Das wichtigste Filmfestival der Welt

10.09.2012 - 09:34 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Der Hype von Morgen schon heute beim TIFF - Looper
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Der Hype von Morgen schon heute beim TIFF - Looper
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Cannes, Venedig und Berlin haben das Prestige für sich gebucht. Doch das Toronto International Film Festival bestimmt auch 2012 über die Oscar-Favoriten und Indie-Hits von morgen.

Für filmaffine Twitter-User fallen Weihnachten, Ostern und der Tag des deutschen Bieres immer dann zusammen, wenn irgendwo auf der Welt ein großes Filmfestival am Laufen ist. Das einzig spannendere, als die 140 Zeichen lange Begeisterung oder Enttäuschung über die Filme von morgen zu lesen, ist, diese Tweets selber zu schreiben. Ob Berlin, Cannes oder Venedig: Jedes Jahr wiederholt sich das selbe Spiel, wenn die Kritiker aus den Weltpremieren kommen und nebst Hashtag #venezia69 oder #cannes2012 künstlerische Großtaten und Ausfälle zementieren. Weniger prestigeträchtig (lies: alt) als Die Großen Drei ist das Toronto International Film Festival (#TIFF12). Dennoch fungiert das TIFF längst als Startschuss der Oscar-Saison und Plattform für die Kultfilme der Zukunft. Dies hat das Festival nicht zuletzt seinen Zuschauern zu verdanken.

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Die anderen großen Drei
Über die Geschichte des TIFF hat meine Kollegin Katrin ausführlich geschrieben. Seit seiner Gründung 1976 hat sich das Festival in Toronto ordentlich gemausert. Seit Jahren gilt es als Startschuss für die Awards Season. So gut wie jeder Oscar-Film wurde in den letzten Jahren in Toronto gezeigt. Einige (The Descendants – Familie und andere Angelegenheiten, Slumdog Millionär) feierten in Toronto Premiere und wurden dort ihrem Vorschuss-Hype gerecht. Andere, wie The King’s Speech – Die Rede des Königs, kamen mehr oder weniger aus dem nichts, bevor sie in der kanadischen Metropole die ersten Zuschauer für sich gewannen.

Das TIFF ist damit die finale Station eines marketingtechnischen Dreischlags im frühen Herbst. Die Haltestellen heißen Telluride, Venedig und Toronto. Ersteres ist ein exklusives Festival für Filmliebhaber mit einer noch exklusiveren Auswahl. In den wenigen Tagen des Telluride Film Festivals werden eine Handvoll Filme vor einem extrem cinephilen Publikum gezeigt. Voraussetzung ist, dass sie auf dem nordamerikanischen Kontinent noch nicht Premiere gefeiert haben. Zeitnah folgt Venedig, die alte Dame der Filmfestivals, die im Gegensatz zu Toronto und Telluride mit großen Preisen lockt. Wie Black Swan und Tödliches Kommando – The Hurt Locker zeigen, startet so mancher Oscar-Kandidat am Lido (oder in Cannes), um sich danach in Toronto die Ehre zu geben. Der Klassiker unter den Festivals wird allerdings vermehrt bedrängt. In den vergangenen Jahren haben sich die Termine von Venedig und Toronto überschnitten. Da kann es vorkommen, dass die englischsprachigen Kritiker mehrere Tage vor Ende aus Venedig nach Toronto flüchten.

Das älteste Festival der Welt gerät unter Druck. Goldene Löwen mögen für Publicity-Schübe sorgen. Die entscheidenden Deals werden allerdings woanders getätigt. Dem sind sich die Organisatoren bewusst. Ausdruck der steigenden Konkurrenz ist der 2012 erstmalig stattfindende Venice Film Market, der mit Zurückhaltung aufgenommen wurde. Denn eines hat Toronto den Konkurrenten in Telluride und Venedig voraus: den wichtigsten Filmmarkt für Nordamerika. Wie die Berlinale auch ist Toronto ein Publikumsfestival mit angeschlossenem Filmmarkt. Hier werden kommende Projekte geschnürt und Verwertungsrechte für fertige Werke an den Mann gebracht. Damit schließt Toronto die Lücke zwischen dem Markt in Cannes im Mai und dem American Film Market (AFM) im Februar. Ob ein Film überhaupt einen Verleih in den Staaten findet, wird oft genug hier entschieden und im Gegensatz zu Cannes hat das Publikum einen gewichtigen Anteil daran.

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Die Hype-Maschine
Bei anderen Festivals sind die sogenannten market presentations nämlich streng von den normalen Vorstellungen getrennt. In Toronto werden in wenigen Tagen über 300 Filme gezeigt und das vor Fach- und normalem Publikum gleichzeitig. Ein Großteil davon steht zum Verkauf. Natürlich wird hier nicht um die ganz großen Blockbuster gefeilscht, welche die Studios zur Sommer- und Weihnachtssaison in die Kinos prügeln. Kleinere Filme, aus denen sich viel Geld saugen lässt, stehen für die steigende Zahl unabhängiger Verleiher im Scheinwerferlicht. Um die Bandbreite abzustecken, lohnt ein Blick auf Gewinner des Publikumspreises des TIFF: The King’s Speech, Precious – Das Leben ist kostbar, Slumdog Millionär, Tödliche Versprechen – Eastern Promises, Tsotsi, Die fabelhafte Welt der Amélie, Tiger & Dragon, American Beauty und Das Leben ist schön. Damit ist der ideale TIFF-Verkauf bereits abgesteckt. Die kleinen bis mittelgroßen Budgets, Stars, eine typische Indie-quirkyness und ein hohes Maß an Oscar-Affinität bilden den Stoff, aus dem die Verleih-Träume sind.

Mit seiner Mischung aus Star-Aufläufen und Independent-Projekten läuft das TIFF einem anderen Festival-Haudegen den Rang ab. Da unmittelbare Publikumsreaktionen die Verkäufe vor dem Hintergrund der wichtigen Herbstsaison anheizen, versuchen immer mehr Verleiher, ihre Herzensprojekte in Toronto unterzubringen. Deshalb gerät neben Venedig auch der Indie-Klassiker Sundance in Park City ins Hintertreffen.

Wenn die Zuschauer aus den vielen Sälen strömen und bei Twitter und Facebook über ihre neuesten Entdeckungen schreiben, entwickelt Toronto seine wahre Macht. Wie kaum ein anderes Festival jongliert das TIFF mit der Begeisterung von Fans und Kritikern gleichermaßen, die gemeinsam den Hype um einen neuen Film nach außen tragen und die Grundlage für die Mundzumundpropaganda einer späteren Box Office-Überraschung bilden. Bestes Beispiel sind die Midnight Madness-Screenings. Abseits der, nennen wir es ‘Arthouse-Filme’, bietet Toronto ein Auffangbecken für internationale und amerikanische Genrefilme. Für die einschlägigen Action- und Horror-Werke gehört der Umweg über Kanada längst dazu, um eine Aufmerksamkeit zu entfachen, die nicht selten dazu führt, dass ein Film auch hierzulande einen DVD-Verleih findet. Die Saat des deutschen Fantasy Filmfest-Programms wird unter anderem in diesen Screenings gelegt. Zudem bildet Toronto ein Schaufenster für den asiatischen Markt. Als letztes Jahr die Zuschauer aus den Mitternachtsvorstellungen von The Raid strömten und über Twitter von der Action-Entdeckung des Jahres berichteten, sprang der indonesische Film mit einem Schlag auf den Schirm der einschlägigen Genre-Seiten.

Auf dem Weg nach oben
Obwohl das TIFF weiterhin vor allem für die Verwertungsrechte auf dem nordamerikanischen Markt von Interesse ist, haben die Zuschauer und Kritiker in Toronto eine enorme Macht entwickelt. Erst vor wenigen Tagen feierte Looper von Rian Johnson mit Bruce Willis und Joseph Gordon-Levitt dort als Eröffnungsfilm Premiere und die positive Rezeption schlägt bereits Wellen. Der schwierig zu vermarktende Cloud Atlas – Alles ist verbunden sorgte für Beifallsstürme und bei Twitter wurde bereits die Anzahl der Standing Ovations für Much Ado About Nothing von Joss Whedon (Marvel’s The Avengers) verkündet. Silver Linings und Vielleicht lieber morgen überraschten die Zuschauer, während End of Watch durchfiel. Von einigen dieser Filme werden wir im Winter hören, wenn es um die Golden Globes und Oscars geht. Andere erhalten dank ihrer positiven Aufnahme beim TIFF womöglich mehr Aufmerksamkeit beim Marketing und bezahlen dieses Vertrauen mit guten Einspielergebnissen. Toronto mag weder das Prestige noch den Glamour von Cannes, Venedig und Berlin vorweisen. Ganz wesentlich wird dort trotzdem darüber bestimmt, wovon wir morgen reden.

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