Cameron - Kommentare

Alle Kommentare von Cameron

  • 10

    Es ist dies mein fünfter Film von Frank Borzage, und alle sehen sie wunderbar aus und zeichnen wundervolle Portraits einer aufkeimenden Liebe, aber "Lucky Star" ist noch einmal zwei Stufen über all seinen anderen Filmen. Die Geschichte hier ist überhaupt nicht aufgesetzt melodramatisch, wie das sonst der Fall ist, nichts wirkt übertrieben. "Lucky Star" ist von Grund auf ein unglaublich düsterer, trauriger Film über Einsamkeit, Verzweiflung und leise Hoffnung. Borzages Kamera bleibt ungewöhnlich lange auf einzelnen Personen, z. Bsp. auf dem Mann im Rollstuhl, der versucht, aufzustehen und auf Krücken zu gehen, dessen Versuche aber immer wieder misslingen. Die Beleuchtung verleiht diesen Szenen einen bedrohlichen, unheilverkündenen Charakter, sodass man fast schon Angst um einen Suizidversuch haben muss.
    Des Weiteren handelt es sich um eine Liebesgeschichte, die, glaube ich, ohne Kuss und auch sonst beinahe ohne Berührungen des Liebespaares auskommt. Die einzige Umarmung vor dem Ende (ca. in der Mitte) wirkt auch sehr trist und nicht erfreulich, da eine Einstellung auf das erschütterte Gesicht des Mannes dabei dessen traurige Gedanken verrät.
    Die poetischen, zarten Bilder sind von a-z gemäldeartig-schön, insbesondere hier die letzten 15, 20 Minuten, in denen ein Schneesturm alles einlullt

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    • Im Jahr 1963 stellte John Ford eine Liste seiner zehn Lieblingsfilme zusammen. Und konnte sich nicht verkneifen, einen Eigenen mit anzuführen:

      - Birth of a Nation (Grifith, 1915)
      - The Honor System (Walsh, 1917 [verschollen])
      - Tol`able David (King, 1921)
      - Lady for a Day (Capra, 1933)
      - Ninotchka (Lubitsch, 1939)
      - The Song of a Bernadette (King, 1943)
      - Going my Way (McCarey, 1944)
      - 3 Godfathers (Ford, 1948)
      - The High and the Mighty (Wellman, 1954)
      - The Alamo (Wayne, 1960)

      http://blog.filmmuseum.at/john-fords-top-10/

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      • 8

        Sehr speziell, und da gibt es kaum etwas Vergleichbares. EInfach beeindruckend, was Denis mit Bildern zaubert; sie hat hier einen Roman adaptiert, und das, praktisch ohne dass ein Wort gesprochen wird. Und auch die Bilder sind auf den ersten Blick nicht besonders "informativ": Wir erhalten keine fein säuberlichen, einprägsamen Totalen, sondern im Bild sind meistens "halbe" Sachen: halbe Autos, ein halber Haarschopf, ein halbes Fenster etc. Die Kamera ist stehts scheinbar sinnlos nah an den DIngen dran. Man muss sich in alle Bilder deshalb bewusst "einarbeiten", und sie sich selbst zugänglich machen. -
        Und gleichzeitig verkommen die Bilder zu einem komplett sinnlichen Rausch, werden getragen von Musik, oder von feinsten Augenbewegungen (Augen in extremer Grossaufnahme, das gibt es oft), und schwemmen sich vorwärts. Lyrik in Filmform. Eine märchenhafte Komponente kommt ebenfalls hinzu. -
        Nur schon die ersten 30, 40 Minuten: Ein Einpersonenstück. Ein Lehrstück, was man aus einem absoluten Nichts an Handlung herausholen kann.

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        • Eh... Barbara Loden fällt mir noch ein. (Wanda, 1970)

          3
          • 7 .5

            Achtung - Geheimtipp! Karel Reisz` "The Gambler" ist ein in Vergessenheit geratenes, nicht einfaches, Werk; das realistische Portrait eines spielsüchtigen Mannes. Diese Hauptfigur, ein Universitätsprofessor, ist äusserst ambivalent gezeichnet, sie wird gezeigt im Umfeld seiner Familie, seiner Freundin, seiner Schüler, und seines täglichen Brotes: dem Spiel. Man mag kaum zusehen, wie sich diese Figur ständig selbst zerstört - interessant und aufwühlend ist vor allem das Ende, eine zehnminütige Coda, welches in eine wahrhaftig schauerliche Schlusseinstellung mündet, und das einen den Film nochmals aus einem etwas anderen Blickwinkel betrachten lässt. Allgemein toll inszeniert, ist vor allem der Umgang mit der Musik hervorzuheben, welche stets laut über den Bildern schwebt und ihnen eine quälende Eindringlichkeit verpasst.

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            • Grunddepressivstimmung? Und was ist jetzt daran ein Kritikpunkt?

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              • Ferraras Filme werden immer schlecht aufgenommen und landen am Schluss des Jahres dann doch irgendwie in der Jahres-Top10 der Cahiers du Cinéma...

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                • 8

                  Ich habe nun einmal geschlafen seit der Sichtung von "Under the Skin", und mein Eindruck dieses bemerkenswerten Filmes ist über Nacht, durch das "Abstand gewinnen", noch gestiegen. Zumal alles einen grösseren Sinn ergibt, als dies zunächst den Anschein macht.
                  Glazer verharrt lange auf gewissen Einstellungen, Szenen wiederholen sich immer und immer wieder - während des Films fragte ich mich, ob dies nun immer so weitergeht. Nun jedoch, da mir die Handlung, Johanssons "Wandlung" in Grundzügen klar ist, möchte ich den Film nochmals sehen. Erstens um herauszufinden, an welchem Punkt sich diese Wandlung zu vollziehen beginnt, und zweitens, weil ich die Gesichtsausdrücke, das repetitive Anstarren im Spiegel etc. nun interpretieren, sie zuordnen kann. Allerdings sind diese Einstellungen, in denen scheinbar nichts passiert, so lange, dass sie sich einbrennen ins Gedächtnis, ich habe sie noch klar vor Augen, und eben auch schon nach einer Sichtung Sinn ergeben. Darüber hinaus wird so der Atmosphäre Zeit gegeben, sich perfekt zu entfalten - eine Atmosphäre, die brodelt, vor was? Vor - Verzweiflung, Angst, Beklemmung, Fremdartigem, vor bleierner Schwere. Eine Atmosphäre, die völlig klar artikuliert wird.
                  Dabei wird das Ganze nicht klinisch-objektiv behandelt; das letzte Drittel ist emotional tief ergreifend. Die "Sexszene" phänomenal, auch durch die Musik. Der Motorradfahrer, der von einer Bergspitze Ausschau hält - tief verängstigend. Die Bilder sind präzise, von irrer Schlagkraft. Eigentlich passiert nicht viel, aber was passiert, und sei es nur ein Blick in den Spiegel, hinterlässt Eindruck. Man hat das Gefühl, man ist Zeuge von etwas Gewaltigem.

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                  • 9 .5

                    Was diesen Film so brillant macht, ist die Verbindung von Alltäglichem mit Aussergewöhnlichen. Grillpartys unter Polizisten, Marmelade-Frühstück und Supermarktbesuch eines Bankräubers - diese Dinge mögen zwar nicht als speziell originell anmuten, und dennoch hat man sie noch nicht oft gesehen.
                    Hinzu kommt ein absolut fantastisches Drehbuch: d. h. einzelne Geschichten, die sich genau zum richtigen Zeitpunkt verstricken; eine stete Unvorhersehbarkeit der Handlung und der formalen Struktur des Films, so dass der Zuschauer das Gefühl hat, wirklich alles kann passieren; Figuren, die von der Geschichte verschwinden, und andere, die plötzlich in den Fokus rücken; sich ergebende, äusserst skurrile Situationen, die dennoch extrem authentisch bleiben.
                    Hier ist alles so intensiv, dass man kaum hinschauen kann, dass man stets in Angst um die Protagonisten ist. Vier Personen, die unglaublich ambivalent gebaut sind und über die man sich irgendwie nicht so richtig ein Urteil bilden kann. Gern hat man sie alle. Schon lange war ich nicht mehr derart mitgerissen von einem Film. Meisterwerk.

                    9
                    • 9 .5

                      "How Green Was My Valley" ist heute vor allem bekannt dafür, im Jahr 1941 zu Unrecht den Oscar erhalten zu haben und unter anderem "Citizen Kane" vorgezogen worden zu sein.
                      Dabei ist "How Green..." ein unglaublich tolles Stück Film. Besonders beeindruckend ist die Art, wie Ford mit seinen Bildkompositionen, in die er seine Charaktere eingliedert, dessen Emotionen spiegelt. Bemerkbar ist, wie viel Liebe im Detail steckt. Dadurch gerät der Film äusserst mitreissend und rührend, ohne durch lasche Überdramatisierung der Handlung Zuschaueremotionen zu erkaufen. Ford ist hier schonungslos melancholisch. Das Drehbuch zeichnet sich durch mehrere Handlungsstränge aus, welche ein vielschichtiges Bild einer Dorfgemeinschaft zeichnen.
                      Rührend auch das Spiel des etwa 12jährigen Jungen, Hauptdarstellers, aus dessen Perspektive das ganze Familien- und Dorfbild betrachtet wird (entsprechend zeigt Ford Natur und Menschen oft von einer tiefen Perspektive aus). Wie er seinen Kopf schräg an einen Balken lehnt, um mit seinem Blick an der frisch vermählten Frau seines grossen Bruders hängen zu bleiben, in die er sich, laut eigener Aussage, verliebt hat: Das ist ganz grosses, sentimentales Kino. Dabei bleibt Ford immer beides: schwermütig - und doch irgendwie optimistisch.

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                      • 8

                        Maurice Pialats Debütfilm ist ein eindrückliches Portrait eines Jungen, dessen Charakter man nie wirklich einordnen kann, und verweigert sich etlichen Konventionen, am auffälligsten wohl einem dramatischen Spannungsbogen. Vom 10-jährigen Waisenkind François, um den sich der Film dreht, weiss man in keiner Szene, wie er sich verhalten wird, da er "gute" und "schlechte" Taten aneinanderreiht; so lässt er einmal eine Katze Dutzende Stockwerke eines Treppenhauses herunterfallen, kauft ein andermal seiner Pflegemutter, die ihn wegschickt, weil er ihr Angst macht, ein Geschenk. Der Junge spricht nicht viel, und über sein Innenleben kann nur spekuliert werden. Stets umgibt ihn etwas Mysteriöses; ein unglaublich komplexer Charakter.
                        Der Stoff des Films ist eigentlich sehr klischeebehaftet, aber Pialat dreht dies genau ins Gegenteil. Er verweigert jegliche Identifikation mit seinen Figuren, obschon er keine einzige Figur unsympathisch erscheinen lässt. Partei ergriffen wird weder für den Waisenjungen, noch für seine Pflegeeltern. Ausserdem ist der Schnitt sehr ungewöhnlich, da viele Szenen äusserst abrupt beginnen und enden; ohne jegliche Vorbereitung. Oft bleibt unklar, wie viel Zeit von einer Szene zur nächsten vergangen ist. Pialats Stil ist sehr nüchtern-trocken-dokumentarisch, Dialoge wirken authentisch und improvisiert, Musikuntermalung fehlt. Und trotzdem gibt es ab und zu Momente von Wärme, die das Bild durchfluten; wenn etwa eine Hochzeit gefeiert und ein Lied angestimmt wird, und François lächelt und mitsingt; oder wenn seine "Eltern", ein freundliches, älteres Ehepaar, einander auf dem Schoss sitzt und Kaffee trinkt und von ihren Enkeln erzählt.

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                        • 6

                          James Grays Debüt kann seinen späteren Werken leider auch nicht nur annähernd das Wasser reichen. Der Themenkomplex, welcher hier verarbeitet wird, ist zwar interessant, und es werden die richtigen Fragen aufgeworfen. Eine äusserst unkonventionelle Dramaturgie verhindert das Abgleiten in stereotype Handlungsmuster und Klischees. Das Problem ist aber meines Erachtens die Umsetzung. Die Dialoge sind grösstenteils schlecht bis dämlich geschrieben, und von jener optischen Stilsicherheit, die Grays spätere Werke auszeichnen, ist hier noch nicht viel zu sehen. Die Bildsprache ist zu unausgegoren und lässt den Film überhastet wirken, und das, obschon die Geschichte an sich eigentlich extrem langsam erzählt wird.
                          Dennoch gibt es hin und wieder auch geniale Szenen, und zwar immer in den ruhigsten Momenten. Wenn die Kamera ganz lange auf einem Gesicht verharrt, und dazu Pärts Choral den düster-brodelnden Charakter des Films musikalisch untermalt; dann werden die Figuren richtig greifbar und vermitteln uns das, was sie durch ihre Dialoge nicht können.

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                          • Na, ging doch mit Rendez-vous d`Anna. :)

                            • Kiarostamis Close-Up: http://www.youtube.com/watch?v=rrnUvCsnOtw

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                              • 7

                                Eben noch für viele Kritiker DAS Highlight der Berlinale (neben Boyhood), jetzt schon am 17. März um 23:55 Uhr in OmU auf Arte zu sehen! Unglaublich!

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                                • 10

                                  „Les amants du pont-neuf“ ist Kino in seiner reinsten Form, in all seiner Konsequenz. Carax bewirft uns mit einem expressionistischen Bilderreigen, mal naturalistisch, mal surrealistisch. Und sein Film schafft es, etwas auszulösen, was nur die Kunstform Film kann.
                                  „Les amants du pont-neuf“ ist pure Ekstase, eine riesige, vergnügende und beängstigende Achterbahnfahrt auf den Wegen der Liebe, eine Amour Fou, die genüsslich verklärt und zelebriert wird. Das Schöne und das Hässliche, das Grosse und das Kleine: alles wird in einen Topf geworfen. Ein Film der Gegensätze. So ist "Les amants" in seiner Grundprämisse ein leises Kammerspiel, handelt doch der Grossteil nur von zwei, drei Personen auf einer Brücke. Daraus entspinnt sich aber eine epische, schwelgende, zutiefst emotionale Ballade mit fantastischen Bildern von Jean-Yves Escoffier. Diese Bilder romantisieren durchaus das Leben der Obdachlosen, der Streuner.
                                  Eine ergreifende, verrückte Freiheit liegt in der flirrenden Luft, wie im Delirium, und um die nächste Mahlzeit muss sich nie jemand sorgen machen. Was zählt, sind nur Launen und Gefühle. Wenn die Hauptfiguren nachts auf der Brücke auf dem Höhepunkt ihrer Ekstase zu Musikfetzen aus der Stadt tanzen, ist das wohl eine der lebendigsten, mitreissendsten Filmsequenzen überhaupt. Bezeichnend wird diese Szene von einem Feuerwerk begleitet, denn der Film ist auch insgesamt Kino als "Feuerwerk".

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                                  • 8 .5

                                    Dies ist nach Two Lovers mein zweiter Film von James Gray, und ebenso wie jene fein gesponnene Liebesgeschichte ist dieser düstere Cop-Thriller ein, wie es scheint, meilenweit unterschätztes Werk. Ich weiss, wie abgedroschen das nun klingen mag, und dennoch habe ich das Gefühl, wenn zwei Filme das Prädikat "unterschätzt" wirklich verdient haben, dann sind es eben jene zwei Filme.
                                    Genau wie Two Lovers behandelt auch "We own the night" ein schon oft gesehenes Thema. Es gibt unzählige Cop-Unterwelt-Thriller, beispielsweise aus dem gleichen Jahr "The Departed". Doch "We own the night" ist irgendwie genau das Gegenstück von Scorseses luftig-bitterbös-frechem Publikumsliebling. Er labt sich nicht an kessen, "genialen" Dialogen, und die Dialoge sind auch nicht blosser Vorwand um die Geschichte von einer klischeehaften Action-Szenerie in die Nächste zu bugsieren (was nun nicht bei The Departed, aber bei den meisten anderen Filmen dieser Art der Fall ist). Die Genialität dieses Films liegt darin, einen Genrethriller mit einer subtilen, genau beobachteten Charakterstudie über innere Zerissenheit, über Loyalität, über Familienbanden, über Schuld und Sühne zu verbinden. Und trotzdem verkommt "We own the night" niemals zu einer langwierigen, schweren Angelegenheit, sondern bietet, eine durchgehend absolut superbe Atmosphäre auf. Die erste Hälfte erweist sich dabei als Fundament der fulminanten, ultraspannenden zweiten Hälfte, die sowohl emotional, als auch storytechnisch zum Nägelkauen intensiv ist. Der zunehmende innere Zwist der Hauptfigur überträgt sich sozusagen auf den Handlungsverlauf. Diese Hauptfigur, die von Phoenix perfekt verkörpert wird, offenbart sich einem achtsamen Zuschauer in kleinen Blicken und Gesten; mehr denn in Worten.
                                    Ein Meisterwerk, dem die nötige Beachtung, so traurig das ist, vollkommen versagt blieb.

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                                    • 8 .5

                                      Wieso kann sich ein Mann in jemanden verlieben, die weniger schön ist, und mit weniger Charme aufwartet, als seine Frau,mit der er 2 Kinder hat?
                                      Dieser Frage geht "trop belle pour toi" nach, und was herauskommt ist etwas sehr Aussergewöhnliches, das man nicht alle Tage sieht. Ich wage sogar zu behaupten, dies ist ein Grenzen sprengendes Werk, eine grosse filmische Reflexion über die Liebe, sehr schwer zu beschreiben. Wenn man sich einen klassischen Film als zweidimensionale Strecke von A nach B vorstellt, dieser hier ist eine Kugel rund um den Punkt A. Die Kameraführung ist eigentlich Hauptdarsteller des Films, der reine Wahnsinn. Die Kamera ist stets in Bewegung, aber zwischendurch ergeben sich ständig Bildkompositionen zum Aufhängen und Einrahmen. Eine geniale Musikuntermalung, hauptsächlich von Schubert, vervollständigt dieses Kunstwerk. Trotzdem kann ich gut verstehen, wenn man diesen Film nicht mag, da sein Inhalt quasi ein Nichts ist, eine Blase, die in sich zusammenfallen kann, eine Aussage, die sich immer und immer wieder wiederholt, ohne dass wirklich Neues hinzutritt.
                                      Dennoch sollte man dies mal gesehen haben - und ich bin sehr gespannt auf weiteres aus der Filmographie Bertrand Bliers.

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                                      • Da kommt mir sofort Bresson in den Sinn... Hast du seine Filme noch nicht gesehen, oder erfüllen die das Kriterium aus sonst irgendeinem Grund nicht?

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                                        • Danke dir auch für die Ehre! :)

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                                          • 9 .5

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                                            • Aha, ist 8 bei dir die Höchstnote für die Erstsichtung?

                                              • Irgendwie denk ich, Freddie Quell würde noch in die Liste passen. Ein Regenlauscher ist er vermutlich nicht, aber zerrissen, andersdenkend, umherstreifend...

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                                                • 8
                                                  über Workers

                                                  Wer die Möglichkeit hat, sollte sich diesen nun anlaufenden Film nicht entgehen lassen. Der mexikanische Spielfilmerstling von Jose Luis Vallee ist nämlich sowohl visuell als auch erzählerisch schlichtweg beeindruckend.
                                                  Erzählt werden parallel zwei Geschichten über einen Mann und eine Frau (früher ein Paar), die seit dreissig Jahren mit unglaublicher Beflissenheit derselben eintönigen, einsamen, tristen Arbeit nachgehen, dafür aber keine Anerkennung erhalten und langsam beschliessen, etwas zu verändern.
                                                  Schon der stupende, rätselhafte Opening Shot, eine an Angelopoulos erinnernde Plansequenz, gibt Tempo und Machart des Films vor: lange, sorgfältig komponierte Einstellungen, bei denen die Bilder sprechen und das Geschehen kommentieren. Interessantes geschieht sowohl im Vorder- als auch im Hintergrund des Bildes. Besonders hervorzuheben ist dabei eine brillante, etwa zehnminütige Szene, in der, in einer Einstellung, eine Strasse mit drei Häusern gezeigt wird, und während die Sonne untergeht, sehen wir das Leben der Stadt, herumlungernde Prostituierte, ein vorbeifahrender Eiswagen und sich anbietende Messerschleifer.
                                                  Die beiden Geschichten spiegeln sich, und nach den jeweiligen Entschlüssen der Hauptfiguren wiederholen sich die meisten zuvor gesehenen Einstellungen, in leicht variierter Form. Diese Bilder besitzen oft gleichzeitig etwas Trauriges und etwas Absurdes, etwa wenn die Hauptfigur in einem riesigen, sterilen, übersauberen Industriegelände alleine auf weiter Flur den Boden schrubbt.
                                                  Beide vom Schicksal gebeutelten Protagonisten werden von ihren Schauspielern fantastisch gespielt, insbesondere der Mann, der mit seiner unsicheren, steifen, ungelenken Art so gar nicht zur jugendlichen, dynamischen Neuzeit passt, welche von seinem Chef gefordert und verkörpert wird. Und wenn dieser Mann schliesslich aufgefordert wird, das Fabrikgelände durch die Hintertür zu verlassen, und auf einem schmalen Weg auf die Kamera zukommt, um kurz davor stehen zu bleiben, seine Gesichtszüge für den Bruchteil einer Sekunde weicher werden, zum ersten Mal fast so etwas wie ein leises Lächeln formen, dann ist dies auch für den Zuschauer ein grosser, erfüllender Moment.

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                                                  • 9

                                                    "The most innovative film since Citizen Kane… whereas Kane was the first picture to suggest that the world of the imagination was as powerful as reality, Celine and Julie is the first film in which everything is invented.”
                                                    Mit diesen Worten beschrieb Filmkritiker David Thompson Rivettes bekanntesten Film "Celine et Julie vont en bateau". Rivette geniesst dennoch weder auf Moviepilot, noch sonst irgendwo in der Filmwelt grosse Anerkennung und Bekanntheit, was auch daran liegt, dass grosse Labels wie Criterion keinen einzigen seiner Filme herausgegeben haben.
                                                    Wie schon im Vorgänger, dem 13-Stunden-Meisterwerk OUT 1, macht sich bemerkbar, dass das "Spiel" für Rivette ein zentrales Element ist. War es in OUT 1 allerdings noch "Spiel" im Sinne von "Theatergruppen spielen und improvisieren", so ist in "Celine et Julie", der Geschichte zweier "Magierinnen", das Spiel nicht nur auf inhaltlicher, sondern im Besonderen auch auf formeller Ebene zu finden. So offenbart sich hier eine grosse Experimentierfreude, was das Narrative anbelangt.
                                                    "Spiel", das bedeutet für Rivette vor allem, unbändige Freiheit zu geniessen. Alles ist möglich, und so sollte man sich nicht wundern, wenn sich eine der beiden Protagonistinnen als die Andere ausgibt, aber dies überhaupt nicht bemerkt wird. Aber kein Spiel ohne Regeln; und hier bleiben einige Regeln immer im Dunkeln, während Andere im Laufe der Zeit glasklar werden.
                                                    Überhaupt: Nach einer grandiosen Eröffnungsszene hatte ich zu Beginn etwas Mühe mit dem Film. Doch mit der Zeit wird es immer fesselnder, die Schlinge zieht sich immer mehr zu, was in eine absolut magische Schlussviertelstunde mündet. Im Verlaufe des Films ändert sich seine Form, sein Genre, sodass er sich eigentlich anfühlt wie zwei Filme in Einem; wie eine magische Schachtel, deren Inneres viel geräumiger ist, als es von Aussen den Anschein macht. Die beiden Filme, die im "Gesamtfilm" stecken, stehen dabei scheinbar in grossem Gegensatz zueinander: Der Eine spielt vorwiegend Draussen, der Andere Drinnen, im Einen sind Beleuchtung, Gegenstände und Dialoge möglichst natürlich, im Andern möglichst künstlich, der Eine erscheint als Traum, der andere als Realität. Und nun beeinflussen sich diese beiden Filme, diese beiden Welten, gegenseitig.
                                                    Es gibt so viele Filme, die sich mit Traum, Realität und deren Grenze befassen, doch keiner macht dies auf so spielerische Art und Weise wie "Celine et Julie vont en bateau".

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