Weltenkind - Kommentare

Alle Kommentare von Weltenkind

  • Wenn wir schreiben, erinnern wir uns. Wenn die Großen unter uns spielen, zeigen, darstellen, geben sie uns etwas, um uns zu erinnern. Es ist ein Geschenk an die Nachwelt, welches wir annehmen und betrachten. Mal verlieben wir uns in die Schönheit jener Darstellung, ein anderes Mal schauen wir voller Erstaunen auf das uns Gebotene. Schauspieler werden für uns, als Betrachter und Beobachter, Freunde und Wegweiser. Sie definieren für uns, was Film sein kann und wie wir Menschen sehen. Wir wollen so sein wie sie, eifern, kreischen, rufen ihnen nach. In vollkommen blasphemischer Liebe zum Dargestellten sind wir gefangen im uns umwebenden Nebel der Kunst. Und wenn das Leben eines großen Charakterdarstellers zu Ende geht, greift dieser Verlust tief in uns – doch wir können uns erinnern, indem wir schreiben. Und jetzt erinnern wir uns an Alan Rickman, der uns im Alter von 69 Jahren am 14. Januar 2016 verlassen hat....

    http://www.cereality.net/thema/alan-rickman-016376

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    • 18
      • 9

        [...] Die Liebe zweier Individuen ist der Mittelpunkt aller Konspiration. Ennis Del Mar begegnet der Liebe mit Abneigung. In ihrer ersten Nacht reagierte er aggressiv und später abweisend. Er ist sich der gesellschaftlichen Ausgrenzung Seinerselbst bewusst, während Jack Twist, der naive und lebenslustige Jüngling, in seinen Gefühlen lebt. Beide Gegenpole zementieren ihre Liebe ganz individuell, aber verlieren sie niemals. Während Ennis nach ihrer Trennung heiratet, ein geordnetes Leben zu führen versucht, gleitet Jack verloren durch die Welt. Der Versuch, ein Jahr später auf den Brokeback zurückzukehren, endet mit der Einsicht, dass ihr Geheimnis nicht so geheim war, wie erhofft.
        Dennoch bleibt die Liebe der beiden zueinander, trotz verschiedener Lebensstile, allgegenwärtig. Die Suche der Gefahr, das fehlende Gefühl des Zusammenseins, verstärkt sich im Laufe der Jahre, verliert sich in vorgeheucheltem Interesse an Frauen und dem Aufbau anderer Existenzen. Dann der Versuch der Wiedervereinigung: Im Schatten der eigenen Ehen zelebrieren sie eine Affäre. Zurück auf dem Brokeback besprechen sie ihre Zukunft. Aussichtlos, verloren, unmöglich – da ist nichts, was sie zusammenhält. Ihre Liebe besteht nicht die Prüfung der Gesellschaft. „Wie lange denn?“, fragt Jack und Ennis resümiert nur vage: „So lange, wie wir können.“ [...]

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        • Natürlich stark vereinfacht und argumentativ widerlegbar, aber die Aussage, die allein die Menschlichkeit betrifft, ist relevant und richtig. Der braune Mob kann sich die Haare grau grölen, die Gutmenschen ihre Willkommenskekse backen und die Realisten ihre Statistiken zurecht biegen - im Endeffekt sollte es für das einzelne Individuum allein um die Menschlichkeit gehen und verstehen, dass territoriale Grenzen zwar sinnvoll, aber nicht unüberwindbar sind. Und gewiss nicht, wenn sie Menschenleben betreffen. Es ist für mich vollkommen unverständlich wie sich fehlgeleitete Wutbürger hinter ihrem Computer mit einem Bildungsstand eines Grundschülers auf Facebook verstecken und ihre Möglichkeiten nutzen um Menschenleben aufgrund anderen Glaubens verurteilen. Oder noch schlimmer: weil sie Angst haben, nichtige Einbußen machen zu müssen, wenn sie dafür ein Menschenleben retten könnten. Das ist keine Politik, die den Otto-Normal-Bürger tangiert, das ist Humanität, die er ablehnt.

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          • 8

            [...] Durch Bilder, die ihre poetische Kraft entfalten und die Übergänge zwischen Realität und spiritueller Eingebung verwischen, bleibt das Gefühl dieser transzendenten Schönheit. Der Realitätsanspruch, den Thailänder und Weerasethakul im Besonderen haben, unterscheidet sich massiv von westlichen Auffassungen. Die Koexistenz zwischen jener spirituellen Religiosität und der tatsächlichen physischen Existenz ist ein Kontinuum, welches ohne das andere nicht funktioniert. So ist gerade „Cemetery of Splendour“ für Weerasethakul, wie jeder seiner Filme, ein persönlicher und nahegehender Film. Obgleich er in seinem Plot sehr dünn agiert, schöpft er seine Kraft aus der Relation von Verständnis und Empfindung. Die biografischen Parallelen lassen die emotionale Härte, mit der Weerasethakul hier voranschreitet, und ihren Mystizismus nicht so distanziert erscheinen, wie sie unter anderen Umständen sein könnten. Die menschliche individuelle Verknüpfung von Charakteren und Schicksalen ist eine für das Kino von Weerasethakul typische Stilübung. Denn trotz seiner oft fernen inhaltlichen Auseinandersetzung mit Thematiken wie Seelenwanderung und Realität bleibt deren Verkettung für ihn von zentraler Bedeutung. [...]

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            • 8

              [...] Es ist scheinbar Liebe auf den ersten Blick. Eine Liebe, die nicht gleich entfacht, aber tief in ihnen jederzeit präsent ist. Wider dem besseren Gewissen kommen sich Laura und Alec jedes Mal näher, wenn sie sich treffen. Für Laura ist Alec der liebende Freund und das komplette Gegenteil zu Fred, ihrem Ehemann. Er ist distanziert und kalt. Und dennoch liebt er seine Frau. Es ist das vollendende Vertrauen, welches dies symbolisiert und die Taten Lauras dadurch umso mehr in ein kritisches Verständnis rückt. Fred ist kein Tyrann, niemand, der seine Frau mit Ablehnung straft. Und doch fühlt sich Laura unverstanden, distanziert sich innerlich von ihm.
              Bei einem Kreuzworträtsel fragt Fred seine Frau nach einer Lösung – „Romantik, denke ich. Ich bin mir fast sicher, das ist es.“ –, doch dabei denkt sie nicht an ihren Ehemann. Es ist Alec, der in ihren Gedanken lebt. Doch genauso signifikant, wie er sich in ihren Gedanken ausbreitet, so groß sind die Zweifel an ihren Gefühlen und Taten. Sie ist gefangen in den Konventionen, in denen Ehebruch noch deutlich tabuisierter ist als in der heutigen Gesellschaft. Es sind Sünden, die einen aus der Gesellschaft abgrenzen. Laura aber fürchtet sich nicht davor. Es ist vielmehr die nicht ausgesprochene Angst vor sich selbst. Die Angst davor, sich selbst zu verlieren und in das eigene Unglück zu laufen, während ihre Kinder und ihr Ehemann zu Hause sind; ungeahnt dessen, was die Frau tut. [...] Vielleicht der beste Liebesfilm, den es gibt.

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              • 3

                [...] Regisseur Sacha Gervasi behandelt in seinem Spielfilmdebüt „Hitchcock“ nur einen entscheidenden Lebensabschnitt und suggeriert damit den Eindruck, dass sich an diesen (im Kontext) weniger relevanten Ereignissen das gesamte Schaffen von Hitchcock definieren lasse. Es wird zu keiner Zeit ein Rückbezug zu vergangenen Filmen geschaffen und niemals beachtet der Film einen weiteren (für das Leben von Hitchcock) wichtigen Aspekt, um ein klares Bild über diesen Ausnahmeregisseur zu machen. Zwar kann man den Film in diesem Punkt zugute halten, sich im vollkommenen Bewusstsein nur auf die Dreharbeiten des Films „Psycho“ zu beschränken, dies mindert aber nicht den Eindruck, dass es sich hierbei um ein halbfertiges Produkt handelt ohne jegliche Relevanz zu seiner Titelfigur.
                Um sich den Halbwahrheiten noch weiter zu beugen, legt Gervasi seinen Blickpunkt nicht auf das filmische Schaffen von Hitchcock, sondern übergeht jegliche historische Korrektheit, in dem er den von Anthony Hopkins gespielten Hitchcock eine äußerst melodramatische Liebesgeschichte zu seiner Frau Alma Reville andichtet. Reville (Helen Mirren, erstaunlich blass), eher bekannt als Ruhepol hinter Alfred Hitchcock, verkommt zu einer launischen und aufmerksamkeitsheischenden Frau, die sich zwingend aus dem Schatten ihres Ehemannes lösen will. Es scheint fast so als bange Regisseur Gervais darum sich emanzipatorisch zu weit der heutigen Darstellung zu entfernen und damit etwaigen Zuschauern auf den Schlips zu treten. Mut zum Kino sieht anders aus. [...]

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                • 6

                  [...] „Das Fest“ ist der wohl radikalste Dogma-Film, Thomas Vinterberg macht aus der Liebe Hass, aus der Idylle einen Kriegsschauplatz. Bei Vinterberg werden Menschen zu Monstern. Nicht, weil er Menschen hasst, sondern weil Menschen sich selbst hassen. Sie sind Furien, sie müssen sich gegenseitig verletzen, bis sie merken, dass sie sich selbst zerstören. Die Wahrheit ist das Motiv des Films; sie zu ertragen, die Aufgabe. Es ist nicht einfach, die Naivität der Menschen zu ertragen, ihre fehlgeleiteten Auffassungen über Recht, Liebe und Moral zu akzeptieren. Doch man erkennt, es sind Menschen. Ihre Fehler: schwerwiegend, unentschuldbar, indiskutabel, doch menschlich. Die Akzentuierung von Menschlichkeit zur Barbarei ist ein Fest. Ein Fest voller Abscheu und Hass, aber auch ein Treffen der Freude und des Wiedersehens. Aber letztendlich sind sie alle haltlose Heuchler, so, wie Menschen eben sind. Gleichgültig sind sie alle, vergessen wird aber keiner. Auch, wenn sie es wollen, werden sie nicht vergessen, wie Christian sich erhob, seinem Vater ins Gesicht blickte und die Wahrheit erzählte. Die Wahrheit, die eine bereits kaputte Familie endgültig zerstörte. Für Christian aber war es die Absolution. [...]

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                  • 7

                    [...] Manchmal hält Guzmán die Kamera einfach auf seine Interviewpartner und fragt sie im Hintergrund aus, dann schlägt er die Brücke zur Rekonstruktion und erzählt nicht nur, was geschehen its, sondern zeigt es auch. Um den Schrecken durch die Pinochetdiktatur transparenter zu machen, offenbart er die Unmenschlichkeit jener Politik. Man könne Respektlosigkeit und Ignoranz hinter der Sensationsgier jener Rekonstruktion von Mord und Entsorgung sehen, doch versteht es Guzmán die meiste Zeit, einen respektvollen Abstand zu halten. In der Sterilität eines leeren Raumes, nur bestückt mit einem Tisch, filmt Guzmán zwei Männer dabei, wie sie eine Puppe einpacken. Erst in Plastikfolie, dann in einen Kartoffelsack. Jeweils über die Beine und über den Oberkörper. Beschwert wird das Ganze mit einem Schienenstück, verschnürt am Körper der Puppe. Die Puppe steht für einen Menschen. Politische Gegner, einfache Menschen, redundante Individuen, die zu Desaparecidos wurden. Feinde des Diktators Augusto Pinochet, der in seiner Amtszeit als Diktator mehrere Zehntausend Menschen tötete. Guzmán verdeutlicht diese Gräuel durch Sterilität und Distanz. Die Puppe wird von einem Helikopter abgeworfen und im Ozean versenkt. Das Heiligtum der Menschen wird zum Massengrab. Jener Ort, der für die Indianer Nahrungsquelle war. Ganz im Sinne der spirituellen Bedeutung nimmt das Wasser jene auf, die es geschaffen hat. Es besitzt die Stimmen der Vergangenheit. [...]

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                    • 7

                      [...] Konfrontiert mit dem Erfolg anderer, wird Allen zynisch. Er erkennt sein Versagen, bleibt aber grotesk. Groteske Sinnbilder des Scheiterns werden zur Diffamierung seines Fühlens. Alvy Singer ist ein Mann, der eigentlich weder der Adonis ist, der er gerne wäre, noch so intelligent, wie er wirken möchte und doch kreiert er ein Überlegenheitsgefühl. Er selektiert und distanziert sich selbst von Typisierungen, will dabei anders sein, bleibt aber doch ein wandelndes Klischee. Jener neurotische Außenseiter, der Jude, der sofort Antisemitismus erkennt, wenn Juden zum Thema werden. Ein empfindlicher Kauz, doch in seinem Stereotyp liebevoll und einzigartig. Der Zwang, andere fernzuhalten und dabei zu vergessen, wer er eigentlich ist, macht aus ihm – und auch Annie – ein sich selbst nicht verstehendes Wesen. Die Menschen sollen auf Abstand bleiben, aber doch wollen sie körperliche und auch emotionale Nähe. Das aber ist unmöglich, der Konflikt breitet sich aus. Im Inneren, wo es keiner sieht, kämpfen Alvy und Annie darum, miteinander und sich selbst klar zu kommen. Da sie aber stets in Verteidigungs- und Abwehrhaltung verharren, bleiben sie Außenseiter, unverstandene, eben neurotische Müßiggänger. [...]

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                      • 7

                        [...] Jane Campion macht aus ihren konformen Figuren geächtete, filmisch sezierte Ausreißer. Sie sind keine Rebellen, sie werden von Suchenden zu Leidenschaftlichen zu Liebenden. Aida sucht ihr Piano, findet die Musik und verliebt sich in Baines. Und Baines sucht Zuneigung, findet körperliche Befriedigung und verliebt sich schließlich in Aida. Sie gehen leise, nur den Klängen des Pianos folgend, den Weg, der sie zusammenfinden lässt. Obwohl Baines ein Sympathieträger gegenüber Stewart ist, versteht es Campion, von einer Romantisierung des Mannes Abstand zu nehmen. Aida ist für ihn erst eine Hure, ein Objekt, wie es auch das Piano ist. Er nimmt den Profit, den er haben kann. Für ihn zählt Körperliches, Emotionalem ist er eher fern. Erst mit der Zeit wird aus dem Materiellen etwas Emotionales. „Das Piano“ würde auch als Stummfilm funktionieren, doch würde dies dem Film seine Dynamik und Gegensätze nehmen. Aida würde zum uneingeschränkten Mittelpunkt des Filmes. Baines und seine Hintergründe verkämen zur bildhaften Assistenz der Protagonistin. Nicht selten lebt der Film allein durch die Koexistenz der beiden Hauptcharaktere, ihren Gefühlen und ihren selten gezeigten, aber umso präsenter wirkenden Emotionen zueinander. [...]

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                        • 8

                          [...] Das serielle Konzept liegt einer Miniserie zugrunde. Dem HBO-Erzeugnis „True Detective“ ähnlich sind die Staffeln für sich alleinstehend und individuell, bleiben aber unter dem Titel der Serie als Gesamtwerk bestehen. In zehn Folgen erzählt Serienschöpfer Noah Hawley in Kapitel ähnlichen Unterteilungen die (wahren) Geschehnisse der Stadt Bemidji aus dem Jahr 2006, den Aufstieg und Fall von Menschen, heraufbeschworen durch einen Mann, den man zu gerne als das sieht, was er wohl selbst gerne wäre: das Böse. Seine Geheimidentität ist die eines Priesters, das Kalkül, welches Malvo in seinen Taten jederzeit einbezieht, lässt ihn als unmenschlich, stets seinen Gegnern überlegen wirken. Billy Bob Thornton schwebt über allem mit teuflischer Präsenz, einem verschmitzten, abschätzenden Grinsen. In einer direkten Konfrontation mit einem Polizisten wird allein durch Worte die Gefahr durch diesen Mann klar: Aus Angst vor ihm lässt der Polizist ihn gehen. Und man selbst sitzt da und fragt sich: Wie würde ich handeln? Thornton lässt die Selbstsicherheit des Zuschauers vergessen und ihn an der eigenen Standhaftigkeit zweifeln. Doch gerade solche Interaktionen beherbergen das humoristische Potenzial. Wenn Malvo sein Netz der Manipulation über seine Schäfchen spannt und selbst ab und an in das Geschehen eingreift, ist die Jagd und das Hinterherstolpern nach dieser rätselhaften Gestalt der Humor, den die Serie wunderbar aufgreift. Die Charaktere irren in ihrem eigenen Morast hin und her. „I quit. I’m done!“, sagt Polizeichef Bill Olsen (Bob Odenkirk) irgendwann und lässt damit alles fallen. Einfach, weil er überfordert ist. [...]

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                          • 2

                            [...] Xavier Dolan geht diesen eigentümlichen Schritt der Erklärung und nicht der Empfindung. „Herzensbrecher“ ist so überstilisiert und karg, dass die Emotionalität der Liebe nicht greifbar ist, sie schwebt nur im gläsernen Kasten der Undurchdringlichkeit von Habgier und Missgunst vor sich hin, ist aber nie ein Teil dessen, was es zu erleben gilt. Die Protagonisten, gleichsam so stereotyp wie gewollt hip, dass sich die Hosenbeine hochkrempeln, treten als beste Freunde auf und enden als gehässige Egoisten. Sie sind die Instrumente der „Liebe“, die es hier gar nicht gibt; vielmehr agieren und funktionieren sie als Kampfwerkzeuge, um sich gegenseitig zu schaden. Francis (Xavier Dolan) und Marie (Monia Chokri) denken, sie würden lieben, den gleichen Jungen, das gleiche Objekt der Begierde. Doch ihre Liebe verklausuliert Dolan an seine Protagonisten: Sie erhalten ihre Liebe nur dann, wenn der andere dafür scheitert. [...]

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                            • 7

                              Es ist die Geschichte eines Lebens. Das Leben eines Menschen, so weit entfernt, dass es für unsereins gar nicht existiert. Und doch sind die Bilder der Geschichte so ergreifend nahe, dass sie, wenn sie sich entfalten, das Leben als ein kategorisches Licht erhellen: Die Probleme des Landes sind existentiell. Und doch geht es, trotz der Aussage, der Film sei ein "politischer Film", nicht um die Politik des Landes, sondern viel mehr um den Jungen, der aus der Ich-Perspektive sein Leben resümiert. Mithilfe von Tonfiguren eröffnet Rithy Panh dem Zuschauer das Leiden seines Lebens, als Opfer des Genozids seines Landes, als Teil der unterdrückten Gesellschaft und doch ist es immer der Ich-Erzähler, der den Mittelpunkt markiert. Unfassbar zerstörend erfolgt daraus der Blick auf ein fremdes Leben, welches scheinbar so fremd zu uns erscheint, dass wir es gar nicht glauben. Es ist keine Ignoranz der Menschen dies nicht glauben zu wollen, es ist einfach die unglaubliche Geschichte die hinter diesem Ganzen steckt. Als Kind in ein Arbeitslager verschleppt, unter dem Deckmantel lebend, der Kommunismus würde ihnen den erhofften Wohlstand bringen, gleitet Panh selbst immer weiter ab in die Abgründe des Menschen. So teilt man nicht das Essen, es wird nur der Hunger geteilt. Und doch bleibt man irgendwie immer allein. Einzig die Tonfiguren stehen da, so blass und leer, wie die Augen des jungen kambodschanischen Mädchen, welches kurz erwähnt und dann schon wieder abwesend ist.

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                              • 4
                                über Idioten

                                Die Arschlöcher der Gesellschaft, die Asozialen, die Dummen – oder ganz einfach die Idioten. Sie tanzen und sie rennen, sie simulieren spastische Anfälle und beleidigen Menschen. Wie die Idioten, die sie sind, ignorieren sie Konventionen, leben das, was sie wollen. Jene charakteristische Liebe zur eigenen Person, der alles egal ist, solange sie selbst das sind, was sie entschieden haben zu sein. Lars von Trier macht aus den Dummen die Klugen, aus den Klugen die Dummen. Eine umgedrehte Gesellschaft, so simpel, dass „Idioten“ nichts weiter als ein Film über Idioten ist, die aber verstanden haben, was es heißt, einzigartig, interessant zu sein. Als Dogma-Film ist „Idioten“ einfach: keine Dramatik, keine Brisanz; das einfache Leben einer Randgruppe. Und doch kommt da diese Frage auf, man fragt sich selbst, ist man einer dieser Spießer, die in den Idioten nur Idioten sehen, weil sie sich idiotisch verhalten, oder ist man doch einer dieser toleranten, verstehenden Personen, die nicht den Kopf schütteln und verhalten lächeln? Es geht dabei um das Verstehen, nicht um das Akzeptieren. [...]

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                                  [...] Sie beginnen ein Leben, fern ihrer in Perspektivlosigkeit vagabundierenden Existenz. Eine Zeit lang scheinen sie in Glückseligkeit zu schwelgen, doch ihre Euphorie verkommt bald. Vergessen war das aussichtslose System, in dem sie festhingen. Und nun bricht es voll auf sie ein: Die Notwenigkeit, ein weiteres Lebewesen zu ernähren, lässt die finanziellen Mittel der Großmutter an ihre liquiden Grenzen stoßen. Konsequent agiert Rosales nur auf seine Charaktere bezogen. Denn auch wenn er verloren ihre Gedanken zu erforschen versucht, ihre Gefühle hat er verstanden. Sie sind absolute gesellschaftliche Verlierer und werden auch niemals gewinnen können. Die Schlussszene schließt den Kreis: Natalia ist wieder da, wo sie gemeinsam mit Carlos begonnen hat: auf der Couch. Bereit, sich wieder einmal zu verkaufen. Doch diesmal ohne Carlos. „Schöne Jugend“ lässt Gerechtigkeit missen. Denn jeder Schritt Richtung Besserung macht am Ende nur noch alles schlimmer. Umso sarkastischer und grausamer kann der Titel des Films ausgelegt werden. „Schön“ ist wenig, was ihr Leben betrifft. Doch die schönen Momente im Leben sind die, an die sie sich erinnern werden. [...]

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                                  • 6

                                    [...] Unfähig, ihre Zuneigung füreinander auszuleben und gefangen in den gesellschaftlichen Konventionen, die sie in persönlicher als auch allgemeiner Ebene einschränken, ist die Liebe zu Beginn zum Scheitern verurteilt. Ihre Zugehörigkeit wird durch die individuelle Eigenständigkeit und die Loyalität zueinander auf die Probe gestellt. Ist die Existenz wichtiger als die Erfüllung emotionaler Bedürfnisse? Diese Frage stellt sich Ilona mehrmals unbewusst. Einmal flieht sie mit Nikander über das Wochenende, dann versetzt sie ihn. Sie ist überfordert mit sich selbst, ihren Absichten und Möglichkeiten. Doch letztendlich findet sie ihre Erfüllung in dem, was sie schon lange hatte. Ihre Liebe ist nicht auf dem Fundament der sozialen beziehungsweise gesellschaftlichen Existenz gebaut, sondern definiert sich durch das Verständnis der beidseitigen Situation. Beide sind mittellos und einsam. Sie sind unwichtige Fußabtreter der restlichen Gesellschaft. Und doch sind es diese Leute, die in der Lage sind, vom Leben zu erzählen. Die Geschichten von Liebe und Hass, Verlieren und Gewinnen, sind Geschichten, die der kleine Mann aus der Einzimmerwohnung erlebt hat. Für sie scheint am nächsten Tag die Sonne, weil sie wissen, der nächste Tag wird so sein wie der vorherige. Doch es gibt etwas zu gewinnen, dessen Ausmaße für sie nicht zu ergründen sind, weil sie bereits verloren haben. Diese Marionetten des Lebens spielen auf der Bühne nur eine kleine Rolle, doch machen sie das Stück erst interessant. [...]

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                                      [...] Wenn sich Priester masturbierend die Dildos in vollkommener Synchronisation reiben, sind die Absurditäten keinerlei verformter Darstellung geschuldet, sondern ganz allein der sich immer weiter aufbauenden Katharsis der Protagonistin. Das im Hintergrund mehrmals zu sehende Mondgesicht aus Georges Méliès „Reise zum Mond“ steigert die kontextualen Absurditäten ins Unerreichte und suggeriert dennoch eine unheilvolle Planlosigkeit, die sich durch die visuelle Aussagekräftigkeit auslebt.
                                      Denn trotz der scheinbaren Vernarrtheit Rob Zombies in das Hinterteil seiner Frau Sheri Moon Zombie gelingt es Kameramann Brandon Trost durch groß angelegte Zooms und Fischaugenobjektive eine Distanz als angespannter Zuschauer zu schlagen, die dem Film jederzeit zugutekommt. Natürlich vernarrt sich Zombie hier wieder bewusst der visuellen Schlagfertigkeit des traditionellen Horrorkinos, denn seine eigene Distanz hat er im Laufe immer mehr verloren. Seine eigene Inszenierung, so unausgeglichen wie auch teilweise planlos, ist nun einer eigenen subversiven Kraft gewichen, die in „The Lords of Salem“ stärker als jemals zuvor hervortritt. [...]

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                                        [...] Dass die größten emotionalen Ausbrüche der im Nerdkanon als Hasscharakter überhaupt definierten Sidekick-Figur Jar Jar Binks zu verdanken sind, demonstriert die eiskalte Berechnung des Drehbuchs und dessen Verwirklichung. Es fehlen Identifikationsfiguren. Anakin ist ein rotzfreches Balg, dessen Arroganz ihn schon in der ersten Minute uninteressant werden lässt. Und auch Qui-Gon Jinn, der großväterliche Meister, ist ein blasses Abziehbild des späteren Obi-Wan, der in den Prequels zum Lehrer von Anakin deklariert wird und Eigenständigkeit vermissen lässt. Viel zu oft ruht man sich auf dem Ruhm vergangener Tage aus – eine mehr als undankbare Herangehensweise für Fan und Gefolge. Es geht aber gar nicht anders, als mit Fanboyherzen und zwei zugedrückten Augen in das neue Abenteuer zu starten. Denn trotz fehlender Qualitäten und einsamer Kälte hat es doch ein schlagendes Herz, tief drinnen, irgendwo versteckt. Als Fan muss man gewillt sein, danach Ausschau zu halten – denn wie man heute weiß, hat George Lucas es geschafft, in Episode II und III altes Flair zurückzuholen.

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                                          [...] Distanziert von jeglicher Beliebigkeit wird die Homosexualität von Rimbaud und Verlaine kein Akt sexueller und persönlicher Auseinandersetzung, sondern ein universelles Kausalprodukt der Persönlichkeiten. Holland interpretiert ihre Liebe nicht als Homosexualität, sondern als Liebe zweier intellektueller Geister. Ein Zugehörigkeitsgefühl, welches sich als Problem der Gesellschaft manifestiert. Verlaine, bis zu dem Treffen mit Rimbaud ein klar heterosexueller Mann mit einer Familie, ein Freiheitskämpfer während der Revolution, auf einmal vernarrt in Rimbaud. Die Homosexualität beider ist fern von physiologischer und anatomischer Abhängigkeit. Ihre Sexualität lebt sich in einer Liebe der Deckungsgleichheit aus. Sie lieben sich dann, wenn sie es brauchen, nicht, wenn sie es wollen.
                                          Als der endgültige Bruch zwischen Verlaine und Rimbaud geschieht, ist es einer Gewalt geschuldet, der Verlaine sich seinem ganzen Leben nur schwerlich entziehen konnte. Während seiner Ehe mit seiner Frau zündet er ihr die Haare im Alkoholrausch an und schleudert das eigene Kind durch das Zimmer. Es scheint, als wäre die Liebe der beiden in einer Katharsis der Gewalt, der Selbstfindung und Zerstörung gefangen. Der Ausweg aus diesem Kreis ist unmöglich. Rimbaud versucht den Bruch, scheitert an der Hilflosigkeit des Anderen. [...]

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                                          • [...] Die Kohärenz Ip Mans als Kampfkünstler, historische Persönlichkeit und eines künstlerisch interessanten Individuums ist nicht die blanke Tatsache, dass er einst den bis heute ebenso legendären Bruce Lee unterrichtete, sondern viel mehr die Begebenheit, dass sein Leben so homogen dem deutlichen Weg der chinesischen Geschichte entlanggeht. Wong Kar-wai bereitet diese Geschichte als ästhetisches Bild der Eleganz und Schönheit auf. Er vermischt die Gefühle Ip Mans mit der Geschichte, die den Kampfkünstler nach Hongkong treibt und symbolisiert durch die Möglichkeit der inneren Zerrissenheit seines Protagonisten die Kampfkunst als probates Mittel individueller Gemeinsamkeit. „Freundschaft durch Kampfkunst“ propagiert ein Schild und legt damit die essenzielle Darstellung der Kampfkunst dar: Es ist nicht die oberflächliche Konfrontation der Gewalt, sondern die im Inneren der Künstler stattfindenden Emotionen und Gedanken, die sie durch Bewegung, Zeit und Raum Ausdruck verleihen und miteinander verbinden. [...]

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                                              [...] Der Titel des Films hat eine metaphorisch-analoge Bedeutung für die Essenz des Werkes: Frears verwendet verschiedene Genre-Bestandteile und versetzt sie in Einklang und Gegensatz zu einander. Wie in einer Wäschetrommel werden diese Teile vermischt und ergeben ein klares und bestenfalls vollkommen sauber zu verstehendes Gesamtbild.
                                              „Mein wunderbarer Waschsalon“ ist Drama, Komödie, Milieustudie, Kritik und Liebesfilm. Thematisiert werden wirtschaftliche Begebenheiten und sexuelle Orientierungen. Die kulturellen Eigenheiten der Charaktere werden in Bezug zu ihrer politischen Problematik gesetzt, dessen Pranger ganz oben steht: Alles geht auf die Kritik an den Thatcherismus zurück, den Frears auch nicht zu schamvoll ist in jeder Faser seines Filmes zu kokettieren. So aufdringlich der Film mit dieser Thematik spielt, so präsent ist sie zu jeder Zeit. Die Charaktere werfen mit sarkastischen Äußerungen um sich, stellen sich selbst als Opfer in die Riege der Schandtaten Thatchers hin und positionieren sich in ironischer Montur als Verlierer, um nur am Ende nicht zwischen gescheiterten Existenzen, den Verlierern, aber auch den klaren Gewinnern zu unterscheiden. Es wird ein Gemisch aus Buntwäsche, die gefährlich heiß gewaschen wird, aber es dennoch schafft, die weiße Wäsche am Ende nicht zu beschädigen und einen akkuraten Abstand zwischen dem Zuschauer, als womöglicher Zeitzeuge des Thatcherismus, und dem unabhängigen Publikum zu halten. [...]

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                                                  [...]
                                                  „Das ist das Ende“ reiht sich nahtlos an das gesetzte Niveau aller anderen bekannten Komödien der beteiligten Stars ein. Es wird aufgeregt rezitiert und Verweis um Verweis auf Filme gebracht, die in dieser absurden Thematik deplatziert wirken müssten, aber dennoch amüsant erscheinen.
                                                  Mitten im Film wird dann die inoffizielle Fortsetzung zu „Ananas Express“ gedreht, mit Jonah Hill als Woody Harrelson. Emma Watson stürmt mit der Axt in der Hand durch das Haus, reißt Türen ein und möchte letztendlich sogar die Jungs erschlagen. Das suggeriert Anleihen zu Kubricks „The Shining“, die so absurd gesetzt sind, dass die teilweise eintretenden Durststrecken des Films vergessen werden können. Die ruhigen Momente gehören bei weitem nicht zu den stärksten und sind im Gesamtkontext vermutlich auch die schwächsten des gesamten Films. Auch wenn man sich versucht durch homosexuelle Anspielungen über Wasser zu halten, versagen diese meist durchgehend. [...]

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                                                    Erinnert man sich an die bedrückende und einnehmende Atmosphäre in Hillcoats Endzeit-Drama „The Road“ enttäuscht „Lawless“ in seiner Inszenierung deutlich. Der Grundtenor wird bestimmt durch karge Landschaften und fieberhafte Einstellungen, die eine triste und raue Atmosphäre suggerieren und die harten Begebenheiten jener Zeit unterstreichen sollen. Doch überzeugend wirkt das zu keiner Zeit. Die Absicht ist klar – die Umsetzung enttäuschend. Folglich resultiert ein zwar stellenweise einnehmendes Gefühl, das den Zuschauer in die Zeit der Prohibition (bzw. der in diesem Film dargestellten Situation) hineinführt, aber ebenso schnell wieder hinausbefördert, wenn dieser dabei ist, seine Geschichte weiter zu erzählen. Denn nicht nur das Tempo nimmt im Laufe der Handlung zu, auch die Gewaltdarstellung. Es werden Kehlen aufgeschnitten und Genicke gebrochen; Sinn ergibt das nur wenig, denn dadurch soll mehr die Sensationsgier des Zuschauers, als das filmische Interesse stimuliert werden. [...]

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