Apollyon - Kommentare

Alle Kommentare von Apollyon

  • 10

    Es ist stockfinster, nur Schnarchen zu hören, ein Mann erwacht, steht aus dem Bett auf und rumpelt desorientiert durch die Nacht. Plätschern. Als eine Frau dadurch geweckt wird, folgt sie ihm, ruft ihn „Logan.“ Sie schaltet das Licht ein. Wir sehen einen vollgepissten Teppich. Die Frau begleitet den betagten und schwerfälligen Mann mit tröstenden Worten zurück ins Schlafzimmer.

    Wir wurden soeben hinters Licht geführt: Was wir durch diesen intimen Einblick über die beiden Menschen zu wissen meinen, ist nicht falsch, aber irreführend. Ein verfilmter Artikel der Klatschjournaille, der unsere Neugier befriedigt, weil wir die falschen Fragen stellen.

    Logan Roy besitzt ein gewaltiges Unternehmen, ist unglaublich reich und feiert bald seinen achtzigsten Geburtstag. Er ist außerdem eine Bestie. Alles, was er besitzt, hat er sich selbst erkämpft und jedes Quäntchen Macht, jede Milliarde verteidigt er ruchlos – gegenüber anderen Unternehmen, gegenüber Behörden und gegenüber drei seiner Kinder. Die sind auf dem Papier erwachsen, aber charakterlich in der Pubertät hängengeblieben, vulgär und sozial unbeholfen. Dennoch eint sie der Wunsch, das Erbe ihres Vaters anzutreten, auf das sie meinen, durch ihr Geburtsrecht Anspruch zu haben.

    Kendall ist zu Beginn der Auserwählte – wir lernen ihn gleich nach der Eingangssequenz und konträr zu Logan als äußerst motivierten Anzugträger kennen, der sich in einer S-Klasse zu pumpenden Rap-Beats in den Hauptsitz des Unternehmens chauffieren lässt. Dort soll er einen Deal einfädeln, versaut es durch seine Unerfahrenheit aber gründlich.

    Und so beginnt das Drama um Logans Nachfolge, das hier für ein paar Klicks wiederholt als „das bessere Game of Thrones“ betitelt wird. Ich glaube, die meisten Game of Thrones-Fans werden bitter enttäuscht sein, wenn sie dem Glauben schenken. Dass es keine Drachen zu sehen gibt, ist dabei vielleicht weniger überraschend, allerdings passiert auch überraschend wenig. „Succession“ ist kein Epos, keine Welt der großen Gesten, in der man einen Stellvertreter finden möchte.

    Stattdessen ist Subtilität angesagt. Wir werden ohnehin von vielen abgenutzten Klötzern aus dem Serien-Baukasten verschont, wie Rückblenden für Küchenpsychologen, Erklärbär-Dialogen für Second-Screen-Junkies oder ausufernden, aber letztlich unbedeutenden Nebenhandlungen für notorische Zeittotschläger. Kurzum ein angenehm klischeefreies Kondensat, von dem langsam zu nippen sich wirklich lohnt.

    Die Serie zeigt uns im Wesentlichen Menschen, die an unterschiedlichen Orten miteinander reden und dabei nur in absoluten Ausnahmefällen das sagen, was sie denken oder meinen. Worte bedeuten hier nichts, sie dienen der Imagepflege, der Manipulation, der Bereicherung und dem Machtgewinn. Passenderweise fundieren Medienhäuser das Imperium von Logan Roy, Text und Bild sind für ihn der Schlüssel zur Macht, die bis zum Präsidenten der Vereinigten Staaten reicht.

    Illustriert wird diese als Komödie getarnte Tragödie mittels eines dokumentarischen Stils gleich einem imaginären Paparazzo; mit Wackelkamera und amateurhaft wirkenden Zooms, aber auch das ist lediglich Fassade. Tatsächlich ist jeder Schnitt und jeder Schwenk wohlüberlegt, manche Kompositionen schlicht wunderschön. Wir bekommen dadurch das Gefühl vermittelt, ein neutraler Beobachter zu sein und sind aufgefordert, jedes Detail zu entdecken.

    Darin liegt der Reiz der Serie: Das Offensichtliche ist meist amüsant, aber wenn wir uns nur darauf konzentrieren, verpassen wir das Wesentliche. Kurze Augenblicke, auch von Randfiguren, offenbaren manchmal mehr als Minuten der messerscharfen Dialoge. Das wirkliche Geschehen findet in dieser Serie aber jenseits des Wahrnehmbaren statt. Die Motivationen der Figuren sind die Quelle des eigentlich Komischen und zugleich Tragischen in der Serie, wenn wir diese ergründen. Scheinbar sind das Macht und Geld, was allein für genügend lustige Momente, Fremdscham eingeschlossen, sorgt, aber darunter sind viel elementarere Bestrebungen verborgen. Es geht um die zutiefst menschlichen Sehnsüchte nach Anerkennung und Liebe, die den Charakteren oft selbst nicht bewusst sind.

    Deshalb ist „Succession“ nur vordergründig eine Serie über das Leben von superreichen Unsympathen – das Setting ist eine Folie, eine gedankliche Spielwiese, auf der jede Figur durch ihren Reichtum tun und lassen kann, was sie will, also maximal frei ist. Niemand muss sich dort de facto um seine Zukunft sorgen oder gar ums Überleben kämpfen, dennoch machen die Beteiligten sich das Leben zur Hochglanz-Hölle. In den Fragen, die sich die Figuren stellen und den Irrwegen, die sie durchlaufen, spiegeln sich aber die Fragen und Irrwege aller Menschen wider und das zu beobachten ist anregend und auf mehreren Ebenen unterhaltsam.

    7
    • 0
      über Ophelia

      Die Geschichte der Ophelia zu erzählen ist eine hervorragende Idee, die unendlich viele interessante Möglichkeiten birgt. Keine davon wurde genutzt.

      Ich empfehle allen, denen etwas an der Tragödie liegt, einen großen Bogen um den Film zu machen. Herausgekommen ist Kitsch in seiner schlimmsten Form, nämlich mit einer Botschaft.

      Die Verfilmung des Stoffes aus Perspektive der Ghostbusters wäre vermutlich geistreicher geworden.

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        • ba-ba-ba-ba-baahh Es ist total komplex und cool. xD

          • 6

            Normalerweise mache ich einen großen Bogen um Filme, die sich „kontroversen“ Themen widmen UND überschwänglich gelobt werden. Namentlich Krieg, Rassismus, Geschlechteridentität, Rechtsextremismus und eben sexuelle Orientierung. Kontrovers steht in Anführungsstrichen, weil die Stoßrichtung meistens von vornherein klar ist und ich keine Predigt brauche, die dem Thema keine neue Perspektive abringt. Gerne wird in die Beurteilung der Qualität solcher Filme deren Aussage einbezogen; am Ende war ich oft enttäuscht. „Apocalypse Now“ habe ich deshalb lange vermieden, ein großer Fehler, wie ich im Nachhinein festgestellt habe.

            Also, mit frischem Mut und offenem Herzen auf zu neuen Ufern. Diesmal hat es sich nicht gelohnt; ich bin sogar ein wenig angewidert. Ich habe nämlich selten einen Film gesehen, der so unverhohlen auf sein Zielpublikum zugeschnitten ist. Schöne Menschen in einem Retro-Postkartensetting, die bildungsbürgerlich vor sich hin schwafeln. Das langweiligste Arkadien aller Zeiten, ein feuchter Hipster-Traumurlaub.

            Alles, was für Spannung hätte sorgen können, wurde konsequent weggelassen: Ambivalente Charaktere, die tiefgründige Dialoge führen, etwa. Stattdessen tragen sie Zitate vor. Oder eine stürmische Beziehung in leuchtenden Farben. Man hat sich für Pastelltöne entschieden. Selbst die Annäherung der beiden aneinander gleicht einem verblassten Abziehbild: Der scheinbar selbstbewusste, sich rar machende Aktive muss den musikalisch begabten, selbstunsicheren Passiven zwangsläufig in seinen Bann ziehen. So funktionieren die fadesten Teenieromanzen.
            Die einprägsamste Szene des Films ist sicherlich jene, in der Elio die Geduld verliert und eine Aprikose begattet. Man denkt sofort an American Pie, aber auch an das ähnliche Whatsapp-Emoji und schon sind wir auf einer heißen Spur. Die zaghaft aufblühende Liebe vor den Zeiten des Internets also. Mit Intimität und handgeschriebenen Zettelchen, heimlichen Treffen am Wasser und bei Nacht. Wenn alles nicht kitschig-künstlich wäre, würde ich das dem Film sogar abnehmen. Nein, hier wird im progressiven Mäntelchen gnadenlos romantisierende Rückwärtsgewandtheit bedient, wie sie mir mittlerweile wirklich zum Hals raushängt.

            Oder ist das alles camp und wir sollen darüber lachen? Ich bin mir da nicht sicher, aber auch nicht aus Stein. Der Schluss ist wirklich schön und insgesamt fand ich den Film nicht so grottig, wie es vielleicht klingt. Nur ein bisschen leer und wohlfeil. Eine Aubergine wäre witziger gewesen, aber bitte ohne etymologische Erörterungen im Vorfeld.

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            • Ich schaue Filme prinzipiell in der chinesischen Synchronfassung mit japanischen Untertiteln, alles andere ist mir zu plöht. Ne, bei der Erstsichtung bin ich meistens gut damit ausgelastet, nichts zu verpassen, deshalb zunächst die Synchronfassung auf deutsch. Im Anschluss gerne das (englische) Original, aber mit (englischen) Untertiteln, wenn die Akteure nuscheln und brummeln. Ansonsten lieber ohne, lenkt doch ziemlich ab.

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              • Das ist Mumpitz. Erstens wird das PR-Gewäsch von wegen Qualität und Komplexität nicht wahrer, wenn man es (schon)wiederkäut und zweitens existiert offenbar eine Serie, in der alles ungestört entfaltet werden konnte, was es zu entfalten galt. Das muss der Film überhaupt nicht mehr leisten. Zugabe oder Ikonoklasmus, an Vince Gilligans Stelle würde ich mich für die erste Option entscheiden, wird nur schwierig, wenn jetzt schon die ersten Tränen fließen, obwohl so_gut_wie_nichts_bekannt_ist. -.- Breaking Bad ist auch nur ein - gerne zugegeben - unterhaltsames Produkt und den Film dazu kann man hinterher immer noch beschissen finden.

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                • 3

                  "Fallen Kingdom" wirkt wie eine Parodie auf die 90er-Jahre-Action-Kracher; leider lächerlich, nicht lustig. Man nahm alle ausgelutschten Mittel zur Spannungserzeugung, warf sie in einen Topf und rührte um. Leider bin ich mittlerweile resistent gegen die meisten davon. Die visuell beste Szene des Films wirkt in dem Zusammenhang völlig deplatziert, weil sie sich aus fernerer Vergangenheit bedient und spielt im Kinderzimmer.

                  Erinnert ihr euch(member???), wie Ellie Sattler und Alan Grant aus dem Jeep stiegen, als sie das erste mal einen Brachiosaurus sahen? Wie die Kamera von vorne ihre staunenden Gesichter einfing? Lasst es mich so ausdrücken: Wenn ihr bei einem Trinkspiel jedes mal einen kippt, sobald Akteure derart inszeniert werden, verbringt ihr die Nacht in der Notaufnahme.

                  Einfallslos ist aber auch das Drehbuch. Links und rechts möchte man den Figuren ununterbrochen eine klatschen, weil sie sich so verhalten, als hätten Sie die anderen Jurassic-Filme nicht gesehen. Außerdem: Welchen Sinn es ergäbe, Dinosaurier in der heutigen Zeit auf die angedachte Art und Weise zu instrumentalisieren, erschließt sich mir nicht.

                  Jurassic Park war nicht nur kinematografisch herausragend, sondern traf auch den Nerv der Zeit. Schon in Jurassic World half es nichts, den Plot auf eine Metaebene zu hieven, weil das Strickmuster das alte blieb. Ähnliches gilt für "Fallen Kingdom", dessen Bemühungen, wenigstens thematisch aktuell zu sein, halbherzig und inkonsequent sind, weil die Kurzweil oberste Priorität genießt.

                  Nach der vierten Runde kitschigen Dino-Melkens bin ich jedenfalls ganz bei Burt Macklin ähh Owen Grady: Lasst Sie einfach sterben!

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                  • Schöner Einfall mit offensiv und offensive. ^^ Ich bin jetzt wirklich neugierig auf den Film, weil ich bis jetzt alles von Crazy Lars mochte, aber ich mag eigentlich keine Gewalt mehr sehen. Scheiße. ;D

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                    • 7

                      Ich weiß nicht, was ich erwartet habe

                      Mein erster Gedanke, als das Bettlaken aus der Pathologie spazierte. Eine Gespenstergeschichte eben. Mein zweiter Gedanke: klassischer Oscar bait, da will jemand ganz offensichtlich den Preis für den besten Hauptdarsteller und das beste Kostümdesign einsacken.

                      Be_geistert hat mich der Film aber schon vorher, nämlich mit einer der leisesten und damit wirkungsvollsten Inszenierungen eines Unglücksfalls, die ich je gesehen habe. Auch der Rest des Films ist schlichtweg schön. Als Tarkowski-Fan konnte ich auch mit den langen Einstellungen, in denen eigentlich gar nichts passiert, leben.
                      Natürlich darf man dem Streifen vorwerfen, dass die Aneinanderreihung poetischer Bilder in Vintage-Optik reiner Selbstzweck ist und dass der Monolog gegen Ende etwas reingezwängt wirkt. Und man darf auch bemängeln, dass der folgende Übergang von der Mikro- in die Makroebene die Langeweile vorher nicht rechtfertigt, obwohl er offenbar diesem Zweck dienen soll. Bemüht philosophisch könnte man lakonisch konstatieren.

                      Das würde dem Film aber nicht gerecht, schließlich ist die Mischung schlussendlich doch interessant und es bleibt zumindest etwas Diffuses hängen, zum Beispiel über die Liebe, den Tod oder die sich unendlich wiederholende Geschichte. Dafür und für seine Originalität ist A Ghost Story wenigstens einmal sehenswert.

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                      • Wenn der keine Laserstrahlen aus seinen roten Augen feuern kann, gehe ich sowieso nicht in den Film.

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                        • 5

                          Ein stylisher, überkonstruierter, infantiler Haufen Mist. Allein für die Optik gibt's ein paar Punkte.

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                          • Also basiert dieser spekulative Artikel auf einer Spekulation? Würde mich übrigens sehr über ein Indiana Jones 6 - Feature freuen. ;)

                            • 4

                              Fürchterlicher Film. Besteht aus viel Konventionellem wie ein paar Monstern und ein bisschen Blabla, am Ende wird dann richtig dick aufgetragen, damit die Leute was zum Zerreden haben. Das wirkt so aufgesetzt und zwanghaft auf Internethype getrimmt, dass es fast schon albern ist. Allein die Tatsache, dass Natalie Portman und der Star Wars-Dude mitspielen, spricht Bände. Als hätte Darren Aronofsky "Picknick am Wegesrand" gelesen, einen Schlaganfall gehabt und anschließend einen Film darüber gedreht.

                              (Für mich ging's dabei um beschleunigte Evolution, Kreationismus für Atheisten. Ich war ein wenig über die Interpretationen in Richtung (Selbst)auslöschung des Individuums erstaunt, whatever, der Film ist für mich abgehakt.)

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                              • 10

                                Ich sammle seit Ewigkeiten meine Gedanken zu dieser Serie und bei jedem Durchlauf, fünf sind es mittlerweile, finde ich interessante Details, mache mir mehr Notizen und entwickle neue Ideen. Ich könnte Essays über einzelne Folgen schreiben, so inspirierend ist Bojack Horseman. Leider fehlt mir die Zeit noch ist dies der richtige Ort dafür, deshalb, in aller, eigentlich ungerechtfertigter Kürze:

                                Wieso sollte mich das Leben eines ehemaligen Stars interessieren? Bojack ist stinkreich, mit seinen Bettgeschichten könnte man ganze Bücherregale füllen und die Leute bewundern ihn. Das entspricht meiner Erfahrungswelt nicht ganz. Aber, Bojack Horseman handelt in Wahrheit von explodierenden Seifenblasen und davon, wie wir uns auf dem Weg zu Fata Morganen von uns selbst entfremden. Also, wie wir unglücklich werden durch Medienkonsum und Selbsttäuschung, wie unsere Vergangenheit unser Schicksal beeinflusst und wie schwer es ist, unter diesem Berg von Müll hervorzukriechen.

                                Und das Beste: Alles ohne Kitsch oder wedelnde Zeigefinger, nein, stattdessen zertrümmert die Serie lustvoll ein Klischee nach dem anderen. Das ist oft unfassbar spaßig und offenbart, wie sehr unser Denken medial geprägt, dramaturgisiert ist. In ihren stärksten Momenten, wenn wir es so gar nicht erwarten, rammt uns die Serie einen rostigen Dolch ins Herz. Oder wie es Princess Carolyn formuliert: „Wenn man nicht aufpasst, denkt man, dass das Leben nur aus Geschichten besteht und das tut es nicht. Das Leben ist das Leben und das ist so traurig, weil wir so wenig Zeit haben. Und was tun wir damit?“

                                Auf moviepilot Rezensionen schreiben zum Beispiel und die Wertung auf 10 korrigieren. Ich hoffe, sie versieben die fünfte Staffel nicht.

                                10
                                • 6

                                  Barsch zu Mund (erster Absatz mit Spoilern)

                                  Es war einmal ein stummes Mädchen, das mit einem homosexuellen, älteren Designer und Katzen in einer WG wohnte. An ihrem schlecht bezahlten Arbeitsplatz lernt sie einen etwas schüchternen, mit einem Schuppenproblem kämpfenden Ausländer kennen und verliebt sich Hals über Kopf in ihn. Sie bringt ihn irgendwann mit nach Hause, sie vollführen merkwürdige Sexualpraktiken miteinander in der Badewanne und fluten dabei die Wohnung. Irgendwann bringt der Typ versehentlich die Katze um und verschwindet. Er taucht wieder auf, aber weil er von lokalen Autoritäten verfolgt wird, muss er wieder in seine Heimat zurückkehren.

                                  Was sich nach der schlechtesten Hipster-Schmonzette aller Zeiten anhört, ist Guillermo del Toros schwer oscarverdächtiger, neuer Film. Zu allem Überfluss spielt er in einer längst vergangenen Zeit und schwelgt in seinem detaillierten Retro-Setting. Das ist schön anzusehen, aber eigentlich vollkommen unwichtig. Und wer glaubt, ein „Märchen für Erwachsene“ brächte tiefgründige Anspielungen und Motive mit sich, irrt - obwohl es einen dezidierten Bösewicht gibt, eine mächtige Sagenkreatur und ein fast unschuldiges Mädchen (wer weiß, was Rapunzel mit ihrer freien Zeit angestellt hat).

                                  Aber das ist, wie das Setting, alles nur Kulisse. Wenig wahrhaft Magisches bleibt, keine schwer greifbaren Zusammenhänge und Ahnungen. Alles wird ausbuchstabiert. Wenn der Film formal wenigstens mit frischen Ideen für ein paar überraschende Momente sorgen würde, wäre das zu verschmerzen. Leider ist er ein Mottenkisten-Mosaik, so dass man immer das Gefühl hat, alles schon gesehen zu haben. Als Beispiel wäre der künstliche Spannungsaufbau bei der Entführung zu nennen. Die hinterherschießenden Pappkameraden treffen natürlich nicht. Oder die zähen Sekunden, die vergehen, bevor Mr. Oberschurke das Kalenderblatt erblickt, usw.

                                  Ohne Pan’s Labyrinth im Hinterkopf, hätte das Konzept mich sicher weiter getragen. So schliff ich mich selbst durch „Shape of Water“ und nichts blieb. Gut, vielleicht die Frage, wann ein Film wirklich kreativ ist? Uns in ein wohlig-angestaubtes Szenario zu verfrachten, so wie es der Designer mit seiner glücklichen Familie tut und dabei über die Fotografie lamentiert, reicht nicht. Den Fischmann haben wir in alten Akte-X-Folgen auch schon gruseliger gesehen, wobei dort die analoge Technik wirklich zur Atmosphäre beitrug, weil man weniger sehen durfte. Bis heute habe ich das kurze Aufblitzen der schrecklichen Gestalt nicht vergessen. Hätte das Ungeheuer in Mulders Badewanne gehaust, wahrscheinlich schon. Oder habe ich etwas übersehen?

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                                  • Ich bin davon überzeugt, dass dieser brillante, hochinteressante Film die Anerkennung und die Aufmerksamkeit bekommt, die er verdient. Und wenn es verzögert ist. Qualität setzt sich durch. ;D

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                                    • 9

                                      Das nicht besonders tapfere Schneiderlein

                                      Wenigstens ein Kino hier hat sich erbarmt und „Der seidene Faden“ ins Programm aufgenommen. Dafür bin ich jetzt sehr dankbar, obwohl ich kein besonders großes Interesse an Mode habe. Ein bisschen vielleicht schon, ja, aber das ist nebensächlich, denn in diesem Film geht es nicht um Mode. Was mich dazu veranlasste, ans andere Ende der nächtlichen Großstadt zu fahren, war meine Hoffnung auf eine psychologische Beziehungsstudie, getragen von zwei großartigen Darstellern. Ich wurde nicht enttäuscht. Der folgende Text offenbart Teile der Handlung. Fürs Fazit bitte ans Ende scrollen.
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                                      Reynolds Woodcock ist das Paradebeispiel eines zwanghaften Charakters: Unter tonnenweise selbst auferlegten Ritualen und Regeln begraben, lauert bei ihm eine höchst vitale Angst vorm Tod. Der Schneider näht also routiniert und fleißig gegen den Verfall an, nicht nur seinen eigenen, sondern auch gegen den des Körpers seiner Modelle. Der Mensch altert, das Kleid hingegen bleibt und spiegelt die Blütejahre einer Frau wider, wenn diese schon längst nicht mehr so schön ist. Die Zwanghaftigkeit hat Woodcock einerseits dazu verholfen, der gefragteste Schneider Londons zu werden, andererseits gleicht sein Leben einem Eispalast: Leuchtend, glatt und glänzend, aber ziemlich kalt und vor allem starr. Selbst zu seiner Schwester, die mit ihm dort haust und ihn als Einzige wirklich kennt, bleibt er emotional auf Distanz.
                                      Eines Tages nun fährt der Schneider zu einem Ausflug aufs Land, um sich zu erholen. Als er in einer Gastwirtschaft zum Frühstück sitzt, fällt ihm die Kellnerin auf. Sie stolpert nämlich und lächelt das Missgeschick prompt weg, der Schneider lächelt mit, bestellt daraufhin eine halbe Speisekarte zum Frühstück und lädt die Kellnerin, Alma heißt sie, zum Abendessen ein. Alma hat ein lammfrommes Lächeln und eine innere Ruhe, die selbst den Dalai Lama vor Neid erblassen ließe.
                                      Alma stolpert also in Reynolds Leben und wird direkt vermessen. Das Bandmaß verrät, dass sie perfekt zu ihm passt. Was folgt, ist klar: Wie jeder Mensch hat Alma eigene Bedürfnisse und Angewohnheiten, die zwangsläufig mit denen Reynolds kollidieren, nur dass er die Arbeit vorschiebt, um seine schwer erträglichen Schrullen zu rechtfertigen. Null-Toleranz-Politik im Dienste der Ästhetik.
                                      Irgendwann begreift Alma, dass Reynolds sie nur als Kleiderpuppe mit den richtigen Maßen braucht, das heißt als Objekt. Sie bewundert ihn, aber ihre Wünsche werden nur toleriert, wenn sie sich nahtlos (^^) in den gewohnten Tagesablauf des Schneiders einfügen lassen. Einen Anflug von Eigeninitiative kann er kaum tolerieren und es kommt zum Eklat.
                                      Tja, was tut man als Frau in dieser Situation? Erstmal ausrasten und die eigenen Bedürfnisse artikulieren, klar, aber dann? Kompromisse suchen oder einfach weggehen? Nee, wie wäre es stattdessen mit vergiften? Alma verabreicht ihrem Herzblatt unauffällig eine Portion recht ungesunder Pilze. Das hängt prompt mit dem Kopf über der Kloschüssel und liegt im Anschluss für eine Weile flach. Es bleibt bei einer Art Nahtoderfahrung, nur ein gleichzeitig laufender Auftrag leidet etwas darunter. Nachdem diese Episode überstanden ist, verspürt Reynolds wiederum großen Hunger, mehr noch, er macht seiner Geliebten einen Heiratsantrag.
                                      Seltsam, oder? Nein, konsequent! Alma demonstriert ihrem Schatz auf etwas eigenwillige Weise, dass Schwäche und Scheitern keine Schande sind, sondern durchaus menschlich und überwindbar. Sie sagt Reynolds auch mehrfach, dass sie ihn für schwach hält. Damit erzwingt sie den physischen Beweis und holt sich kurzzeitig Macht über ihn zurück, die sie in seiner durchkonstruierten Welt abgeben musste. So endet der Film auch nach wiederholtem Streit bei einem erneuten Vergiftungsversuch mittels eines Rühreis, erst vermutet es Reynolds nur, dann offenbart Alma sogar ihr Ansinnen. Der Schneider isst das Rührei trotzdem, mit einem Lächeln.
                                      Das ist nur der erste Ansatz einer Interpretation. Viele Fragen werde ich erst nach einer zweiten Sichtung klären können: Welche Rolle spielen Mutter und Schwester? Wie ist die Bildsprache mit der Handlung verflochten? Handelt Alma egoistisch oder altruistisch (schließlich macht die Dosis das Gift), was sind ihre letzten Motive?
                                      ...
                                      Fazit: Der seidene Faden ist der interessanteste, klügste und tiefgründigste Film, den ich seit langem gesehen habe. Er könnte ohne weiteres von Bergman stammen. Bild, Ton und Schauspiel sind sowieso über jeden Zweifel erhaben.
                                      Wenn man geneigt ist, meiner Deutung zu folgen, lässt sich das Beziehungsdrama auch von der Mikro- in die Makroebene hieven. Als Reflexion über die Unfähigkeit, einen anderen Menschen wirklich zu lieben, d. h. ihn auch anders sein zu lassen in einer Zeit des Selbstoptimierungswahns. Dass wir glauben, dem Tod mit Hilfe von Smartwatches und Superfood von der Schippe springen zu können, fügt sich da makellos ins Bild. Ich möchte Anderson nicht unterstellen, dass er eine Brücke von der Verdrängung des Todes aus unserer Gesellschaft zu Beziehungsproblemen schlägt, aber oft tun wir ja so, als hätten wir nicht weniger als die Ewigkeit Zeit und eine unerschöpfliche Fülle an Optionen, um unsere Wünsche zu realisieren. Aber wir leben, nicht in einem Eispalast.

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                                      • Erst Montag habe ich mir Persona gegönnt, nun läuft der im Fernsehen, was für ein Zufall. Wann kommt schon mal ein Ingmar-Bergman-Film in der Glotze? o_O Die Doku vorher nehme ich trotzdem mit.

                                        • Schade, dass dieser Aufruf so rasend schnell wieder verschwunden ist und so wenig Resonanz erzeugt hat. Ich liebe die Serie. Selbst beim vierten Durchlauf wurde es mir nicht langweilig. Warum, hast du schon ganz gut begründet. Die emotionale Tiefe und Authentizität in Figuren, in denen jeder etwas von sich selbst findet, fesseln mich immer wieder. Irgendwann schreibe ich noch ein Review.^^

                                          • Bitte, bitte, bitte kann endlich jemand ein Siegel einführen, das vor Filmen oder Serien warnt, die nur aufgrund ihres Themas mit Lob und Auszeichnungen bedacht wurden? Das würde mir unfassbar viel Zeit und Ärger sparen.

                                            The Handmaid's Tale beschreibt das dystopische Szenario einer Gesellschaft, die ihr Heil in der Vergangenheit sucht. Soweit, so vertraut. Allerdings bleibt man nicht bei sentimentaler Rückwärtsgewandtheit, sondern installiert direkt ein Patriarchat mit rigiden Ritualen und Regeln. Gerechtfertigt wird die Chose mit Hilfe der Bibel, dementsprechend unangenehm fallen auch die Strafen bei Verstößen aus. Meistens sind Frauen, die hier so gut wie keine Rechte mehr haben, davon betroffen. Ihre Aufgaben - Beine öffnen, Werfen und Dienen - haben sie uniformiert und still zu absolvieren. Die Freiheit ist dahin, jedes weibliche Individuum ist auf seine Funktion reduziert. Selbstverwirklichung können sich in begrenztem Rahmen nur höhergestellte Ehefrauen erlauben.

                                            Warum? Die Erklärung im Verlauf der Handlung fällt irritierend überhastet und minimalistisch aus. Die Menschheit ist weitestgehend unfruchtbar geworden, so dass die wenigen gebärfähigen Frauen kontrolliert und nutzbar gemacht werden müssen. Außerdem wollte man nachhaltiger und regionaler wirtschaften, weil nicht nur die Bevölkerung, sondern auch der ganze Planet am Arsch sind. Ok, wir haben hier also eine Warnung vor den Konsequenzen fundamentalistischen Denkens und einer stringent realisierten Sehnsucht nach Einfachheit. Ferner wird die Utopie der einen zur Dystopie für andere, Ausbeutung als notwendiges Prinzip; das schmeckt nach Kapitalismuskritik.

                                            Klingt gar nicht so übel? Die Umsetzung ist es durchaus. An den Bildern gibt es nichts zu mäkeln, obwohl mir diese aalglatte, überästhetisierte Stil langsam auch zum Hals raushängt. Die Serie ist, schlicht gesagt, furchtbar langweilig.

                                            Erstens ist die Erzählung sinnfrei verschachtelt. Was ist denn bitte so schlimm daran, eine Geschichte chronologisch zu erzählen? Vor allem, wenn die Verhackstückung nicht durch zum Beispiel sinnspendende, gegenüberstellende Schnitte gerechtfertigt ist, sondern bloße Manieriertheit.

                                            Zweitens ist die Vorgeschichte völlig belanglos, zumindest jene subjektive von Flucht und dem früheren Leben in Freiheit. Dafür wird, wie gesagt, mit Infos zur Entgleisung im Ansatz vernünftiger Gedankengänge gegeizt, die zur beschissenen Gesamtsituation geführt haben. Ja, es ist die Geschichte der Magd, ihre Perspektive. Das macht es nicht interessanter.

                                            Drittens verhalten sich die Charaktere so gekünstelt, dass man sich fragt, wie sie ratzfatz und nachhaltig ihre Menschlichkeit verlieren konnten. Worte, Gestik und Mimik sind dauerhaft kärglich; was die Geschichte nicht glaubwürdiger oder gar mitreißend macht. Dann die pointiert eingesetzte, übertriebene Grausamkeit. Alles wirkt so weit weg, dass ich weder in Angst und schon gar nicht in Schrecken versetzt werde.

                                            Viertens wird mir im Gegenzug überflüssig oft vor Augen geführt, wie schlimm doch alles ist. Das habe ich nach der ersten Folge kapiert. Ok, wahrscheinlich will niemand so leben. Es passiert extrem wenig, dafür wird umso mehr gelitten. Wenn etwas geschieht, wird es zu allem Überfluß in fade Häppchen zerlegt und so weit verstreut, dass es nach gar nichts mehr schmeckt.

                                            Fünftens die Steinszene. Ganz übler Kitsch.

                                            Sechstens wirkt die Serie im Nachhinein wie eine ellenlange Nahaufnahme von Elisabeth Moss. Kann man zuviel von ihr bekommen? Der Autor dieser Zeilen meint: Ja! (Liegt vielleicht an der zeitnahen Sichtung von Top of the Lake, mea culpa) Toppen kann das nur noch die zweite Staffel mit 13 Folgen.

                                            Siebentens, apropos zweite Staffel: Eine Unverschämtheit diese handlungsarme Serie so enden zu lassen. Bitte nicht, extra nicht, ganz bestimmt nicht.

                                            Fazit und tl;dr: Ich bin davon überzeugt, dass man diese Geschichte wirksamer in einem zwei- bis dreistündigem Film hätte erzählen können (inklusive der noch folgenden neun Staffeln).

                                            Wahrscheinlich hätte diese Kritik auch innerhalb weniger Zeilen abgefrühstückt werden können, aber das musste jetzt raus.

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                                            • 6 .5
                                              über mother!

                                              Die gute Mutti hält den Laden am Laufen, wie unsere allseits tolerierte Kanzlerin, der fleischgewordene bürgerliche Kleingeist eben. Es hätte auch so gemütlich sein können, wären da nicht diese Menschen, die keiner kennt. Immer mehr werden es von denen und sie tun sich Gewalt an, nehmen letztendlich die schöne Bude auseinander. Nichtmal fertig renoviert und schon wieder kaputt. Das macht wahlweise mächtig Angst oder inspiriert. Zum Ausgleich gibt's was zu futtern und Klamotten für die Elterngeneration. Wer gibt, will aber auch nehmen, in dem Fall eine ordentliche Portion Fleisch; jeder darf mal knabbern vom Erbe(n). Was bleibt einem groß übrig, als das ganze Elend abzufackeln, für das man solange gearbeitet hat? "Here we go again" sagt der Geist des Lebens dazu. Und wer gar nicht genug Zaunspfähle über den Schädel gebraten bekommen kann, für den hat Darren Aronofsky noch eine ganze Wagenladung in petto. Darauf stehen so Sachen wie "Schöpfer", "Buch" und "Paradies." Drunter geht bei ihm ja sowieso nichts. Keine Frauenfeindlichkeit, einfach nur Kitsch. Immerhin Kitsch, der heraussticht.

                                              • Ok, das werde ich bestimmt nicht unterstützen. Sorry, Scarlett. ;)

                                                • 4 .5

                                                  Wenn mich jemand fragen würde, worauf ich bei einem Film niemals verzichten könnte, Style oder Substance würde ich ihm unreflektiert „Style“ ins Gesicht brüllen, bevor er beim Fragezeichen angelangt ist, aber das hier ist die so ziemlich längste Parfumwerbung der Welt.

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                                                  • 7 .5
                                                    über Arrival

                                                    Gebannt verfolgte ich dieses gut gefilmte Gedankenexperiment bis zum Schluss, nur um danach festzustellen, dass ich mir eben einen Riesenhaufen Mumpitz einverleibt habe. Kurioserweise regte mich Arrival dennoch zum Nachdenken an - durch das Nichtgezeigte. Ich weiß nicht, ob das Villeneuves Ziel war, aber er hat es durch seine bruchstückhafte Verarbeitung des Themas provoziert. Was bleibt ist die Frage, ob es hier nicht mutiger und angemessener gewesen wäre, einen dreimal dreistündigen Dreiteiler, inklusive später veröffentlichter Extended Editions draus zu machen. Wer sowas schauen soll? Count me in.

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