Warum das deutsche Kino mehr Genrefilme braucht

10.05.2011 - 16:50 Uhr
Metropolis
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In Deutschland werden jedes Jahr um die 200 Filme produziert. Doch trotz dieser großen Zahl beschränkt sich der deutsche Film fast nur auf Dramen, Historienstreifen und Komödien. Zur Wiederaufführung von Metropolis fragen wir, warum das so ist.

In Unknown Identity zerstört Liam Neeson halb Berlin auf der Suche nach seiner wahren Identität. Es ist einer von vielen Filmen mit internationalen Stars, die in Deutschland gedreht werden. Trotzdem gibt es kaum heimische Produktionen, die sich im Actiongenre betätigen, suchen wir Agententhriller, Science Fiction- und Horrorfilme bis auf ein paar wenige Ausnahmen vergebens. Zur Wiederaufführung von Fritz Langs Klassiker Metropolis drängt sich erneut die Frage auf, warum sich das deutsche Kino dermaßen auf ein paar wenige Genres beschränkt. Dabei ist der Problemkomplex “Deutscher Film” so groß, dass hier nur ein paar Facetten angerissen werden können.

Früher war alles besser – mal wieder
Fritz Lang hat sie gedreht, die Genrefilme, genau wie sein Kollege F.W. Murnau. Fritz Lang drehte Sci-Fi (Metropolis, Frau im Mond), Fantasy (Die Nibelungen: Siegfried) und Krimis (Dr. Mabuse, der Spieler – Ein Bild der Zeit). Als er gezwungenermaßen nach Hollywood wechselte, kamen der Western (Engel der Gejagten) und der Film Noir (Heißes Eisen) hinzu. Ein winziger Ausschnitt aus einer umfangreichen Filmografie ist das, der doch eines verdeutlicht: Es gab einmal eine deutsche Filmindustrie, die auf verschiedene Genres setzte und es gab deutsche Regisseure, die darin wegweisende Klassiker drehten. Das alles ist verdammt lang her, doch nach Ende der Nazizeit war der deutsche Genrefilm keinesfalls tot. Vielleicht waren die Meisterwerke rarer gesät, doch immerhin gab es mit den Edgar Wallace- und den Karl May-Filmen erfolgreiche, wenn auch nicht besonders gute, Beiträge. Und dann waren sie weg.

Natürlich verschwanden nicht alle Genrefilme aus der deutschen Filmproduktion. Die Komödie hielt sich natürlich hartnäckig, schließlich muss irgendjemand den wie auch immer gearteten deutschen Humor ins Kino bringen. 189 deutsche Kinostarts gab es z.B. letztes Jahr. Darunter erscheinen sogar ein paar Filme, die keine Komödien, Dramen oder Dokus sind. Einen Vampirfilm (Wir sind die Nacht) finden wir, sogar einen über Gangster (Im Schatten) und etwas Sci-Fi in Fernsehästhetik (Die kommenden Tage). Mit Rock it! haben wir außerdem ein deutsches Musical! 2010 bot angesichts dieser vier Beiträge fast schon einen Genre-Reibach. Ein bisschen erbärmlich ist diese Ausbeute trotzdem.

Kommerziell muss nicht schlecht sein
Genres sind das Produkt einer kommerziell agierenden Filmproduktion. Auf der Verkäuferseite dienen sie als Schemata, die der Kunde wiedererkennt, wenn er an der Kinokasse steht. Für Filmemacher stellen sie eine Erleichterung des Arbeitsprozesses dar, schließlich können sie auf gegebene Handlungsmuster, -schauplätze und Einstellungen zurückgreifen. Dreh mir einen Western und du brauchst einen Cowboy, ein Pferd, einen Bösewicht und eine Reise! Manchmal schadet auch eine Frau nicht. Genrefilme können das effiziente Arbeiten lehren und vor allem wie das Erzählen funktioniert. Das war zumindest früher so bei Meistern wie John Ford und Alfred Hitchcock, die ihr Handwerk nicht an der Filmhochschule gelernt haben, sondern am Set.

Mit anderen Worten: Genres ersticken nicht automatisch jede Innovation. Vielmehr liefern sie ein dehnbares Grundgerüst, das unglaublich viele Variationen zulässt. Dabei sind sie, nur weil eine größtmögliche Popularität ihr Ziel ist, nicht automatisch von der wirklichen Welt abgekapselt. Filme wie The Dark Knight oder Children of Men verhandeln gesellschaftliche Problemzonen in populären Erzählformen. Sind sie deswegen weniger relevant als das Handkamera-Drama aus dem Plattenbau?

Zu teuer oder ganz einfach unmöglich?
Blicken wir nach Frankreich. Hinter den plappernden Komödien finden wir Abenteuer, Thriller, Horror und Action. Für einige international wahrgenommene Streifen ist die Firma EuropaCorp von Luc Besson verantwortlich. Für den Produzent Besson drehte etwa Pierre Morel zunächst den genuin französischen Actionfilm Ghettogangz – Die Hölle vor Paris, um dann zu internationaler Ware wie 96 Hours und From Paris with Love aufzusteigen. Sicherlich braucht es starke Produzentenpersönlichkeiten, um auf lange Sicht Erfolge zu garantieren. Aber Konkurrenz benötigen Produzenten auch.

Ob der französische Protektionismus daran Schuld ist, dass einheimische Produktionen kontinuierlich über 30 Prozent Marktanteil einfahren oder die französischen Zuschauer, ist wie die Frage nach dem Huhn und dem Ei nur schwer zu beantworten. Wie der französische lebt auch der deutsche Film von einem komplexen Fördersystem, nur wird dies viel stärker kritisiert, unter anderem weil es den Wettbewerb erstickt. Vielleicht trägt das System Deutscher Film an der Genre-Misere eine Mitschuld. Genrefilme sind kommerzielle Produkte, deren Spektakel mit unserer Filmförderung oftmals nur schwer zu vereinbaren ist. Ein Zombiefilm wie Rammbock aus dem “Kleinen Fernsehspiel” ist deswegen eine absolute Ausnahmeerscheinung. Viel landet dagegen im Underground der vollständigen Selbstfinanzierung.

Doch wenn 20 Millionen für einen Riesenflop wie Henri 4 aus dem Fenster geworfen werden können, warum dann nicht mal ein Risiko eingehen? Warum nicht mal – Gott bewahre! – ein Schusswechsel, ein Zweikampf oder eine Verfolgungsjagd in einem deutschen Kinofilm? Selbst Special Effects müssen nicht zig Millionen verschlingen. Monsters und Trollhunter sind aktuelle Beispiele, dass “Genre” nicht identisch mit “teuer” ist. Ein Blick nach Frankreich, einer nach Skandinavien und schon werden wir grün vor Neid. Soll das in den nächsten Jahrzehnten so bleiben?

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