Ein Plädoyer für das Ende des Films

24.09.2012 - 09:31 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Nach dem Ende ist vor dem Ende - Marvel's Avengers
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Nach dem Ende ist vor dem Ende - Marvel's Avengers
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Kaum ein großer Film wird heute ohne Aussicht auf eine Fortsetzung gedreht. Das Ende gerät jedoch immer öfter ins Hintertreffen. Dabei hat es seine Vorteile, sich von Figuren zu verabschieden, selbst wenn es dank der Sequelitis nur eine Illusion ist.

Es kann traurig ausfallen oder lustig. Manchmal sind alle tot, bisweilen wird geheiratet und ein Sonnenuntergang kommt auch oft vor. Das Ende kann einen Film in einem völlig anderen Licht erscheinen lassen oder ihn um ein paar Punkte in der Wertung zurückwerfen. Es bietet Anlass zur Diskussion, den Startschuss für das fluchtartige Verlassen des Kinosaals oder geleitet uns sanft in die Dunkelheit des Abspanns. Das Ende ist, mit anderen Worten, ein unbestreitbar wichtiger Teil eines Films, wobei sich die Wissenschaft bis heute nicht im Klaren ist, wer als Sieger vom Platz geht: Ende oder Anfang? Wie dem auch sei, wir müssen das Ende im Blockbuster-Kino spätestens nach diesem Sommer als bedrohte Art einstufen.

Immer kommen sie wieder
Die jüngsten Übeltäter heißen Marvel’s The Avengers, Prometheus – Dunkle Zeichen und Das Bourne Vermächtnis. Sogar The Dark Knight Rises trägt Symptome einer akuten Bedrohung des Endes. Schon diese kleine Auswahl zeigt, wo die Wurzel des tragischen Aussterbens zu finden sind, das vor unser aller Augen liegt. Eine vieldokumentierte Sucht nach der Franchise, auch unter der Bezeichnung Sequelitis firmierend, breitet sich bekanntlich in den Führungsetagen der Hollywood-Studios aus. Doch Fortsetzungen sind nichts neues. Warum sollte das Ende also gerade jetzt unter Artenschutz gestellt werden?

Im Gegensatz zu den längst vergangenen Zeiten, als die Entscheidung und Ideensuche zum Sequel erst fiel, als die montäglichen Box Office-Berichte eine Spontanparty an der Kaffeemaschine auslösten, werden Blockbuster heute viel stärker auf ein Franchise-Potenzial getrimmt. Deswegen drängt ein Film wie John Carter – Zwischen zwei Welten geradezu darauf, nur der Beginn eines größeren Abenteuers zu sein. Nach Prüfung der Einspielergebnisse wirkt das allerdings wie eine ins Leere greifende Geste. Und überhaupt: Wofür haben wir bezahlt, wenn wir nur den Prolog serviert bekommen?

Die Bedrohung des Filmendes äußert sich besonders stark bei Werken, die keine Fortsetzung erfahren. Viel subtiler wirken sich die Erreger der Sequelitis aus, wenn Franchise-Eintrag auf Franchise-Eintrag folgt. Natürlich soll in vielen Fällen die Illusion einer kontinuierlichen Erzählung gewährleistet werden. Das haben serielle Strukturen so an sich. Das Stichwort lautet allerdings Illusion, denn nur in den seltensten Fällen erweist sich das Untergraben des Endes als sinnvoll oder nötig.

Alles hat ein Ende, nur der Film hat zwei
Es gibt verschiedene Arten von Nicht-Enden, die ans hintere Stück eines Films geklatscht werden und noch mehr Gründe, sie auszuwählen. Gefürchtet werden die mysteriösen Arthouse-Enden, in denen Regisseure Lebensmittel in die Luft sprengen, ein imaginäres Tennisspiel zeigen oder sieben Minuten lang leere Straßen einfangen. Okay, für all dies zeichnete Michelangelo Antonioni verantwortlich, aber der Mann hatte es einfach drauf, wenn es darum ging seine Zuschauer durch Enden, die eigentlich Nicht-Enden sind, aber trotzdem dem Film ein Ende bereiten, zu verwirren. Seid ihr noch dabei? Gut. Arthouse- bzw. Kunstfilm-Enden wirken in unseren Augen manches Mal unvollständig, plötzlich oder verkopft. In der Regel liegt die Schuld bei uns, weil wir das dargebotene schlicht nicht kapieren, oder beim Macher, weil er zu viele Antonioni-Werke in der Filmhochschule gesehen hat.

Anders sieht das beim herkömmlichen Blockbuster aus. Der folgt normalerweise einfachen Dramaturgien. Der Held geht auf eine Reise, lernt unterwegs ein Mädchen kennen und besiegt den Bösewicht. Bis dahin passiert oft viel mehr, vielleicht kommen sogar Dinosaurier vor. Diese einfachen Strukturen aber sind es, die unser Vergnügen garantieren. Wir fiebern mit, um im Happy End belohnt zu werden. Wir leiden, um die absehbare Tragödie in ihrem vollem Ausmaß zu beweinen. Die letzten Minuten dienen gewissermaßen als Ventil, damit wir unseren aufgestauten Emotionen freien Lauf lassen können. Was auch immer gegen Titanic, Stirb langsam oder Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt ins Feld geführt werden kann, an einem mangelt es ihnen nicht: dem Ende. Wenn John McClane mit seiner zurückgewonnenen Frau zu den Klängen von Let it Snow in einer Limousine davon fährt, hat sich der vorangegangene Überlebenskampf erst wirklich gelohnt. In diesem Moment zählt selbst nach der x-ten Wiederholung nicht, ob Johns Eheprobleme für jede Fortsetzung recycelt werden. Er ist perfekt.

Nicht-Enden zerstören die Perfektion eines Abschieds. Dabei reicht die Bandbreite von Cliffhangern (Der Herr der Ringe, die späten Harry Potter-Filme) über das sogenannte Schluckaufende (Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs) bis hin zu kleinen Einsprengseln im Abspann, wie es bei Iron Man und den nachfolgenden Marvel-Filmen der Fall ist. Im schlimmsten Fall wirken diese Clips so, als würde Jack nochmal aus dem Eiswasser auftauchen, um seiner Rose eine Einkaufsliste zu zu stecken. Wurden diese filmischen Anhänge vor ein paar Jahren erst nach dem Abspann preisgegeben, drängeln sie sich heute viel früher ins Bild, so etwa in Prometheus und Avengers, aber auch in Fast & Furious Five und vielen mehr. Mag es bei letzterem nicht so stark ins Gewicht fallen, wird in Prometheus das sowieso auf Sequel abzielende Ende durch den unnötigen Fan-Service ergänzt. Das Herausreißen aus dem eigentlichen Ende verkommt zur Methode.

Bis zur Unendlichkeit!
Die bisherige Höchstleistung im Bereich der Nicht-Enden nimmt meiner Ansicht nach Das Bourne Vermächtnis für sich in Anspruch. Der vor wenigen Wochen in unseren Kinos gestartete Agentenstreifen tut nicht einmal so, als würde eine anstatzweise abgeschlossene Geschichte erzählt, sondern trägt geradezu stolz das Etikett des Prologs vor sich her. Trotz einer Länge von zwei Stunden entsagt uns der Film eine befriedigende Auflösung, da Aaron Cross’ (Jeremy Renner) Situation sich über den Großteil der Spielzeit nicht ändert. Anstatt wenigstens in die Führungsetagen der Organisation vorzudringen, die ihn jagt, darf er ein paar hench men ausschalten und das wars dann. Aaron Cross’ erster Einsatz ist nicht einmal ein Abenteuer, allenfalls ein schwerfälliger Übergangsfilm, der einzig zur Funktionalisierung innerhalb seines Franchise gedreht wurde.

Egal ob Fortsetzungen gedreht werden oder nicht, das Ende eines Films besitzt zumindest in klassischen Erzählungen eine therapeutische Wirkung. Wir begeben uns mit auf die Reise in der Aussicht, nach 90 oder mehr Minuten wieder an einen Punkt der Ruhe zu gelangen, unseren Helden auf Wiedersehen zu sagen, den schwierigen Prozess der Trennung einzuleiten. Manchmal sind sie tot, manchmal verheiratet, manchmal über sich hinausgewachsen. In jedem Fall kann der Film dank des Endes für sich allein stehen, ohne notwendigerweise auf Sequels angewiesen zu sein. Die grassierende Fäulnis in den Hollywood-Enden macht jene Katharsis zu nichte und verwandelt einen finanziellen Flop im Handumdrehen in einen filmisch abgebrochenen Rumpf.

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