Da 5 Bloods auf Netflix: In Spike Lees Kriegsfilm entkommt niemand seinem Trauma

16.06.2020 - 16:30 UhrVor 3 Jahren aktualisiert
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Seit Freitag ist mit Da 5 Bloods der neue Film von Spike Lee auf Netflix. Einmal mehr liefert der US-amerikanische Filmemacher ein unbequemes wie komplexes Werk ab.

Die Rückkehr nach Cannes war Spike Lee dieses Jahr nicht vergönnt. Nachdem er dort zuletzt mit BlacKkKlansman vertreten war, sollte auch sein jüngstes Werk, Da 5 Bloods, bei dem prestigeträchtigen Filmfestival seine Premiere feiern. Aufgrund der aktuellen Situation landete der Film am Freitag aber direkt auf Netflix - ohne Vorschusslorbeeren. Verpassen solltet ihr ihn aber auf keinen Fall.

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Parasite und Joker haben letztes Jahr eindrucksvoll bewiesen, wie wichtig eine Festival-Premiere für einen Film sein kann. Bis zur Oscar-Verleihung reichte der Atem beider Werke, die in Cannes beziehungsweise Venedig uraufgeführt wurden. Noch entscheidender war jedoch der Diskurs, der durch Kritiken und Berichte angestoßen wurde - die Umschreibung als "gefährlicher Film" brachte etwa Joker in aller Munde.

Spike Lee präsentiert auf Netflix einen Kriegsfilm

Gewissermaßen formt sich dadurch ein erstes Bild der Filme, ehe ein Großteil des Publikums überhaupt in den Genuss der Werke kommt. Das kann Fluch und Segen zugleich sein. Noch schwerer ist es aber, einen komplexen Film wie Da 5 Bloods ohne Festivalvorlauf zu positionieren, auch wenn der vor ein paar Wochen veröffentlichte Trailer sein Bestes getan hat, um Spike Lees neuestes Werk anzupreisen.

Schaut den Trailer zu Da 5 Bloods:

Da 5 Bloods - Trailer (Deutsche UT) HD
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Schlussendlich fällt es dennoch schwer, Da 5 Bloods kurz und knapp in Worte zu fassen. Viele verschiedene Eindrücke prasseln hier auf den Zuschauer ein, angefangen beim ständigen Wechsel von Bildformaten und Zeitebenen. Eine Auseinandersetzung mit Spike Lees neustem Werk lohnt sich trotzdem, denn das ist bis zur letzten Minute mit spannenden Gedanken ausgestattet, auch wenn viele davon Fetzen bleiben.

Da 5 Bloods schwankt zwischen Schatzsuche und Trauma

Die Prämisse gestaltet sich wie folgt: Die vier schwarzen Kriegsveteranen Paul (Delroy Lindo), Otis (Clarke Peters), Eddie (Norm Lewis) und Melvin (Isiah Whitlock Jr.) kehren nach vielen Jahren nach Vietnam zurück, um den Leichnam ihres Kameraden Norman (Chadwick Boseman) zu bergen. Dieser führt einst die titelgebenden 5 Bloods an, kam jedoch bei einer Mission im Feindgebiet ums Leben.

Schnell stellt sich heraus, dass es nicht nur um die sterblichen Überreste eines gefallenen Kameraden geht, sondern ein Goldschatz im Dschungel schlummert, der damals von den Soldaten vergraben wurde. Zum Kriegstrauma gesellt sich damit eine Schatzsuche, die von den gealterten Veteranen als Wiedergutmachung gesehen wird. Alles, was sich in den vorherigen Jahren angestaut hat, soll endlich aufgelöst werden.

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Mit Hoffnungen und Träumen kehren sie in das Land zurück, in dem sie einst töteten. Vom Schrecken des Krieges ist aber nicht mehr viel übrig: Selbst die aufwühlenden Bilder aus Apocalypse Now sind nur noch eine popkulturelle Referenz. Höchstens als Dekoration der Party-Location im Hotel taugt das Poster, doch letzten Endes ist es auch nur ein Detail, das die Kamera bemerkt. Die Menschen arbeiten erfolgreich gegen die Erinnerung.

Da 5 Bloods kehrt zum Grauen des Krieges zurück

Um dieses Verdrängen geht es Spike Lee in Da 5 Bloods besonders und auf facettenreiche Weise. Vieles wird von den Figuren manipuliert und verklärt, um erlebtes Grauen ertragbar zu machen. Den Anfang bilden Flashbacks, die durch enge 4:3-Aufnahmen gleichermaßen Künstlichkeit wie Authentizität provozieren. Hier soll der Vietnamkrieg wieder zum Leben erwachen - wir sehen alles aber nur durch die verzerrte Perspektive der Veteranen.

Ihre Vorstellung des Kriegs gleicht inzwischen eben jenen in der Popkultur verankerten Bildern, wodurch der tatsächliche Schmerz nur noch schwerer zu entschlüsseln ist. Es wurde bereits so viel verdrängt, dass der Blick in die Vergangenheit die jüngeren Versionen der Figuren komplett ausradiert hat und ein Vietnam-Abenteuer zwischen den Posen von Hollywood-Filmen wie Platoon und Rambo II - Der Auftrag entsteht.

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Da unterscheidet Spike Lee auch gar nicht mehr bei der Wahl seiner Schauspieler. Wenn er das Vergangene zurückbringt, erscheint zwar Chadwick Boseman als Soldat, der von der heroischen Erscheinung seines Marvel-Helden Black Panther nur noch minimal entfernt ist. Paul, Otis, Eddie und Melvin werden dafür in jungen Jahren von den gleichen Schauspielern verkörpert, die sie auch im höheren Alter spielen.

In Da 5 Bloods lässt sich der Schmerz nicht verdrängen

Wo Martin Scorsese bei The Irishman aufwendige Technologien bemühte, um längst vergangene Momente zu erkunden und den Verfall zu illustrieren, werden die Figuren bei Spike Lee mit einer anderen schockierenden Wahrheit konfrontiert: Selbst wenn sie sich in ihrer Vorstellung in ein ausgedachtes Vietnam-Abenteuer flüchten, blicken sie dort in dieselben Gesichter, die auch in der Gegenwart den Schmerz verdrängen.

Hier lässt sich nichts mehr reparieren, erst recht nicht durch Gold, das - ganz im Zeichen von John Hustons Meisterwerk Der Schatz der Sierra Madre - den Veteranen auf schicksalhafte Weise zum Verhängnis wird. Ein moralischer Grenzgang, der Spike Lee noch tiefer zum Trauma der Figuren führt, die schon als Soldaten im Krieg komplett entfremdet von ihrer Identität für ein Land kämpften, das sie unterdrückte.

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Besonders tragisch gestalten sich die eingestreuten Szenen mit Hanoi Hannah (Veronica Ngo). Auf den ersten Blick gleichen sie einem verspielten Element, als würde sich Quentin Tarantino den Vietnamkrieg in einer Mischung aus Death Proof und Inglourious Basterds nähern. Schlussendlich sind die Worte, die sie über das Radio den feindlichen Soldaten zur Demoralisierung ins Ohr flüstert, eines der erschütterndsten Elemente überhaupt.

Mit Da 5 Bloods nutzt Spike Lee alle Netflix-Freiheiten

Da kämpfen die schwarzen Soldaten in einem fremden Land für eine Regierung, die sie in der Heimat selbst unterdrückt. Wenn Martin Luther King ermordet wird, zeigt Spike Lee den Zuschauern Archivaufnahmen, um zusätzlichen Kontext zu geben. Den Soldaten im Film bleibt aber nur die Stimme des Feindes, die mehr Wahrheit spricht als die Anführer der eigenen Reihen. Kein Wunder, dass sie so zerrissen sind.

Da 5 Bloods wirkt da selbst wie die Splitter der Existenz seiner Protagonisten. Spike Lee ist nicht daran interessiert, einen formvollendeten Kriegsfilm zu drehen. Stattdessen nutzt er den Freiraum und die Plattform, die ihm Netflix bietet, für einen wilden, mitunter unberechenbaren Gedankenstrom, der sich weiterhin als filmischer Essay und Appell an die Zuschauer richtet. Hier ist nichts stimmig, denn es wurde schon zu viel verdrängt.

Da 5 Bloods streamt seit dem 12. Juni 2020 auf Netflix.

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Mehr zu Da 5 Bloods bei Netflix gibt's im Moviepilot-Podcast

Im Moviepilot-Podcast Streamgestöber fragt Andrea Kriegsfilm-Kennerin Jenny, ob und für wen sich Da 5 Bloods bei Netflix.

Da 5 Bloods ist viel mehr als ein Kriegsfilm, denn Regisseur Spike Lee verarbeitet in seinem Genre-Hybrid zahlreiche Klassiker und Themen, die aktueller nicht sein könnten.

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