Feuchtgebiete & andere Tabus - Sexualität im Film

20.08.2013 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Majestic / moviepilot
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Während der Pöbel die Zensurkeulen wetzt und Scheiterhaufen auftürmt, lässt sich S.Bendix von Kurzsichtigkeit nicht beeindrucken und erklärt, warum Feuchtgebiete wichtig ist.

Dieser Tage startet Feuchtgebiete, die langerwartete Verfilmung von Charlotte Roches gleichnamigem „Ekelroman“ (BILD), in den deutschen Kinos. Und provoziert schon jetzt extreme Reaktionen bis hin zum Facebook-Boykott des Trailers. Nahezu jeder hat sich bereits seine Meinung bilden lassen, der Tenor ist eindeutig: „So ein Mist gehört auf den Index!“, schreibt da einer. „Der ganze Film gehört verboten – wie auch das Buch! Geistiger Dünnschiss“, schreibt ein anderer. „Kein Mensch braucht den Film“, da ist man sich einig, und: „Wenn das deutsche Kultur ist, dann gute Nacht Deutschland!“ Wann hat es das in Deutschland zuletzt gegeben, dass ein Film sogar den letzten selbst ernannten Bewahrer des guten Geschmacks zum Befürworter von Zensur macht? Was ist überhaupt guter Geschmack? Was ist gute Literatur? Was ist ein guter Film? Wer bestimmt das? Ist die Mehrheit tatsächlich der Ansicht, dass es anno 2013 in irgendeiner Form opportun ist, der Kunst neue Grenzen zu setzen bzw. die alten Grenzen wieder hochzuziehen? Und: Wie skandalös ist „Feuchtgebiete“ wirklich – und warum? Dass ausgerechnet eine deutsche (!) Mainstream-Komödie (!!) soviel Stoff für einen umfassenden Diskurs bietet, ist eine der großen Überraschungen und Glücksfälle dieses Kinojahres (jetzt müsste er natürlich nur noch geführt werden). Gleichzeitig ist dies der eigentliche Verdienst des Films: Feuchtgebiete ist vielleicht wirklich nicht besonders gut. Aber er kommt zur richtigen Zeit.

Revolutionär oder bahnbrechend ist an dem Film von David Wnendt freilich wenig. Viel wichtiger ist, dass er – der vielbeschworenen angeblichen „Übersexualisierung“ unserer Gesellschaft zum Trotz – noch immer dafür gehalten wird. So wurden nach der Kinovorführung von Feuchtgebiete augenblicklich Stimmen laut, Bilder wie diese gehörten in einen Porno, nicht aber ins Kino. Ein schlichtes Gegenargument könnte lauten: Alles gehört ins Kino. Alles muss thematisiert und alles muss gezeigt werden dürfen (vorausgesetzt natürlich, es kommt dabei niemand zu Schaden) – jeder andere Ansatz würde, wenn man so will, die Kunst per se obsolet machen.

Einen ehrlichen, offenen und unverkrampften Umgang mit Sexualität und ihrer Darstellung findet man dementsprechend in erster Linie im Arthouse- und Autorenfilm (wo bereits vor ca. 40 Jahren – Stichwort: Im Reich der Sinne – weit mehr „passiert“ ist als nun in „Feuchtgebiete“). Eine Auswahl: Der letzte Tango in Paris (1972), Meine Nächte sind schöner als deine Tage (1989), Idioten (1998), Romance (1999), Intimacy (2001), Ken Park (2002), Brown Bunny (2003), Die Träumer (2003), Twentynine Palms (2003), 9 Songs (2004), Shortbus (2006). Als positives Beispiel der jüngeren Zeit sei der französische Film Der Fremde am See angeführt (dessen Filmplakat in einem Pariser Vorort zu Anwohnerprotesten führte, weil es zwei gemalte sich küssende Männer zeigt): Alain Guiraudie rückt hier (gleichgeschlechtlichen) Sex so explizit, unverklemmt und selbstverständlich ins Bild, wie es leider immer noch eine Seltenheit ist. Und in vier Monaten wird an dieser Stelle noch Nymphomaniac 1 zu nennen sein, stargespickte (das Antichrist -Traumpaar Willem Dafoe und Charlotte Gainsbourg, Uma Thurman, Shia LaBeouf) Subversion in vier Stunden und zwei Teilen, dessen Regisseur Lars von Trier einmal mehr den extremsten Ansatz verfolgt: In einem Film über Sex müsse die Penetration gezeigt werden. Alles andere wäre eine Lüge.

Nun wird niemand ernsthaft behaupten wollen, dass Sex nicht eine der natürlichsten Sachen der Welt wäre. Und doch werden im Zusammenhang mit Feuchtgebiete Begrifflichkeiten wie „Sperma“, „Analsex“ oder „Masturbation“ als „Tabuthemen“ gehandelt. Nur eines der vielen untrüglichen Zeichen dafür, dass sich unsere Gesellschaft in puncto Sex in den letzten 45 Jahren eben nicht fort- sondern rapide zurückentwickelt hat, und wir eben nicht im Zeitalter des Sex, sondern in einer neuen Ära der Prüderie leben. Dass sich dies auch im (Mainstream-)Kino niederschlägt, lässt sich am besten am Beispiel der amerikanischen Komödie veranschaulichen. Genannt werden müssen die über alle Maßen erfolgreichen Filme Judd Apatows (Jungfrau (40), männlich, sucht …, Superbad) oder „Partyfilme“ wie jüngst 21 and Over von Scott Lucas und Jon Moore, dem Autoren-Team hinter Hangover. In letzterem geht es nicht um ewig pubertäre Erwachsene, sondern um drei Jugendliche auf der Suche nach einem Konzept für die Zeit nach der Adoleszenz. Solange sie dieses noch nicht gefunden haben, saufen sie, feiern sie, haben keinen Sex (sonst müsste man ihn ja zeigen), reden aber ständig darüber – ein zelluloidgewordener Kleine-Jungs-Traum, voll von faden Männerwitzen und kalkulierten Geschmacklosigkeiten, die selbst dem prinzipientreuesten Hüter der „Political Correctness“ allenfalls noch ein müdes Lächeln abringen dürften.

Das Schlimmste aber (und das ist für diese Art von „Zeitgeistfilmen“ symptomatisch): Dass der Film trotz seiner dezidierten – ausschließlich verbalen – Sex-Attitüde schließlich einen zutiefst konservativen Kern offenbart. Sich küssende Mädchen dürfen nach Herzenslust besabbert werden, sich küssende Jungs sorgen für verschämtes Gekicher und am Ende lernt jeder brav seine Lektion fürs Leben. Andere Filme dieser Bauart – siehe Judd Apatow – enden nach der x-ten Zote und der dreihundersten „Verbalentgleisung“ dann genau so, wie schon jeder gute Doris-Day-Film in den 50er Jahren endete: Mit Heirat und Familiengründung. Und die gebeutelte 40-jährige Jungfrau verliert schließlich sogar ihre Unschuld. In der Hochzeitsnacht.

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