Ein offener Brief an Steven Soderbergh

17.10.2011 - 08:50 Uhr
Steven Soderbergh bei den Dreharbeiten für Contagion
Warner Bros.
Steven Soderbergh bei den Dreharbeiten für Contagion
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Steven Soderbergh, Regisseur von Ocean’s Eleven und Contagion, will sich vom Filmemachen zurückziehen. Was für ein Verlust das für Cineasten wäre, könnt ihr im folgenden Brief nachlesen.

Lieber Steven,
vor ein paar Monaten musste ich zu meiner Bestürzung lesen, dass du deine Karriere als Regisseur auf Eis legen willst. Matt Damon höchstselbst plauderte dieses Geheimnis aus, was dich dazu veranlasste, Jason Bourne mit einem 14-jährigen Mädchen zu vergleichen. Das war natürlich amüsant, aber aus der Welt wurde das Gerücht damit nicht geschafft. In Interviews hast du gekonnt um den heißen Brei geredet, so dass deine Fans durch ein Auf und Ab der Gefühle geschleift wurden. Doch auch du hast schließlich zugegeben, dass demnächst eine längere Filmpause ansteht. Die Langeweile sei Schuld. Doch, lieber Steven Soderbergh, ohne deine Filme wäre Hollywood wesentlich fader, als es jetzt schon ist.

Der gute Amerikaner
Das Schreiben über die Zukunft des Hollywood-Kinos verleitet nicht selten zum gemeinschaftlichen Blasen von Trübsal. Ständig werden dieselben Genres beackert, während die Drehbücher allzu oft auf gehirnamputierte Schimpansen zugeschnitten sind. Noch dazu geben sich viele Mainstream-Streifen in ihrer Inszenierung dermaßen einfallslos, dass man glauben könnte, die Filmemacher hätten sich durch Intensivkurse von Joel Schumacher und Ron Howard gequält. Freilich gibt es einige Lichtblicke am Filmhorizont, aber das heißt nicht, dass ich auf deine Beiträge verzichten möchte.

Mit deinem ersten Spielfilm Sex, Lügen und Video hast du, werter Steven Soderbergh, das amerikanische Independentkino revolutioniert. Nachdem du in den Neunzigern durch ein Tal von finanziellen Misserfolgen gewatet bist, konntest du dich mit Out of Sight, Traffic – Macht des Kartells und Ocean’s Eleven in die erste Riege der US-Regisseure drängeln. Zweifellos hast auch du ein paar Gurken in der Filmografie. Aber selbst eine massive Enttäuschung wie The Good German bietet in seinen Defiziten mehr Diskussionspotenzial als das Gros dessen, was derzeit seinen Weg aus der Traumfabrik in unsere Kinos findet.

The Soderbergh Experience
Am Anfang, also etwa zur Jahrtausendwende, habe ich deine Filme nicht besonders gemocht. Es heißt ja häufig, dass große Regisseure ein Leben lang den selben Film drehen. Sie wühlen sich wiederholt durch ihre liebsten Themenkreise und entwickeln dabei einen wiedererkennbaren Stil. Bei dir habe ich diese beiden Aspekte stets vermisst. Eines Nachts (oder Tages?) ging mir jedoch die Erkenntnis auf, dass genau das die Faszination so unterschiedlicher Werke wie Solaris, Che – Revolucion und Der Informant! ausmacht. Solch eine schwer greifbare Filmografie stellt die Grundzutat der Unberechenbarkeit dar und unberechenbare Hollywood-Regisseure gibt es viel zu wenige.

Bereits die Kombination Hollywood + Soderbergh sorgt für Widersprüche. So hast du mit den Ocean’s-Filmen die ultimativen Star Vehikel für das neue Jahrtausend gedreht und Sasha Grey in Girlfriend Experience – Aus dem Leben eines Luxus-Callgirls dem weniger Porno-affinen Publikum nähergebracht. Kleine Produktionen mit Laiendarstellern stehen hier neben aufwendigen Großproduktionen, deren Poster vor bekannten Namen überquellen. Wenn diese Streifen eines gemeinsam haben, ist es der analytisch unterkühlte Blick, der mal auf die moderne Gesellschaft abzielt (Contagion), mal historische Persönlichkeiten ins Visier nimmt (Che – Revolucion, Che – Guerrilla). Damit machst du, lieber Steven Soderbergh, es den Zuschauern nicht immer leicht, aber leichte Filme können die anderen runterkurbeln.

Mainstream Avantgarde
Als einer der Gründe für deine geplante Karrierepause führst du die Tyrannei der Erzählung ins Feld. Hollywood’sche Erzählkonventionen müssen einen Regisseur zwangsläufig einengen, der vor allem an den formalen Aspekten eines Films interessiert ist. Anders ist beispielsweise die verschachtelte Erzählung von Ocean’s Twelve kaum zu erklären, die den Blockbuster gewissermaßen selbst zum komplexen Heist werden lässt. Im Idealfall bringt besagter Wille zur Dekonstruktion ein Meisterwerk wie The Limey hervor. Andererseits prägt deine Filme selbst in ihrem Scheitern der bewundernswerte Drang, die vielen Facetten ihres Mediums auszuleuchten. Einen Soderbergh zu schauen, heißt herausgefordert werden, heißt Reibungspunkte finden, heißt vorgeführt bekommen, was “Film” sein kann.

Nun hörst du zwar nicht von heute auf morgen auf, um dich der Malerei und Kurzfilmen zu widmen. Auf den Actionfilm Haywire (dein erster!) werden der Stripper-Streifen Magic Mike sowie eventuell Liberace und Codename U.N.C.L.E. folgen. Danach soll allerdings die große Kreativpause anrollen. Ich kann nur hoffen, dass du einen Funken Mitleid für deine Zuschauer hast und sie nicht dauerhaft in den trüben Gewässern des gegenwärtigen Hollywood-Films zurücklässt. Als einer der wenigen Mainstream-Regisseure, die noch Filme für Menschen über 14 machen, bist du, lieber Steven Soderbergh, nämlich unersetzbar. Du kannst deine Rentenpläne gerne noch öfter in die Welt hinaus posaunen (lassen), nur habe ich eine einzige, eine winzige Bitte an dich: Setze sie nicht in die Tat um.

MFG
Ein Fan

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