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Alle Kommentare von fleeting
Einer der besten Filme, die das deutschsprachige Kino in den vergangenen Jahren hervorgebracht hat. Eine stille, bescheidene, kraftvolle Erzählung voller Schönheit und Demut. Eine Geschichte, die Fragen aufwirft, die nicht beantwortet werden (und auch nicht beantwortet werden sollen). Im Zentrum eine starke Frauenfigur, die mit allen Geschlechterbildern bricht und nach Freiheit strebt. Dazu eine wandlungsfähige, sehr behutsam spielende Martina Gedeck, die einem an einigen Stellen regelrecht den Atem raubt. Das alles würde ich gern öfter sehen auf den Kinoleinwänden dieser Welt.
Ja, dieser Film ist technisch schlecht gemacht, extrem kitschig und voll von nationalen Klischees. Der überbordende Einsatz von Filmmusik und die Vorhersagbarkeit der Handlung lassen einen leicht abstumpfen. Dennoch: "Dein Weg" schafft es trotzdem, irgendwie charmant zu sein. Die Geschichte ist rührend und die Charaktere vielschichtig. Das lässt einen so manche Fehler verzeihen. Wer nach filmischer Kunst oder philosophischen Fragestellungen sucht, wird vermutlich nicht viel Gefallen finden an diesem Werk. Es erscheint im Ganzen recht naiv und unbeholfen. Alles ist zu einfach, zu romantisch. Am Ende ist es aber gerade dieser romantisierende, wohlwollende Blick auf den Menschen, der irgendwie Hoffnung macht.
Kein Film hat mich jemals mit derart widersprüchlichen Gefühlen zurückgelassen wie "Das Turiner Pferd"...
Formal ist "A Torinói ló" ein Meisterwerk! Die großartige Komposition der Bilder, das kunstvolle Spiel mit Licht und Schatten, die herausragende Kameraführung, die mehr als beeindruckenden schauspielerischen Leistungen, die sich nahtlos ins Thema der Wiederholung einpassende monotone Filmmusik... alles in diesem Film ist perfekt! Er nimmt sich die Zeit, die er braucht, handelt entgegen jeglicher Erzählkonventionen. Ausziehen, Anziehen, Feuermachen, Kochen, Essen, Wasserholen; dann wieder Ausziehen, Anziehen, Feuermachen, Kochen, Essen, Wasserholen. Es sind diese einfachen alltäglichen Handlungen, die immer und immer wieder gezeigt werden und den Zuschauer gleichermaßen faszinieren wie auch ermüden. Was das Leben dieser zwei Menschen bestimmt ist Eintönigkeit, Monotonie, Stille, Langsamkeit. Das Schockierende daran ist nicht die blanke Armut, in der sie gefangen sind, sondern die Art und Weise, wie sie mit dieser Armut umgehen: stoisch, kühl, kraftlos, irgendwie desinteressiert. Desinteresse an allem: an der Welt, der Zukunft, dem Gegenüber. Das Einzige, was die äußere Kälte bekämpfen könnte, das Einzige, was noch Leben einhauchen könnte in dieses triste, totenähnliche Dasein, wäre zwischenmenschliche Nähe. Doch auch die gibt es nicht. Wärme, Liebe, Zuneigung, Sympathie, ein freundliches Wort, ein mitfühlender Blick - nach all dem sucht man vergeblich in diesem Film. Er wird bestimmt von Leere. Und genau das ist es, was ihn so einzigartig macht. "Das Turiner Pferd" schafft es, dieses "Nichts" einzufangen. Er zeigt nicht Resignation, Verzweiflung oder Trauer, sondern einfache, nichtssagende Gleichgültigkeit. Besser kann man das Gefühl der Leere nicht darstellen!
Aber da ist noch etwas anderes in diesem Film. Es ist das Gefühl der Bedrohung, das Gefühl eines nahen und unausweichlichen Weltuntergangs. Und genau an dieser Stelle wird "A Torinói ló" problematisch. Dies wird besonders im Monolog des Besuchers deutlich:
"I've run out of palinka. Would you give me a bottle?"
"Why didn't you go into town?"
"The wind's blown it away."
"How come?"
"It's gone to ruin."
"Why would it go to ruin?"
"Because everything's in ruins, everything's been degraded, but I could say that they've ruined and degraded everything. Because this is not some kind of cataclysm, coming about with so-called innocent human aid. On the contrary... It's about man's own judgement, his own judgement over his own self, which of course God has a hand in, or dare I say: takes part in. And whatever he takes part in is the most ghastly creation that you can imagine. Because, you see, the world has been debased. So it doesn't matter what I say, because everything has been debased that they've acquired. And since they've acquired everything in a sneaky, underhand fight, they've debased everything. Because whatever they touch - and they touch everything - they've debased. This is the way it was until the final victory. Until the trimphant end. Acquire, debase, debase, acquire. Or I can put it differently if you like: To touch, debase and thereby acquire, or touched, acquire and thereby debase. It's been going on like this for centuries. On, on and on. This and only this, sometimes on the sly, sometimes rudely, sometimes gently, sometimes brutally, but it has been going on and on. Yet only in one way, like a rat attack from ambush. Because for this perfect victory, it was also essential that the other side... everything that's excellent, great in some way and noble, should not engage in any kind of fight. There shouldn't be any kind of struggle, just the sudden disappearance of one side, meaning the disappearance of the excellent, the great, the noble. So that by now these winning winners who attack from ambush rule earth, and there isn't a single tiny nook where one can hide something from them, because everything they can lay their hands on is theirs. Even things we think they can't reach - but they do reach - are also theirs. Because the sky is already theirs and all our dreams. Theirs is the moment, nature, infinite silence. Even immortality is theirs, you understand? Everything, everything is lost forever! And those many noble, great and excellent just stood there, if I can put it that way. They stopped at this point, and had to understand, and had to accept, that there is neither god nor gods. And the excellent, the great and the noble had to understand and accept this right from the beginning. But of course, they were quite incapable of understanding it. They believed it and accepted it but they didn't understand it. They just stood there, bewildered, but not resigned, until something - that spark from the brain - finally enlightened them. And all at once they realized, that there is neither god nor gods. All at once they saw that there is neither good nor bad. Then they saw and understood that if this was so, then they themselves do not exist either! You see, I reckon this may have been the moment when we can say that they were extinguished, they burnt out. Extinguished and burnt out like the fire left to smoulder in the meadow. One was a constant loser, the another was the constant winner. Defeat, victory, defeat, victory, and one day - here in the neighbourhood - I had to realize, and I did realize, that I was mistaken, I was truly mistaken when I thought that there has never been and could never be any kind of change here on earth. Because, believe me, I know now that this change has indeed taken place."
Es ist nicht einfach nur Gott, der hier die Welt zerstört; es sind die Menschen selbst. "Our starting point was Nietzsche's sentence, 'God is dead'. This character says, 'We destroyed the world and it's also God's fault', which is different from Nietzsche. The key point is that the humanity, all of us, including me, are responsible for destruction of the world. But there is also a force above human at work – the gale blowing throughout the film – that is also destroying the world. So both humanity and a higher force are destroying the world." (Béla Tarr) Aber was genau ist diese destruktive Kraft innerhalb der Menschheit? Im Weltbild des Besuchers gibt es zwei klar voneinander getrennte Seiten: Auf der einen Seite stehen "the excellent, the great, the noble", auf der anderen diejenigen, die alles zerstören. Er sagt zwar, es gäbe kein Gut und Böse, seine Zweiteilung der Menschheit impliziert aber genau das: Auf der einen Seite stehen die Guten und auf der anderen die Bösen. Und am Ende siegt natürlich das Böse. Und die Guten schauen dabei zu. Der einzige Ausweg ist hier Auslöschung, Zerstörung, Vernichtung der gesamten Menschheit. Erst dieser "letzte Sieg" bringt wahre Veränderung. Alles Vorherige ist nichts als montonone Wiederholung, endloses Auf und Ab, ewiger Kreislauf aus Schaffen und Zerstören, Gewinnen und Verlieren, Aufbruch und Niedergang. Alles, was der Mensch berührt, fällt am Ende in sich zusammen. Die Menschheit als "the most ghastly creation that you can imagine". Hoffnung und Glückseligkeit, so scheint es, kann es nur im Jenseits geben. Im Hier und Jetzt ist kein Platz dafür. Es ist genau diese Weltsicht, die "A Torinói ló" zu einem zutiefst anti-emanzipatorischen Film macht. Menschen tun hier nichts als abzuwarten, ihr Schicksal zu akzeptieren und dem Lauf der Dinge schweigend zuzusehen. Veränderung ist hier etwas, das außerhalb des menschlich Machbaren liegt. Menschen sind hier nicht mehr die Urheber dieser Welt, sondern bloße Spielbälle einer übermächtigen Kraft, die sie selbst nicht beeinflussen können. All dies lässt jede progressive Forderung schon im Keim ersticken.
Und wer sind eigentlich diese "bösen Menschen", die alles unter ihrer Kontrolle haben? Juden, Banker, Zigeuner? Ach ja, Zigeuner! Schon komisch, dass der Brunnen genau dann austrocknet, wenn "die Zigeuner" ihn berühren. Und auch komisch, dass ihre letzten Worte so aussehen: "We'll be back! The water is ours! The earth is ours! You're weak!" Waren es am Ende also "die bösen Zigeuner", die für alles verantwortlich sind? Ich will hier Béla Tarr keinen platten Antiziganismus unterstellen, aber allein, dass es diese Interpretationsmöglichkeit überhaupt gibt, ist meiner Meinung nach äußerst problematisch...
Fazit: Zu viel Schwarz-Weiß in diesem Film. Zu wenig Grautöne. Schade!
Tolle Filmmusik und spannende Charaktere. Laura (Marie-Lou Sellem) und Rene (Ulrich Matthes) haben mich manchmal sogar fast schon ein wenig verzaubert. Nur die Geschichte, die wirkt an einigen Stellen dann doch ziemlich konstruiert. Nicht unbedingt der beste Film von Tom Tykwer, aber trotzdem immernoch sehenswert.
Großartiges Werk, das sich irgendwo zwischen Horror, Drama und Satire bewegt und nebenbei noch ein paar hochphilosophische Fragen aufwirft.
Es geht hier nicht einfach mal so um ein paar Geister und Dämonen, die uns das Leben schwer machen. Es geht um eine Kritik des dänischen Gesundheitssystems, die Faktenverliebtheit der neuzeitlichen Wissenschaft, die Dramatik von Schwangerschaftsabbrüchen, die Macht des Unsichtbaren, die schwierigen Konflikte zwischen Mann und Frau, Mutter und Sohn, Ober- und Assistenzarzt... Die großartigen schauspielerischen Leistungen, der wohlüberlegte Schnitt und die sorgfältig geschriebenen Dialoge bewirken, dass sich der Zuschauer mit den Protagonisten identifizieren kann und die Geschichte äußerst realistisch erscheint (und eben nicht als abwegiges Hirngespinst, das mit unserer Welt wenig bist gar nichts zu tun hat). Lars von Trier wollte uns sagen: Genauso könnte die Realität aussehen. Wir müssten eben nur mal richtig hinschauen. Es ist genau dieser Bezug zur Realität, der diese Serie so spannend macht. Dadurch ist sie eben nicht nur unterhaltsames Gruselkino, sondern auch einfühlsame Chrakterzeichnung und intelligente Gesellschaftskritik. All das kann man so schnell nicht nachmachen!
Während mich die erste Staffel vollends in ihren Bann gezogen hat, war mir die zweite leider an einigen Stellen ein bisschen zu albern. Bedenkt man aber, dass eine (sehr ernste) dritte Staffel geplant war und die zweite vor allem einer zwischenzeitigen Auflockerung dienen sollte, macht dies dramaturgisch durchaus Sinn.
Man sollte sich auch unbedingt das auf den DVDs enthaltene Bonusmaterial anschauen. Da erfährt man nicht nur interessante Dinge über Lars von Triers Neurosen (und seinen täglichen Prozac-Konsum), sondern bekommt auch eine erste Ahnung davon, wie aufwendig diese Serie vorbereitet und produziert wurde. So wurde nicht nur eine aufwendige historische Recherche über die Geschichte des königlichen Reichskrankenhauses betrieben, sondern auch zahlreiche Experten engagiert, die die Serie so authentisch wie möglich machen sollten. Alle medizinischen Vorgänge wurden von echtem Krankenhauspersonal überprüft (die meisten der gezeigten Operationen sind übrigens echt) und die Beschwörung der Geister von einer Okkultismus-Expertin begleitet (die Kirsten Rolffes z.B. beibrachte, wie man mit einem Pendel umgeht und sich vor unerwünschten Geistern, also auch nach dem Dreh, schützt). Interessant ist auch, dass viele Mitglieder des Filmteams tatsächlich Geister gesehen haben und einige sogar vorzeitig das Set verlassen mussten. Und die allerschönste Geschichte ist natürlich diese hier: Immer wenn Lars von Trier am Ende jeder Folge zu den Zuschauern spricht (und wir ihn vorzüglich herausgeputzt mit Smoking und Fliege zu Gesicht bekommen), steht er dort in Unterhose vor der Kamera ;)
Ein bisschen Spaß muss sein.
Optisch herausragender Abenteuerfilm mit viel Kreativität und Liebe zum Detail. Handlung und Charaktere aber eher enttäuschend. Große Brüste, sexistische Sprüche, Bar-Schlägereien, Schüsse in den Anus und ewig-lange Verfolgungsjagden. Konnte all dem leider nicht allzuviel abgewinnen.
Toller Film, der aber leider nicht mehr allzu viel mit der literarischen Vorlage zu tun hat. Die Verlagerung der Geschichte vom russischen St. Petersburg des 19. Jahrhunderts ins zeitgenössische Italien verlangte eine Anpassung der Charaktere und Dialoge, die Dostojewskis Werk insgesamt nicht mehr gerecht wird. Viel der im Buch beschriebenen Schüchternheit und Zurückhaltung geht dabei verloren. Die zaghafte und spannungsreiche Annäherung der beiden Hauptfiguren vollzieht sich im Film viel zu schnell; die rührende Lebensgeschichte des einsamen Erzählers bei Dostojewski wird nicht einmal im Ansatz behandelt. Das ist schade, denn es sind gerade diese bewegenden monologartigen Reflexionen über seine Vergangenheit, die das Herz dieser Geschichte ausmachen und ohne die seine Psyche eigentlich nur schwer erschlossen werden kann. Der ziemlich selbstbewusste, eher impulsive und teilweise sogar sehr ungeduldige Mario im Film hat mit dem zurückhaltenden, unsicheren und aufopferungsvollen Erzähler bei Dostojewski nicht mehr viel zu tun. Seine zutiefst philosophischen Gedanken über Einsamkeit, Liebe, Schönheit und Vergänglichkeit werden dem Zuschauer leider vorenthalten.
Kennt man die literarische Vorlage nicht, wird man von diesem Film jedoch vollends verzaubert sein. Als eigenständiges Werk überzeugt er nicht nur durch seine herausragende visuelle Schönheit, sondern auch durch charmantes Schauspiel und viel Tragik. Ein echter italienischer Liebesfilm eben. Ein bisschen Kitsch muss sein.
"Der international bekannteste Film des japanischen Meisterregisseurs Ozu: eine behutsame, in meditativem Bildrhythmus entfaltete Studie über den Zerfall einer Familie, über die Begegnung von Tradition und Moderne, über den alltäglichen Mut zum Neubeginn. Jenseits spektakulärer Effekte liefert Ozu eine Beschreibung der Normalität, deren Widersprüche weder dramatisiert noch verschwiegen, sondern der aufmerksamen Beobachtung und der kritischen Anteilnahme erschlossen werden." – Lexikon des internationalen Films
"Dass in der Beziehung von Eltern und Kindern großes Unglück liegt, hatte Ozu als Motto schon dem 1936 entstandenen DER EINZIGE SOHN vorangestellt. 17 Jahre später illustriert er das Thema mit einer filmgrammatisch bestrickenden Klarheit, die bis heute ihres Gleichen sucht. Man hat Ozus Stil, seinen Zauber, vielfach (und nicht ohne Überheblichkeit) mit der Schlichtheit seiner Inszenierung erklären wollen, den strengen Rahmungen auf Sitzhöhe, der dramaturgischen Auslassungskunst, etc. Tatsächlich ist Ozu mitnichten ein simpler, sondern ein intuitiver Regisseur, dessen Werk, bei aller japanischen Kulturspezifik, doch vollkommen universell ist." - Björn Lahrmann, Das Manifest
"Der Film handelt von einer Reise, von einer Familie in drei Generationen, vom Alltag in Japan acht Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, von der hektischen Großstadt Tokio, von der trügerischen Schönheit des Seebades Atami, von der Aura eines alten Paares, vom Egoismus der Kinder und vom Lauf der Welt. Die Reise selbst, die Anstrengung einer achtstündigen Bahnfahrt, wird ausgespart.
Die Familie: das sind die beiden Alten, die von ihren Kindern enttäuscht werden, das sind die zwei inzwischen erwachsenen Kinder in Tokio, die einen Beruf und wenig Zeit haben, das sind die Enkelkinder, denen der Besuch der Großeltern nur lästig ist, weil sie ihnen ihr Zimmer überlassen müssen und wenig mit ihnen anfangen können. Das ist der Sohn, der in Osaka wohnt und es nicht schafft, seine Mutter noch einmal zu sehen, bevor sie stirbt. Das ist die jüngste Tochter, die noch Ideale hat und schockiert ist über die Egoismen ihrer Geschwister. Das ist der Sohn, der im Krieg geblieben ist und nur noch in einem Foto und in der Erinnerung präsent ist. Und das ist Noriko, die Schwiegertochter, die Schlüsselfigur des Films, die alle Sympathien auf sich zieht." - Hans Helmut Prinzler
Auf den ersten Blick ist "Tokyo monogatari" ein eher gewöhnungsbedürftiger Film. Die unbewegliche Kamera, die fremdartige Gestik und Mimik der Protagonisten, der seltsame Tonfall der japanischen Sprache, die Einfachheit der Geschichte und die Langsamkeit ihrer Entfaltung... all das wirkt zunächst anstrengend und erfordert einen besonderen Willen (und eine besondere Geduld), sich auf diesen Film einzulassen. Dennoch: Es lohnt sich.
"Tokyo monogatari" ist ein einfacher, bodenständiger Film. Er handelt von ganz normalen Menschen in ihrem ganz normalen Alltag; "es geht um ein Geschehen, das stark von Ritualen geprägt ist: Kommen und gehen, essen, schlafen, arbeiten, telefonieren, streiten, sich etwas erzählen, auf etwas warten, sterben, trauern, Abschied nehmen, weiterleben" (Prinzler). In dieser Einfachheit werden aber auch sehr komplexe Konflikte angesprochen: Der Konflikt zwischen Stadt und Land, Tradition und Moderne, Jung und Alt, Mann und Frau. Und keiner dieser Konflikte wird unabhängig von den anderen behandelt. Vielmehr bedingen sie sich gegenseitig und stehen in einem komplexen Wechselverhältnis zueinander.
In erster Linie geht es in "Tokyo monogatari" um zwei Generationen, die einander fremd geworden sind, die die Wünsche des Anderen nicht mehr kennen (und auch nicht mehr kennen wollen). Eltern und Kinder sprechen hier nicht mehr miteinander. Und wenn sie es tun, dann nur aus Höflichkeit. Ehrliches Interesse und familiäre Zuneigung sucht man vergebens. Es ist die Wehmut über die ihnen fremd gewordenen Kinder, die Tomi und Shukishi immer wieder zum Nachdenken bringt ("A married daughter is like a stranger"). Es ist aber auch die Distanz zur Generation der Enkel, die hier thematisiert wird. Wenn Tomi Isamu zu einem Spaziergang überredet, sehen wir weder ein fröhliches Kind, noch eine zufriedene Großmutter. Aus der Ferne wirken sie wie hilflose Miniaturen in einer menschenfeindlichen Welt. Sie finden keinen Zugang zueinander. Trotz aller Annäherungsversuche bleiben sie sich fremd.
Kinder und Enkelkinder kommen nicht gut weg in diesem Film. Sie sind ungeduldig, verständnislos und auf sich selbst fixiert. Die zentrale Aussage: Familie kann sehr grausam sein. Zwar wird auch der schmerzliche Verlust der Söhne durch den Krieg thematisiert, die gegenwärtigen Probleme mit den verbliebenen Kindern stehen jedoch immer im Vordergrund: "To lose your child is hard, but living with them isn't always easy, either."
Es sind aber nicht nur die jüngeren Mitglieder der Familie, die hier kritisiert werden, sondern die Jugend an sich: "I'm afraid we expect too much of our children. They lack spirit. They lack ambition. [...] Young people today have no backbone. Where is their spirit?" fragt Shukishis Saufkumpane sorgenvoll. Der allgemeine Eindruck: Die Jugend ist faul, arbeitet nicht, will sich nur vergnügen. Und auch der Ausflug nach Atami wird zu einer Art Kraft- und Toleranzprobe für Tomi und Shukishi. Umgeben von jungen Leuten fühlen sie sich fremd am Platz. Die Alten wollen Ruhe, Geborgenheit, Beschaulichkeit. Die Jungen wollen feiern, singen, Spaß haben. All dies lässt sich nur schwer miteinander verbinden.
Es geht hier aber nicht nur um die Alten, die sich als Störfaktor wahrnehmen und der jungen Generation nicht zur Last fallen wollen, sondern auch um den Konflikt zwischen städtischer und ländlicher Lebensweise. Tomi und Shukishi fühlen sich verloren in der Großstadt. Tokyo ist ihnen zu laut, zu groß, zu unübersichtlich: "Look how big Tokyo is." "Yes, isn't it? If we got lost, we'd never find each other again."
"Tokyo monogatari" thematisiert auch noch einen anderen zentralen Konflikt, nämlich den zwischen Männern und Frauen. Es sind ausschließlich Männer, die sich in der Kneipe betrinken und den Bardamen das Leben schwer machen. Und es sind immer die Ehefrauen, die sich mit den von Männern organisierten Saufabenden in der eigenen Wohnung abfinden müssen. Nur selten wird den Frauen dabei der gebührende Respekt entgegengebracht. Erst als Tomi stirbt, wird Shukishi nachdenklich: "She was a headstrong woman, but if I had known things would come to this, I'd have been kinder to her while she was alive."
Tomi und Shukishi geben dennoch ein sehr harmonisches, ja geradezu rührendes Paar ab. Sie sind zur gleichen Zeit müde, setzen sich zur gleichen Zeit in ihrem Bett auf, fühlen und denken immer das Gleiche. Als Gegenbild zur zerrütteten Eltern-Kind-Beziehung erleben wir hier eine verlässliche Paar-Beziehung, die Halt und Stabilität vermittelt. Tomi und Shukishi sprechen miteinander, interessieren sich füreinander, sorgen sich umeinander. Wenn sie resigniert auf einer Mauer sitzen und das Meer betrachten, sind sie nicht nur einsame Gestrandete in einer fremden Welt, sondern auch vertraute Gefährten, die Seite an Seite durchs Leben gehen. Es sind nicht so sehr ihre Worte, sondern vielmehr ihre Gesten, die uns ihre tiefe Zuneigung zueinander verdeutlichen. Es ist eine Harmonie, die sich in der Stille entfaltet und keiner Worte bedarf. Aufgrund dieser Harmonie sind sie dann auch in der Lage, alle Unannehmlichkeiten und Enttäuschungen gelassen (und sogar humorvoll) hinzunehmen.
Das alles wirkt auf den ersten Blick natürlich ziemlich konservativ und rückwärtsgewandt. Die Sehnsucht nach Familie, Tradition, Heimat, Zweisamkeit etc. ist in der Tat wenig subversiv und eher langweilig. An dieser Stelle lohnt es sich aber, die Figur der Noriko näher zu betrachten. Als Ehefrau des verstorbenen Sohnes ist sie keineswegs unmittelbarer Teil der Familie und müsste deshalb eigentlich auch keinerlei Verantwortung für Tomi und Shukishi übernehmen. Sie tut es aber doch. Und vielleicht tut sie es gerade deshalb, weil es niemand von ihr erwartet. Während die leiblichen Kinder für Tradition und Familie stehen, ist sie das Sinnbild für Freundschaft und Moderne. Sie steht für den Wandel von aufgezwungenen zu selbstgewählten sozialen Beziehungen. Moderne bedeutet eben nicht nur Einsamkeit und Orientierungslosigkeit, sondern auch Freiheit und Selbstbestimmung.
"Ich wurde in meine erste Heimat durch meine Geburt geworfen, ohne befragt zu werden, ob mir das zusagt. Die Fesseln, die mich dort an meine Mitmenschen gebunden haben, sind mir zum großen Teil angelegt worden. In meiner jetzt errungenen Freiheit bin ich es selbst, der seine Bindungen zu seinen Mitmenschen spinnt, und zwar in Zusammenarbeit mit ihnen. Die Verantwortung, die ich für meine Mitmenschen trage, ist mir nicht auferlegt worden, sondern ich habe sie selbst übernommen. Ich bin nicht, wie der Zurückgebliebene, in geheimnisvoller Verkettung mit meinen Mitmenschen, sondern in frei gewählter Verbindung. Und diese Verbindung ist nicht weniger emotional und sentimental geladen als die Verkettung, sondern ebenso stark, nur eben freier." - Vilém Flusser: Von der Freiheit des Migranten. Einsprüche gegen den Nationalismus
"Tokyo monogatari" kann man also durchaus auch auf progressive Art und Weise lesen.
Aber auch, wer mit der Geschichte wenig anfangen kann, sollte sich diesen Film ansehen. Yasujiro Ozus visueller Stil ist einzigartig.
"He did not conform to most Hollywood conventions, most notably the 180 degree rule. Also, rather than using the typical over-the-shoulder shots in his dialogue scenes, the camera gazes on the actors directly, which has the effect of placing the viewer in the middle of the scene. Ozu did not use typical transitions between scenes, either. In between scenes he would show shots of certain static objects as transitions, or use direct cuts, rather than fades or dissolves. Most often the static objects would be buildings, where the next indoor scene would take place. It was during these transitions that he would use music, which might begin at the end of one scene, progress through the static transition, and fade into the new scene. He rarely used non-diegetic music in any scenes other than in the transitions.
[...]
He invented the 'tatami shot', in which the camera is placed at a low height, supposedly at the eye level of a person kneeling on a tatami mat. Actually, Ozu's camera is often even lower than that, only one or two feet off the ground. He used this low height even when there were no sitting scenes, such as when his characters walked down hallways.
[...]
Ozu's work anticipated some techniques used by later art film directors: infrequent use of non-diegetic music, a distinctive visual style, minimalist storytelling, and a character-driven emphasis on quiet and intelligent conversation. Directors as diverse as Jim Jarmusch, Wim Wenders, Mike Leigh, Deepa Mehta, Aki Kaurismaki, Kiyoshi Kurosawa, Alexander Payne, Takeshi Kitano, and Pedro Costa have said that they were influenced by his films." - Wikipedia
Fazit: Es gibt viel zu entdecken.
Wunderbarer 3-sprachiger Film mit einer großartigen Filmmusik und viel Liebe zum Detail!
"Warum hatte ich mich umbringen wollen? Ich weiß es nicht. Aber es war nicht aus Gründen, aus denen man sich sonst umbringt. Schulden, Liebeskummer oder Hoffnungslosigkeit. Ganz und gar nicht." Warum sich Kenji umbringen will, erfahren wir nicht. Wir können es nur erahnen: Langeweile, Müdigkeit, Gleichgültigkeit? Ist es die Erkenntnis der Sinnlosigkeit des Lebens überhaupt oder seine ganz persönliche Perspektivlosigkeit? Wir wissen es nicht. Und es spielt auch keine Rolle. Es geht in diesem Film nicht um Ursachen, sondern um Zustände. Es geht um den Zustand der Einsamkeit, Verlassenheit, Fremdheit. Es geht um das Gefühl, nirgendwo zu Hause zu sein und die prinzipielle Schwierigkeit menschlicher Kommunikation. Das zeigt sich allein schon in der Mehrsprachigkeit des Films. Die Protagonisten sind hier gezwungen, drei verschiedene Sprachen zu sprechen (Thai, Japanisch, Englisch). Anders können sie sich nicht verständigen.
"Last Life in the Universe" ist ein ruhiger, getragener, melancholischer Film. Unterstützt von kühlen Farbtönen, minimalistischer Filmmusik, wenigen Dialogen und einem monotonen, sich ständig wiederholenden Tonband im Hintergrund erzeugt er eine bedrückende, triste, ja fast schon apathische Atmosphäre, der man sich kaum entziehen kann. Trotzdem lässt er auch Veränderungen zu. Die beiden Hauptfiguren (der introvertierte Kenji und die extrovertierte Noi) werden sich im Laufe des Films immer ähnlicher. Ihre zurückhaltende und sich nur sehr langsam entwickelnde Freundschaft hinterlässt trotz ihrer Zaghaftigkeit tiefe Spuren in den beiden Charakteren. Noi wird plötzlich beeindruckend still. Und Kenji wunderbar lebhaft. Schöner und behutsamer kann man Freundschaft kaum beschreiben.
Auf den Yakuza-Handlungsstrang hätte man dagegen getrost verzichten können. Die Gangster wirken ein wenig deplaziert und zerstören zeitweise die eigentlich zurückhaltende und bescheidene Inszenierung der Geschichte. Trotzdem ein durchaus sehenswerter Film mit einigen magischen Momenten.
Formal ein wenig altbacken, inhaltlich aber durchaus überzeugend. Unbedingt ansehen!
"Basierend auf einer wahren Begebenheit, die in der Weimarer Republik für Aufsehen sorgte, verbindet der hervorragend fotografierte und gespielte Film ein realistisches Stimmungsbild mit philosophischer Weltbeschreibung, wobei er die entwurzelten Jugendlichen präzise konturiert und ihr ebenso verklärtes wie hysterisches Ringen um Leben und Tod, Liebe und Verzweiflung als zeitlose Suche nach Orientierung und Lebenssinn deutet."- Lexikon des Internationalen Films
Man sollte diesen Film nicht falsch verstehen. Man sollte nicht anfangen, sich mit seinen Figuren zu identifizieren. Ihre Ideologie ist menschenverachtend. Dennoch sollte man hinsehen, beobachten, verstehen. Denn letztlich geht es darum, die Verzweiflung zu sehen, die sich hinter der aufgemalten Fassade versteckt.
"Was nützt die Liebe in Gedanken" kann keine Lösungen anbieten für die großen Probleme des Lebens. Es wird viel geredet in diesem Film, aber nichts gesagt. Vor allem nicht zum Thema Liebe. Ab und an stößt man auf interessante Fragen: Will ich einen Mann oder viele? Will ich mich binden oder frei sein? Will ich allein sein, wenn ich alt bin? Ist man lesbisch, nur weil man sich nicht entscheiden kann? Entscheidet man sich deshalb nicht, weil man Angst hat? Angst vor Abhängigkeit, Enttäuschung, Unterdrückung? "Ich möchte niemandem alleine gehören", sagt Hilde zu Paul, "auch nicht Dir". Dann entfernt sie sich von ihm und verschwindet im Wald. Was zunächst nach Emanzipation aussieht, ist am Ende aber nichts anderes als Angst. Es ist die Angst vor allem, was tiefer geht.
Es gibt in diesem Film immer nur Extreme: Es gibt entweder die eine große Liebe, für die es sich lohnt zu sterben, oder viele häufig wechselnde Bekanntschaften ohne Verpflichtungen und echte Gefühle. Ein Dazwischen gibt es nicht. Die Welt dieser Jugendlichen ist schwarz-weiß. Sie verneinen das Leben und verklären den Tod. Ihre Ideologie ist rückwärtsgewandt. Sie macht die Welt zu einem Ding, das sich nicht verändern lässt. Man kann nur Opfer sein oder aussteigen. Ein Dazwischen gibt es nicht.
Es geht hier nicht um Liebe, sondern um Macht. Es geht um selbstbezogene, kindische Eifersüchteleien, um die Unfähigkeit sich selbst zurückzunehmen. Es geht um eine Liebe, die besitzergreifend ist, die immer alles unter Kontrolle haben will. Es geht darum, niemals Schwäche zu zeigen und Rache zu üben an den Menschen, "die uns um unsere Liebe betrogen haben". Es geht darum, andere für sein eigenes Unglück verantwortlich zu machen und sie mit in den Tod zu nehmen. Das alles hat nichts mit Liebe zu tun.
Wie kommt es, dass sich Günther vor dem Weltall rechtfertigt, nicht aber vor den Menschen, die ihn lieben? Es kommt daher, dass er sich im Abstrakten verliert und das Konkrete vergisst. Sein pseudophilosophisches Geschwafel über die Nichtigkeit des Seins wiegt so am Ende schwerer als die Tränen der liebenden Menschen, die um ihn trauern. Heldenhaft ist das keineswegs. Zum Glück erkennt dies auch Paul noch am Ende. Das Eingeständnis seiner eigenen gedanklichen Verfehlung ist das Herzstück dieses Films. Alles, was vorher gesagt wurde, ist nun null und nichtig. Liebe hin oder her. Das Leben geht weiter.
Eine berührende Geschichte über das schwere Leben im ländlichen Idaho der 50er Jahre. Keiner der Charaktere scheint irgendwie "normal" zu sein. Alle sind sie gezeichnet von Krieg, Tod, Trauer, Sehnsucht und Verweiflung. Der kleine Seth, der von seiner Mutter gequält wird; die Mutter, die ihren eigenen Mann nicht ertragen kann; der Vater, der sich zu Männern hingezogen fühlt und niemals eine Frau wollte; die Nachbarin, die ihren Mann nach nur "einer Woche Glücklichsein" verliert: er erhängt sich.
Es sind diese Charaktere, die nicht nur jeder für sich bemitleidenswert sind, sondern sich auch gegenseitig ins Verderben stürzen. Der Titel "The Reflecting Skin" deutet es schon an: So wie die silbern verfärbte Haut eines verstrahlten Babys, in dessen Gesicht man sich spiegeln kann, lässt das Leid eines jeden Einzelnen sein Umfeld keineswegs unberührt. Es reflektiert die eigene Situation und vervielfältigt das mit ihr verbundene Unglück.
Dass all diese Charaktere irgendwie neurotisch, impulsiv und launisch sind - in Anbetracht der Umstände sogar sein müssen - ist verständlich. Das Ausmaß aber, in dem der Zuschauer hier mit schmerzverzerrten Gesichtern, Tränen, Schreien und Verzweiflung konfrontiert wird, ist dann doch zu viel des Guten. Zumal die schauspielerischen Leistungen dies nicht immer hergeben. Überhaupt ist mir alles zu viel in diesem Film: die dramatische Geschichte, die Musik, die Dialoge, das Schauspiel... alles ist ein wenig überladen. Die Geschichte versucht zwanghaft alle negativen Ereignisse einzubinden, die einem Menschen jemals passieren können. Sie wirkt zu gerafft, zu komprimiert. Die Musik ist derart kitschig und dramatisch, dass man glauben könnte, der Film wolle Steven Spielberg Konkurrenz machen. Jede erdenkliche Emotion - Angst, Trauer, Freude, Wut, Hinhabe, Entsetzen, Staunen - wird hier mit den immergleichen Streichertönen überzogen, sodass am Ende nicht mehr übrig bleibt als ein kaum im Gedächtnis bleibender Einheitsbrei. Die Musik ist auch das einzige Mittel, um beim Zuschauer Spannung, Faszination und Mitgefühl zu erzeugen. So als müsste man das Publikum immer wieder mit einer Art Holzhammer auf dramatische Momente und wichtige Schlüsselszenen hinweisen. Alles ein wenig unelegant. Auch die Dialoge sind überladen. Die in ihnen enthaltene Informationsdichte erweckt manchmal den Eindruck, dass sie nicht für das jeweilige Gegenüber im Film, sondern einzig und allein für das Publikum geschrieben sind. Subtiler hätte auch das Schauspiel sein können. Die beinahe exzentrische Mimik und Gestik wirkt nur allzu oft lächerlich. Besonders die letzte Szene, in der Seth weinend aufs Feld rennt, vor der untergehenden Sonne niederkniet, seine Arme nach oben streckt und sich all seinen Schmerz aus der Seele schreit (dazu Nahaufnahme seiner in den Himmel gehobenen Hände), ist an Theatralik (und Lächerlichkeit) kaum zu überbieten. Weniger wäre hier mehr gewesen.
Formal ein Meisterwerk! Das kontrastreiche Schwarz-Weiß, die großflächigen Schattierungen, die harten Schnitte, die starre Kamera, die zahlreichen Voice-over-Kommentare... besser kann man die Vorlage von Frank Miller kaum umsetzen. Man hat hier tatsächlich zeitweise das Gefühl, in einem Comic zu blättern.
Inhaltlich kann "Sin City" aber kaum überzeugen. Viel Blut, viel Gewalt. Hass, Ehre, Rache, Sex. Männer retten unschuldige kleine Mädchen. Männer verteidigen die Ehre einer Frau. Dazu unglaublich coole Sprüche und unglaublich große Opferbereitschaft. Das alles kennt man schon. Auch ein paar Frauen mischen mit im ewigen Kampf um Aufmerksamkeit. Die Spielregeln aber bleiben männlich. Am Ende gewinnt, wer sich am besten inszenieren und das größte Blutbad anrichten kann. Alles ziemlich enttäuschend.
"Dieser Film ist nicht kurz und er ist nicht schnell. Es gibt keine Filmmusik, Umgebungsgeräusche scheinen schonungslos realistisch zu sein und wenn eine Hymne gesungen wird, ist es kein Lied, sondern ein Klagelied. Der Rhythmus des Films drängt
sich einem auf. Interessant, wie ein langsamer und tiefgründiger Film uns absorbieren, ein schneller und oberflächlicher uns ermüden kann." - Roger Ebert, Chicago Sun Times
"All the scenes shine with a visual and emotional brilliance." – Time
"Reygadas' genius makes every moment sacred." – Le Monde
"The characters seem to be illuminated from the inside." – Manohla Dargis, New York Times
In "Stellet Licht" von Carlos Reygadas ist tatsächlich jeder Moment heilig, die Charaktere von einer derartigen Erhabenheit und Schönheit, dass es schwer ist Worte zu finden. In diesem Film ticken die Uhren anders, langsamer, stiller als sonst. Er lässt sich Zeit, für alles. Die Kamerafahrten, die Gespräche, das Betreten eines Feldes, das Öffnen einer Bluse, das Küssen einer Frau... alles hat seinen ganz eigenen Rhythmus in diesem Film. Es ist der Rhythmus der Stille, der Langsamkeit und Getragenheit. Lässt man sich auf ihn ein, wird bald jeder Schnitt, jeder Lärm unerträglich.
"Stellet Licht" ist ein leiser Film voller Demut. Er begegnet dem einfachen religösen Leben mit Respekt ohne es zu verherrlichen. Er zeigt das gute Leben ohne die damit verbundenen Konflikte auszublenden. Wir werden Zeuge eines von Selbstzweifeln und Gewissensbissen gequälten Johan, der, wenn er weint, nicht mehr und nicht weniger ist als ein unschuldiges Kind. Als liebevoller Ehemann gehört sein Herz einer anderen. Er liebt mit jeder Faser seines Körpers. Und mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft versucht er, gegen genau diese Liebe anzukämpfen. Die Angst, die wahre Liebe zu verlieren, ist hier ebenso groß wie die Angst, geliebte Menschen zu verletzen. Es gibt hier kein richtig und falsch, kein gut und böse. Es gibt nur Schweigen, Beten, Nachdenken. Die Charaktere in diesem Film wirken wie Heilige. Sie begegnen sich mit einem derartigen Respekt, dass man vor Freude fast weinen könnte. Es gibt in diesem Film keine Vorwürfe, Verurteilungen oder Beschuldigungen. Es gibt nur Hoffnung, Verzweiflung und Mitgefühl. "Stellet Licht" zeigt den Menschen in seiner unauflöslichen inneren Zerissenheit. Er zeigt ihn mit all seinen Widersprüchen, Unklarheiten und Ambivalenzen. Und er versucht nicht, diese Widersprüchlichkeit künstlich aufzuheben. Er lässt sie stehen, auch wenn es wehtut. Es gibt Situationen im Leben, in denen es kein richtig und falsch, kein gut und böse gibt, in denen man einfach nur seinem Herzen oder seinem Verstand folgen muss, und es am Ende vielleicht doch nicht kann...
"Die schlichte und weder erhebende noch niederdrückende, aber allerdings in ehrfürchtige Pflicht nehmende Wahrheit ist, daß der 'eigentliche Mensch' seit je da war – in seinen Höhen und Tiefen, in seiner Größe und seiner Erbärmlichkeit, seinem Glück und seiner Qual, seiner Rechtfertigung und seiner Schuld – kurz, in aller von ihm unzertrennlichen Zweideutigkeit. Diese selbst beheben wollen heißt den Menschen in der Unergründlichkeit seiner Freiheit aufheben wollen." - Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung
Carlos Reygadas' "Stellet Licht" ist ein bedrückendes und erhebendes Meisterwerk, das tiefe Spuren hinterlässt und Dinge offenlegt, die sonst unsichtbar bleiben. Es braucht Zeit, sich darauf einzulassen. Tut man dies aber, sieht man die Welt bald mit gänzlich anderen Augen. Schön, dass es diesen Film gibt.
Origineller Film, der gekonnt zwischen dem Aufbau und der Zerstörung von Illusionen wechselt und deshalb einige interessante film- und erkenntnistheoretische Fragen aufwirft.
Einerseits gelingt es Dupieux, einen profanen Autoreifen so zu inszenieren, dass er am Ende menschlich - und irgendwie auch sympathisch, ja sogar süß - erscheint. Wir akzeptieren ihn problemlos als Hauptprotagonisten und lassen uns damit auf eine - rein rational betrachtet - extrem absurde Geschichte ein. Das Absurde wird so ziemlich schnell zum Normalen und Selbstverständlichen. Die Wahrnehmung der alltäglichen Realität - und das damit verbundene Wissen über die in dieser Realität befindlichen Objekte - wird so gründlich auf den Kopf gestellt und genau darin steckt am Ende vielleicht sogar eine revolutionäre philosophische Aussage: Wir können nicht wissen, ob ein Reifen denkt, fühlt und handelt. Alles ist möglich. Ich weiß, dass ich nichts weiß.
Andererseits wird genau dieser Eindruck immer wieder durch das Eingreifen eines allwissenden - d.h. über der Handlung stehenden und die Handlung selbst konstruierenden - Kommentators zerstört. Er spricht zu einem Publikum im Film, gleichzeitig aber auch zum Publikum im Kino, und sagt uns: Filme machen keinen Sinn. Sie sind absurd. Und sie könnten immer auch anders sein. Damit zerstört er nicht nur die Geschichte des Films, sondern baut auch Brüche in unsere Wahrnehmung ein. Wir werden dadurch gezwungen, unsere Perspektive zu wechseln und schlüpfen von der Rolle des mitfühlenden, sich Mitten im Geschehen befindenden Zuschauers in die des distanzierten, von außen betrachtenden Publikums. Erst jetzt erscheint uns tatsächlich alles absurd.
Es ist dieser Wechsel zwischen Außen- und Innenperspektive, der den Film spannend macht. Und die Frage danach, was Realität eigentlich ist. Die Mordserie des Reifens ist ein inszeniertes Schauspiel, nicht nur für das Publikum im Kino, sondern auch für jenes im Film. Für das Publikum im Film gilt: Realität existiert nur, solange jemand zuschaut. Beobachtung verändert den Gegenstand. Für das Publikum im Kino gilt: Realität existiert nur, solange wir sie als Realität akzeptieren. Wir können Manipulationen aufdecken, Selbstverständlichkeiten hinterfragen und Ungereimtheiten kritisieren. Wir müssen einfach nur die Perspektive wechseln. Für beide gilt: Wir nehmen Realität so wahr, wie andere wollen, dass wir sie wahrnehmen. Regisseure inszenieren Filme, Polizisten Mordserien, Menschen sich selbst. Man kann aber auch hinter die Fassade blicken. Und vielleicht hilft es da manchmal, sich in die Lage eines Reifens zu versetzen.
Intelligent inszeniertes Drama, in dem - ähnlich wie bei Flauberts "L’Éducation sentimentale" - die individuelle Lebensgeschichte der Hauptfigur zugleich auch das Sinnbild der geschichtlichen Ereignisse eines Landes ist. Maria Braun (Hanna Schygulla) wird so zur komplexen Verkörperung des deutschen Wirtschaftswunders, ihr rasanter Aufstieg und Fall zum Symbol der deutschen Nachkriegsgeschichte überhaupt.
"Es ist eine schlechte Zeit für Gefühle", erklärt Maria ihrem Mann, der ihr zuliebe im Gefängnis sitzt. Ihm zuliebe sucht sie sich reiche Männer und eine vielversprechende berufliche Anstellung. Sie will weiterhin attraktiv für ihn bleiben und gleichzeitig für das spätere gemeinsame Leben mit ihm finanziell abgesichert sein. Was anfangs noch einer Überwindung und einem Verrat an ihren eigenen Vorstellungen von der wahren Liebe gleichkommt, entwickelt sich bei Maria jedoch sehr schnell zum durchdachten Kosten-Nutzen-Kalkül und Genuss an der ungehemmten Auslebung fleischlicher Lust. Sie findet Gefallen an der dominanten Position, die sie sich nicht nur im Beruf, sondern auch im Privatleben erkämpft hat - vor allem findet sie Gefallen an der Macht, die sie gegenüber Männern ausübt. All das macht sie schließlich zu einer kühlen Pragmatikerin, die sich selbst und ihre Umwelt schonungslos analysiert und entmystifiziert.
"Die Liebe, das ist nur so ein Gefühl, das ist keine Wahrheit."
"Natürlich ist die Liebe ein Gefühl. Und eine große Liebe ist ein großes Gefühl. Und eine große Wahrheit."
"Die Wahrheit! Die Wahrheit hat man im Bauch, wenn man Hunger hat. Gefühle, Gefühle hat man zwischen den Beinen. Und die sind wie ein Jucken, wo man sich kratzt."
"Irgendwie ist es mir nie in den Sinn gekommen, dass meine Mutter auch eine Frau ist. Dann kommt einer daher und schon ist sie eine."
"Trotzdem find ich's unanständig, in ihrem Alter. Ist sicher spießig und unreif, aber was soll ich für mein Gefühl?"
"Wenn man unglücklich ist, sehen alle Menschen gleich ein bisschen unanständig aus."
Es sind genau diese Dialoge, die den Film so beeindruckend machen. Ganz wie in Wolfgang Borcherts berühmtem Kriegsheimkehrerdrama "Draußen vor der Tür" erscheinen die Charaktere hier seltsam pragmatisch, abgebrüht und illusionslos. Ihre ironische Distanz zur Realität wird bei Fassbinder gepaart durch die ironische Distanz zwischen Publikum und Hauptfiguren. Ganz wie in Brechts Epischem Theater werden hier gezielt Verfremdungseffekte eingebaut, die es dem Zuschauer ermöglichen sollen, eine kritische Distanz zum Dargestellten einzunehmen. Zuschauen soll hier nicht zum Mitfühlen und Miterleben, sondern vielmehr zum Nachdenken anregen. Im Neuen Deutschen Film geht es um rationale Gesellschaftskritik, nicht um das emotionale Ergriffensein. In Anlehnung an die französische Nouvelle Vague soll hier mit filmischen Sehgewohnheiten und verkrusteten gesellschaftlichen Strukturen gleichermaßen gebrochen werden. So erinnern grelle Farben in einer tristen Umgebung (à la "Le Mépris") und irritierende Kamerabewegungen/Schnitte (à la "À bout de souffle") nicht nur an die Künstlichkeit der dargestellten Figuren, sondern auch an die des Mediums Film schlechthin. Auch die Wahl der Filmmusik (Heile-Welt-Schlager) und der im Hintergrund laufenden Radiosendungen (Adenauers Kommentare zur Wiederbewaffnung Deutschlands, Herbert Zimmermanns leidenschaftlicher Kommentar zum "Wunder von Bern") dient dem Ziel der ironischen Distanzierung. Am Ende bleibt das Bild einer skurrilen Vergangenheit, deren Verlauf man sich irgendwie anders vorgestellt hatte. Ganz im Sinne des Epischen Theaters wird hier verdeutlicht, dass Realität keineswegs irgendeiner plausiblen und unabänderlichen Logik unterworfen ist, sondern - gerade aus der ironischen Distanz der 70er Jahre heraus - auch durchaus unverständliche und groteske Züge annehmen kann. Damit "ist gewonnen, daß der Zuschauer die Menschen auf der Bühne nicht mehr als ganz unveränderbare, unbeeinflußbare, ihrem Schicksal hilflos ausgelieferte dargestellt sieht. Er sieht: dieser Mensch ist so und so, weil die Verhältnisse so und so sind. Und die Verhältnisse sind so und so, weil der Mensch so und so ist. Er ist aber nicht nur so vorstellbar, wie er ist, sondern auch anders, so wie er sein könnte, und auch die Verhältnisse sind anders vorstellbar, als sie sind." (Bertolt Brecht)
Trotz seiner offensichtlichen Skurrilitäten verliert der Film aber dennoch nie seine Ernsthaftigkeit. Die manchmal bis zu vier Tonebenen gleichzeitig umfassenden Geräusche (Filmmusik, Dialog, Radio, Umweltgeräusche) sowie die Aufnahmen in halbdunklen, zugestellten Innenräumen, die oft nur einen eingeschränkten und durch Objekte versperrten Blick zulassen, erzeugen eine seltsam anmutende Atmosphäre der Beengung und des Unwohlseins. Das durchgehende visuelle Motiv der Gittersymbolik tut sein übriges. Die Protagonisten sitzen alle gleichermaßen in einem Gefägnis, aus dem es kein Entrinnen gibt.
Und so ist auch der Erfolg Marias nur von kurzer Dauer. Am Ende waren ihre Anstrengungen vollends umsonst. Sie bekommt zwar den Mann, den sie immer wollte, muss aber gleichzeitig erfahren, dass dieser sie schon längst verraten hat. Und vielleicht ahnt sie auch schon früher, dass die Rückkehr in die alte Beziehung auch gleichzeitig eine Rückkehr in das alte Leben - und die damit verbundenen Geschlechterverhältnisse - bedeuten könnte...
"Aus! Aus! Aus! – Aus! – Das Spiel ist aus!"
Bewegendes Drama mit einem großartigen Johnny Depp! Trotz einiger Ecken und Kanten ein gelungenes und immer wieder neu verzauberndes Märchen über die Vor- und Nachteile des Andersseins, die Ungerechtigkeit sozialer Exklusionsmechanismen und - wie könnte es anders sein - die wahre Liebe in einer falschen Welt.
"Die großen Leute haben eine Vorliebe für Zahlen. Wenn ihr ihnen von einem neuen Freund erzählt, befragen sie euch nie über das Wesentliche. Sie fragen euch nie: Wie ist der Klang seiner Stimme? Welche Spiele liebt er am meisten? Sammelt er Schmetterlinge? Sie fragen euch: Wie alt ist er? Wieviel Brüder hat er? Wieviel wiegt er? Wieviel verdient sein Vater? Dann erst glauben sie, ihn zu kennen."
(Antoine de Saint-Exupéry, Der kleine Prinz)
Ein Film, der die richtigen Fragen stellt und sich auf das Wesentliche konzentriert. Wunderbar friedlich, poetisch und liebevoll.
Großartiges Beziehungsdrama, das ganz ohne Filmmusik auskommt und stattdessen durch natürliche Geräusche, beeindruckendes Schauspiel, sorgfältige Charakterzeichnung und brilliante Dialoge überzeugt. Ein Film, der seinem großen Vorbild (Ingmar Bergman) mehr als nur gerecht wird.
Ein Film, der sich nicht recht entscheiden kann zwischen tragischen und komödiantischen Elementen und das Publikum deshalb etwas hilflos zurücklässt (weil er am Ende eben weder so richtig witzig, noch so richtig ergreifend ist). Zu sehr konzentriert er sich auf die Darstellung besonders skurriler Gestalten und verliert sich dabei in einer Komik, die nicht mehr ist als plumpes Grimassen-Schneiden. Das Innenleben der Figuren und die damit verbundene - eigentlich tragische - Geschichte des Films geraten dadurch leider in den Hintergrund. Zugleich bewegen sich alle Charaktere (bis auf One) in einem primitiven Schwarz-Weiß-Schema (dumme, hässliche, böse, hysterische Erwachsene vs. liebenswerte, süße, freche, intelligente, abgebrühte Kinder), das - in all der beschriebenen Unterkomplexität - alles in allem nicht einmal lustig ist. Bleibende Eindrücke sollen durch theatralische Filmmusik, übertriebenes Schauspiel und unnötige Effekthascherei erzeugt werden. Eine tiefer gehende Charakterzeichnung und ein paar liebevoll geschriebene Dialoge wären sinnvoller gewesen.
Sehenswert ist der Film vor allem aufgrund seiner einzigartigen Optik. Die - sowohl im Aufbau als auch in der Farbgestaltung - sorgfältig komponierten Bilder, manchmal blass-monochromatisch, dann wieder farbenfroh-kontrastreich, immer aber die Atmosphäre eines leichten Unwohlseins aufrechterhaltend, machen den Film dann doch irgendwie zum Kunstwerk.
Fazit: Optisch sehenswert. Inhaltlich leider nicht mehr als ein bunt zusammengewürfeltes Kuriositäten-Kabinett.
Ein lächerlicher und bewegender Film zugleich.
Der eigentlich gelungene und perfekt zur Story passende Regiestil (orientiert an John Cassavetes und Dogma 95) trifft hier auf ein eher dilettantisches Drehbuch und nur mittelmäßige schauspielerische Leistungen. Beeindruckende Bilder und eine bewegende Geschichte werden so in regelmäßigen Abständen durch sperrige Dialoge und sich viel zu schnell entwickelnde - und sich auch genauso schnell wieder im Sand verlaufende - zwischenmenschliche Beziehungen kaputt gemacht. Nicht zuletzt lebt der Film auch von zahlreichen Klischees (über Studenten, Psychiatrie, Hippies...), die man durchaus hätte umgehen können.
Trotzdem ein sehenswerter Einblick in die Welt eines jungen Mannes, der trotz aller widrigen Umstände am Ende doch noch seinen inneren Frieden findet. Ohne, dass die Geschichte damit schon zu Ende wäre. Vielmehr ist genau das der Punkt, an dem sie eigentlich erst beginnt.