Mit Der Herr der Ringe: Die Schlacht der Rohirrim meldet sich endlich wieder ein Mittelerde-Abenteuer auf der großen Leinwand zurück. Noch dazu in einem nie gesehenen Gewand: als Anime, also japanischer Animationsfilm, von Regisseur Kenji Kamiyama (Ghost in the Shell: Stand Alone Complex).
Das klang nach einem mutigen Schritt und trieb die Vorfreude so mancher Tolkien-Fans höher als jeden Adler übers Nebelgebirge. Zumal das Abenteuer den Rückhalt von Produzent Peter Jackson und Co. hatte. Nach dem Kinobesuch muss dieser hoffnungsvolle Höhenflug allerdings auf den Boden der Tatsachen zurückkehren: Obwohl Die Schlacht der Rohirrim einige gute Momente besitzt, verliert der Film seinen Kampf, ein überzeugender Herr der Ringe-Film zu sein, an gleich drei Fronten.
1. Der neue Herr der Ringe-Film eifert zu sehr Die zwei Türme nach, um auf eigenen Füßen zu stehen
183 Jahre vor Frodos Ring-Reise rückt ein Feind dem Mittelerde-Reich Rohan zu Leibe. Der König des Reitervolks der Rohirrim, Helm Hammerhand, verweigert dem Adelssohn Wulf die Hand seiner Tochter Héra und tötet im Duell dessen Vater. Der junge Dunländer schwört daraufhin Rache und mobilisiert eine Armee wilder Menschen, um seinen Feind zu stürzen. Rohans Volk zieht sich nach starken Verlusten aus der Hauptstadt Edoras hinter die belagerten Festungsmauern der Hornburg zurück, doch ein Kampf ist selbst dort unausweichlich.
Wem die grobe Handlung von Die Schlacht der Rohirrim bekannt vorkommt, der hat wahrscheinlich Der Herr der Ringe: Die zwei Türme gesehen. Auch im zweiten Teil von Peter Jacksons Trilogie sucht ein angegriffener Rohan-Herrscher (Théoden) Zuflucht im Bergtal von Helms Klamm. Auch dort schwingt sich die Königstochter (Éowyn) später zur Heldin auf. Dass es diesmal nicht Sarumans Uruk-hai-Heer, sondern verfeindete Menschen sind, die gegen die Festungsanlage anstürmen, fällt dabei kaum ins Gewicht.
Unübersehbare Herr der Ringe-Referenzen bestimmen den restlichen Film. Damit wir bloß nicht vergessen, dass wir uns in Tolkiens Welt bewegen, reihen sich große Adler an Wächter im Wasser und Olifanten werden mit altbewährtem Beinschnitt gefällt. Wenn Saruman einen kurzen Auftritt hinlegt und Orks fernab der Handlung nach Ringen suchen, nimmt der offenkundige Fanservice überhand.
Spätestens der letzte fallengelassene Name einer berühmten Figur, die wirklich alle kennen, macht kurz vor dem Abspann klar: Die Schlacht der Rohirrim mag als Kriegsfilm daherkommen, beweist aber erstaunlich wenig kämpferischen Mut, seinen eigenen Weg zu gehen.
2. Die Schlacht der Rohirrim strauchelt dort, wo er Herr der Ringe-Fans überzeugen muss – bei der Animation
Nach 15 Herr der Ringe-Verfilmung, die zuletzt auf Realfilme setzten, wagt Die Schlacht der Rohirrim einen großen Schritt und kehrt nach 44 Jahren wieder in ein animiertes Mittelerde zurück. Zugleich ist das Animationsfilm-Gewand aber die größte Hürde für Herr der Ringe-Fans: Leisten die Trailer und vorab veröffentlichten 8 Minuten des Films genug Überzeugungsarbeit, dass selbst diejenigen ins Kino pilgern, die animierter Unterhaltung sonst weniger abgewinnen können?
Ein visuell überwältigender Animationsstil wäre der beste Weg, um Zweifler von Die Schlacht der Rohirrim zu überzeugen. Leider mangelt es dem neuen Herr der Ringe-Abenteuer allerdings genau daran. Abgehackte Bewegungen, ausdruckslose Gesichter und nur wenige Einfälle, um die kameralose Freiheit animierter Unterhaltung zu nutzen, schmälern den Filmgenuss. Einige Action-Sequenzen, wie ein durchgedrehter Olifant mit rollenden Augen oder ein Ausflug ins Schneegestöber, entwickeln durchaus ihren Sog – aber sie bilden leider die Ausnahmen.
Statt zu zeigen, wie stark Anime aussehen kann, liefert Die Schlacht der Rohirrim eine unausgegorene Mischung aus Cartoon und Realität ab. Am unangenehmsten fallen die Szenen ins Gewicht, in denen Animationsstile kollidieren. Etwa, wenn am Anfang ein Zeichentrick-Adler über fast fotorealistischen Berggipfeln kreist oder ein brennender Belagerungsturm mit großem CGI-Anteil in eine gezeichnete Mauer kracht. Dann knirscht es unangenehm im visuellen Getriebe. Damit wird sicher niemand zum aufregenden Medium Animation bekehrt, wie es zuletzt Arcane oder Blue Eye Samurai bei Netflix schafften.
Wenn Disney seit einiger Zeit seine Zeichentrick-Klassiker als Realfilme neu auflegt, können sicherlich viele den Reiz nachvollziehen, die bekannten Figuren und Orte einmal "in echt" zu treffen. Nur andersherum geht die Rechnung nicht auf: Selbst, wenn Die Schlacht der Rohirrim sich stark an Peter Jacksons Schauplätzen orientiert, erleben wir keine Erleuchtung, Edoras und Helms Klamm in animierter Form zu bereisen – dafür bleibt der Anime zu glatt. Ein Animationsstil mit Charakter à la Das letzte Einhorn oder Akira (und weniger im Castlevania-Look) hätten hier gutgetan.
3. Den neuen Herr der Ringe-Figuren fehlt die charakterliche Tiefe
Bei allen bemühten Parallelen, funktionieren dramatisch aufgestoßene Türen mit einem echten Aragorn immer noch am besten. Was uns zum letzten Problem führt: Obwohl Die Schlacht der Rohirrim durchaus Anlagen für spannende Charaktere besitzt, bleiben die Figuren mit ihrer begrenzten Mimik und Motivation blass: Heldin Héra mag an Schildmaid Éowyn erinnern, gewinnt über Tierliebe und Kampfgeist hinaus aber kein Profil, das über das Klischee einer "starken, freien Frau" hinausgeht.
Die einzig erkennbare Eigenschaft ihres Vaters Helm Hammerhand steckt schon in seinem Namen: Er kann Gegner mit einem einzigen Faustschlag fällen, was in der Inszenierung zuweilen ans Lächerliche grenzt. Daran ändern auch starke (englischen) Stimmen von Gaia Wise, Brian Cox und Erzählerin Miranda Otto (Éowyn in Herr der Ringe-Trilogie) nichts.
Gegenspieler Wulf bleibt auf den geschmähten Liebhaber und alten Kindheitsfreund reduziert. Das ist ungefähr so originell wie die ausgelutschten Nahkampfszenen, in denen erst nach mehreren Sekunden klar wird, wer denn nun den Todesstoß abbekommen hat. Dass eigentlich wichtige Figuren, wie Héras Cousin Fréaláf, so gut wie gar keinen Raum erhalten, überrascht kaum, wenn selbst die Hauptfiguren nicht zünden.
Der jüngste Kinoausflug nach Mittelerde hätte seinem Publikum spannende Facetten der Reiternation Rohans näherbringen können. Neues Wissen zu den Rohirrim finden Herr der Ringe-Fans hier allerdings ebenso wenig, wie Figuren, an die sie ihr Herz hängen können. (Egal wie sehr ein Knappe versucht, sich zu Rohans Samweis aufzuschwingen.)
Der Herr der Ringe-Anime ist also nicht das erhoffte Meisterwerk geworden. Das bedeutet nicht, dass der Film nicht trotzdem zwischendurch ein paar Herr der Ringe-Gefühle wachrufen kann. Aber eine mitreißende oder wegbereitende Tolkien-Interpretation, die die Weichen für eine aufregende Mittelerde-Zukunft im Kino stellt, sucht man hier trotz Anime-Verpackung vergeblich.