1976 - Die Gründung des Festivals der Festivals

28.11.2011 - 08:50 Uhr
1976 wurde das TIFF gegründet.
The Weinstein Company / TIFF Inc. / moviepilot
1976 wurde das TIFF gegründet.
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In unserer Rubrik Markante Momente halten wir für einen Augenblick inne, um an wichtige Ereignisse der Filmgeschichte zu erinnern. Heute geht es zurück in die 70er: 1976 gründeten Bill Marshall, Henk Van der Kolk und Dusty Cohl das TIFF.

Wenn ein halbwegs ambitionierter Regisseur einen halbwegs akzeptablen Film dreht, mit halbwegs ansehnlichen Schauspielern aufwartet und eine halbwegs interessante Geschichte vorzuweisen hat, kann er sich eine Vielzahl an Festivals aussuchen, die sein Werk mit Freuden zeigen und es vielleicht sogar prämieren. Dann überschlagen sich die Medien, Kritiker geben ihren Senf dazu, und ob Hollywood, Cannes oder Berlin: Neben Ruhm und Ehre können sich die Ausgezeichneten auch noch einen Oscar, eine metallene Palme oder einen Bären aufbinden lassen, um von goldigen Integrationsrehkitzen mal gar nicht erst anzufangen.

Ein Festival ist da aber noch, eines, das dem zähnebleckenden Gerangel um die begehrte Trophäe entsagt und sich auf das Wesentliche konzentriert. Ein Festival, das trotz seiner Wettbewerbslosigkeit Jahr für Jahr tausende Stars, Filmschaffende und schlicht Kinobegeisterte in Scharen nach Kanada zieht, nach Toronto, um genau zu sein.

„ To Take the boring out of being Canadian“
Als das Toronto International Film Festival, kurz TIFF, im Jahre 1976 gegründet wurde, lief es noch unter dem Namen „Festival of the Festivals“. Der Kanadier Murray „Dusty“ Cohl (siehe Bild) war 1964 während eines Roadtrips durch Frankreich mit seiner Frau völlig unwissentlich in das Filmfestival in Cannes hineingestolpert und fortan ließ ihn die Idee eines ähnlichen Events in seiner Heimat nicht mehr los. Einen Katalysator für die kanadische Filmindustrie wollte er schaffen, und so ließ er seinen überzeugenden Verkäufercharme spielen und bekam schließlich seinen Willen.

Der Anspruch des neu gegründeten Festivals war letztlich nicht weniger als eine Sammlung der besten Filme aller Festivals auf der Welt zu zeigen, und so schauten schon im ersten Jahr 35.000 Cinephile immerhin 127 Streifen aus 30 Ländern. "Dusty took the boring out of being Canadian“, sagte seine Kollegin Helga Stephenson über Dusty Cohl, und um wirklich jedes bisschen Langeweile zu vertreiben, führten die Verantwortlichen schließlich zwei Jahre nach Gründung der Festspiele den People’s Choice Award ein.

Grandiose Geheimtipps und ordentlich Oscar-Buzz
Bei der Wahl des beliebtesten Films beweist das bunt gemischte und stetig wachsende Publikum Jahr für Jahr einen exquisiten Filmgeschmack. Werke, die heute längst den Status des Kultfilms ihr Eigen nennen, wie Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs des Spaniers Pedro Almodóvar oder das moderne Pariser Märchen Die fabelhafte Welt der Amélie von Jean-Pierre Jeunet zählten in den vergangenen Jahren zu den prämierten Streifen und mit der Zeit entwickelt sich das beliebte TIFF immer mehr zum Indikator für kommende Oscaranwärter.

Der Film Slumdog Millionär von Danny Boyle, 2008 Gewinner des People’s Choice Awards, sahnte kurz darauf ganze sieben Oscars ab und im Jahr darauf war es das Drama Precious – Das Leben ist kostbar von Lee Daniels, das nicht nur in Toronto sondern auch in Hollywood für Furore sorgte. Schließlich gewann das britische Historiendrama The King’s Speech – Die Rede des Königs von Tom Hooper immerhin vier der begehrten Trophäen bei sagenhaften zwölf Nominierungen.

Auch in diesem Jahr bleibt es spannend. Gewinner des Torontoer Publikumspreises ist die französisch-libanesische Co-Produktion Wer weiß, wohin? von Nadine Labaki, die auch für einen Oscar in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film nominiert wurde. Damit befindet sie sich in guter Gesellschaft, denn auch diesjährige heiße Kandidaten wie Albert Nobbs, Pina oder The Artist liefen erfolgreich in der 2010 neu eröffneten TIFF Bell Lightbox.

Noch immer Festival of the Festivals
Bei all dem Oscar-Buzz verliert das Toronto International Film Festival aber nicht seinen ursprünglichen Fokus aus den Augen. Noch immer beglücken große Mengen kleiner aber feiner Arthausfilme, wie in diesem Jahr zum Beispiel Tyrannosaur – Eine Liebesgeschichte, Shame, We Need to Talk About Kevin oder Lachsfischen im Jemen das Cineastenauge. Eigens eingeführte Reihen wie Canada First! oder Short Cuts Canada konzentrieren sich auf die heimische Filmbranche und mit TIFF kids ist sogar für die Bespaßung der potentiellen Nachwuchsfilmer gesorgt.

Vieles hat sich getan, seit das Festival of the Festivals 1976 aus der Taufe gehoben und 1995 schließlich in Toronto International Film Festival umbenannt wurde. Größen wie Jason Reitman, David Cronenberg oder Michael Moore legten dort die Grundsteine für ihre Karrieren und so manch ein vorher unbekanntes Werk rückte in den Fokus der Öffentlichkeit. Wenn jetzt auch noch mehr der gezeigten Filme einen Verleiher für Deutschland finden, bin ich restlos glücklich.

Was die Menschheit sonst noch im (Film)Jahr 1976 bewegte:
Drei Filmleute, die geboren sind
22. März 1976 – Reese Witherspoon, schmissige Sängerin aus Walk the Line
09. August 1976 – Audrey Tautou, Einzelgängerin aus Die fabelhafte Welt der Amélie
23. Oktober 1976 – Ryan Reynolds, Testpilot aus Green Lantern

Drei Filmleute, die gestorben sind
14. März 1976 – Busby Berkeley, Regisseur von Musik ist unsere Welt & anderen Musicals
17. März 1976 – Luchino Visconti, italienischer Autorenfilmer (Tod in Venedig)
15. November 1976 – Jean Gabin, Soldat aus Die große Illusion

Die großen Festival- und Award-Sieger waren unter anderem
Oscar – Einer flog über das Kuckucksnest von Milos Forman (Bester Film, Bester Regisseur, …)
Palme d’Or – Taxi Driver von Martin Scorsese
Goldener Bär – Buffalo Bill und die Indianer von Robert Altman

Die drei kommerziell erfolgreichsten Filme
Rocky von John G. Avildsen
A Star is Born von Frank Pierson
Die Unbestechlichen von Alan J. Pakula

Drei wichtige Ereignisse der Nicht-Filmwelt
01. April 1976 – Steve Jobs und Steve Wozniak gründen Apple
09. Mai 1976 – Ulrike Meinhof erhängt sich in ihrer Zelle in Stuttgart-Stammheim
09. September 1976 – Mit dem Tod von Mao Zedong endet die Kulturrevolution in China

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