Kino lieben heißt 3D lieben

24.10.2012 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Die Vermessung der Welt
Warner Bros. Pictures
Die Vermessung der Welt
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3D-Filme sind mittlerweile eine Selbstverständlichkeit im Kino, doch noch immer reagiert das Publikum mit Skepsis auf den Trend. Ein Plädoyer für die besten 3D-Filme der jüngeren Vergangenheit.

Kaum eine Woche vergeht, in der nicht irgendein 3D-Film in den deutschen Kinos startet. Ab morgen reihen sich mit der Bestsellerverfilmung Die Vermessung der Welt nach dem Roman von Daniel Kehlmann sowie dem Animationsgrusel Hotel Transsilvanien zwei weitere Filme in ein Auswertungssystem, das ab einem bestimmten Produktionsrahmen bereits zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Seit, natürlich, Avatar – Aufbruch nach Pandora lockt die Industrie das Publikum auf vielfältige Art, sei es durch einen Mangel an 2D-Alternativen oder durch prahlerische Zahlen, die gern auch mal den schleppenden 3D-Umsatz in den USA verschleiern. Selten jedoch werben die Filme und/oder ihre Vertreiber mit künstlerischen Argumenten für das dreidimensionale Erlebnis. Höhere Eintrittsgelder und vor allem die anfänglich lausige Qualität der vielen konvertierten, also nicht in 3D gefilmten Produktionen scheinen beim Publikum zu einem Verdruss, mindestens aber einer Skepsis gegenüber dem neuen digitalen 3D-Kino geführt zu haben. Dabei ermöglichen es die besten 3D-Filme, Kino neu erfahrbar werden zu lassen, den Zuschauer synästhetisch herauszufordern und nicht zuletzt eine Raum- und Distanz auflösende Verbindung zur Leinwand herzustellen.

Gern wird behauptet, es gebe bislang noch keinen 3D-Film, der nicht auch in 2D funktionieren würde (sofern Filme überhaupt „funktionieren“ können oder sollten). Oder dass die allermeisten in 3D startenden Filme ohnehin nur Jahrmarktsattraktionen ins Kino verlagerten, mit buchstäblich vordergründigen Effekten. Die ärgsten Kulturkritiker scheinen schließlich sogar der Ansicht zu sein, 3D sei ein billiger Trick, der vorrangig höhere Kartenpreise legitimieren soll. Aber das ist natürlich alles nur Quatsch. Nachvollziehbarer Quatsch zwar, aber Quatsch. Vergleichbar etwa mit den ansatzweise kunstfeindlichen Auffassungen zu Beginn der Ton-, Farb- oder Breitwandära des Kinos. Vielmehr gilt es doch, wie eigentlich immer und überall, und umso mehr während des noch eher anfänglichen Stadiums des flächendeckenden 3D-Kinos, den Blick zu schärfen. Sind die Rosinen erst einmal gepickt, offenbart sich die neue 3D-Ultrakunst wie von selbst.

Die Höhle der vergessenen Träume von Werner Herzog etwa ist ein Film, der seiner dreidimensionalen Bilder beraubt schlicht keinen Sinn ergibt. Weil Herzog uns als erster Filmemacher überhaupt in die Chauvet-Höhle in Südfrankreich entführt, uns an einen unzugänglichen Ort mitnimmt und die ältesten Malereien der Welt zum Anfassen nahe bringt. Wie die Kamera dort Wände abfährt und Felsspalten umkreist, vermittelt in 3D tatsächlich den Eindruck, die Höhlenexpedition hautnah miterleben zu dürfen. Ganz konkret sogar bindet der Film die Abstufungen des Steins in die Erzählstruktur ein, leitet zeitliche Bezüge aus den Malereien ab und kommt schließlich zu der Erkenntnis, dass die Chauvet-Höhle eine Art Ur-Kino sei. Ein Ur-Kino, das Herzog mit seinen 3D-Bildern neu eröffnet, das dadurch beinahe einer kulturellen Sensation gleicht und das in der 2D-Version jede sinnliche, ästhetische, strukturelle Wirkung verlieren würde. Eine ähnliche konzeptionelle Dringlichkeit des 3D-Formats bestand auch in Coraline von Henry Selick, dessen Spiel mit Räumen und Ebenen über seine in die Tiefe der Leinwand dringenden Bilder ohne 3D kaum nachvollziehbar sein dürfte.

Unverzichtbar hingegen auch das 3D-Erlebnis in einzig auf visuelle Attraktionen, Happening-Momente und Intensität vertiefende Effekte fokussierten Horrorfilmen wie My Bloody Valentine, Final Destination 5 oder Piranha 3D. Alle drei arbeiten auf wunderbare Weise mit spektakulären Gross-Out-Momenten, die direkt ans Publikum gerichtet sind und wesentlich zum Spaß, Grusel oder der heiteren Schmierigkeit an ihnen beitragen. Als Virtuose im Umgang mit einer sinnlichen 3D-Ästhetik hat sich überraschenderweise auch Paul W.S. Anderson hervorgetan. Seine beiden letzten Game-Verfilmungen, Resident Evil: Afterlife und Resident Evil 5: Retribution, feierten mit Milla Jovovich und in technisch hervorragendem 3D die Gesetze der Schwerkraft überwindende Kämpfe und kosteten in zahlreichen Slow-Motion-Bewegungen die Detail- und Zeigefreudigkeit der 3D-Möglichkeiten aus. Einem Rauschzustand gleich verschmelzen Publikum und Leinwand zu einem die Sinne durchdringenden Seherlebnis.

Ähnliches erreichte zuletzt ebenso Hark Tsui in The Flying Swords of Dragon Gate, dessen schwebende Schwertkünstler die Leinwand förmlich zum Explodieren bringen. Und auch Dredd, die sich demnächst durch die deutschen Kinos krachende Comic-Adaption mit Karl Urban als Judge Dredd, verlangsamt die filmischen Bewegungen zu einem beinahe hypnotischen 3D-Erlebnis. Wie der Film die Enge seines Spielraums, einem postapokalyptischen Hochhauskomplex, durch weite 3D-Bilder auflöst, ist atemberaubend. Wer da noch gegen 3D wettert, schaut am Liebsten Cam-Rips auf seinem Laptop.

Dass selbst nachträglich 3D-konvertierte, also nie dreidimensional konzipierte Filme plötzlich einen ganz neuen Blick auf ein Werk eröffnen, zeigte zuletzt eindrucksvoll James Cameron. Einst noch beklagte er lediglich nachbearbeite 3D-Filme, um sein großes Meisterwerk Titanic schlussendlich selbst in einer Konversionsfassung noch einmal in die Kinos zu bringen. Viel zu häufig litten bis dato herausragende Filme wie Die Legende von Aang unter leider schlampig konvertiertem 3D, sodass James Cameron nach seinem 3D-Meilenstein Avatar wohl auch noch den Beweis einer gelungenen Umwandlung von 2D zu 3D erbringen musste. Nicht nur ist ihm mit Titanic eine umwerfende Konvertierung geglückt, sondern gelang es durch die Konzentration der 3D-Effekte auf die intimen Momente zwischen Leonardo DiCaprio und Kate Winslet auch, das Format weg vom Spektakel und hin zum Raum übergreifenden Melodram zu bewegen. 3D als hautnahe Erfahrung einer großen Liebe, nicht als visueller Lärm. Dafür braucht das Kino 3D-Filme, und dafür brauchen wir das Kino.

Als Mr. Vincent Vega polemisiert sich Rajko Burchardt seit Jahren durch die virtuelle Filmlandschaft, immer auf der Suche nach dem kleinstmöglichen Konsens. Denn “interessant ist lediglich Übertreibung und das Pathos – alles andere ist langweilig, leider.” (Christian Kracht). Wenn er nicht gerade auf Moviepilot aneckt, bloggt Rajko für die 5 Filmfreunde und sammelt Filmkritiken auf From Beyond.

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