Mimuschka - Kommentare

Alle Kommentare von Mimuschka

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    Mimuschka 06.09.2012, 22:57 Geändert 22.11.2018, 17:22

    dekonstrunktion des western-genres phase 2:
    nachdem ein paar der alten mythen bereits seit anfang der 60er durch den italo-western verabschiedet wurden, indem anstelle moralisierender und traditioneller motive wie aufrichtigkeit, ritterlichkeit und altruismus, nur noch antihelden in schmutzig-schäbiger kulisse präsentiert wurden, die gegen bürgerliche konventionen und verhaltensnormen rebellierten, egoistisch und nur auf den profit aus waren, läuteten die ersten spätwestern ab ende der 60er das endgültige ende des klassischen genres ein.
    einen wichtigen beitrag dazu leistet der nach einem drehbuch von william goldmann entstandene "butch cassidy and the sundance kid", der sich gegen das noch im italowestern vorzufindende männerbild des machismo richtet. obercoole typen, die in jeder situation einen oneliner parat haben, den tod nicht fürchten und stets zum duell strammstehen sucht man hier vergebens. genauer gesagt gibt es im gesamten film kein einziges duell! und es werden noch mehr heilige kühe geschlachtet: die beiden protagonisten laufen lieber davon als sich dem kampf zu stellen, ganze 30 minuten widmen sich der flucht vor den verfolgern und dabei verlieren sie auch noch ihre hüte, des wahren mannes wichtigstes kleidungsstück. heutzutage kaum mehr vorstellbar, war das damals fast so etwas wie ein skandal, so dass die kamera auch noch ein paar sekunden auf den im dreck liegenbleibenden kopfbedeckungen verweilt, um diesen revolutionären moment noch ein wenig länger auszukosten.
    die reihe an unmännlichen eigenschaften und szenen in denen die "helden" der lächerlichkeit preisgegeben werden, ließe sich noch fortsetzen: einer kann nicht schwimmen, der plan ein ehrliches leben zu führen scheitert daran, dass sie nichts können außer schießen und faul rumhängen, sie beschweren sich quasi den ganzen film über dies oder jenes und müssen überhaupt für den damaligen kinogänger wie "zänkische waschweiber" gewirkt haben, was man sich heute natürlich auch nicht mehr vorstellen kann, aber immerhin ists ja schon über 40 jahre her.

    das schöne ist aber nun dass der film es schafft seine helden nicht herablassend zu behandeln oder bloßzustellen, sondern sie als sympathische menschen mit stärken UND schwächen, so wie du und ich darstellt, mit denen man sich viel eher identifizieren kann als mit früheren pistoleros. insgesamt wirkt alles viel "poppiger", die stimmung ist lockerer und von angenehmem humor durchzogen und die gewählte musik passt auch nicht so recht zum klassischen bild (im positiven sinne). überhaupt fiel mir auf dass insgesamt nur 3 lieder gespielt werden, dafür aber in voller länge und alle 3 zu den interessantesten sequenzen des films gehören. repräsentativ hierfür ist etwa die wundervolle szene, die selbst robert redford nicht ganz geheuer war, in der butch und etta zu "raindrops keep fallin on my head" einen kleinen fahrradausflug machen, die fast musikvideo-charakter hat .

    all dies führte jedenfalls dazu dass der film bei konservativen western-puristen komplett durchfiel und regelrecht gehasst wurde, bei den massen aber vorzüglich ankam, da er sich von der machart schon sehr modern anfühlte und den alten mief hinter sich ließ (sowas wollte man '69 sehen). und auch bei mir hats gefunkt, denn ich bin allgemein ein großer fan von solcherlei genre-dekonstruktionen, so dass ich nun festhalten kann dass "butch cassidy and the sundance kid" auch heute noch zu meinen liebsten western gehört.

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    • 8

      ach, was hab ich gelitten bei diesem film. denn im gegensatz zu seinen ersten beiden werken ("up in the air" hab ich noch nicht gesehen), welche ich mal als leicht bekömmliche feel-good kost bezeichnen würde, wandelt jason reitman hier eher auf todd solondz pfaden, indem er die hässlichen und unangenehmen seiten seiner protagonistin zeigt, die geblendet von einer mischung aus selbstüberschätzung und selbsthass in ihr verderben rennt, während ich mich vor dem bildschirm krümme und winde und vor fremdscham schreien möchte.
      doch glücklicherweise gelingen reitman und seiner autorin diablo cody (juno) die schwierige gratwanderung zwischen bloßstellung und empathie, so dass charlize theron im grunde genommen sympathieträgerin bleibt. lobend hervorheben möchte ich auch die stellenweise genial subtile inszenierung von kleinsten zwischentönen der menschlichen kommunikation und körpersprache. der sinn vieler szenen erschließt sich erst aus der dekodierung von flüchtigen blicken, kurzen gesten oder dem auslesen von gesichtsausdrücken, was auf zuschauerseite eine gewisse kenntnis sozialer mechanismen und auch ein mindestmaß an "emotionaler intelligenz" voraussetzt. ansonsten könnte man hier wohlmöglich nur eine gewöhnliche "komödie" sehen (siehe einige der anderen rezensionen).
      ich kann dieser vorzüglichen charakterstudie allerdings eine klare empfehlung aussprechen (vor allem in richtung von todd solondz-fans).

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      • 8 .5

        klingt im ersten moment erstmal langweilig, eine doku über honigproduktion, imker, bienen und deren massensterben. doch dann die überraschung: dieser film macht alles richtig was eine gute doku braucht, ist wahnsinnig mitreißend, spannend und gleichzeitig informativ. man erfährt nicht nur allerlei wissenswertes über das leben von bienen, es darf auch mitgeweint werden, wenn sich beim imker verzweiflung breitmacht, weil ihm die bienchen wegsterben und er sie dann im hinterhof beerdigt. die zeitlupen und makro aufnahmen sind natürlich auf dem technisch neusten stand und bieten tolle bilder.
        vor allem erschütternd ist dann der teil über die honigindustrie, bzw wie die jahrelange behandlung von bienenvölkern als waren, die optimal abgeschöpft werden müssen, letztlich zur heutigen sterberate geführt hat, mit dem ausblick auf ein eventuelles massensterben ungeahnten ausmaßes. apokalyptisch muten dann schließlich die bilder aus china an, wo bereits ganze landstriche verkargen, da es dort keine bestäuber mehr gibt und die letzten obstbäume von menschlichen wanderarbeitern per hand befruchtet werden müssen.
        was die doku dann insgesamt als doku so gut macht ist die perfekte dramaturgische verzahnung der einzelnen elemente aus bienenbiologie, imkerwirtschaft und honigindustrie, der gutgesprochende off-kommentar, die vielfalt der schauplätze rund um die welt, die tollen bilder und der sehr objektiv vermittelte hohe informationsgehalt. außerdem bleibt alles mit ca 90 minuten in einer knackigen länge.

        FAZIT: eine sehr gelungene und spannende doku, wo für alle was dabei ist, seien es biologisch interessierte, tierfilmkucker oder das nahrungsmittelproduktionskritische "we feed the world"-publikum. ich denke da kann man nichts falsch machen.

        19
        • 8 .5

          Nach dem schon nicht unbedingt leicht verdaubaren AMER drehen Hélène Cattet und Bruno Forzani mit ihrem zweiten Langfilm nochmal mehr an den Zerfaserungs-Schrauben, bis ihr Erstling im Kontrast fast schon eingängig erscheint. Thematische, optische und akustische Versatzstücke gialloesker Klassiker werden mit Verfahren des Kinos des Unbewussten ala David Lynch verbunden um einen Albtraumritt in die tiefsten Winkel des Verstandes anzubieten, dorthin wo Gedanken nicht mehr klar und fassbar sind, sondern lediglich undurchsichtige Schemen, die den Stoff für Ängste und tiefste Wünsche weben.
          Der Giallo, ja schon immer ein Garant für teils unlogische Handlungsverläufe und einer Opferung von schlüssiger Dramaturgie zugunsten ästhetisierender Gewaltdarstellungen, wird hier konsequent auf seine Basiskonzepte reduziert. Die obenaufliegende Story ist dermaßen zurückgenommen dass man fast nicht mehr von Erzählkino sprechen kann, während auf formaler Ebene die komplette Klaviatur von expressionistischen Farbspielen, Splitscreens, Closeups, Stereoton-Spielereien, etc durchgetrommelt wird. Eher Experimentalfilm denn Spielfilm?
          Fast im sekundentakt hämmert es einem durch Auge, Ohr und Verstand, bis man nach 100 Minuten völlig erschöpft in den Sessel zurücksinkt auf welchem man zuvor, in Erstarrung aufgerichtet, mit den Sinneseindrücken klarzukommen suchte. Genau hier läuft der Film aber andererseits auch Gefahr das Publikum zu ermüden, das der Story zu folgen versucht, ständig daran scheitert, zwischdrin vom Stil-Overkill weiter zermürbt wird, bis es gelangweilt aufgibt und den Raum verlässt. Definitiv kein Film für Gelegenheits- oder normalschauer_innen, hellwach muss man hier sein.
          Für mich war das alles allerdings ein reichhaltiges Fest, eine Präsentation über die Möglichkeiten des Kinos, die man sonst schonmal schnell vergisst im üblichen formalen Einerlei. Eine Rückkehr zum surrealen Film? Eine psychonalalytische Durchkämmung der Symbole des Unbewussten? Ein reaktionärer Neo-Giallo voller sexualisierter und ästhetisierter Gewalt? Cattet und Forzani bleiben das alte Provo-Duo und werden wohl auch hier die Welt spalten.

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          • 9
            über Mommy

            Mommy entfaltet sich wie ein langsam eindringender Pfeil der Schönheit,
            der bald ganz von uns Besitz nimmt,
            bald mein Aug mit Tränen und mein Herz mit Sehnsucht füllt.
            Und wenn die Sonne auch schon lange hinuntergegangen ist,
            glüht und leuchtet der Himmel unseres Lebens noch von ihr her,
            obwohl wir sie schon nicht mehr sehen.

            (frei nach Nietzsche)

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            • 7
              über Nails

              experimenteller arthouse/kunst-horrorfilm von andrey iskanov (philosophy of a knife), mit dem er erstmals im "westen" bekannt wurde:
              ein berufskiller erträgt seine stechenden kopfschmerzen nicht mehr und schlägt sich immer mehr nägel in den kopf, was zwar temporäre linderung bringt, jedoch mit starken sinnestäuschungen einhergeht. ein immer heftigerer strudel von schmerz und halluzinationen ist die folge...

              "nails" ist mit sehr geringem budget gedreht, was man ihm auch ansieht, vor allem bei den spezialeffekten. die psychedelischen bildwelten wurden aber für die verhältnisse sehr gut umgesetzt und mit experimentellen klängen unterlegt. wirkt alles schon recht verstörend und auch glaubwürdig und wird gegen ende, also mit steigendem wahnsinn des protagonisten, immer konfuser; wie die filmversion eines LSD-trips.
              trotz teilweise expliziter szenen mit blut und gehirn nichts für reine gorehounds, sondern eher für experimentierfreudige grenzgänger_innen mit faible für eigenwilliges lowbudget/underground-kino. iskanov ist ein regisseur mit einer klaren künstlerischen vision und origineller ästhetik, was ihm bei mir noch einen pluspunkt einbringt. freue mich schon auf die folge-filme!

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              • 10

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                Die Serie Battlestar Galactica als Spiegel des Zeitgeschehens (SPOILER)
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                Populärkultur und Politik sind eng miteinander verbunden. Sie können nicht als komplett eigenständige und voneinander isolierte Sphären betrachtet werden, beide sind verwurzelt in den Praktiken und dem Verständnis des jeweils anderen. Es erscheint somit sinnvoll, zum besseren Verständnis von politischen Zusammenhängen und Problemfeldern auch die Populärkultur zu untersuchen. In den heutigen modernen Gesellschaften, die vorrangig visuell geprägte Kulturen sind, erscheinen hierfür Filme als Ausdruck und Bestandteil einer jeweiligen Politischen Kultur besonders geeignet. Der erhöhte Stellenwert des Films im Vergleich zu anderen Medien zeigt sich darin, dass Filme als erzählende Kommunikationsgattung in ästhetisch verdichteter Form ganze politische Ontologien zu inszenieren vermögen, und zwar gleich auf mehreren Zeichenebenen – visuell, sprachlich und akustisch-musikalisch.
                Gleiches gilt natürlich auch für Serien und dort vor allem für die neueren amerikanischen Primetime-Serien, deren kulturelle Bedeutung in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Dies ist primär darin begründet, dass das narrative Prinzip der Serialität viel mehr Raum bietet, die Komplexität einer als postmodern empfundenen Gegenwart adäquat darzustellen als beispielsweise ein 2-stündiger Kinofilm dies zu leisten vermag. Politische Problemstellungen können so ausführlicher dargestellt und von mehreren Seiten beleuchtet werden.
                Im Folgenden soll dargelegt werden, warum sich die Serie Battlestar Galactica für eine Analyse aktueller politischer Themen besonders eignet, obwohl sie angesichts ihres settings auf den ersten Blick nichts mit der realen heutigen Welt zu tun hat. Aber es wird sich zeigen, dass sie soziale, religiöse und moralische Probleme bearbeitet, die heutzutage nur allzu gut gekannt sind, und unter anderem starke Parallelen zu den Fragen bestehen, welche im Rahmen von 9/11 un den folgenden Militäroperationen in Afghanistan und im Irak aufgeworfen wurden.

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                2. Battlestar Galactica als "Naturalistic Science Fiction"
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                Battlestar Galactica ist ein Quasi-Remake der von Glen A. Larson Ende der 70er Jahre entwickelten Serie gleichen Namens, das seinen Vorgänger allerdings an Umfang und Komplexität weit überschreitet und sich sogar so stark von diesem unterscheidet, dass Macher und Sender sich noch vor den Dreharbeiten auf eine Abwandlung des Remake-Begriffs einigten und von einem re-imagining sprachen. Ausgestrahlt wurde sie von 2003 bis 2009 auf der kleinen NBCUniversal-Kabeltocher Sci Fi Channel (seit 2009: SyFy) und war dessen bis dahin teuerstes Projekt, welches – eigentlich nach der Pilot-Miniserie schon gecancelt – nur durch Unterstützung des britischen Pay-TV-Kanals Sky 1 weiterproduziert werden konnte.
                Die Story konzentriert sich auf eine Raumschiffsflotte mit den letzten 50000 Überlebenden der menschlichen Zivilisation, welche sich in einer entfernten Galaxie auf der Flucht vor den Cylons befindet. Cylons sind kybernetische Organismen – von den Menschen einst selbst als Arbeitsmaschinen angefertigt – die sich gegen ihre Erschaffer gewendet haben. Vierzig Jahre vor Einsetzen der Handlung war bereits ein langer Krieg zwischen Cylons und Menschen durch ein Friedensabkommen beendet worden, was zu einem Rückzug der Cylons in einen anderen Bereich der Galaxie führte. Dort haben sie sich so weit entwickelt, dass sie dazu imstande sind, die menschliche Gestalt fast ununterscheidbar zu imitieren und somit „Schläfer" unter den Menschen einzusetzen. Dies ermöglicht ihnen in einer unerwarteten Rückkehr die Auslöschung der zwölf Kolonien von Kobol, Heimstätte der Menschheit, in einem koordinierten Nuklearschlag. Unter Commander William Adama, dem ranghöchsten Offizier und Kommandanten des letzten großen militärischen Kampfschiffs, der Battlestar Galactica, und der Präsidentin der Zivilregierung, Laura Roslin, macht sich die sonst nur aus kleineren zivilen Schiffen bestehende koloniale Flotte auf die Suche nach einem mythischen Planeten namens Erde, während sie konstanten Angriffen der weit überlegenen Streitkräfte der Cylons und der permanenten Gefahr durch „Schläfer" in den eigenen Reihen ausgesetzt ist.
                Diese auf den ersten Blick relativ gewöhnliche Science-Fiction-Handlung ist nun Ausgangspunkt, um den Zustand Amerikas nach dem 11. September mit Hilfe einer Science-Fiction-Allegorie regelrecht zu sezieren. Im Laufe der Serie werden nämlich politisch hochrelevante Themen, wie beispielsweise die Infiltration durch Terroristen oder die Rechtmäßigkeit von Folter aufgegriffen. Weiterhin adressieren einzelne Episoden eine Reihe von philosophischen und politischen Problemstellungen, die in aktuellen internationalen Debatten von zentraler Wichtigkeit sind. Dazu gehören unter anderem die Fragen nach der Legitimität einer Militärregierung, taktischen Erwägungen zum Völkermord, sexueller Gewalt an Kriegsgegnern, Wahlfälschung, Pressefreiheit oder gar philosophischen Erwägungen zur künstlichen Intelligenz, einschließlich der Kategorie des Menschseins an sich.
                Auf visueller Ebene mutet die Serie fast dokumentarisch an, da in den meisten Fällen mit einer Handkamera im Cinema-verité-Stil und pragmatischer Lichtsetzung gearbeitet wird. Auf genau austarierte establishing shots wird genauso verzichtet, wie auf saubere Kadrierung oder präzise Mise-en-Scène. Das Set Design ist funktional reduziert und die koloniale Technologie relativ realistisch. Es gibt beispielsweise keine Replikatoren oder Beamer, Kommunikation erfolgt analog und anstatt futuristischer Waffen wie Phaser werden gewöhnliche Waffen mit ballistischer Munition benutzt. Ein weiterer Unterschied ist die Abwesenheit von außerirdischem Leben und die Darstellung des Weltalls als weiten, leeren und lebensfeindlichen Ort mit düsteren und unwirtlichen Planeten. Produzent Ronald D. Moore nennt diesen Ansatz „Naturalistic Science Fiction", welche sich weiterhin dadurch auszeichnet, dass das Genre weg von Abenteuergeschichten und mehr in Richtung Drama bewegt wird. Somit fehlen auch eindimensionale Charakterisierungen von Protagonist_Innen oder einfache Gut-oder-Böse Schemata.

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                3. Die Multiperspektivische Darstellung von Terrorismus in Battlestar Galactica
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                Die zweite Staffel endet mit der Entdeckung eines bewohnbaren Planeten, welcher New Caprica getauft wird, und der Entscheidung der Zivilbevölkerung, sich dort niederzulassen, da sie die bisher erfolglose Suche nach der Erde aufgegeben haben. Die Galactica unter Adama und einem Großteil des militärischen Personals, welches im All verbleibt, muss allerdings fliehen, als die Cylons eintreffen und beginnen New Caprica zu besetzen, um dort eine Militärregierung zu errichten.
                Mit diesem Ereignis, welches klare Parallelen zur US-Besatzung in Afghanistan oder im Irak zulässt, ereignet sich eine interessante Umkehr der bisherigen allegorischen Rollenverteilung. Bis zu diesem Zeitpunkt lag der Fokus nämlich auf einer Schilderung des Lebens auf den kolonialen Raumschiffen, die der permanenten Gefahr durch Anschläge und Sabotage durch „Schläfer" der Cylonen ausgesetzt waren. Diese Paranoia, wer denn nun wirklich Mensch sei, wer loyal und wer nicht, zieht klare Parallelen zur damaligenAngst vor Al-Qaida Schläferzellen. Die Menschen nehmen in diesem Kontext also die Rolle der amerikanischen Bevölkerung ein, während die Cylon-Schläfer als ein Spiegel islamistischer Attentäter fungieren.
                Eng damit verknüpft ist die Taktik der Entmenschlichung des Feindes, der als absolutes Böses porträtiert wird, als radical other. Dieses othering, ein weitverbreiteter Mechanismus vor allem in Kriegszeiten, spielt in den ersten beiden Staffeln eine zentrale Rolle, wo die Cylons als gefühllose Maschinen, die nur ihrer Programmierung folgen, sozial konstruiert werden, und gegen die daher alle militärischen Mittel legitim sind. So wird schließlich, um wichtige Informationen über den Feind zu erhalten, auch das Mittel der Folter gerechtfertigt. Der Weg zur Folter beginnt letztlich mit dem 'Benennen' des kulturellen Anderen, mit der Entindividualisierung des Feindes und der damit zusammenhängenden Konstruktion eines gesichtslosen Kollektivs mit dem Ziel der Entmenschlichung. Doch auch wenn dieses Bild der Cylons als gefühllose Kampfmaschinen bald wieder gebrochen wird und sich eine moralische Ambiguität in den Handlungen beider Kriegsparteien kristallisiert, als sich herausstellt, dass Cylons sowohl über Emotionen und Schmerzempfinden als auch Selbstbewusstsein und individuelle Autonomie bezüglich ihrer Entscheidungen verfügen, bleibt die Sympathie der Zuschauer_Innen auf Seiten der Menschen.
                Wie bereits erwähnt, wird diese Rollenverteilung mit Beginn der dritten Staffel aber komplett umgekehrt, da sich nun plötzlich die Cylons als Besatzer in der allegorischen Rolle der US-amerikanischen Streitkräfte wiederfinden, während die Menschen das besetzte Land symbolisieren. Diese Entwicklung erscheint besonders interessant, denn plötzlich werden Figuren, mit denen sich der/die Zuschauer_In identifiziert hat, gefoltert, während bislang nur die scheinbar 'Bösen' die Qualen zu erleiden hatten. So gewinnt die Darstellung von Folter eine neue Dimension, da die Zuschauer_Innen nun mitfühlen und gleichsam Rachegelüste entwickeln sollen.
                Die menschlichen Protagonist_Innen, zu denen nach zwei Staffeln eine emotionale Einfühlung und Identifikation seitens der Zuschauer_Innen erfolgt ist, beginnen schnell, Widerstand zu leisten und Anschläge auf Einrichtungen der nun militärisch übermächtigen Cylons zu verüben. Durch diesen narrativen Trick werden die Identifikationsstrategien ausgenutzt, da man bei der Betrachtung gezwungen wird, die Perspektive von Terroristen einzunehmen. Der reale 'Feind', der irakische Selbstmordattentäter, wird mit den Mitteln einer lang laufenden Fernsehserie als Umkehr der medialen Entmenschlichung radikal 'vermenschlicht' und dessen Sichtweisen somit entradikalisiert, indem man sie mehr oder weniger plausibel begründet, wenn auch nicht rechtfertigt.
                Unter den menschlichen Bewohnern New Capricas entbricht eine Debatte darüber, wie man sich zu verhalten habe, die das moralische Dilemma verdeutlicht, mit dem gleichzeitig auch die Zuschauer_Innen konfrontiert werden. „What would you do if you were stuck on Cylon-occupied New Caprica? Would you work with the Cylons in the hope of peaceful coexistence or to protect your own life? Or would you resist?". Ein Teil wählt den Weg der Kooperation. Darunter der aktuelle Präsident New Capricas, Gaius Baltar, welcher kapituliert und somit das Bestehen einer menschlichen Marionettenregierung ermöglicht, die unter der Aufsicht der Cylons formal an der Macht bleibt, aber strenggenommen nichts zu sagen hat. Baltar veranschaulicht somit die Position des lokalen Verbündeten der Besatzungsmacht, der zwar versucht, die schlimmsten Maßnahmen gegen die Bevölkerung zu verhindern, aber trotzdem im Widerspruch zwischen den Anforderungen der Cylons und der feindselig gestimmten Menschen gefangen ist. So ist er beispielsweise einmal, nachdem er sich zuerst weigerte ein Todesurteil für mehrere Menschen zu unterschreiben, schließlich unter vorgehaltener Waffe gezwungen, dies doch zu tun.
                Einen ähnlich schweren Stand haben jene, welche sich dazu entscheiden, die Folgen der Besatzung abzumildern, indem sie sich als Polizeikräfte zur Verfügung stellen, damit Menschen nicht mehr den entwürdigenden Kontrollen durch Cylons ausgesetzt sind und mehr unter sich bleiben können. Oder einfach deshalb, um ihre Familie und Kinder zu schützen, beziehungsweise überhaupt überleben zu können. Sie werden genau wie Baltar und seine Regierung als Kollaborateure angesehen und verachtet.
                Doch bleibt die Frage, wie weit diese Verachtung reichen darf. Unter den Widerständigen bilden sich zwei Gruppen, die jeweils unterschiedliche Antworten darauf geben und damit eine der ältesten ethisch-philosophischen Debatten veranschaulichen. Der verbleibende ranghöchste Offizier Colonel Tigh, durch seine lange Haft und ständige Folter verbittert und hoffnungslos, vertritt eine klar konsequenzialistische Haltung, nach der der Zweck die Mittel heiligt. Nachdem er ein Scheitern des Widerstands befürchtet, entschließt er sich, Selbstmordattentäter einzusetzen, um eine Abschlusszeremonie der Polizei anzugreifen und gleichzeitig den dort anwesenden Gaius Baltar zu ermorden. Außerdem seien diese der einzige Weg um die Cylons so lange abzulenken bis die Galactica ein erfolgreiches Rettungsmanöver durchführen kann.
                Die ehemalige Präsidentin Laura Roslin oder auch Chief Galen Tyrol, der mit Tigh die Widerstandsbewegung anführt, vertreten im Gegensatz dazu eine deontologische Position, nach der gewisse moralische Standards auf jeden Fall eingehalten werden müssen, egal welche Konsequenzen dies nach sich zieht. Sie verurteilen daher die Selbstmordattentate, obwohl sie den Widerstand prinzipiell für richtig halten und ihn auch unterstützen.
                Ironischerweise geht Tighs Taktik auf und die Rettung durch die Galactica gelingt nur aufgrund der Attentate. Damit wollen die Autoren klarmachen, dass eine Widerstandsbewegung einer Logik folgt, die für sich selbst benommen unter gewissen Gesichtspunkten Sinn ergibt. Der Widerstand steht also vor einem prinzipiellen moralischen Problem, denn entweder können sie ihren Idealen folgen, aber den Krieg verlieren, oder versuchen den Krieg zu gewinnen und dabei zu etwas schlimmerem werden als der Freind den sie eigentlich bekämpfen. Doch auf der anderen Seite werden alle Taten, ob Anschläge, Exekutionen oder Selbstmordattentate aktiv diskutiert und theoretisiert, bzw aus einer tiefen Hoffnungslosigkeit geboren dargestellt, als taktische Entscheidungen, die auf stragetischen Überlegungen basieren. Das Verhalten der Aufständischen wird somit kontextualisiert und entdämonisiert, wodurch eine objektivere Betrachtung ermöglicht wird.
                Neben den verschiedenen Sichtweisen der besetzten Menschen wird aber zusätzlich auch die Position der Besatzer, also der Cylons, näher beleuchtet, mit denen man sich aufgrund eines double-move der Autoren schließlich auch zu identifizieren vermag. Denn diese repräsentieren eine technologisch und zahlenmäßig überlegene Kraft, die mit der US-Armee im Irak oder ähnlichen „westlichen“ Truppen vergleichbar ist. Das überwiegend amerikanische und europäische Publikum wird dadurch dazu angehalten, die eigene Armee mit den Augen des „Feindes“ zu sehen. Gerade in diesen Episoden auf New Caprica wird zum ersten Mal richtig deutlich, dass die Cylons keine einheitliche Masse von gleichgeschalteten Robotern sind, sondern auch dort höchst unterschiedliche Wertvorstellungen von autonomen Individuen aufeinander stoßen. In einem Streitgespräch über den Sinn und Zweck der Besetzung, welches sich in der ersten Episode der dritten Staffel zuträgt, kommen diese zum Ausdruck. Cylon Cavil möchte den Widerstand um jeden Preis brechen und im Notfall einen Großteil der Menschen töten lassen, damit dies gelingt. Moralische Bedenken äußert er keine. Caprica-Six plädiert hingegen dafür, das Töten zu beenden und eine friedliche Koexistenz anzustreben. Weiterhin scheint eine Parabel auf die „occupation for you own good“-Ideologie durch, da ein Teil der Cylons die Besatzung aus dem Grund rechtfertigt, dass sie den in ihren Augen unterentwickelten Menschen nur helfen wollen, eine bessere Gesellschaft aufzubauen.

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                4. Zusammenfassung
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                Battlestar Galactica ist ein gutes Beispiel für eine Serie im Sinne eines „kulturellen Forums", in dem vorherrschende Ideologien, gesellschaftliche Werte und Ängste und verschiedene politische Standpunkte dargestellt und diskutiert werden können. Dabei eröffnen sich durch das Genre der Science Fiction Möglichkeiten, die über strikt an der realen Welt angelehnte Formate hinausgehen. Denn Science Fiction erzeugt Verfremdung auf der Ebene der Handlung. In dieser Verfremdungsleistung, der Fähigkeit, Bekanntes in vollkommen neue Zusammenhänge zu setzen, steckt ein kritisches, sogar subversives Potential. Dies wurde im vorliegenden Fall am Beispiel der Identifizierung mit Aufständischen deutlich, die in den Medien üblicherweise lediglich als radical other gezeigt werden. Battlestar Galactica ist daher geeignet, Vorstellungen des Publikums über bestimmte Sachverhalte in ein neues Licht zu setzen und damit zu hinterfragen.

                Indem Themen von vielen verschiedenen Standpunkten aus diskutiert und problematisiert werden, kann ein besseres Verständnis politischer Zusammenhänge erreicht werden. Gerade am Beispiel der Episoden, die Terrorismus und Besatzung zum Thema hatten, wird deutlich, dass es auf allen drei Seiten, seien es Kollaborateure, Aufständische oder Besatzer, rational gut begründete Positionen gibt, mit denen man sympathisieren könnte, von denen aber keine völlig unproblematisch ist.
                Die Katastrophe der Vertreibung und des „totalen Krieges“ wird hier überwunden, nicht durch Befehl und Entscheidung, sondern durch Aushandlung darüber, welche Verfasstheit in der perennierenden Katastrophe denkbar sein könnte. Battlestar Galactica steht somit in einer Reihe mit anderen neueren Primetime-Serien, die die Krise des demokratischen Staates in fiktionalen Formen und sehr unterschiedlichen Genres und mit wechselndem Ergebnis durchzuarbeiten versuchen. Die Serie bleibt dabei stets einem kritischen Humanismus verpflichtet und führt vor, wie sich eine liberale Demokratie im Ausnahmezustand bewähren kann.

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                Literatur
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                * Nicholas J. Kiersey & Iver B. Neumann: Battlestar Galactica and International Relations. Abingdon/New York 2013.

                * Ekkehard Knörer: Battlestar Galactica. Zürich/Berlin 2013

                * Tiffany Potter & C. W. Marshall: Cylons in America. Critical Studies in Battlestar Galactica. New York/London 2008.

                * Jason T. Eberl: Battlestar Galactica and Philosophy. Oxford 2008.

                * Ronald D. Moore: Battlestar Galactica. Series Bible. 2003.

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                  Mimuschka 25.03.2012, 12:07 Geändert 01.01.2021, 11:59

                  der unterschied zwischen "begotten" und einem beliebigen anderen film, in dem die/der regisseur*in versucht einen albtraum, seine idee der hölle oder eine horrorvision zu verfilmen, liegt darin, dass diese eben genauso aussehen wie filme, die die vision eine*r filmemacher*in imitierend darstellen, während "begotten" scheinbar tatsächlich in der ECHTEN hölle gefilmt wurde. die fast dokumentarisch anmutenden und dadurch extrem verstörenden bilder scheinen vor tausenden von jahren mit einer urtümlichen kamera aufgezeichnet und dann in einem unterirdischen bunker teilweise verrottend aufbewahrt und schließlich 1991 entdeckt und wiederveröffentlicht worden zu sein.
                  allein deshalb ist "begotten" ein absolutes unikat in der geschichte des films, denn ich kenne einfach nichts anderes was so aussieht, was in zeiten von zitatorgien und hommagen schon was heissen mag. der höchst eigentümliche look entfaltet eine unglaubliche sogwirkung, aber gleichzeitig war es reinste folter das an einem stück durchzuhalten, so dass ich mehrmals pausieren musste. die seltsame mischung aus monotonie und schrecken, untermalt mit dröhnenden sounds, das fehlen von "echter" handlung oder dialogen und das grobkörnige bild machen diesen S/W-stummfilm zu einer echten herausforderung, die sich wohl nur wenigen menschen erschließen wird und die ich nur freund*innen des extremen experimentalkinos wirklich empfehlen kann.
                  trotzdem würde ich mich dazu hinreissen lassen zu sagen, einen der speziellsten und evtl auch besten filme seit langer zeit gesehen zu haben, auf jeden fall den eindrücklichsten.

                  FAZIT: e. elias merhige nutzt das medium "film" innovativ, um sich auf einzigartige, nie zuvor gesehene weise mit der erschaffung von erde und menschheit und schließlich deren niedergang auseinanderzusetzen und lädt zur weiteren reflektion über das gesehene ein. ein höchst anstrengender und zermürbender experimental-brocken, den jede/r filmfreund*in mal gesehen haben sollte.

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                    entgegen der populären meinung finde ich dass diese zweite verfilmung des chandler-romans "farewell, my lovely" locker mit dmytryks "murder, my sweet" (1944) mithalten kann und würde es als gelungene wiederauflebung des klassischen film-noir-stils bezeichnen. wo andere filme dieser zeit, die man gemeinhin als post- oder neo-noirs klassifizert, mit den klassischen elementen spielen, sie persiflieren, ironisch brechen oder abändern, hat man es in dieser version mit einem fast schon archetypischen vertreter par excellence zu tun, der alles enthält was das nostalgiker_innen-herz höherschlagen lässt: der film als rückblende, die mit zynisch-coolen offkommentaren unterlegt ist, einen heruntergekommene alkoholiker-detektiv (sehr gut getroffen: robert mitchum als marlowe), der sich mühsam durch schmierige-düstere settings arbeitet, eine junge und extrem gutaussehende charlotte rampling als femme fatale und eine übertrieben kompliziert-verworrene geschichte mit den obligatorischen wendungen, die man niemals beim ersten anschauen versteht. über allem liegt ein ziemlich cooler jazzsoundtrack, dessen titelmelodie knallhart im ohr hängenbleibt (youtube-link siehe unten). also wenn man das hört und nicht sofort rauchend unter einer neonreklame whiskey trinken will, dann weiß ich auch nicht weiter ;-)

                    www.youtube.com/watch?v=VKmq9BivBL4

                    FAZIT: ein passender film für jene stunden in denen man gern nochmal einen "typischen film-noir" anschauen möchte, der alles vereint was der "volksmund" sich unter diesem genre vorstellt und einen mit seiner düster-melancholischer atmosphäre in den bann zieht.

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                    • 9

                      für mich neben "let the right one in" und "thirst" einer der drei großen filme die die vampirthematik ins neue jahrtausend gerettet haben. in einer zutiefst melancholischen grundstimmung bebildert "only lovers left alive" den verdruß und ekel an der modernen gesellschaft und der inneren leere nach der erkenntnis, dass im leben nichts mehr übrig bleibt das noch großartig interesse zu wecken vermag.
                      es bleibt die flucht in endloses schlafen, todessehnsucht und psychedelische klangwelten, die von einer wunderbaren kameraarbeit getragen und unterstützt werden. in dieser hinsicht ist only lovers left alive nämlich auch ein update des 68er drogenfilms, quasi ohne drogen [ok, mit blut], aber mit deftig psychedelischer atmosphäre. und somit auch ein musikfilm, ein film über gitarren und die suche nach dem perfekten sound (und liefert nebenbei einen der besten soundtracks der letzten zeit).
                      ein sehr langsamer und schwermütiger film, der gerne mit einem glas wein genossen wird. insgesamt einfach großartig!

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                      • 8 .5

                        "Les Glaneurs et la glaneuse", Agnes Vardas 15ter Film, ist nur vordergründig ein Portrait der sogenannten "Sammler", auch wenn dies allein schon interessant genug wäre. "Sammler" sind Menschen, die (vor allem) Nahrungsmittel einsammeln und verwerten, die ansonsten durchs Raster der kapitalistischen Marktlogik fallen und als "Müll" gelten. Seien es Kartoffeln, die bei der Ernte liegenbleiben, Äpfel die zu klein oder groß sind und hängenbleiben oder aber alles was im Supermarkt aussortiert und weggeworfen wird, da das Mindeshaltbarkeitsdatum naht und somit als nicht verkaufbar gilt.
                        Dieser uralte Brauch, früher "Nachlese" genannt, der z.B. schon durch Millet's Bild "Des glaneuses" (1857) dokumentiert wurde, bildet nun den Ausgangspunkt von Varda filmischer Reise durch Frankreich, während der sie in Kontakt zu Sammler_innen verschiedenster Art tritt. Doch gleichzeitig entsteht so auch eine Reflektion auf das Filmemachen an sich und vor allem auch auf die Person Agnes Varda.
                        Wie der Titel schon nahelegt, der wegen der Ungenauigkeit der deutschen Sprache nur schlecht in "Die Sammler und die Sammlerin" übersetzt werden kann, wird eine Analogie aufgemacht, die das Filmemachen als "Sammeln" von Eindrücken, Bildern und Momenten beschreibt. Filmemachen als Prozess der von Spontaneität und Zufällen lebt, die Varda geschickt einbaut um das Prinzip hinter ihrer Arbeit zu verdeutlichen.
                        Gleichzeitig geht es auch um sie als Person. Eine Person die mit dem Altern zu kämpfen hat und dies zum Nebenthema des Films werden lässt. Immer wieder filmt sie ihre zerfurchten und faltigen Hände, die seit jeher versuchten die Wirklichkeit auf Film zu bannen. In einer bemerkenswerten Szene versucht sie, vorbeifahrende LKWs einzufangen, ein kindliches Spiel, ein Kameratrick, wie von jemand gespielt, der zum ersten Mal ganz naiv die Freuden der Handkamera entdeckt ("Mein Traum: die eine Hand filmt, wie die andere Hand etwas tut."). Und tatsächlich ist dies der erste Film, den sie komplett mit einer kleinen Digitalkamera realisiert, ein Statement gegen den Größenwahn der Branche, back to the basics sozusagen.

                        So gelingt Varda das Meisterstück, einen Film abgeliefert zu haben, der mit seinen assoziativen und humorvollen Einschüben zugleich wundervolle Poesie und selbstreflektive Künsterbiografie ist, aber durch das politisch hochaktuellen Thematik der Lebensmittelverschwendung auch Anschluss findet an eine globale gesellschaftskritische Bewegung. "Les Glaneurs et la Glaneuse" zeigt eine Filmemacherin auf der Höhe ihres Schaffens, die einst durch die Nouvelle Vague zur Größe gelangte und heute, trotz ihres hohen Alters, nichts von dieser Größe verloren hat.

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                        • 7

                          es war schön, nach knapp 10 jahren nochmal einen abendfüllenden spielfilm von don coscarelli serviert zu bekommen, dessen "phantasm" noch immer zu meinen lieblingshorrorfilmen gehört. überraschenderweise merkt man "john dies at the end" auch gar nicht an dass sein regisseur fast 60 jahre alt ist, wirkt er eher wie der debütfilm von 2 aufstrebenden mitzwanzigergeschwistern die ein auslandssemester in japan absolviert haben. oder in anderen worten: angenehm erfrischend, mit vielen verrückten ideen und einem leicht billig aussehende computer-look der mich an jüngere japan-neo-splatter filme ala yoshihiro nishimura erinnert. also nicht im negativen sinn, hat durchaus charme. das ganze wird gemixt mit etwas cronenberg'schem body-horror und coscarellis ur-eigener handschrift, incl. obligatorischen paralleluniversen.
                          vielleicht passt der vergleich nicht so, aber von der atmosphäre passte der film für mich in etwa in eine gruppe mit sachen von frank henenlotter oder filmen wie "detention", "kaboom", "someones knocking at the door" oder sogar "naked lunch". wenn man damit also was anfangen konnte oder allgemein coscarelli mag, dann ist der hier auch zu empfehlen, vorausgesetzt man ist etwas aufgeschlossen und hat lust auf eine "abgedrehte nummer" inkl fleischabfall-monster.

                          p.s.: es gibt natürlich einiges zu kritisieren, wie z.b. den nervig schlechten hauptdarsteller oder ein leicht inkonsistentes script, aber ich hab mir vorgenommen an dem film erstmal nur die guten seiten zu betonen, aus freude über coscarellis rückkehr.

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                          • 8 .5

                            die science-fiction-komödie Kin-Dza-Dza gehört sicherlich zu den merkwürdigeren filmen die ich bisher gesehen habe und ist wohl in russland ein kleiner kulthit, in deutschland leider eher unbekannt. was mir sofort auffiel ist, dass er in seiner ganzen art so komplett weit entfernt ist von dem was man üblicherweise kennt und das macht ihn so erfrischend.
                            zwei erdenbürger geraten aus versehen auf einen fremden planeten, der ebenso von menschenähnlichen wesen bewohnt wird. das post-apokalyptisch anmutende wüsten-setting sieht fantastisch aus und erinnert in seiner steam-punk-optik und den improvisierten kostümen sofort an "mad max" & co, ohne jedoch seine eigenständigkeit einzubüßen. die seltsam anmutenden maschinen, werkzeuge und gebäude prahlen mit sehr individuell aussehendem design und alles knarzt, quietscht und dampft, dass es eine freude ist.
                            das besondere ist wohl aber das soziale system. der witz speist sich nämlich vor allem daraus, dass die gesellschaft zwar in technischen belangen meilenweit der erde voraus ist (interplanetare reisen incl.), jedoch gleichzeitig alles total brüchig und alt aussieht und eine zwischenmenschliche barbarei mit einem knallharten kastensystem vorherrscht, dessen verhaltensregeln aus urzeiten zu stammen scheinen. das eigentümliche verhalten der "außerirdischen", resultierend aus der komplett anderen kultur wurde so glaubwürdig und genial umgesetzt, dass man sich zusammen mit den protagonisten so richtig fremd fühlt und nie so sagen kann was als nächstes passiert. zeitweise ertappt man sich gar beim gedanken "hallo? was sehe ich da bitte gerade? was passiert hier?". Glücklicherweise ist das stellenweise zwar ein bisschen albern, driftet aber nie ins lächerliche ab.
                            ein paar dinge die mich trotzdem genervt haben ist z.b. das manchmal sehr unlogische verhalten der protagonisten mit dem sie sich immer tiefer in die scheisse reiten und dass zur mitte hin dem film etwas die luft ausgeht (um kurze zeit später schönerweise wieder an fahrt aufzunehmen).

                            alles in allem eine empfehlung für menschen auf der suche nach unbekannten, merkwürdigen filmen. aber auch sonst ein sehr witzig-unterhaltsamer einblick in ein fremdes universum.

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                            • 8 .5

                              exzeptionell guter und düsterer western aus der "klassischen periode", der mit einem recht fatalistischen grundton aufwartet. die nüchterne schwarz-weiß photographie erzeugt bewusst eine realistischere atmosphäre als man es von anderen filmen dieses genres zu dieser zeit gewohnt war und hilft dabei, den mythos des westernhelden gnadenlos zu dekonstruieren. hier gibt es keinen sonnenuntergang, keine rettung in die liebe, keine hoffnung und wenig soziale wärme. am ende möchte man vor verzweiflung den kopf in den fernseher schlagen.
                              mit diesem film brach die zeit der adult-western/psychological-western an und ein jahr später folgte dann "high noon". wobei ich die beiden durchaus auf eine stufe stellen würde. genre-fans können also bedenkenlos zugreifen!

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                              • 9

                                chantal akermans TOUTE UNE NUIT ist ein hauptwerk des feministischen films und zugleich eine absage an das klassische erzählkino, das ja als quasi ewige wiederkehr des immergleichen bis zum heutigen tag in seiner erstaunlichen einfallslosigkeit ca 90% des weltweiten filmausstoßes ausmacht. das werk regisseurin ist davon geprägt, nicht nur die stellung der frau innerhalb der klassischen narration zu hinterfragen, sondern auch die gesamte narrationsstruktur und sprache an sich in frage zu stellen, zwei systeme die seit jeher der stabilisierung der geschlechterherrschaft dienen, indem sie unterordnung als natürlich gegeben, anstatt kulturell determiniert darstellen. so finden sich hier zwar all die typischen elemente eines melodramas, diese werden aber aus ihrem klassischen gefüge herausgelöst und mit einer neuartigen dramaturgie verwoben, in der es keinen linearen spannungsaufbau oder eine handlung, aufgrund der anonym wirkenden charaktere keine identifizierungsmöglichkeiten und keine befriedigende auflösung gibt. dadurch werden die sonst so ganz natürlich präsentierten und auch wahrgenommenen zusammenhänge als bloße kontruktionen sichtbar und dem zuschauer wird die möglichkeit gegeben die ideologie seines denkens zu hinterfragen.

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                                • 3 .5
                                  über Mama

                                  10 dinge die ich an dir hasse:

                                  1) wie jede/r weiß tragen so total unkonventionelle rockgören wie annabell immer dick kajal um die augen, morgens mittags abends, auch an sonntagen wo man zuhause gammelt und erst recht nachts beim schlafen.
                                  2) was mach man noch so als rockgöre? naja halt total lässig und derbe cool abhängen und dies dem unbedarften und naiven zuschauer für den dieser film anscheinenden gemacht wurde ständig unter die nase reiben, indem man z.b. mit coffee2go zu wichtigen anwaltsterminen kommt oder beim müsli-essen durch die wohnung läuft, bzw. "strubbeliges haar" haben, in der art wie man es beim friseur gemacht bekommt.
                                  3) ein überzeugendes outfit ist auch wichtig: wie wärs mit dem neusten schrei unter punkern, misfits oder ramones tshirts. oder moment? hängen die nicht mittlerweile auch schon im H&M? naja... immerhin passt es zu der "punk-musik" der band die eher klingt wie die poppigeren blink182.
                                  4) diese dürren abgemagerten und verformten monstren, die schnell und affenähnlich durch die dunkelheit huschen haben wenig ähnlichkeit mit den beiden süßen mädchen die sie sind, wenn man sie im hellen sieht.
                                  5) selbst nach tagen/wochen klinikaufenthalt wurden lilly die füße nicht gewaschen oder die haare gekämmt, seltsames krankenhaus...
                                  6) es gibt zahlreiche dieser szenen die mich an so vielen geisterfilmen stören, wie z.b. "ju-on", bei denen "der geist" nur vom zuschauer gesehen werden kann, aber von keinem der protagonisten. was hat dies für einen sinn und vor allem, warum sollte ein geist so etwas machen, außer um ganz augenscheinlich nur die zuschauer zu erschrecken?
                                  7) der immergleiche inszenierungstrick, die soundkulisse anschwellen zu lassen und auf dem höhepunkt durch einen lauten knall das publikum aufzuschrecken hat nichts mit spannung zu tun. weiterhin ist dem nicht zuträglich mama so früh zu enthüllen oder sie vergnügt mit den mädchen spielen zu lassen, ich mein: hallo? wobei das aber noch nichtmal das schlimmste ist, denn schließlich weiß man ja durch den kurzfilm schon worum es geht. was mich zum nächsten punkt führt:
                                  8) es gibt so ziemlich überhauptnichts um mich bei der stangen zu halten, die auflösung ist genauso langweilig wie vermutet und bahnt sich schon seit den ersten minuten an, kennt man von 100 anderen geisterfilmen.
                                  9) apropos mama: die sieht genauso scheisse aus wie in dem lowbudget vorgänger, was haben die mit dem ganzen geld gemacht?
                                  10) DAS ENDE! omg, das ende! over-the-top kitschige unsubtilität vermischt mit logiklöchern. spätestens da weicht das letzte quentchen von grusel einem "van hellsing" gefühl.

                                  FAZIT: reiht sich nahtlos ein in die reihe von überproduzierten, langweiligen, PG13 filmen ohne ideen und mit ausgelutschten und schlecht-manipulativen regie-kniffen für das 08/15-durchschnittspublikum

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                                  • 8

                                    zwei junge mädchen radeln lachend über eine landstraße im abendsonnenschein, ihre sommerferien genießend, während im hintergrund sanftes orgelspiel zu hören ist. doch was im ersten moment wie das perfekte idyll aussieht, entpuppt sich als trügerischer schein. denn gerade haben sie beschlossen im namen satans zu heiraten und ihr leben der verbreitung von trauer und qual zu widmen.
                                    was danach geschieht, schmerzt gleich auf mehreren ebenen. zum einen werden die folgenden "streiche" an der dorfbevölkerung stets mit einem lächeln im gesicht und ohne spur von reue vollzogen, eine erklärung über die beweggründe bleibt aus.
                                    (minor spoilers ahead)
                                    wenn sie des armen bauerntölpels lieblinskanarienvogel vergiften und dieser dann weinend zusammenbricht oder den viehhirten verführen aber dann doch zwischen die beine treten und seine kühe von der weide in den wald treiben,
                                    (spoiler ende)
                                    verschieben sich die sympathien klar zu den opfern und man empfindet mitleid, sowie unverständnis angesichts dieser grausamkeiten, die im weiteren verlauf dann weiter zunehmen bis es das unausweichliche erste todesopfer gibt.
                                    zum anderen provoziert der film mit mehreren tabubrüchen, die heute noch genauso wie im erscheinungsjahr 1971 das publikum schocken dürften. zwar wirken die gotteslästerlichen taten und die abkehr von gott und hin zu satan mittlerweile eher belustigend als "krass", aber die thematisierung von kindlicher sexualität in dieser sehr offensiven form (die mädchen sind nicht opfer eines aggressiven pädophilen, sondern setzen ihre reize bewusst ein, um schaden zu verursachen), ließ mich bei so mancher szene deftig schlucken. das dritte tabu manifestiert sich in ihren taten; kindliche bösartigkeit und gewalt verstören ungemein und haben in der kinogeschichte immer wieder für diskussionen gesorgt. und ohne dass die ursachen ersichtlich werden bleibt im kopf des zuschauers ein fragezeichen zurück, denn weder die internatsähnliche klosterschule noch die familiäre umgebung in den ferien wirken bedrohlich und unmenschlich. die hinwendung zu satan scheint weniger durch unerträgliche lebensumstände bedingt als vielmehr durch langeweile oder halt "einfach so" zu geschehen.

                                    FAZIT: bestes 70er-jahre provo-kino jenseits von moral und dem wunsch nach begründungen, dass angesichts der tabubrüche nach wie vor verstört und in dieser form heute nicht mehr denkbar wäre.

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                                    • 6 .5
                                      über Wir

                                      Mit dem 1920 veröffentlichten Roman "Wir" erschuf Jewgeni Samjatin den vielleicht einflusstreichsten Prototyp eines bis heute beliebten dystopischen Konzepts, dessen sich beispielsweise Huxley für "Brave New World", Orwell für "1984" oder im Bereich des Films Gilliam für "Brazil" oder Lucas für "THX 1138" bedienten. Das in allen Fällen ähnliche Grundgerüst sieht mit leichten Abwandlungen immer ungefähr so aus:
                                      Ein anfangs vom System überzeugter Protagonist (männlich) lebt in einem modernen, total überwachten Staat (Diktatur), in dem Technik, Vernunft oder Bürokratie die Vorherrschaft über Natur, Gefühl und Exzess gewonnen haben. Alles scheint perfekt, wenn sich auch manchmal ein Gefühl der Unvollkommenheit einschleicht, was in dem Moment verstärkt wird, als er eine Frau kennenlernt die seltsame Gedanken weckt und kritische Denkprozesse in ihm auslöst. Es kommt raus dass sie in einer Untergrundorganisation arbeitet die gegen den totalen Staat kämpft und ihn für den Widerstand gewinnen will. * MINOR SPOILER * Das Ende dieser Romane/Filme ist meist negativ in dem Sinne, dass der Staat siegt und der Protagonist nach erfolgreicher Abtrünnigkeit sich entweder wieder eingliedert oder stirbt. * SPOILERENDE *

                                      Das reizvolle an diesem Konzept ist sicher seine Zeitlosigkeit. Während "Wir" offensichtlich als Kritik an den erstarkenden totalitären Kräften im kurz zuvor befreiten Russland gedacht war - der ursprünglich als Erlösung bzw Ende der Geschichte gedachte total vernünftige Staat kippt langsam hin zur erneuten Unterjochung unter die gleichmachende Ratio - lässt es sich problemlos auch auf die faschistischen Bewegungen in den Jahren danach übertragen [verstörenderweise werden im Roman, in fast schon gruseliger Prophetie auf die späteren Ereignisse in Deutschland, Gaskammern eingesetzt]. Und auch heute noch finden sich zahlreiche Anknüpfungspunkte, wie der mediale Diskurs um Internet-Überwachung und "gläserne Menschen" nahelegt [Im Roman leben die Menschen übrigens in gläsernen Wohnungen, da es ja "nichts mehr zu verbergen gebe"].

                                      Was die filmische Umsetzung betrifft, fand ich die vor allem aus historischer Perspektive interessant und weniger den Film als solchen, da es meiner Meinung nach Besseres in dem Bereich gibt mittlerweile (1984, Brazil, THX, etc.). Aber es ist bisher nunmal die einzige Verfilmung dieses Romans und war auch mit eine der ersten Verfilmungen einer der "großen Dystopien" überhaupt (Ein Jahr vorher gabs einen TV-Film zu Brave New World). Optisch merkt man halt stark dass es sich im vorliegenden Fall um eine Fernsehproduktion handelt, überall sind die finanziellen Einsparungen im Setdesign sichtbar, was eine fast theaterhafte Bühnen-Atmosphäre erzeugt. Vor allem auch das Schauspiel unterstützt dies durch stilisiertes Spielen und Sprechen, was ich anfangs eher befremdlich und "billig" fand, allerdings später bemerkte dass man dies auch als adäquate Umsetzung der mathematisch korrekten Sprache und Verhaltensweise interpretieren könnte, die im Roman vorherrscht, dessen Mathematismus und Symbolismus wohl eine breitere Rezeption seit jeher verhindert hat. Ich zitiere kurz Ilona Grzeschiks Aufsatz aus "Reclam Filmgenres - Science Fiction":
                                      "Samjatins anspruchsvolle Vision verlangte eine stark stilisierende Darstellung und stelle hohe Anforderungen an die Produktion. Die Schauspieler wurden mit den komplizierten Texten vor eine schwierige Aufgabe gestellt. Die Dialoge eines fiktiven dritten Jahrtausends, in dem man euklidisch denkt, mussten auch so intoniert werden. Das Einstudieren der besonderen Gestik und Mimik gesellschaftlicher Rituale sowie Bewegungsformen war erforderlich."

                                      FAZIT: Keine klare Empfehlung; vor allem mit dem "günstigen Look" und der theaterhaften Spielweise könnten einige Probleme haben. Für Sci-Fi-Komplettisten und Dystopie-Historiker_innen aber durchaus interessant, da es wie schon gesagt die einzige Verfilmung des Romans und eine der ersten modernen Dystopien ist. Zumindest regt der Film zum Nachdenken über die Problematik der "perfekten Gesellschaftsform" und den Konflikt "Technikvergötterung/intrumentelle Vernunft" vs "zurück zur Natur-Ideologie/Fortschrittsfeindschaft" an und ist somit eine gute Ergänzung zur Re-Lektüre der "Dialektik der Aufklärung" von Horkheimer/Adorno. (ok, letzteres war eher eine scherzhafte übertreibung, aber der Titel ist mir gerade beim schreiben tatsächlich wieder in den Sinn gekommen)

                                      Und hier gehts noch zum Volltext der Romanvorlage:
                                      http://nemesis.marxists.org/samjatin-wir1.htm

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                                      • 8

                                        es scheint mir leider so, dass sich wes anderson mit fortschreitendem alter zunehmend in seinen manierismen verliert. und so mutet auch grand budapest hotel bisweilen wie ein bloßes schaulaufen hochkarätiger stars an, die mittlerweile sicherlich mit reisebussen zum drehort gekarrt werden müssen, um dort in allerlei skurrilen sets für cameos zu posieren. leider wirkt das alles wenig konsistent oder formal geschlossen, sondern schlimmstenfalls wie eine aneinanderreihung von sketchen.
                                        emotional hat es zumindest mich total kalt gelassen, wenn ich auch oft lachen musste, denn die dialogkunst ist weiterhin genial [z.b. die ganzen fiktiven deutschen (orts-)namen]. und es sieht halt einfach fantastisch aus, formalismus hin oder her, ich liebe sowas. und daher gebe ich auch trotz dieses eher nach einem verriss klingenden texts wieder solide 8 punkte. ein typischer anderson sozusagen, wenn auch kein herausragend guter.

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                                        • 6

                                          hach, die untiefen des deutschen genrekinos, wie gerne tauche ich in sie hinab. ein besonderer, nicht wirklich erklärbarer reiz geht von dort für mich aus, vor allem von jenen berüchtigten amateurproduktionen der 80er und 90er-VHS-Jahre, als der deutsche splatterfilm seine blütezeit hatte. doch im gegensatz zu diesen, handelt es sich im vorliegenden fall nicht direkt um amateurhafte filme, da alle in dieser anthologie versammelten regisseur_innen wohl filmstudierende waren und auf professionelles equipment zugriff hatten, sowie die basiskenntnisse filmischer inszenierungstricks kennen. das macht es wiederum interessant und hat mich letztendlich auch zum griff in die ramschkiste des kaufhauses bewogen, wo die DVD teilweise noch zu finden ist:
                                          wie gestalten menschen, die ahnung von der materie haben, mit geringsten finanziellen mitteln ihre visionen? oftmals kommen da spannende experimente bei herum. außerdem mag ich es die alten frisuren und modestile anzuschauen, die menschen im "kaufhof" einkaufen gehen zu sehen und ungelenke deutsche sätze aufzusagen.
                                          gleichzeitig ist das aber auch das problem für mich gewesen, denn die hoffnungen auf einen feucht-fröhlichen abend mit einem ultra-cheesy-shlockfest wurden durch die professionalität der filme leider enttäuscht. auch für ein "so schlecht dass es wieder gut ist" sind sie nicht schlecht genug. alles ist irgendwie SOLIDE, akzeptable schauspieler_innen, mediokres drehbuch, gutes handwerk. also wo bleibt da der reiz? aber nun zu den einzelnen beiträgen.

                                          DIE FILME:

                                          MALUM: "unter dem einfluss einer seltsamen götzen-figur wird das friedliche hauskätzchen einer alleinstehenden frau zur todbringenden bestie".
                                          sehr kurz, nur ca 10 min., zu kurz um langeweile aufkommen zu lassen, die story ist extrem 0815 aber irgendwie aufgrund der kürze "ganz nett" und die angriffe der katze wurden technisch einfallsreich inszeniert. im übrigen der einzige film von volker morlock, danach hat ihn die inspiration wohl verlassen...
                                          JULIA: "julia, die frau eines erfolgreichen politikers, wird von einer mysteriösen doppelgängerin in den tod getrieben".
                                          die prämisse einer doppelgängerin die unerwartet in ein leben eindringt hat mir schon mehr zugesagt, alles fängt schön mysteriös an und weiß die gesamte laufzeit von ca 20 min zu unterhalten, auch wenn die schauspieler_innen etwas hölzern wirken. nichts tolles, aber zumindest nicht enttäuschend. außerdem der einzige beitrag von einer regisseurin. lustigerweise ist die danach dauerregisseurin bei "verbotene liebe" geworden, bevor sie zu tv-dokumentarserien wechselte.
                                          KRISTALLTOD: "zwei freundinnen stehlen in einem antiquitätenladen eine kristallkugel, aber der inhaber nimmt mittels eines magischen schachspiels grausam rache."
                                          für mich theoretisch der vielversprechenste beitrag, da er inszenatorisch sehr stark am italienischen giallo angelehnt ist, vor allem die kamera. gegen ende tauch auch noch der obligatorische killer mit schwarzen handschuhen auf. pascal hoffmann, der regisseur, dem man klar einen sinn für stil zusprechen kann, war danach im übrigen nur noch als kameramann tätig und hat an einer ganzen reihe von tv-produktionen und serien, vor allem im krimibereich mitgewirkt. und diese vorliebe für gute kameraarbeit merkt man dieser, seiner letzter regiearbeit durchaus an.
                                          TILL DEATH DO US APART: "ein gewalttätiger ehemann kommt beim streit mit seiner frau ums leben. allein zu hause versucht sie mit der vergangenheit fertig zu werden. doch der totgeglaubte taucht wieder auf."
                                          der mit abstand längste film (40 min) und leider auch der langatmigste. im übrigen auch der einzige der auf englisch gedreht worden ist, daher sollte man vor beginn die tonspur umstellen, denn sonst vermiesen einem seltsame synchronsprecher_innen das fast nicht vorhandene vergnügen noch mehr. hier ist einfach alles mittelmaß und viel zu aufgebläht. zwischendrin kommt allerdings mal für ein paar minuten nettes home-invasion-feeling auf. naja, für mich immernoch der schlechteste beitrag.

                                          ZUR DVD: das konzept hinter der anthologie ist mir nicht ganz klargeworden. kennen sich die regisseur_innen? kommen sie von der gleichen filmhochschule? zumindest die produktionsfirmen sind jeweils andere und jeder beitrag hat einen eigenen vor und abspann sowie ander bildqualität. man kann also von einer nachträglichen zusammenstellung ausgehen. die BILDQUALITÄT ist auch ziemliches mittelmaß und fast auf VHS-niveau, da hat man sich nicht so die mühe gegeben. aber ich glaube das originalmaterial wurde auch auf video gedreht. steht zumindest bei IMDB so, schwer zu sagen.
                                          extras oder weiter hintergrundinfos sind auch nicht vorhanden, daher muss das wohl für ewig im dunkeln bleiben.

                                          FAZIT:
                                          schwierig zu sagen was für ein zielpublikum hier angesprochen wird. für trash-suchende wohl zu ernsthaft und professionell. für die anderen zu billig. lediglich leute die gern mal obskure deutsche genre-filme anschauen können hier zugreifen, auch wenn sich die 9,99 bei amazon sicherlich nicht unbedingt lohnen, denn dafür ist es zu mittelmäßig. außer beim letzten beitrag kann man aber durchaus kurzweilig unterhalten werden, wenn man keine hohen ansprüche hat.

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                                            ulrich seidl hat meine erwartungen mal wieder voll erfüllt. das anschauen war die reinste tortur. von ekel über belustigung, aufbrodelnder aggression, purem entsetzen, fremdscham und dem nachträglichen gefühl von innerer leere und anhaltender niedergeschlagenheit waren alle emotionen vertreten die man sich (nicht) wünschen kann. eine tour de force durch die abgründe der kleinbürgerlichen menschlichen existenz.
                                            mein tipp: starke nerven und seelische stabilität mitbringen! akute gefahr sich währenddessen die kugel zu geben...

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                                              "Why is absence so heavy to bear? Why is Guy fading away from me? I would have died for him. Why aren't I dead...?"

                                              tja, heute war mein kitsch-tag und was eignet sich da besser als ein musical aus der guten alten zeit? hier hab ichs dann auch direkt richtig dicke erwischt, der film trieft von vorne bis hinten, aber auf die angenehme art (*^_^*) allein die farben bringen schon die netzhaut zum glühen:

                                              http://1.bp.blogspot.com/-fnDChPYLOTQ/TWNqVyqKhjI/AAAAAAAABpY/L0aj02Ttlro/s1600/Umbrellas+of+Cherbourg.jpg

                                              und dann wird auch die ganzen zeit gesungen, JEDES verdammte wort. erstmal gewöhnungsbedürftig, trägt aber letztendlich maßgeblich zur seltsam-entrückten atmosphäre bei. und nun zu dem warum ich den kommentar eigentlich schreibe, ich muss nämlich kurz mein herz ausschütten: auf den ersten blick ist alles so bunt und lustig, aber dann bricht unter der oberfläche diese schwere tragik hervor die mich vorhin total mitgenommen hat. diese phänomenale trennungsschmerz-sequenz, als guy seiner liebe mitteilt dass er zur armee muss, unterlegt vom ohrwurm main-theme, gehört ab jetzt zu meinen favourite-musical momenten; das spiel von catherine deneuve, wie sie ihre verzweiflung heraussingt, ihr gesicht, das ist so wahnsinnig emotional, da kann die kleine krokodilsträne einfach nicht mehr zurückgehalten werden. und ab da war dann eigentlich permanent ein drücken hinter den augen, auch jetzt noch, hach....

                                              http://3.bp.blogspot.com/_5zoW5_bptxY/Sv8jXfUcDsI/AAAAAAAAAEw/2kwrV_EZPA0/s400/lpdc3.JPG

                                              tja, die story ist wirklich nicht besonders einfallsreich, aber es ist die spezielle aufmachung dieses ewigen motivs, sowie das nebeneinander von schwebender leichtigkeit und tiefer tragik das "Les parapluies de Cherburg" auszeichnet und für mich zu einem des besten musicals macht.

                                              www.youtube.com/watch?v=u9F-lCdFqLo

                                              FAZIT: so kitschig, so bunt, so tragisch, so wunderschön <3

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                                              • ich weiß nicht ob dem autor dies bewusst ist, daher hätte ich in anlehnung an unsere diskussion weiter unten noch eine wichtige anmerkung:
                                                laut paragraph 5 absatz 10 der allgemeinen kafka-referenz-verordnung ist es nur in solchen fällen erlaubt, sich in eigenen artikeln auf genannten autor zu beziehen, wenn bereits 10 tage vorher der passierschein A38 in zweifacher ausfertigung, jeweils original und kopie im amt für referenz-angelegenheiten (stockwerk 2, flur 211) abgegeben und persönlich gestempelt wieder in empfang genommen wurde. ohne diesen passierschein angetroffen zu werden, hätte nämlich sofortige ausweisung in die fremdenkolonie zur folge.

                                                schwierig könnte es sich allerdings schon gestalten, denn der zuständige erste sekretär, der alleinig zugriff auf die stempelschublade hat, ist täglich nur wenige minuten im büro vorzufinden. betritt man dieses, ohne dass er vor ort ist, kann es sein dass man den zweiten sekretär mit ihm verwechselt, welcher sich selbst seine niedrige position nicht eingestehen mag, und daher vorgibt, ebenso über autorität zu verfügen. er stempelt gerne und mit genuß die formulare nichtsahnender neulinge, jedoch mit dem falschen stempel, was die armen betrogenen zu umso tragischeren opfern macht, werden sie denn ertappt.

                                                daher empfiehlt es sich, direkt vor dem persönlichen eingang des ersten sekretärs zu warten, einen eingang den nur er betreten darf, um somit sicherzugehen, die "richtige" person anzutreffen. da es aber wie gesagt selten vorkommt dass er ein oder ausgeht, könnte man dazu gezwungen sein, vor dem eingang für mehrere tage bis monate zu wohnen. aber vorsicht: auf keinen fall dem drang zu schlafen nachgeben. nicht auszudenken, sollte er gerade in jenem momente auf seinen leisen pantoffeln vorbeihuschen, so dass man ihn verpasst und eventuell weitere tage, monate oder gar jahre dort verbringen muss, bis man vielleicht glück hat, oder vielleicht auch nie...

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                                                  der titel lässt mich natürlich sofort an holy mountain denken, der vergleich liegt nahe, auch wenn der hier ohne den ganzen mystizismus auskommt und weniger pompös ist. was mich aber am meisten freut ist, dass heutzutage nochmal jemand den mut hatte mit einer produktion dieser größenordnung den ganzen mainstream in den dreck zu treten, und zwar so richtig.
                                                  da war leos carax auf seine alten tage und unglaubliche 13 jahre nach seinem letzten film doch nochmal für eine überraschung gut.

                                                  weitere worte spare ich mir mal, um den überwältigungseffekt nicht zu zerstören.

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                                                    hab mir den film in der hoffnung auf ein schönes, herzerwärmendes märchen gekauft, doch leider war der titel nur lug und betrug. das hat anscheinend alles wirklich so stattgefunden, ist vom ganzen stil her fast dokumentarisch anmutend und hat mit märchen die ich sonst gern anschaue wie z.b. den filmen der berühmten regisseurs-brüder grimm herzlich wenig am hut. bitterlich enttäuscht hab ich das natürlich direkt bei amazon reklamiert und wieder zurückgeschickt, denn das hier ist einfach nur etikettenschwindel, meine damen und herren!

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