ed.wibeau - Kommentare

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  • 8 .5
    ed.wibeau 15.04.2017, 03:08 Geändert 15.08.2018, 03:10

    Mal eben einen Gedanken ausstoßen, solange er noch warm ist:

    Die Besetzung von Scarlett Johannson und die ganze Whitewashing-Kontroverse sind vielleicht das beste, was dem Film passieren konnte. Nicht aus kommerzieller Sicht (offensichtlich floppt der Film gerade an den Kassen), eher aus einer künstlerischen Perspektive.

    Warum?

    Vorerst einige Punkte, warum man sich den Film auf jeden Fall ansehen sollte. Wer andere (positive Reviews) zum Film schon gelesen, bzw. den Film schon gesehen hat, kann die Absätze getrost überspringen.

    1. Ghost in the Shell bietet eine neue Story, die zwar definitiv nicht so philosophisch und psychologisch spannend ist wie die des Originals, trotzdem aber zu fesseln weiß. Auf ein zentrales Element werde ich später noch eingehen. Natürlich muss man zugeben, dass das Drehbuch im Vergleich zum Original schwächer ist. Einige Eckpunkte des Universums, die einem der Anime einfach gezeigt hat, werden im Realfilm dem Zuschauer durch Texteinblendungen und Dialoge vorgekaut - wie schon andere bemerkten, wird dadurch dem Publikum natürlich Denkleistung abgenommen. Das ist allerdings etwas, was ich persönlich dem Film nicht übel nehme. Nach ein paar Augenverdrehern nimmt man dann nämlich doch wahr, was das neue Drehbuch besser macht als die Vorlage:
    2. die Charakterzeichnung des Major. Während hier einige gerade das reduzierte Spiel von Scarlett Johannson bemängelten - für mich hat sie hier eine sehr sensible Performance hingelegt, die eben durch ihren Verzicht auf die großen Gesten der Vorlage überaus gerecht wird. Gerade die Konflikte und die Suche nach der Identität sind es, die diese Inkarnation des Majors irgendwie... menschlicher machen (und dadurch den Konflikt zwischen Ghost und Shell im Protagonisten verstärken). Man kann auch sagen: Wo die Vorlage den Konflikt zwischen Künstlichkeit und Menschlichkeit durchaus sehr nach außen verlagert (wodurch er auch allgemeiner und storytechnisch vielschichtiger wird als die Realverfilmung), nimmt die neue Adaption diesen Konflikt mehr ins Innere ihrer Hauptfigur. Dieser Strang der Story ist auch der Interessanteste und gleicht den einfacher gestrickten Gut/Böse-Hauptplot etwas aus.
    3. Die Optik... whoa... flirrende Neonfarben, übergroße Hologram-Riesen, schwindelerregende Großstadtschluchten und Häuserkomplexe - diese GitS-Welt ist sehr maximal, sprühend, manchmal geradezu überfordernd. Aber sie ist nie plumpe Effekthascherei. Diese Welt aus Kabeln, Dreck und riesiger Werbung ist absolut filigran orchestriert und quasi eine Weiterentwicklung futuristischer Moloche, wie wir sie aus Blade Runner und ähnlichen Filmen kennen. Hier hat sich auch mal wirklich die 3D-Brille gelohnt.
    4. Schließlich ist der Film vielleicht die akkurateste Anime-Adaption des westlichen Kinos. Die Charaktere sind hervorragend wiedergegeben, die Welt und die Action sind sogar berauschender als im Original. Wenn mir etwas gefehlt hat, dann höchstens die meditativen Montagen, die im Original für Ruhe gesorgt haben. Aber schließlich ist es auch ein Film für westliche Zuschauer.

    Und nun zum Gedanken vom Beginn - Achtung, SPOILER!

    Ghost in the Shell (2017) hat eine Kontroverse über Whitewashing ausgelöst - ist aber selbst ein Film über Whitewashing. Im letzten Akt des Films wird die Herkunft des "Ghost" des Majors gezeigt: Sie war einmal Mokoto Kusanagi, eine Widerstandskämpferin gegen das System und die fortschreitende Technisierung - und natürlich Japanerin. Nachdem sie mitsamt ihren AnhängerInnen von der Regierung gekidnappt wird, wird ihr rebellisches Potenzial (ihr Gehirn) in einen Körper (ScarJo) gepflanzt, der einer anderen Ethnie (weiß, westlich) angehört. Ich persönlich sehe hier einerseits eine versteckte Selbstkritik, andererseits eine direkte Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Problemen in der Erschaffung künstlichen Lebens. Anstatt Mokoto Kusanagi als Mensch zu akzeptieren (oder klassischerweise vor ein Gericht zu stellen), nimmt das System sie in Haft und verleibt sie sich ein - und erschafft sie neu als funktionierende Maschine nach ihrem internalisierten Idealbild einer Frau. Ich finde es bemerkenswert, dass wir im Film einerseits mit einer Welt konfrontiert werden, in der Geschlecht, Ethnien und kulturelle Eigenheiten sich komplett vermischt haben - und dennoch sucht sich ein System, in dem diese Vielfalt existiert, einen makellosen weißen Frauenkörper aus, um seine Vision einer hörigen Tötungsmaschine zu verwirklichen. Vielleicht geht es hier auch darum, wie wir trotz aller Diversität von westlichen Idealen dominiert sind.
    Auf einer Metaebene könnte man auch behaupten, dass genau dieses Umpflanzen eines japanischen Stoffs in das westliche Kino thematisiert wird. Was macht Mokoto Kusanagi so japanisch, dass sie nicht auch von Scarlett Johannson gespielt werden könnte? Was hat diese Besetzung aber für Konsequenzen? Am Ende gibt es eine harmonische Szene zwischen Major und ihrer Mutter, bzw. der Mutter ihres Ghost - und die Mutter handelt so, als würde sie wirklich ihre Tochter wieder haben. Trotzdem bleibt ein Gefühl von Fremde in der Luft. Ich denke, dass der Film sich hier selber reflektiert - und gerade darum funktioniert er in meinen Augen blendend.

    Ich beschreibe diesen Gedanken darum so ausführlich, da im Vorfeld zu diesem Film sich viele Fans in ihrer Ehre angegriffen, sich verarscht gefühlt haben. Auch ich hatte dieses Gefühl, als ich den ersten Trailer gesehen habe: Wie kann man nur die Hauptrollen nicht mit asiatischen Darstellern besetzen - gerade Major Kusanagi? Dass Scarlett Johannson ihren Job gut machen wird, habe ich nie bezweifelt, aber warum wird hier wieder ein Stoff für westliche Augen angepasst? Weil die weißen Kinobesucher asiatische Darsteller sowieso nicht auseinanderhalten könnten? Wenn der Film nun komplett weiß besetzt worden wäre, hätte man sich hier zurecht aufgeregt. Doch durch die elegante Meta-Ebene in der Geschichte der Hauptfigur, sowie PoC in sowohl sympathietragenden als auch antagonistischen Rollen räumt Ghost in the Shell (2017) diese ganze Debatte klar aus dem Weg. Viele werden das nicht sehen können, weil sie durch die Kontroverse von vornherein den Film boykottieren, oder stark voreingenommen reingehen, um sich dann nur bestätigt zu fühlen - und das ist schade. Für den Film war die Kontroverse vermutlich der kommerzielle Genickbruch - aus künstlerischer Sicht aber findet man hier die wohl sensibelste Anime-Verfilmung, die wir bislang im westlichen Kino hatten, eben weil sie sich auch selbst zum Thema macht.

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    • Als ich vor ein paar Jahren mal "Braindead" geschaut habe, hatte ich bei der Szene, wo die Zombies am Esstisch sitzen, ein Déja-vu und sah mich angeekelt ins Sofa kriechen, als dem Pfarrer (?) der Löffel hinten aus dem Kopf wieder rauskam. Ich muss diesen Film auch irgendwann mit 6 oder 7 schonmal gesehen und das bis dahin verdrängt haben.

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