Horrorfilm ohne Dialoge: Azrael ist ein spannendes Experiment, aber scheitert an seiner Wortlosigkeit

09.09.2024 - 10:21 UhrVor 4 Monaten aktualisiert
Azrael beim Fantasy FilmfestIFC Films
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Samara Weaving flüchtet im Horrorfilm Azrael vor einem mörderischen Kult. Dass E.L. Katz seinen Schocker ohne Worte erzählt, geht als Idee allerdings nicht ganz auf.

Azrael verfolgt ein spannendes Konzept: Der Horror-Schocker von E.L. Katz (Cheap Thrills) will seine Geschichte ohne Dialoge erzählen. Mit den fehlenden Worten büßt der blutige Ausflug in den Wald aber noch viel mehr ein.

Azrael: Was hat ein Horrorfilm ohne Worte zu sagen?

Nach einem postapokalyptischen Ereignis namens The Rapture ist die Welt verändert und die Überlebenden haben der Sünde des Sprechens abgeschworen. Darüber informiert Azrael im Vorspann und stürzt uns dann an der Seite der Heldin (Samara Weaving) direkt in die gewaltsame Action des Horrorfilms. Die junge Frau wird von einer sektenähnlichen Gemeinschaft verfolgt, die sich schon nach zehn Minuten daran macht, sie einem Monster im Wald zu opfern. Warum? Keine Ahnung. Aber die Flüchtige kann dem blutrünstigen Wesen entkommen und daraufhin noch eine weitere Stunde wortlos rennen, kämpfen und leiden.

Eigentlich ist die Idee eines Horrorfilms ohne Worte verlockend. Schließlich lebt das Genre mehr als jedes andere von Geräuschen und Stille, die im gruseligen Wechselspiel unseren Herzschlag in die Höhe treiben. Und wenn Azrael von Schattengestalten verfolgt zwischen Bäumen hindurchhetzt, in einem Bunker den Atem anhält oder aus einer Baumkrone zusieht, wie gnadenlos die schwarzen Waldkreaturen ihre Opfer konsumieren, ist das durchaus unheimlich.

Allerding kann der Schocker stumm keine Antworten liefern und Azrael verkommt damit schnell zu einer Fingerübung aneinandergereihter Gewaltausbrüche. Die religiösen Versatzelemente bleiben ohne Erklärungen schlicht Klischees, die Azrael aus anderen Horrorfilmen zusammenklaut hat.

Die Action ohne nachvollziehbaren Hintergrund frustriert: Woher kommt die Hauptfigur? Wozu die Ritualmorde? Warum sehen die zombieähnlichen Monster aus wie Pompeiis Anwohner nach ihrem Vulkanausbruch? Warum ist Reden sündig? Wieso bricht selbst im Todeskampf niemand das Schweigen? Und warum bricht der Film auf der anderen Seite mittendrin doch sein Schweigegelübde mit einem willkürlichen Autofahrer?

Azrael scheitert am Vergleich: Filme (fast) ohne Sprache gab es vorher schon besser

Regisseur E.L. Katz erklärte in einer Videobotschaft beim Fantasy Filmfest in Berlin, dass er zu Azrael in Corona-Zeiten inspiriert worden sei, wo ihm – high auf Marihuana-Edibles – postapokalyptische Filme und Horrorwerke halfen, der Isolation zu entfliehen. Mit den (offenbar existenten?) tieferen Gedanken hinter seinem Film wolle er uns "nicht langweilen", indem er sie in ausschweifende Worte fasse. Doch genau das ist das Problem von Azrael.

Die Idee eines wortlosen Films ist nichts per se Neues. Im Vergleich zu anderen wortlosen Vertretern wird aber klar, dass dem Horrorfilm etwas fehlt: In All Is Lost verlangte Robert Redfords Überlebenskampf auf dem Meer schlicht keine Artikulation, denn mit wem hätte der einsame Segler sich unterhalten sollen? In A Quiet Place erfordert die postapokalyptische Situation völlig logisch unbedingte Ruhe.

No One Will Save You bewies letztes Jahr im Sci-Fi-Genre außerdem, dass es keiner konstruierter Weltuntergangsszenarien bedarf, um stumm eine spannende Geschichte zu erzählen. Die TV-Serie Buffy zeigte in der Episode Das große Schweigen, wie effektiv die Figuren ohne funktionierende Stimmbänder kommunizieren konnten. Und der Animationsfilm Robot Dreams verdeutliche erst dieses Jahr, dass Freundschaft ohne Worte funktioniert und trotzdem jede Menge Gefühle hervorrufen kann.

All diese stummen Beispiele brachten uns ihre Charaktere und Situationen ohne Worte problemlos nahe und saugten so in ihre Handlung. Azrael aber scheint nur am Jagd-Spektakel von Gewalt und Gore interessiert zu sein, ohne dass die Stille einen Mehrwert hinzufügen würde. Stattdessen baut der Film auf Samara Weavings Erfahrung als Scream Queen (in Ready or Not, The Babysitter, Mayhem) und glaubt, dass sein Konzept schon ausreichen wird, um 85 Minuten bei Stange zu halten. Das tut es leider nicht.

Wenn man sich Azrael als "normalen" Horrorfilm mit Sprache vorstellt, versteht man wieso: Selbst, wenn der Film seine Absichten besser kommunizieren könnte, wäre Azrael ein schnell zu vergessener Ausflug in die estnischen Wälder. Eine gute formale Idee erschafft nicht zwangsläufig einen guten Film.

Mehr vom Fantasy Filmfest:

Wie und wo ihr Azrael schauen könnt:

Azrael läuft im September 2024 auf dem Fantasy Filmfest: am 5. September 2024 feierte er seine Deutschland-Premiere in Berlin; anschließend ist er noch am 13.9. in München, Nürnberg, Stuttgart und Hamburg sowie am 22.9. in Frankfurt und Köln zu sehen.

Einen deutschen Start im Kino, Heimkino oder Stream hat Azrael darüber hinaus bislang noch nicht.

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