kyro1 - Kommentare

Alle Kommentare von kyro1

  • Im Jahr 2022 habe ich leider nicht sonderlich viele Filme gesehen – dennoch ein kurzer Rückblick:

    Anzahl gesehener Filme: 170 (davon 151 Erstsichtungen und 83 Kurzfilme)

    Häufigst vertretene Produktionsländer: Japan (53), USA (50), Frankreich (18), Deutschland (9), Österreich (6)

    Meistgesehene Filmemacher: Kōji Shiraishi (14), Stan Brakhage (12), Takashi Miike (6), John Whitney (6), Stephen Dwoskin (5), Hideaki Anno (4), Jun Kurosawa (3)

    Im Gegensatz zum Jahr 2021, in dem ich erstaunlich viele großartige Erstsichtungen hatte, war meine Filmauswahl in diesem Jahr leider nicht ganz so spektakulär. Ein paar Favoriten habe ich jedoch:

    1. Senritsu Kaiki File Kowasugi! File 01–07 (Shiraishi, 2012–2015)
    2. Psychic Rose (Satō, 1990)
    3. Noroi: The Curse (Shiraishi, 2005)
    4. The Duke of Burgundy (Strickland, 2014)
    5. The Novelist’s Film (Hong, 2022)
    6. Scarface (De Palma, 1983)
    7. Secret Things (Brisseau, 2002)
    8. Bounce Ko Gals (Harada, 1997)
    9. Trixi (Dwoskin, 1969)
    10. It Feels So Good (Arai, 2019)

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    • 9
      kyro1 23.08.2022, 10:38 Geändert 23.08.2022, 10:49

      Rivette, Brakhage, Buñuel, Franco, Rollin, Bergman, Fassbinder, Park ... die Liste der Regisseure, an die ich bei "The Duke of Burgundy" denken musste, ist lang.

      Doch Strickland reproduziert nicht bloß Kino, er greift an dessen grundlegender Essenz an: Licht und Reflexion sowie Repetition und Präservierung sind zentrale Elemente seines Films. Er erschafft ein eigenes Kino der Haptik, welches keine Abbildung, sondern eben geradezu eine (Re-)Produktion von Realität ist. So überrascht es nicht, dass ihm "Mothlight" als eine wesentliche Inspiration dient (und dieser in einer beeindruckenden Traumsequenz gar repliziert wird), jener Film Brakhages, der als Metapher für das Medium in seiner reinsten Form zu verstehen ist: der Umwandlung von (ehemals) Lebendigem zu Licht und Bewegung. Brakhage versinnbildlicht mit dem Präservieren bzw. der Wiedererweckung seiner toten Motten auf dem Filmstreifen das paradoxe Zusammenspiel von Leben und Tod, welches dem Kino selbst eingeschrieben ist.

      Strickland greift das Sinnbild der Motte, welche stets vom todbringenden Licht angezogen wird, geschickt auf und überträgt diese Symbiose aus Lebens- und Todestrieb auf eine scheinbar sadomasochistische Liebesbeziehung zweier Frauen. Doch spannenderweise behandelt er hierbei nicht nur das essenzielle Wesen des Kinos, sondern versucht simultan, dessen festgefahrene Strukturen – insbesondere den männlichen Blick – subversiv zu zersetzen: Der Film bildet einen männerlosen Lebensraum ab und zeigt eine Erotik ohne Nacktheit. Die ausgeprägten 70er-Jahre-Einflüsse à la Franco und Rollin werden somit ad absurdum geführt – was bleibt, ist lediglich deren haptische Ästhetik und traumhafte Surrealität. In jener Subversion liegt letztendlich eine Nähe zu Rivette begründet, die sich nicht nur im selbstreflexiven Spiel und einfühlsamem Feminismus, sondern auch in der theatralen Märchenhaftigkeit samt der sich stets wiederholenden, durchstudierten Rollenspiele und -auflösungen spiegelt.

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        kyro1 08.04.2022, 20:39 Geändert 08.04.2022, 20:41

        Sono Sion [...] has been accused of sexual harassment by several actresses in Japan’s film industry.

        In a lengthy article, several actresses made accusations against Sono under the protection of anonymity. According to the piece, Sono, now aged 60, boasted of making sexual advances to “most of [his] leading ladies.”

        Zu meinen Lieblingsregisseuren zähle ich Sono zwar schon eine Weile nicht mehr, doch als jemand, der das meiste seines filmischen Schaffens gesehen und dieses nach wie vor verfolgt hat, beschäftigt mich die Nachricht seit ihrer Veröffentlichung doch ziemlich. Erschreckenderweise hat mich diese nicht einmal so überrascht, sondern eher enttäuscht, da ich, vielleicht naiverweise, stets den Künstler von seiner Kunst trenne. Kino darf für mich völlig frei sein und allzu gerne stürze ich mich in die Abgründe des japanischen Films, in welchem sexuelle Übergriffe und Vergewaltigung oft allgegenwärtig sind (und meist zum Glück nicht zum Selbstzweck verkommen). Doch bei so einer Nachricht komme ich ins Zweifeln und stelle meinen kompletten Filmkonsum in Frage, gerade weil Sono mich "von Anfang an" begleitet hat und er damals einer der Filmemacher war, die mich das Medium und vor allem das japanische Kino lieben lernten. Bekanntlich wird in Japan jedoch gerne vieles totgeschwiegen, weshalb auch die #metoo-Kampagne dort kaum Anklang fand. Bleibt nur zu hoffen, dass sich nun zukünftig etwas daran ändern wird!

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          Beim Japanese Film Festival (https://watch.jff.jpf.go.jp/) stehen einige Filme kostenlos zur Verfügung (momentan 15 Stück, sofern ich richtig gezählt habe)! :)

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            "History of Ha" (2021) von Lav Diaz – der Film ist hier leider nicht angelegt – läuft heute ab 17:00 Uhr auf der YouTube-Seite von sine olivia pilipinas: https://youtu.be/liqB4QVyCys. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist er nur für 12 Stunden verfügbar.

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            • Das kommt jetzt vielleicht etwas spät (für mich leider auch), da die Aktion nur bis zum 24.01. läuft, doch auf dafilms.com sind momentan 10 japanische Dokumentationen kostenlos verfügbar. Ist eine ziemlich nette Auswahl, vielleicht ist für dich ja auch etwas dabei: https://dafilms.com/program/1126-made-in-japan-yamagata-1989-2021.

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              • 8 .5

                "One day you could be taking a picture of the moment of your death."

                Satōs Verständnis von Tod und Sexualität entspricht gewissermaßen jenem Georges Batailles, doch erweitert er es um seinen Technikfetischismus. Bei ihm wird das (technische) Bild zur Grenzerfahrung, welche die Trennung von Innen und Außen auflöst und die innere Erfahrung zur Entblößung verkehrt. Technik und Körper werden eins, Medien zum Spiegel des Unbewussten. Die Abgründe der urbanen Einsamkeit werden medial ausgelotet, was sich in einem voyeuristischen Begehren zeigt: die Fotografie wird zur Obsession, das Internet gar zum Katalysator für Vergewaltigung und Mord.

                "Psychic Rose" ist eine chaotische Collage, thematisch viel zu ausschweifend, und trotz all der gezeigten Hässlichkeiten so wunderbar ästhetisch. Wunderschöne Stadtaufnahmen werden durchbrochen von Traum- und Sexszenen, von rauschenden und flackernden Bildschirmen sowie Fotografien via Canon-ION-Kamera, also frühester Digitaltechnik. Gerade bei Letzteren ist es aber – mit einem historischen Blick auf die Bildmedien – doch wirklich spannend, dass sie von Satō mit dem Übersinnlichen in Kontext gesetzt werden.

                Die abschließende Einstellung, eine Guerilla-Aufnahme in den belebten Straßen Tokyos, ist in ihrer morbiden Schönheit wiederum geradezu essentiell für Satōs Themenverständnis: Die Protagonistin steht in einem schwarzen Trenchcoat über einem Computer und entblößt sich (auch Menstruationsblut ist im Spiel, aber das muss hier nicht weiter ausgeführt werden) – doch keiner der zahlreich vorbeilaufenden Personen scheint sie auch nur annähernd zu beachten.

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                • Auch ohne Filmtagebuch und mit verhältnismäßig wenig gesehenen Filmen, möchte ich mein Jahr hier noch einmal kurz Revue passieren lassen.

                  Insgesamt kam ich 2021 letzendlich auf 334 Filme. Das sind rund 100 Stück weniger als noch im letzten Jahr – dennoch sind darunter tatsächlich mehr Spielfilme (152) als 2020 (134).

                  Häufigst vertretene Produktionsländer:

                  USA (97), Japan (94), Frankreich (28), Deutschland (10), Hongkong (8), Südkorea (7), Österreich (6), Italien (6)

                  Meistgesehene Filmemacher*innen:

                  Stan Brakhage (41), Helga Fanderl (6), M. Night Shyamalan (5), Cécile Fontaine (4), Hayao Miyazaki (4), Norman McLaren (4), Len Lye (4), Kiyoshi Kurosawa (4), Makoto Shinkai (4), Maria Klonaris & Katerina Thomadaki (3), Takashi Makino (3), Shion Sono (3), John Carpenter (3), Phil Solomon (3), Wes Craven (3), Joseph Bernard (3), Johnnie To (3), Michael Mann (3), Mikio Yamazaki (3)

                  Liebste Erstsichtungen:

                  1. The Amazonien Angel (Klonaris/Thomadaki, 1992)
                  2. Memento Stella (Makino, 2018)
                  3. Blackhat (Mann, 2015)
                  4. Dragon Inn (Hu, 1967)
                  5. Double Labyrinth (Klonaris/Thomadaki, 1976)
                  6. Selva. A Portrait of Parvaneh Navaï (Klonaris/Thomadaki, 1982)
                  7. Venus in Furs (Franco, 1969)
                  8. Ephemeral Solidity (Brakhage, 1993)
                  9. Memoria (Weerasethakul, 2021)
                  10. Slow Death (Sogo, 2000)
                  11. Sombre (Grandrieux, 1998)
                  12. Collateral (Mann, 2004)
                  13. Heat (Mann, 1995)
                  14. Diary of a Shinjuku Thief (Ōshima, 1969)
                  15. Wheel of Fortune and Fantasy (Hamaguchi, 2021)
                  16. Lake Mungo (Anderson, 2008)
                  17. The Getaway (Peckinpah, 1972)
                  18. Drug War (To, 2012)
                  19. City of Pirates (Ruiz, 1983)
                  20. Inland Empire (Lynch, 2006)
                  21. Boarding Gate (Assayas, 2007)
                  22. Exiled (To, 2006)
                  23. Positano (Clémenti, 1969)
                  24. Provincetown Pieces (Bernard, 1979)
                  25. Blue (Ando, 2002)

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                  • 8 .5

                    Es handelt sich wohl kaum um masochistische Fantasien, denen Franco in "Venus im Pelz" fröhnt, als viel eher um eine Derridasche Geisterbeschwörung - eine psychedelisch-abstrakte "Vertigo"-Dekonstruktion könnte man bisweilen sagen. So wird Hitchcocks Möbiusband immer weitergesponnen, filmische Geisterwesen aus unverdrängbaren Erinnerungen (re)produziert und die Grenzen des Ichs zersetzt. In wirren Traumstrukturen entwickelt sich eine Liebesgeschichte, die sich nicht nur jenseits von Raum und Zeit, sondern geradezu im Jenseits abspielt - eine Freudsche Wunscherfüllung, die zum Alptraum wird. Nicht nur Identitäten, auch Filmbilder werden in surrealistischer Manier verdichtet und verschoben. In Tod und Trauma spiegelt sich (in doppelter Hinsicht) ein kollektives (filmisches) Gedächtnis: Denn Franco zeichnet das Bild eines von Gespenstern besessenen Mediums, das vornehmlich der Konservierung von Toten dient, welches sich nicht nur Hitchcock, sondern ebenso den Filmen David Lynchs - insbesondere "Lost Highway" und "Twin Peaks" - annähert.

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                    • 8
                      kyro1 18.07.2021, 19:10 Geändert 18.07.2021, 20:04

                      "Introduction" eignet sich, obwohl der Titel ja genau das suggerieren könnte, wohl kaum als Einführung zu Hongs Werk. Doch auch als eingefleischter Anhänger seines Schaffens wird man (zunächst) eher ernüchtert aus dem Film gehen - denn übliche Charakteristika fehlen oder werden auf ein Minimum reduziert. Er erscheint spontaner und fragmentarischer, weit weniger durchdacht, vielleicht auch nüchterner und humorloser als frühere Werke. Mehrmals las ich nun in diesem Zusammenhang, dass es sich um Hongs geradlinigsten Film handle, was ich aufgrund scheinbar(?) mangelnder Metaebenen und einer weniger ausgeklügelten Verschachtelung auch in gewisser Weise nachvollziehen kann. Nach einer ersten kleinen 'Enttäuschung' macht mich "Introduction" jetzt aber gerade dadurch ziemlich nachdenklich, dass er sich so stark von den vergangenen Filmen abhebt. Aufgrund der geringer durchgeplanten Konstruiertheit, dadurch, dass Hong einem die Thematik nicht gründlich vorkaut, entsteht letztlich ein viel größerer Interpretationsspielraum. In der vermeintlich geradlinigen Realität spiegelt sich gar eine ausgeprägte Surrealität. Die einzelnen Fragmente werden bestimmt durch einen Raum- und Zeitverlust, in welchem kaum mehr zwischen Einbildung und Wirklichkeit, Traum und Schauspiel unterschieden werden kann. Was im Kopf des Zuschauers zurückbleibt, sind schließlich auch nur noch Fragmente (der Fragmente), die es - einem Puzzle gleich - zusammenzufügen gilt.

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                      • 7

                        Bereits die erste Szene, eine lange, statische Einstellung eines vorbeifahrendes Schiffes, begeisterte mich und gab mir die Gewissheit, dass "First Cow" sicherlich ganz toll werden müsse. Sie erinnerte mich stark an Peter B. Huttons Filme. Umso schöner war es dann natürlich, seinen Namen am Ende des Films zu lesen, denn genau ihm hat Kelly Reichardt diesen gewidmet. So bildet sich ein wunderbarer Rahmen, der mir die Durchdachtheit ihres Minimalismuses noch einmal vor Augen führt - genau wie Hutton versteht sie sich darauf, aus simplen Szenarien verdammt viel herauszuholen.

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                        • Hach, ich bin ja kein allzu großer Fan von solchen (superlativen) Kategorisierungen, aber habe dennoch Spaß daran, mir den Kopf darüber zu zerbrechen...

                          Beste Bildsprache
                          1.) Stan Brakhage
                          2.) Yasujirô Ozu
                          3.) Tsai Ming-liang

                          Beste Musikwahl
                          Schwierig, hier fallen mir so viele tolle Filme ein, auf das Gesamtwerk eines Regisseurs kann ich es aber in den seltensten Fällen übertragen.

                          Beste Atmosphäre
                          1.) Béla Tarr
                          2.) Apichatpong Weerasethakul
                          3.) Lav Diaz

                          Beste Erzählstrukturen
                          1.) Edward Yang
                          2.) Hou Hsiao-hsien
                          3.) Jacques Rivette

                          Beste Metaebenen
                          1.) Jacques Rivette
                          2.) Yoshishige Yoshida
                          3.) David Lynch

                          Beste Montage
                          1.) Stan Brakhage
                          2.) Alfred Hitchcock
                          3.) Michael Mann

                          Beste Immersion
                          1.) Rainer Kohlberger
                          2.) Takashi Makino
                          3.) Stan Brakhage

                          Beste Symbiose aus Inhalt, Musik und Bild
                          1.) Béla Tarr
                          2.) Takashi Makino
                          3.) Stom Sogo

                          Beste filmische Experimente
                          1.) Stan Brakhage
                          2.) Phil Solomon
                          3.) Takashi Makino

                          Bester Mindfucker
                          Irgendwie witzlos, da ja sowieso nur eine Handvoll Regisseure unter diese Kategorie fallen. Außerdem finde ich den Begriff doof...

                          Beste Filmographie
                          1.) Hong Sang-soo
                          2.) Tsai Ming-liang
                          3.) Hou Hsiao-hsien

                          Überbewertester Regisseur
                          Von all den Regisseuren, die ich (insgeheim) für überbewertet halte, habe ich wohl zu wenige Filme gesehen, um es rechtfertigen zu können.

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                            kyro1 16.04.2021, 18:46 Geändert 16.04.2021, 18:54

                            THE LONELY 19:00 (2020) - 7.0 Punkte

                            Es ist schon paradox, wie rückwärtsgewandt, ja, geradezu nostalgisch, Sonos Filme ausfallen, wenn er sich SciFi-Stoffen widmet. So auch in "The Lonely 19:00", einem 38-minütigen Kurzfilm mit Virus-Thematik, den er im letzten Jahr abgedreht hat. Denn dieser spielt zwar in der Mitte des 21. Jahrhunderts und wirkt doch wie aus der Zeit gefallen - Kuckucksuhr, Wählscheiben-Telefon, Polaroid-Kamera oder Ferngläser werden zu zentralen Gegenständen (und selbst die Darstellung einer Lieferung per Drohne wirkt alles andere als zeitgemäß). Wie schon in "The Whispering Star" wird eine reale Krise zum Endzeitszenario umformuliert: In diesen lebensverändernden Wendepunkten liegt womöglich jene melancholische Sehnsucht nach dem Vergangenen, Sonos retrofuturistischer Anachronismus, begründet. War es zuvor Fukushima, ist "The Lonely 19:00" nun selbstverständlich durch die COVID-19-Pandemie inspiriert.

                            In seinem zynischen Gedankenspiel erschafft Sono ein neues, noch gefährlicheres Virus, das bis zu einem Abstand von 50 Metern ansteckend ist, 100 Jahre anhält, und folglich zu einer vollständigen Abschottung der Menschheit führt. Otomi wurde in dieser Zeit in seinem Elternhaus geboren, welches er - einem Gefangenen in Platons Höhlengleichnis gleich - auch noch nie verlassen hat. Seine Realität ist begrenzt durch die eigenen vier Wände und eben das, was seine inzwischen verstorbenen Eltern ihm vorgelebt haben. Diese beschönigten die komplette Isolation, indem sie ihm das Leben vor der Pandemie in jeder Hinsicht als gefährlich beschrieben, es somit ins Negative überführten. Als Otomi eines Tages doch nach draußen in die Sonne tritt, ist es nicht der Blick in diese, sondern natürlich der Anblick einer Frau, schließlich die Liebe, die ihm Weisheit verschafft. Er schlussfolgert, dass es nicht genügt, einfach nur am Leben zu sein.

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                              kyro1 15.04.2021, 17:10 Geändert 15.04.2021, 20:18

                              Obwohl "Dark Story of a Sex Crime: Phantom Killer" ein weniger bekanntes Werk in Wakamatsus Œuvre darstellt, liegt der Film inzwischen in hochauflösender Qualität vor. Spannend dabei ist, dass das digitalisierte Filmmaterial, trotz seines stellenweise miserablen Zustandes, aber kaum restauriert wurde. Das Bild ist manchmal übersät von Kratzern, an ein paar Stellen sind gar Brandlöcher vorhanden. Doch tatsächlich bekommt der Film einen Mehrwert dadurch, wirkt - bestärkt durch Wakamatsus altbekanntem Wechsel von Schwarzweiß- und Farbfilm sowie dem Einsatz von Jump Cuts - äußerst experimentell. Die abgründige Psyche des Protagonisten spiegelt sich nun geradezu im abgenutzten Zelluloid: Wenn sich die Kratzer bei einem Mord häufen, tiefe Laufstreifen bei Porträtaufnahmen sein Gesicht zerteilen oder ihn aber von der angebeteten Frau abtrennen, wirkt es ausgesprochen symbolhaft.

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                                kyro1 22.02.2021, 15:56 Geändert 22.02.2021, 15:57

                                Tatsächlich hatte ich schon eine ganze Weile keine so intensive Filmerfahrung mehr, wie ich sie nun bei Michael Manns "Blackhat" hatte. Eine eindringliche Erfahrung, die ich in der Art eher aus dem Experimentalfilm, den Werken eines Takashi Makinos oder Rainer Kohlbergers, kenne. Beides Filmemacher, denen Mann in gewisser Hinsicht auch durchaus nahesteht. So geht es ihm ebenfalls um die Durchdringung von Analogem und Digitalem, Materiellem und Immateriellem, um einen metaphysischen Erfahrungsraum - um die Geister der Maschinerie. "Blackhat" bildet sozusagen den Limbus zu Kohlbergers, nur noch auf computergenerierten Algorithmen basierenden, Filmen ab, in denen die Technik den Menschen bereits eingeholt, ihn abgelöst hat.

                                Kameras spielen bei Mann im Gegenteil dazu jedoch noch eine ganz zentrale Rolle, weshalb er gleich auf eine Vielzahl von Geräten verschiedenster Preisklassen zurückgreift. Diese werden schließlich zu seinen künstlerischen Hilfsmitteln, mit denen er die Filmleinwand förmlich bemalt. Hierbei lässt es sich in der Tat an die letzten Filme seines Regie-Kollegen Tony Scott, bei der abstrakten Verwendung von Farben und Texturen aber vielmehr an die späten Werke von Stan Brakhage, denken. Die Abstraktion trifft bei Mann nun jedoch auf das Hyperreale: Form und Inhalt durchdringen sich, genauso wie Mensch und Maschine, Körper und Körperlosigkeit. Die post-kapitalistische Realität des Internets, die daraus resultierende Geistwerdung des Individuums sowie die Verschmelzung von Raum und Zeit erinnern wiederum an Kiyoshi Kurosawas "Pulse". Neben diesem ist "Blackhat", so scheint es mir, in seiner Auseinandersetzung mit digitaler und analoger Wirklichkeit, auch einer der zentralen Filme des bisher vergangenen 21. Jahrhunderts.

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                                  kyro1 18.02.2021, 10:21 Geändert 18.02.2021, 10:34

                                  "Rechts. Deutsch. Radikal." wärmt vieles auf, was man bereits genauso in anderen Beiträgen zur Thematik gesehen hat, gibt also vielmehr einen Überblick - Pro7 ist hier sicherlich eine passende Plattform - für ein Publikum, welches sich bislang weniger damit auseinandersetzen wollte. In dieser Hinsicht ist die Dokumentation auch durchaus lobenswert, obwohl die Art und Weise der Wissensvermittlung zum Teil recht sendertypisch - ja, beinahe grenzwertig - ist. Tatsächlich spannend wird es dann aber mit der Geschichte um die YouTuberin Lisa Licentia, durch welche die Berichterstattung, abseits der üblichen (unbelehrbaren) Verdächtigen, einen Verlauf nimmt, mit dem die Macher so in keinster Weise rechnen konnten - ein wahrer Glücksfall. Und für mich schließlich auch der Punkt, ab dem das Ganze erst so richtig sehenswert wird.

                                  (Ich war verwundert, dass die Dokumentation auf Letterboxd zu finden ist. Noch erstaunlicher ist jedoch, dass sie dort von über 600 Leuten gesehen wurde und hier gerade mal 3 Leute bewertet haben. Es scheint sich inzwischen wirklich eine große deutsche Community dort eingefunden zu haben, während hier tote Hose ist.)

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                                    kyro1 12.02.2021, 10:46 Geändert 12.02.2021, 11:04

                                    Auch der dritte "Scream"-Teil handelt natürlich von der ewigen Imitation und Repetition des (Horror-)Kinos. Und nutzt sich damit, so könnte man meinen, beinahe schon selbst ab - wiederholt er sich doch in seinem eigenen Film-im-Film-Szenario. Die Protagonisten werden entsprechend mit ihren Doppelgängern, mit ihrer eigenen Bildlichkeit, konfrontiert, worin sich die beständige Wiederkehr des Gleichen noch einmal spiegelt. "Scream 3" ist eine einzige Dopplung, ein Film der Ich-Spaltungen. Alte Szenen werden wiederholt und selbstverständlich mit den üblichen Versatzstücken und Referenzen des Horrorfilms gespielt. Das gewisse Variationen hierbei unumgänglich sind, macht die fälschliche Aussage einer Darstellerin deutlich: "The whole shower thing's been done. Vertigo. Hello?" Und dennoch bewegt sich der Film ganz und gar auf Hitchcocks Möbiusband der Erinnerung, in welchem Vergangenheit und Gegenwart zusammenfallen. Schließlich wird ein Bogen zum ersten Film - dem ersten Mordopfer, Sydneys Mutter Maureen Prescott - gespannt und die Geschichte umgeschrieben. Besonders spannend hierbei, ist jedoch die narrative Umlagerung in das Hollywood-Milieu, deren Selbstreflexivität nun nicht nur innerfilmische Dopplungen zulässt, sondern auch die der außerfilmischen Realität. Denn bei einer heutigen Sichtung kommt man wohl kaum mehr umhin, in dem übergriffigen Produzenten des Filmes-im-Film, jenen der tatsächlichen "Scream"-Reihe zu erkennen.

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                                    • kyro1 12.01.2021, 20:54 Geändert 12.01.2021, 21:05

                                      MAKE THE LAST WISH (2009) - 6.0 Punkte

                                      Es war in der Tat passend diesen unbekannten Film Sonos (wer hätte erwartet, dass hierfür tatsächlich noch englische Untertitel erscheinen), kurze Zeit nach seinem 2020er "Red Post on Escher Street" zu sehen. Nimmt dieser doch ebenfalls das Thema des Castings als filmischen Ausgangspunkt und endet auf den Straßen Shibuyas. Es unterstützt wunderbar meine These von Sonos Rückschau auf "frühere" (prä-2010er) Werke, samt derer Neuerfindung. Im Gegensatz zur überladenen Re­ka­pi­tu­la­ti­on seines Stoffes in "The Forest of Love", macht es doch wirklich Spaß diese dezenten Wiederholungen und Dopplungen in seinem Werk zu entdecken. So darf in "Make the Last Wish" schließlich ein junger Mann mit Kamera namens Shiro nicht fehlen, der davon träumt, eines Tages ein berühmter Regisseur zu werden. Und auch der pseudo-dokumentarische Stil erinnert an seine ganz frühen Filme.

                                      Ansonsten dreht sich hier ausnahmsweise nicht alles ums Filmemachen, sondern um Gesang, um einen Wettbewerb, bei der die Gewinnerin mit Avril Lavigne auf der Bühne stehen darf. Inhaltlich entpuppt sich der Film natürlich als ein Kind seiner Zeit, schneidet vielleicht das eine oder andere interessante Thema an, ist insgesamt aber kaum gelungen. Wahrscheinlich eine schnell abgedrehte Auftragsarbeit, erstaunlicherweise jedoch mit Hikari Mitsushima in der (doppelten) Hauptrolle und Sakura Ando in einer Nebenrolle - ob man hier den Erfolg von "Love Exposure" ausnutzen wollte? Erstere ist es dann auch, die den Film vor einer Vollkatastrophe bewahrt. Die, auf einen Manga zurückzuführende, übernatürliche Geschichte driftet nämlich wirklich gerne ins Lächerliche ab. Insgesamt wohl nur für Sono-Komplettisten und/oder Avril Lavigne/Hikari Mitsushima-Fans von Interesse.

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                                      • Nette Auswahl! Die wenigen, die ich davon gesehen habe, finde ich nahezu alle großartig. Ich versuch es auch mal mit einer Liste. Ob ich dann tatsächlich zum Schauen komme, steht aber noch in den Sternen...

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                                        • kyro1 02.01.2021, 14:12 Geändert 02.01.2021, 16:15

                                          Obwohl das hier nicht so astrein funktioniert hat und ich die Liste nun nicht einmal mehr vervollständigt habe, möchte ich, um es abzuschließen, auch hier eine kurze Zusammenfassung machen. Laut Goodreads komme ich auf 82 Bücher (darunter befinden sich aber ebenso kürzeste Texte), wobei die durchschnittliche Buchlänge sich auf 111 Seiten beläuft (Angabe stimmt nicht genau, aufgrund unterschiedlicher Ausgaben etc.) - hört sich also nach weit mehr an, als es tatsächlich ist.

                                          Häufigste Autoren:

                                          Franz Kafka (8), E. T. A. Hoffmann (5), Georges Bataille (4), Arno Schmidt (4), E. A. Poe (4), H. P. Lovecraft (4), Yoshiharu Tsuge (3), Adrian Tomine (3), Arthur Rimbaud (2), Johann Wolfgang von Goethe (2), Herman Melville (2), Arthur Schnitzler (2), Hermes Trismegistus (2)

                                          Meine Favoriten (lose sortiert):

                                          1. Madame Edwarda / Das Unmögliche / Der Tote / Die Geschichte des Auges (Georges Bataille)
                                          2. Erzählungen (Franz Kafka)
                                          3. Fiktionen (Jorge Luis Borges)
                                          4. Die Elixiere des Teufels (E. T. A. Hoffmann)
                                          5. Aurelia oder Der Traum und das Leben (Gérard de Nerval)
                                          6. Das Märchen (Johann Wolfgang von Goethe)
                                          7. Mario und der Zauberer (Thomas Mann)
                                          8. Tina oder über die Unsterblichkeit / Seelandschaft Mit Pocahontas (Arno Schmidt)
                                          9. Illuminationen (Arthur Rimbaud)
                                          10. Das Herz ist ein einsamer Jäger (Carson McCullers)
                                          11. Der nutzlose Mann / Rote Blüten (Yoshiharu Tsuge)
                                          12. Frankenstein (Mary Shelley)
                                          13. Farm der Tiere (George Orwell)
                                          14. The Tell-Tale Heart (E. A. Poe)
                                          15. Cover to Cover (Michael Snow)
                                          16. Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen (Peter Bichsel)
                                          17. Daphnis und Chloe (Longus)
                                          18. Venus in the Blind Spot (Junji Ito)
                                          19. The Strange Tale of Panorama Island (Suehiro Maruo)
                                          20. Amy & Jordan (Mark Beyer)
                                          21. The Loneliness of the Long-Distance Cartoonist (Adrian Tomine)
                                          22. Moby-Dick; oder: Der Wal / Bartleby der Schreiber (Herman Melville)
                                          23. Ein Porträt des Künstlers als junger Mann (James Joyce)
                                          24. Hymnen an die Nacht (Novalis)
                                          25. A Body Beneath (Michael DeForge)
                                          26. Wendekreis des Krebses (Henry Miller)
                                          27. Junky (William S. Burroughs)
                                          28. Die verborgenen Früchte (Anaïs Nin)

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                                          • Wie schon die letzten Jahre, gibt es hier einen kleinen Rückblick. Inzwischen nicht nur um die fehlenden Kurz-, sondern auch um die nicht mehr anlegbaren Spielfilme ergänzt... So komme ich auf 425 Filme - wie 2019 handelt es sich aber bei ca. 2/3 hiervon um Kurzfilme. Und lediglich 20 der Filme habe ich nicht zum ersten Mal gesehen.

                                            Überraschenderweise war, wie schon im Vorjahr, jede Dekade vertreten und wieder lag der Schwerpunkt auf der gerade vergangenen:

                                            1880er: 1 "Film", 1890er: 3 Filme, 1900er: 3 Filme, 1910er: 2 Filme, 1920er: 1 Film, 1930er: 3 Filme, 1940er: 1 Film, 1950er: 4 Filme, 1960er: 36 Filme, 1970er: 38 Filme, 1980er: 43 Filme, 1990er: 36 Filme, 2000er: 93 Filme, 2010er: 135 Filme, 2020er: 23 Filme

                                            Häufigste Produktionsländer:

                                            USA: 117 Filme, Japan: 69 Filme, Frankreich: 29 Filme, Deutschland: 27 Filme, Österreich: 12 Filme, Italien: 10 Filme, Taiwan: 7 Filme, Südkorea: 6 Filme, Thailand: 4 Filme

                                            Häufigste Filmemacher*innen:

                                            Stan Brakhage (30), Phil Solomon (10), Takashi Miike (7), Paul Sharits (7), Takashi Makino (6), Kiyoshi Kurosawa (5), Rainer Kohlberger (5), Esther Urlus (5), Kurt Kren (5), Siegfried A. Fruhauf (5), Antonia Kuo (5), Nazli Dinçel (5), Blanca García (5), Stephen Broomer (5), Jess Franco (3), Stom Sogo (4), Mario Bava (4), Tony Scott (4), David Lynch (3), Ryuichi Hiroki (3), Jodie Mack (3), Lucio Fulci (3), Jürgen Reble (3), Alexander Larose (3), Jennifer West (3), Rose Lowder (3), Steven Woloshen (3)

                                            Liebste Erstsichtungen (Spielfilme):

                                            1. Heaven’s Story (Zeze, 2010)
                                            2. Das Turiner Pferd (Tarr, 2011)
                                            3. Marketa Lazarová (Vláčil, 1967)
                                            4. Green Snake (Hark, 1993)
                                            5. The Woman Who Ran (Hong, 2020)
                                            6. Marnie (Hitchcock, 1964)
                                            7. The Holy Mountain (Jodorowsky, 1973)
                                            8. Déjà Vu (Scott, 2006)
                                            9. Histoire de Marie et Julien (Rivette, 2003)
                                            10. Gushing Prayer (Adachi, 1971)
                                            11. Seventh Code (Kurosawa, 2013)
                                            12. Man on Fire (Scott, 2004)
                                            13. Tränen auf heißem Sand (Bengal, 1974)
                                            14. Days (Tsai, 2020)
                                            15. Ms. 45 (Ferrara, 1981)

                                            Liebste Erstsichtungen (Kurzfilme):

                                            1. I Take These Thruths (Brakhage, 1995)
                                            2. The Secret Garden (Solomon, 1988)
                                            3. Still in Cosmos (Makino, 2009)
                                            4. Not Even Nothing Can Be Free of Ghosts (Kohlberger, 2016)
                                            5. Remains to Be Seen (Solomon, 1989) / The Exquisite Hour (Solomon, 1989) / Psalm II: Walking Distance (Solomon, 1999)
                                            6. The Flicker (Conrad, 1966)
                                            7. Guided by Voices (Sogo, 2000) / Take This Tablet (Sogo, 2004) / Repeat (Sogo, 2006)
                                            8. Wolkenschatten (Dornieden/Monroy, 2014)
                                            9. Thorax (Fruhauf, 2019)
                                            10. Engram of Returning (Saïto, 2015)

                                            Bisherige Favoriten aus dem Produktionsjahr 2020:

                                            1. The Woman Who Ran (Hong)
                                            2. Days (Tsai)
                                            3. Red Post on Escher Street (Sono)
                                            4. Genus Pan (Diaz)
                                            5. Untitled (Makino)
                                            6. There must be some kind of way out of here (Kohlberger)
                                            7. Gradations I-II (Tachick)
                                            8. The Day of Destruction (Toyoda)
                                            9. Standing Forward Full (Peoples)
                                            10. Himala: Isang Diyalektika ng Ating Panahon (Diaz)

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                                            • kyro1 05.11.2020, 15:43 Geändert 05.11.2020, 15:46

                                              RED POST ON ESCHER STREET (2020) - 8.5 Punkte

                                              In "The Forest of Love" hat Shion Sono - nach meinem Empfinden unheimlich ermüdend - sein ganzes vorangegangenes Repertoire dem Netflix-Publikum noch einmal zum Besten gegeben, noch einmal seine einschlägigen Themen und Motive durchgekaut, beinahe ganze Szenen wiederholt. Es war die überladene Quintessenz der letzten Jahre, in denen Sono unzählige Filme in kürzester Zeit abdrehte, der Künstler in ihm jedoch auf der Strecke blieb, bis er sich schließlich an Amazon und Netflix verkaufte. Kaum zu wundern - wenn auch wunderbar sinnbildlich - ist es dann doch, dass er im Erscheinungsjahr von "The Forest of Love" einen Herzinfarkt erlitt.

                                              Mit seinem jüngsten Film "Red Post on Escher Street" erscheint Sono nun beinahe umgepolt, als hätte er seine Art des Filmemachens neu erfunden, dabei jedoch den Blick auf seine frühen Schaffensjahre bewahrt. Und wie könnte er das besser darbieten, als in einem erneuten Film übers Filmemachen. Eine Thematik, die ihn zwar auch in den letzten Jahren so manch einmal umtrieben hat (vor allem der großartige "Anti-Porno" ist hier zu nennen), die ihn aber ebenso zu seinen ersten filmischen Gehversuchen zurückführt. Jene frühen Filme, die von einer unglaublichen Freiheit bestimmt waren.

                                              "Red Post on Escher Street" handelt von einem Vorsprechen für das neueste Werk des fiktiven Filmemachers Kobayashi, ein scheinbar berühmter Regisseur, folglich Sonos Alter Ego. Dieser sieht sich in den Zwängen des japanischen Studiosystems gefangen und spricht aus, was sich auch Sono zu denken scheint: "I want to start from zero. To regain the passion I had when I first started." Doch trotz der tiefgreifenden persönlichen Note, stellt Sono vor allem auch die am Filmset beteiligten Individuen in den Mittelpunkt, beleuchtet diese aus verschiedenen Perspektiven, und macht schließlich unerfahrene Statisten zu den eigentlichen Stars. Kobayashis Casting richtet sich an Amateure, während die Besetzung des Films selbst hauptsächlich aus solchen besteht.

                                              Wie in seinen frühen Filmen wird schließlich auch hier schreiend durch die Straßen gerannt, sich von Zwängen losgesagt und das Medium als Symbol der Freiheit und Unabhängigkeit verstanden. Am Ende befinden sich die zwei Protagonistinnen - wenn auch bloß inszeniert(?), in Sonos alter Guerilla-Filmer-Manier - mitten auf den Straßen von Shibuya und sprechen sich in den Menschenmassen ebenfalls für Freiheit aus ("Are you happy being faceless extras?"), bis sie samt Kameramann vor der Polizei davonlaufen müssen.

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                                              • Interessant! Da mach ich doch glatt auch mal eine Liste ;-)

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                                                • 9 .5
                                                  kyro1 10.06.2020, 16:33 Geändert 10.06.2020, 19:00
                                                  über Pulse

                                                  Kiyoshi Kurosawas "Pulse" handelt vom Verschwinden und vom Wiederkehren, von Geistern und den Technologien, die sie hervorbringen - sowie der über alldem schwebenden Einsamkeit. Denn nicht nur Menschen sind einsam, Geister sind es auch. Eine Protagonistin stellt entsprechend fest, dass beide sich gar nicht unähnlich sind. Und so werden die Grenzen von Leben und Tod im Film aufgehoben. Das Geisterhafte ist allgegenwärtig, jede Einstellung erscheint gespenstisch.

                                                  Eine stetige Angst vor dem vollständigen Verlust des Zwischenmenschlichen umtreibt die Menschen. Als eine potentielle Ausflucht dient hier selbstverständlich das Internet. Doch sind es primär nicht dessen gesellschaftlichen Gefahren, die Kurosawa interessieren, es dient vielmehr als Bildermedium - einer Einspeisung digitaler Bilder in den analogen Raum - und somit als mediale Schnittstelle zur Geisterwelt. Die Materialität des Analogen wird von der Immaterialität des Digitalen heimgesucht und umgekehrt. Das Gespenstische steckt, wie so oft, in der Maschine. Der Film schreibt sich also in den historischen Diskurs spiritistischer Bildmedien ein, dem Kurosawa zuletzt in "Daguerreotype" seinen Tribut zollte. Jedoch mit dem deutlichen Unterschied, dass die Untoten kaum eine Manifestation von Traumata und Erinnerungen darstellen: In einer entfremdeten Welt wird das Individuum austauschbar, gar gegen Geister, zu groß ist die Angst vor Verlust und Einsamkeit.

                                                  Um die filmische Realität zu durchbrechen, implementiert Kurosawa Bildschirme, die eine Ununterscheidbarkeit von Fiktivem und Realem bedingen. So gelingt es ihm, sich über Zeitebenen hinwegzusetzen, Vergangenheit und Gegenwart zusammenzuführen. In einem diegetischen Fernsehapparat läuft eine Nachrichtensendung, doch das Bild ist geteilt: das Studio bleibt auch im oberen Teil intakt, während der Kopf des Sprechers an jener Stelle abgeschnitten ist - folglich müssen es Aufnahmen zweier verschiedener Zeitabschnitte sein. Auf Computerbildschirmen sind wiederum scheinbare Geister zu sehen, beinahe unbewegliche Silhouetten, gleichzeitig tot und lebendig. In einer der unheimlichsten Szenen - auch im Sinne des Unheimlichen Freuds - wird eine Protagonistin auf einem solchen Monitor mit ihrer Doppelgängerin konfrontiert. Sie sieht sich selbst, eine entsprechende Kamera existiert jedoch nicht. Die folglich kameralosen Bilder erinnern an Michael Hanekes ebenso geisterhaften "Caché". Wie diesem, ist es auch Kurosawa stets ein Anliegen mit Genrekonventionen und etablierter Filmsprache zu brechen. Neben statischen Bildern, nutzt er desorientierende Kamerabewegungen und -einstellungen. Mitunter sind seine Aufnahmen menschenleer - und doch voll von Geistern. Demnach kann auch ein Schuss-Gegenschuss im Leeren enden und nur noch ein schwarzer Fleck, anstatt des Gegenübers, an der Wand zurückbleiben. Schließlich ist auch die digitale Durchdringung des analogen Bildes in diesem Sinne zu verstehen, deren beider Geisterhaftigkeit Kurosawa erkundet.

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                                                  • Zur Feier des philippinischen Unabhängigkeitstages am 12. Juni wird "A Lullaby To The Sorrowful Mystery" das komplette nächste Wochenende kostenlos auf dem YouTube-Kanal von TEN17P (https://www.youtube.com/channel/UCktn5swekcCIwKzVdzscEaQ) verfügbar sein!

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