Jenny von T - Kommentare

Alle Kommentare von Jenny von T

  • 8

    Es war Jean Renoir, der einmal sagte: "A director makes only one movie in his life. Then he breaks it into pieces and makes it again."
    Eine erschütternd wahre Feststellung, die bei näherer Überlegung ausgerechnet auf sehr viele der ganz großen Filmemacher am Offensichtlichsten zutrifft, was andererseits zwangsläufig bedeutet, dass es nicht immer schlecht sein muss, sich zu wiederholen.
    Woody Allen's Filme kreisen immer wieder um dieselben Themengebiete in den immer selben gesellschaftlichen Schichten, und doch will der Gute es einfach nicht schaffen, so richtig langweilig zu werden.
    Meine ganz bescheidene Behauptung: Er hat die niveauvolle Seifenoper nicht nur begründet, er hat sie weiterentwickelt und dem Zeitgeist angepasst. Seine Filme sind früher wie heute unterhaltsam und doch tut man sich schwer dabei, sie als seicht abzustempeln – denn das sind sie größtenteils (natürlich findet sich bei einem dermaßen hohen quantitativen künstlerischen Output wie Allen es vorweisen kann immer auch der ein oder andere Flop) auch nicht.
    Ich behaupte sogar, Allen wird missverstanden und zweifle stark an seiner immer noch sehr oft einseitigen und undifferenzierten Proklamation als Komiker durch die Öffentlichkeit, denn: Lustig sind seine Filme eigentlich nur an der Oberfläche, im Kern verbirgt sich bei ihm ein zutiefst nihilistisch und resigniertes Bild in Bezug auf Zwischenmenschlichkeit und Beziehungen. Woody Allen, eine fleischgewordene Symbiose aus Charlie Chaplin und Ingmar Bergman. Oder so ähnlich.
    Was ihn dabei so sympathisch macht: Er weiß – mit einer gehörigen Portion Selbstironie -, dass er sehr wohl keine seligmachende Lösung anzubieten hat, was mit ein Grund dafür sein könnte, dass er immer noch geradezu verbissen Filme dreht und einfach nicht müde wird – und es im Gegenzug weiterhin Spaß macht, ihm erheitert von oben zuzusehen und sich dabei einzureden, Allen meine immer nur die anderen.
    Deshalb ist natürlich auch VICKY CRISTINA BARCELONA wieder ein bisschen Seifenoper, aber eben doch weitaus mehr als nur GZSZ, zuallermindest aber ganz bestimmt ein wirksames Mittel gegen Liebeskummer: Wenn es nicht die hier ergebnislos durchexerzierten zig verschiedenen Beziehungskonstellationen- und Muster an sich sind, die einem ein Lächeln der Ironie auf's Gesicht zaubern, dann doch zumindest ein Moment gegen Ende des Films, als Vicky heftig gestikulierend bemerkt: "Ihr seid doch alle gestört!" Denn das fühlt sich dann ein wenig so an, als würde Woody kopfschüttelnd, ja geradezu schuldbewusst, die Hände vor den Rumpf heben und uns sagen: "Ich drehe seit einem halben Jahrhundert Filme, habe nun wochenlang an diesem verdammten Drehbuch gearbeitet, aber, mein Gott, ich versteh's halt auch nicht!" Wenn selbst eine lebenserprobte, intellektuelle Größe seines Formats vor der komplizierten Einfachheit der Menschen resigniert, ist das doch irgendwie tröstlich.

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    • Ein geradezu handzahmer, wenn auch natürlich wieder äußerst zutreffender Artikel.
      Ich muss dieser Rubrik sowieso viel zu oft zustimmen. Vega, schreib' doch mal was über zum Beispiel Kubrick, dann habe auch ich mal einen Grund, an die Decke zu gehen und muss nicht immer nur wegen der lustigen User-Kommentare hierher kommen.

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      • 9

        Pier Paolo Pasolini, zweifellos eine der tragischsten, aber auch ambivalentesten Figuren der Filmgeschichte, packt die Kettensäge aus und stürmt die kleinbürgerliche Festung. Wie in einer solchen, (sinn)bildlich abgeschottet durch einen mächtigen Zaun, lebt die wohlhabende Familie, um die sich hier alles dreht, auch tatsächlich. Die Fassade eines oberflächlich stabilen Klimas lässt Pasolini im Weiteren jedoch nicht nur bröckeln, er jagt sie in die Luft, und das ausgerechnet durch das Erscheinen einer Messias-Figur, die ebenso wahl- und zusammenhanglos in das Leben der Protagonisten tritt wie sie nach ein paar Tagen wieder verschwindet, vor allem aber alles verändert. Wie der von dem wahrlich bezaubernden Terence Stamp verkörperte, namenlose Mann das erreicht? Ganz einfach: Durch Liebe, die der Bourgeoisie bislang unbekannt war. Pasolini deutet hierbei sexuelle Interaktion und auch Homoerotik lediglich an und macht Körperlichkeit hierdurch zu etwas Heiligem, Übergeordnetem, der wahren Liebe Gleichstehendem, weshalb TEOREMA, nüchtern betrachtet, aus dieser Perspektive zumindest vom heutigen Standpunkt aus nur bedingt zu einem Skandalfilm taugt – dass Pasolini seinerzeit faktisch dennoch gegen alle Fronten wie ein Verrückter für seinen Film kämpfen musste, steht auf einem anderen Blatt und ist wohl durch den Sprengsatz an anderer Stelle mitbedingt, denn richtig los geht es eigentlich erst, als der schöne Unbekannte unsere liebgewonnene Familie wieder verlässt: Alle Familienmitglieder, selbst der zunächst skeptische Vater, drehen plötzlich am Rad und gehen jeweils (vermeintlich) höheren Bestimmungen nach, die sich ihnen durch den Besuch des mysteriösen Gasts, der eigentlich nicht viel getan hat, offenbart haben. Pasolinis ungeschminkte Häme hierbei ist bemerkenswert und kompromisslos, vor allem in Ausformung der Person des Sohnes, der sich nunmehr der abstrakten Kunst zuwendet und doch offenkundig immer noch in seiner alten Haut steckt: "Nobody must realise that the artist is worthless, that he's an abnormal, inferior being who squirms and twists like a worm to survive. Nobody must ever catch him out as naive. Everything must be presented as perfect, based on unknown, unquestionable rules… like a madman, that's it. Pane after pane, because I can't correct anything and nobody must notice."
        Pasolinis persönliche Neigung zum Katholizismus kommt nicht lediglich durch den Stellenwert des Besuchers als – diese Deutung drängt sich zumindest auf – Jesusfigur zum Tragen, sondern auch in Gestalt der Haushälterin, einer christlichen Frau, nicht im Bürgertum verwurzelt, die durch den jungen Mann als einzige tatsächlich ihre individuelle Erlösung findet. Auf die gottlosen Familienmitglieder dagegen, die sich allesamt in Anfällen von Selbstverwirklichung willkürlich und fieberhaft in fixe Ideen verbeißen, wirkt der Besuch des Mannes destruktiv, und diesem Gang der Dinge weint der skandalträchtige italienische Regisseur wahrlich keine Träne nach.
        Aus heutiger Sicht interessant ist insofern der Aspekt, dass Kapitalismuskritik und Glaube sich nach Pasolini nicht gegenseitig ausschließen.
        Dass TEOREMA auch formal, stets zwischen dokumentarisch und programmatisch hin- und herpendelnd, wahrlich schwer konsumierbar ist, ist praktisch aus sich selbst heraus verständlich.
        Als überaus ergiebig erweist sich – ausnahmsweise einmal – der deutsche Titelzusatz "Geometrie der Liebe", sollte man doch meinen, dass Mathematik und ein solch hohes Gefühl sich denknotwendig ausschließen. Aber genau dieser Gegensatz ist es, den Pasolini nachzeichnet – innerhalb der festgefahrenen Strukturen des Bürgertums gibt es keinen Platz für Emotionen und losgelöstes Denken; jede Ambition, jeder Versuch dahingehend ist als wahnwitzig anzusehen und führt zwangsläufig zur Sprengung der in sich selbst konformen gleichschenkligen geometrischen Figur - wie ein Körper, der am eigenen Herzschlag zerbricht.

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        • "Ich habe das Bedürfnis zu eliminieren. Ich bin kein konstruktiver, sondern ein destruktiver Filmemacher."

          Bruno Dumonts Filme, sofern sie denn überhaupt irgendwo auf Großleinwand gezeigt werden, gehören mit Sicherheit zu der Sorte, bei der bereits nach 10 Minuten die ersten Personen den Saal verlassen. Somit war es sicherlich ohnehin nur eine Frage der Zeit, bis ich, immer auf der Suche nach den dunkelsten Abgründen des Independent-Kinos, Bekanntschaft mit dem Franzosen machen sollte – an dieser Stelle aber dennoch ein Dankeschön an den geschätzten "Filmsüchtigen", der diesen Prozess beschleunigt hat.
          Und, was soll ich sagen... ich stoße bei Dumont in mehrerlei Hinsicht an meine Grenzen, sein Werk in Worte zu fassen gestaltet sich äußerst schwierig.
          Die einen sehen in ihm den Erben Robert Bressons, andere stecken ihn in eine Schublade mit Skandalnudel Gaspar Noé und, so absurd es im ersten Moment anmuten mag, liegt die Wahrheit über ihn vielleicht tatsächlich irgendwo in dieser Mitte verborgen.
          Dumont zeigt gerne Sex und nackte Körper. Oft quasi beliebig, aber vor allem (beinahe) immer. Und viel. Auch Gewalt stellt er nicht selten und ungefiltert dar. Und schon steht man vor der noé'schen Krux: Selbstzweck, Effekthascherei oder trotz ausufernder Darbietung nur Teil von etwas Größerem, eines Zusammenhangs? Ich persönlich bin, obwohl ich mich – zugegeben – ebenfalls an Dumont's Wahllosigkeit stoße, in seinem Fall eher noch als bei seinem Landsmann gewillt, ihn in dubio pro reo freizusprechen, obgleich sich sogar im Hinblick auf die Motivation der beiden Filmemacher Parallelen auftun:
          Dumont reduziert seine Charaktere auf ihre Urtriebe und verdeutlicht somit die Alternativlosigkeit ihrer Existenz sowie das Gefangensein in ihr. Dieser absolute Nihilismus, erreicht durch Explizitismus, findet sich als Ausgang bei beiden. Und Dumont ist dabei nicht einmal minder verstörend – zwar nicht unbedingt im Augenblick des Filmkonsums, aber dafür umso heftiger im Nachgeschmack.
          Unterschiede jedoch finden sich in der Art der Inszenierung, denn wo Noé sich im verstörenden Bilderrausch verliert, hält Dumont - und hier sind wir bei Bresson angekommen (der übrigens auch schon befand, dass man nicht schöne, sondern notwendige Bilder gestalten sollte) - an Geradlinigkeit fest. Dumont nimmt für seine Darstellungen ein wenig aus alltäglichen Abläufen hinweg, gibt aber keinesfalls etwas hinzu, was eben zu keinem (wie man zunächst denkt) echten, sondern "subjektivem Realismus" führt. Und da ist noch etwas: Dumont baut auf den Ausdruck (bzw. Nicht-Ausdruck) seiner (Laien-)Darsteller und macht sie damit ganz persönlich zu einem Teil der Charaktere seiner Filme.
          Bresson jedoch ist trotz formaler Schlichtheit nicht immer leicht zu fassen und auch bei Dumont klingt das alles weitaus einfacher, als es ist, denn er lässt Spielräume und sogar Platz für Übersinnliches und Parabeln, womöglich auch für eine Form negativer Spiritualität. Dass sich seine Filme dabei allerdings über weite Strecken anfühlen wie eine Parodie auf das Arthouse-Kino, darf nicht verschwiegen werden. Keine Frage – auch oder gerade als Anhänger des "besonderen Films" muss man eine ganze Menge und wahrscheinlich auch sich selbst überwinden, um Zugang zu Dumont zu finden. Seine Sturheit in Bezug auf das auch nur kleinste Zugeständnis an den Zuschauer macht ihn allerdings zumindest – und das sei ganz wertneutral gesagt – faszinierend.

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          • Ganze zwei Filme habe ich bis jetzt davon gesehen. Bei dir fühlt man sich immer so dumm.

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            • Haneke spielt ja nicht nur mit dem Zuschauer, er führt ihn vor, fast schon wie einen Hund, dem man die Schnauze in den Kot hält, wenn er mal wieder in die Wohnung gemacht hat. Das macht seine Filme unangenehm und unbeliebt. Stellt man sich aber der Erfahrung und lässt sich auf Haneke ein, ist es schon ein unvergleichbares Erlebnis, denn die verstörende Tiefe, die er durch seine nüchterne Kälte erreicht, ist dieser Tage einzigartig.
              Im Artikel wird ein sehr wichtiger Punkt angesprochen, in dem Haneke oft missverstanden wird: Er ist natürlich gerade nicht grundsätzlich gegen jede Form der Gewaltdarstellung in Filmen, denn Gewalt gehört ebenso zum Leben wie Liebe - Haneke kritisiert lediglich eine bestimmte FORM ihrer Inszenzierung, nämlich der als Attraktion zum Mitgröhlen. Und das vielleicht nicht ganz zu unrecht.
              Aber Haneke erschöpft sich darin ja bei Weitem nicht. Wie er beispielsweise "Caché" von einem vermeintlichen Thriller in ein Drama hineinsteuert, bei dem am Ende offenbar gar nichts mehr vom Anfang wichtig ist, ist schon ganz großes Kino.

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              • Oh, ich bin mir sogar SEHR sicher, dass der Film meine Erwartungen erfüllen wird - deshalb schaue ich ihn mir ja auch nicht an.

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                • Meine Güte, was für Perlen darunter sind! [Ich spreche an dieser Stelle bezüglich Greenaway und Kieslowski mal für unseren Jack_Torrance mit, der sich zur Zeit im Urlaub befindet]
                  Aber BITTE nennt diese Listen doch nicht mehr "Geheimtipps" - bei Bergman und Allen wird's langsam lustig (oder traurig, denn ein Film wie "Fanny och Alexander" gehört eigentlich SOWAS von in die Bestenliste).

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                  • 8 .5

                    HUSBANDS aus dem Jahre 1970 gehört vermutlich zu den am Kritischsten beurteilten Filmen von John Cassavetes, tatsächlich jedoch verkörpert er – neben FACES - am Besten diejenigen Facetten, die den Begründer des Independent-Films zu einem meiner Lieblingsregisseure machen.
                    Wie so oft bei Cassavetes ist die "Handlung" schnell erzählt: Drei befreundete Männer im besten Alter geraten plötzlich in Identitätskrisen, als der ehemals Vierte im Bunde in noch jungen Jahren verstirbt – und wie so oft geht es bei ihm vordergründig um das WIE, nicht um das WAS.
                    Im plötzlichen Bewusstwerden der eigenen Sterblichkeit stürzen sich die drei Protagonisten zunächst über mehrere Tage vollends in den Verdrängungsprozess hinein, was schließlich in einem spontanen Trip nach England gipfelt.
                    Cassavetes portraitiert mit seidenfeinen Charakterzeichnungen Menschen in Sinnkrisen auf der Suche nach einer neuen (oder bereits verlorenen) Identität und Unbeschwertheit. HUSBANDS im Speziellen behandelt die Verzweiflung dreier Ehemänner mit gefestigten Existenzen, aus denen es keinen Ausbruch gibt, ganz gleich ob man sich für den Weg der Resignation oder des Neuanfangs entscheidet, denn auch letzterer wird bei Cassavetes am Ende des Tages nur aus Panik und Angst vor dem Stillstand beschritten, den Weg 1 zur Folge hat.
                    Dies alles wird inszeniert ohne rührselige Musikuntermalung und ohne kathartische Erlösung, was ihm – Achtung, Realsatire – von so manchem Kritikerguru als fehlende Dramaturgie ausgelegt wird. In Wahrheit jedoch ist Cassavetes so nah dran an seinen Figuren, dass seine Filme beinahe gar nicht "filmisch" WIRKEN – einige mögen dieses Produkt "Antifilm" nennen, für andere wiederum ist diese Dimension das Höchstmöglichste, das ein Filmemacher erreichen kann.
                    Wer dagegen Hans Zimmer's Hilfe braucht, um zu wissen, dass es nun "voll dramatisch" wird, weiß auch weiterhin, wo er zu suchen hat.

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                    • Sigmund versteht es ohnehin wie kein Zweiter, den Nagel mit nur wenigen Sätzen auf den Kopf zu treffen. Und wie charmant er dabei immer ist.

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                      • 6

                        Ich glaube, das war mein letzter Kinobesuch für einen neuen Cronenberg.
                        Wie verlockend wirkte doch der Trailer - zurück zu den Wurzeln des body horrors, zumindest ein klein wenig? Jederzeit! Allerspätestens nach der enttäuschenden dunklen Begierde darf man dieser Option, auch auf die potenzielle Gefahr einer peinlichen Selbstkopie hin, der schon so mancher Regisseur im Alter erlegen ist, offen gegenüberstehen.
                        Die schlechte Nachricht: COSMOPOLIS ist kein besonders guter Film. Die positive, da vor allem unerwartete Erkenntnis aber inmitten dieser Misere: Es liegt nicht an Pattinson.
                        Die Ausdruckslosigkeit seines Schauspiels steht der Figur, die er verkörpert, fabelhaft zu Gesicht und solange die Kamera allein auf Pattinson gerichtet ist, gibt es kaum etwas zu meckern. Dass eine Schauspielerin eines Kalibers Juliette Binoches unseren Vampirschönling für ein paar Minuten an die Wand spielt und so dessen Präsenz plötzlich arg ins Wanken gerät, ist verschmerzbar - sind ja nur ein paar Minuten. Überhaupt erscheint die Zusammenstellung des Schauspielerensembles in der Theorie unheimlich interessant, in der Praxis aber erschreckend inhomogen.
                        Cronenberg inszeniert allerdings - so viel Zeit muss sein - gewohnt souverän und gekonnt, weshalb die Behauptung, von COSMOPOLIS gehe keinerlei Faszination aus, falsch wäre. Zu sehr aus Zeit und Raum gefallen wirken die Teile des Films, die sich in Peckers schalldichter Limousine abspielen und aus einer banalen Autofahrt ein episodenhaftes Kammerspiel machen. Die totale Sterilität, ein Teil des "einen Prozents" nicht nur emotional, sondern auch räumlich abgekapselt. Demonstranten, Menschen, die Ratten durch die Gegend werfen, eine Ehefrau, die den Sex verweigert, Morddrohungen - alles geht am jungen alten Multimilliardär vorbei. Er will doch einfach nur seinen verdammten Haarschnitt. Mit zwar nicht einseitigem, aber doch sehr offenkundigem Zynismus springt dem Zuschauer dieses absurde Szenario entgegen.
                        Als große Schwäche des Films erweist sich seine Dialoglastigkeit beziehungsweise Cronenbergs fehlender Mut zur Eigenständigkeit: Worte haben auf Papier einfach eine andere Wirkung als ausgesprochen.
                        Auch sinnstiftungsmäßig geht COSMOPOLIS arg am Stock. Don DeLillo schrieb seinen als Grundlage (oder - seien wir ehrlich - Pauspapier) dienenden Roman noch vor dem 11. September 2001, Cronenbergs Film ist somit zwangsläufig mehr Bestandaufnahme denn Seligmachung von prophetischer Dimension.
                        Der kanadische Kult-Regisseur hat zwar endlich wieder ein schwer zu fassendes Monstrum erschaffen, dem es beileibe nicht an Skurrilität mangelt - und doch bleibt der Eindruck, dass Cronenberg zwar viel zu zeigen, aber wenig (neues) zu sagen hat.

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                        • Also die Liste ergäbe von hinten gelesen beinahe mehr Sinn. "Crash", "The Brood" und "Shivers" gehören außerdem mit da rein.

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                          • 9

                            6 Minuten Nacht und Sonnenaufgang, eine Familie am Frühstückstisch, ein Uhrenticken, ansonsten absolute Stille... "Amen", sagt Vater Johan, Löffel und Schüsseln treffen nun hörbar aufeinander, leise Worte fallen unter den Familienmitgliedern - STELLET LICHT beginnt ein zweites Mal.
                            Keine Frage: Carlos Reygadas ist ein Regisseur, der die Natur, die Zeit, den Raum, die Totalität ernst nimmt. Jemand, der keine Geschichten erzählt, sondern Fragen stellt. Jemand, der einem vermeintlichen Seifenoper-Szenario eine ungeahnte Tiefe verleiht.
                            Nobody said it was easy - Familienvater Johan hat mit seiner Frau Esther 6 Kinder, liebt aber auch (!) eine andere: Marianne. Es gibt keine Heimlichtuerei, beide Frauen sind über die Situation im Bilde - und hier beginnt der Film, sich abzuheben.
                            Mangelnde Kontrolle über das intensivste, aber auch verklärteste aller menschlichen Gefühle hindert das Leben und Lieben neben- und miteinander selbst beim Willen aller Beteiligten zur Harmonie: "Peace is stronger than love.", Liebe als undurchdringbarer Kosmos, das schmerzhafte Entweder-Oder/der Kompromiss als vielleicht unvermeidlicher Schlusspunkt, der Mensch als polygames Wesen, dem ausgerechnet sein vermeintlicher Vorteil - seine Vernunft, seine Regeln, seine Ordnung - am Glücklichsein hindert. Der Friede, die Liebe letztendlich nur im Tod.
                            War der Vorgängerfilm des Mexikaners BATALLA EN EL CIELO noch einen Tick zu verkrampft auf Arthouse getrimmt, überzeugt STELLET LICHT durch inszenatorische Souveränität sowie verbesserte Charakterzeichnung und Reygadas entwickelt sich geradezu zu einem modernen Poeten: Stellvertretend hierfür steht eine Szene, in der Johan und Esther im strömenden Regen auf einer Landstraße unterwegs sind, Esther aussteigen möchte, weil ihr schlecht ist, sie Johan bittet, nicht mitzukommen, dann aber doch so tut, als wäre er da ("Mir ist kalt, Johan.") - und schließlich an einem Baum zusammenbricht; ein Vorbeifahrender, der helfen möchte, fragt schließlich: "Did you crash?"
                            Allein dieser Ausschnitt steht stellvertretend für Reygadas' ansprechende, obgleich nicht immer auf den ersten Blick durchdringbare Methaphorik und auch als Gesamtpaket ist STELLET LICHT absolut schlüssig (der Sonnenuntergang als letzte Sequenz schließt den Kreis).
                            Die Namensgebung Reygadas' Charaktere erinnert an Bergman, visuell hat er sich von Tarkovsky und anderen Ästheten der Langsamkeit unverkennbar so einiges abgeschaut - nein, revolutioniert hat der Mann das Medium Film (bis jetzt noch) nicht, und dennoch sei er jedem ans Herz gelegt, der mal "etwas anderes" sehen möchte, ausreichend Sitzfleisch mitbringt - und das Risiko eingeht, nicht immer eine Antwort zu bekommen.

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                            • 8 .5

                              Yasujiro Ozu hatte zweifelsohne die Gabe, seinen Filmen mit simpelsten Werkzeugen ein ungeahntes Facettenreichtum zu verleihen.
                              "Banshun" konglomeriert komplexe soziale, familiäre sowie gesellschaftliche Strukturen und Konflikte im Nachkriegsjapan und bietet doch jederzeit Zugang zu seinen Figuren.
                              Diese beeindruckende Menschlichkeit Ozus Charaktere führt dazu, dass selbst westliche Gemüter schnell Zugang zu diesem Film finden können:
                              Die 27-jährige Noriko hat schon lange die Schwelle zum heiratsfähigen Alter erreicht, aber noch keinen Mann; ihr Vater, Witwer, möchte sie verheiraten, ist aber seinerseits auf sie angewiesen - nicht nur bei der Bewältigung alltäglicher Dinge, sondern auch emotional.
                              Wie selbstverständlich gibt Ozu dem Zuschauer mehr als nur einen Einblick in die komplexen, sich ändernden und teils gar ambivalenten Gefühlswelten seiner Protagonisten. Zum Einen Noriko, die einerseits ihre kindliche Unbeschwertheit nur schwer aufgeben kann, andererseits aber die Last gesellschaftlicher Konventionen immer schwerer auf ihren Schultern spürt, zum Anderen ihr Vater, der weiß, dass er sie in ihr eigenes Leben entlassen muss und sie doch nur schwer gehen lassen kann.
                              "Banshun" ist überhaupt ein schmerzhaftes Zeugnis über die Notwendigkeit des Loslassens, aber auch über die Kraft elterlicher Liebe im Angesicht eines mehr oder weniger vorgefertigten, durch gesellschaftliche Konventionen vorgegebenen Lebenslaufs. Hiermit verkettet wirft Ozu die Frage auf, ob Gewissheit und Beständigkeit nach einem Krieg nicht ebenso unmöglich ist wie während eines Krieges, und gerade Noriko verkörpert geradezu die Sehnsucht nach gefühlsmäßiger, häuslicher Geborgenheit und den Wunsch des Festhaltens von Glück, welcher vielleicht sogar im direkten Widerspruch zum Verdammtsein zur Freiheit steht - nicht nur die letzte Szene des Films ist insofern von einer bedrückenden Poesie.

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                              • Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber Woody Allen an der Schreibmaschine ist weitaus interessanter als der dreitausendste TDKR- , Django Unchained,- oder Prometheus-Trailer. Seit ein paar Tagen scheint mir die Berichterstattung bei Moviepilot tatsächlich ein wenig ausgewogener zu sein - weiter so!

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                                • 9

                                  "Faces" – schon der Titel dieses Films deutet darauf hin, dass es Cassavetes weniger darum ging, Geschichten zu erzählen, sondern einen Zustand einzufangen. Hierbei liegt der Fokus nicht auf Schemata, sondern auf Schauspiel, welches so echt ist, dass der Begriff im Grunde deplatziert ist. Ellenlange Dialoge umkreisen Cassavetes Botschaft lediglich, Handlungen und Verhaltensweisen der Protagonisten konkretisieren und machen sie schließlich zu einer wertfreien Bestandsaufnahme sondergleichen, zu einem Portrait einer zerrütteten, bürgerlichen Ehe in all ihren Facetten: (Sich) selbst vorgetäuschte Harmonie beider Seiten und die Ironie darin, offene und unausgetragene Konflikte, Flucht, die bittere Erleuchtung erst im Angesicht nunmehr unignorierbarer Tatsachen und schließlich die Überforderung mit der Suche nach dem Ausweg.
                                  Der Vater des amerikanischen Independent-Kinos ist anstrengend, weil er scheinbare Nichtigkeiten über Ewigkeiten hinweg ausdehnt und den gemeinen Zuschauer in enorme Wertungsschwierigkeiten bringt; die Erkenntnis, dass jede Sekunde dieser 130 Minuten eine wichtige ist, mag umso bitterer sein – neben der Einsicht, dass Cassavetes Art der Inszenierung wesentlicher Bestandteil der Authentizität seiner Filme ist und dem echten Leben weitaus näher steht als jeder Hollywood-Blockbuster. Wie unangenehm aber auch.

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                                  • Haneke ist wie guter Wein. Und meine Vorfreude auf "Amour" steigt so langsam ins Kosmische. Glückwunsch, Michael!
                                    Aber kein Preis für den heiß ersehnten "Cosmopolis"? Doch nicht so gut?

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                                    • 9

                                      Was für ein adäquater Abgang: In seinem Frühwerk lässt Tarr die Familie untergehen, später das Individuum ("Kárhozat"), dann eine Dorfgemeinschaft ("Sátántangó") - und mit dem "Turiner Pferd" schließlich die Welt. Dabei gelingt ihm vielleicht nicht weniger als eine (Neu-)Definition des Begriffs "Kunstfilm": Mag sich dieser Tage auch beinahe alles "Kunst" schimpfen DÜRFEN, so beginnt sie für mich eigentlich erst dort, wo narrative Kohärenz überdrüssig wird und Kommunikation mit dem Rezipenten die Ebene des Wortes verlässt.
                                      Waren Tarrs frühere Werke trotz kennzeichnend langsamer Inszenierung dennoch nie repetitiv, macht sich "Das Turiner Pferd" erstmals die Wiederholung (welche alles noch langsamer erscheinen lässt) als tragendes Stilmittel zu eigen: Anziehen, Wasser holen, Kartoffeln essen, "fertig". Kurioserweise liegt gerade hierin eine große Stärke des Films bedingt, da Abweichungen vom gewohnten Verlauf eine umso eindringlichere Bedrohlichkeit erwecken: Wenn Bauer und Tochter beim Essen plötzlich wie erstarrt den Blick zum Fenster wenden, gefriert einem geradezu das Blut in den Adern. Oder der Besuch des Nachbarn, welcher eine unheilvolle Verheißung geradezu versinnbildlicht - "Das Turiner Pferd" schöpft all seine Möglichkeiten aus und kreiert eine schauerliche Magie, die über zweieinhalb Stunden anhält. Indem man sich geradezu gezwungen sieht, auch auf winzige Details zu achten, wird man hierfür natürlich umso empfänglicher.
                                      Der größte Trumpf Tarrs ist jedoch vermutlich, dass er trotz - oder gerade aufgrund?! - eigentlich entfremdender Schwarzweiß-Optik den Zuschauer in eine andere Zeit versetzt, ihm aber dennoch seine Figuren unglaublich nahebringt und damit die sich ihm erschließende Option beim Schopfe ergreift, gezielt und platziert dramatisch-erschütternde Momente ohne auch nur den Hauch von Rührseligkeit zu kreieren - Tristesse und Tragik in Stil und Inhalt bedingen sich beispiellos.
                                      Es bringt ja alles nichts: Einen wie Tarr wird es nicht mehr geben. Wie viele Filmemacher sind bemüht, uns ein bisschen Mut, unsere klägliche Existenz auf dieser Erde ein bisschen angenehmer zu machen... Bei Tarr ist inmitten der Schönheit im Untergang die einzige Hoffnung die, dass das, was nach uns kommt - was immer es sein mag - vielleicht besser ist als das Jetzt.
                                      Nietzsche hat seinerzeit passenderweise wirklich so einiges festgestellt, das auf diesen Film zutrifft - ich versuche es einmal hiermit:
                                      "Die größten Ereignisse, das sind nicht unsere lautesten, sondern unsere stillsten Stunden."

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                                      • 10

                                        Mit Filmen ist es ein wenig wie mit Sprachen: Manche klingen nur schön, andere sind für uns ein Schloss mit sieben Siegeln, aber nur eine ist unsere Muttersprache. Selbst der größte Filmjunkie wird einräumen, dass die Zahl derjenigen Filme, die er oder sie sich wieder und immer wieder mit wachsender Begeisterung anschauen kann, letztenendes stark begrenzt ist und vieles nur für den Augenblick mitreißt, weil einen der richtige Film in der richtigen Stimmung erwischt hat.
                                        Wenn aber alle Filme Sprachen sind, sind Béla Tarrs Werke nicht nur einfach Abfolgen von Klängen und Lauten, sondern Musik. Tarr erzählt nicht bloß eine Geschichte, seine Filme sind vielmehr ein Gefühl.
                                        Zwar finden sich auch in "Werckmeister harmóniák" längere Dialoge, aber die Essenz steckt beim Ungarn immer in der BildSPRACHE, die ja eigentlich Musik ist, aber jedenfalls derart intensiv und mitreißend, dass man während immerhin mehr als 2 Stunden wirklich alles um sich herum vergisst, und ich glaube, das ist eine Gabe, die man an keiner Filmschule dieser Welt erlernen kann.
                                        Selbst alltägliche Momente, die Tarr einfängt, sind plötzlich von einem melancholischen Zauber. Sogar ein riesiger, ausgestopfter, stinkender Wal ist irgendwie lebendig, zumindest in den Augen der Hauptfigur János, der für mein Empfinden den letzten Atemzug warmer und wärmender Menschlichkeit in diesem Film verkörpert, während die Gemeinde um ihn herum lediglich das Bedrohliche im Fremden sieht, und so entsteht während der ersten und einzigen Begegnung János' mit diesem Kadaver ein unsichtbares Band, dass sich ebenso wenig sehen wie in Worte fassen lässt.
                                        Überhaupt versteht Tarr es, die Welt aus dem Blickwinkel seiner Protagonisten zu betrachten und gleichzeitig eine Grundstimmung zu erzeugen und zu halten: Wenn János auf dem Marktplatz die letzten Schritte in Richtung der großen Attraktion tätigt, dann klebt die Kamera an seinem Rücken, wandert geradezu im Kreis und fängt ebenso die teilnahmslosen, resignierten sowie frustrierten Gesichter der Menschen ein, an denen er vorbeigeht, und diese subtil-bedrohliche Spannung hält auch dann an, wenn kurz darauf Zirkusmusik ertönt. Und nicht nur das, Tarr schlägt allein dadurch (bzw. auch schon ganz zu Beginn des Films durch eine beeindruckende Darstellung der Sonnenfinsternis) sogar bereits Handlungsrichtungen ein, nimmt den Zuschauer für diesen unbemerkt an die Hand.
                                        Ja, "Werckmeister harmóniák" ist düster, Tarr's typische Endloseinstellungen dürften ohnehin nicht jedermanns Fall sein oder auf manchen sogar prätentiös wirken, und bei all meiner Begeisterung wäre es somit falsch zu behaupten, dass dieser Film ganz sicher jedem gefallen wird und muss - wer jedoch Schönheit in Melancholie erblicken kann, der findet hier nicht weniger als das Paradies, ein zu Hause und sein persönliches Esperanto.
                                        Ich schreibe diese Worte freilich berauscht, aber just in diesem Moment gehören die werkmeister'schen Harmonien sicherlich zu dem filmisch Berührendsten und einfach Bestem, das ich jemals sehen - ach, was rede ich da, ERLEBEN - durfte. DANKE, Béla Tarr!

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                                        • Ich weiß auch nie, wie man "Scorsese" ausspricht und mir ist das jedes Mal furchtbar peinlich. Sehr erleichternd, dass selbst professionelle Filmemacher dasselbe Problem haben.

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                                            Roy Andersson: Trotz Cannes-Erfolg ein offenbar übersehenes Juwel im großen Pool skandinavischer Genies - zumindest legt dies die doch dürftige Anzahl von gerade einmal 102 Community-Bewertungen für diesen Film nahe. Zeit für ein bisschen Werbung.
                                            Wie das wohl bekanntere später erschienene "jüngste Gewitter" untermauern sollte, versteht es Andersson meisterlich, Einzelschicksale episodenartig zu beleuchten und gleichzeitig ein großes Ganzes zu erschaffen, was aber erst zum Ende hin deutlich wird. Bis dahin erscheinen einzelne Dialoge oder sogar ganze Einstellungen oftmals dadaesk und sinnlos, aber keine Sorge, der Mann hat nicht umsonst zehn Jahre lang an dieser Perle gefeilt.
                                            Andersson liebt die Totale, die Kamera und der Blau-Grau-Filter sind dabei so still und steril wie die Dystopie (?), die der Schwede erschafft: Menschen und ihre großen und kleinen Probleme, von denen allein sie eingenommen sind, während die Welt um sie herum irgendwo zwischen Überfluss und nichts, jedenfalls aber ohne Visionen und ohne Glauben vor die Hunde geht, wobei dies zu verschmerzen wäre, würde sich doch wenigstens noch ein Geschäft mit Jesus und dem Kreuz machen lassen. Der Mensch als Zombie (tatsächlich angedeutet durch bleich geschminkte Gesichter), der an seinem eigenen Kreuz zugrunde geht, nämlich an alledem, was er selbst erschaffen hat, ironischerweise sogar an seiner Kunst; nicht einmal Betrug und List führen mehr zum Ziel und auch jede Möglichkeit zur Flucht hat man sich selbst verbaut (grandios: Eine gefühlt endlose Szene gegen Ende des Films in einer Flughafenhalle, in der es die Menschen mit ihrem enormen Gepäck nicht einmal mehr zum Schalter schaffen).
                                            "Songs from the Second Floor" ist ein bildsprachlich distanziertes, aber inhaltlich eindringliches, rabenschwarzes Zeugnis individueller und gesellschaftlicher Resignation gespickt mit Metaphern und groteskem Humor, das Eindruck hinterlässt, oder auch eine Apokalypse, wie sie so noch nicht gezeigt wurde. Meisterwerk!

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                                            • Mein Name ist Jenny. Ich bin Autistin. Wenn ich beispielsweise ein Telefongespräch tätigen muss, und sei es nur für einen Arzttermin, brauche ich dazu erst einmal eine Anlaufzeit von einer halben Ewigkeit, mein Puls ist die halbe Stunde davor und danach auf 150. Wenn ein Buch in meinem Regal auch nur einen Zentimeter verrückt steht oder ein Bild an meiner Wand schief hängt, bringt mich das fast um. In meinem ganzen Leben habe ich noch keine Disco von innen gesehen. Wenn ich dann doch mal von Angesicht zu Angesicht mit jemandem reden muss, kommt meistens irgendetwas unglaublich Unbeholfenes dabei heraus – niemand lacht, wenn ich etwas im Scherz meine, und da ich nicht gut darin bin, Dinge rhetorisch auszuschmücken oder durch die Blume zu sagen, wirke ich auf die meisten burschikos bis schlichtweg unfreundlich und dreist. Die Tatsache, dass ich ein paar unpopuläre Meinungen vertrete, macht es auch nicht einfacher. Ja, wahrscheinlich hatte ich auch eine schwere Kindheit und erfülle ganz sicher noch mehr Klischees des armen, reichen Mittelklassemädchens. Ich bin nicht einmal besonders gebildet und wohl auch nicht so intelligent, wie ich selbst manchmal glaube, aber eines weiß ich: Ich liebe Lars von Trier. Ebenso ist mir klar: Der Rest der Welt tut es nicht. Langsam verzweifle ich dabei, mir ein ums andere Mal Schlammschlachten mit Personen zu liefern, die in ihrem Hass auf diesen Mann ebenso tief rettungslos verwurzelt sind wie ich in meiner Sympathie, weshalb ich mich dieses Mal darauf beschränken möchte, so nüchtern wie möglich einen kleinen Einblick in meine Gefühlswelt zu geben und mich einfach nur zu erklären.
                                              Da ist eine Frau, die eine Menge durchmacht, der das Geld für eine Augenoperation ihres Sohnes vom eigenen Nachbarn geklaut wird und am Ende auch noch erhängt wird, oder die unerbittlich für ihre Liebe kämpft, obwohl ihr eigenes Dorf gegen sie steht, und am Ende ist kein Nettogewinn, nichts, niente. "Hm, ganz schön frauenfeindlich!", denkt sich offenbar die Mehrheit. Ich dagegen sehe die Frau als jeweils einzig guten, opferbereiten, empathiefähigen Menschen überhaupt in von Triers im Grunde genommen romantisch verklärtem Universum, umringt von Wölfen in Menschenhaut, gegen die natürlich keine Chance besteht. Aber genau deswegen ist es ja auch ein DRAMA und keine SATIRE. Sagt sogar Moviepilot in seiner Beschreibung. Gerade die "Golden Hearts"-Trilogie ist es, die eigentlich ohne Doppelboden, Selbstbeweihräucherung oder hohen intellektuellen Anspruch auskommt, sondern einfach nur ein Stück hochemotionales Kino formt, natürlich verhasst von versnobten Kritikern und solche, die es gerne wären, die, protzend vor Stolz darüber, dass sie nach fast 30 Jahren nunmehr im Ansatz Kubrick's Space Odyssey zu interpretieren wissen, längst den größten Trumpf von Kunst vergessen haben: Aufwühlen, berühren, Gefühle auslösen, und im besten Fall dadurch wachrütteln; wenigstens Punkt 1 und 2 schafft von Trier bei wohl JEDEM, sei es in die eine oder andere Richtung.
                                              Sogar das Format kann er dabei beliebig austauschen: Verfilmtes Theaterstück ("Dogville"), Musical ("Dancer in the Dark"), klassisches Melodram ("Breaking the Waves"), Komödie ("The Boss of It All"), Arthaus-Science-Fiction ("Melancholia") oder Horrorfilm ("Antichrist", eindeutige Klassifizierung - zugegeben - problematisch) - you name it, Lars delivers. Von Trier schafft es sogar, dabei die eigentlich immer selbe Aussage zu treffen bzw. lediglich verschiedene Facetten seines Weltbilds zu beleuchten, mal am Kollektiv ("Dogville", "Manderlay"), mal am Einzelnen ("Antichrist", "Melancholia") ausgerichtet; wie passend, dass er in "Melancholia" doch tatsächlich auf den Punkt bringt, was er seiner gesamten Karriere zuvor immer wieder paraphrasiert hat: "The earth is evil, we don’t need to grieve for it."
                                              Und doch… wer genau hinsieht, findet selbst bei von Trier, an vereinzelten Stellen winzige Schimmer des Lichts, und dies ist der Punkt, an dem sich der Kreis zu seiner Verehrung Andrei Tarkovskys schließt, jenseits von Jägern im Schnee oder der Abkupferung von Regenmotiven: Es ist irgendwo zwischen Wellenbrechen und Melancholie die stille Erhebung der (Ver)zweifelnden, Kämpfenden, Hoffenden, zu Helden im Angesicht des eigenen Scheiterns und der Tragik in der Gefangenheit des Seins, das Auge für die Stärke der vermeintlich Schwachen, welches beiden gemein ist.
                                              Das kontroverse Wesen von Triers Filme trägt mit dazu bei, dass Subtext dieser Art untergeht, ignoriert oder willentlich ins Gegenteil verkehrt wird, was der Däne andererseits sicher nicht nur in Kauf nimmt, sondern geradezu heraufbeschwört und damit dem Publikum einfach eine Menge zumutet. Wen interessiert noch Inhalt zwischen den Zeilen, wenn das geliebte Feindbild erstmal steht?
                                              Hier wird von Triers Status auf allen Ebenen als tragische Figur praktisch evident, die nun einmal nicht gleichzeitig Provokateur sein und von jedem verstanden werden kann, sogar durchweg, sowohl als Künstler als auch Person missgedeutet wird, denn: Ein Provokateur trifft nicht einfach nur eine Aussage, er nutzt die Möglichkeiten seines Mediums, um Deutungsebenen zu schaffen - und trägt die Konsequenzen.
                                              Ja, ich bin der festen Überzeugung, dass sein gesamtes Werk Ausdruck seiner persönlichen Authentizität ist, dass es kein Zufall ist, dass man in "Epidemic" zuerst teilnahmslos ihn und Jahre später Kirsten Dunst als Justine in der Badewanne sieht und ebenso fände ich es wünschenswert, wenn man ihm einfach einmal zuhörte, wenn er in Interviews ausnahmsweise nicht unfreiwillig in den Trollmodus verfällt und sagt, dass er eigentlich nur über sich selbst schreibt und in seinen Skripten am Ende schlichtweg männliche und weibliche Rollen vertauscht. Aber jetzt sagt er gar nichts mehr, woran die hater dieser Welt auf langfristig sicherlich weitaus mehr und heftiger zu knabbern haben werden als von Trier.
                                              Und wer meine Worte nun immer noch als Schwachsinn abtut, dem sei abschließend wenigstens mit auf den Weg gegeben, dass ich Frauen (!) kenne, die seine Filme ebenso empfinden wie ich, aber vielleicht sind wir alle nur eine lose Selbsthilfegruppe aus Autisten, von denen man nicht genau sagen, ob sie nun mehr oder weniger sehen als andere, wer weiß das schon...
                                              Für mich ist lediglich eines klar: Unter den ganzen Kubricks, Greenaways, Hanekes und Bergmännern gibt es inmitten all ihrer individuellen Genialität nur einen, von dem ich mich verstanden fühle, und dies ist wahrscheinlich der Grund dafür, warum ich heute generell mehr Filme schaue und weniger Nirvana höre als früher.
                                              Und um nun endlich zum Punkt zu kommen: Tillykke med fødselsdagen, Lars! With the lights out it's less dangerous.

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                                              • 7 .5

                                                Wer mit Peter Greenaway nichts anfangen kann, für den dürfte "The Falls" nicht weniger sein als 195 Minuten pure Folter, denn in vielerlei Hinsicht ist der erste Langfilm des Briten auch sein typischster. Greenaway unverdünnt.
                                                Eine mysteriöses, nicht wirklich näher bezeichnetes Ereignis wirft uns Greenaway vor die Füße, Auslöser für eine Akte mit 92 Kurzbiographien über Opfer dieses Zwischenfalls, die eigentlich nur gemeinsam haben, dass ihr Nachname mit "Fall" beginnt und doch irgendwie mehr. Seltsame Mutationen an Körper und Geist rief das VUE ("Violent Unknown Event") hervor - von plötzlichen Obsessionen rund um Vögel und Fliegen bis hin zu zig neuen Sprachen reizt Greenaway gefühlt die gesamte Palette an Obskuritäten aus, die man auch nur aus dieser Idee herausziehen kann.
                                                Nach spätestens einer Stunde gibt man auf, gelegentlichen Rückverweisen auf vorherige Biographien im Detail nachzugehen, jedoch kapituliert nicht nur das Gedächtnis angesichts einer unfassbaren Flut an bisweilen ebenso unfassbar beliebigen Informationen, sondern auch der Rest der grauen Gehirnzellen in Anbetracht Greenaways sonderbaren Einfallsreichtums; aber, keine Angst, pechschwarzer Humor und sozialkritische Untertöne, vor allem in Gestalt wahnwitziger typisch menschlicher Verschwörungstheorien, bleiben trotz dieser Reizüberflutung sondergleichen nicht unentdeckt.
                                                Ich habe selten nach 10 Minuten so dringend abschalten und gleichermaßen so unbedingt weiterschauen wollen; "The Falls" ist nicht einfach nur experimenteller Mindfuck, sondern hinter allem vordergründigen Chaos - typisch Greenaway - perfektionistisch durchdacht.

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                                                • War ja klar, dass das Gebashe nicht lange auf sich warten lässt. Ich finde den Trailer großartig - Cronenberg scheint ein bisschen back to the roots zu gehen und Pattinson passt meiner Meinung nach PERFEKT da rein. Denkt ihr wirklich, ein Cronenberg weiß nicht, was er tut?

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                                                  • Ich bin weder Anhänger des Künstlers noch der Person Günter Grass, aber jemand, der wegen einer zwar kontroversen, aber die Masse zum Reflektieren anregenden Äußerung, die ich persönlich darüber hinaus für IM KERN alles andere als an den Haaren herbei gezogen halte, derart niedergemacht wird, kann sich meiner Unterstützung stets gewiss sein.
                                                    Spätestens das nunmehr von Israel verhängte Einreiseverbot sollte die Alarmglocken der hetzenden Meute doch zum Schrillen bringen. Die denkbar unnötigste, lächerlichste, unsouveränste und überzogenste Reaktion auf ein paar Zeilen schwarz auf weiß. Hat der gute Mann vielleicht doch den Finger in eine tatsächlich existierende Wunde gelegt?

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