Mein Regie-Liebling des Jahres - Joe Wright

29.12.2012 - 08:29 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Mein Regie-Liebling des Jahres: Joe Wright für Anna Karenina
Universal/moviepilot
Mein Regie-Liebling des Jahres: Joe Wright für Anna Karenina
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Joe Wright, der geniale Kopf hinter dem unkonventionellen Thriller Wer ist Hanna? und der starken Literaturadaption Abbitte, inszenierte zuletzt das prächtige Kunstwerk Anna Karenina und ist dadurch zu meinem Regie-Liebling des Jahres geworden.

In Anna Karenina waren dieses Jahr erneut drei Dinge vereint, die mich zuvor sehr begeistern konnten: Regisseur Joe Wright wagt sich an eine Literaturadaption und besetzt die Hauptrolle mit Keira Knightley. Diese Kombination hat bereits in Stolz und Vorurteil ihr Potential durchblicken lassen und wurde später im Rahmen der Romanverfilmung Abbitte fast zur Perfektion geführt. Auch die Umsetzung des Werks von Leo Tolstoi darf als gelungenes Experiment bezeichnet werden und das ist vor allem auf die prächtige Inszenierung seitens Joe Wright zurückzuführen. In einem fesselndem Bilderreigen dringt er in die schicksalhaften Geschichten dreier adliger Familien im Russland des 19. Jahrhunderts ein, die zwar nicht zwangsläufig auf der richtigen Seite der Moral stehen, dafür aber auf der Bühne des Lebens.

Aufblende: Die Kamera steht für einen Moment noch ruhig im Raum. Wir befinden uns in einem Theaterraum, den Blick zur Bühne gerichtet. Der schwere Vorhang ist geschlossen und es liegt die gleiche Anspannung wie vor einer Aufführung in der Luft. Dann endlich öffnen sich die Tore in die Welt des zaristischen Russlands und wie ein Strudel zieht einen das dort vor sich gehende Geschehen direkt auf die Bühne, hinter die magische Barriere des Vorhangs, hinein ins Leben. Ein solcher Einstieg mag kein Novum sein, tauchten bereits Regisseure wie Baz Luhrmann (Der große Gatsby) in Moulin Rouge oder Zack Snyder (Watchmen – Die Wächter) in Sucker Punch durch den Vorhang in ihre Geschichten ein. Doch Joe Wright lässt im Folgenden nicht die Bühne hinter sich, um vollkommen in die geschlossene Filmwirklichkiet einzutauchen. Stattdessen verlagert er die Welt von Anna Karenina ins Scheinwerferlicht, dort wo sie jeder sehen sowie beobachten kann.

Die Schauplätze verschwimmen zwischen den Grenzen einer Theaterkulisse und glaubhaft echten Örtlichkeiten. Während beispielsweise Keira Knightley gerade noch im geschlossenen Zimmer steht und sich nun in den nächsten Raum bewegt, verwandelt sich um sie herum das komplette Szenario: Wände werden verschoben, Türen ausgetauscht und wo eben noch der hölzerne Boden der Bühne zu erblicken war, liegt nun ein großer Teppich ausgebreitet. Das hört sich anfangs bizarr – fast schon experimentell – an und auch später fällt es schwer die waghalsige Inszenierung von Joe Wright in Worte zu fassen. Als vergleichendes Beispiel kann ein äußerst komplexes Uhrenwerk herangezogen werden. Hier greifen zahlreiche Zahnränder ineinander, Schrauben und andere Verbindungen wie zuletzt das Gehäuse selbst sorgen für sicheren Zusammenhalt und alles ist miteinander verknüpft und voneinander abhängig, sodass sich ein dynamischer Fluss entwickelt. Taucht jedoch irgendwo ein klitzekleiner Fehler auf, kann dieser alles ins Stocken bringen. Ebenso Anna Karenina.

Während sich alles dreht, verwandelt sowie variiert scheint die Kamera dem komfortablen Leben der adligen Protagonisten zu folgen – bis zu dem Punkt, an dem ein Zahnrad aus den Fugen gerät. Die festgefahrenen Beziehungen mitsamt Alltagstrott geraten ins Wanken und verächtlich beäugt vom bissigen Blick der Gesellschaft geht es fortan darum, das Geschehen wieder moralisch korrekt hinzubiegen. In diesem Augenblick befindet sich Anna Karenina in persona inmitten der hell beleuchteten Bühne und wird fast schon zur Schau gestellt. Selten ging eine Inszenierung derart Hand in Hand mit den Motiven der aufgeführten Geschichte und Joe Wright setzt dieses verknüpfte Konzept zwischen Handlung und Darstellung konsequent und eindrucksvoll fort.

Bisher zeichneten sagenhafte Plansequenzen die Arbeit des Regisseurs aus und Anna Karenina hinterlässt am Ende sogar den Eindruck in einer einzigen Einstellung gedreht worden zu sein. Selbst wenn zwischen bemerkenswert konstruierten Szenerien ein unscheinbarer Schnitt fällt, gelingt es den kongenial ergänzenden Kompositionen aus der Feder von Dario Marianelli, die Illusion des undurchbrechbaren Flusses aufrechtzuerhalten. Dass Joe Wright auch hier alle ihm zur Verfügung stehenden Fäden wunderbar zusammenführt, demonstriert die Harmonie zwischen bewegten Bildern und der untermalenden Musik. Wie in Abbitte das Tippen auf der Schreibmaschine in die musikalischen Klänge überging, werden ebenso in Anna Karenina thematische Details in den Score mit eingebunden.

Diese Inszenierung darf abschließend als faszinierend und mitreißend beschrieben werden – selbst wenn sie nicht perfekt sein mag. Doch dafür gibt es viel zu viele wunderschöne Dinge zu entdecken, sobald Joe Wright offenbart, was sich hinter dem Vorhang verbirgt. In diesem Sinne hoffe ich, dass er seine Passion der fulminanten Gestaltungen weiterentwickelt und hätte natürlich auch nichts gegen einen weiteren großartigen sowie unkonventionellen Thriller wie Wer ist Hanna? einzuwenden.

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