Resolutist - Kommentare
Die 5 meist diskutierten Serien
der letzten 30 Tage
-
AdolescenceAdolescence ist eine Kriminalserie aus dem Jahr 2025 von Stephen Graham und Jack Thorne mit Stephen Graham und Owen Cooper.+20 Kommentare
-
The BondsmanThe Bondsman ist eine Actionserie aus dem Jahr 2025 von Grainger David mit Kevin Bacon und Jennifer Nettles.+18 Kommentare
-
Star Wars: AndorScience Fiction-Serie von Tony Gilroy mit Diego Luna und Genevieve O'Reilly.+16 Kommentare
Die 5 meist vorgemerkten Filme
-
Mission: Impossible 8 - The Final Reckoning182 Vormerkungen
-
From the World of John Wick: Ballerina151 Vormerkungen
-
Final Destination 6: Bloodlines118 Vormerkungen
Alle Kommentare von Resolutist
Im Rahmen einer überzeugend besonnenen Darstellung von repressiven Lebensbedingungen, vom Ruin des Alltags, der durchwegs subtil durch Details in der Umwelt vergegenwärtigt wird, unter einer sanften Tyrannei wie der DDR, ist der Film eine feinsinnige Exploration von Betrachtungs- und Handlungsweisen, die sich aus gesetzmäßigen Gefühlsregungen konstituieren.
Dabei ist es die milde Inszenierung Petzold's, die diesen Film kennzeichnet, der Verzicht Gewichtigkeiten im komplexen Verhältnis von Individuum und Umgebung stilistisch Nachdruck zu verleihen. Die Wirkung der Szenarien, deren Beziehung zu Gefühlsregungen, entfalten sich unwillkürlich, organisch unter dem Primat des morbiden Klima's. Die unter dem Einfluss des Windes rastlosen Wesenszüge der Bäume, unter dessen Obhut Barbara mit dem Fahrrad ihre notwendigen Wege bestreitet, benötigen keine spezielle Stilisierung, sie spiegeln die Zerissenheit, die fluktuierende Gefühlswelt Barbara's auf Basis der organischen Logik der Ästhetik wider.
Das wichtigste Element von Petzold's Formgebilde ist jedoch sicherlich das Casting der beiden Hauptrollen. Nina Hoss, in deren markanten Gesichtszügen sich Pein und Autarkie duellieren und letztere stets Oberhand behält, wie auch Ronald Zerfeld, dessen sanftmütigen Gestikalien in Kontrast mit seiner gebietersichen Statur stehen, sind die Grundlage, wodurch die scharfblickende, subtile Exploration von Verhaltensweisen im Kontext bestimmter präkerer Lebensverhältnisse erst auf diesem Niveau ermöglicht wird.
I.
Caleb, ein Programmierer des marktführenden Suchmaschinenanbieters, kann sich glücklich schätzen, er profitiert von einem Gewinnspiel und darf auf dem anmutigen Anwesen des visionären Gründers des Konzerns residieren. Nathan, der in der Branche große Bewunderung genießt, erfahren wir als eine unförmliche Erscheinung. Der Firmengründer wirkt genauso zutraulich wie die omnipräsenten technischen Gegenstände, Systeme und die dafürstehende Institution. Sein freimütiger und umgänglicher Charakter machen es den bedächtigen Caleb so einfach wie nur möglich sich gut aufgehoben zu fühlen.
Wie Nathan und sein ganzes Anwesen vermochte bereits Caleb’s Arbeitsplatz und das dynamische Team mit dem er zusammenarbeitet einen harmonischen Eindruck zu vermitteln. Es ist gleich die erste Szene, in der wir den Protagonisten in einer hippen und erquicklichen Räumlichkeit, in seinem Arbeitsbereich vorfinden. Es ist diese oberflächliche Harmlosigkeit, die wir in den ersten zwei Akten an allen Ecken und Enden widerfinden. Doch je detaillierter uns diese Oberflächen auseinandergesetzt werden, desto klarer wird die Unredlichkeit und besonders die Bedrohung, die sich hinter ihnen verbirgt. Zu Beginn bewunderte und staunte man noch über Nathan's superkomplexes Sicherheitssystem, doch in dem Moment als zum ersten Mal ein Defekt auftritt, offenbart sich plötzlich die Gefahr, die sich in der hochentwickelten Technik verbirgt. Dieses Motiv der Dekonstruktion von harmlosen Oberflächen zieht sich quer durch den ganzen Film. Caleb wird im Laufe immer tiefer in diesen sich als finster und unredlich offenbarenden Kaninchenbau hineingezogen und schön langsam erscheint der komplette Apparat, dieses Ebenbild Silicon Valley's mit all seiner progressiven Technik, Visionen, Einrichtungen, Individuen und seinem harmonischen Flair immer bedrohlicher und verächtlicher. Auch in Ava, der künstlichen Intelligenz, im Inbegriff der progressiven Ideologie und des technischen Fortschritts wird sich zum Schluss dieses bedrohliche Potential entblößen.
II.
Das besondere Element an Ava ist, dass es sich, im Gegensatz zu Nathans Hausdame, augenscheinlich um einen Roboter handelt. Sie nimmt nur partiell Menschenform an und doch - oder gerade deswegen - kann man sich ihrer Anziehungskraft nicht entziehen (auf diesen Umstand komme ich später nochmal zurück). Wie Caleb verfällt man als Zuschauer der ausgestrahlten Sympathie dieser edlen Erscheinung. Später wird sich herausstellen, dass es sich bei ihr um eine Konstruktion (eine mit erregbare Vagina) handelt, die spezifisch für den Zweck konstruiert wurde den Probanden (als der sich natürlich auch der Zuseher versteht) zu betören. Und es dauert auch nicht lange bis sich aus Caleb’s anfängliche Koketterie romantische Gefühle entwickeln. Sein Verhalten wird im Verlauf der Studie bis ins Detail berechenbar sein, wie das eines Roboters.
Ava’s reduzierte Gesten, allgemein ihre vage Präsenz, in der das innere Selbst stets ein verborgenes bleibt, inspiriert in diesem Bezugsrahmen eine Dialektik, in der der metaphysische Begriff des Menschen auf dem Prüfstand steht. Lassen wir durch billige Tricks, durch bestimmte appetitliche Schlüsselmerkmale, durch leere Oberflächen unsere Gefühlswelt erobern und unser Vertrauen gewinnen, oder wird man dem metaphysischen Selbstvertändnis des Menschen, einem mit freiem Willen und emanzipatorischen Potential, ergo dem Menschen als Seelenwesen gerecht und ist eben in der Lage sich von evolutionsbedingter Prädispositionen zu entheben?
Ferner dieser wesentlichen Frage, kommt in der Interaktion mit Ava auch der dem Zeitgeist entsprechende Fetisch von Gegenständlichkeiten zum Ausdruck. Denn gerade das hybride Moment, die augenscheinliche Künstlichkeit ist erst die Würze, welche in Kombination mit den menschlichen Merkmalen die Faszination von Ava ausmacht. Der spezielle Reiz ihrer hybriden Physionomie auf den Probanden charakterisiert eine - im Dunstkreis der Technifizierung, des angekurbelten Verdinglichungsprozess heutiger Vergesellschaftung – typische Form modernen Bewusstseins, in dessen eben nicht mehr bloß biologische Oberflächen verklärt und mystifiziert werden, sondern auch synthetische.
Der prototypische, flache Bewusstseinszustand Caleb’s, in dem ein evolutionsbiologisches Reizreaktionsschema und ein Fetisch für Dinge waltet, steht dem akklamierten Konzept des Menschen als Seelenwesen antagonistisch gegenüber. Das exemplarische Verhalten des Probanden, des Nerds, dem die aus dem Zeitgeist entfachenden typischen Psychologismen innewohnen, negiert mit seinem Verhalten die Menschlichkeit im Menschen. Der Mensch, in diesem Sinne nur noch als Gattungsbezeichnung zu verstehen, wird zu einem steuerbaren Objekt, zu einem biologischen Androiden, kontrolliert von externen Einflüssen. So kommt es, dass Caleb, nachdem ihm Nathan die Bewandtnis der Studie auseinandersetzt, nachdem er sein bis ins Detail berechenbares Verhalten realisiert, einer Psychose verfällt und seine eigene menschliche Identität anzweifelt.
Jene Aufhebung der Grenzen von Subjekt und Objekt, jene Entfremdung des Individuums perforiert den ganzen Film. Es sind diese charakteristischen Merkmale moderner Wirklichkeit, die das Konzept des Menschen als Seelenwesen ramponieren, welche Garland in seinem Darstellungskosmos mittels eines dialektischen Narrativs und einer dialektischen Ästhetik verhandelt. Es ist diese Behandlungsweise, aus der sich unwillkürlich ein entschiedener Appell an die Menschlichkeit ergibt.
III.
Nathan, das Superhirn des ganzen Experiments, natürlich angelehnt an die Sillicon-Valley-Koryphäen, entpuppt sich mit der Zeit immer mehr zum Decadent (die harmlosen Oberflächen der Koryphäen werden dekonstruiert), er hegt keine Sympathien für die Menschheit und sieht schon hochentwickeltere Arten vor sich, die sich über die jetzige Zivilisation belustigen. Nur seine Hausdame leistet ihm auf seinem erquicklichen Anwesen Gesellschaft und verrichtet ihre Arbeiten, ihre (auch sexuellen) Dienste. Caleb und zunächst auch wir Zuseher schenken ihr keine große Beachtung, nehmen sie stattdessen instinktiv als notwendige Selbstverständlichkeit wahr. Erst als sie sich als Roboter in Menschengestalt enthüllt, sich die verschiedenen Kostüme zeigen, die unterschiedlichen Gestalten, die für ihren Arbeitgeber Dienste verrichten müssen, manifestiert sich für uns die verächtliche Natur ihrer Ausbeutung. Doch warum eigentlich, wenn es sich doch nur um einen Roboter handelt? Die Erschütterung dieses Moments rührt nicht aus dem Umstand, dass Nathan den Roboter ausbeutet, sondern dass die verschiedenen Menschenkostüme des Roboters eine Assoziation zur realen Existenz ausgebeuteter Bediensteter offenbart, die genauso ausgebeutet, denen wir genauso wenig Anteilnahme entgegen bringen, die wir genauso als selbstverständlich verstehen, gegenüber derer wir genauso gleichgültig reagieren wie eben gegenüber der Hausdame Nathan's (ihre Ethnie ist übrigens relevant) als man noch dachte sie sei ein Mensch! Die Tragweite des Films weitet sich von der Frage nach der Menschlichkeit im Subjekt aus auf die Frage nach der Menschlichkeit im System.
In letzter Konsequenz – um jetzt nochmal das zu Beginn des Textes erläuterte omnipräsente Motiv aufzugreifen - bleibt auch Nathan von der destruktiven, bedrohlichen Potenz, die unter der Oberfläche der Technik schlummert, nicht verschont. Er unterschätzt Ava, seine eigene Konstruktion, den Grad mit welchen sie Caleb betört und wie weit dieser infolge gehen wird. Garland stimmt in dieser Phase, wo sich Ava entschlossen und rücksichtslos befreit und die zwei Männer in ihrem High-Tech-Gefängnis zurücklässt eine düsterere Stimmung an, der die zugrundeliegende gravierende Bewandtnis des Films markiert. Die Romantik löst sich in Luft auf, weicht der tückischen Bedrohung der Technologie.
Am Ende bewegt sich Ava bereits frei in der Öffentlichkeit. Ein unbewandertes Klima stellt sich ein in der geschäftige Personen nichtsahnend von den verborgenen Gefahren einer übertechnifizierten Welt ihre Tagesroutine an einem urbanen Schauplatz verrichten. Doch uns Zusehern wird mit der letzten Einstellung, in der Ava’s menschenförmiger Schatten erfasst wird, eine Kontemplation über die Verfasstheit der spätmodernen Zivilisation nahegelegt: Fällt diese unbeseelte Gestalt aus dem Raster, oder reicht die bloße Menschenform, die bloße Hülle bereits aus für das Menschsein, für das partizipieren in unserer Gesellschaft? Und insbesondere: inwiefern ähneln wir dieser unbeseelten menschenförmigen Konstruktion selbst?
Robert Terwilliger schaut sich das an.
ich merkte gerade, dass der Film auf youtube verfügbar ist: https://www.youtube.com/watch?v=zJIj50LxXKU
Der letzte Film vor Akerman's Suizid. Ein Film, nicht weniger radikal wie Jeanne Dielman. Die illusionslose, dekonstruktivistische Darstellungsform, die Methode mit der Akerman die Panoramen des Mikro- und Makrokosmos des Lebensraums und menschliche Interaktion im Zusammenspiel mit dem Prozess des Filmemachens (sie den Zuseher auch miteinbezieht) aufgreift, wie sie das alles in eine Form bringt, in der sich das Wahrhaftige, der antagonistische Charakter des Seienden offenbart, der Überzug entblößt wird, der sich rücksichtslos über das Individuum ausbreitet und ihm jede trostreiche Luft zum atmen raubt, der jede Zuflucht, auch die in Form vertrauliche Beziehungen negiert, ist von einer greifbar-authentischen Schonungslosigkeit, bei der es einem mulmig ums Herz wird.
ui, super! - das gönne ich Östlund...
Naja, du hättest, zumindest in einem Nebensatz, schon erwähnen können, dass Sea Sorrow außerhalb des Wettbewerbs läuft.
"cinema is really not about what we see; it's about what we don't see"
Wenn es auch in den ersten 15 Minuten vielleicht Ansätze gibt, reicht die Tragweite, so wie es bei Machwerken stets der Fall ist, von "Days of Wine and Roses" nie über die in der Inhaltsgabe verwiesenen Thematik hinaus. Die Auseinandersetzung mit dem Laster der Trunksucht und dem dadurch induzierten Elend soll in seiner plastischen Darstellung des Verfalls der Figuren erschütternd und in seiner Erzählform pädagogisch wertvoll sein. Anstatt Erschütterung verspürte ich allerdings bloß ein Erstaunen über die Schlechtheit dieses Films. Die beständige eidetische Szenengestaltung und die Klischeehaftigkeit jedweder Gesten der Akteure stehen im Konflikt mit dem bemüht seriösen Grundcharakter der Konzeption und führten dazu, dass mich das Geschehen in den besten Fällen kalt ließ, in den schlimmsten unfreiwillig amüsierte. (Am lustigsten fand ich wohl die Szene als Lemmon im Blumenhaus randalierte, wobei der anschließende Aufenthalt in der Psychiatrie ihr gleich Konkurrenz macht)
Überflüssig zu erwähnen ist, dass die großteils triviale Ästhetik, die das Treiben ummantelt, dem nichts entgegenzusetzen hatte. Filmkritiker finden diesen Film, da sich alles an der Oberfläche abspielt und sie ihn deshalb verstehen, aber natürlich dennoch grandios.
"Bestes und jüngstes Beispiel hierfür bietet Die Eiskönigin - Völlig unverfroren. Deren Hauptfigur Elsa löste einen wahrlichen kleinen Sturm aus, denn sie als lesbische Frau zu lesen ist unglaublich einfach und geradezu herausragend befriedigend für Frauen, die sich ebenso identifizieren. Dazu muss man nur den Fakt ignorieren, dass Elsa und Anna Schwestern sind."
http://i2.kym-cdn.com/entries/icons/facebook/000/000/554/facepalm.jpg
Was war das mal wieder für eine rassistische Oscar-Verleihung.
Gute Nacht.
hat Isabelle Huppert schon mal in einem schlechten Film mitgespielt?
klar. Moviepilot geht vor.
Gerard Depardieu und Isabelle Huppert, zwei Schauspieler deren physischer Verschleiß vom Zahn der Zeit gekennzeichnet ist, spielen sich selbst in diesem überwältigenden Meisterwerk. Sie sind auf der Suche nach Antworten. Ihr Sohn hat sich ermordet und ihnen einen Brief hinterlassen, der Instruktionen beinhaltet: Sie sollen zusammen Death Valley besuchen.
In einer Szene vor dem Ende werden wir Depardieu, der eigentlich schon auf dem Heimweg war, beim Urinieren vor der imponierenden Wüstenlandschaft beobachten. Jene Kläglichkeit, die in diesem Bild zum Ausdruck gebracht wird, ist ein Motiv, welches den ganzen Film durchströmt. Nicloux nützt den Schauplatz des berühmten Nationalparks um behutsam die Potenz der Umwelt, das Missverhältnis zwischen ihr und der Existenz der vergramten Eltern, aufzugreifen. Ein latentes Unbehagen, ein Unwohlsein mit den Lebensbedingungen, immer wieder unterstrichen durch triviale Schreckmomente, manifestiert sich im Wesen der beiden Akteure, wenn sie sich in der Wüstenlandschaft im Angesicht der erbarmungslos auf die Erdebene herunterbrennende Sonne und den vitalen Windböhen, die sich in den Wüstengesteinen verfangen, aufhalten. Ferner der Expeditionen, im Quartier ihrer Absteige, sind es stupide Touristen und die Automatismen des Betriebs, die immer wieder außerhalb des Fokus eine latente Irritation hervorrufen und für Unbehaglichkeit sorgen.
Das Angesicht der exemplarischen Umwelt Death Valley's offenbart die Kläglichkeit, die Verletzbarkeit, die subtile Entfremdung der Subjekte von der einst so trauten Welt. Die feinsinnige Art und Weise mit der Nicloux das von Beginn an durch Einzelheiten, von Depardieus argwöhnische Schwimmen im Pool bis hin zu Hupperts Versuch mit den schnelllebigen Zeitgeist zurechtzukommen, einfängt, die betuchte Suggestionskraft, die sich in seiner subtilen Inszenierung verbirgt, ist nicht hoch genug zu bewerten.
Nur wenn sich die beiden alteingesessenen Schauspieler zusammen in ihrem Zimmer isoliert von der Außenwelt aufhalten, herrscht eine unbedarfte Atmosphäre, in der sich ein Raum für eine genuine Gefühlswelt und eine unbefangene Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen auftut. Es sind rührende Momente, wenn die sonst so barsch erscheinende Isabelle den Brief ihres Sohnes vorliest und ihrem Kummer Ausdruck verschafft. Doch ist der rührendste Augenblick in diesem Setting ein Moment der Zärtlichkeit, ein vorsichtiger Kuss, von dessen Bedeutung am Morgen beim Frühstücksbuffet nichts mehr übrig sein wird. Es sind überhaupt die Abendstunden, wo sich im Kontext der Stille, im Zeitraum des brachliegenden Betriebs, ein Spalt der Tür zur existenziellen Wahrheit öffnet. In einer traumhaft anmutenden Sequenz am Standort eines Tennisplatz, da wo die erbarmungslose Hitze der Sonne die Schuhsohlen der lebenskräftigen Spieler am Tag bratet, steht Depardieu einem deformierten Mädchen gegenüber. Sie formuliert einen Satz: "It's to hard". Depardieu erwidert prompt: "but not for me". Das entstellte Mädchen aber antwortet: "yes, for you too".
Nicloux legt behutsam die Entfremdung zweier Subjekte gegenüber der Welt dar, ohne dass es sich dabei um einen bewussten Prozess aus dem Blickwinkel der Protagonisten handelt. Als Gerard seiner ehemaligen Lebenspartnerin, unterdessen sie unter quälender Hitze vor einem Abgrund rasten und sich das exemplarische Bild der anmutigen, potenten Wüstenlandschaft vor ihnen auftut, eröffnet, dass er an Krebs erkrankt ist, wird der Dualismus zwischen dem Subjekt, das seinen Zenit längst überschritten hat, und der Welt greifbar. Er, der ein Schatten seines früheren Selbst ist, dessen Plauze und schweres Atmen (von der Tonspur immer wieder berücksichtigt) Ausdrücke seines natürlichen Verfalls darstellen, ist, unterdessen ihm die gnadenlose Hitze zu schaffen macht, guter Dinge was seine Krankheit angeht, ist noch fest verhaftet in dieser Welt, die ihm so befremdlich erscheint, die ihm ständig reizt und erschreckt. Bei Huppert verhält es sich nicht anders. Wen wir sie zu Beginn, wie sie durch die Anlage des Quartierbetriebs wandert, aus der Rückansicht verfolgen, so sehen wir ein Subjekt mit einer prävalenten Körpersprache und souverän offen getragenen Haaren, wie sie einer Frau gehören könnten, die sich in der Blüte ihres Lebens befindet. Doch der schwerwiegende Sound akzentuiert bereits eine tiefschürfende Wahrheit, die das Subjekt vor uns auf herzbewegende Weise im Kontext der Umwelt fragilisiert. Ihre Verletzlichkeit, die Desillusion, die sich hinter dem Bemühen Haltung zu bewahren verbirgt, die wird sich im Laufe des Films immer deutlicher ersichtlich zeigen. Sie, die bemüht ist Schritt zu halten mit der Schnelllebigkeit und dem Technikfetisch des Zeitgeists, wird später ihr Handy beiläufig in der Wüstenlandschaft entsorgen.
Es ist dieser Aufenthalt im Tal des Todes, der von einem Verstorbenen instruiert wurde, ein Schleichweg zu einer existenziellen Erkenntnis: Das tiefschürfende Verhängnis, dass diese Welt für sie beide keinen Platz mehr bietet. Bis zum Schlusspunkt sind es vor allem zwei Erschütterungen, in der jenes schwerwiegende Verhängnis nicht nur in der Unstimmigkeit mit der Umwelt akzentuiert wird, sondern direkt auflauert auf der Bühne der Existenz und für eine emotionale Verwüstung sorgt. Eine davon wird von der Plansequenz eingeleitet, in der Depardieu zunächst in der arglosen Atmosphäre der Abendstunden, untermalt von behaglichen Gitarrenklängen eines Touristen, durch die Anlage spaziert, bis er, als er den Blick auf Isabelle's Zimmerfenster richtet, Zeuge eines horrenden Schreis wird und er seiner ehemaligen großen Liebe panisch zu Hilfe eilt. Das Szenario, welches sich anschließend unter der Führung des schwerwiegenden Sounds, der mit dem Schrei einsetzt, am Korridor offenbart, steht ganz unter dem Joch jenes bitterlichen Verhängnisses und ist einer der gänsehautisierendsten Momente des Films.
Die zweite Erschütterung, das zweite auflauern des Verhängnis auf der Bühne der Existenz, die zweite Begegnung mit dem Sohn findet in der Wüstenlandschaft statt. Währenddessen Isabelle rastet, spaziert der schwer atmende, dickbäuchige Depardieu unbedarft hinein in ein Wüstengewölbe. Er ist umkreist vom Gestein, das Atmen wird intensiver, sein Lebensraum wird ihm zugeschnürt, der Blick der Kamera wechselt immer wieder von der unbeseelten Gesteinswand verzweifelt zum wolkenlosen blauen Himmel: er sieht seinen Sohn und der monumentale Sound setzt ein. In Folge füllt die Erschütterung, die aus dem Verhängnis der an Halt verlierenden Existenz rührt, das Klima im gleichen Maße aus, wie in Huppert's Begegnung mit dem Sohn. Von der Unbedarftheit zur Unbehaglichkeit, zur Erschütterung. Jene Sequenz, dessen Tragweite man natürlich schriftlich nicht angemessen darlegen kann, zeugt von einer ungemeinen Kunstfertigkeit.
Die Erfahrungen des instruierten Ausflugs hinterließen eine Wirkung. Es war dieser Aufenthalt im Tal des Todes ein Tor zu einer existenziellen Erkenntnis, ein Tor zu einer metaphysischen Zusammenkunft (die in diesem Zusammenhang implizite und titelgebende Äquivalenz von Liebe und Tod greif ich jetzt aus Bequemlichkeit nicht näher auf): Die kläglichen Eltern des verstorbenen Sohnes werden sich in der letzten Szene vor den aufgegliederten Motelzimmern begegnen. Ein unbefangenes Verständnis im Mantel der Ergebenheit, wird sich in ihren ausgetauschten Blicken entfalten als Depardieu seine neuen Brandmale zur Schau stellt, ein Verständnis von einer Dimension, die einem erstarren lässt: Der Kreis schließt sich und die Bewandtnis des Ausflugs dünkt ihnen: Nein, es ist kein Platz mehr für sie auf dieser Welt; genauso wenig wie Platz ist für den verstorbenen homosexuellen Sohn und dem defomierten Mädchen. Die ergreifende Massivität jenes Befunds über die unsere Welt, die geht einem durch Mark und Bein und wird einem nicht bloß durch den Abspann bewegen.
Ich wusste gar nicht, dass nach der Hysterie im letzten Jahr sofort reagiert wurde und nun gleich eine Rekordanzahl an Afroamerikanern nominiert wurde. Haha.
Die Oscars bleiben dennoch ziemlich rassistisch. Menschen mit asiatischer und lateinameriaknischer Herkunft sind dieses Jahr unterrepräsentiert. Aber vielleicht wird es ja im nächsten Jahr besser. Da könnte man dann auch merh auf die LGBTQ-Community Rücksicht nehmen; genauso wie auf religiöser Diversität. Gerade im Angesicht von Trump schenkt man religiöser Diversität, meiner Ansicht nach, viel zu wenig Aufmerksamkeit. Naja, warten wir ab - vielleicht wird ja nächstes Jahr der künstlerische Maßstab endgültig auf dem Altar der politischen Korrektheit geopfert. Es wäre besser für die Welt und für die Menschheit.
Und ja: Die Academy sollte, nun da schändliche Details von Affleck's Vergangenheit ans Tagslicht gekommen sind, die Nominierung revidieren. Ich würde vorschlagen man nominiert stattdessen jemanden, der Opfer einer Vergewaltigung oder zumindest sexueller Belästigung wurde. So schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe.
Schon in seinem großartigen "Museum Hours" ist es die Profanie des Alltags in der Jem Cohen die Tiefgründigkeit, das Kunstvolle findet. Auch in Counting sind es die Alltagsmotive die im Fokus stehen, mit der Cohen eine beeindruckend sophistizierte Sprache kreiert, in der sich durch die subtile Konnektivität der einzelnen Aufnahmen und wiederkehrenden Motive einschneidende Wahrheiten über unser Dasein offenbaren. Wovon rede ich hier, was sind diese Wahrheiten, die die Sprache dieser Dokumentation transportiert? Ich empfehle den Film zu schauen und es selbst für sich rauszufinden.
Das Vorbild für Counting war übrigens Chris Marker. Ihm ist der Film auch gewidmet.
Eigentlich wollte ich nur auf einen Kommentar antworten, aber es sind dann doch ein paar mehr Zeilen entstanden. Meine Erinnerungen an den Film sind jedoch nicht mehr die frischesten.
------------------------------
Es ist das idyllische Panorama der abgeschiedenen Provinz, in der sich ein unbeschwertes, harmonisches Familienleben breitmacht, das zu Beginn die Ästhetik des Films bestimmt. Heavy Metal-Musik, die sich antagonistisch zu dieser uns dargebotenen heilen Welt verhält, spielt zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt keine Rolle im Leben der Protagonistin. Es ist der Tod ihres Bruders, der auf scheußliche Weise innerhalb dieses idyllischen Panoramas umkommt, der die Affinität zu dieser Art von Musik auslöst.
Mit dem Ableben des Bruders wird das scheußliche Element des Wesens der Realität in das idyllische Provinzleben gestanzt. Gerade auch die Manier des Ablebens ist ein Ausdruck dessen, dass dieser scheinbar vor allem Übel der Welt abgeschotteter Lebensraum nicht verschont bleibt von der unbarmherzigen Realität, von dessen immanenten Eigenschaften, vom Leid und der Schrecklichkeit. Doch obgleich das idyllische Provinzleben davor nicht verschont werden kann, liegt die Ignoranz dem gegenüber in dessen Natur. Es ist blauer Himmel und die Sonne scheint auf die erquicklich anmutenden Felder als Hera's Bruder in der Ferne, abseits unseres Wahrnehmungshorizonts, vom Mähdrescher erfasst wird und anschließend stirbt. Das Schreckliche ist passiert, doch dieses Schreckliche hat keinen Platz in diesem Lebensraum, in dieser Gemeinschaft. Nach der unmittelbaren Trauer nimmt alles weiter seinen geregelten Gang, man geht zur Tagesordnung des Provinzalltags über und die Sonne scheint weiter auf die Felder in der Hera's Bruder umkam. Wie selbstverständlich erwartet man von ihr, dass sie sich bald wieder in den routinierten Alltag einfügt, in der dem unbeschwerten Dasein kein Abbruch getan wird. Doch, verdammt nochmal, ihr Bruder kam auf abscheuliche Weise ums Leben. Wie kann sie nach so einem schrecklichen Ereignis noch den gleichen Blick auf die Welt haben, wie zuvor?
Der veränderte Blick auf die Welt findet in der Heavy-Metal-Musik einen adäquaten Ausdruck. Sie ist es, die dem angebrachten Defätismus Einlass gewährt, die dem unbeschwerten Treiben der Gemeinschaft den Riegel vorschiebt, die pittoresken Farben der Landschaft verdunkelt, das Verständnis aufbringt für die vergrämte Natur des Seelenlebens der Protagonistin. Denken wir an die wunderbare Szene, wo sie vor versammelter Gemeinschaft ihr Leid auf der Bühne zum Ausdruck bringt.
Jene defätistisch Perspektive auf das Dasein, sorgt notwendigerweise auch dafür, dass die Quelle ihres Missmuts mit fortwährender Dauer vermehrt die herrschenden Verhältnisse in der biederen Provinz sind, die sie einfach nicht hinnehmen will, gegen die sie infolge revoltiert. Es macht sich in ihr der Wunsch breit ihren Heimatort zu verlassen. Doch - und das ist ein entscheidendes Merkmal des Films - entsteht nie ein Antagonismus mit dieser ihrer nun so zuwideren Heimat. Ihr Warten auf den Bus hat, wie sich durch ihr wiederholte Umentscheidung offenbart, eher symbolischen Wert, ist mehr Ausdruck eines Missbehagens mit Charaktereigenschaften ihrer Umwelt als ein Produkt eines endgültigen Entschlusses. Ihre Revolte, in dessen Höhepunkt sie die Ortskirche abfackelt, hat letzten Endes die intuitive Absicht das standardisierte und bigotte Lebensmodells zu verneinen, in der kein Platz ist für Defätismus, in der es nicht toleriert wird aus der Reihe zu tanzen, verstimmt zu sein, sich mit der Realität auseinanderzusetzen, Umstände zu bekritteln, sich den potentiellen Ehemann zu verweigern, nicht in die Kirche zu gehen, etcetera. Es ist die Ignoranz ihrer Umwelt gegenüber der Beschissenheit der Dinge, die Hera verzweifeln lässt. Man soll anerkennen, dass das Leben manchmal einfach Scheiße ist; dass man, nachdem der eigene Bruder ums Leben kam, vielleicht nicht in der Verfassung ist in die Kirche zu gehen und sich sonstigen üblichen Konventionen des sozialen Lebens unbeschwert hinzugeben; dass einem die Einöde der abgeschotteten Provinz hin und wieder saueraufstößt. Kurzum, man soll die Legitimität des Defätismus anerkennen. Dieser Endzweck, nachdem sie intuitiv trachtet und der am Ende erfüllt wird, wird partiell durch ihre Musik ermöglicht. Im späteren Verlauf werden ihre musikalischen Erzeugnisse dazu führen, dass eine Metal-Band für einen Zeitraum am sozialen Leben der Provinz teilnimmt. Die Musiker fungieren als dezenter und angenehmer Störfaktor für die pedantische Routine der Gemeinschaft. Man denke an die Szene, wo sie sich zusammen mit Hera und dem ihr aufgezwungenen Ehemann im Auto aufhalten.
Es ist ein Prozess, aber Hera's Umwelt, ihre Heimat, diese Einöde, die mit so vielen Frömmlern versehenen ist, versöhnt sich dezent mit ihrem Bewusstseinszustand. Wo zu Beginn das mit Sonnenstrahlen durchflutete Landschaftspanorama die Ubiquität der Idylle charakterisierte, ist es bei ihrem letzten Versuch Abstand von ihrer Umwelt zu gewinnen, Tristesse und Kälte, die das ihr umgebene Panorama kennzeichnet.
In der konsequenten letzten Szene, die möglicherweise vielen befremdlich erscheinen mag, in der Hera mit ihren Eltern zur Metal-Musik tanzt, ist es nicht nur die erwähnte Anerkennung der Umwelt gegenüber der Legitimität des Defätismus, die sich hier erkenntlich zeigt, sondern insbesondere auch dessen Zweckmäßigkeit. Es ist gerade die Einigkeit über die Beschissenheit der Dinge, die das Potential in sich trägt das Leben zu erleichtern.
Scorseses Libelingsfilme stammen aus der Zeit bevor er selber angefangen hat Filme zu drehen. Das ist logisch und verständlich. So ist es bei den meisten Regisseuren. Das entschuldigt ihn und andere aber nicht einen so hanebüchenen und törichten Unsinn von sich zu geben. Zeitgenössische Filmkunst bringt quantitativ weit mehr Qualität hervor als irgendeine Zeit zuvor in de Geschichte des Films. Scorsese hat keine Ahnung. Was hat er denn gesehen? "Ein paar Filme". Was war da dabei? Das ein oder andere Produkt der Kulturindustrie und ein paar Oscarfilme. Gratulation - damit ist seine Kenntnis von zeitgenössischer Filmkunst gleichzusetzen mit der des durchschnittlichen Moviepiloten. Der heuchelt an dieser Stelle natürlich Filmkenner-Kompetenz, stimmt Scorsese zu und erhebt sich über das marvelschauende Fußvolk, weil er mal Casablanca und Ben Hur gesehen hat. Lächerlich. Abgesehen von the harrr nehm ich niemanden ernst, der behauptet früher wurden mehr gute Filme gedreht.
Hier gehts übrigens zur hitzigen Debatte zwischen mir und the harrr (unter Insidern auch bekannt als das Duell der Giganten): http://farthaus.org/forum/viewtopic.php?f=7&t=1414
(speziell Seite 2)
Dieser Skandal spricht für Bertolucci...
Zuviel editiert und ohnehin für einen Kommentar zuviel. Also Blog: http://www.moviepilot.de/news/dheepan-2015-179882
sollte man nicht unterschätzen...
Eine bescheidene Analyse:
I.
Gleich zu Beginn finden wir uns in den Räumlichkeiten von Julien’s Liebhaberin wider. Es herrscht ein Klima in der man vergebens nach Anzeichen von Widrigkeiten und Missstimmungen sucht. Das sogenannte blaue Zimmer offenbart sich uns schnell als unbeschwerte Herberge des Pläsier, indem die sexuellen Aktivitäten des Liebespaars in ihrem Wesen von einer ungekünstelten Innigkeit rühren, die durch feinsinnige und unanstößige erotische Aufnahmen festgehalten werden. Das Zusammensein der beiden Fremdgeher erfahren wir als ein paradiesisches Erlebnis, welches im Laufe des Films immer wieder mit malerischen Bildern (man denke an die Sequenz des ersten Kusses oder die Sexszene vor dem verregneten Fenster) überromantisiert wird.
II.
Das Familienleben stellt in seiner Kargheit, seiner fehlenden Leidenschaft einen Kontrast zur frohlockenden Atmosphäre der Affären-Perspektive dar. Julien's Gattin verkörpert in ihrem ganzen Wesen den regulären Typ Hausfrau, den perfekten Mittelwert, der von Verhältnissen beeinflussbar ist. Wo das Beisein der Liebhaberin Sinnlichkeit versprüht, büßt der sich im Schlafzimmer entblößende gut proportionierte Körper der Ehefrau im Kontext des kärglichen Status der Beziehung an Anziehungskraft ein. Die Interaktionen es Ehepaars sprechen allgemein in ihrem Gleichmut die Sprache der Notwendigkeit. Die emotionale Gleichgültigkeit, die Kälte der Beziehung kommt unter anderem im Kinobesuch durch die Überblendung der Leinwand zur abendlichen Heimfahrt zum Ausdruck. Gemeinsame Unternehmungen, wie dieser Kinobesuch, dienen nur noch der Routine, sind fade, gehen vorüber ohne den Moment der Zweisamkeit auszuschöpfen. Man bedenke auch die Szene im Meer, welche die Disharmonie, die seelische Entfremdung zueinander, generell das Abhandenkommen des instinktiven Vertrauens der Ehefrau, also den lädierten Status der Beziehung illustriert, unterdessen an der Oberfläche alles seinen gewöhnlichen Gang zu nehmen scheint.
III.
Die narrativ hinten angesiedelte Perspektive, ist die der neutralen Instanz, die der Obrigkeit, die über Recht und Unrecht, über Richtig und Falsch urteilt. Aufgrund ihres diskreten und unaufdringlichen Portraits stellen die Beamten, da sie so auf die unbefangene und rechtschaffene Natur ihrer Tätigkeit reduziert werden, eine moralische Instanz dar, eine Instanz die versucht die vergangenen Geschehnisse aufzuarbeiten. In der ernüchternden Atmosphäre des Settings im Rechtsinstitut wird Julien die Reflexion ermöglicht, in der sich ihm die Unmoral seines Handelns, der Verrat an seiner Familie schonungslos eröffnet. Eine Szene die das zum Beispiel sehr gut veranschaulicht, ist das Wiedersehen mit seiner Geliebten beim gemeinsamen Verhör. Die idealisierte paradiesische Erfahrung weicht der Formalität, der rohen Essenz seines Handelns, dem Ehebruch.
IV.
Der Film stellt sich entgegen einer weitgewandten modernen - insbesondere männlichen - Vorstellung, die den Ehebruch versucht zu bagatellisieren.
Die zunächst noch unbedenkliche Bekömmlichkeit des Liebesabenteuers wird durch den Perspektivenwechsel, durch die Darstellung der lädierten familiären Verhältnisse (die die Affäre erst ermöglicht), durch das Setting des Rechtsinstituts, in der eine neutrale Begutachtung der Begebnisse abgehalten und dessen schwerwiegende Auswirkungen offengelegt werden (der Höhepunkt ist dabei die Szene, in der sich der Mörder von Julian’s Frau ersichtlich zeigt), destruiert.
Bei genauerem Blick entdecken wir bereits in der Herberge des heilsam anmutenden Pläsier, im blauen Zimmer eine unheilvolle Präsenz: Wenn Julien’s Unbekümmertheit und Übermut für einen Moment flöten geht, weil er, unterdessen er nackt vor dem Fenster steht, meint den Gatten seiner Flamme entdeckt zu haben, oder wenn eine lästige Fliege die sinnliche Erfahrung für kurze Momente vermiest, dann sind das fein dargestellte minimale Störungen, welche die verächtliche Essenz der suggerierten paradiesischen Erfahrung bereits andeuten. Später im Gerichtssaal, nachdem die destruktiven Auswirkungen von Julien’s Handeln offenbart wurden, werden diese subtilen Zeichen in Form der Wandverkleidung nochmals aufgegriffen. Die Unmoral der salonfähigen Praktik des Ehebruchs bekommt durch diese Einstellung zum Schluss, durch das nahegelegte Sinnbild der störenden Fliege, die das Paradies des blauen Zimmers unheilvoll konnotiert, einen zusätzlichen Nachdruck.
Es ist das unmoralische Handeln an sich und dessen Konsequenzen (noch zusätzlich von den Presseleuten unterstrichen), das im Zentrum von „das blaue Zimmer“ steht. Eine Dämonisierung von Individuen findet nicht statt. Julien's schmächtige Statur und allgemein unscheinbare Erscheinung symbolisiert anstatt eines kaltblütigen Übeltäters viel mehr einen Otto Normalverbaucher, der nicht so recht weiß wie ihn geschieht, der seinen eigenen unreflektierten und törichten Entscheidungen zum Opfer viel und nun Verantwortung übernehmen muss für die Konsequenzen seiner Handlungen. Und im Wesen dieser Handlungen selbst, in der abstrakten Gestalt des ehemaligen Objekts der Begierde und ihrer Familie (abstrakt, weil es sich um jenseitige Perspektiven handelt) manifestiert sich im Laufe des Films die Schlechtigkeit und Unmoral.
Schmitt blamiert sich mal wieder.
Das dritte Meisterwerk von McGehee/Siegel.
Meine bescheidene Analyse zum Film:
Am Schauplatz der Brooklyn-Bridge werden wir Zeuge eines Liebesgeplänkels. Die bewegliche, sprunghafte Kamera ist nah dran an den Liebkosungen des Paars, im Hintergrund stets das anmutige Antlitz der Großstadt. Ein Rätselcharakter ummantelt die Szenerie, bis sich das Paar nach einem Münzwurf plötzlich löst und auf unterschiedliche Pfade in die Metropole eintaucht.
Schon sind sie in der Betriebsamkeit der Stadt angekommen, werden sie beide von ihrem jeweiligen Partner mit dem Auto aufgegabelt. Wir verfolgen nun ein und das selbe Paar in zwei unterschiedlichen Daseinsvarianten. Obwohl dieser Widersinn des Hergangs extra nicht mittels Bruch in Narration oder Ästhetik illustriert wird, gliedern sich die Protagonisten ohne Bewusstsein des Szenarios auf der Brücke ein in die Situation. Es scheint fast so als unterdrücke der stur dargelegte vitale Fluss des Geschehens das surreale Moment.
Die dynamische Charakteristik der ersten Variable zeichnet sich bereits aufgrund des Taxis und des hektischen Willens das Problem mit dem Handy zu lösen ab. Im Gegensatz zu den gesitteteren Lebensverhältnissen der bürgerlichen Variabel herrscht hier stets eine deklamatorische Turbulenz, die von einem hochfrequentierten Schnitt und einer Kamera verdeutlicht wird, die kein innehalten kennt, die das Geschehen regsam und unruhig, stets aus verschiedenen Blickwinkeln exploriert und in jeder Szene sensibel kleine Stressoren abmustert, wie das nervöse Klopfen an der Fensterscheibe des Ladens, in dem gerade Bobby telefoniert, um die Sache mit dem Telefon zu klären, kurz bevor sich die Ereignisse überschlagen.
Schon zu Beginn, als Bobby und Kate parallel von ihrem Partner abgeholt werden, deutet sich aufgrund der Verkehrsmittel der unterschiedliche Typus der beiden Daseinsvarianten an. Im Gegensatz zur agilen Lebensart der ersten Variabel findet man in der zweiten eine sittsame, strukturiertere vor, die durch den Kombi und des geplanten Ziels der Familienfeier eingeläutet wird und sich zunehmend materialisiert. Währenddessen man in der Handy-Variable den Computer nutzt um einen riskanten Deal über 500.000$ auszuhandeln, fertigt man hier in der gediegeneren Lebensart einen Flyer für einen sich verlaufenen Hund an. Und trotz dieser omnipräsenten formalen Unterschiede, bleibt das vitale Wesen der Kamera und des Schnitts auch in diesem spießbürgerlichen Modell stets präsent – und das nicht ohne Grund! Je länger man das formal sittsamere Lebensmodell observiert, desto mehr gleichen die innewohnenden Charakteristiken der turbuenter anmutenden Daseinsvariante.
Es scheint zunächst so als würde sich die Variable mit dem Telefon mit ihrer anschaulichen Turbulenz konträr verhalten zu den strukturierteren familiären Lebensverhältnissen; doch ist man achtsam, so erkennt man, dass das konsistente Wesen der Ästhetik, der frequentierte Schnitt, die unruhige, regsame Kamera (mit den schnellen Fokuswechseln auf unterschiedliche Charaktere, mit dem hellhörigen Erfassen gestikulierter Verstimmungen, die sich unter banalen alltäglichen Aktivitäten äußern) eine vergleichbare Volatilität und vergleichbare Stressoren, sprich, dass selbe vitale Potenzial zum Vorschein bringt. Die geordnete Lebensart verändert sich nicht, aber die latenten vitalen Charakteristiken kristallisieren sich fortwährend aus ihr heraus, indessen der oberflächliche Eindruck des monotonen, ereignisarmen Daseins kontinuierlich schwindet und sich spätestens mit der eindringlicheren Auseinandersetzung mit dem Onkel auflöst. Auch der wilde Hund, der in der Stadt verlassen umherirrte und vom Paar aufgenommen wurde, der zunächst eine Kennzeichnung monotoner Bürgerlichkeit zu sein schien, markiert nun diese lebhaften Charakteristiken.
------------
Ein Motiv das kontinuierlich erscheint ist die U-Bahn. Sie ist nicht nur ein Mittel um zwischen den beiden Variablen zu wechseln, sondern ein spezifisch hervorgehobenes Repräsentant des lebhaften, dynamischen Wesens der Stadt, welches das individuelle Geschehen ummantelt und widergibt. Dieser Umstand wie auch die Verflechtung der formal unterschiedlichen Daseinsvarianten wird in einer wundervollen parallelen Sex-Szene illustriert, die mit einer Nachtansicht Brooklyn‘s aus der Vogelperspektive endet. Die ekstatische Natur des Koitus versteht sich dabei als ein Ausdruck des vitalen Potentials der Stadt, und die Stadt versteht sich als ein Ausdruck des vitalen Potentials der Daseinsformen, welches sich in der leidenschaftlichen Sexszene manifestiert. Die ubiquitäre Symbiose wird ersichtlich.
------------
Der Wechsel zwischen den beiden Variablen ist mannigfaltig, hat quer durch den Film eine hohe Frequenz und passt sich an die bewegten Lebensverhältnisse an, nimmt aber gegen Ende in der Fluchtsequenz nochmals zusätzlich an Fahrt auf. Die Gegenüberstellung der Lebensarten nimmt in dieser Phase eine klarere Gestalt an. Die formal strukturiertere repräsentiert in der plastischen Darstellung des Paars nun endgültig das prototypische bürgerliche Glück. Der ästhetische und narrative Kontext der letzten eineinhalb Stunden negiert jedoch die stereotypischen Implikationen des frohlockend über den Stadtpark spazierenden makellosen Paars und macht die Gleichstellung, die mit einem beschleunigten Wechsel der Variablen verdeutlicht wird, möglich. Der Hund, der den Paar beiwohnt, das eigentlich obligatorische Maskottchen des bürgerlichen Glücks, unterstreicht diesen Kontext zusätzlich, da man als Zuseher seine Geschichte kennt und nun in dieser Phase des Films versteht einzuordnen.
Die Flucht vor dem ominösen Chinesen mündet am Schauplatz der Anfangssequenz, wo sich die Lage entspannt und das Telefon entsorgt wird. Auch hier wieder dieses Motiv der ständigen Aktivität und Beweglichkeit, diesmal nicht in Form der U-Bahn, sondern des Frachtboots. Die Kamera mustert das Paar auf diesem zentralen Schauplatz weiter regsam und sprunghaft, sie wird von Bobby‘s transzendenten Blicken, die im Nachklang der Verfolgungsjagd in den weiten Raum, in die Stadt führen, gestreift. Die Metropole, die sich hier, wie zu Beginn, in den Außenaufnahmen breitmacht, versinnbildlicht den Kosmos des menschlichen Lebensraums, der Apparatur in der sich die Geflechte des menschlichen Seins manifestieren und in dem das Meta-Paar nach dem Münzwurf experimentell eintaucht. Die Expedition in diesen Kosmos, der am Schauplatz der Brooklyn-Bridge seinen Ursprung hat, schließt am selben Ort mit der Gleichstellung der unterschiedlichen vorgefundenen Lebensarten. Die Lage beruhigt sich, das Handy wird entsorgt und es bleibt die Schwangerschaft, welche die Stressoren und Aufregung, die Varianz des regulären Daseins kennzeichnet.
Der Film endet mit einer Kamerafahrt über Brooklyn. Wenn wir die Stadt, den Schauplatz des Geschehens - der sich natürlich als ein Mikrokosmos des allgemeinen menschlichen Lebensraums versteht - nun am Ende des Films in dieser letzten Aufnahme betrachten, dann wird dieser Lebensraum von einer opaken Seligkeit durchströmt, die aus der sich herauskristallisierten Ontologie rührt, in der allen Lebensmodellen ein schillerndes und reichhaltiges Potential innewohnt.
Schönes Zitat von ihm. Seinen Body-Snatchers-Film muss ich mal schaun. Der ist bestimmt deutlich besser als die beiden populären Klassiker.
A Serbian Film ist eine visuelle Abstraktion, eine Phantasmagorie über die serbische Erfahrung, in der durchwegs Motive der serbischen Realität aufgegriffen und in überstilisiert mit dem Surrealismus des Handlungsgeschehens verflochten werden. Dabei ist der Titel des Films bereits ein zentraler Bestandteil des Gesamtentwurfs und liefert einem schon vor der ersten Szene den Kontext, zu dem die bewegten Bilder stehen.
Auch abseits der geschilderten Tätigkeiten in der Pornoindustrie wohnt dem Film stets eine Perversion inne, es herrscht andauernd eine ungenierte sexuelle Präsenz, welche die Inhumanität und Degeneration einer Gesellschaft und ihrer Teilhaber in allen Schichten (die in den Figuren auch repräsentiert werden) zum Ausdruck bringt. Spasojevic schildert gnaden- und kompromisslos ein heruntergekommenes und verdorbenes, von Politik und Wirtschaft ausgebeutetes Volk, in der es keine Hoffnung auf Veränderung gibt. Die Ästhetik des Films ist durchwegs auf Hochglanz poliert, doch das ist nur vermeintlich ein Widerspruch zu dem dargestellten Inhalt; denn man soll die Verfassung der Nation präzise und deutlich, in seiner unverhohlenen Form wahrnehmen. Nichts soll verborgen und kaschiert werden: Illustriert wird die metaphysische Brutalität der serbischen Existenz. Wenn beispielsweise in einer Szene (man könnte so gut wie jede anführen) die Frau, die Witwe, das geschundene Opfer beim Dreh das Sperma ins Gesicht gespritzt bekommt, dann ist die Darstellung dieses Vorgangs voller Feingefühl und Grazie. Eben diese Militanz der Ästhetik, die durch den ganzen Film herrscht, dieses bloße abstrakte Illustrieren von realen Verhältnissen, die sich aufgrund der allgegenwärtigen Pietätlosigkeit manifestierende Desillusion, insbesondere aber der unbändige getriebene Missmut, der hinter diesen bewegten Bildern steckt, ist von einer ungeheuren Kraft.
Vielleicht im Zentrum des Films, in der Szene kurz vor dem kontroversesten Moment charakterisiert der Pornoproduzent mit einem eindringlichen Monolog die Verfassung der serbischen Nation. Der Sinngehalt seiner Rede, artikuliert, wenn man so will, den Glutkern des Films, worauf folgerichtig der formal desaströste Augenblick des Films folgt, indem der Protagonist das Wesen seiner Existenz als serbischer Staatsbürger, in der man von Geburt an gefickt wird, vorgeführt bekommt. Der Repräsentant des Volks, der Protagonist, der sieht wie wir, die den Film schauen, eine visuelle Abstraktion von dem, was ihn tagtäglich in seinem Heimatland umgibt – und er lasst es sich nicht auseinandersetzen. Der reguläre Bürger, der nun sesshaft werden will und ein gutbürgerliches Leben anstrebt, ist in seinem Gleichmut selbst ein Komplize der ruinösen jungen Vergangenheit Serbiens, der industriellen und kulturellen Verwahrlosung, weshalb er auch sinngemäß selbst als Pornodarsteller dargestellt wird. Spasojevic schildert in dieser Szene die Bewandtnis der Schonungslosigkeit seines eigenen Films. Ein Film der, da er auch gar keine Möglichkeit sieht, keine Erlösung in Aussicht stellt, der stattdessen eine verwüstende Abrechnung mit der Politik zelebriert, dessen ganze Kraft in dieser getriebenen Wut und Bitterkeit liegt, die hinter den bewegten Bildern rumort.