbeinige Tötungsmaschine zudem als billiger Jump-Scare herhalten, den Alvarez zwar nicht bis über Gebühr strapaziert, aber merklich und ohne Mehrwert nutzt. Das geschieht entweder aus Irrglaube oder Berechnung der Vorstellung, dass Jump-Scares ihrem Wesen nach Elemente nachhaltigen Schauderns darstellen. In vorsichtigen Dosen im richtigen Moment injiziert, entfalten sie ihre Wirkung als mächtiges Werkzeug und können der Erfahrung eine neue Ebene des Grauens hinzufügen.

Francis Lawrence etwa nutzte einen auf den Punkt konzentrierten Jump-Scare in seiner Dystopie I Am Legend dazu, zwar nicht die gesamte Stimmung des Films, aber einer Sequenz nachhaltig zu beeinflussen und intensivieren: Will Smith in der Titelrolle des Lone Survivors begibt sich unter Einsatz seiner am Sturmgewehr befindlichen Taschenlampe in ein feuchtes, düsteres und leerstehendes Gebäude, nachdem ihm Hündin Sam ausbüchste. Leerstehend? Der Jump-Scare entsteht als ein kurzer vom Lichtschein der Taschenlampe illuminierter Moment, in dem Smith auf eine Gruppe Mutanten zielt, die sich mit ihm, wie wir nun erfahren, in dem Komplex aufhalten. Dieses kurze Aufschrecken erfolgt unerwartet, ist aber im Kontext der Sequenz verankert. Die darauffolgenden Ereignisse erhalten so ein ungleich höheres Gewicht, denn der Jump-Scare entfaltet hier seine Stärke als Mittel zum Spannungsaufbau und verpufft nicht als wahllos eingestreuter Moment des Selbstzwecks. Lawrence nutzt den kurzen Schock zur Verdichtung der Atmosphäre, indem er ihn zu Beginn der Szenenfolge einfügt und so den funktionierenden Schreck auskostet.

Das nimmerfunktionierende Auto und die Endlosigkeit des Endes

Das Fluchtauto dagegen erweist sich der Horrorregel zufolge im Genre als grundsätzlich funktionsuntüchtig, was nur selten einhergeht mit einer nachvollziehbaren Erklärung. Stanley Kubricks Shining erreicht diese Nachvollziehbarkeit und serviert zugleich einen grauenvollen Moment der Realisierung. Die von ihrem dem Wahn anheim gefallenen Mann Jack (Jack Nicholson) gejagte Wendy (Shelley Duvall) versucht mit Sohn Danny (Danny Lloyd) per Schneeraupe der tödlichen Isolation eines eingeschneiten Berghotels zu entfliehen. Dabei entdeckt sie, dass ihr Mann das Fluchtfahrzeug manipuliert hat.

Fährt erstmal nicht mehr: Die Schneeraupe aus Shining

In Don't Breathe fehlt schlicht der Schlüssel. Ein in sich zwar logischer, vor dem Hintergrund vorangegangener Konventionen aber auch allzu konsequenter und vorhersehbarer Moment. Don't Breathe fehlt so auch der Schlüssel zu einem wirksamen Finale, zumal er sich in diesem der Regel vom nochmaligen Auftauchen des Gegenspielers verschreibt, ungeachtet dessen, welch Leidensgeschichte dieser zuvor durchzustehen hatte.

Tod ist ungleich Tod im Horrorfilm.

Daher benötigen wir im Schlussakt von Don't Breathe, in der seine Ur-Idee nur noch als verblasste Erinnerung erscheint, keine prophetischen Fähigkeiten, das nochmalige Auftauchen des "Blind Man" im bzw. am nicht funktionierenden Auto vorauszusehen. Er tut es damit dem aus dem Wasser hervorspringenden Jason in Freitag der 13. gleich, wie der Hand Carries aus dem Grabe sowie dem stets sich davonschleichenden Michael Myers in Halloween.

Nur sind diese Filme Dekaden alt und stammen nicht aus dem Jahre 2016.

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