AktionMorgenluft - Kommentare

Alle Kommentare von AktionMorgenluft

  • über LIEBE

    Wow, was für eine schöne Liste.

    • 7 .5

      Was hätte ich mir diesen Film um den Juni rum gewünscht... Es ist ja so, dass man sich auf eine Art Safari begibt, wenn man eine Wohnung sucht. Also früher. Dort, wo man Wild noch gejagt, statt abfotografiert hat. Um eine Wohnung zu erlegen benötigte man spezielle Waffen, wie Vormieterbescheinigungen, Schufa-Auskunft und andere Liquiditätsnachweise. Die etymologische Verwandschaft zu Liquidierung kommt hier nicht von ungefähr, denn es galt "Mitreisende" gezielt auszuschalten, um sich in der Nahrungskette (hier Wohnstandard) nach oben zu arbeiten.

      "Haustiere? Ich? Nein. Natürlich nicht."

      "Ich höre keine Musik. Nie."

      "Parties?" "Ich habe keine Freunde."

      Man weiß, dass man ganz unten angekommen ist, wenn man sich kurz vor Besichtigungsende rausschleicht, um die erste zu sein, die eine E-Mail an den Makler absendet.

      Die Protagonistin aus Dream Home (OT: Wai dor lei ah yut ho) hat da ganz andere Möglichkeiten für sich eröffnet...

      [...] Man sollte sich vorab wenig vormachen. Wer auf ein spannendes Sozialdrama hofft, das mit Gore-Elementen einen deutlichen Ausdruck findet - wie vom Trailer angedeutet - wird vermutlich nicht viel Freude an diesem Werk haben. Dazu bekommt der sozialkritische Teil zu wenig Raum bzw. die nötige Konstanz. Vielmehr dient er als wackelnde Legitimation für die eingestreuten Gewaltexzesse, die es gar nicht gebraucht hätte. Die strotzen nämlich nur vor Kreativität - selbst für Kostverächter von Slasher-Filmen wie mich, wird viel geboten. Hinzu kommt, dass handwerklich auch das Auge bedient wird. Ho-Cheung Pang (Vulgaria, Aberdeen, Women Who Flirt) hat dabei darauf geachtet, seine Hauptfigur nicht allzu souverän aussehen zu lassen, was der durchaus amüsanten Schlächterei einen realistischen Mittelpunkt verleiht.

      Die soziale Kritik richtet sich hier an den Wohnungsmarkt Hongkongs und beruht auf wahren Geschehnissen. Ob Schuhkarton-Wohnungen oder ein Leben in den Slums - selbst Menschen mit geregeltem Einkommen, haben es in der Metropole schwer ein Zuhause zu finden. Diese Verzweiflung können die ZuschauerInnen durch Cheng Lai-sheung atmen, durch die Palette an ambivalenten Gefühlen, die man ihr entgegenbringt. Josie Ho spielt diese Vielfalt überzeugend - zwischen Sympathie und Abneigung schnetzelt sie sich ihren Weg durch den Wohnblock. Lachen ist hier eindeutig erwünscht und, dass der Film seine ernsthafte Grundlage am Ende noch einmal selbst reflektiert, bietet einen ebenso zwiespältigen Abschluss. Wer sich nicht scheut, über die ein oder andere Länge hinwegzusehen und einen visuell ansprechenden wie kreativen Gore-Film sucht, ist hier blutrichtig.

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      • 5
        AktionMorgenluft 11.10.2017, 17:56 Geändert 11.10.2017, 17:58
        über Es

        #Horrorctober

        [...] Stottern, Hypochondrie, ein zu großes Mundwerk, Religion und Skepsis, Übergewicht, häusliche Gewalt sowie Rassismus bereiten den Nährboden für gesellschaftliche Ablehnung und Mobbing. Die Gewalt, die über die Kinder hereinbricht wird in Muschiettis Film um einiges deutlicher hervorgehoben und auch der Freundschaft haftet nur noch wenig verklärende Magie an. Die Dialoge sind spitzzüngig und entschieden, statt ungeschliffen und naiv. Die Heranwachsenden entdecken ihre Identität und bilden eine Gemeinschaft. Und sie treten einem allein agierendem Monster ohne eigene Persönlichkeit entgegen.
        Der Gruselclown hat hier die eigentliche Verjüngungskur erhalten. Er rückt nicht nur stärker in den Fokus, sondern auch über sein Auftauchen und Vorgehen erfährt der Zuschauer einiges. Das gibt ihm (zum Glück) immer noch keine direkte Persönlichkeit, bettet ihn aber nachhaltiger in die Geschichte ein, denn wie schon im Original, ist der Clown eben nur Manifestation und Ausdruck – stampfend, geifernd und verspielt. Vor allem aber: Erinnerungswürdig. Durch die von außen gesetzte Verlierer-Identität der Kinder haftet Pennywise auch etwas Lustvolles und Befreiendes an, gleichzeitig ruft er aber auch so starke Abneigung hervor, dass die Gruppe mobilisiert wird. Bill Skarsgård legt seine Figur wie einen kurz vor dem Platzen gefüllten Luftballon an, den er genüsslich und verstörend langsam mit den Händen reibt.

        Ich hatte doch einen leicht schalen Nachgeschmack vom Film und musste lange überlegen warum das so ist. Denn handwerklich und dramaturgisch hatte ich wenig an ES auszusetzen und auch die Neuerungen gefielen mir über weite Strecken sehr gut. Woran also lag es?

        Zum einen muss man sich vergegenwärtigen, dass die Handlung nach vorn verlegt wurde. Wer, wie ich, verklärt an das Original von 1990 und damit an seine Kindheit zurückdenkt, hat wahrscheinlich auch gewisse Berührungspunkte mit dieser Zeit und deren Anschauung gehabt. Der Horror entfaltete sich unter anderem aus einer gesellschaftlichen Enge, einem kleinkarierten und rückwärtsgerichteten Denken um 1960 – dem der erwachsenen und erziehenden Gesellschaft. So richtet sich die zeitliche Verschiebung an das jetzt erwachsene Ich, das vielleicht sogar in den 80ern groß geworden ist und diesem rigiden Denken und Erleben bereits entwachsen ist. Dieser kindliche Reibung zwischen der erlebten (oder höchst vorstellbaren) Realität und dem damit verbundenen Schrecken geht mit der Verlagerung zwangsweise etwas verloren. Das ist sicherlich nicht ein Problem des Films, sondern des Rezipienten (fühle mich alt), aber es zeigt, warum ein Remake oft nicht an ein Erlebnis mit dem Original heranreichen kann, wenn man sich zeitlich in beiden Werken verorten kann.

        Zum Zweiten ist Horror oftmals eine Reise zum Verbotenem, den eigenen Ängsten und deren Überwindung. Horrorfilme genießen das, was hinter verschlossenen Türen geschieht. Das Erleben des Grauens will darin gleichzeitig verborgen und sichtbar sein. Auch Pennywise erhält seine Legitimation durch die Angst der Kinder, die an ES glauben. Das, was die Kinder hemmt, enthemmt den Clown. Hier bekommt man diese Ängste schnell und offensichtlich präsentiert, unterbrochen von der allgegenwärtigen und dröhnenden Präsenz des Pennywise. Man kann und darf sich nicht so recht in die Schwächen der Kinder einfinden, sodass ein Bruch mit den Horrorszenarien eine einschlagende Wirkung gehabt und eine Coming of Age-Story eine echte Chance bekommen hätte. Zumal die einzelnen Sequenzen sich mehr an den Hintergrund der Kinder richten, nicht an ihre direkte Erlebenswelt. Deutlich wird das im Finale, das ganz dem Clown und seinen Auswüchsen gehört. Etwas, das mir aus dem Original immer präsent war, war der Angriff Eddies mit seinem Asthmaspray, der die eigene Schwäche beziehungsweise Angst benutzt hat, um sich zu wehren. Diese Kurve schafft die Neuverfilmung nicht und setzt stattdessen auf große Schockmomente, die wenig zum Gruseln einladen. Das unschuldig Magische der Kindheit sucht man leider vergeblich.

        6
        • 9
          AktionMorgenluft 05.06.2017, 08:13 Geändert 05.06.2017, 08:14

          [...] Wenn man einem sterbenden Menschen sagt, dass er seine Angelegenheiten regeln soll, meint man damit sicherlich oft finanzielle, organisatorische Anliegen, das ein oder andere Unausgesprochene, das Zwingende, vor allem aber Aktion. Der Mittelpunkt jedoch verschiebt sich und die heraufbeschworene dumpfe Blase schirmt vom Rest der Welt ab, macht handlungsunfähig. Zwei schwer zu verbindende Zustände, die zu einem unbestimmten Ziel hinführen. Wer weiß, wie Futabas Weg ausgesehen hätte, wäre ihre Tochter nicht in ihrem Leben. Als diese telefonisch anmeldet, dass sie Hunger und damit Bedürfnisse hat und ihre Mutter nach Hause kommen soll, ist jedenfalls eine Entscheidung gefallen. 

          Statt das Sterben der Mutter direkt nachzuzeichnen, wird die knappe, zur Verfügung stehende Zeit und Dringlichkeit durch ihre Aktionen selbst vermittelt. Mit einer guten Portion Humor und viel Hinwendung zur Familie, die erst noch zusammenwachsen will, wird hier passioniert aufgeräumt. Jeder ist in Bewegung, orientiert sich zwangsläufig neu und entwickelt sich weiter. Ein Gefühl, dass auch nach Ende des Films nicht abreißt. Dabei schafft es Ryōta Nakano vor allem das Auf und Ab dieses Prozesses zu vermitteln und nicht allzusehr zu beschönigen, was zum Ende hin jedoch etwas nachlässt. Dennoch trägt man diesen Kraftakt und irgendwann, es muss ganz früh gewesen sein, gibt man auf, seine Tränen zu verorten. Freude, Erleichterung, Trauer? Egal. Man geht gern mit.

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          • 8

            The Projects ist zu einem meiner Lieblinge beim Nippon Festival geworden. Herrlich absurd und positiv verrückt. Solltet ihr die Gelegenheit bekommen: Unbedingt ansehen!

            Kräutermedizin und vorgetäuschter Tod

            Hinako (Naomi Fujiyama) und ihr Ehemann Seiji (Ittoku Kishibe) sind nach dem Unfall-Tod ihres Sohnes vor sechs Monaten in eine Sozialbau-Siedlung – sogenannte Danji – gezogen und haben ihr Geschäft für traditionelle Kräutermedizin fast gänzlich aufgegeben. In einer Bodeneinlassung ihres Drei-Zimmer-Appartement beherbergen sie allerdings noch einige ihrer Waren, die von verhaltensauffälligen, wiederkehrenden Besuchern abgenommen wird. Um sie herum interessiert sich ansonsten kaum jemand für das Ehepaar, was sich schnell ändert, als der leicht depressive Seiji unverhofft zur Wahl des Vorsitzenden der Bewohnervereinigung aufgestellt wird, diese aber verliert. In seiner Gram versteckt er sich in der Wohnung, was für Spekulationen über dessen Verbleib sorgt. So sieht sich Hinako plötzlich mit Gerüchten, sie habe ihren Ehemann um die Ecke gebracht und die Körperteile in der Wohnung versteckt, konfrontiert. Dem will und muss natürlich auf den Grund gegangen werden. Und zu allem Überfluss bekommen die beiden auch noch ein verlockendes Angebot.

            Im Schnelldurchlauf

            Der Film ist gespickt mit japanischen Größen, darunter auch Regisseur Junji Sakamoto (My House, Children of the Dark, Human Trust), der als Regieassistent unter anderem von Sogo Ishii (Electric Dragon 80.000 V, Dead End Run, Isn’t Anyone Alive?) seine Karriere begann und auch das Drehbuch für The Projects (OT: Danji, 団地) schrieb, es sogar nur in etwa einer Woche fertigstellte. Nach 16 Jahren (Face) trifft dieser wieder auf Naomi Fujiyama (Kigeki meoto zenzai, Kao, Get Up!), die ihrer Hinako diverse Ebenen hinzuzufügen weiß, dafür aber auch ausreichend Raum bekommt. So trauert diese über den Verlust des Sohnes, schlägt sich mit ihrem verstimmten Ehemann herum, hält Nachbarschaft und Besucher in Schach und sorgt in einem ausbeuterischem Job für ein wenig Einkommen. Dabei strahlt die Schauspielerin so viel Energie und Kraft aus, dass man sich selbst mal kurz anlehnen möchte. Naomi Fujiyama hatte zwei Wochen Zeit für diesen Film und so wurde in dieser kurzen Zeit auch gedreht. Mit der zusätzlichen Bürde eines nur geringem Budget schafft es das Team dennoch vollends zu begeistern. Einen lakonischen Kontrapunkt setzt dabei ihr filmischer Ehemann Seiji, gespielt von Ittoku Kishibe (The Sting of Death, Face, Human Trust), der rastlos im Wald spazieren geht und dessen Allüren seine Frau und die Nachbarschaft umtreiben. Aber auch der restliche Cast ist hervorragend, vor allem die Mitgliederversammlungen der Bewohnervereinigung verströmen ein belebendes Hochgefühl. Auf meiner Watchlist wird der Film Face nun einen zwingenden Platz einnehmen.

            [...]

            Meine teuflischen Nachbarn

            Was eröffnen sich in diesem Feld nicht für wundervolle Möglichkeiten. Ob Polanskis Le Locataire (1976), die feierwütige Holly Golightly in Breakfast At Tiffany’s (1961), Hitchcocks Rear Window (1954) oder auch aktueller Le hérisson (2009) von Mona Achache und der anarchistische Happen High Rise (2015) von Ben Wheatley. Außerdem zu erwähnen ist: das Meisterwerk Dogville (2003) von Lars von Trier. Wenn sich die Identität im Guss der Umgebung auflöst und diese Rollen nach Belieben besetzt werden können, dann ist man Nachbar – so auch in The Projects. Der Mikrokosmos der Danji birgt frei florierende Bedingungen für Geschwätz, Gerüchte und die unterschiedlichsten Konstellationen, je nachdem wen man eben gerade so trifft. Fluch und Segen zugleich.

            Um Identität geht es auch hier. Hinako und ihr Ehemann Seiji sind nach dem Tod ihres Sohnes in einem Zustand mangelnder Selbstgestaltung, ihre Passion haben sie ein Stück weit aufgegeben, die Rolle der Eltern wurde ihnen genommen. Während Hinako noch versucht, sich einzufügen, verwehrt sich Seiji weitestgehend. So muss die Ablehnung zum Vorstand auch zwangsläufig in einer Katastrophe münden. Doch was dann im Verlauf passiert, ist nicht nur einfach herrlich köstlich, sondern ebenso genial. Durch das phantastische Aufbrechen dieser Komödie werden die Figuren wieder zu ihrem Ursprung geführt. Und das macht – im wahrsten Sinne des Wortes – einen Mordsspaß! In anderen Filmen hätte das vielleicht zu Übersprungshandlungen und fluchtartigen Szenen aus dem Kino geführt. Hier ist man einfach nur begeistert und herrlich losgelöst. Der Humor des Films ist zugegeben ein spezieller, aber wenn man sich darauf einlässt, bekommt man ein wahres Kleinod serviert, dass man so schnell nicht vergessen wird.

            • 6

              ---Milde Spoiler sind enthalten---

              Glücklich allein ist die Seele, die liebt

              Der Titel Happiness darf nach der Sichtung als Provokation aufgefasst werden, denn so richtig happy wird man hier sicherlich nicht und es darf angezweifelt werden, ob es die Hauptfigur tatsächlich werden kann. Glück in Ego-Perspektiven und Instantlösungen zu suchen funktioniert in der Realität zumindest nur bedingt und gleicht dem Sprung aus einem fahrenden Zug. Nun sind wir aber in der Fiktion und SABU kontert entschieden. Seine Hauptfigur hat alles hinter sich gelassen, scheinbar nichts mehr zu verlieren und nur noch ein Ziel: Rache und Gerechtigkeit. Aus der Perspektive Kanzakis wird der Zuschauer auf die Seite des Opfers gezogen, doch statt die emotionale Welt dessen erfahrbar zu machen setzt der Film auf Gewaltexzesse, die nur sehr schwer auszusitzen sind und über die der Zuschauer massiv indoktriniert wird. Trotz dem Hinzufügen eines zweiten – etwas klischeebeladenen – Blickwinkels findet kein Wechsel dieser Wahrnehmung statt und so hängt man an der Seite des rachsüchtigen Charakter fest. Dadurch wird bedauerlicherweise verhindert, sich mit beiden Figuren moralisch auseinanderzusetzen, wobei man sich durchaus am Ende fragen kann, wer bei der Ausführung die größere Wahl hatte. So zeigt sich nur bei einem Reue und auch das Ende birgt keine effektive Befriedigung.

              Ein Seitenhieb auf die japanische Gesellschaft

              Eine wesentlich spannendere Lesart eröffnet sich, wenn man sich fragt, warum diese Kleinstadt der Tristesse und Eintönigkeit verfallen ist und Angebote der Erleichterung in Sanktionen münden. Durch diese nüchterne und monotone Szenerie scheinen die Erinnerungen wie Leuchtfeuer und bergen mehr Kraft als die ungerührte Gegenwart der Gemeinde. An den heraufbeschworenen Glücksgefühlen kann man sich nicht sattsehen, gern möchte man für immer in diesen Gesichtern verweilen. Diese Blicke in die Vergangenheit kommen nicht direkt aus den Personen selbst, sondern werden extern herbeigeführt. Sich nicht von schlechten Erinnerungen gefangen nehmen lassen, dem Glück nicht allein nachzujagen, sondern es im Kontakt zu erwecken – vielleicht liegt ja darin die betitelte Happiness.

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              • Dieses/ dein Bild kann nur in einer sehr großen Stadt Bestand haben. Die meisten Videotheken, die ich kennenlernen durfte, waren schlecht sortiert und die Menschen, die dort arbeiteten hatten eigentlich besseres zu tun. Aktuelle Titel, die man sehen wollte, waren vergriffen, die DVD kaputt oder sonstige Unwägbarkeiten. Das finanzielle Argument kann ich auch überhaupt nicht nachvollziehen. Da müsste man sicherlich weiter unterscheiden, aber am Beispiel von Amazon Prime sind es 69 Euro im Jahr, das macht 19 cent pro Tag. Ich möchte jetzt kein Loblied auf Amazon und Co. singen und sicherlich, da stimme ich zu, ist die Filmauswahl begrenzt. Diese richtet sich aber eben auch nach der Nachfrage. Eine Verengung des Angebots kann ich da nicht beobachten. Im Gegenteil, die Zugänglichkeit zu Filmen im Allgemeinen hat sich erhöht (Qualität mal außen vor gelassen). Aktuelle Arthaus-Produktionen und auch Klassiker sind durchaus vertreten und wären es auch mehr, wenn die Nachfrage höher wäre. Dass der reine Kontakt nicht mehr ausreicht, um Buchhandel, Videothek etc., hochzuhalten, ist in jedem Fall beklagenswert, aber eben auch ein Produkt seiner Zeit, wie du ja auch schreibst. Ein filmbegeisterter Mensch wird auch heute, ohne Videothek, fündig werden.

                • 1

                  Was ist denn bitte über dieses Drehbuch gefahren? Man kann nur hoffen, dass die Vorlage von Kerstin Gier deutlich mehr Qualität aufweist, sonst sehe ich wirklich schwarz für die Jugend. Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll. Bei den Namen Gwendolyn und Gideon habe ich kurz überlegt, ob ich in der Bahnhofsauslage bei den Groschenromanen gelandet bin. Dies bestätigte sich dann auch nach den ersten Dialogen. Apropos Dialoge: Es ist überhaupt kein Problem sich zwischendurch mal auf die andere Seite zu legen. Die Tonspur ist für das Geschehen völlig ausreichend. Ich frage mich sogar, warum man sich überhaupt die Mühe gemacht hat zu filmen. Mein persönliches Highlight: Als die beiden Zeitreise-Spätzchen ein Schriftstück finden, es verlesen, daraufhin eine Situation eintritt, die auf das Schriftstück verweist und - ihr ahnt es vielleicht - danach noch mal lang und breit erklärt wird, dass es damit zusammenhängt. Dennoch wirkt man das Kunststück, dem Zuschauer so viele Elemente vor den Bug zu hauen, dass der irgendwann ratlos vor seiner Bausteinesammlung sitzt und eigentlich nur spielen wollte. Von der musikalischen Folter will ich gar nicht erst anfangen. Lediglich die visuelle - nennen wir es Untermalung - ist sehr schön geworden. Aber das alles ist nicht das Schlimmste...

                  Ein völlig normales, hübsches junges Mädchen in schwarzen loddrigen Baggy-Jeans mit Loser-Stempel kann natürlich so nicht zeitreisen. Nein, sie muss erst mal das "Hässliche Entlein" loswerden und wird aufgebrezelt. Erst danach wird ihr Partner auf sie aufmerksam und auch von der Tolpatschigkeit bleibt nicht mehr viel übrig. Merke: Mädchen ohne Make-Up und nicht all dressed up bringen es nicht weit. Das ist eine der allerersten Botschaften des Films. Selbst Twilight hat sich das zumindest oberflächlich verkniffen! Da passt es natürlich auch, dass ihr Partner ein rotznasiges und arrogantes Arschloch ist, dem sie sich mehr oder weniger an den Hals wirft. Der ist nämlich gar nicht so. Dann kam bei mir kurz die Überlegung auf, dass ich (die sich in mein jugendliches Ich zurückversetzt hatte) vielleicht gar nicht die Zielgruppe bin. FSK 12. Joa. Nö.

                  Und DAS wird jungen Frauen als Zielgruppe vorgelegt! Ich habe wirklich großen Respekt vor Filmschaffenden, aber hier ist etwas ganz, ganz schief gelaufen. Selbst wenn die Vorlage sinngemäß übernommen wurde, hätte man sich an dieser Stelle Gedanken machen müssen.

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                  • Danke für die Mühe, die ihr euch gemacht habt und für die tollen Preise. Auch ich würde es schön finden, wenn man nächstes Jahr die Schnitzeljagd mit dem Schwierigkeitsgrad der letzten Jahren kombiniert. Wobei man dann auf Scharaden verzichten müsste. Vielleicht kann man da ja auch was machen, die waren für mich mit Abstand am unterhaltsamsten.

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                    • Yeah! Kommt unter den nicht vorhandenen Weihnachtsbaum :-) Danke

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                        • Meinen Glückwunsch liebe Juli Jane. Das hast du dir redlich verdient, ein wunderbarer und differenzierter Kommentar! Wie so häufig :-)

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                          • 8 .5
                            AktionMorgenluft 12.06.2016, 12:55 Geändert 12.06.2016, 12:57

                            Parasol besteht aus drei episodisch verlaufenden Geschichten. Pere ist Touristenführer in Mallorca und Fahrer einer Bimmelbahn, mit welcher er Touris durch die Gegend befördert. Seine Tochter, die eigentlich bei ihrer Mutter lebt, ist zu Besuch bei ihm und will ihren Geburtstag feiern. Rentnerin Annie aus Belgien möchte endlich ihre Internet-Bekanntschaft treffen. Damit sie dieses Treffen realisieren kann, ist sie mit einer Seniorengruppe nach Mallorca gereist, der sie auch noch ständig aus dem Weg gehen muss. Der Brite Alfie ist mit seinen Eltern nach Mallorca gekommen, damit aber nicht so ganz glücklich. Er will Spaß und die große Ferienliebe.

                            Parasol gewann seinen Publikumspreis in der Schweiz beim Festival du Film Français d’Helvétie. Der sympathische Regisseur Valéry Rosier stand nach der Vorstellung für Publikumsfragen zur Verfügung. Mit einem winzigem Budget und einem 4-Mann-starken Team wurde Parasol in Mallorca realisiert. Sein Film fiel vor allem durch die visuelle Gestaltung auf. Die Hauptfiguren agieren häufig nur auf einer Seite der Szene, welche außerdem symmetrisch aufgebaut ist, wie man es bereits aus Filmen Ulrich Seidls kennt. Dadurch wirken Rosiers Figuren alle deplatziert und vom Rest ihrer Umgebung isoliert.

                            Mit liebevoller Zuwendung nähert man sich diesen entrückten drei Charakteren an und bangt mit ihnen, auf dass sie zu ihrem Glück kommen mögen. Alle Darsteller in Parasol sind Laien, die von der Insel kommen und aus der Zeitung rekrutiert wurden, außer Julienne Goeffers, die aus Belgien stammt und die Figur der Annie spielt. Rosier gab an, dass der Film demnach eine große Lüge enthält: Es gibt dort nämlich keine Deutschen. Der Seitenhieb auf die dort vorherschende Tourismus-Maschinerie sorgt auch für so einige Schmunzler und gibt dem Film eine ganz eigene Note. So entwickeln sich die Touristen Stück für Stück zurück, werden ausgelassener und infantiler. Rosier verglich den Tourismus im Nachhinein auch mit einer Mutter, die ihre Kinder umsorgt - das von der Realität sicherlich nicht ganz so weit entfernt ist.

                            Parasol ist durch und durch von einer stillen Melancholie geprägt, welche die eigentlich vorherrschende Urlaubsstimmung ins Gegenteil verkehrt. Alle Figuren sind zögerlich und behutsam, gieren aber nach der Veränderung und nehmen dafür einiges in Kauf. Es ist die Stimmung aller drei Episoden, die eine Verbindung zwischen den Figuren und auch dem Zuschauer schafft. Dieser dürfte sich nämlich an einigen Stellen wiedererkannt haben, sei es im falschen Stolz, in unbegründeten Ängsten, dem Grad der Anpassung oder dem Gefühl, einsam zu sein. Das sind Rosiers Themen und er vermittelt sie virtuos.

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                            • 6 .5

                              Der zweite Tatort aus Nürnberg kommt mit thematischen Überbau, der drei lose Geschichten miteinander zu verbinden sucht. Als Überschrift deklamiert der Titel das Recht, sich Sorgen zu machen. Und Sorgen sind es viele. Die Wirtstochter, die die elterliche Ehe auseinanderbrechen sieht, ein Paar, das sich um die Aufdeckung ihres Geheimnisses sorgt, die Anatomie-Professorin und schließlich besagte Mutter, die sich um ihren Sohn sorgt. Am Anfang noch nicht miteinander verbundene Ausschnitte verbinden sich zum Ende hin zu einem Ganzen. Gelingt die anfängliche Verknüpfung noch gut (großartig: „I can‘t stand the rain…“), wird zum Ende hin die Luft abgelassen, um der Thematik mehr Raum zu geben, was nur bedingt gelingt, aber ein schöner Ansatz ist. Überhaupt dürfte der Tatort Nürnberg, sofern er noch eine fränkische Schippe oben drauf legt, sehr sehenswert sein, da dieses Team wesentlich besser und unaufgeregter miteinander harmoniert, als andere.

                              Als Antwort auf all die Sorgen wird in diesem Tatort letztlich das Recht zu trauern angeführt, da fast alle Beteiligten an etwas festhalten, dass sie innerlich aufreibt. So lautet das schöne, aber auch etwas schwermütige Fazit: Manchmal muss man sich von etwas trennen oder lösen, um wieder Fuß fassen zu können.

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                              • 7

                                [...] Die Abwärtsspirale der Sklaverei, die McQueen hier nachzieht, wird nicht nur durch die Figur des Platt, sondern auch aller anderen deutlich. Hier hadert jeder mit der historischen Fügung. Der eine mehr, der andere weniger. Das macht es nachvollziehbarer und lässt solch eine Aufarbeitung auch näher an den Zuschauer heran. Nichtsdestotrotz wird vor allem zum Ende hin ein wenig mit dem Holzhammer gearbeitet. Die Lehren und Belehrungen kommen zwar geschickt verpackt, nehmen einem aber die Arbeit ab, sich eine eigene Meinung zu bilden. Ergibt man sich lieber oder hält man seinen Glauben an Gerechtigkeit dagegen, um schlicht weiterzuleben? Diese Antwort fiel mir stellenweise zu eindeutig ausgerichtet aus. Dafür verweilte man länger in äußerst brutalen Szenen, die nur den Zweck verfolgen konnten, aufzurühren. Sicherlich braucht es diese Filme, aber man muss sich schon fragen, ob es nicht längst an der Zeit ist, etwas kreativer und damit mutiger mit diesen Themen umzugehen.

                                In der zivilisierten Kultur ist diese Form der Sklaverei längst abgeschafft und gerät immer mehr in Vergessenheit. Umso präsenter sind dessen Vorstufen. Rassismus breitet sich wieder aus, und vieles, was wir dem kulturell entgegensetzen, geht nicht über Furchtappelle und Betroffenheitsszenarien hinaus. Ich wünsche mir einen frischen Blick auf diese Themen, denn auch der vorherrschende Rassismus ist mit Hilflosigkeit und vielen Schicksalen verknüpft und braucht daher neue und kreativere Antworten.

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                                  • 6 .5
                                    AktionMorgenluft 16.05.2016, 22:40 Geändert 17.05.2016, 18:00

                                    Ob man heute Nacht als BremerIn ruhig schlafen kann? Es dürfte einem schwer fallen, denn der Bremer Tatort kommt wie fast immer mit den großen und beunruhigenden Themen. Dieses Mal wird die Stadt Bremen von Umweltterroristen bedroht, die die Trinkwasserversorgung der Stadt vergiften wollen und dies gestaltet sich nicht so abwegig, wie man vorerst vermuten mag.

                                    Die Aktivistin Luisa Christensen (Friederike Becht) sieht gemeinsam mit ihrem Freund in Mali unschuldige Menschen an Pestiziden eingehen, die von der Firma Sachs vertrieben werden. In Rückblenden erfährt man den weiteren Verlauf dieser Geschichte. In der Gegenwart angekommen, hat Christensen sich Komplizen gesucht, die Dr. Urs Render, einem Forscher von Sachs, aus dem Gefängnis freipressen wollen, um ihn zu einer Aussage über seine damaligen Forschungen zu zwingen. Der aber schweigt beharrlich. Helmut Lorentz (Barnaby Metschurat), der den einberufenen Krisenstab leitet, muss somit immer einen kühlen Kopf, in einer äußerst prekären Situation bewahren. Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) und
                                    Hauptkommissar Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) sowie die Beamtin des BKA Linda Selb (Luise Wolfram) bekommen es hier nämlich mit einer mehr als idealistischen Überzeugung zu tun.

                                    Der Öko-Politthriller steht den Bremern hervorragend und dürfte in meiner Wahlheimat thematisch auf offene Ohren treffen. Die in einem angenehmen Tempo erzielte Endzeitstimmung, die Florian Baxmeier hier kreiert hat, lässt einem manchmal das Blut in den Adern gefrieren. Klare Linien, kontrastreiche Bilder und eine ausgewogene Erzählweise unterstützen diesen dunklen Ton. Dass dabei viel von Bremen zu sehen ist, lässt das Ganze noch realistischer erscheinen. Stefan Hansen, verantwortlich für die Musik, arbeitet mit harten elektonischen Clustern, die in der musikalischen Basis durch minimale harmonische Veränderungen gekennzeichnet ist. Stellenweise fühlte man sich sogar an Jóhann Jóhannssons in Sicario erinnert. Dies trägt maßgeblich zur gefühlten Dramatik in diesem Tatort bei, aber auch Friederike Becht, die die unterkühlte und abgeklärte Terroristin gibt, lässt dieses Szenario durchaus fassbar machen.

                                    Wenn dann Inga Lürsen an der Sielwall-Kreuzung hilflos in die Luft guckt und sagt. „Wir haben es verbockt“, dann hat der Tatort schon mal eines richtig gemacht, denn nahezu jedes erfreuliche Ereignis in Bremen, erlebt an dieser Kreuzung seinen Höhepunkt. Aber auch die nicht überzogene und spannende Herangehensweise innerhalb der Stadt ist wahrlich sehr gut gelungen. Zum Ende hin kann diese Spannung leider nicht mehr ganz aufrechterhalten werden, was jedoch insgesamt zu verkraften ist. Auch die Merkel-Spitze von Lürsen („Aussitzen wie Mutti“) dürfte sich gut ins Szenario eingefügt haben.

                                    Der hundertste Affe besagt, dass aus der Idee eines einzelnen erst ein allgemeines Verhalten entsteht, wenn es den Hundertsten erreicht hat, aus einer Idee also ein Bewusstsein zu schaffen. Viel will man heutzutage erreichen. Terrorismus bekämpfen, die Umwelt wieder ausbalancieren, den Welthunger abschaffen, etc. Nur reicht hierzu der hundertste Affe wohl noch nicht aus. Dies zeigt dieser Tatort deutlich.

                                    • 8
                                      AktionMorgenluft 13.05.2016, 14:27 Geändert 13.05.2016, 16:34

                                      Das Paarungsverhalten geschlechtsreifer Hummer

                                      Leidenschaftlich: Hummer fressen sich auch manchmal gegenseitig. Schüttet das Weibchen jedoch Pheromone aus, entscheidet sich das Männchen lieber für Sex, als für den Snack.
                                      Entblößend: Nachdem sich das Weibchen gehäutet hat, wird es vom Männchen, meist im Herbst, begattet.
                                      Freiheitsliebend: Das Männchen verweilt nach der Begattung noch etwas bei seiner Partnerin, um sie zu beschützen, geht dann aber eigene Wege.
                                      Ausdauernd: Die Paarung von Hummern kann bis zu 7 Tage andauern und die Geschlechtsreife eines männlichen Hummer lässt auch im Alter nicht nach.
                                      Entscheidungsfreudig: Wenn Hummer sich paaren, kann das Weibchen die Samenzellen bis zu zwei Jahren mit sich herumtragen und selbst entscheiden, wann es sie befruchtet.

                                      Wen wundert es nun noch, dass David (Collin Farrell) gern ein Hummer wäre. Dies ist nämlich die Alternative, wenn er nicht innerhalb von 45 Tagen eine Partnerin in einem dafür vorgesehenem Hotel der Stadt findet. Dabei trifft David auf auf verschiedenste Paarungsversuche und macht auch Bekanntschaft mit zwei anderen Männern: Einem Lispler (John C. Reilly) und einem Lahmenden (Ben Whishaw), der sich mit einer Nasenbluterin (Jessica Barden) zu verbinden versucht. David selbst ist kurzsichtig. Leider befinden sich im Hotel keine passenden Gegenstücke. Zwischen Tanzveranstaltungen, Masturbationsverbot und eigenwilligen Übrigbleibseln von Paaren, wird aber weiter die Propagandamaschinerie angetrieben. Nur Zweisamkeit führt zur Glückseligkeit, nur Zweisamkeit rettet. Wer es nicht auf Anhieb schafft, dem wird Schützenhilfe gegeben. Im Wald um das Hotel befinden sich nämlich noch Loner, die sich ihrer Animalisierung entziehen wollten. In diesen Wald werden ansonsten die Tiere nach der Transformation entlassen. Für jeden erlegten Loner gibt es für die Teilnehmer einen Tag oben drauf. Reizende Aussichten.

                                      Dies ist der zweite, mir bekannte Film von Yorgos Lanthimos. Nach dem, bei den Oscars 2011 für den besten fremdsprachigen Film nominierten Kynodontas (Dogtooth), kommt hier die nächste verstörende Parabel von Lanthimos. Und sie kommt, wie auch bei Dogtooth, mit selbst verfasstem Drehbuch, zusammen mit Koautor Efthymis Filippou. Collin Farell, der David spielt, geht in dieser Welt vollkommen auf und zeigt, was Dating heute eigentlich für Schrecken birgt und wie man sich bereits damit abgefunden hat.

                                      Was machen Loner nicht alles, um sich ein passendes Pendant zu suchen. Die darüber getroffenen Entscheidungen sind heute vielmehr rational und kalkuliert. Anders: Paarung ist auch Kontext. David sitzt zwischen Frauen fest, von denen er eine wählen muss, und später, wenn er wählen könnte, wird es ihm verwehrt. Partner werden nicht mehr nach rein emotionalen Empfindungen, sondern nach Gemeinsamkeiten und lebenspraktischen Gesichtspunkten erwählt. Den Rest der Beziehung ist man folglich damit bemüht, diese Fassade aufrechtzuerhalten oder irgendwie zu entschärfen.

                                      "If you encounter any problems you cannot resolve yourselves, you will be assigned children, that usually works."

                                      Aber... Man steht nicht mehr in einem undurchdringlichem Wald, während andere Kinder zeugen und Familienfeste geben. Denn das Paarsein ist nicht etwa Wunsch oder Ziel, sondern Konvention und einziger Ausweg aus diesem Wald. Der Loner hat verzweifelt zu sein und in dieser Verzweiflung muss er alles tun, um diesem Zustand zu entgehen.

                                      An diesem Punkt, würde wohl jeder gern leidenschaftlich Hummer sein. So zeichnet Lanthimos ein recht unnachgiebiges Bild, welches von der Realität aber nicht weit entfernt ist. Die Mischung aus Dystopie, konstruierter Realität und düsteren Bildern ernüchtert den Sehenden und lassen The Lobster nicht zum Schreien komisch, aber zum Verstören launisch sein.

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                                        AktionMorgenluft 08.05.2016, 22:58 Geändert 08.05.2016, 23:05

                                        Konventionell ist dieser Tatort. Die Neckereien zwischen Thiel und Boerne haben ein fast angenehmes Maß erreicht und auch der Mord kommt gewohnt daher. Gewöhnlich trifft es wohl eher, gepaart mit ein paar Unverständlichkeiten. Die Handlung erschließt nach zwei Indizien sofort und kommt auch nicht auf die Idee, zu überraschen. Ja, der Münster Tatort hat Unterhaltungswert und lässt sich besser durchstehen als manch anderer Tatort, geht man nach den Quoten und Meinungen. Von diesem hier kann man das aber nicht behaupten. Es zündet nicht. Die Witze nicht. Die Spannung nicht. Die Zusammenarbeit lahmt ebenfalls. Was jedoch besonders deutlich wird: Die Inspiration scheint irgendwo zwischen alten Mumien und Hinkebeinen hängen geblieben zu sein. Dass hier ein abgefallener Fuß wieder relevant für eine Story wird, kann man auch als Metapher für diese Einfallslosigkeit sehen. Alberich bekommt das Bundesverdienstkreuz, welches dramaturgisch wohin führt? Man weiß es nicht. Die Klemm und der Tango. Auch hier das Thema: Charity. Dass wohin führt? Genau. Einen relevanten Ermittlungsort kann man auch eleganter einführen. Der traumatisierte Rückkehrer aus Afghanistan. Na, nun aber. Leider auch Fehlanzeige. Was will dieser Tatort? Ratlosigkeit.

                                        "Was macht ihr denn hier an diesem wunderbaren lilafarbenen Tag?"

                                        Musikalisch zumindest gab es zwei herzige Lacher. Die Überführung des Täters zu Footloose und den verstrahlten Vaddern zu Purple Haze sorgen schon für heiteres Auflachen. Ansonsten ist dieser Tatort leider durchgehend Stückware. Die Beschreibung Klamauk wird oft abwertend mit humoristischen Einlagen zu Kosten der Handlung benutzt, also genau das, was man den Münsteranern immer vorwirft. Dieses Mal gabs diesen recht sparsam, aber eben auch ohne Alternative. Das Drehbuch von Stefan Cantz und Jan Hinter scheint dem Zuschauer nur sagen zu wollen, dass Tanzsport hart ist und Erfolg über Leichen geht. Diese Erkenntnis darf man als konsequent erzählt mit ins Bett nehmen. Neu ist das nicht, unterhaltsam leider auch nicht.

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                                          über Barbara

                                          Das Skript stammt von Christian Petzold und Harun Farocki, basierend auf der Novelle Barbara des Österreichers Hermann Broch (1889–1951). Christian Petzold und Nina Hoss arbeiteten bereits an mehreren Filmen gemeinsam. Als Christian Petzold das Buch in einem Schaufenster sah, wusste er gleich, dass Nina Hoss die Rolle spielen sollte, wie er in einem Interview sagte. Die Rolle der Barbara legte er fast schon nüchtern und unnachgiebig an, was die Stimmung in der damaligen Zeit gut widerspiegeln dürfte. Vielmehr lebt man aber durch die Blicke und das Atmen von Nina Hoss, welche eine emotionale Ausdruckskraft in ihre Rollen legt, die Seinesgleichen sucht. Ronald Zehrfeld, der hier erstmals einen Gebildeten spielen darf, harmoniert, wie auch in „Phoenix“ (2014, ebenfalls Christian Petzold), wunderbar mit seiner Kollegin. Er fügt seiner Rolle eine eher nach außen gerichtete Emotionalität hinzu, die immer darauf abzielt, dieselbe auch bei Barbara zu wecken. Einzelne Worte, die beide miteinander austauschen, sprechen im wahrsten Sinne des Wortes Bände. Diese Sinnlichkeit schlägt sich auch beim Hören nieder. Man möchte zwischendurch am liebsten die Augen schließen und alle den kleinen Geräuschen lauschen, die aber auch dafür sorgen, dass sich die Spannung gleichbleibend durch den Film zieht. Dazu fügen sich die schönen Landschaftsaufnahmen als Verkörperung von Barbaras Sehnsucht wunderbar in die Szenerie ein.

                                          Barbara entfaltet mittels Musik und natürlicher Schönheit eine große Kraft und Attraktivität, die sich zum Sog entwickelt, vor allem sobald Nina Hoss im Bild ist. Barbaras distanzierte Art weicht manchmal einem leichten Zögern. Diese leisen zaghaften Emotionen ziehen sich durch den ganzen Film und durch die Geräuschkulisse und dem weitestgehenden Fehlen von Musik, kann man sich dem ganz hingeben. Die Stimmung in der DDR fängt sich in dieser zögerlichen Anziehung zwischen André und Barbara, die als Stabilisator zwischen Misstrauen und Angst dient. So sagt Christian Petzold uns eigentlich: Egal in welchem “Gefängnis” man sich wähnt, wenn man es verlassen möchte, fallen einem die schönen Dinge ein, die man vielleicht erlebt hat und die Beziehungen, die man gepflegt hat. Das Gefängnis bekommt auf einmal einen anderen Wert. Es kann einem diese Erinnerungen nicht nehmen, nicht verleiden, denn sie stehen für sich selbst. Darin auch etwas Schönes zu sehen, versöhnt uns letztlich mit uns selbst und ist der größte Widerstand, den wir aufbringen können.

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                                            Roy Weischlitz (Florian Lukas) ist in 600 Grad heiße Hochofenschlacke gefallen und tot, so zumindest stellt sich der Tatort dar, denn da qualmts noch neben den Knochen. Siegrid Weischlitz (Fritzi Haberlandt), die ihren Bruder schlafend wähnte, kanns gar nicht fassen. Erst der Ärger mit Schmöller und dann das. Karsten Schmöller (Thomas Wodianka ) nämlich, heißt nun Flamingo. Auch Schlacke. Nur das eine Bein. Was darauf folgte, war die Katze. Waschmaschine. Flamingo ist nun Totengräber und Tankstellenbewohner mit einem Hang zum Alkohol. Kumpel und Zuhälter Frank (Sebastian Hülk) und seine tschechisch sprechende Prostituierte Vanessa Fink (Nadine Boske) trieben es indes bunt mit Roy. Denn Roy hatte im Lotto gewonnen. 3 Millionen Zinnsoldaten. Hauptkommissar Lessing (Christian Ulmen) und Hauptkommissarin Dorn (Nora Tschirner) sind derweil mit der Eigenheim-Suche befasst, können aber auch noch Mord nebenbei und auch der Lederhosen-Schlitzer wird endlich gefasst.Hach, wo ist nur der Hochofen, wenn man ihn braucht.

                                            Murmel Clausen und Andreas Pflüger sorgten auch hier für das Drehbuch und damit für einnehmend pointierten und intelligenten Humor und schrägen Vögeln. Unterstützt durch teils extreme Perspektiven verkommt dieser Tatort zu einem Fest der Absurditäten. Da knallts auch mal im Hintergrund an den Mülltonnen oder Plattenbauten ragen wie Elfenbeintürme nach oben. Kann man mögen, muss man aber nicht. Tschirner und Ulmen scheinen sich erst richtig warmzulaufen und nehmen immer mehr Fahrt auf, genau wie das Team um sie herum. Gregor Schnitzler hat hier ein Händchen fürs Abwegige sowie für sein Team. Nimmt man den Münsteraner Tatort als Maßstab für das Komödiantische, hat er mit diesem Tatort ernste Konkurrenz.

                                            Wenn Opa Weischlitz (Carl Heinz Choynski), seines Zeichen Jäger, mit einem toten Dackel angelaufen kommt, seine Enkelin brüllt, „Der Roy is tot!“, Opa daraufhin antwortet, er habe immer noch Augen wie ein Luchs und Lessing kontert: „Und Ohren wie ein Lachs!“, dann ist man in Weimar angekommen. Den Letzten beißen die Hunde, oder ähm, Spinnen, oder wie war das. Auch Johann Ganser (Matthias Matschke) hats nicht leicht. Dass die Geschichte völlig aus der Realität entgleitet, rechne ich diesem Tatort hoch an, denn Mut zahlt sich manchmal aus. Hier wirkt nichts bemüht, nichts gestellt, sondern läuft alles wie am Schnürchen. Bierernst hauen die Kommissare hier ein Ding nach dem nächsten raus, und während das beim Tatort aus Sachsen zwar auch ganz schön war (Skript: Ralf Husmann von Stromberg), zieht die Geschichte hier gleich mit. Und das funktioniert dann auch auf allen Ebenen. Mehr davon bitte!

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                                              Dafür holt einen die musikalische Untermalung auf den Boden der Tatsachen zurück, da man, zumindest nach der Musik zu urteilen, immer darauf vorbereitet sein sollte, dass gleich ein Affe explodiert, der Dschungel untergeht oder ein Raumschiff landet. Das bitte aber ganz dramatisch. Nicht so die einzelnen, neu produzierten Songs, die sich recht stimmig einfügen. Ob es an der röhrenden Musik oder der im Kontrast stehenden schleppenden Erzählung lag, kann ich nicht sagen, es fügte sich für mich jedenfalls nicht. Eigentlich besteht der Film aus drei, für sich stehenden Teilen. Einem inhaltlichen, einem visuellem und einem musikalischem.

                                              Und auch der Inhalt glänzt wenig bis gar nicht. Man hat sich damit begnügt, die einzelnen Stationen abzuarbeiten sich aber nicht darum bemüht, sie zu verbinden. Manchmal hat das fast schon einen episodischen Charakter. Auch das Humoristische ist stellenweise schlecht getimed und deplatziert, vor allem Bär Baloo macht da keine gute Figur. Wer aber durchweg gut wegkommt, ist Shere Khan bzw. Idris Elba. Wenn er dem Wolfsnachwuchs erklärt, wie sich ein Kuckuck verhält, läuft einem durchaus ein Schauer über den Rücken.

                                              Fazit

                                              The Jungle Book begnügt sich mit wirklich schönen Bildern und verlässt sich ganz auf seinen Hauptdarsteller. Dies gelingt jedoch nur stellenweise und offenbart dadurch große erzählerische Hohlräume. Auch einen Bezugspunkt lässt der Film dadurch deutlich missen.

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                                                  AktionMorgenluft 10.04.2016, 23:32 Geändert 10.04.2016, 23:37

                                                  "Der Friederich, der Friederich

                                                  Das war ein arger Wüsterich

                                                  Er fing die Fliegen in dem Haus

                                                  Und riß ihnen die Flügel aus.

                                                  Er schlug die Stühl' und Vögel tot,

                                                  Die Katzen litten große Not.

                                                  Und höre nur, wie bös er war:

                                                  Er peitschte, ach, sein Gretchen gar!"

                                                  [...] Ofczarek spielt den Antisozialen mehr als brillant, vor allem wenn die Kamera ganz bei ihm ist. Seine Figur ist mehrschichtig angelegt, was sicherlich ein gewisses Fingerspitzengefühl voraussetzt, da jede kleine Abweichung zu einem Missverhältnis der wahrgenommenen Persönlichkeitsstrukturen führen würde. Nicht mehr als eine Fingerübung für den Bühnendarsteller vom Wiener Burgtheater, so scheint es. Dem gegenüber steht Margarita Broich als die sprunghafte Hauptkommissarin Anna Janneke, welche anfänglich noch der Situation gewachsen zu sein scheint, aber nach und nach vom manipulativen Karussell Noltes kippt. Getrieben und emotional ermittelt sie meist, in die von Nolte vorgegebene Richtung. Hermine Huntgeburth hat ein feines Gespür für die emotionalen Wechsel der beiden Hauptfiguren und stellt diese in den Vordergrund. Noltes Psychologin spielt allerdings auch eine wichtige Rolle. Ursina Lardi gibt die naive und verständnisvolle verkappte Blonde, die dem Täter schon längst verfallen ist und nicht mehr von ihm loskommt. Die Dialoge Volker Einrauchs tragen nicht zum Vorankommen einer Handlung X bei, sondern geben dem Ensemble eine hervorragende Basis, das Böse begreiflicher zu machen oder es komplett in eigene Welten zu verbannen. Unterfüttert wird dieser Tatort von dem Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks, das an Dramatik nicht spart, sich aber prima in die spannende Atmosphäre einfügt.[...]

                                                  [...] Die Geschichte vom bösen Friederich lebt von seinem Schurken und dessen Kompromisslosigkeit. Kritikpunkte fährt die Darstellung des Psychologenberufs ein, die dramaturgisch nachvollziehbar aber ansonsten, pardon, ein Griff ins Klo ist. Ein Beruf, der seit eh und je mit Vorurteilen kämpft, parallel aber immer notwendiger wird, braucht nicht noch eine hinterwäldlerischere und klischeebehaftete Darstellung. Dies gilt sowohl für die Figur der Helene Kaufmann, als auch die der Margarita Broich.

                                                  Abseits dessen ist dieser Tatort hochgradig sehenswert und mit einer ordentlichen Portion düsterer Stimmung und Spannung beladen.

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                                                    über Raum

                                                    ---Spoiler ahead---

                                                    Wenn der kleine Jack (Jacob Tremblay) morgens seine Augen aufschlägt, blickt er neugierig umher, als sehe er zum ersten Mal seine Umgebung außerhalb des alten Bettes, auf dem er liegt. Durch Raum gehend, begrüßt er die Einrichtungsgegenstände und schnell wird dem Zuschauenden klar, dass die Verhältnisse in denen Jack lebt, alles andere als ideal sind. Außer dem Bett, gibt es noch eine Küchenzeile, ein winziges Waschbecken, eine alte Badewanne sowie einen Schrank. Aufgeregt über den bevorstehenden Tag, weckt Jack seine Mutter Joy "Ma" Newsome (Brie Larson), denn er wird an diesem Tag fünf Jahre alt… [...]

                                                    [...] Würde man Raum mit körperlichen Symptomen beschreiben, käme man auf Magendrücken, Atemnot, Herzstolpern, tief empfundene Traurigkeit bis hin zu emotionalen Einbrüchen und Erschöpfung. Alles gleichzeitig und andauernd. Dabei erzählt der Film eigentlich von Liebe, kindlicher Phantasie und Bindung. Ginge man etwas weiter weg, könnte man hier die Entwicklung der Kindheit und die Ablösung von den Eltern bestaunen. Und dass so beiläufig, dass man selbst ein Stück erwachsener nach diesem Film ist. Auch die Einrichtung in Raum zeigt diese Entfaltung und hält alles auf Zeichnungen, Wänden und Fußböden fest. Der Titel steht dabei nicht nur für diesen Raum, sondern für Lebensräume, denen man begegnet. Lebensräume, die wir für uns entdecken, die begrenzt, aber passierbar sind und die uns einladen, uns selbst und unserer Umwelt ein bisschen näher zu kommen. Manchmal ist die Tür verschlossen, weil wir noch nicht so weit sind oder uns Umstände dazu anhalten zu bleiben, manchmal können wir sie mutig öffnen und einen neuen Raum betreten. Joy musste einen Raum wieder betreten, für den sie noch nicht bereit war. Erst nachdem sie alte Tür geschlossen hatte, konnte sie den Schritt zu einer neuen machen.

                                                    Raum wirkt stellenweise wie ein poetisches, entrücktes und ernstes Märchen, ergibt sich dem aber nicht, sondern spielt mit diesem Wechsel. Gottseidank muss man wohl sagen, denn es sind genau diese Unterbrechungen zwischen Verklärung und harter Realität, die das Unfassbare so spürbar und real machen. Der Zuschauer ist immer ganz nah bei Jack, der als Stimme aus dem Off für diese Verklärung der Umstände sorgt, oder Joy, die durch ihre Fürsorge immer neue Geschichten für Jack erfindet. Was ist nun real? Jack muss dies Stück für Stück erfragen und letztendlich auch eigene Erfahrungen sammeln, um diese Frage zu beantworten. Der Zuschauer darf dabei durch seine großen leuchtenden Augen mit auf diese Reise gehen. Raum lässt hier nicht nur seine Figuren reifer und stärker zurück. Ganz, ganz großes Kino.

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