Wer Jurassic Park nach 30 Jahren wirklich verstehen will, muss diesen teils richtig unangenehmen Film schauen

25.02.2023 - 10:30 UhrVor 11 Monaten aktualisiert
Jurassic Park
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Vor 30 Jahren kam Jurassic Park ins Kino und machte die Blockbuster-Konkurrenz platt. Nun hat dessen Regisseur Steven Spielberg einen Film gedreht, der die Dino-Action in einem neuen Licht erscheinen lässt.

Die Wasseroberfläche pulsiert. Dann erhebt sich die Urzeitbestie im Mondlicht. Die Katastrophe, in deren Verlauf ein Anwalt halbiert, zwei Entwickler zerfetzt und ein Großwildjäger verputzt werden, hat begonnen. Und Steven Spielberg kann nicht anders, als uns kopfüber hineinzustoßen in den Fressnapf hungriger Dinosaurier. Die Rede ist von Jurassic Park, der vor 30 Jahren Rekorde an den Kassen brach und das Effekte-Kino Hollywoods revolutionierte.

Bei der Berlinale erhielt der Regisseur den Ehrenbären und sein neuer Film Die Fabelmans wurde gezeigt. Dieser erzählt eine Art Origin Story, wie aus dem Privatmenschen zwar kein Superheld, aber zumindest der Filmemacher Steven Spielberg wurde.

Die Fabelmans erklärt mit zwei Katastrophen Spielbergs Weg zum Film

Jurassic Park ist ein Katastrophenfilm mit Monster-Einschlag. In anderen Filmen des Genres stürzen Flugzeuge ab, brennen Hochhäuser oder sinken Schiffe. Der Mensch, der dies alles bauen kann, wird auf sein korrektes Maß zurechtgestutzt. So ergeht es Park-Besitzer John Hammond, als die Bestien über seinen gottgleichen Traum hinweg trampeln.

Im knapp 30 Jahre später entstandenen Die Fabelmans ist die tonangebende Katastrophe privater Natur, verarbeitet der Film doch die Scheidung von Steven Spielbergs Eltern in fiktionalem Gewand. Am Anfang steht allerdings auch eine Katastrophe der Technik, nur keine echte. Der kleine Sammy Fabelman (Mateo Zoryan Francis-DeFord) darf zum ersten Mal mit seinen Eltern ins Kino.

Der Trailer für Die Fabelmans:

Die Fabelmans - Trailer 2 (Deutsch) HD
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Wir schreiben das Jahr 1952, Familie Fabelman aus New Jersey wählt Cecil B. DeMilles Die größte Schau der Welt aus, eine überladene Großproduktion über einen Zirkus, ein Liebes-Dreieck, einen Serienkiller-Clown – unter anderem. Jedenfalls führt diese Story irgendwann zu einem monumentalen Unfall, als ein Zug erst mit einem Auto, dann mit einem anderen Zug kollidiert.

Der kleine Sammy starrt mit aufgerissenen Augen die Leinwand an. Von nun an rauscht der Zug durch seine Gedanken und entgleist in seinen Träumen. Sammy muss es noch einmal erleben. Er wünscht sich einen Spielzeug-Zug zu Chanukka und rekreiert die Szene mit der 8mm-Kamera seines Vaters. Er entdeckt den Film für sich.

Jahre später treffen wir Sammy (Gabriel LaBelle) wieder, als engagierter Amateur dreht er Western mit seinen Pfadfinder-Kumpanen. Vater Burt (Paul Dano), ein Computer-Spezialist, hält nicht viel vom Hobby des Sohnes, Mutter Mitzi (Michelle Williams), früher eine Klavierspielerin, unterstützt ihn, wo sie kann. Jetzt nimmt die Zweite, die schwerwiegendere Katastrophe ihren Lauf, denn Sammy findet bei der Sichtung eines Urlaubsfilms heraus, dass seine Mutter eine Affäre mit Burts bestem Freund (Seth Rogen) hat. Frame für Frame nähert sich der neugierige Sammy der auf Zelluloid gebannten Wahrheit. Wegsehen unmöglich. Hinsehen kaum zumutbar.

Die Fabelmans ist auch eine Origin Story für Jurassic Park, E.T., Minority Report und viele mehr

Viele Spielberg-Blockbuster enthalten die Fabelman-DNA. Manchmal, wie in Unheimliche Begegnung der dritten Art, E.T. - Der Außerirdische, A.I. - Künstliche Intelligenz, Minority Report oder Krieg der Welten steht die zerbrochene Familie im Vordergrund der Handlung.

Andere Spielberg-Blockbuster verarbeiten die autobiografischen Elemente mit einem leichteren Händchen. Das streitende Vater-Sohn-Pärchen aus Indiana Jones und der letzte Kreuzzug ähnelt beispielsweise der Dynamik von Burt und Sammy Fabelman.

Jurassic Park aber ist eines der besten Beispiele dafür, wie selbst in extrem kommerzialisierten Film-Erzählungen Spielbergs Obsessionen durchblitzen.

Die Fabelmans

Das Dino-Spektakel begafft in einer Szene sein eigenes Merchandise und heilt in einer anderen die Spielberg-Familie. Paläontologe Alan Grant (Sam Neill) gehört nämlich zu den distanzierten Vater-Figuren, die sich im Werk des Regisseurs tummeln. Er spielt einem Jungen vor, seinen Leib mit einer Raptoren-Kralle aufzuschlitzen, reagiert genervt auf einen Dino-Nerd und kann sich Vatersein überhaupt nicht vorstellen. Das Versagen des Parks bringt die Kinder Tim und Lex in seine Obhut, weshalb er seine Haltung revidieren muss. Im Buch von Michael Crichton passiert das nicht.

Nach Die Fabelmans erhalten die letzten Bilder von Jurassic Park eine neue Tiefe. Tim und Lex schlafen in den Armen von Alan Grant, der zufrieden lächelt. Das kann man naiv und kitschig nennen. Nun schaut man auf dieses Bild aber mit den Augen eines Mannes, der eine der schmerzlichsten Erfahrungen seines Lebens mit der Macht des Films zurechtrückt.

Mehr von der Berlinale:

Man sieht in Jurassic Park den jungen Sammy, der den Spielzeug-Zug bis zur Zufriedenheit entgleisen lässt. Man sieht im Anblick der animatronischen Dinosaurier Sammy, der ohne Budget einen Kriegsfilm dreht und mit cleveren Tricks Kugel- und Granat-Einschläge suggeriert. Man sieht im CGI-Einsatz den Erfindungsgeist des Vaters und im gruseligen Schattenspiel nächtlicher Attacken die Kreativität der Mutter.

Die Fabelmans

Die Geschichte von Spielbergs Eltern wurde nicht erst durch Die Fabelmans bekannt, aber keine Biografie der Welt kann einen so unvermittelt in die Psyche des Regisseurs eindringen lassen wie sein eigener Film.

Warum Die Fabelmans ein zutiefst unangenehmer Film sein kann

Mit Die Fabelmans hat Spielberg jedoch nicht sein Cinema Paradiso oder Belfast gedreht, also eine idealistische Verklärung des Kinos. Dafür gerät die autobiografische Fiktion zu sperrig. Für mich als Spielberg-Fan seit ich denken kann, fühlte sich dieser Film wie eine Therapie-Sitzung mit meinem Helden an. Unangenehm intim, mit einem Hang zum Oversharing.

Das liegt sicher auch daran, dass diese Nähe zum Autor für Spielberg-Filme nicht gerade charakteristisch ist, anders als etwa bei einem Federico Fellini (Achteinhalb), François Truffaut (Sie küßten und sie schlugen ihn) oder jüngst Noah Baumbach (Marriage Story) und James Gray (Zeiten des Umbruchs).

Die ungewöhnliche Performance von Michelle Williams trägt einen großen Anteil bei zu diesem Gefühl. Williams spielt die von ihrer Ehe eingeengte Mitzi mit einer maskenhaften Exaltiertheit, keine schauspielerische Note ist ihr zu schrill. Daran kann man sich stören, ich empfand es jedoch als konsequente Reaktion auf Paul Danos verstockten Burt. Wie rückhaltlos diese beide Filmfiguren mit ihren Fehlern gezeigt werden, berührt und verstört. Wie in Jurassic Park, E.T., Unheimliche Begegnung der dritten Art und vielen, vielen anderen Filmen schauen wir jemandem dabei zu, wie er nach Verständnis für seine Eltern sucht. In Die Fabelmans findet er es.

Die Fabelmans startet am 9. März in den deutschen Kinos.

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