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Deutsche Synchro - alles awesome?

30.09.2014 - 21:26 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Incompetently dubbed kung fu. Our most valuable Chinese import.
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Incompetently dubbed kung fu. Our most valuable Chinese import.
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Die Lager sind gespalten, die Fronten verhärtet, die Diskussionen schier endlos: Kaum ein Thema spaltet Filmliebhaber so sehr wie deutschen Synchronisation. Hier der Versuch eines Überblicks

Hinweis: Dieser Artikel wurde bereits im Rahmen der Reihe Speakers' Corner veröffentlicht

Am 10. April 2014 startete in Deutschland The Lego Movie. Dieses Product-Placement in Spielfilmlänge beweist nicht nur, dass Spielzeugverfilmungen nicht zwangsläufig Käse sein müssen, sondern auch, dass deutsche Synchronfassungen einen Originalfilm bereichern, statt zerstören können. Denn nur in der deutschen Version kommen wir in den Genuss von David Nathan, der deutschen Synchronstimme von Christian Bale, als Lego-Batman. Ähnliche Casting-Entscheidungen haben schon Filme wie Team America (2003) aufgewertet und passen wunderbar in die Masse an popkulturellen Anspielungen des Films. Ist The Lego Movie damit aber nur die berühmte Ausnahme, die die Regel bestätigt?

Grabenkämpfe um Sprachbarrieren

Ein befreundeter Journalist sagte zu mir mal folgendes: “Willst du wirken, als hättest du Ahnung vom Metier, reg dich über die deutsche Synchronfassung auf.” Im cinephilen Mainstream scheint die Meinung zu dominieren, dass nur Originalfassungen ein erfüllendes Filmerlebnis bieten können. Diese Einstellung fußt auch auf sozialen Abgrenzungsdynamiken, die jeder Subkultur zu eigen sein scheinen (Stichwort: „Vinyl klingt besser!“), und dem menschlichen Drang nach der Ausstellung eines Überlegenheitsgestus. Das Schauen der Originalversion ist hier auch ein cineastisches Statussymbol. Da eine Subkultur aber nie homogen ist, entspinnen sich entlang des Themas zum Teil erbitterte Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Befürwortern synchronisierter Filme.

Dabei scheinen beide Parteien weniger an Kompromissen interessiert zu sein, vielmehr geht es darum, den eigenen Standpunkt möglichst fundamentalistisch und unnachgiebig zu verteidigen. Im polemischen Kampflärm wird dabei gerne übersehen, dass beide Parteien Recht haben – dabei aber komplett aneinander vorbeireden. Wieso und weshalb soll diese differenzierte Bestandsaufnahme der gängigen Argumentationsmuster beider Seiten veranschaulichen:

Lost in Translation

Das Hauptargument für das Original und wider Synchronisation ist genauso einleuchtend, wie richtig. Aus Sicht des Künstlers, beraubt man ihn eines seiner wichtigsten Instrumente: Seiner Stimme. Zwar versuchen Synchronsprecher, abgesehen von Ausnahmen , ihre Stimmmodulation und Phonetik dem Original anzupassen, trotzdem werden bei diesem „Kopierprozess“ zwangsläufig immer Nuancen auf der Stecke bleiben. Sehr stark wiegt auch das Lost-in-Translation-Phänomen: Manche Redewendungen oder Wortspiele lassen sich aufgrund sprachlicher und kultureller Unterschiede nicht adäquat ins Deutsche übersetzen. Beispiele gibt es vor allem im wortwitz-lastigen Komödienbereich , aber auch beim Meister der geschliffenen Dialoge, Quentin Tarantino.

Leider nützen die feinsinnigsten Originaldialoge herzlich wenig, wenn sie der Zuschauer aufgrund von Sprachbarrieren nicht gänzlich, oder nur teilweise verstehen kann. „Ich möchte mich schließlich auf den Film konzentrieren, und nicht die ganze Zeit mit Übersetzen beschäftigt sein“, bellen an dieser Stelle häufig die Synchro-Befürworter. Tatsache ist, dass rund zwei Drittel der Bundesbürger  angeben, sich in mindestens einer Fremdsprache verständigen zu können. Wenn man aber Snoop Pearson aus The Wire (2002-2008) eine Nagelpistole  verkaufen müsste, kämen wohl selbst Native Speakers schnell ins Schleudern. Oder anders formuliert: Der Prozentsatz, die von sich behaupten können, sämtliche Dialoge einer englischen Originalversion (von anderen Sprachen ganz zu Schweigen) zu verstehen, ist in Deutschland schlicht sehr gering – das steht auch nur vordergründig im Widerspruch zu der Tatsache, dass Synchro-Gegner innerhalb der film-affinen Subkultur den großen Mainstream bilden. Aus oben genannten Gründen (Abgrenzungsdynamiken, Überlegenheitsgestus) müssen leidenschaftliche Synchro-Gegner nicht zwangsläufig über adäquate Fremdsprachenkenntnisse verfügen, um das Original der übersetzten Fassung vorzuziehen.

OMU als Alternative?

Als vermeintlicher Kompromiss, bzw. Brücke zwischen Synchronisation und Originalfassung, wird häufig die Variante „Original mit Untertiteln“, oder kurz OMU, ins Feld geführt. So könne man die schauspielerischen Darbietungen, trotz etwaiger Sprachbarrieren, möglichst unverfälscht genießen. Allerdings sind Untertitel lediglich eine knappe, und selten wortwörtliche Zusammenfassung des Dialogs – sprachliche Besonderheiten der Originaldialoge werden somit sogar noch weiter rasiert. Dass Untertitel gängigerweise im unteren Bildbereich platziert werden, zieht zwei weitere Probleme nach sich: Zum einen stellen sie einen enormen Eingriff in die Bildästhetik des Films dar, zum anderen lenkt das Lesen zwangsläufig vom Betrachten des Bildes ab. Vollkommen unabhängig von der künstlerischen Bewertung fördern untertitelte Originalfassungen allerdings den Erwerb von Fremdsprachenkenntnissen, wie eine EU-Studie  2011 jüngst belegt hat.

Hochdeutsches Bügeleisen

Unbestreitbar stellt auch eine Synchronisation einen erheblichen Eingriff ins Originalwerk dar. Schließlich glättet sie (neben sprachlichen Nuancen) in der Regel auch sämtliche Akzente und Dialekte. Warum ist das aus künstlerischer Hinsicht problematisch? Für die Figurenzeichnung können Akzente und Dialekte wichtig sein, oder anders formuliert: Es ist nicht nur wichtig, was eine Person sagt, sondern auch wie sie es sagt. Akzent und Dialekte sind immer auch soziale Identifikationsmittel und werden mit bestimmten Klischeevorstellungen  assoziiert, die man sich filmisch zu Nutze machen kann. Deutsche Synchronfassungen beschränken sich gemeinhin auf eine hochdeutsche Übersetzung, Ausnahmen gibt es vor allem im Genre Komödie. Im extremen Falle der französischen Komödie Willkommen bei den Sch’tis erfinden deutsche Synchronregisseure sogar fiktive Dialekte, um phonetisch der Vorlage gerecht zu werden.

“Mach mir davon eine feste Kopie!”

Film-Synchronisation ist zudem ganz profan eine Fehlerquelle innerhalb eines Mediums, das durch die schiere Menge an beteiligten Personen innerhalb des Produktionsprozess eh schon ein hohes Maß an Fehleranfälligkeit besitzt. Wer fasst sich nicht an den Kopf, wenn Rick Deckard in der deutschen Ur-Synchronfassung von Blade Runner (1981) seinen Esper-Computer dazu auffordert, ihm eine „feste Kopie“ zu machen? Wenn Bender im deutschen Futurama (1998-2013) zur Abschaltung eines Supercomputers statt des Affengriffs  ("Try alternative-control-delete”) eine „alternative Kontrolllöschung“ anregt, kann man nur noch beschämt nach unten schauen. Zu Übersetzungsfehlern gesellen sich akustische Fehlinterpretationen (z.B. „son“ statt „sun“), aber auch so genannte „falsche Freunde“, also ausländische Begriffe wie das spanische Wort „Firma“ (für Unterschrift), das im Deutschen gerne wortwörtlich übersetzt wird. So ist der „Chef“ in South Park (1997-Gegenwart) in erster Linie „Koch“ und erst dann „Chefkoch“.

Synchro als Zensur

Ärgerlich wird es, wenn Synchronisation als Filmzensur missbraucht wird. Einen unrühmlichen Höhepunkt erlebte dieses Phänomen in Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus, aber auch heute gibt es immer wieder Beispiele, teils aus politischen, moralischen oder geschmacklichen Motiven. So werden in der deutschen Fassung von Stirb langsam (1988) die deutschen Bösewichte kurzerhand zu europäischen Terroristen umgedeutet. Die deutsche Version von Iron Man (2008) unterschlägt einen Satz, der unseren Helden wenig heldenhaft  erscheinen lässt, und die kontroverse Satire Starship Troopers (1997) wird in der deutschen Synchronfassung um einige satirische Spitzen  gegen faschistoide Gesellschaften erleichtert. Letzteres geschah mutmaßlich auf Druck der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, die den Film als „verrohend und geeignet, Kinder und Jugendliche sozialethisch zu desorientieren“ bewertet. Fraglich bleibt, ob eine Abschwächung satirischer Elemente durch Synchro-Zensur eben diese nicht Gefahr sogar erhöht.

Das ist eine andere Geschichte

In die gleiche Kerbe schlägt auch die Synchro-Zensur der Nachkriegszeit. Dort wurden mehrere Filme, beispielsweise Casablanca (1942), Berüchtigt (1946) und Das Quiller Memorandum – Gefahr aus dem Dunkel (1966) durch die deutsche Synchronisation ihrer Nazithematik beraubt. Aber auch tonal wurden Originale verändert: Aus dem düsteren Film-Noir-Klassiker Spur des Falken (1941) wurde in der deutschen Fassung eine Art Musikkomödie – armer Bogey.

Ab Mitte der 1960er-Jahre trieben die Synchronisation-Fälschungen immer buntere Blüten. So wurde der bierernste und brutale Italo-Western Gott vergibt – Django nie (1968) aufgrund des Images des Gespanns Bud Spencer und Terence Hill durch die deutsche Synchro kurzerhand zur Actionkomödie Zwei vom Affen gebissen umfunktioniert. Besonders kniffelig (und mitunter peinlich) wird es, wenn in einer ausländischen Originalfassung Deutsch als Fremdsprache benutzt wird. Entweder geht dieser Effekt ganz verloren (siehe Stirb Langsam), oder die Synchronregie entscheidet sich zu Unterscheidungszwecken für eine alternative Fremdsprache (Elliot in Scrubs – Die Anfänger) oder einen deutschen Akzent (Klaus Heissler American Dad).

Besser als das Original

In Einzelfällen macht eine verfälschte Synchronisation allerdings einen nicht unbeträchtlichen Teil des Seherlebnisses aus. Sind Tony Curtis und Roger Moore auch im Original so unterhaltsam, wie in der deutschen Fassung  von Die 2 (1970-1971)? Auch für die Hot Shots-Filme (1990-1993) wurden in der deutschen Synchronisation einige Gags hinzugedichtet. Ein Mehrwert kann in Einzelfällen durchaus auch unfreiwillig geschehen, schließlich wäre das Trashfest Roboter der Sterne (1973) ohne den magischen Ballermann  und seinen eigenwilligen Erbauungsparolen  in der deutschen Synchronisation nur halb so unterhaltsam.

Das Ganze geht natürlich auch intendiert und subtil, etwa, wenn die Aussage der Originalvorlage durch die Synchro verstärkt wird, ohne die Tonalität zu verändern. Dazu seien nicht nur die eingangs erwähnten Beispiele aus The Lego Movie und Team America angeführt, sondern auch das oben geschmähte Beispiel Starship Troopers. Hier wurde für die satirischen News-Einschübe Egon Hoegen engagiert, der als Sprecher von Arbeitssicherheitsfilmen und Der 7. Sinn Ruhm erlangte, und den bizarren Szenen durch seine betont neutrale Betonung einen besonderen Dreh verleiht. Und wenn John McClane in Deutsch  triumphiert, ist das sowieso ungleich ikonischer als das generische „Motherfucker“ aus dem Original.

Mutterland der Synchronisation

Synchronisation scheint also nicht zwangsläufig schlecht zu sein. Das gilt besonders für deutsche Synchronarbeiten, die in qualitativer Sicht weltweit den höchsten Standard erreichen. Dies hat vor allem historische Gründe  – Carl Robert Blum meldete Ende der 1920er-Jahre mit dem Rhythmograph das erste Patent für Filmsynchronisation an, und etablierte einen hohen Standard an Synchronarbeiten in Deutschland.

Nach dem Zweiten Weltkrieg lag die deutsche Filmproduktion mehrere Jahre nahezu komplett brach, sodass die anhaltende Nachfrage fast gänzlich durch ausländische Produktionen gedeckt werden musste. Produktionen, die für das synchro-verwöhnte Publikum eingedeutscht werden wollten. Im Zuge der Deutsch-Deutschen Teilung wurden aus politischen Erwägungen teilweise sogar zwei Synchronfassungen erstellt (z.B. Murder by Death 1975: BRD „Eine Leiche zum Dessert“, DDR „Verzeihung, sind sie der Mörder?“).

Das international herausragende Niveau deutscher Synchronarbeiten ist auch der hohen Qualität deutscher Sprechleistungen geschuldet, die mitunter das Original übertreffen. Hier profitiert die Branche auch von Wechselwirkungen mit dem deutschen Phänomen eines weltweit einzigartigen Hörspielmarktes. Der stellt für viele Sprecher nicht nur eine Art Grundausbildung für spätere Arbeiten bei der Synchronisation für Filme dar, er bildet neben Sprechertätigkeiten in der Werbeindustrie ein zusätzliches wirtschaftliches Standbein – einen Luxus, den Sprecher in anderen Ländern in dieser Ausprägung nicht genießen. Vor allem im direkten Vergleich zu ausländischen Arbeiten fällt das hohen Maß an tonaler Übereinstimmung und Lippen-Synchronität auf. Hier profitiert der deutsche Markt allerdings auch von der semantischen und grammatikalischen Nähe zum Englischen (die den Großteil der Synchronisationen ausmachen).

Was sagt uns das?

In vielen skandinavischen und europäischen Nachbarländern werden Filme und Fernsehsendungen übrigens nur für Kinder synchronisiert. Heißt das im Umkehrschluss, dass die deutsche Filmindustrie ihre Kunden wie Kinder behandelt, indem sie ihnen synchronisierte Versionen vorsetzen? Selbstverständlich nicht. OV-Puristen werfen in einer Mischung aus einem elitären Selbstverständnis und bizarren Sendungsbewusstsein den Synchronisation-Befürwortern gerne Bequemlichkeit vor. Statt sich mit dem Original auseinanderzusetzen, begnüge sich der Großteil der Deutschen mit halbgaren Übersetzungen. Die häufig ins Feld geführte Kompromisslösung OMU ist die denkbar schlechteste Alternative. Die Forderung, Filme grundsätzlich im Original anzubieten, unterliegt zudem ein grundsätzlicher Denkfehler von Synchro-Hassern: Sie übertragen ihren (behaupteten) Bildungsstand auf die übrige Bevölkerung und folgen dabei der fatalen Logik: Was gut für mich ist, muss zwangsläufig auch gut für den Rest sein.

Unbestreitbar ist: Eine Synchronisation wird immer ein künstlerischer Kompromiss sein, der nicht alle Nuancen des Originals wiedergeben kann –das bestreitet auch kaum ein Synchro-Befürworter. Teil dieser Wahrheit ist aber auch, dass dieser Kompromiss für den allergrößten Teil der Deutschen aktuell die weitaus bessere Lösung ist, als auf das Original (oder gar OMU) zurückzugreifen, und so noch viel mehr Nuancen zu versäumen. Selbstverständlich muss eine Synchronisation qualitativ mit der Originalversion mithalten und sie möglichst genau in die Muttersprache transportieren. Man wird immer einzelne Fälle finden, bei denen aus unterschiedlichen Motiven zensiert, verfälscht, geschlampt und geändert wird. Das ist grundsätzlich abzulehnen, auch wenn die Ergebnisse in Einzelfällen das Original sogar übertreffen. Grundsätzlich lässt sich aber festhalten, dass die Voraussetzungen für eine adäquate Synchronisation in Deutschland so gut wie in keinem anderen Land sind,auch aufgrund der langen Tradition.

Dass dieser Status Quo alles andere als unumstößlich ist, zeigt insbesondere die digitale Verbreitung von englischsprachigen Film- und insbesondere Serienangeboten im Netz. Die nachwachsende Generation Filmfreunde bedient sich – aufgrund des Paradigmas maximaler Aktualität – inzwischen immer selbstverständlicher fremdsprachiger Angebote. Die Entwicklung ist, entsprechende Sprachkenntnisse vorausgesetzt, natürlich nur zu begrüßen. Solange es aber kein Massenphänomen ist, hat Synchronisation in Deutschland aber eine fundamentale Daseinsberechtigung.


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