Mimuschka - Kommentare

Alle Kommentare von Mimuschka

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    Die Serie Battlestar Galactica als Spiegel des Zeitgeschehens (SPOILER)
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    Populärkultur und Politik sind eng miteinander verbunden. Sie können nicht als komplett eigenständige und voneinander isolierte Sphären betrachtet werden, beide sind verwurzelt in den Praktiken und dem Verständnis des jeweils anderen. Es erscheint somit sinnvoll, zum besseren Verständnis von politischen Zusammenhängen und Problemfeldern auch die Populärkultur zu untersuchen. In den heutigen modernen Gesellschaften, die vorrangig visuell geprägte Kulturen sind, erscheinen hierfür Filme als Ausdruck und Bestandteil einer jeweiligen Politischen Kultur besonders geeignet. Der erhöhte Stellenwert des Films im Vergleich zu anderen Medien zeigt sich darin, dass Filme als erzählende Kommunikationsgattung in ästhetisch verdichteter Form ganze politische Ontologien zu inszenieren vermögen, und zwar gleich auf mehreren Zeichenebenen – visuell, sprachlich und akustisch-musikalisch.
    Gleiches gilt natürlich auch für Serien und dort vor allem für die neueren amerikanischen Primetime-Serien, deren kulturelle Bedeutung in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Dies ist primär darin begründet, dass das narrative Prinzip der Serialität viel mehr Raum bietet, die Komplexität einer als postmodern empfundenen Gegenwart adäquat darzustellen als beispielsweise ein 2-stündiger Kinofilm dies zu leisten vermag. Politische Problemstellungen können so ausführlicher dargestellt und von mehreren Seiten beleuchtet werden.
    Im Folgenden soll dargelegt werden, warum sich die Serie Battlestar Galactica für eine Analyse aktueller politischer Themen besonders eignet, obwohl sie angesichts ihres settings auf den ersten Blick nichts mit der realen heutigen Welt zu tun hat. Aber es wird sich zeigen, dass sie soziale, religiöse und moralische Probleme bearbeitet, die heutzutage nur allzu gut gekannt sind, und unter anderem starke Parallelen zu den Fragen bestehen, welche im Rahmen von 9/11 un den folgenden Militäroperationen in Afghanistan und im Irak aufgeworfen wurden.

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    2. Battlestar Galactica als "Naturalistic Science Fiction"
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    Battlestar Galactica ist ein Quasi-Remake der von Glen A. Larson Ende der 70er Jahre entwickelten Serie gleichen Namens, das seinen Vorgänger allerdings an Umfang und Komplexität weit überschreitet und sich sogar so stark von diesem unterscheidet, dass Macher und Sender sich noch vor den Dreharbeiten auf eine Abwandlung des Remake-Begriffs einigten und von einem re-imagining sprachen. Ausgestrahlt wurde sie von 2003 bis 2009 auf der kleinen NBCUniversal-Kabeltocher Sci Fi Channel (seit 2009: SyFy) und war dessen bis dahin teuerstes Projekt, welches – eigentlich nach der Pilot-Miniserie schon gecancelt – nur durch Unterstützung des britischen Pay-TV-Kanals Sky 1 weiterproduziert werden konnte.
    Die Story konzentriert sich auf eine Raumschiffsflotte mit den letzten 50000 Überlebenden der menschlichen Zivilisation, welche sich in einer entfernten Galaxie auf der Flucht vor den Cylons befindet. Cylons sind kybernetische Organismen – von den Menschen einst selbst als Arbeitsmaschinen angefertigt – die sich gegen ihre Erschaffer gewendet haben. Vierzig Jahre vor Einsetzen der Handlung war bereits ein langer Krieg zwischen Cylons und Menschen durch ein Friedensabkommen beendet worden, was zu einem Rückzug der Cylons in einen anderen Bereich der Galaxie führte. Dort haben sie sich so weit entwickelt, dass sie dazu imstande sind, die menschliche Gestalt fast ununterscheidbar zu imitieren und somit „Schläfer" unter den Menschen einzusetzen. Dies ermöglicht ihnen in einer unerwarteten Rückkehr die Auslöschung der zwölf Kolonien von Kobol, Heimstätte der Menschheit, in einem koordinierten Nuklearschlag. Unter Commander William Adama, dem ranghöchsten Offizier und Kommandanten des letzten großen militärischen Kampfschiffs, der Battlestar Galactica, und der Präsidentin der Zivilregierung, Laura Roslin, macht sich die sonst nur aus kleineren zivilen Schiffen bestehende koloniale Flotte auf die Suche nach einem mythischen Planeten namens Erde, während sie konstanten Angriffen der weit überlegenen Streitkräfte der Cylons und der permanenten Gefahr durch „Schläfer" in den eigenen Reihen ausgesetzt ist.
    Diese auf den ersten Blick relativ gewöhnliche Science-Fiction-Handlung ist nun Ausgangspunkt, um den Zustand Amerikas nach dem 11. September mit Hilfe einer Science-Fiction-Allegorie regelrecht zu sezieren. Im Laufe der Serie werden nämlich politisch hochrelevante Themen, wie beispielsweise die Infiltration durch Terroristen oder die Rechtmäßigkeit von Folter aufgegriffen. Weiterhin adressieren einzelne Episoden eine Reihe von philosophischen und politischen Problemstellungen, die in aktuellen internationalen Debatten von zentraler Wichtigkeit sind. Dazu gehören unter anderem die Fragen nach der Legitimität einer Militärregierung, taktischen Erwägungen zum Völkermord, sexueller Gewalt an Kriegsgegnern, Wahlfälschung, Pressefreiheit oder gar philosophischen Erwägungen zur künstlichen Intelligenz, einschließlich der Kategorie des Menschseins an sich.
    Auf visueller Ebene mutet die Serie fast dokumentarisch an, da in den meisten Fällen mit einer Handkamera im Cinema-verité-Stil und pragmatischer Lichtsetzung gearbeitet wird. Auf genau austarierte establishing shots wird genauso verzichtet, wie auf saubere Kadrierung oder präzise Mise-en-Scène. Das Set Design ist funktional reduziert und die koloniale Technologie relativ realistisch. Es gibt beispielsweise keine Replikatoren oder Beamer, Kommunikation erfolgt analog und anstatt futuristischer Waffen wie Phaser werden gewöhnliche Waffen mit ballistischer Munition benutzt. Ein weiterer Unterschied ist die Abwesenheit von außerirdischem Leben und die Darstellung des Weltalls als weiten, leeren und lebensfeindlichen Ort mit düsteren und unwirtlichen Planeten. Produzent Ronald D. Moore nennt diesen Ansatz „Naturalistic Science Fiction", welche sich weiterhin dadurch auszeichnet, dass das Genre weg von Abenteuergeschichten und mehr in Richtung Drama bewegt wird. Somit fehlen auch eindimensionale Charakterisierungen von Protagonist_Innen oder einfache Gut-oder-Böse Schemata.

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    3. Die Multiperspektivische Darstellung von Terrorismus in Battlestar Galactica
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    Die zweite Staffel endet mit der Entdeckung eines bewohnbaren Planeten, welcher New Caprica getauft wird, und der Entscheidung der Zivilbevölkerung, sich dort niederzulassen, da sie die bisher erfolglose Suche nach der Erde aufgegeben haben. Die Galactica unter Adama und einem Großteil des militärischen Personals, welches im All verbleibt, muss allerdings fliehen, als die Cylons eintreffen und beginnen New Caprica zu besetzen, um dort eine Militärregierung zu errichten.
    Mit diesem Ereignis, welches klare Parallelen zur US-Besatzung in Afghanistan oder im Irak zulässt, ereignet sich eine interessante Umkehr der bisherigen allegorischen Rollenverteilung. Bis zu diesem Zeitpunkt lag der Fokus nämlich auf einer Schilderung des Lebens auf den kolonialen Raumschiffen, die der permanenten Gefahr durch Anschläge und Sabotage durch „Schläfer" der Cylonen ausgesetzt waren. Diese Paranoia, wer denn nun wirklich Mensch sei, wer loyal und wer nicht, zieht klare Parallelen zur damaligenAngst vor Al-Qaida Schläferzellen. Die Menschen nehmen in diesem Kontext also die Rolle der amerikanischen Bevölkerung ein, während die Cylon-Schläfer als ein Spiegel islamistischer Attentäter fungieren.
    Eng damit verknüpft ist die Taktik der Entmenschlichung des Feindes, der als absolutes Böses porträtiert wird, als radical other. Dieses othering, ein weitverbreiteter Mechanismus vor allem in Kriegszeiten, spielt in den ersten beiden Staffeln eine zentrale Rolle, wo die Cylons als gefühllose Maschinen, die nur ihrer Programmierung folgen, sozial konstruiert werden, und gegen die daher alle militärischen Mittel legitim sind. So wird schließlich, um wichtige Informationen über den Feind zu erhalten, auch das Mittel der Folter gerechtfertigt. Der Weg zur Folter beginnt letztlich mit dem 'Benennen' des kulturellen Anderen, mit der Entindividualisierung des Feindes und der damit zusammenhängenden Konstruktion eines gesichtslosen Kollektivs mit dem Ziel der Entmenschlichung. Doch auch wenn dieses Bild der Cylons als gefühllose Kampfmaschinen bald wieder gebrochen wird und sich eine moralische Ambiguität in den Handlungen beider Kriegsparteien kristallisiert, als sich herausstellt, dass Cylons sowohl über Emotionen und Schmerzempfinden als auch Selbstbewusstsein und individuelle Autonomie bezüglich ihrer Entscheidungen verfügen, bleibt die Sympathie der Zuschauer_Innen auf Seiten der Menschen.
    Wie bereits erwähnt, wird diese Rollenverteilung mit Beginn der dritten Staffel aber komplett umgekehrt, da sich nun plötzlich die Cylons als Besatzer in der allegorischen Rolle der US-amerikanischen Streitkräfte wiederfinden, während die Menschen das besetzte Land symbolisieren. Diese Entwicklung erscheint besonders interessant, denn plötzlich werden Figuren, mit denen sich der/die Zuschauer_In identifiziert hat, gefoltert, während bislang nur die scheinbar 'Bösen' die Qualen zu erleiden hatten. So gewinnt die Darstellung von Folter eine neue Dimension, da die Zuschauer_Innen nun mitfühlen und gleichsam Rachegelüste entwickeln sollen.
    Die menschlichen Protagonist_Innen, zu denen nach zwei Staffeln eine emotionale Einfühlung und Identifikation seitens der Zuschauer_Innen erfolgt ist, beginnen schnell, Widerstand zu leisten und Anschläge auf Einrichtungen der nun militärisch übermächtigen Cylons zu verüben. Durch diesen narrativen Trick werden die Identifikationsstrategien ausgenutzt, da man bei der Betrachtung gezwungen wird, die Perspektive von Terroristen einzunehmen. Der reale 'Feind', der irakische Selbstmordattentäter, wird mit den Mitteln einer lang laufenden Fernsehserie als Umkehr der medialen Entmenschlichung radikal 'vermenschlicht' und dessen Sichtweisen somit entradikalisiert, indem man sie mehr oder weniger plausibel begründet, wenn auch nicht rechtfertigt.
    Unter den menschlichen Bewohnern New Capricas entbricht eine Debatte darüber, wie man sich zu verhalten habe, die das moralische Dilemma verdeutlicht, mit dem gleichzeitig auch die Zuschauer_Innen konfrontiert werden. „What would you do if you were stuck on Cylon-occupied New Caprica? Would you work with the Cylons in the hope of peaceful coexistence or to protect your own life? Or would you resist?". Ein Teil wählt den Weg der Kooperation. Darunter der aktuelle Präsident New Capricas, Gaius Baltar, welcher kapituliert und somit das Bestehen einer menschlichen Marionettenregierung ermöglicht, die unter der Aufsicht der Cylons formal an der Macht bleibt, aber strenggenommen nichts zu sagen hat. Baltar veranschaulicht somit die Position des lokalen Verbündeten der Besatzungsmacht, der zwar versucht, die schlimmsten Maßnahmen gegen die Bevölkerung zu verhindern, aber trotzdem im Widerspruch zwischen den Anforderungen der Cylons und der feindselig gestimmten Menschen gefangen ist. So ist er beispielsweise einmal, nachdem er sich zuerst weigerte ein Todesurteil für mehrere Menschen zu unterschreiben, schließlich unter vorgehaltener Waffe gezwungen, dies doch zu tun.
    Einen ähnlich schweren Stand haben jene, welche sich dazu entscheiden, die Folgen der Besatzung abzumildern, indem sie sich als Polizeikräfte zur Verfügung stellen, damit Menschen nicht mehr den entwürdigenden Kontrollen durch Cylons ausgesetzt sind und mehr unter sich bleiben können. Oder einfach deshalb, um ihre Familie und Kinder zu schützen, beziehungsweise überhaupt überleben zu können. Sie werden genau wie Baltar und seine Regierung als Kollaborateure angesehen und verachtet.
    Doch bleibt die Frage, wie weit diese Verachtung reichen darf. Unter den Widerständigen bilden sich zwei Gruppen, die jeweils unterschiedliche Antworten darauf geben und damit eine der ältesten ethisch-philosophischen Debatten veranschaulichen. Der verbleibende ranghöchste Offizier Colonel Tigh, durch seine lange Haft und ständige Folter verbittert und hoffnungslos, vertritt eine klar konsequenzialistische Haltung, nach der der Zweck die Mittel heiligt. Nachdem er ein Scheitern des Widerstands befürchtet, entschließt er sich, Selbstmordattentäter einzusetzen, um eine Abschlusszeremonie der Polizei anzugreifen und gleichzeitig den dort anwesenden Gaius Baltar zu ermorden. Außerdem seien diese der einzige Weg um die Cylons so lange abzulenken bis die Galactica ein erfolgreiches Rettungsmanöver durchführen kann.
    Die ehemalige Präsidentin Laura Roslin oder auch Chief Galen Tyrol, der mit Tigh die Widerstandsbewegung anführt, vertreten im Gegensatz dazu eine deontologische Position, nach der gewisse moralische Standards auf jeden Fall eingehalten werden müssen, egal welche Konsequenzen dies nach sich zieht. Sie verurteilen daher die Selbstmordattentate, obwohl sie den Widerstand prinzipiell für richtig halten und ihn auch unterstützen.
    Ironischerweise geht Tighs Taktik auf und die Rettung durch die Galactica gelingt nur aufgrund der Attentate. Damit wollen die Autoren klarmachen, dass eine Widerstandsbewegung einer Logik folgt, die für sich selbst benommen unter gewissen Gesichtspunkten Sinn ergibt. Der Widerstand steht also vor einem prinzipiellen moralischen Problem, denn entweder können sie ihren Idealen folgen, aber den Krieg verlieren, oder versuchen den Krieg zu gewinnen und dabei zu etwas schlimmerem werden als der Freind den sie eigentlich bekämpfen. Doch auf der anderen Seite werden alle Taten, ob Anschläge, Exekutionen oder Selbstmordattentate aktiv diskutiert und theoretisiert, bzw aus einer tiefen Hoffnungslosigkeit geboren dargestellt, als taktische Entscheidungen, die auf stragetischen Überlegungen basieren. Das Verhalten der Aufständischen wird somit kontextualisiert und entdämonisiert, wodurch eine objektivere Betrachtung ermöglicht wird.
    Neben den verschiedenen Sichtweisen der besetzten Menschen wird aber zusätzlich auch die Position der Besatzer, also der Cylons, näher beleuchtet, mit denen man sich aufgrund eines double-move der Autoren schließlich auch zu identifizieren vermag. Denn diese repräsentieren eine technologisch und zahlenmäßig überlegene Kraft, die mit der US-Armee im Irak oder ähnlichen „westlichen“ Truppen vergleichbar ist. Das überwiegend amerikanische und europäische Publikum wird dadurch dazu angehalten, die eigene Armee mit den Augen des „Feindes“ zu sehen. Gerade in diesen Episoden auf New Caprica wird zum ersten Mal richtig deutlich, dass die Cylons keine einheitliche Masse von gleichgeschalteten Robotern sind, sondern auch dort höchst unterschiedliche Wertvorstellungen von autonomen Individuen aufeinander stoßen. In einem Streitgespräch über den Sinn und Zweck der Besetzung, welches sich in der ersten Episode der dritten Staffel zuträgt, kommen diese zum Ausdruck. Cylon Cavil möchte den Widerstand um jeden Preis brechen und im Notfall einen Großteil der Menschen töten lassen, damit dies gelingt. Moralische Bedenken äußert er keine. Caprica-Six plädiert hingegen dafür, das Töten zu beenden und eine friedliche Koexistenz anzustreben. Weiterhin scheint eine Parabel auf die „occupation for you own good“-Ideologie durch, da ein Teil der Cylons die Besatzung aus dem Grund rechtfertigt, dass sie den in ihren Augen unterentwickelten Menschen nur helfen wollen, eine bessere Gesellschaft aufzubauen.

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    4. Zusammenfassung
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    Battlestar Galactica ist ein gutes Beispiel für eine Serie im Sinne eines „kulturellen Forums", in dem vorherrschende Ideologien, gesellschaftliche Werte und Ängste und verschiedene politische Standpunkte dargestellt und diskutiert werden können. Dabei eröffnen sich durch das Genre der Science Fiction Möglichkeiten, die über strikt an der realen Welt angelehnte Formate hinausgehen. Denn Science Fiction erzeugt Verfremdung auf der Ebene der Handlung. In dieser Verfremdungsleistung, der Fähigkeit, Bekanntes in vollkommen neue Zusammenhänge zu setzen, steckt ein kritisches, sogar subversives Potential. Dies wurde im vorliegenden Fall am Beispiel der Identifizierung mit Aufständischen deutlich, die in den Medien üblicherweise lediglich als radical other gezeigt werden. Battlestar Galactica ist daher geeignet, Vorstellungen des Publikums über bestimmte Sachverhalte in ein neues Licht zu setzen und damit zu hinterfragen.

    Indem Themen von vielen verschiedenen Standpunkten aus diskutiert und problematisiert werden, kann ein besseres Verständnis politischer Zusammenhänge erreicht werden. Gerade am Beispiel der Episoden, die Terrorismus und Besatzung zum Thema hatten, wird deutlich, dass es auf allen drei Seiten, seien es Kollaborateure, Aufständische oder Besatzer, rational gut begründete Positionen gibt, mit denen man sympathisieren könnte, von denen aber keine völlig unproblematisch ist.
    Die Katastrophe der Vertreibung und des „totalen Krieges“ wird hier überwunden, nicht durch Befehl und Entscheidung, sondern durch Aushandlung darüber, welche Verfasstheit in der perennierenden Katastrophe denkbar sein könnte. Battlestar Galactica steht somit in einer Reihe mit anderen neueren Primetime-Serien, die die Krise des demokratischen Staates in fiktionalen Formen und sehr unterschiedlichen Genres und mit wechselndem Ergebnis durchzuarbeiten versuchen. Die Serie bleibt dabei stets einem kritischen Humanismus verpflichtet und führt vor, wie sich eine liberale Demokratie im Ausnahmezustand bewähren kann.

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    Literatur
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    * Nicholas J. Kiersey & Iver B. Neumann: Battlestar Galactica and International Relations. Abingdon/New York 2013.

    * Ekkehard Knörer: Battlestar Galactica. Zürich/Berlin 2013

    * Tiffany Potter & C. W. Marshall: Cylons in America. Critical Studies in Battlestar Galactica. New York/London 2008.

    * Jason T. Eberl: Battlestar Galactica and Philosophy. Oxford 2008.

    * Ronald D. Moore: Battlestar Galactica. Series Bible. 2003.

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    • 10

      die gesichter sind weiß geschminkt, sehen aus wie totenmasken, doch die personen dahinter leben noch, trotten wie lebende tote durch eine vom zerfall gezeichnete welt. eine welt in der beziehungen zerbrechen, unternehmen bankrott anmelden, karrieren enden. wo verzweiflung und hoffnungslosigkeit regiert, wo keine erlösung am horizont wartet. es scheint als ob das ende der welt naht, die menschen spüren es, zu hunderten verlassen sie die stadt, die straßen sind mit autos verstopft, es gibt kein vor noch zurück. am flughafen werden endlose schlangen von riesigen gepäckwagen richtung schalter geschoben ohne wirklich anzukommen.
      als letzte rettung wird ein perfider plan ausgeheckt: ein menschenopfer wird es richten! unter vielen kandidaten wird ein kleines mädchen auserkoren und in einer groß-angelegten zeremonie von einem felsen gestoßen. zum wohle der gemeinschaft. doch dann: nichts geschieht, alles beim alten, die apokalypse scheint unausweichlich...

      eine identifikation mit dem geschehen wird sorgsam vermieden. durch das schon oben angesprochene makeup bleiben die charaktere fremdartig. auch gibt es keine nahaufnahmen, der gesamte film wird fast vollständig in totalen kameraeinstellungen gedreht, komplett ohne kamerabewegungen (mit einer kleinen ausnahme). alles ist bis aufs minimung reduziert, karg, kalt und trostlos. ein paar szenen verstehen es allerdings durch ihre absurdität einen gewissen schwarzen witz zu erzeugen, galgenhumor.

      alles in allem ein wirklich außergewöhnlicher und sehenswerter film in einem sehr eingeständigen und ungewöhnlichen stil. viele skurille einfälle, schwarzer humor und ein totaler abgesang auf die moderne gesellschaft.

      interessant an dieser stelle ist auch, dass regisseur roy andersson in 40 jahren nur 4 filme gedreht hat. wahrlich ein ausnahme-talent. ich bin gespannt was da noch kommt.

      9
      • 10

        wow, ein vollendetes kunstwerk, das mir in seiner zeitlosen schönheit den atem geraubt hat. von der ersten minute an wurde ich von der perfekten symbiose aus musik, architektur, nouveau roman, photografie und schauspiel in einen fast hypnothischen bann gezogen, die teilweise wirklich unheimlich-bedrohlichen szenen haben mich bis ins mark erschaudern lassen und mir sind angesichts dieses absoluten meisterwerks vor ehrfurcht die tränen in die augen gestiegen.
        nach ende des films starrte ich noch lange sprachlos auf die leinwand, fast als wäre es zu viel für mich gewesen, nicht verarbeitbar beim ersten anschauen und musste mich nachdem ich für 93 minuten von der puren ästhetik fortgerissen wurde, erst wieder einfinden in die wirkliche welt.

        ein auf zelluloid gebannter albtraum, einer der wenigen die was wort "kunstwerk" wirklich verdienen.

        danach kann nichts mehr kommen

        9
        • 9 .5
          über Tsahal

          in keinem anderen modernen industriestaat dieser erde steht das leben der bürger in so enger wechselbeziehung zum militär wie in israel. die stets und überall präsenten streitkräfte sowie die permanente bedrohungssituation prägen den alltag wie nirgendwo sonst. warum das so ist, wie es genau ist, was es für auswirkungen auf die psyche der menschen hat und warum es nicht anders geht, zeigt claude lanzmann mit seinem herausragenden dokumentationsstil, der ohne archivmaterial auskommt und den interviewten menschen viel raum zum sprechen lässt. erstmals für diesen film wurden exklusive rechte und freiheiten gewährt, die einen einzigartigen einblick in diesen stets vor vernichtung bedrohten staat ermöglichen. und gegen ende nimmt dann eine traurige gewissheit gestalt an: diese zur zeit modernste und effektivste militärmaschinerie der welt ist die einzige und letzte hürde vor einem jederzeit zum greifen nahen zweiten holocaust.

          nachtrag:
          wie schon lanzmanns vorgängerfilme unbedingt empfehlenswert für ein tieferes verständnis der "krisenregion nahost". gerade jetzt, in zeiten eines wieder erstarkenden antisemitismus / antizionismus ist es zwingend notwendig etwas basiswissen aufzufrischen. ich empfehle daher eine sichtung in der reihenfolge "shoah", "warum israel", "tsahal", mit der garantie danach die welt mit anderen augen zu sehen.

          10
          • 9 .5

            den auftakt meines david-attenborough-marathons bildet "life on earth", teil eins des zehnteiligen "life"-zyklus, mit dem vor knapp 30 jahren die legende ihren anfang nahm:

            mit herausragendem didaktischem geschick und unnachahmlichem britischen humor versteht es attenborough uns das wesen der evolution näher zu bringen. dabei führt er uns über den gesamten erdball und erläutert die funktionsweisen der natürlichen selektion handgreiflich an beispielen und quer durch alle tiergruppen. dabei wird nebenbei auch noch die gesamte stammesgeschichte des lebens, beginnend in der ursuppe, über bakterien bis zum heutigen menschen ansprechend dargestellt.
            abgesehen davon dass david ein überaus charismatischer und liebenswerter mensch ist, dessen angenehmer stimme ich gerne lausche, hat er eine quasi "angeborene" fähigkeit das eigeninteresse zu wecken und selbst die komplexesten themen, selbst für laien, verständlich rüberzubringen. immer wieder werden fragen aufgeworfen, indirekt an den zuschauer gerichtet, die miteinbeziehen, zum denken anregen und dann nach einem mehr oder minder ausfühlichen exkurs schließlich beantwortet, was bei mir regelmäßig einen "aha-effekt" auslöste. diese kleinen erfolgserlebnisse ziehen sich so durch die ganze serie und motivieren einfach ungemein. man hat ständig das gefühl etwas dazugelernt, geistige verknüpfungen gebildet und zusammenhänge begriffen zu haben. einfach fantastisch!
            ich kann diese serie nur jedem empfehlen der schon immer mal wissen wollte wie evolution funktioniert, oder einfach einen umfassenden überblick über alle lebewesen der welt gewinnen möchte. weiterhin eignet sich die serie auch hervorragend als basis, um darauf aufbauend mit einer der nachfolgenden serien bestimmte interessengebiete zu vertiefen oder je nach belieben sich einer der hier vorgestellten gruppen näher zu widmen. erschienen sind bisher z.b. "die welt der drachen, echsen und amphibien", "das leben der vögel", "das leben der säugetiere", "das geheime leben der insekten", "the private life of plants", etc.

            einziges manko und der grund warum ich keine höchstwertung gebe, könnte aus der sicht des heutigen betrachters das alter des filmmaterials sein, was z.b. durch das 4:3 format leicht angestaubt aussieht und nicht die beste qualität hat. die aufnahmen an sich sind für damalige verhältnisse aber trotzdem hochmodern gewesen und auch jetzt noch sehenswert.

            p.s.: mittlerweile hab ich auch u.a. wegen "life on earth" meine argumentationsstrategie gegen kreationisten und verfechter des "intelligent design" erheblich ausbauen können ^^

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            Inhalt:
            Folge 1: Bakterien, Einzeller, Schwämme, Quallen und Korallen.

            Folge 2: Marine wirbellose Tiere wie Muscheln, Schnecken, Krebse, Tintenfische und verschiedene Würmer.

            Folge 3: Die ersten Landlebewesen, z.B. Algen, Moose, Farne und deren Entwicklung zu Nadelbäumen. Auf tierischer Seite wird die Entstehung der Tausendfüßler, Spinnen, Skorpione und ersten Insekten dargelegt.

            Folge 4: Blütenpflanzen und ihre Bestäuber

            Folge 5: Fische, die erste Wirbeltiere.

            Folge 6: Amphibien, die ersten Landwirbeltiere.

            Folge 7: Reptilien, die ersten von Gewässern unabhängigen Wirbeltiere.

            Folge 8: Vögel, die sich aus der Dinosaurien entwickelten

            Folge 9: Säugetiere I - Schnabeltier, Schnabeligel und Beuteltiere

            Folge 10: Säugetiere II - Wale, Fledermäuse, Maulwürfe, Ameisenbären und Erdferkel

            Folge 11: Säugetiere III - Pflanzenfresser und ihre fleischfressenden Jäger

            Folge 12: Primaten

            Folge 13: Die Abstammung des Menschen

            4
            • 9
              über Mommy

              Mommy entfaltet sich wie ein langsam eindringender Pfeil der Schönheit,
              der bald ganz von uns Besitz nimmt,
              bald mein Aug mit Tränen und mein Herz mit Sehnsucht füllt.
              Und wenn die Sonne auch schon lange hinuntergegangen ist,
              glüht und leuchtet der Himmel unseres Lebens noch von ihr her,
              obwohl wir sie schon nicht mehr sehen.

              (frei nach Nietzsche)

              17
              • 9

                ein geniales spiel mit dem medium film und gleichzeitig ein ausgeklügeltes gedankenexperiment, dass den zuschauer auf originelle weise miteinbezieht. man wird ständig zur reflektion über die eigene faszination für das horrorgenre, das anschauen von gewalt und die heutige gesellschaft im allgemeinen gezwungen, bis man sich fragt ob man geistig wirklich so weit von dem vermeintliche psychopathen entfernt ist.
                und das ende ist wirklich gelungen, denn obwohl ich den film (leider) nicht auf VHS sah, schaute mich leicht verunsichert in der wohnung um und aus dem fenster.
                natürlich wusste ich es EIGENTLICH besser: this was just a movie, ...

                ... wasn't it?

                p.s.: auf KEINEN fall die deutsche DVD anschauen, denn die inhaltlich wichtigsten szenen wurden gekürzt, so dass man im endeffekt einen anderen film schaut. total sinnlos, da er im prinzip überhaupt keine grafische gewalt beinhaltet.

                6
                • 9

                  für mich neben "let the right one in" und "thirst" einer der drei großen filme die die vampirthematik ins neue jahrtausend gerettet haben. in einer zutiefst melancholischen grundstimmung bebildert "only lovers left alive" den verdruß und ekel an der modernen gesellschaft und der inneren leere nach der erkenntnis, dass im leben nichts mehr übrig bleibt das noch großartig interesse zu wecken vermag.
                  es bleibt die flucht in endloses schlafen, todessehnsucht und psychedelische klangwelten, die von einer wunderbaren kameraarbeit getragen und unterstützt werden. in dieser hinsicht ist only lovers left alive nämlich auch ein update des 68er drogenfilms, quasi ohne drogen [ok, mit blut], aber mit deftig psychedelischer atmosphäre. und somit auch ein musikfilm, ein film über gitarren und die suche nach dem perfekten sound (und liefert nebenbei einen der besten soundtracks der letzten zeit).
                  ein sehr langsamer und schwermütiger film, der gerne mit einem glas wein genossen wird. insgesamt einfach großartig!

                  16
                  • 9

                    dieses kleine meisterwerk ist seit kurzer zeit über camera obscura zum ersten mal in deutschland erhältlich, obwohl es schon über 30 jahre auf dem buckel hat. ich hatte das glück dieses juwel im kino entdecken zu können und die dort auf mich eingeströmten surrealen bilderwelten sind nur schwer in worte zu fassen. am ehesten ließe es sich noch als eine mischung aus jodorowsky's symbolüberfrachteten, visuellen einfallsreichtums, einer brise humor ala monty python und alice im wunderland beschreiben. dabei wird fast jedes erdenklich tabu gebrochen und auch nackte haut gibt es reichlich zu sehen. natürlich niemals als selbstzweck, denn hinter allem steckt eine komplexe ideologiekritik an rassismus, sexismus, religion, gewalt und jeglicher art von herrschaft.
                    unbedingt empfehlenswert für alle die mal "etwas anderes" sehen wollen!

                    7
                    • 9

                      eines der vielen mittlerweile vergessenen schmuckstücke der tschechischen neuen welle. die für heutige sehgewohnheiten seltsame montage, bei der szenen abrupt weggeschnitten werden oder einfach ins leere laufen, sowie die teilweise SEHR befremdlich-surrealen vorgänge auf der leinwand, bei denen man sich fragt "was bitte geht da vor?", wirken am stärksten nach, denn sowas hat man wohl in der form noch nicht gesehen.
                      die sensible coming-of-age-story des sexuellen erwachens einer jungen frau, welche versucht ihren platz in der gesellschaft zu finden ist liebevoll und rührend inszeniert und der soundtrack hat starke ohrwurmqualitäten, einfach mal den trailer schauen und ihr wisst was ich meine...
                      auch die new-wave typischen themen wie kirchenkritik und hinterfragung von üblichen beziehungs- und sexualnormen werden auf intelligente und absurd-witzige art aufgegriffen, z.b. durch den lüsternen priester, welcher valerie zu verführen versucht, oder die liebe zu einem jungen aus dem dorf, welcher sich als ihr bruder herausstellt...

                      9
                      • 9

                        jane campion beweist in ihrer verfilmung der autobiographie janet frames einmal mehr ihre meisterschaft in der inszenierung glaubwürdiger, liebenswerter und vor allem interessanter charaktere, die so lebensecht daher kommen, dass ich ihnen beim versuch sich im leben zu behaupten endlos zuschauen und zuhören könnte (i just love the accent of new zealand). wunderbar auch kerry fox mit ihrer glanzleistung als nervös-schüchterne janet frame: ihren roten lockenkopf vor saftig grünen wiesen, ein bild das ich wohl so schnell nicht vergessen werde ...

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                          chantal akermans TOUTE UNE NUIT ist ein hauptwerk des feministischen films und zugleich eine absage an das klassische erzählkino, das ja als quasi ewige wiederkehr des immergleichen bis zum heutigen tag in seiner erstaunlichen einfallslosigkeit ca 90% des weltweiten filmausstoßes ausmacht. das werk regisseurin ist davon geprägt, nicht nur die stellung der frau innerhalb der klassischen narration zu hinterfragen, sondern auch die gesamte narrationsstruktur und sprache an sich in frage zu stellen, zwei systeme die seit jeher der stabilisierung der geschlechterherrschaft dienen, indem sie unterordnung als natürlich gegeben, anstatt kulturell determiniert darstellen. so finden sich hier zwar all die typischen elemente eines melodramas, diese werden aber aus ihrem klassischen gefüge herausgelöst und mit einer neuartigen dramaturgie verwoben, in der es keinen linearen spannungsaufbau oder eine handlung, aufgrund der anonym wirkenden charaktere keine identifizierungsmöglichkeiten und keine befriedigende auflösung gibt. dadurch werden die sonst so ganz natürlich präsentierten und auch wahrgenommenen zusammenhänge als bloße kontruktionen sichtbar und dem zuschauer wird die möglichkeit gegeben die ideologie seines denkens zu hinterfragen.

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                            puh, richtig eklig, verstörend, mysteriös; gleichzeitig aber auch eine schön melancholische, sehnsüchtige liebesgeschichte. sehr cooler kurz-film, in etwa wie eraserhead meets j-horror meets cronenberg. meine empfehlung!

                            hier auch bei youtube:
                            http://www.youtube.com/watch?v=A7AuiNZcxB4

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                              fernando arrabal gehört zu den umstrittensten spanischen künstlern. seine werke sind antiklerikal, antiautoritär und antifaschistisch, wenden sich wie ein aufschrei nach freiheit allgemein gegen verfestigte strukturen und traditionen. dass so etwas im franco-spanien nicht gern gesehen war ist klar, also musste er in den 50er nach frankreich fliehen, doch selbst dort waren seine filme lange zeit zensiert.
                              um seine kritik anzubringen wählte er die methode des von ihm mitbegründeten "mouvement panique", setzte also vor allem auf schockästhetik und in surreale, expressionistische bilder getauchte gewalt- oder verstörende sexszenen. in "viva la muerte" wird uns der knabe fando vorgestellt, der in einer spanischen (?) kleinstadt unter allerlei oppressionen leiden muss, z.b. seiner dominanten, erzkatholischen mutter, der faschistischen gesellschaft, die seinen vater, einen "roten", ins gefängnis geworfen hat oder gewalttätigen jugendlichen, die ihn wegen seines vaters verprügeln. zu seiner mutter verbindet ihn eine hassliebe, da er einerseits den verdacht hat dass sie seinen vater verpfiffen hat und er ihre religiösem erziehungsmethoden verabscheut, aber andererseits gibt es ein nicht zu leugnendes erotisch-inzestuöses knistern, welches sich auch in seinen zahlreichen tagträumen/fantasien widerspiegelt, wegen der er sich aber gleich darauf selbst körperlich züchtigt. diese fantasien, stark durch farbfilter und andere effekte verfälscht, in denen er auch über den verbleib seines vaters spekuliert oder sich in sonstigen gewaltgelüsten verliert, machen in der tat die große faszination des films aus, wenn sie, wie amos vogel schreibt "eine schauerliche, expressionistische mehrdeutigkeit erzeugen, durch die der schrecken, weil undeutlich, erst recht durchdringen wird; unser unbewusstes stellt unmittelbar, verbindlich unsere eigenen ängste daneben, die den albtraum vollständig machen."

                              FAZIT: ein unbedingt sehenswertes, surreal-expressionistisches manifest gegen den franco-faschismus, die kirche und sonstige autoritäten. aufgrund der krassen gewaltdarstellungen und tabubrüche aber nichts für schwache nerven! ;-)

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                                ein kleines surreales meisterwerk für das neue millenium. mal witzig, mal traurig, mal brutal, mal poetisch - und immer bildgewaltig.
                                der titel lässt mich natürlich sofort an holy mountain denken, der vergleich liegt nahe, auch wenn der hier ohne den ganzen mystizismus auskommt und weniger pompös ist. was mich aber am meisten freut ist, dass heutzutage nochmal jemand den mut hatte mit einer produktion dieser größenordnung den ganzen mainstream in den dreck zu treten, und zwar so richtig.
                                da war leos carax auf seine alten tage und unglaubliche 13 jahre nach seinem letzten film doch nochmal für eine überraschung gut.

                                weitere worte spare ich mir mal, um den überwältigungseffekt nicht zu zerstören.

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                                  gerade beim ansehen des film ist mir plötzlich klargeworden was ich an kaurismäki so sehr schätze: seine filme sind so sehr durchdrungen von menschlichkeit, von dem glauben an das gute im menschen, dass mein herz während der sichtung einen kleinen sprung gemacht hat. alle protagonisten sind so extrem vernünftig und strahlen trotz der kaurismäki-typischen wortkargheit eine dermaßen hohe sozialkompetenz aus, wie ich sie mir im täglichen leben nur so oft wünschen würde.
                                  dass sie in manchen seiner filme trotzdem am leben scheitern, liegt dann auch nicht am bösen willen einzelner "schurken", sondern an der beschaffenheit der gesellschaft an sich, nicht an "denen da oben", sondern ist strukturell bedingt.
                                  und so ist dann auch am ende trotz allen elends und aller ungerechtigkeit nicht wie z.b. bei dem von menschenhass durchtränkten lars von trier die unausweichliche auslöschung als katharsis nötig, sondern immer ein funken hoffnung übrig, ein kleiner ausblick auf die möglichkeit einer besseren welt.

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                                    Mimuschka 25.03.2012, 12:07 Geändert 01.01.2021, 11:59

                                    der unterschied zwischen "begotten" und einem beliebigen anderen film, in dem die/der regisseur*in versucht einen albtraum, seine idee der hölle oder eine horrorvision zu verfilmen, liegt darin, dass diese eben genauso aussehen wie filme, die die vision eine*r filmemacher*in imitierend darstellen, während "begotten" scheinbar tatsächlich in der ECHTEN hölle gefilmt wurde. die fast dokumentarisch anmutenden und dadurch extrem verstörenden bilder scheinen vor tausenden von jahren mit einer urtümlichen kamera aufgezeichnet und dann in einem unterirdischen bunker teilweise verrottend aufbewahrt und schließlich 1991 entdeckt und wiederveröffentlicht worden zu sein.
                                    allein deshalb ist "begotten" ein absolutes unikat in der geschichte des films, denn ich kenne einfach nichts anderes was so aussieht, was in zeiten von zitatorgien und hommagen schon was heissen mag. der höchst eigentümliche look entfaltet eine unglaubliche sogwirkung, aber gleichzeitig war es reinste folter das an einem stück durchzuhalten, so dass ich mehrmals pausieren musste. die seltsame mischung aus monotonie und schrecken, untermalt mit dröhnenden sounds, das fehlen von "echter" handlung oder dialogen und das grobkörnige bild machen diesen S/W-stummfilm zu einer echten herausforderung, die sich wohl nur wenigen menschen erschließen wird und die ich nur freund*innen des extremen experimentalkinos wirklich empfehlen kann.
                                    trotzdem würde ich mich dazu hinreissen lassen zu sagen, einen der speziellsten und evtl auch besten filme seit langer zeit gesehen zu haben, auf jeden fall den eindrücklichsten.

                                    FAZIT: e. elias merhige nutzt das medium "film" innovativ, um sich auf einzigartige, nie zuvor gesehene weise mit der erschaffung von erde und menschheit und schließlich deren niedergang auseinanderzusetzen und lädt zur weiteren reflektion über das gesehene ein. ein höchst anstrengender und zermürbender experimental-brocken, den jede/r filmfreund*in mal gesehen haben sollte.

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                                      der bildschirm bleibt schwarz. doch langsam ist ein heller fleck zu erkennen der beharrlich größer wird. es ist der ausgang des tunnels auf den die kamera zusteuert und symbolisiert die geburt des protagonisten, der mechanisiert und lieblos wie der zug ins freie gepresst wird. dazu eine kalte, rauchige stimme aus dem off:

                                      "Remembering, out of the black silence ... you were born in pain. You were born with hate and anger built in. Took a slap on the backside to blast out the scream... and then you knew you were alive. Eight pounds, five ounces. Baby boy Frankie Bono. Later you learned to hold back the scream... and let out the hate and anger another way."

                                      die eröffnung gibt die richtung vor, es wird keine erlösung geben, er ist zum scheitern verurteilt, die frage ist nicht ob, sondern wann und wie. sein verpfuschtes leben als profikiller verbringt er in einsamkeit und eigentlich macht es auch alles keinen sinn mehr:

                                      "You're alone. But you don't mind that. You're a loner. That's the way it should be. You've always been alone."

                                      er beginnt sich zu hinterfragen, weicht ein bisschen ab von seinen methoden, um nur einen kurzen moment, sei er auch noch so kurz, mal etwas anderes zu erleben, mal nicht allein zu sein. er geht zu der party, obwohl er menschen hasst, denn seine konditionierung ist stark, es drängt ihn den raum zu verlassen, doch er bleibt:

                                      "You hate parties. You sit alone waiting for a chance to blow the noisy crowd out of your ears... wondering what you're doing here. If you want a woman, buy one. In the dark, so she won't remember your face. But for some reason you stall around... telling yourself it's as good a way as any to kill time."

                                      doch sein kurzes nachgeben, der kurze anflug von menschlichkeit in ihm wird zum desaster, von nun an geht es bergab und am ende steht der tod...

                                      was bleibt ist die erinnerung an ein kleines und nihilistisches meisterwerk, das der einzige film von allen baron bleiben sollte. voller hoffnung ging er nach hollywood und wurde in den mühlen der filmindustrie zerrieben wie zuvor der protagonist seines films in den mühlen des lebens.

                                      "Wishing for something, something important, something special. And this is it, baby boy Frankie Bono. You're alone now. All alone. The scream is dead. There's no pain. You're home again. Back in the cold, black silence."

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                                        im spätherbst allein und gedankenverloren durch den wald streifen, ohne ziel. im winter am fjord stehen und beobachten wie die wellen gegen den stein schlagen und dort langsam vereisen. im frühling auf der bergwiese sitzend übers tal schauen und ganz unten die kleinen zicklein zählen. an einem lauen sommerabend auf dem hügel liegen und zusehen wie in der stadt nach und nach die lichter angehen.

                                        was das alles mit "Le quattro volte" zu tun hat? all diese tätigkeiten sind genau wie der film oberflächlich gesehen ereignislos und langweilig, können aber unter umständen zu einem berauschenden geisteserlebnis werden und zu tiefer kontemplation über die sich vor einem ausbreitende schönheit führen.
                                        letzlich ist das auch gar nicht so beliebig oder billig (siehe rezension unten) wie man annehmen könnte, sondern ein streng durchkomponierter konzeptfilm mit starker formaler geschlossenheit, in dem sich dokumentarisches und spielfilm vermischen ohne dass man die grenzen benennen könnte. metaphysisches kino in vollendung.

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                                          ich war schon vorher voller bewunderung für tetsuya nakashimas werk, aber mit seinem bislang sechsten film ist er über sich hinaus gewachsen. ich kann und möchte nicht viel schreiben, zu stark wäre das gefühl diesem hoch-ästhetisierten filmischen kunstwerk durch meine primitive wortwahl nicht angemessen begegnen zu können. die symbiose von optik, akkustik und dramaturgie glückt, von meisterhand erschaffen, wie selten zuvor.

                                          und plötzlich wusste ich es wieder, fühlte ich es wieder, dieses lang verloren geglaubte gefühl und die antwort auf die fragen, warum ich das medium film so sehr liebe und warum ich ins kino gehe.

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                                            über Drive

                                            einige der szenen glänzen in solch einer formvollendeten schönheit dass es mir angesichts der inszenatorischen perfektion die tränen in die augen trieb und die kinnlade nach unten zog. nicolas winding refn liefert nach "bronson" und "valhalla rising" schon das dritte meisterwerk in folge ab, so dass er sich nun wohl einen platz unter meinen persönlichen lieblingsregisseuren gesichert hat.

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                                              über Erde

                                              heute hab ich mir überlegt, dass ich in der kommenden zeit für ein paar filme keine eigenen worte schreibe, sondern die betreffenden passagen aus dem großartigen buch "film als subversive kunst" von amos vogel abschreibe. aber nicht, um seine texte dann als "meine kommentare" zu vereinnahmen, sondern vielmehr, um auf ein paar eher unbekanntere, in der versenkung verschwundene filme aufmerksam zu machen, wofür mir dann diese vorgehensweise am erfolgversprechendsten erschien. den anfang macht nun "zemlya" ein klassiker des sogenannten "revolutionsfilms":

                                              " von heute aus betrachtet tritt aleksandr dovzhenko als eins der bedeutendsten talente des russischen films hervor, als der mann, der ihn aus der erstarrung von propaganda und intellektualismus auf die ebene bildlicher poesie führte. die auflösung des wirklichkeitsgetreuen raum-zeit-bezugs ereignet sich bei ihm - nicht anders als im fortgeschrittenen film der gegenwart - als eine notwendigkeit der poetischen kunst.
                                              [...]
                                              die handlung ist äußerst dürftig und ideologisch abgesichert, aber die bedeutung des films liegt anderswo: in seinem preisgesang auf die einheit von mensch und natur, auf die freuden und schrecken des daseins, in seiner überwältigenden folge lyrischer und ausnahmslos überlebensgroßer bilder.
                                              [...]
                                              was den stil betrifft, ist der film spektakulär wegen der originalität, mit der er herkömmliche erzählungen durch poetische kontinuität ersetzt. er ist umrahmt von lyrischen bildern von himmel und erde und vom reichtum der früchte der natur. er umschreibt den aufenthalt des menschen in einem pantheistischen universum auf fruchtbarkeit, leben und tod. eine folge von leidenschaftserfüllten episoden - die stärker sind als die handlung - nimmt die anliegen des heutigen und des avantgardefilms vorweg durch die art, in der daseinszustände erforscht werden.
                                              [...]
                                              eine dauernde spannung wird aufrechterhalten durch die anhäufung verwandter bilder zu wiederholten höhepunkten; mehrere szenen sehen aus wie standfotos, sind aber von darstellern in einer haltung gewichtiger unbeweglichkeit gestellt. über die ganze strecke ist zeit bis aufs äußerste komprimiert. dekor, ereignisse, beweggründe sind reduziert auf eine epische, sehr moderne einfachheit. die wirkliche bedeutung des films beruht nicht so sehr auf dem gehalt als auf der untergrabung vereinbarter formen; er ist ein meisterwerk des modernen films, um dreißig jahre seiner zeit voraus."

                                              (amos vogel: film als subversive kunst - kino wider die tabus, 1997)

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                                                anhand des schicksals einer kleinen familie wird die jüngere geschichte chinas vom aufstreben der maoisten über den bürgerkrieg und die kulturrevolution bis in die 70er jahre nachgezeichnet. vielleicht einer der wichtigsten filme zur inneren verfasstheit der chinesischen gesellschaft und die auswirkungen der immer rigideren parteipolitik der KPCh auf die bevölkerung.
                                                bezeichnenderweise im herkunftsland immernoch verboten.

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                                                  dieses berührende portrait eines gesellschaftlichen außenseiters, der im dorf wegen seiner vermeintlichen impotenz gemobbt wird (italiens macho-kultur at its best), ist künstlerisch auf höchstem niveau und technisch perfekt gestaltet. dazu gibt es einen schuß andersartigkeit und individualität. man merkt dass alle beteiligten von kamera, komponist, licht bis set-designer etwas von ihrem handwerk verstehen. die atmosphäre ist extrem dicht und voller romantischer melancholie. an jeder ecke warten mehr und mehr skurrilitäten und absonderliche einfälle und sorgen dafür dass die handlung komplett unvorhersehbar bleibt. und zwar nicht im sinne von twists oder ähnlichem, man weiß einfach nicht was der film von einem will und worauf es hinausläuft und gerade dies macht das zusehen so spannend.
                                                  der absurde humor und der 90s-score mögen teilweise befremdlich wirken, waren für mich aber weitere pluspunkte um die einzigartigkeit des films zu zementieren.

                                                  das label "zombie-horror" greift hier eindeutig zu kurz, ist dieses meisterwerk doch zugleich liebesdrama, komödie, gesellschaftsportrait und kunstfilm.

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                                                    "'Searching For Sugarman' is perhaps one of the most heartwarming music-documentaries i have seen for years.
                                                    With a nearly perfect story-arc that derives from an insanely tight written script, it will make you stare at the screen in wondrous joy as the mystery 'Rodriguez' gets liftet step by step, and put a contented smile on your face, that will stay there for hours still after leaving the cinema. A pure delight and a must-see for all music aficionados young and old!"

                                                    (World-renowned film-critic "Mimuschka" on Letterman 16.10.2013)

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