00101001100 - Kommentare

Alle Kommentare von 00101001100

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    00101001100 11.10.2018, 14:55 Geändert 11.10.2018, 15:16

    Il Cinema Ritrovato, Bologna, 27.6.2018: (es wurde eine 128-minütige Version gezeigt)

    Ein heftiger Film, der kaum auszuhalten ist, aber zugleich so schön fotografiert ist, dass man auch nicht wegschauen kann. Alles dreht sich um eine Gruppe von jugendlichen Jungs, welche aus unterschiedlichen - und doch sehr ähnlichen - Gründen in einer Erziehungsanstalt untergebracht sind. Schon von früh an gerieten sie immer wieder in Konflikt mit dem Gesetz, sei es nun durch Drogenhandel, Crossdressing oder Prostitution. Ihre Eltern scheinen sich nicht wirklich für das Schicksal ihrer Kinder zu interessieren, denen es in der Erziehungsanstalt oft noch schlechter ergeht als außerhalb. Vielleicht haben die eigentlichen Erziehungsberechtigten auch einfach bereits aufgegeben, manche statten wenigstens ab und zu einen Kurzbesuch in der Anstalt ab.

    Sobald die Jugendlichen einmal aus diesem Höllenloch ausbrechen, bleiben ihnen nur die altbekannten Bezugsgrößen, Diebstahl, Drogen und Prostitution. Immerhin haben sie einander in diesem Strudel aus Gewalt und Dreck. Sie halten sich aneinander fest, bilden ihre eigene Familie und können so doch nur zusammen untergehen. Hector Babenco hat den Film mit jungen Darsteller*innen gedreht, für die diese Tour de Force zum Alltag gehörte, und sie sind es auch, welche selbst die unfassbarsten Szenen glaubhaft machen. Ihre Gesichter und ihr Verhältnis zueinander geben "Pixote" sein so menschliches Herz und zusammen mit den schmerzhaften Bildern und der großartigen Musik machen sie den Film zu einem unvergesslichen Erlebnis.

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    • 5 .5
      00101001100 11.10.2018, 14:19 Geändert 11.10.2018, 15:18

      Il Cinema Ritrovato, Bologna, 27.6.2018: (es wurde eine 85-minütige Version gezeigt)

      "Sånt händer inte här" ist ein Spionage-Thriller mit starken Film Noir-Anleihen. Der Film ist teilweise schön fotografiert und in Teilen unterhaltsam, aber über die gesamte Länge hinweg eher konventionell und langweilig erzählt, wobei bestimmte narrative Elemente auch gar nicht funktionieren. Am interessantesten sind noch die Verweise auf die Zeit des Nationalsozialismus, welche jedoch insgesamt seltsam oberflächlich und unverbindlich bleiben.

      • 6

        Il Cinema Ritrovato, Bologna, 26.6.2018:

        Der Auftakt von 'The Producers' ist furios und großartig, vor allem die erste halbe Stunde rasant und überdreht, dadurch sehr unterhaltsam. Danach lässt der Film jedoch rapide nach und verkommt zu einer Aneinanderreihung von lahmen und anzüglichen Altmännerwitzen, nimmt zwar noch einmal etwas Fahrt auf, als das Musical "Springtime for Hitler" wirklich aufgeführt wird, aber auch das kann den Film über die gesamte Spielzeit nicht mehr retten.

        • 7

          Il Cinema Ritrovato, Bologna, 26.6.2018:

          Kleine, aber feine Geschichte über Mateusz, der mit seiner Schwester auf dem Land lebt und ein einfaches Leben in Verbindung mit der Natur verbringt. Von den anderen Bewohnern des Dorfes im schlimmsten Falle als Idiot beschimpft und oft auch nur belächelt, stellt Mateusz doch oft die richtigen Fragen über die Dinge des Lebens und hat ein liebevolles, genaues und empfindliches Auge für das Wohlergehen seiner Umwelt. Der Film ist in wunderbaren schwarz-weiß Bildern fotografiert, in Kapitel unterteilt und begibt sich auf die Reise in die Welt, wie Mateusz sie sieht.

          • 8 .5
            00101001100 04.10.2018, 20:03 Geändert 22.05.2020, 09:17
            über Marnie

            Il Cinema Ritrovato, Bologna, 26.6.2018:

            Ein wahnsinniger Film, näher hätte man sich zu dieser Zeit in Hollywood wohl nicht an derart harte und schwierige Themen wie männliche häusliche Gewalt, Vergewaltigung, Prostitution und ehelichen Zwang wagen können. Könnte man sich wahrscheinlich auch heute noch nicht... Natürlich muss in diesem Sinne auch diskutiert werden, ob sich Hitchcock genügend von dem Gezeigten distanziert, aber es kann kaum bestritten werden, dass die Inszenierungen in 'Marnie' größtes Unbehagen bei allen Zuschauer*innen auslösen sollen und das auch tuen. Da steckt viel Diskussions- und Denkstoff drin, welcher sich förmlich aufdrängt.

            Besonders wuchtig und hervorragend ist hierbei auch die Bildsprache und Kameraarbeit, viele Darstellungen brennen sich ins Gedächtnis ein und hallen dort noch lange nach. Auch das Ende verspricht keine erlösende Katharsis a la Hollywood, da verbleiben nur extreme und beklemmende Möglichkeiten. 'Marnie' zeigt Hitchcock sowohl auf dem Höhepunkt seines Könnens, als auch auf der Spitze des bitteren Zynismus. Der Film ist also nichts für sanfte Gemüter, aber einer der wichtigsten in Alfreds Hollywood-Phase.

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            • 7 .5
              00101001100 04.10.2018, 19:32 Geändert 22.05.2020, 09:19

              Il Cinema Ritrovato, Bologna, 26.6.2018:

              'A Deusa Negra' ist ein interessanter Film über die Aufarbeitung der Vergangenheit von Nigerianer*innen, welche nach der Beendigung der Sklavenhaltung in Brasilien zurück nach Afrika gegangen sind. Der Sohn eines solchen Zurückgekehrten fliegt auf den Wunsch seines kürzlich verstorbenen Vaters nach Brasilien, um nach dort gebliebenen Angehörigen zu suchen. Über die dort noch lebende afrikanische Community führt ihn eine mysteriöse Spur zu der sogenannten 'Schwarzen Göttin', welche auf magische Art und Weise mit dem Schicksal seiner eigenen Familie verbunden ist.

              Der Film räumt viel Zeit ein für die Darstellung von Tänzen und Ritualen, mit denen sich die afrikanische Community von Brasilien ihre Verbindung zu ihrer afrikanischen, verlorenen Heimat erhalten. Auch der narrative Aufbau ist stark und eigenwillig, da der Film zunächst kurz mit der Darstellung der Sklavenzeit beginnt und dann erst später wieder unmerklich von der Jetzt-Zeit in die Vergangenheit übergeht. Unterhaltsam und auf eine spezielle Art passend ist der groovige Soundtrack, welcher den Film durchzieht und ihn als eindeutiges Erzeugnis der späten Siebziger markiert. Auch das merklich geringe Produktionsbudget und die dadurch eher simple Inszenierung, wie auch die Kameraarbeit und das teilweise laienhafte Schauspiel lassen den Film merklich altern. Jedoch ändert das nicht daran, dass hier eine emotionale und bedeutende Geschichte erzählt wird und wichtige Aufarbeitungsarbeit geleistet wird. Besonders der neugierige Blick auf die Verbindung zwischen alter und neuer Heimat machen den Film trotz der Defizite frisch und unterhaltsam.

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                Il Cinema Ritrovato, Bologna, 25.6.2018:

                "The Apartment" ist ein wunderbarer Film mit perfekt besetzten sympatisch ausgearbeiteten Hauptfiguren, welcher zwar von Anfang bis Ende nach klassischen Hollywoodmustern funktioniert, aber darüber hinaus noch ein interessantes Spiel zwischen Drama und Komödie anbietet - wobei beide Aspekte auf erfrischende und zugleich ergreifende Weise stets zusammen auftreten. Zugleich steht auch eine latente Kapitalismuskritik im Raum, wenn das bedingungslose Streben nach beruflichem Erfolg als unmenschlich bloßgelegt wird und die klare Ansage im Film dagegen lautet: "be a Mensch!"

                • 7
                  00101001100 19.08.2018, 23:27 Geändert 24.07.2019, 20:59

                  Il Cinema Ritrovato, Bologna, 24.6.2018: (es wurde eine 104-minütige Version gezeigt)

                  "Geheimnisvolle Tiefe" ist ein seltsamer, ein verschrobener und vor allem ein äußerst zynischer Film. Halb satirischer Abgesang auf den ganzen Heimatfilm, der da noch kommen wird, halb düstere Abrechnung mit der kapitalistischen Großjagd auf das Geld. Dann wieder scheint Pabst den Ruf nach einem ursprünglicheren, naturnahen Menschen in den Vordergrund zu stellen, aber auch dieser Aspekt wird letztendlich vollkommen ad absurdum geführt.

                  Von Beginn an und über die gesamte Spiellänge hinweg dominiert eine abstrakt anmutende, mitunter sehr düstere Setgestaltung. Keine Szene, sei sie inhaltlich auch noch so gewöhnlich, wirkt lebensnah - das geht los mit der Eröffnungseinstellung auf eine Miniaturbrücke, führt die Zuschauenden über eine abgedrehte Millionärsparty wie von einem anderen Stern hin zu riesigen unterirdischen Hölen, in denen man mal eben Schlittschuh fahren kann (in den Höhlensequenzen zeigt sich am deutlichsten die Handschrift des erfahrenen Bergfilmkameramannes Hans Schneeberger, welcher aber insgesamt beeindruckende Arbeit geleistet hat). Der Klimax an Unerklärlichkeit wird auch ziemlich mittig im Film erreicht, wenn sich der Film im Zuge einer Traumsequenz auf den endgültigen Trip begibt. Rein optisch wirkt das Ganze also wie eine Fusion zwischen abgedrehter Zukunftsvision und einem dunklen Avantgardemärchen, nur dass die sich in dieser Umgebung bewegenden Figuren, die dargestellten Geschlechterrollen und die verwendete Musik definitiv aus 1949 stammen und einen auf seltsame Weise wieder erden - und dann auch wieder nicht.

                  Ständig drehen sich die Handlung und die Dialoge auf morbide Art und Weise um das Thema Tod, als wäre das Sterben das einzige erstrebenswerte im Leben. Besonders augenfällig wird das in der Rolle des Dr. Benn Wittich, welcher sich die ganze Zeit nach leblosen Dingen aus der Vergangenheit sehnt und darüberhinaus alles um sich herum vergisst. Hier scheint ein verbitterter G.W. Pabst nicht nur mit dem Kapitalismus und jeglichem technischen Fortschritt abzurechnen: Selbst das, wonach er seine zentralen Charaktere die ganze Zeit streben lässt, die Erlösung vom Leben, entreißt er ihnen in einem fulminanten Ende. Die Dramatik wird bis zum Schluß hin derart gesteigert, dass sie schon droht ins Komödiantische abzudriften und genau dann kommt auch die finale Pointe. Wenn man sich also voll auf die morbide, lebensverneinende Atmosphäre sowie den eigenartigen Humor von "Geheimnisvolle Tiefe" einlassen kann, ist der Film wahrscheinlich ein Geniestreich, aber selbst wenn man sich an diesen Aspekten eher stößt, wird man ein sehenswertes Filmerlebnis haben, welches im Gedächtnis bleibt und zu mehrmaliger Sichtung einlädt.

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                    00101001100 11.08.2018, 13:49 Geändert 11.08.2018, 13:52

                    Il Cinema Ritrovato, Bologna, 24.6.2018:

                    Der 47. Film von Yasujiro Ozu, sein letzter in schwarz-weiß gedrehter, war zugleich meine erste Begegnung mit dem Werk dieses Filmemachers. Wirklich beeindruckend war, wie tatsächlich jede einzelne Szene in ein strenges 90-Grad-Muster aufgelöst wurde und wie nur die wunderschönen Füllbilder zwischen den Szenen diesen starren Rahmen spielerisch gebrochen haben. Erstaunlich auch, dass das, was erzählt wird tatsächlich über die beachtliche Länge des Films trägt. Das erinnert ein wenig an diese ganzen Daily-Soaps, in welchen minimale Narrative auch unendlich in die Länge gezogen werden, nur dass das filmische Handwerk bei "Sôshun" unvergleichlich viel besser ist. Leider wird dieser visuell bestechende Kosmos jedoch durchgehend von leeren Menschen ohne jegliche positive Energie besiedelt, welche eher daran zugrunde gehen würden, als ihren Zustand in irgendeiner Weise zu verändern.

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                      Il Cinema Ritrovato, Bologna, 24.6.2018: (es wurde eine 85-minütige Version gezeigt)

                      "Prisioneros de la Tierra" ist ein Melodrama über die sklavenhafte Pflanzer*in-/Baumfäller*in-Arbeit im Norden Argentiniens, wie sie dort wohl noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein Bestand hatte. Ein Arzt steht, zusammen mit seiner Tochter, als letzte*r Mittler*in zwischen dem Unternehmer und den Arbeiter*innen. Der Arzt, ein Mann mittleren Alters, ist jedoch bereits gebrochen, einerseits durch das jahrelange Miterleben des Leids der Arbeiter*innen, andererseits durch seinen exzessiven Alkoholkonsum, welcher wohl durch ersteres verursacht wurde. Darüber hinaus hat er auch vor langer Zeit bereits seine Frau verloren, welche das harte Leben in den Wäldern des Nordens nicht überlebte, und ist alleine für das Wohlergehen seiner Tochter zuständig. Eigentlich ist es jedoch längst die Tochter, mittlerweile schon beinahe dem Jugendalter entwachsen, welche sich um ihren Vater kümmern muss und nicht umgekehrt.

                      Sie ist es auch, welche sich zunehmend zu den Arbeiter*innen - und speziell zu einem bestimmten Arbeiter - hingezogen fühlt und Sympathien für diese gequälten Zwangsarbeiter*innen entwickelt. Diese erhalten zwar nach jeder Saison eine lächerliche Bezahlung für die schwere Arbeit, die sie verrichten, können aber nicht einmal die paar Groschen für sich behalten sondern müssen sie oft für fingierte "Schulden" wieder beim Arbeitgeber abgeben, bzw. in der kommenden Saison herausarbeiten. Gehen können nach einer Saison also nur diejenigen, welche der Unternehmer für schuldenfrei erklärt.

                      Bezeichnenderweise stammt ein Großteil der Zwangsarbeiter*innen von den Stämmen der lokalen Naturvölker, welche zudem auch noch durch die Waldrodung aus ihren beheimateten Gebieten verdrängt werden. Diese absurd-tragische komponente wird emotional und anklagend thematisiert, in dem den nächtlichen Gesängen der Zwangsarbeiter*innen viel Aufmerksamkeit gewidment wird. Neben dieser thematisch passenden, gekonnten Einbindung von Musik, ist der Film auch bestechend in schwarz-weiß fotografiert und über weite Stecken hervorragend geschauspielert. Symbolisch dargestellte psychische Abgründe bilden eine weitere komplexe Ebene und geben dem Film zum Teil Aspekte eines düsteren Thrillers. Entsprechend der Gattung des Melodram gibt es mitunter überzogen emotionale Momente, welche aber dennoch nie plakativ wirken, sondern stets nur die Sympathie für das dargestellte Schicksal unterstreichen.

                      Interessanterweise wird der Unternehmer niemals als Verbrecher oder gar Monster dargestellt. Vielmehr wird seine ebenfalls tragische Geschichte dargestellt, welche ihn ebenfalls als ein Opfer des korrupten Systems macht, wie es auch die durch ihn beschäftigten sind. Es ist dieses kapitalistische System, welches als monströs bloßgestellt und angeklagt wird, niemals die einzelnen Menschen.

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                        00101001100 02.08.2018, 14:55 Geändert 22.05.2020, 09:25

                        Il Cinema Ritrovato, Bologna, 25.6.2018: (es wurde eine 97-minütige Version gezeigt)

                        "Junost Maksima" ist ein Film über die Entwicklungen in der Arbeiter*innenbewegung nach der Revolution von 1905. Es wächst eine junge Generation an Arbeiter*innen heran, die beginnt, sich gegen das Establishment aufzulehnen. Diese wird hier zentral durch drei männliche Jugendfreunde verkörpert, welche zwar unterschiedliche Laufbahnen nehmen werden, aber alle auf ihre Weise von ihrem zuvor sorglosen Leben Abstand nehmen, nachdem sie die schlimme Behandlung von Mitarbeiter*innen durch Vorgesetzte miterleben mussten. Einer von ihnen stirbt bei einem Arbeitsunfall, einer stürzt sich in den Alkoholismus, der dritte jedoch, Maksim setzt sich immer mehr für die Rechte der Arbeiter*innen ein. Dieser Prozess scheint Maksim endlich zu helfen, aus dem Jugendalter in das Erwachsenendasein überzutreten.

                        Es bleibt bei diesem Film vor allem die teilweise starke Kameraarbeit hängen, welche einen Spagat schafft zwischen kunstvoller Inszenierung und eindringlicher dokumentarischer Kamera. Die Musik von Schostakowitsch unterstreicht in Form von emotionalen Arbeiter*innenliedern zwar den merklich propagandistischen Charakter des Films, schafft jedoch auch eine weitere menschliche Atmosphäre und Tiefgang, denn durch sie wird auf die größeren Zusammenhänge verwiesen, in welcher die erzählte Geschichte steht.

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                        • 7 .5
                          00101001100 02.08.2018, 14:13 Geändert 05.10.2019, 19:54

                          Il Cinema Ritrovato, Bologna, 24.6.2018: (es wurde eine 77-minütige Version gezeigt)

                          "Les deux timides" ist eine charmante Liebeskomödie mit Hang zum Slapstick, die mit vielen einfallsreichen filmischen Ideen überrascht. Über die gesamte Laufzeit gibt es einige wenige Längen, aber der Film fängt sich immer wieder und weiß die Spannung, bzw. die Unterhaltung aufrecht zu erhalten. Die Charaktere sind durchweg liebevoll 'gezeichnet' und es gibt auch satirische Seitenhiebe auf bestimmte gesellschaftliche Unzulänglichkeiten. Beispielsweise wird bei einem Gerichtsverfahren eindeutig gezeigt, dass weder Verteidigung, noch Ankläger an der Wahrheit interessiert sind. Beide Seiten übertreiben maßlos in der Ausschmückung des angeblich Vorgefallenen, sodass am Ende beide Versionen herrlich absurd wirken. Darüber hinaus wird auch die Tradition der arrangierten Hochzeit der Tochter durch den Vater aufs Korn genommen und ad absurdum geführt.

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                            Il Cinema Ritrovato, Bologna, 23.6.2018: (es wurde eine 3D-Version gezeigt)

                            Leider ist diese Fortsetzung von "Der Schrecken vom Amazonas" nicht sehr dynamisch gelungen, denn abgesehen von einigen wenigen charmanten, da billigen, Effekten und dem durchaus gelungenen Monster-Kostüm steht hauptsächlich eine langatmige und gewöhnliche Liebesgeschichte im Vordergrund. Die 3D-Effekte waren immerhin ab und zu interessant.

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                              00101001100 05.07.2018, 21:37 Geändert 05.07.2018, 21:38

                              Il Cinema Ritrovato, Bologna, 23.6.2018:

                              "The Brat" ist ein Film, den John Ford für die Fox Film Corporation gedreht hat und der sich auch sehr stark nach einer reinen Auftragsarbeit anfühlt. Es handelt sich um eine romantische Komödie, die energiegeladen, charmant und mit schnellen Wortgefechten beginnt, dann aber stark an Fahrt verliert und am Ende sehr schnell und fadenscheinig zuende gesponnen wird.

                              Eine junge Frau aus ärmlichen Verhältnissen kommt wegen einer eingenommenen, aber nicht bezahlten Mahlzeit vor Gericht und wird dort von einem erfolgreichen Schriftsteller zu sich "aufgenommen", um als Figurvorlage für dessen nächsten Roman zu dienen. Er findet ihre direkte und einfache Art inspirierend, sie meint sich in ihn zu verlieben, weil er sich ihrer annimmt. Danach folgen Gefülswirrwarre und Moralappelle, am Ende wird ein kitschiges Happy End erzwungen.

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                                00101001100 02.07.2018, 00:09 Geändert 02.07.2018, 00:11

                                Il Cinema Ritrovato, Bologna, 23.6.2018: (frz. Version mit Lauflänge von 55 Minuten)

                                Was für ein starker, poetischer und bildgewaltiger Film über schwierige Themen und mit vordergründig gesellschaftskritischen Tönen. Ein farbiges Ehepaar nimmt an einer Kreuzfahrt teil und scheint zunächst vollkommen in die sonst größtenteils weiße Oberschicht integriert, bis sich nach und nach Ressentiments und Gewalt gegen sie doch Bahn brechen.

                                Schon allein, dass "Dainah La Metisse" wie selbstverständlich von der Grundsituation ausgeht, dass sich ein farbiges Ehepaar in die Oberschicht integrieren könnte, entsprach zu dieser Zeit alles andere als der Realität und könnte als Skandal gewirkt haben. Darüber hinaus gibt es auch noch das zentrale Motiv der sich von ihrem Ehemann bedrängt und eingesperrt fühlenden Frau, welche selbstbewusst nach Emanzipation und Freiheit drängt. Wahrscheinlich sind diese scharfen Themen auch der Grund, warum der Film bereits vor seinem initialen Kinostart durch einen anderen Regisseur als Jean Grémillion stark gekürzt wurde. Leider sind sämtliche gekürzten Sequenzen heute (vielleicht sogar unwiederbringlich) verschwunden und so müssen wir uns mit dieser Version zufrieden geben.

                                Aber auch so funktioniert der Film hervorragend und ist ein düster-beklemmend-düsteres, spannendes Kammerspiel, welches die ganze Zeit nur in den Grenzen des Kreuzfahrtschiffes spielt. Darüber hinaus erzeugt die wunderbare schwarz-weiß Fotografie auch noch eine mystisch-schöne Atmosphäre, welche der ganzen Geschichte eine Art märchenhafte Wirkung verleiht - wären da die behandelten Themen nicht so realistisch und brisant. Auch heute noch.

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                                  Il Cinema Ritrovato, Bologna, 22.6.2018: (frz. Version mit 110 Minuten Lauflänge)

                                  Die Kamera schwebt durch Raum und Zeit, so wie auch die Ohrringe der Madame durch Raum und Zeit wandern. Alles ist möglich, alles ist leicht und vergänglich - und dadurch am Ende doch wieder so tragisch und schwer. Oder vielleicht doch nicht? Max Ophüls entlässt uns nach 100 Minuten voller Bewegung, Dramatik, Witz und Schönheit ebenso plötzlich und unaufgeklärt aus seiner Welt, wie wir zu Beginn von 'Madame de..." überhaupt erst in diese geworfen wurden. So hallt das offene Ende noch lange nach und macht dabei dennoch absolut Sinn. Sehr prägnant ist bei diesem Film, dass trotz der zentralen Geschichte in adeligen Kreisen, Ophüls immer wieder auch die eigentlich randständigen Bediensteten thematisiert und sympathisierend in den Fokus rückt. Diese werden stets als stark und gewitzt gezeigt und strahlen Unmut und Widerstand gegenüber ihren adeligen Vorgesetzten aus.

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                                    00101001100 09.06.2018, 12:14 Geändert 22.05.2020, 09:30

                                    7.7. 2018, 70 mm, unrestaurierte Fassung, OV, Delphi Filmpalast Berlin:

                                    Es war wie immer überwältigend, dieses Mal wahrscheinlich sogar noch ein Stückchen mehr. Sowohl Bild- als auch Tonqualität waren unbeschreiblich, trotz (oder vielleicht sogar aufgrund) der fehlenden Restaurierung. Farben im Überfluss, eine Stimmenlawine von überall, der Kinosaal zum Glück fast voll. Somit waren Augen und Ohren von Anfang an vollkommen gefordert, zum Teil überfordert und am Ende definitiv überwältigt. Auch nach der x-ten Sichtung ändert sich daran rein gar nichts. Umso unvorstellbar ist es, wie 2001: A SPACE ODYSSEY vor 50 Jahren auf Kinozuschauer gewirkt haben muss, noch ein halbes Jahrhundert später haben einige Besucher nach der Intermission das Kino verlassen.

                                    Jedes Mal aufs neue unfassbar, wie es der Film wagt, im letzten Drittel zu einem experimentellen Avantgarde-Film zu werden, nachdem er einen zuvor dramaturgisch gefesselt hat. Science Fiction, Thriller, Mystery, existenzphilosophische Fragen, zugleich Humor, Satire, und dann plötzlich die endgültige Explosion. Spätestens ab diesem Zeitpunkt sitzt man nur noch fassungslos da und lässt das Feuerwerk über sich ergehen. Und wieder schafft der Film das Unerwartete: Es gibt doch ein rundes Ende, welches keines ist, denn der Kopf arbeitet danach noch lange weiter. Schwirrt von dem Gesehenen und Gehörten.

                                    Der einzige Punkt, der 2001 zu einem 50 Jahre alten Film macht, ist das zum Geburtstag gewünschte "Buschbaby" und die ununterbrochene Weißbrotness aller Beteiligten. Da war sogar Star Trek schon ein bisschen differenzierter. Aber wenn man mal ehrlich ist, hat sich da bis heute in der Raumfahrt auch nicht so wahnsinnig viel geändert und es ist auch nicht raus, dass diese Einseitigkeit in der Besetzung nicht ebenfalls als ein satirischer Kommentar gedacht war.

                                    Abgesehen davon jedenfalls wird dieser Film ein zeitloses Kunstwerk bleiben, eines was Meinungen spalten, aber immer bewegen und Diskussionen anregen wird. Und in 50 Jahren dann vielleicht mal wieder auf 70 mm im Kino, oder eben im Museum, falls es Kinos bis dahin nicht mehr geben sollte.

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                                      00101001100 21.04.2018, 09:58 Geändert 21.04.2018, 12:52
                                      über Boston

                                      Peter Bergs "Boston" ist eine mitunter spannende und nervenaufreibende, zum größten Teil jedoch kitschig-überhöhte, manipulative filmische Verarbeitung der Vorgänge rund um das Bombenattentat beim Bostoner Marathon 2013. Vor allem die heroisierende Darstellung einer gewissen stoischen "Bostoner" Art und Weise mit dieser bedrohlichen Situation umzugehen, wirkt äußerst konstruiert und zerstört regelrecht die Glaubwürdigkeit des Gezeigten. In den weniger schlimmen Moment wirkt diese eingeschworene "Boston"-Affinität aufheiternd und selbstreflektiv, ein Augenzwinkern, das sogar ganz gut tut zwischen all der Dramatik der gezeigten Vorgänge. Ein Beispiel dafür ist die Situation, wenn während des brutalen Schussgefechts zwischen der Bostoner Polizei und den gestellten Attentätern inmitten eines Wohngebiets plötzlich ein Anwohner sein eigenes Leben aufs Spiel setzt, nur um einem Polizisten, dem die Munition auszugehen droht, einen Baseballschläger zuzuwerfen und ihn dazu zu ermuntern, die mit Rohrbomben um sich schmeißenden Tsarnaev-Brüder damit aufzumischen.

                                      Im schlimmsten und viel zu häufigen Fall trieft die Inszenierung "Bostoner"-Eigenheiten jedoch vor voreingenommener Bewunderung und wirkt ganz einfach fragwürdig. Ein Beispiel dafür ist der Moment, als der letzte noch lebende Attentäter, Dzhokhar, in seinem finalen Versteck gestellt wird. Nach einer 19-stündigen Fahndung übernimmt das FBI die Kontrolle, das Bostoner Polizeiaufgebot zieht sich hinter die Schusslinie zurück, nur eine bewaffnete Polizistin beharrt darauf, ihren Platz auf einem der benachbarten Dächern beibehalten zu dürfen, einfach weil sie aus der Gegend kommt und deswegen viel eher das Recht habe, dort zu liegen und auf Dzhokhar Tsarnaev zu zielen. Das wird selbstverständlich durch die FBI-Männer hingenommen, nach nur kurzem Protest, und letztendlich bedanken sie sich sogar erfürchtig bei der Bostonerin, dass diese sie mit ihrer Anwesenheit ehrt. Das Ganze geht im Original natürlich stets mit dem so eigenen Bostoner Dialekt einher, der wahrscheinlich in der deutschen Synchron-Fassung gänzlich verloren geht. Dieser Film heißt nicht ohne Grund "Boston", ist er doch vielmehr eine Liebeserklärung an diese Stadt mit ihren angeblich unbändig miteinander verschweißten sturen Einwohnern, als eine realistische Abhandlung der Geschehnisse vom April 2013. Aber das Mittel der manipulierenden Überzeichnung beschränkt sich leider nicht nur auf die Darstellung von Boston und seinen Menschen sondern erstreckt sich beinahe über die gesamte Lauflänge.

                                      Hier sind es die übertrieben cool und unfehlbar agierenden PolizistInnen und FBI-AgentInnen, welche mit einer vernarrten Technik/Dienst/Waffen-Verliebtheit und Begeisterung für taktische Vorgänge inszeniert werden, stets rund um die zentralen Figuren wie Mark Wahlberg's Sgt. Tommy, der von Anfang bis Ende selbstverständlich immer genau da ist, wo die entscheidenden Dinge geschehen. Als Gegenpol dazu driften die emotionalen und menschlichen Momente in "Boston" häufig in Klischees und Tränendrüsigkeiten ab, so dass vieles am Ende entweder schwarz oder weiß bleibt. Die Opfer des Attentats und die ermittelnden Beamten sind nichts als Projektionsflächen für Idealvorstellungen von Unschuld und Gerechtigkeit, während die Attentäter im Großen und Ganzen das Personalisierte Böse und Willkürliche sind. Und das ist schade, denn gerade bei der Darstellung der Tsarnaev-Brüder vergibt der Film Chancen auf eine interessantere, komplexere Darstellung. In Ansätzen ist nämlich die Rolle des jungen und mittlerweile zum Tode verurteilten Dzhokhar faszinierend und kontrovers gelungen. Er scheint als ein aufs Tiefste verwirrter Mensch, welcher zwischen der Liebe zu seinem Bruder und dessen agressiver Bevormundung, zwischen fatalistischen religiösen Idealen und der Zweifel an deren moralischen Rechtfertigung gefangen ist. Einerseits handelt der junge Mann wie eine willenlose Maschine, andererseits ist er einfach nur ein quängelnder Junge, der auch mal einen fetten Benz fahren will, wenn man denn schon mal einen entführt hat. Aber leider verblassen diese instabilen Facetten in ihren Ansätzen und gehen unter zwischen all den stereotypisierten Selbstverständlichkeiten in der Darstellung von Gut und Böse.

                                      Auch auf der Seite der Opfer, bzw. Betroffenen, bzw. der Staatsmacht gibt es flüchtige Ansätze von komplexeren Details und menschlichen Hintergründen, aber diese erleiden das gleiche Schicksal wie die Darstellung der Attentäter, sie verschwinden in dem klischeehaften Bilderstrom aus 'vor', 'während' und 'nach' dem Attentat. Somit bleiben die gezeigten Schicksale und Figuren austauschbar, könnte der Film genauso gut auch ein beliebiges anderes Ereignis darstellen als eben jenes im April 2013 beim Bostoner Marathon. Dementsprechend ist es auch nur sinnvoll, dass sich die FilmemacherInnen auf den spezifischen Faktor des "Bostonischen" gestürzt haben, um wenigstens damit das Gezeigte genauer zu definieren. Nur dass sie dadurch alle Zuschauer, die sich nicht bedingungslos damit identifizieren können oder wollen außen vor lassen und, wie in meinem Fall, wahrscheinlich verlieren. Dann bleibt nur noch, den Kopf auszuschalten und sich von der solide gemachten Action und den genretypischen Spannungsmomenten und Emotionen mitreißen zu lassen, viel hängenbleiben wird nach Ende des Films jedoch nicht.

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                                          00101001100 17.03.2017, 23:44 Geändert 18.03.2017, 16:10

                                          Kelly Reichardts neuer Film ist ruhig erzählt, wahnsinnig ruhig, geradezu erstickend ruhig. Sicherlich ruhiger als der Vorgänger "Night Moves" und anders ruhig noch als der bereits extrem gesetzte "Meek's Cutoff". Er erinnert eher an europäisches Arthouse als an amerikanisches Indie-Kino und selbst dieser Vergleich wird nicht dem radikalen Minimalismus gerecht, mit dem Reichardt die drei Erzählstränge inszeniert. In "Certain Women" wirkt die Ruhe letztendlich sogar bedohlich, da sie sämtliche Emotionalität, welche hochzukochen droht, in sich aufnimmt und dämpft - ohne diese jedoch zu lösen.

                                          Die drei Frauen, um die sich der Film der Reihe nach hauptsächlich dreht, und welche einander, wenn überhaupt, nur unbemerkt tangieren, scheinen jeweils unglücklich in ihrem Alltagstrott gefangen zu sein. Sie fühlen sich nicht von den Männern um sie herum als gleichwertig wahrgenommen, oder von ihren Familien missverstanden, oder schlicht von Monotonie überwältigt. Aber gerade in den Momenten, in denen sie meinen, aus dieser Gewöhnlichkeit ausbrechen zu müssen, um ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen, oder einfach nur, um Neues zu erleben, müssen sie sich eingestehen, dass die bedrückende Alltäglichkeit schlichtweg zu ihrem Leben gehört, dieses wahrscheinlich sogar ausmacht. Keine von ihnen könnte einfach alles zurücklassen und ein völlig neues Leben beginnen, ohne sich selbst ein Stück weit zu verlieren. Stattdessen liegt die Befreiung eher in der Haltung, mit der sie sich ihrer Situation annehmen. Reichardt bettet diesen, oft stummen, existentiellen Kampf der einzelnen Frauen in die ländliche, karge Umgebung ein, welche sie umgibt. Brachial schöne, unnachgiebige Naturaufnahmen erden das Ringen der Hauptfiguren mit dem Lauf ihres Lebens und scheinen zu signalisieren, dass Freiheit und Emanzipation in den kleinsten, unscheinbarsten Momenten liegt.

                                          Unter dem Strich bewegt sich "Certain Women" stets hart an der Grenze des langsamen Erzählens. Gerade beim mittleren Erzählstrang stellt sich mitunter das Gefühl ein, dass die eine oder andere Szene hätte gerafft, gewisse Einstellungen vielleicht sogar hätten weggelassen werden müssen. Aber stets erheben sich aus diesen kurzen Durststrecken, welche zu ausgedehnt zu werden drohen, wunderbare, zerbrechlich-ehrliche, skurril-witzige und zutiefst menschliche Momente. Und so ist es gerade die dritte und letzte Geschichte, welche am minimalistischsten und am emotional beeindruckendsten zugleich ist. Im Stile einer Dokumentarfilmerin scheint sich Kelly Reichardt an diese wahren Momente langsam und vorsichtig herangetastet zu haben, um sie nicht in einer zu dynamischen Inszenierung untergehen zu lassen. Die langwierige Suche nach Authenzität, Wahrheit und Emotionalität ist ebenso wichtig wie das Fündig-werden. Da ist es beinahe schade, dass nachdem jeder einzelnen der drei Geschichten so viel Zeit eingeräumt wurde und die Übergänge zwischen ihnen ohne Ausnahme fließend, beinahe meditativ gehalten wurden, am Ende noch einmal eine Art schnelle Abfolge von finalen Szenen folgt, welche die drei Schicksale jeweils zu einer Art Abschluss zu bringen versuchen. Reichardts Mut zur kompromislos ruhigen Inszenierung hätte mehr Würdigung gefunden, wenn auch die Endcredits so fließend und übergangslos über den Zuschauer gekommen wären wie alles zuvor.

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                                            über Wanja

                                            Nach sieben Jahren auf einer Handvoll Quadratmeter verlangt es einen sicherlich nach viel Raum und Freiheit. Zumindest ist vorstellbar, dass es Wanja (Anne Ratte-Polle) so ergeht, als sie endlich die Gefängnisstrafe für einen Bankraub abgesessen hat. Jedoch sieht es ausserhalb der Knastmauern auch nicht unbedingt rosig aus: Die paar-und-dreißig-Jährige wird auch hier auf Schritt und Tritt bewacht, nun halt durch ihren Sozialarbeiter. Immerhin findet sie durch das Praktikum in einem Rennstall ein neues Zuhause, genießt die Arbeit mit den Pferden und freundet sich mit einer jungen Kollegin (Nele Trebs) an. Wenn da mal nicht die anderen Praktikanten wären, welche mit Drogen geradezu um sich schmeißen.

                                            Die Resozialisierung von Straffälligen ist eine durchaus komplexe und subversive Thematik, leider schafft es die Regisseurin Carolina Hellsgård mit ihrem Debütfilm jedoch nicht, dieser Spannung vollends Ausdruck zu verleihen. Viele Szenen verlieren sich in Klischees, vor allem dann, wenn eigentlich Rebellion, Wildheit und Andersartigkeit suggeriert werden sollen. Vom Vorspann an wirkt „Wanja“gewollt rotzig und ungeschliffen, doch abgesehen vom energiegeladenen Soundtrack erscheint davon nichts authentisch. Die paar Bilder, welche wirklich stark hätten sein können, gehen unter zwischen Gemeinplätzen über das harte Leben und die abstürzende Jugend. Am schwersten wiegt jedoch der Fakt, dass die Figuren allesamt blaß bleiben, nie zu Persönlichkeiten werden. So versickert der brisante Stoff letztlich in Perspektivlosigkeit.

                                            • 7 .5

                                              Dass künstliche Intelligenz sowie simulierte Welten keine Gedankenkonstrukte der digitalen Postmoderne sind und filmisch bereits vor „A.I.“ und „Matrix“ eine Rolle spielten, beweist der deutsche Fernsehfilm „Welt am Draht“ aus dem Jahre 1973. Regisseur Rainer Werner Fassbinder setzte sich darin mit den möglichen Schattenseiten moderner Technisierung auseinander. Im Mittelpunkt steht der Wissenschaftler Fred Stiller (Klaus Löwitsch), der nach dem mysteriösen Tod des Leiters die Verantwortung am „Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung“ übernimmt. Hier wurde mittels eines Supercomputers eine künstliche Welt entwickelt, in der nun komplexes menschliches Handeln untersucht wird. Bei Nachforschungen über das seltsame Ableben seines Vorgänger verschwimmt für Stiller allmählich die Grenze zwischen Wirklichkeit und Simulation. Die für Fassbinder so typische, theatrale Inszenierungsweise und Schauspielführung geht in „Welt am Draht“ vollends auf und lässt auch den Betrachter an einer klaren Unterscheidung zwischen Fiktion und Realität zweifeln. Trotz altertümlicher, raumfüllender Rechner bleibt der Film dauerhaft brisant und ist nie technokratisch, sondern stets human und gesellschaftlich.

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                                              • 8

                                                Bereits die erste Einstellung von „Den Menschen so fern“ rechtfertigt den Filmtitel: Ein Schwenk über die karge und menschenleere Landschaft Algeriens im Jahre 1954. In Mitten karger Berge steht eine kleine Schule, wo Lehrer und Einsiedler Daru (Viggo Mortensen) Französisch-Unterricht für Kinder aus der Umgebung hält. Die Idylle wird plötzlich unterbrochen, als ein französischer Offizier den Bauern Mohamed (Reda Katep) mit gefesselten Händen an der Schule abliefert. Dieser habe gemordet und müsse nun von Daru zur nächsten Polizeistation gebracht werden, um verurteilt zu werden. Nach einigem Zögern nimmt sich Daru der gefährlichen Aufgabe an.

                                                Zunächst scheint es verwunderlich, warum gerade ein Lehrer mit dieser Aufgabe betraut wird, aber schon bald erfährt man, wie Daru zu dieser Ehre kommt. Generell ist das die große Stärke des Regiedebüts von Daniel Oelhoffen: die Hauptfigur wird bis zum Ende charakterisiert und bleibt zwar auch dann noch ein Mysterium, aber eines mit Charakter und Vergangenheit. Nichts wird unnötig erklärt, sondern in eindrucksvollen Bildern, durch Handlungen und Entscheidungen nahegelegt. Auch der allgemeine Zustand zu Beginn des algerischen Aufstandes gegen die französische Besetzung wird nicht zerredet, sondern atmosphärisch erlebt. Und so ist der Film trotz größtenteils ruhiger Erzählweise eine spannende Adaption von Albert Camus' Kurzgeschichte „Der Gast“.

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                                                • 3 .5

                                                  Kissy (Maryam Zaree) hat es nicht leicht: Sie muss ihre jüngere Schwester und ihre kleine Tochter über die Runden bringen, der Ex/Kindsvater (Steffen Groth) wohnt nebenan und kann weder Unterhalt noch Miete zahlen. Die junge Berlinerin verwaltet das Mietshaus im Namen ihrer indischen Familie und betreibt ein Café im Erdgeschoss. Das Lokal hat sie von ihrer Mutter geerbt, ebenso wie die Distanz zur konservativen Verwandtschaft. Doch urplötzlich fällt Kissys Großmutter (Bharati Jaffrey) in ihr Leben ein und stellt Forderungen: Der Kindsvater müsse endlich geheiratet, das Gebäude auf Vordermann gebracht und indisches Essen angeboten werden. Sonst hätte Kissy Haus und Café abzutreten, was sie aber um jeden Preis verhindern will.

                                                  Dieser Zusammenprall unterschiedlichster Lebensentwürfe in „Marry Me!“ von Regisseurin Neelesha Barthel ist an sich interessant und Maryam Zaree spielt durchaus eine sympathische Hauptperson. Leider verlieren sich sowohl Thematik als auch Charakterbildung letztlich in der schwachen Inszenierung dieser deutschen Komödie. Zu viele Klischees werden angebracht, als dass die Geschehnisse und Entwicklungen überzeugen könnten: Das Moderne wirkt stets übermäßig hipp, das Traditionelle hingegen unwahrscheinlich steif, Wandel ist nur zwischen diesen beiden Polen möglich. So fehlt es an Überraschungsmomenten und damit auch an Witz. Zudem fehlt dem Film Mut, selbst die Anleihen aus dem pompösen Bollywood-Kino werden scheu versteckt. Hier wurde eine Chance auf lebendiges Sommerkino verschenkt.

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                                                  • 7 .5

                                                    Der Verlust, den die Niederländerin Nina (Wende Snijders) im Drama „Die getäuschte Frau“ schlagartig zu verkraften hat, ist geradezu erdrückend. Durch den Unfalltod ihres langjährigen Partners Boris kommt plötzlich eine Tatsache ans Licht, die Ninas Blick auf den Lastwagenfahrer und Vater ihrer kleinen Tochter mit einem Schlag vernichtet: Er führte die ganze Zeit ein Doppelleben, hinterlässt eine Witwe und drei Söhne. Nina hat somit nicht nur ihre große Liebe verloren, sondern sämtliche Überzeugungen auf denen ihre letzten zehn Jahre basierten. Dieser Schock bringt sie nun in Gefahr, auch die eigene Würde und somit sich selbst zu verlieren.

                                                    Bereits die Szenerie des zweiten Spielfilms unter Regie von Sacha Polak schlägt einem auf den Magen. Durch die lebendige Kameraarbeit von Frank van den Eeden, die nicht lineare Erzählweise (die Handlung beginnt mit dem zweiten Kapitel) und die kompromisslos hingebungsvolle Leistung der Hauptdarstellerin wird das Ganze endgültig zur Tour de Force. Der Zuschauer kann keine sichere Distanz einnehmen, sondern wird mit in den Abgrund gerissen. Ein Mahlstrom aus kunstvollen statischen Einstellungen und aufdringlich naher Handkamera lässt einem keine Chance, die Augen zu verschließen. Dabei werden derart intime Momente gezeigt, dass das Hinsehen schmerzt. Szenen wie die, als Nina sich in einer Warteschlange an einen Fremden anschmiegt, um endlich wieder berührt zu werden, bekommt man nur schwer wieder aus dem Kopf. Eindrückliches Kino das weh tut und sich lohnt.

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