2000 - Der Sieg der Coen-Brüder über die Natur

23.07.2012 - 08:50 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
2000 - Der Sieg der Coen-Brüder über die Natur
Universal
2000 - Der Sieg der Coen-Brüder über die Natur
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Wer wissen will, wieso saftig grüne Blätter manchmal ein Ärgernis für Regisseure sind und ein Film der Coen-Brüder zur Jahrtausendwende digitale Filmgeschichte schrieb, sollte dringend Markante Momente lesen.

John L. Sullivan ist ein Regisseur mit einem Traum: Er will einen Film machen, der sozial relevant ist. Ein Drama, aus dem wirklich jeder Mensch eine Lehre ziehen kann. Es soll während der Zeit der Großen Depression spielen, denn welcher Zeitpunkt wäre wohl dramatischer? Einen Titel hat er schon. Passenderweise klingt der nach einem Meister der Dramatik – nach Shakespeare: O brother, where art thou? soll sein Werk heißen. Der ambitionierte Regisseur ist die Hauptfigur aus dem Film Sullivans Reisen von Preston Sturges, und sein Werk wird nie vollendet.

Dafür drehen knappe sechzig Jahre später zwei Brüder einen Film mit dem Titel O Brother, Where Art Thou? – Eine Mississippi-Odyssee und lassen ihn sogar während der Weltwirtschaftskrise spielen. Joel Coen und Ethan Coen erzählen die Geschichte dreier Sträflinge, die ganz nach Blues Brothers –Manier aus dem Kittchen ausbrechen und als Country-Stars ungewollt Beliebtheit erlangen.

Im besten Sinne postmodern
Es bleibt nicht bei der Referenz an Sullivans Reisen. Unsere Heldentroika bekommt es mit berauschend schönen Damen zu tun, die sie sirenengleich vom Weg abbringen wollen, ein Bibelverkäufer mit Augenklappe erinnert stark an einen gewissen rachsüchtigen Zyklopen und die herbeigesehnte Gattin von Everett (George Clooney – der sich hier übrigens für keinen Scherz zu schade ist) trägt den Namen Penny – fast so wie Odysseus Frau, die Spartanerin Penelope. So viele Anleihen bei Homers Odyssee sind kein Zufall.

O Brother, Where Art Thou? – Eine Mississippi-Odyssee reicht die Sagenwelt der Antike als Inspirationsquelle aber nicht aus. Die Coen-Brüder, von denen außerdem wie gewohnt das Drehbuch stammt, bedienen sich auch an der amerikanischen Kulturgeschichte. Der kultige Soundtrack des Films bietet einen Querschnitt durch die Country, Blues- und Bluegrass-Musik der ländlichen Südstaaten. Die Figur des Gouverneurs ist echten Kollegen nachempfunden, die in den Dreißiger Jahren Wahlkämpfe mit Radiosendungen gewannen. Und auch der Ku-Klux-Klan treibt im Film sein Unwesen, um nur einige Anspielungen auf tatsächliche Ereignisse zu erwähnen.

Aus Grün mach Gelb
So postmodern collagenartig wie O brother, where art thou? daherkommt, so bedeutend ist er aber auch für einen neuen Entwicklungsschritt des Films, die digitale Aufnahmetechnik. Wir Zuschauer kommen zwar nicht großartig in den Genuss von aufwendigen Special Effects, trotzdem ist das Coensche Werk der erste Film, der komplett per Colour Correction nachbearbeitet wurde. Als die Filmcrew nämlich in Mississippi zum Dreh anrollte, hingen die Bäume voll saftig grüner Blätter. So richtig passte das nicht zum sepia-artigen Dustbowl-Look, der den Regisseuren vorschwebte.

Der Kameramann Roger Deakins hatte von seinen Chefs genaue Vorgaben bekommen: “Ethan and Joel favored a dry, dusty Delta look with golden sunsets. They wanted it to look like an old hand-tinted picture, with the intensity of colors dictated by the scene and natural skin tones that were all shades of the rainbow.” Jetzt ging es also ans Experimentieren: Deakins probierte diverse Bleichmethoden und das sogenannte bipack-Verfahren, bei dem zwei Filmstreifen, gleichzeitig in die Kamera geladen, einen besonderen Farbeffekt entstehen lassen. Keines der Resultate war so richtig zufriedenstellend, und so war es am Ende der Kameramann, der vorschlug, die Vorzüge der digitalen Postproduktion zu nutzen. Elf lange Wochen verbrachte er damit, Frame für Frame das leuchtende Grün der Blätter in ein ausgewaschenes Gelb zu verwandeln.

Das Dilemma mit dem Kulturpessimismus
Seit O Brother, Where Art Thou? – Eine Mississippi-Odyssee verdienen Dutzende von FX-Firmen gutes Geld mit dem Colour Grading. Die ersten Aufschreie ließen da natürlich nicht lange auf sich warten: Alle Filme sähen neuerdings gleich aus, so lautet ein oft gefälltes Urteil: Horrorstreifen wie Saw erscheinen in einem kalten Blauton, realitätsferne Fantasy-Epen à la Matrix schimmern grünlich und dystopische Weltuntergangsszenarien wie The Book of Eli vertrauen auf ein ausgewaschenes Grau.

Sicher: was früher kunstfertiges Belichtungshandwerk oder den fachkundigen Einsatz von Filtern voraussetzte, ist mittlerweile mit Mausklicks und ein wenig Zeitaufwand möglich. Die Manipulation von Bildern gibt es aber immerhin schon seit Anbeginn der Fotografie. Der Film ist ein vergleichsweise junges Medium, erst recht der digitale Film. Vielleicht muss er sich einfach noch ein wenig ausprobieren und finden, ganz so wie unser Mr. Sullivan.

Was die Menschheit sonst noch im (Film)Jahr 2000 bewegte:

Sechs Filmleute, die gestorben sind
10. Januar 2000 – Arthur Batanides, Max Kirkland aus Police Academy II – Jetzt geht’s erst richtig los
07. Mai 2000 – Douglas Fairbanks Jr., der Abenteurer aus Sindbad, der Seefahrer
05. Juni 2000 – Franco Rossi, Regisseur von Freunde fürs Leben
01. Juli 2000 – Walter Matthau, der reiche Junggeselle aus Hello Dolly!
05. August 2000 – Alec Guinness, Obi-Wan Kenobi aus Krieg der Sterne
02. September 2000 – Curt Siodmak, Co-Regisseur von Menschen am Sonntag

Die großen Festival- und Award-Sieger waren unter anderem
Oscars – American Beauty von Sam Mendes (Bester Film, Regisseur, Hauptdarsteller)
Goldene Palme – Dancer in the Dark von Lars von Trier
Goldener Bär – Magnolia von Paul Thomas Anderson

Die drei kommerziell erfolgreichsten Filme
Mission: Impossible 2 von John Woo
Gladiator von Ridley Scott
Cast Away – Verschollen von Robert Zemeckis

Drei wichtige Ereignisse der Nicht-Filmwelt
14. Juni 2000 – Die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder beginnt den Atomausstieg
17. Juli 2000 – Baschar al-Assad wird Staatspräsident von Syrien
25. Juli 2000 – bei Paris stürzt eine Concorde ab. AirFrance stellt daraufhin den Flugbetrieb der Concorde ein.

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