Frauen und Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe sind beim Oscar untervertreten. Soviel ist klar, zumindest in den großen Kategorien. Nichtsdestotrotz wird das Problem gern heruntergeredet – schließlich handelt es sich um die größte und wichtigste Preisverleihung der Filmindustrie. Doch wer sich mit den tatsächlichen Zahlen befasst, merkt schnell, dass die Vorurteile in der Academy eine nicht wegzudiskutierende Größe besitzen. Jüngste Studien haben Hinweise dafür gefunden, dass dieser Umstand ganz sicher mit der Beschaffenheit der Oscar-Jury zu tun. Im Hinblick auf den Oscar 2012 wollen wir das Thema näher beleuchten.
Testosteron auf dem Regiestuhl
Preise für Schauspielerinnen existieren schon, seit es die Oscars gibt. Doch das Jahr 2010 hatte eine historische Qualität für die Verleihung. Denn in der Geschichte der prestigeträchtigsten Verleihung der Filmindustrie gewann nur eine Frau den Oscar für die Beste Regie. Kathryn Bigelow schaffte es mit Tödliches Kommando – The Hurt Locker. Davor schaffte Lina Wertmüller mit ihrem Film Sieben Schönheiten eine Premiere bei den Oscars. Sie wurde 1976 als erste Frau für die Beste Regie nominiert. Bis 2010 sollten nur zwei weitere Regisseurinnen folgen: Jane Campion (Das Piano, 1993) und Sofia Coppola (Lost in Translation, 2003). Sogar Oscar-Host Billy Crystal kritisierte den Umstand mehr oder weniger offen.
Obwohl ihr Film Herr der Gezeiten zahlreiche Nominierungen bekam, wurde Barbra Streisand nicht für ihre Regie nominiert. In einem Song thematisierte Billy Crystal diese Entscheidung, die von so ziemlich jedem, außer der Academy, auch als kurios wahrgenommen wurde. Natürlich sollte die Academy nicht aus Prinzip Frauen oder “Minderheiten” nominieren. Leistung geht vor. Aber die doch sehr geringe Häufigkeit weiblicher Regiegewinnerinnen lässt an eben dieser Leistungsorientierung zweifeln. Das liegt aber wohl auch daran, dass es schlicht nicht genug Regisseurinnen gibt. Bei gerade einmal 5% aller größeren Filme saßen Frauen auf dem Regiestuhl. Ein nicht geringes Problem der gesamten amerikanischen Filmindustrie.
Die Schwarzen sollen gefälligst hinten sitzen!
Für ihre Nebenrolle der Mammy in Vom Winde verweht erhielt die Afroamerikanerin Hattie McDaniel 1940 einen Oscar. Das ist schön, schließlich war das in der damaligen Zeit nicht selbstverständlich. Obwohl auch die Presse das begrüßte, zeigten sich die Organisatoren der Oscar-Verleihung im Ambassador Hotel nicht so freigeistig. Denn Hattie McDaniel und ihre Begleitung durften nicht bei ihren Kollegen am Tisch sitzen, sondern bekamen einen Tisch für zwei, der ein gutes Stück weiter hinten stand. Solcherlei Späße sind heute selbstverständlich nicht mehr üblich. Was die Nominierten und Gewinner angeht, hat sich aber nicht viel geändert. Weniger als 4% der Oscars gehen an Afroamerikaner. Halle Berry und Denzel Washington sind mit ihren Siegen im Jahr 2002 Teil dieser 4% geworden. Mo’Nique gewann für Precious – Das Leben ist kostbar im Jahr 2010 den Oscar für die Beste Hauptdarstellerin. Und auch beim Oscar 2012 haben Viola Davis und Octavia Spencer aus The Help gute Chancen.
Trotzdem ist es bedenklich, dass 2002 das erste Jahr seit dem Sieg von Sidney Poitier 1963 war, in dem ein Afroamerikaner in den Hauptkategorien gewann. Immerhin sieht ist die Situation bei den Nebendarstellern etwas durchmischter. Katastrophal sieht es dafür bei den Regisseuren aus. In der Geschichte der Oscars gab es nur zwei farbige Nominierte, John Singleton (1991) und Lee Daniels (2009), und keinen einzigen Gewinner. Die amerikanische Filmindustrie selbst ist nicht besonders durchmischt und vielfältig. Spike Lee sagte bei der Premiere seines neuen Films Red Hook Summer folgendes zur aktuellen Sachlage: [In den] oberen Etagen der Fernsehsender und Studios ist es 1950. Es ist Eisenhower. Ein Zustand, der sich bei der Academy of Motion Picture Arts and Sciences (AMPAS) direkt wiederspiegelt.
Die Oscar-Jury: Ein alter, weißer, nicht notwendigerweise filmerfahrener Mann
Bis vor kurzem war noch geheim, wie sich die Oscar-Jury wirklich zusammensetzt. Zwar war klar, welche Teile der Filmindustrie beim Wahlprozess Einfluss haben, zum Beispiel die Schauspielergilde (Screen Actors Guild), aber wie sich diese wiederum genau zusammensetzen, lag nicht offen. Die Los Angeles Times hat vor ein paar Tagen eine Studie veröffentlicht, die Licht uns Dunkel bringen soll. Der Studie nach hat die Los Angeles Times 5.112 der 5.765 Oscar-Wähler identifizieren können. Dabei kam heraus, dass sich die Jury zu 94% aus Caucasians (Weißen) und zu 77% aus Männern zusammensetzt. Das Durchschnittsalter beträgt 62 Jahre, wobei nur 14% der Mitglieder unter 50 Jahre alt sind. Unter den Wahlberechtigten finden sich darüber hinaus nicht nur Mitglieder der Filmindustrie, sondern unter anderem eine Buchladenbesitzerin, eine Nonne und ein pensioniertes Mitglied des amerikanischen Friedenscorps. Das mag so manche Entscheidung erklären.
Was die Zukunft für den Oscar noch bringen wird, lässt sich heute noch nicht sagen. Aber ein Generationenwechsel ist unaufhaltsam, schließlich hält die Zeit für niemanden an. Irgendwann wird die Alterskruste von den Oscars abfallen. Auch die Diversität wird steigen. Vielleicht sieht die alljährliche Verleihung in einem Jahrzehnt vollkommen anders aus. Seit der Jahrtausendwende ist es immerhin wesentlich besser geworden.
Oder wie denkt ihr darüber?