1975 - Die Erfindung des Blockbusters

11.10.2011 - 08:50 Uhr
Der Weiße Hai gilt als der erste Blockbuster
Universal Pictures / moviepilot
Der Weiße Hai gilt als der erste Blockbuster
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In unserer Rubrik Markante Momente lassen wir einflussreiche Geschehnisse der Filmwelt Revue passieren. Heute schauen wir auf den Beginn der Blockbuster-Ära, als dessen Anfang gemeinhin Der Weiße Hai von Steven Spielberg gilt.

„Wir werden ein größeres Boot brauchen“, stellte Roy Scheider beunruhigt fest, als er dem furchteinflößenden Raubfisch mit dem berühmtesten Kiefer der Filmgeschichte gerade noch einmal durch eine schnelle Bewegung entwischen konnte. Die Zeile war eigentlich nur vom Schauspieler improvisiert und doch wurde sie zur Filmzitatlegende. Genau wie der Film eine Legende wurde, aus dem sie stammt. Der weiße Hai von Steven Spielberg kam 1975 in die Kinos und läutete die Ära der Blockbuster ein.

Wenn Visionäre investieren
„Wir werden ein größeres Boot brauchen“, das dachte sich wohl im übertragenen Sinne auch Steven Spielberg, als er mit den Planungen zu Der weiße Hai begann. Sieben Millionen Dollar standen dem Regisseur zur Verfügung, der bis zu diesem Zeitpunkt schon durch diverse Fernsehproduktionen und den Film Sugarland Express auf sich aufmerksam gemacht hatte. Einen Mammutanteil des Budgets steckte der Visionär in den Bau dreier imposanter Hai-Modelle, die bei ihrem ersten Einsatz prompt im Wasser versanken. Bei all der Geschäftigkeit war es ja auch eine schnöde Nebensächlichkeit, die Modelle auf ihre Schwimmtauglichkeit zu testen. 52 Drehtage waren für Der weiße Hai angesetzt, Steven Spielberg erhöhte mal eben auf 155.

Was klingt wie der chaotische Versuch eines Anfängers, einen überambitionierten Film auf die Beine zu stellen, war im Grunde auch genau das. Doch entgegen allen Erwartungen verhob sich der Regisseur nicht an den kiloschweren Hai-Modellen. Er startete am 20. Juni 1975 in den Kinos der Vereinigten Staaten und spielte schon am Startwochenende seine Kosten wieder ein. Insgesamt kam Der weiße Hai weltweit auf Einnahmen von stattlichen 470 Millionen Dollar und blieb so bis zur zwei Jahre später folgenden Krieg der Sterne -Manie der bislang kommerziell erfolgreichste Film.

Das große Boot nimmt Fahrt auf
Doch wieso konnte der Film eines bis dato eher durchschnittlich populären Regisseurs derart einschlagen? Lag es wirklich an den Haiattacken, die Jahrzehnte zuvor Peter Benchley zu der Romanvorlage animierten? Wohl eher nicht. Eher hatten die Verantwortlichen um Steven Spielberg den Ruf nach dem größeren Boot ernst genommen. So startete eine Werbekampagne von bislang nicht dagewesenen Ausmaßen. Universal zeigte sich von den Resultaten so begeistert, dass das Studio im Fernsehen eine Werbekampagne schaltete, die es sich stolze 700.000 Dollar kosten ließ. Aufgrund der hohen Nachfrage startete Der weiße Hai schließlich in 490 Kinos gleichzeitig, was neue Standards für alle folgenden Hollywood-Filme setzte.

Nachträglich bezeichnen wir den Tierhorrorstreifen von Steven Spielberg als den ersten Sommer-Blockbuster. Einen Film also, der durch eine gezielte Marketingstrategie fast automatisch zum Gesprächsstoff wurde, was die Besucherzahlen gehörig ankurbelte. Beinahe gleiche Teile des Budgets fließen bei Blockbustern in Produktion und Vermarktung und aufgrund ihrer Popularität verhindern sie anschließend wochenlang den Programmwechsel in den Kinos. Schon vor 1975 blieben Filme oft lange im Programm, jedoch waren sie nie zuvor so schlagartig dort aufgetaucht. Plötzlich reichten die Menschenschlangen vor den Kinokassen um einen ganzen Häuserblock und prägten so den Begriff des Blockbusters mit, der sich auf die Bomben des zweiten Weltkrieges bezog, die ebenfalls in der Lage waren, ganze Häuserblocks leerzufegen.

Große Fische im kleinen Teich
Infolge von Der weiße Hai entwickelten Menschen auf der ganzen Welt Angst und Hass auf den großen Raubfisch und befeuerten seine fortschreitende Ausrottung. Abgesehen davon übte er aber auch großen Einfluss auf den Fortlauf der Filmgeschichte aus. So besiegelte er endgültig die kurze Phase der künstlerischen Bedeutsamkeit des amerikanischen Films. New Hollywood war Jahre zuvor durch Filme wie Easy Rider von Dennis Hopper eingeläutet worden und hatte das klassische Hollywood von Grund auf modernisiert. Plötzlich durften Sex und Gewalt deutlich dargestellt werden, Protagonisten wandelten sich vom Helden zum ambivalenten Außenseiter, es wurde auf das Happy End verzichtet, mit traditionellen Erzählweisen gebrochen und Experimente gewagt. Schauspieler wie Jack Nicholson waren die neuen Stars am Himmel über Hollywood. Für finanzielle Höhenflüge sorgten die oft schwer verdaulichen Streifen aber nicht, eine neue Strategie musste also her.

Was folgte, diente wieder vermehrt der seichten Unterhaltung, denn Der weiße Hai war nur ein Anfang. George Lucas nahm mit seiner Krieg der Sterne -Reihe Fahrt auf, die Fortsetzungen von Der Pate von Francis Ford Coppola sahnten Preise ab und auch Steven Spielberg höchstselbst hatte sich erst einen Grundstein für seine Karriere gelegt. Blockbuster wie E.T. – Der Außerirdische, Indiana Jones und der Tempel des Todes und Jurassic Park sollten folgen und das Kino der Achtziger und Neunziger maßgeblich prägen.

Ein eigener Hai für die Sammlung
Auch heute sind Blockbuster aus der Kinolandschaft nicht wegzudenken. Im Zuge ihrer Vermarktung haben sie das Product-Placement für sich entdeckt und werden auch deshalb immer wieder für ihre Konzentration auf Kommerz kritisiert. Auch von Der weiße Hai gibt es Tassen, Gürtelschnallen, T-Shirts und Radiergummis käuflich zu erwerben. Tatsächlich lässt die starke Fixierung auf Merchandise nur wenig Raum für Innovationen in punkto Besetzung und Plot. So haben die Studios im Laufe der letzten Jahre nicht nur ein wahre Goldgrube in endlosen Franchises, Remakes und Reboots, sondern auch in der wiederauferstandenen 3D-Technik entdeckt. So gab es beispielsweise im Blockbuster-Sommer 2011 ein Wiedersehen mit den Superhelden Thor und Captain America – The First Avenger, mit Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten kam bereits der vierte Teil der Piraten-Saga auf die Leinwand und auch Harry Potter und die Heiligtümer des Todes 2 und Transformers 3 reihen sich ein in die lange Liste der Fortsetzungen. Wir können über Blockbuster also sagen, was wir wollen – sie funktionieren, und das mittlerweile über Jahrzehnte hinweg. Lieber Herr Spielberg, die Größe des Bootes war wohl genau richtig bemessen.

Was die Menschheit sonst noch im (Film)Jahr 1975 bewegte:

Drei Filmleute, die geboren sind
22. Februar 1975 – Drew Barrymore, das Mädchen aus E.T. – Der Außerirdische
04. Juni 1975 – Angelina Jolie, fleischgewordener Männertraum und Frau von Brad Pitt
05. Oktober 1975 – Kate Winslet, überlebte die Titanic

Drei Filmleute, die gestorben sind
14. April 1975 – Fredric March, Dr. Henry Jekyll aus Dr. Jekyll und Mr. Hyde
02. November 1975 – Pier Paolo Pasolini, Regisseur von Die 120 Tage von Sodom (Mord)
09. Dezember 1975 – William A. Wellman, Regisseur von Der öffentliche Feind

Die großen Festival- und Award-Sieger waren unter anderem
Oscar – Der Pate 2 von Francis Ford Coppola (Bester Film, Regisseur, Nebendarsteller, Musik,…)
Goldene Palme – Chronik der Jahre der Glut von Mohamed Lakhdar-Hamina
Goldener Bär – Overlord von Stuart Cooper

Drei Ereignisse der deutschen Filmwelt
09. Mai 1975 – Werner Herzog wird in Cannes für Kaspar Hauser – Jeder für sich und Gott gegen alle ausgezeichnet
01. Oktober – 20-jähriges Jubiläum des staatlichen Filmarchivs der DDR
10. Oktober 1975 – Die Verlorene Ehre der Katharina Blum von Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta feiert Premiere

Drei wichtige Ereignisse der Nicht-Filmwelt
01. Januar 1975 – Das Internationale Jahr der Frau beginnt
04. April 1975 – Microsoft wird von Bill Gates und Paul Allen gegründet
30. April 1975 – Mit der Besetzung Saigons durch Vietcong-Truppen endet der Vietnamkrieg

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