SmooliEntertainment - Kommentare

Alle Kommentare von SmooliEntertainment

  • 10

    Schwarzes Bild, klassische Musik ertönt, ich schaue gebannt auf den Bildschirm.
    Es folgen nicht ein 150-Minuten Film. Es folgt ein 150-Minuten Erlebnis. Es folgen 150 Minuten Poesie. 150 Minuten über das Leben, den Sinn des Lebens und der Existenz.

    Ein übermenschliches, technisch überragendes, inszenatorisch gewaltiges, mit dem Zuschauer spielendes, aber gewiss nicht leichtes Werk von Stanley Kubrick. Die großartig eingesetzte klassische Musik unterstreicht die Epik und gibt einem eine Gänsehaut.
    Es gibt so viele Facetten, dass es unmöglich scheint je alle zu durchdringen. Gedreht, um den Zuschauer herauszufordern. Zum Anschauen. Zum Nachdenken.
    Arthur C. Clarke, der mit Kubrick zusammen das Drehbuch schrieb, sagte in einem Interview, sie wollten mit dem Werk mehr Fragen stellen, als beantworten. Gerade weil es um so existenzielle Fragen geht, macht das Sinn.
    Ein Streifen, der den Zuschauer herausfordert. Zum Verstehen. Zum Akzeptieren.

    2001: A SPACE ODYSSEY war mein erstes Treffen mit Kubrick, aber gewiss nicht mein letztes. Mit diesem Werk hat der Regisseur etwas geschaffen, was mich so schnell nicht loslassen wird, aufgrund der schieren Informationsfülle und möglichen Interpretationsansätze.
    Ein überwältigender Streifen in jeder Hinsicht. Einer, der dem Zuschauer die Situation klarmacht, ihm interessante Ansätze liefert und ihn dann dazu anhält, sich eigene Gedanken zu machen. Ein Werk, das einen quasi dazu zwingt, dass man sich nach dem Erlebnis noch mit ihm beschäftigt.
    Eine Meisterleistung von Stanley Kubrick.

    7
    • 10

      Mein erstes bescheidenes Jubiläum des 100. Kommentars widme ich einem Film, den ich schon jetzt als eine Art modernen Klassiker sehe.
      UNDER THE SKIN von Jonathan Glazer ist ein bemerkenswertes Werk, das eine merkwürdige Kraft auf mich ausübt. Ich kann nicht behaupten, alle Facetten des Films erkannt und begriffen zu haben. Dennoch spüre ich eine Begeisterung und tiefe Berührung, wenn ich an das 107-Minuten-Erlebnis denke.

      Dabei ist der Film durchaus verwirrend. Die Bildsprache ist überraschend, frisch und einmalig, wobei sie aber einen so jungfräulichen Effekt auf den Zuschauer hat, dass man sich wie das Wesen fühlt, das zum ersten Mal die Welt entdeckt. Das Wesen, das von Scarlett Johansson dargestellt wird, versprüht anfangs durchgängig ein Gefühl der Bedrohung. Die einzig- und fremdartige Musik verstärkt noch diesen Eindruck und fühlt sich zuweilen so an, als würde sie von dem Wesen ausgehen. Es wirkt, als würde man seiner Atmung lauschen, während es auf Jagd nach Menschen geht. So entstehen einige Szenen, die ihre schiere bedrückende Kraft aus der Ruhe der Bilder ziehen. Schließlich wird die Handlung jedoch umgestoßen, als das Wesen auf einen Menschen trifft, der ebenfalls wie es selbst, als Außenseiter behandelt wird. Das Wesen fängt an, sich zu hinterfragen und ab diesem Zeitpunkt wird der Film zu einer wunderschönen und berührenden Parabel über die Menschheit.
      Lust, Liebe, Toleranz, Oberflächlichkeit, Hass, Angst, Einsamkeit.

      Es fällt mir schwer, viel mehr zu diesem Werk zu schreiben. Es handelt sich um einen Film, der keine klare Deutungslinie vorgibt und ist vielleicht gerade deshalb so faszinierend. Ich hatte eigentlich einen meiner Lieblingsfilme mit dem 100. Kommentar bedenken wollen, aber dieser Film lässt mich nicht los. Die Bilder von Glazer erscheinen visionär. Die von dem Film ausgelösten Emotionen bestehen bis lange nach dem Abspann und machen so ein Werk, das es verdient hat, angesehen zu werden. Ein Werk, welches Zeit und Kraft braucht und damit mehr beansprucht, als die meisten Filme.
      Aber UNDER THE SKIN gibt dem Zuschauer auch viel wieder. Nicht nur eine gute Zeit und starke Gefühle, sondern auch Stoff zum Nachdenken und Grübeln. Ein Film, der mein Bewusstsein auf meine Existenz und Verantwortung leitet und damit mehr in mir anstößt, als ich von einem Film erwarten kann.

      _Smooli

      17
      • 10

        Die technische Perfektion passe nicht zu einem Gruselfilm. Der Graf Orlok sei viel zu hell ausgeleuchtet. Der sieht ja genau aus, wie die übrigen Personen im Film, er sei ja überhaupt nicht gruselig.
        Das sind nur ein paar der Dinge, die Murnau sich damals von seinen Kritikern anhören musste. Deutlich werden hierbei zwei Dinge. Erstens, dass die Kritiker spektakulär die Essenz des Films verpasst haben. Zweitens, dass Murnau seiner Zeit um Längen voraus war.

        Es hat seinen Grund, dass Orlok hell ausgeleuchtet ist. Denn wo Licht ist, ist auch Schatten. Und der Schatten, dieser grandiose Schatten in NOSFERATU, der zeigt, dass nicht ein einziger Mensch, nicht ein einziges Lebewesen ohne Fehler, ohne Probleme, ohne eine dunkle Seite existiert. Orlok ist ein Ungeheuer, aber lediglich für die anderen Figuren im Film. Für mich ist er der tragischste Charakter. Er bekommt meinen Mitleid. Denn er ist ein Mann, der Bedürfnisse hat. Er ist ein Mann, der weiß, was es heißt, einsam zu sein. Der weiß, was Zärtlichkeit und Verlangen ist und der letztendlich seinem Wesen gegenüber machtlos ist. Seine böse Seite, die andere zu spüren bekommen, richtet sich letztendlich am meisten Schaden bei ihm selbst an. Ohne, dass er etwas dagegen tun könnte. Mitten im Film zeigt ein Professor, wie eine fleischfressende Pflanze eine Fliege vernascht. „Wie ein Vampir, nicht?“ fragt er in die Runde. Für mich ähnelt Orlok jedoch eher der Fliege als der Pflanze. Er ist schuldlos gefangen, er erliegt seinen Trieben. Könnte er anders, würde er es machen. Aber er kann nicht und so bleibt er der ewig Fremde, der Andere, der Freak, der Ungebetene, das Ungeheuer.
        Besser kann man die Vampir-Thematik nicht nutzen und Murnau schafft es neben all seinen Tricks und beeindruckenden Tricks und Bildern, das Herz so richtig zu berühren. Mehr kann ein Stummfilm nicht leisten.

        Und verdammt, Graf Orlok sieht wohl gruselig aus!

        _Smooli

        15
        • 10
          über Psycho

          Heute Abend durfte ich PSYCHO noch einmal im Kino um die Ecke sehen. Und obwohl ich den Film unzählige Male gesehen habe (oh, das ist gelogen, tatsächlich war es heute die 5. Sichtung... das lässt sich sogar an einer Hand abzählen) war ich vorher freudig aufgeregt, als die Kamera die Dächer einer Großstadt zeigte. Schwenkte. Zoomte. Und ich mich auf einmal in einem Zimmer mit Marion Crane wiederfand. Und obwohl ich weiß, was nach nicht einmal einer Stunde passiert, saß ich wie gebannt im Kinosessel. Voll Hoffnung, dass es vielleicht doch anders kommen würde.

          Das ist natürlich eigentlich Schwachsinn, aber es fasst für mich perfekt die Klasse von Hitchcocks Inszenierung ein. Ich kenne den Film, aber ich durchleide ihn immer wieder wie beim ersten Mal. Bei einem Film voller Twists muss man das erst einmal hinkriegen.

          Wobei die große Leinwand auch geholfen hat: Einschätzung von Anthony Perkins Leistung. Schon bevor ich den Film im Kino gesehen habe, befand ich, dass Perkins jede Szene dominiert. Mit seiner leicht unsicheren Milchbubi-Art, die jedoch auch schnell umschwenken kann. Wahnsinn. Allein der Gedanke an die letzte Einstellung bringt mich schon wieder dazu, meinen Vorrat an Erwachsenenwindeln aufzustocken. Ein Blick, den ich niemals wieder sehen möchte und auf den ich doch freudig aufgeregt warte, während der Arzt erzählt, was er Minuten zuvor von Norman Bates erfahren hat.

          PSYCHO ist ein Werk, dass in mir den Masochisten hervorholt. Ich möchte alles noch einmal durchleiden. Ich möchte, dass mir vor Schrecken das Herz sonst wo hinrutscht. Ich fühle mich gut dabei. Der Inbegriff des berühmten Spruches: "Das Publikum muss wissen, dass es in guten Händen ist."

          Und wäre das noch nicht einzigartig genug, ist dies auch ein Werk, das heute noch um einiges gruseliger, spannender und interessanter ist als die absolute Mehrheit heutiger Thriller und Horrorfilme. Und das nach mehr als einem halben Jahrhundert.

          Um meine Liebeserklärung an diesen Film auf die heutige Zeit anzuwenden:
          Der Film hat mich (erneut) so sehr in seinen Bann gezogen, dass mich nicht einmal gestört hat, dass während der Vorstellung Handys geklingelt haben.
          Meine Aufmerksamkeit war nämlich voll und ganz dem Bild gewidmet. Freudig aufgeregt. Aber voll Hoffnung, dass es vielleicht doch anders kommen würde...

          _Smooli

          15
          • 10

            Wenn über Tarantino gesprochen wird, hört man Vieles ganz oft. Zum Beispiel, dass er die besten Filme überhaupt macht. Oder auch nicht. Man hört, dass seine Filme in den 90ern viel besser als seine neueren Werke seien. PULP FICTION und RESERVOIR DOGS. Seine Gangsterfilme eben. Ein Film fällt dabei oft unter den Tisch. Dieser hier.

            „You shot her?!“ - „Yeah, she was totally messing with my nerves, man.“ - „And you couldn’t just hit her?“ - „Maybe, but… man.“

            Dieser Film hier wird wahrscheinlich nie aus dem Schatten seines Vorgängers heraustreten können und vielleicht ist das auch gar nicht nötig, aber mehr Anerkennung hat er auf jeden Fall verdient. Das beginnt schon mit der Eröffnungssequenz, die alles aus dem Konzept der Eröffnungssequenz rausholt, was man nur rausholen kann. Sie erzählt einem wahnsinnig viel über die Protagonistin. Sie stimmt perfekt auf den Film ein. Sie ist in ihrer Schlichtheit grandios und überrascht mit einem umso größeren Effekt auf den Zuschauer.

            Ehrlich gesagt könnte ich seitenweise über JACKIE BROWN schwafeln. Aber es ist gleich Mitternacht und ich brauch meinen Schönheitsschlaf. Gut aussehen muss zwar nur, wer sonst nichts kann, aber, verdammt, ich kann halt sonst nichts. Also gehe ich nur auf ein paar Elemente ein, die mir besonders am Herzen liegen.
            Da wäre zum ersten die augenscheinliche Hommage, die dieser Film darstellt. Eine Hommage an das leider ausgestorbene Blaxploitation-Kino, dem ich sehr verfallen bin. Ich mag die Stimmung, die Musik, die Geschichten und diese „So und dann poppen die jetzt hier einfach kurz“-Mentalität, die diese Filme so kindlich-naiv aber auch irgendwie sympathisch wirken lassen. Jedoch geht Tarantino einen Schritt weiter und macht damit das richtig, was sein guter Freund Robert Rodriguez vor allem bei MACHETE KILLS in den Sand gesetzt hat: Tarantino übernimmt nicht blind, er schafft mit seinem Film einen eigenständigen Kosmos. Eine Hommage, ja, aber nur das? Nein, Tarantino ändert Kernelemente des Blaxploitation-Kinos ab. Blaxploitation-Filme waren nämlich zunächst männerdominiert. Frauen (u.a. natürlich Pam Grier) kamen dann auch, jedoch nur, weil Männer keine Brüste hatten. In diesem Genre nutzten die Frauen nämlich ihr verführerischen Qualitäten, um die Bösen zu überlisten. Jackie Brown hingegen nutzt ihren Verstand. Damit zeigt Tarantino seine Liebe für das Subgenre der 70er, erkennt aber auch an, dass es sich dabei um ein zeitgebundenes und mittlerweile altbackenes Konzept handelt.
            Zusätzlich ist der Film die reinste Liebeserklärung an Schauspielerin Pam Grier. In jeder Einstellung sieht man Tarantinos Gefühle. Und wenn sie in ihrer Wohnung die Delfonics anschmeißt und die „I would give my heart and soul to you“ trällern, weiß man sofort, an wen die Worte gerichtet sind.
            Außerdem handelt es sich bei JACKIE BROWN um Tarantinos wärmsten Film. Von vorne bis hinten fühlt man sich nicht nur in guten Händen, man möchte sich förmlich in die Aura das Films schmiegen und die Wärme aufnehmen, die er ausstrahlt. Das liegt nicht nur an der Inszenierung, die viel mit Close-Ups, langen Einstellungen und weichen Überblendungen arbeitet, sondern auch und vor allem an dem Soundtrack, der einer meiner liebsten ist. Nach PULP FICTION erschafft QT mal wieder einen Film, der ein Lebensgefühl ausstrahlt. Deshalb verzichte ich darauf, viel über Schauspieler und technische Aspekte zu schreiben. Denn das, was diesen Film für mich groß macht, kann ich nicht sehen, kann ich nicht in Gedanken fassen und aufschreiben. Ich kann es nur fühlen.

            JACKIE BROWN ist dieser Film, der so oft übergangen und doch schmerzlich vermisst wird. Würde Tarantino diesen Film nächstes Jahr veröffentlichen, würden sich all die verbeugen, die seine alten Filme besser fanden. Dieser Film ist nämlich die Quintessenz des Gangster-Kinos von Quentin Tarantino.

            _Smooli

            25
            • 10

              _Reise durch das Werk der Coens

              STATION IX: THE MAN WHO WASN'T THERE

              Wie beschreibt man einen Film, der einen völlig unerwartet aus den Socken gehauen hat? Eigentlich müsste ich über alle Maßen enthusiastisch diese Zeilen tippen, aber dafür ist die Melancholie in diesem Werk der Coens zu allgegenwärtig, zu bedrückend, zu intensiv.
              THE MAN WHO WASN'T THERE hat nicht nur einen Titel, der wie die Faust auf's Auge passt, sondern er vereint auch die besten Punkte eines Films von Joel und Ethan Coen. Grandiose Darsteller, ein noch besseres Drehbuch und Roger Deakins.

              Der Film erzählt uns von Ed Crane (Billy Bob Thornton!!!), der Ende der 40er-Jahre mit seinem Leben hadert. Nachkriegsgefühle der Leere, Einsamkeit, Depression und Melancholie werden hier nicht behandelt, sie werden von Thornton verkörpert. Es ist, als würde er alles Negative aufsaugen und an den Zuschauer weitergeben, ohne sich damit selbst zu entlasten. Er ist ein einsamer Mann, der seine Gefühle unterdrückt. Unnahbar bleibt. Bis zum Ende. Manchmal scheint er mit dem Hintergrund zu verschmelzen. Manchmal hat seine Kleidung die gleiche Farbe wie seine Haut. Er ist nur noch eine Fassade. Er ist wie eine Puppe in einem geschlossenen Kaufhaus. Crane scheint sich nicht weiterzuentwickeln, im Gegenteil. Es wirkt, als würde er Tag für Tag etwas von sich verlieren, ohne es zu bedauern. Er verliert Teile von sich, bis er zum Geist, zum Schatten wird. Gleichzeitig reißt Crane seine Mitmenschen in den Abwärtsstrudel mit.

              Die Dialoge von Coen sind anfangs noch mit gewohnt schrägem Humor und kleinen typischen Äußerungen garniert. Mit der Zeit allerdings nimmt das ab und die oben beschriebenen Stimmungen nehmen Überhand. Das Voice-Over funktioniert dabei wie kein Zweites. Es ist nicht nur perfekt auf den Film abgestimmt, alles ist wie aus einem Guss. Die Dialoge sind einfach große Klasse.
              Mit der Inszenierung arbeiten Joel und Ethan Coen vor allem mit Untertönen. Nichts kommt auf die 12, alles besteht aus Feinheiten und Kleinigkeiten, über die man erst ein wenig nachdenken muss. Der Film hat damit den gleichen Charakter, wie sein Protagonist Ed Crane.

              Die Arbeit des Roger Deakins sucht seinesgleichen. Roger Deakins schafft es, einzig und allein mit Schattierungen Geschichten zu erzählen. In diesem Film ist die beste schwarzweiße Kameraarbeit zu bewundern, die ich je gesehen habe. Die Szenen, wenn Crane allein zuhause ist, die Szenen mit Tony Shalhoub... Deakins unterstützt die Charakterisierung Cranes und Stimmung des Filmes und führt diese gekonnt fort. Selten war ich so beeindruckt von der Arbeit eines Cinematographen.

              Wenn man über Filme der Coen-Brüder nachdenkt, fallen einem (und fielen auch mir) zunächst Werke wie die Erzählung über den Dude und Barton Fink oder der Film mit Anton Chigurh ein. Nicht so in Zukunft. Ab jetzt wird unter meinen ersten Nennungen THE MAN WHO WASN'T THERE sein. Der Film ist ein Stück visuelle Kunst. Der Film ist ein Stück Gefühlsvermittlung in Perfektion. Der Film ist ein von vorne bis hinten komplett fehlerloses und durchdachtes Machwerk.

              Nach diesem kleinen Film, der leider zu oft übersehen wird, lockt die nächste Station nicht nur mit einem Staraufgebot, sondern auch mit dem Ruf der seichten Komödie.
              Nächste Station: EIN (UN)MÖGLICHER HÄRTEFALL

              _Smooli

              Vorherige Station: http://www.moviepilot.de/movies/o-brother-where-art-thou-eine-mississippi-odyssee/comments/1055626
              Nächste Station: http://www.moviepilot.de/movies/ein-un-moeglicher-haertefall/comments/1056068

              21
              • 10

                _Reise durch das Werk der Coens

                STATION XII: NO COUNTRY FOR OLD MEN

                Stille. Die Logos der Produktionsfirmen erscheinen. Stille. Der Filmtitel erscheint. Weiße Schrift auf schwarzem Grund. Absolute Stille. Doch dann sehen wir die aufgehende Sonne im Westen Texas und Tommy Lee Jones (mit einem Blick, der mehr ausdrückt, als Worte es je könnten) beglückt den Zuschauer mit einem der besten Monologe, die es in einem Film zu bewundern gibt. Das liegt nicht nur daran, dass Bild und Stimme perfekt aufeinander abgestimmt sind. Das liegt vor allem daran, dass der Zuschauer mit ein paar Sätzen in eine Welt gezogen wird, in die er gar nicht möchte, aber dennoch drin gefangen bleibt. Der Film beginnt und endet mit einem Monolog von Jones’ Charakter Bell. Der Anfang strotzt vor Müdigkeit und Pessimismus. Ed Bell ist zu alt für das Land.
                Die erste Filmfigur, die wir kennenlernen, ist Anton Chigurh. Ist er der Teufel? Ist er Gottes Strafe? Ist er ein Mensch? Ist er zu alt für das Land? Javier Bardem (diese Stimme muss man sich unbedingt im Originalton anhören!) unangefochten.
                Die zweite Hauptfigur, die wir sehen, ist Llewyn Moss. Ein zäher Mann, der sich in dieser Welt zurechtfinden zu scheint.
                Diesen drei Hauptfiguren folgen wir für zwei Stunden. Kann man deshalb sagen, sie zu kennen, sobald der Abspann beginnt? Nein, wir kennen diese Menschen nicht, wissen aber zwei Sachen. Wie ihre Zukunft aussieht. Und dass sie alle jagen und gejagt werden. Nach und von der gleichen Sache: dem Leben.

                Technisch gesehen ist der Film die reinste Parade. Und das ist eigentlich ein kleines Wunder, da der Film auf Spielereien verzichtet. Beinahe keine Filmmusik. Beinahe keine Stilisierung der Kamera von dem anbetungswürdigen Roger Deakins. Wenn Musik und Kamera aktiv werden, dann ist das Ergebnis so passiv und hintergründig, dass es einem gar nicht wirklich auffällt. Erst wenn die Szene vorbei ist und man sich fragt, wieso man schon wieder so im Bann war, fängt man an, darüber nachzudenken und das Genie der Regie zu würdigen.
                Die Coens zeichnen die Charaktere schlicht und ergreifend perfekt und fügen sie noch besser in die allgemeine Stimmung des Werkes ein, sodass alles eine Einheit bildet und den Kern des Menschseins offenbart: Gier, Angst, Egoismus, Schicksal. Dabei verstehen die Brüder es grandios, stets das berüchtigte Schema F zu umgehen und immer interessant und spannend zu inszenieren. Gerade wenn man denkt, es würde Kontrolle und damit innere Ruhe in den Film zurückkehren, kommt eine Wendung und erwischt einen ganz ganz kalt. Der Begriff „stetig die Schrauben anziehen“ trifft auf diesen Film zu, wie die Faust auf’s Auge, in seinen besten Momenten (und davon gibt es hier verdammt viele) ist der Film an Spannung kaum zu übertreffen. Der reinste Terror.
                Dass das alles ohne Hektik, sondern im Gegenteil mit einer Ruhe sondergleichen passiert, ist beinahe nicht zu glauben.
                Zudem gibt es selten Filme, in denen die Regisseure durch die bloße Inszenierung so viel aussagen können, wie hier. Besonders die Charakterzeichnung des undurchsichtigen Killers gewinnt nur durch Bilder einige Informationen. Besonders beeindruckend ist dabei, dass sie es schaffen, Einzelheiten in das Gesamtkonzept einzuweben, sodass trotz der Informationsfülle ein absolut rundes Werk entsteht.

                NO COUNTRY FOR OLD MEN beschäftigt sich mit Gewalt, Unmenschlichkeit, dem Leben in seinen verschiedenen Phasen und dem Schicksal. Gerade durch letzteres scheinen alle Charaktere zum Scheitern verurteilt zu sein, weil sie ganz einfach nicht alles kontrollieren können. Auch Chigurh nicht (und das ist überraschend und erleichternd).
                Der Film beginnt und endet mit einem Monolog von Jones’ Charakter Bell. Das Ende strotzt vor Erleichterung. Balsam für den Zuschauer, nachdem er zwei Stunden in einer Welt gefangen war, die an Pessimismus und Zynismus kaum zu überbieten ist. Und so schaffen die Coens das, was ich mit am beeindruckendsten an ihnen finde. Sie schaffen es große Gefühle ohne Sentimentalität zu wecken. Und so wirkt Bells Frau am Ende dadurch, dass sie Vertrauen und Zuneigung ausstrahlt, wie das schönste Wesen, das es auf der Welt gibt.
                An diesem Film gibt es wirklich rein gar nichts, was ich auszusetzen hätte und noch weniger, was mich beim Schauen dieses Filmes nicht beeindruckt. Dieser Film ist so anders und so großartig, dass er noch lange überdauern wird. Stets mit seinem Ruf und stets mit Recht.

                Der nächste Halt dieser Reise ist nahe der russischen Botschaft, mit ganz viel geheimen Geheimdienstscheiß.
                Nächste Station: BURN AFTER READING

                _Smooli

                Vorherige Station: http://www.moviepilot.de/movies/the-ladykillers/comments/1056266
                Nächste Station: http://www.moviepilot.de/movies/burn-after-reading-wer-verbrennt-sich-hier-die-finger/comments/1057516

                12
                • 10

                  Ich habe BREAKING BAD erst vor ein paar Tagen beendet, weshalb ich mich zu einem Nachzügler zähle. Im Voraus hat die Serie bekanntlicherweise massenhaft Lob und Lorbeeren bekommen, welche ich, nachdem ich vor Jahren einmal die erste Staffel begonnen habe, nicht ganz verstehen konnte.
                  Nach einer Zeit, nachdem noch mehr Lob aus meinem sozialen Umfeld und Bildern von Bryan Cranston mit Glatze und Bart auf mich einrieselten, habe ich mir dann die Staffeln der Serie gekauft. Und verschlungen.
                  Warum BREAKING BAD (meiner Meinung nach (!)) eine der verdammt nochmal besten Serien im Bereich Drama ist und was sie so auszeichnet, versuche ich folgend in Worte zu fassen.

                  Das Drehbuch:
                  Ich habe es sonst noch nicht gesehen, dass die Handlung/ Geschehnisse und Dialoge gleichermaßen auf einem so hohen Level sind, wie hier.
                  Vor allem die Staffeln 3,4 und 5.2 stehen dabei über allem, was ich bis jetzt so im Serien-Format schauen konnte.
                  Das Geschehen wird so real, so nüchtern und tragisch dargestellt, dass ich nach unzähligen Folgen mit offenem Mund da saß und meinen Augen und Ohren nicht trauen konnte.
                  Eine unfassbare Faszination geht von dem Figurenwandel des Walter White aus, mit einem Blick für Details, sodass zum Ende hin der Serie noch auf Geschehnisse von vor 5 Jahren hingewiesen wird, die die Charaktere einfach nicht loslassen.
                  Großartig.
                  Zudem schaffen die Macher es, BREAKING BAD nicht allzu sehr als One-Man-Show zu inszenieren, sodass neben den Hauptdarstellern noch viele andere interessante Charaktere in dieser Welt auf den Zuschauer warten. Allen voran Saul Goodman und Mike Ehrmantraut.Die erstklassigen Dialoge zeigen wirklich nur anfangs eventuell ein paar Schwachstellen, wenn es um die Antagonisten geht, die für meinen Geschmack zu sehr auf Gangster getrimmt sind. Aber mein lieber Schwan, die Gespräche, die Walter und Skyler führen (oder auch nicht führen) sind ein wahrer Genuss für die Ohren. Und das über alle 5 Staffeln hinweg.
                  Im Video TALKING BAD zur finalen Episode sagte der Moderator, dass nahezu jeder, gegenüber dem er BREAKING BAD erwähne, sofort mit: "PSST! Nichts verraten!" reagierte. Das trifft nicht nur exakt auf mich, sondern auch auf alle, die ich kenne zu. Das zeigt, wie faszinierend und spannungsgeladen die Geschichte ist, je weiter sie sich entfaltet.

                  Die Schauspieler:
                  Der gesamte Main-Cast (bestehend aus Bryan Cranston, Aaron Paul, RJ Mitte, Anna Gunn, Dean Norris und Betsy Brandt) spielt alles in allem großartig. Jedoch sind ein paar Sachen hervorzuheben.

                  Aaron Paul als Jesse Pinkman: Was mich an Aaron Paul beeindruckt hat, ist, dass er sich (wie auch sein Charakter) während der Serie weiter entwickelt. Gegen Ende scheint er menschlich viel weiter zu sein als am Anfang, was an seiner Leistung deutlich wird. Die ist zwar immer auf einem guten Niveau, aber vor allem am Ende zieht sie einem auch mal den Boden unter den Füßen weg.

                  Anna Gunn als Skyler White: Es ist riesig, was Anna Gunn für Emotionen und Stärke aus ihrem Inneren holt. Die stets Benachteiligte Skyler, die anfangs noch weiß, ihre Wut teilweise zu unterdrücken, bis es einfach nicht mehr geht. Bis sie für sich entscheidet, dass sie machen kann, was sie will. Neben Aaron Paul sorgt auch Anna Gunn mit ihrer natürlichen, emotionalen und kraftvollen Darbietung für viele sensible Gänsehautmomente.

                  Bryan Cranston als Walter H. White: Es ist fast schon lachhaft, dass kein Superlativ dieser schauspielerischen Großleistung gerecht zu werden scheint. Ich versuche es trotzdem einmal. ALLES gelingt Herrn Cranston. Depressiv, traurig, böse, rachsüchtig, fröhlich, einschüchternd, trügend, gerührt, besorgt, hinterhältig, explosiv, berechnend, gut und böse.
                  Allein wenn ich jetzt noch an einige Momente mit ihm denke, bin ich geflasht von seiner Darbietung.
                  Er dominiert jede Szene. Er spielt großartig, nicht zu toppen. Er spielt seine Co-Stars nicht an die Wand, er zerdrückt sie daran.
                  Bryan Cranston ist eine Urgewalt.

                  Die Inszenierung:
                  Die Macher der Serie legen den Schwerpunkt ganz klar auf die Charaktere. Das ist genau mein Ding. Es geht um die Menschen, nicht um ein großes Budget für Special-Effects. Die Charakterentwicklung, von der BREAKING BAD nun mal auch ein großes Stück weit lebt, ist dabei stets glaubwürdig, realistisch und nachvollziehbar. Das ist für mich ein weiterer Pluspunkt. Wir lernen kennen und wir verstehen. Es ist nicht so, dass einem einfach nur Fakten vor den Latz geknallt werden und man damit klarkommen muss (wie mein Mathematikunterricht, damals, als ich noch Zähne hatte), sondern komplex, sensibel, emotional.
                  Außerdem ist eine Romantisierung des Drogenkonsums ganz einfach nicht vorhanden. Der Schöpfer der Serie Vince Gilligan antwortete auf die Frage, ob BREAKING BAD Drogenkonsum eher kritisiere oder romantisiere:
                  "Es ist schon wahr, die Szene, in der ein Charakter wegen einer Überdosis an seinem Erbrochenen erstickt.. Die war ziemlich romantisch."

                  Staffel 5.2:
                  Sicherlich ist es schwierig, eine Serie zu beenden. Es ist sehr selten, dass die Macher es schaffen eine Serie so zu beenden, dass die Fans hinterher zufrieden sind, obwohl für immer Schluss ist.
                  Jüngst HOW I MET YOUR MOTHER und DEXTER haben das noch einmal deutlich gemacht.
                  BREAKING BAD jedoch schafft es, mich auf allen Ebenen zu überwältigen und zufriedenzustellen. Die letzten acht Folgen dieser Staffel 5.2 sind so dramatisch, spannend, großartig, dass jede Folge als Finale durchgehen würde. Bei jeder Episode denkt man, besser würde es nicht werden und wischt sich Sabber vom Kinn. Und dann schaut man die nächste Folge und wird wieder weggefegt.
                  Ein erhabener Schluss.

                  Zusammengefasst ist BREAKING BAD eine Serie voll von Höhepunkten, Bestleistungen, gesprengten Grenzen. Kurz: Eine Serie der Superlative.
                  Von vorne bis hinten stimmt einfach alles. Es ist großartig geschrieben, glaubwürdig, erwachsen inszeniert (das ist ein dicker Pluspunkt), auf die Charaktere bedacht und einfach außerirdisch perfekt gespielt.

                  Ich hab selten eine so sehenswerte Serie erlebt. Es wird nicht bei einer (Marathon-)Sichtung bleiben.

                  11
                  • 10
                    über Her

                    Dies ist ein wahrhaftiger Film. Die Wahrheit ist, dass ich seit langem nicht mehr von einem Film über die gesamte Laufzeit derart berührt war. Die Wahrheit ist, dass ich lange nicht mehr so ein grandioses Stimmungskino geguckt habe. Die Wahrheit ist auch, dass Scarlett Johansson/ Luise Helm für ihre Leistungen jeden Preis der Welt verdient hätten. Ich konnte sie nicht sehen. Ich konnte sie fühlen. Vom Anfang bis zum Ende. Das ist Arbeit, die größer ist, als die Summe ihrer Teile.

                    HER gucken, heißt lernen. HER gucken, heißt fühlen. HER gucken, heißt Leben.

                    https://www.youtube.com/watch?v=pIBaV6oxZwc

                    _Smooli

                    24
                    • 10
                      über Drive

                      DRIVE ist eine meisterlich inszenierte Liebesgeschichte.
                      Nicolas Winding Refn schafft es, das triste Leben in einer tristen Umgebung, einer abgestumpften, instabilen, vagen Welt so gefühlvoll, bedächtig und meditativ, zuweilen gar hypnotisch auf die Leindwand zu bringen, dass einen dieser Film von Beginn an fest umklammert und nicht loslässt.
                      Die verwendete Musik ist so perfekt, dass man sich sofort in dieser Welt wähnt. Sie ist emotional. Wie eine Erinnerung oder ein Versprechen einer besseren Zeit. Sie bringt einen in diese Welt, in der der Mensch ein Tier ist, von Instinkten getrieben. Eine Welt, in der Liebe die einzige sinngebende Konstante ist?
                      Der Hauptdarsteller Ryan Gosling ist hier in der Rolle seiner bisherigen Karriere zu sehen. Es ist wirklich ganz groß, was er hier schafft. Wie er jede Emotion durch seine Ausstrahlung auf den Punkt rüberbringt.
                      Das hilft dem Film ungemein dabei, seine Stimmung mit einer Kraft an den Zuschauer zu vermitteln, die heutzutage sehr selten ist.

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                        über Heat

                        Vincent Hanna und Neil McCauley finden hier nicht in der immer gleichen „Wir sind gar nicht so verschieden, Sie und ich.“-Manier zueinander, sondern in ihrer Einsamkeit. Beide wählen Einsamkeit und soziale Passivität als eine Art Selbstschutz. Neil, weil eingeweihte Menschen gleichzeitig undichte Stellen in seinem Plan sein können und Vincent, weil er es mental und körperlich nicht schafft, bei all der Grausamkeit auf den Straßen seiner Stadt das Konzept der Liebe aufrecht zu erhalten. Besonders deutlich macht das Neils Haus. In den Schränken hat er vier Teller und ein paar Gläser, generell gibt es kaum Möbel. Alles reicht gerade für eine Person. Auch Vincents Haus zeigt die Abspaltung von ihm zu seiner Frau. Er sitzt mit dem Rücken zu ihr und dreht sich halbherzig um. Sie verschwindet dann irgendwann über die Treppe, deren Ende nicht mehr im Bild zu sehen ist. Hanna sagt, seine Verschlossenheit hilft ihm dabei, immer hundertprozentig bereit zu sein. An der Kante, da, wo er sein muss. Bereit zum Absprung. Bindung ist Hingebung und führt zur Langsamkeit. Neil und Vincent jagen und flüchten nicht nur voreinander, sondern auch vor ihrer gesellschaftlichen Isolation. Zwar als Opponenten, doch im Geiste Hand in Hand die dunklen Gassen und Straßen hinunter, von denen sie nicht wissen, wo sie enden werden. HEAT ist knapp dreistündiges Kino, mal ruhig, mal laut, aber immer dunkel.

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                          _Reise durch das Werk des Clint Eastwood

                          STATION XIV: MYSTIC RIVER

                          Da sind wir also. Bei dem Film, der mich dazu gebracht hat, diese Reihe zu beginnen. MYSTIC RIVER war der erste Film von Eastwood, den ich gesehen habe. Mittlerweile habe ich diesen Film fünfmal gesehen. Für einen Film, der auf dem Papier wohl auch als Whodunit beschrieben werden kann, ist das gar nicht mal übel. Von diesen fünf Sichtungen habe ich mich bei keiner gelangweilt. Im Gegenteil: Die fünfte Sichtung, die ich im Rahmen dieser Reihe tätigte, war die intensivste.

                          Und das liegt immer wieder und vor allem an Sean Penn. Dieser Film ist die reinste Parade für ihn. Ich mag ihn ja eh, aber verdammt, was er hier abliefert, ist eine Klasse für sich. Nach fünf Sichtungen jagt er mir mit seiner unterdrückt-kraftvollen Darbietung die Gänsehaut über den Rücken, einen Klumpen in den Hals und Tränen in die Augen. Davon muss ich mich erst einmal erholen. Das wird aber nichts, denn schon kommt die nächste Szene.
                          „I just wanna hug her one more time.“ Und da ist es geschehen, meine Augen brennen, meine Nase kribbelt. Ich blinzle und eine verdammt einsame Träne läuft knapp an meinem Mundwinkel vorbei. Und das liegt einzig und allein an Sean Penn. Musik gibt es in dieser Szene nicht. Keine Streichinstrumente, die auf das Gemüt drücken. Keine Kamerabewegung. Einfach nur ein Mann, der im statischen Bild zu sehen ist. Ein Mann und seine Gefühle. Jedes Mal erwischt mich diese Szene kalt, aber erst jetzt, beim fünften Mal, muss ich tatsächlich weinen. MYSTIC RIVER wird nie schwächer, sondern stärker. Dieser Film ist ein Wunder. Und das liegt nicht nur an Sean Penn.

                          Das liegt auch am Drehbuch. Ein Drehbuch, dass es schafft sehr sehr viel in relativ wenig Zeit zu verpacken. Als Krimi funktioniert der Film. Die 130 Minuten sind zwar relativ ruhig, aber verdammt spannend, und auch nach mehrmaligem Sehen, nimmt das Werk mich gefangen. Als Charakterdrama funktioniert der Film großartig. Die Charaktere, die von Penn, Robbins, Bacon, Harden und Linney dargestellt werden, haben genug Platz. Am Ende kennt man jeden von ihnen. Man versteht sie, man weiß, wie ihre Zukunft aussieht. Und obwohl es anders aussehen mag, mir macht das Ende immer Mut. Da Eastwood es aber schafft, Krimi und Charakterdrama grandios zu vereinen, entsteht etwas ganz anderes. MYSTIC RIVER ist eine Naturgewalt.

                          Und das liegt auch daran, dass ich nach der fünften Sichtung noch neue Elemente entdeckt habe. Ich gehe sogar so weit, zu behaupten, ich habe den Film erst jetzt vollends verstanden. Ich konnte zwar vorher folgen, jedoch hielt ich das Ende nie für positiv. Jetzt aber schon. Das ist selten, sehr selten, aber zeigt die Klasse des Films. Das passiert, wenn man Themen wie Moral, Freundschaft, Rache und Vertrauen in die sehr fähigen Hände des Clint Eastwood gibt.
                          Dieser Film ist für mich der Inbegriff des Eastwood-Stils. Diese Ruhe, die jedoch eine Macht und Erhabenheit ausstrahlt. Eine Erhabenheit, die Geheimnisse zu verbergen scheint… Und damit genau wie der Fluss ist. Der Mystic River. Deshalb war und bleibt Eastwood der perfekte Mann für diesen Film.

                          Ich sage es nochmal: Inszenatorisch ist der Film die reinste Offenbarung. Dieser Film wird immer großartig bleiben, egal, wie oft ich ihn noch sehen werde. MYSTIC RIVER ist ein Erlebnis, das ich mit nichts vergleichen kann. Ein Erlebnis, das entsteht, wenn jeder, der an der Produktion mitmacht, der Beste in seinem Bereich ist. Ein Film, der der Inbegriff der Perfektion ist.

                          Nächste Station: PIANO BLUES

                          _Smooli

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                          Nächste Station: http://www.moviepilot.de/movies/piano-blues-and-beyond/comments/1250238

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                            STATION IX: ERBARMUNGSLOS

                            Der Schauspieler Clint Eastwood wurde mit einem (bis drei) Western weltberühmt. 28 Jahre nach seinem ersten Auftritt in einem Poncho drehte er einen Western, der dem Regisseur Clint Eastwood die Aufmerksamkeit der ganzen Welt brachte. Dass der Kreis sich damit geschlossen hat ist nicht nur dem Zuschauer deutlich geworden, auch Eastwood hat gesagt, dass ERBARMUNGSLOS sein letzter Western gewesen sein soll. Aus Angst vor Unoriginalität und Repetition. Allein das ist in dieser Filmwelt, der offenbar wenig peinlich ist, schon einmal verdammt viel Anerkennung wert.

                            Noch mehr Anerkennung verdient aber auch der Film an sich. Eastwood führt uns in eine Welt, für die der Begriff Pessimismus nicht mehr ausreicht. Die Figuren sind hart, rau, vom Leben gezeichnet. Was das Leben für sie überhaupt ist? Weiß wohl keiner der Charaktere. Wahrscheinlich nur eine Aneinanderreihung von Tagen. Tage, die von Gewalt gezeichnet sind. Tatsächlich gibt es wenn überhaupt nur eine Handvoll Doll, ähm, Szenen, in denen weder Gewalt zu sehen ist, noch von ihr gesprochen wird. Ist Gewalt zu sehen, kann man sich sicher sein, dass sie zu mehr Gewalt führen wird. Statt Mäßigung folgt die exzessive Steigerung ins Extreme. Das ist nicht nur ein Teufelskreis, das ist eine Teufelsspirale, die sich immer weiter zuspitzt, obwohl die Handlungen und der Hass immer extremer werden. Die Folge kann da nur eine Explosion aus Gewalt und Menschenverachtung sein. Eine so starke Explosion, dass sie einen Menschen die letzten Jahre vergessen lässt, als hätten sie nie existiert.

                            ERBARMUNGSLOS ist eine großartige Gewalt-Reflexion. Gene Hackmans Charakter versucht mit Gewalt gegen Gewalt vorzugehen. Was zum Scheitern verurteilt ist. Clint Eastwoods Charakter andererseits verübt Gewalt wegen Gewalt. Was zum Scheitern verurteilt ist. Was die Charaktere nicht vollends verstehen. Sondern nur ein Stück weit, was sie dann auch schulternzuckend hinnehmen. So macht es auch perfekten Sinn, dass Eastwoods und Hackmans Charakter den gleichen Namen haben.
                            Erst dachte ich, der Filmtitel beziehe sich auf das Vorgehen, das Will und seine Freunde Ned und Kid planen und durchführen. Je weiter die Laufzeit voranschritt, desto deutlicher war es jedoch. Erbarmungslos ist nicht wirklich ihr Vorhaben (Ned zeigt’s), sondern das Schicksal, das all diese Charaktere ereilt. Allen voran das von William.

                            Clint Eastwood schafft mit seiner Regie das Kunststück, dem Westerngenre gleichermaßen zu huldigen, wie es zu demontieren. Auch wenn der Film u.a. Sergio Leone gewidmet ist: Close-Ups oder gar italienische Einstellungen sucht mach vergebens. Eastwood möchte sich seinen Figuren nicht nähern. Sie sind ihm zuwider. Unter anderen Umständen könnte man sie vielleicht mögen, aber nicht in dieser Welt. Eine Welt, die nicht ihre Figuren formt, sondern eine Welt, die von diesen Figuren definiert wird. So wirkt es fast schon wie ein vergessener Traum, wenn Ned und William durch ein goldenes Getreidefeld reiten und von alten Zeiten plaudern.
                            Clint schafft es endlich seinen Szenen eine innere Ruhe zu verleihen, die eine abartig hohe Spannung verleiten und die ich in seinen vorigen Filmen so vermisst habe. Zudem macht er nicht den gleichen Fehler, den er in HEARTBREAK RIDGE begangen hat und macht nicht Halt bei der Unterhaltung. Er schaut ins tiefste Innere seiner Charaktere, breitet es offen vor dem Zuschauer aus und zeigt dennoch wenig Mitleid. Die Charaktere haben es sich schließlich selbst zuzuschreiben.

                            Gene Hackman, den ich vorher nie wirklich mochte, zeigt hier eine richtig gute Darbietung als Sheriff Little Bill, der in seiner verqueren Logik die Welt zu einem besseren Ort macht. Das macht auf jeden Fall Lust auf mehr Filme mit ihm. Außerdem positiv auffallend ist die Länge des Films, an der ich wirklich nichts auszusetzen habe (was bei mir irgendwie selten ist). Zudem können die meisten Szenen ein nahezu perfektes Timing aufweisen, was darin resultiert, dass man sich als Zuschauer gar nicht sattsehen kann und einen wunderbaren Fluss in den Bildern findet und ihm schließlich erliegt.
                            Und nicht zuletzt natürlich der Meister himself. Clint Eastwoods Darbietung ist sicherlich nicht durchweg unanfechtbar, aber zum Ende hin ist er so hervorragend, dass sogar ich bei seinem letzten Satz verdammt nochmal Angst vor ihm hatte.
                            Ich glaube nicht, dass ich schon mal ein so düster-dreckiges und hasserfülltes Ende eines Western gesehen habe.

                            Martin Scorsese sagte, dass es keinen Sinn machen würde, nach diesem Film jemals noch einen Western zu drehen. Ich glaube, ich weiß, was er damit meint. Nicht, dass dieser Film der beste Western ist, der je gedreht wurde und niemals übertroffen werde könnte. Ich glaube Marty denkt daran, dass der Italo-Western das logische Pendant zum amerikanischen Heimatfilm-Western war und ERBARMUNGSLOS nun all die losen Punkte des Italo- und des amerikanischen Westerns aufsammelt und zu einem Ende bringt. Er schließt den Kreis. Thematisch und stilistisch. Die Figuren erinnern eher an den Spaghetti-Western (ein wirklich rassistischer Begriff, wenn ich so darüber nachdenke). Die Stilistik an den amerikanischen Western. Eastwood benutzt, verändert, verdreht und vereint.

                            Mit ERBARMUNGSLOS hat es endlich geklappt. Ich musste bis zur neunten Station warten, aber es hat geklappt. Eastwood zeigt die Klasse, die ihn in den 2000ern so auszeichnet und vom Rest abhebt. Clint kann aus seinen Fehlern lernen. Verdient Anerkennung. Clint kann einem Genre, das ihn weltberühmt gemacht hat, sogar noch etwas beibringen. Verdient Anerkennung. Und dann wäre da ja noch die eingangs erwähnte Tatsache, dass er weiß, wann gut ist. Verdient noch mehr Anerkennung. ERBARMUNGSLOS ist Clints erstes Meisterwerk.

                            Nächste Station: DIE BRÜCKEN AM FLUSS

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                            Nächste Station: http://www.moviepilot.de/movies/die-bruecken-am-flu/comments/1246500

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                              _Reise durch das Werk des Clint Eastwood

                              STATION XVI: MILLION DOLLAR BABY

                              Der Abspann fängt an. Ich sitze da und starre auf den dunklen Bildschirm mit weißer Schrift. Ich sehe die Schrift, aber erkenne ich sie? Ich kaue auf meiner Unterlippe und drücke meinen linken Zeigefinger in die Delle direkt über meinem Kinn. Wie ich es immer öfter mache, wenn ich nachdenke. Und ich denke nach, über wichtige Fragen. Lebenswichtige Fragen. Denke ich wirklich nach? Oder ist mein Kopf leer? Ich weiß es nicht. Ich bin in einem tranceartigen Zustand. Ich weiß es nicht. Ich weiß nichts. Und wenn ich was wüsste, was würde das schon ändern?

                              Den obigen Absatz habe ich vor zwei Stunden geschrieben. Dann habe ich gegessen. Jetzt genieße ich einen Wein und beende den Kommentar (ich bin ein wenig beschwipst, also bitte seht über kleinere sprachliche Fehler hinweg). Ehrlich gesagt war ich vor zwei Stunden überfordert, jetzt habe ich meine Gedanken etwas sortiert.
                              Der zweite Film von Clint Eastwood, für den er den Oscar für den besten Film und die beste Regie gewann. Zurecht? Ich finde, dieser hier ist nicht sein bester Film, aber verdammt dich dran. Dieser Film wurde nur ein Jahr nach dem Meisterwerk MYSTIC RIVER veröffentlicht. Abgedreht in 37 Tagen. Das. Ist. Abgefahren. In so wenigen Tagen einen so großen, grandiosen Film im Kasten zu haben… Das muss man auch erst einmal hinbekommen.

                              „She grew up knowing one thing: She was trash.“
                              Marty Scorsese, den ich ziemlich oft im Zusammenhang mit Eastwoods Filmen zu erwähnen scheine, drehte 1980 einen Film, WIE EIN WILDER STIER nämlich, der die Gewalt im Boxring als Erweiterung der häuslichen Gewalt zeigte. Ähnlich nähert sich Eastwood dem Boxsport. Maggie ist eine Kämpferin. War sie von Geburt an. Sie kämpft, um am Leben zu bleiben. Sie kämpft im Leben gegen das Leben und für das Leben. Sie hat einen Traum. Ein Traum, den vielleicht niemand anderes nachvollziehen kann, der für sie aber alles bedeutet. Sie kämpft, um diesen Traum zu erreichen und geht dabei über die menschlichen Kräfte hinaus. Sie macht länger, als der Körper kann. Sie bleibt dran. Das zeigt, dass der Boxsport (mit dem ich persönlich nie besonders viel anfangen konnte, weil ich eine Memme bin) an sich viel eher das Leben darstellt, als jeder andere Sport. Boxen ist ehrlich. Aber bis wann macht es Sinn, im Ring zu bleiben? Ist das Aufgeben wirklich keine Option? Sollte es das nicht lieber sein?

                              In den ersten 90 Minuten ist der Film ein Sportfilm. Ich möchte beinahe sagen „wie jeder andere“, aber das käme diesem Film nicht gerecht. Der Film ist in diesen 90 Minuten ein grandios ausbalancierter Mix aus Spaß und Spannung. Tiefgang ist auch vorhanden, mag man denken, aber dann hat man ja noch 40 Minuten vor sich und in diesen 40 Minuten bekommt man die volle Ladung. Ich möchte nicht sagen, was passiert (falls jemand diesen Film noch nicht kennen sollte), aber ich kann wohl sagen, dass dieser Film gegen Ende verdammt nochmal viele (Gewissens-)Fragen aufwirft, die mich dazu gebracht haben, den ersten Absatz zu schreiben. Moral und Recht werden derart über den Haufen geworfen, dass ich nicht mehr weiß, wo unten und oben ist.

                              Eastwood führt das fort, was er in MYSTIC RIVER so perfektioniert hat. Diese erhabene Ruhe, die ich in den Kommentaren vorher so oft erwähnt habe (sogar häufiger als Marty) und die Eastwoods besten Filme so ausmachen. Diese erhabene Ruhe, die sich aufzustauen scheint, bis die Spannung nicht mehr auszuhalten ist.
                              In vorigen Filmen habe ich bemängelt, dass die Szenen ohne Eastwood (falls er denn Regie und Hauptrolle ausgefüllt haben sollte) am souveränsten schienen. Hier ist dem nicht so. Der Film ist eine grandiose Einheit. Leistungsschwankungen existieren nicht. Von vorne bis hinten ist MILLION DOLLAR BABY ein Werk auf verdammt hohem Niveau. Und ich muss gestehen, je länger ich Clint Eastwood hier als Frankie zuschaue desto mehr Respekt und Liebe verspüre ich für diesen Mann, diesen Meister, dieses Genie.
                              Außerdem unbedingt zu erwähnen sind die Schauspieler, die hier, egal wie klein ihre Rolle auch sein mag, einen richtig gut Job machen. Ich schätze, das ist der Eastwood-Effekt. Wenn man für einen so großen Regisseur arbeiten darf, spielt man sich den Leib aus der Seele. Und so überzeugen neben Hilary Swank, die wirklich super ist, auch Morgan Freeman, Anthony Macke und Jay Baruchel, die kleinere Rollen haben und natürlich auch die Legende Clint Eastwood.

                              Ganz ehrlich: Ich habe diesen Film lange ignoriert, weil ich nicht „schon wieder einen alten blöden Sportfilm“ gucken wollte. Meine Güte, habe ich mich getäuscht. Auf dem Papier mag dieser Film zwar wie ein normaler Sportfilm aussehen, zwischen den Zeilen ist er aber so viel mehr.
                              MILLION DOLLAR BABY ist verdammt großes Kino. Ein Film, der mir zudem verdammt noch mal an die Nieren geht. Verdammt nochmal ans Herz. Und mir verdammt noch mal auf mein verdammtes emotionales Gleichgewicht drückt. Selten habe ich einen dunklen, ruhigen Abspann so sehr gebraucht wie hier. Zum Nachdenken. Oder war mein Kopf leer? Ich weiß es nicht. Ich war in einem tranceartigen Zustand. Ich weiß es nicht. Ich weiß nichts. Und wenn ich was wüsste, was würde das ändern?

                              Nächste Station: FLAGS OF OUR FATHERS

                              _Smooli

                              Vorherige Station: http://www.moviepilot.de/movies/piano-blues-and-beyond/comments/1250238
                              Nächste Station: http://www.moviepilot.de/movies/flags-of-our-fathers/comments/1251551

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                                [...]  Zwar hatte der Film damals einen enormen gesellschaftlichen Einfluss; er führte zu einer Debatte über die behandelte Thematik in dessen Folge unter anderem die Lobotomie als Praktik abgeschafft wurde. Aber wenn man diesen Film schaut und sich glücklich denkt, dass man in aufgeklärteren Zeiten lebt, dann muss man noch ein paar Schritte weiterdenken. Es ist noch heute so, dass man über psychische Erkrankungen eigentlich nicht reden kann. Sie sind immer noch tabuisiert. Sie werden nicht als behandelbare Krankheit angesehen, sondern als abstoßendes Etwas und der Leidtragende wird zum doppelten Opfer, weil er seinen sozialen Status verliert. Diese Angst, der gesellschaftliche Druck wird noch auf das eigentliche Leiden gestapelt. Die reine Perversion. Über psychische Erkrankungen mit dem Arbeitgeber sprechen? Undenkbar. Der Mensch sieht sie immer noch als einzige Zutat zum Wahnsinn an. Zu schnell bekommt der Erkrankte das Stigma des Freaks, des Verrrückten auf die Stirn gepresst. Hätte Robin Williams („Good Will Hunting“) weiterhin Angebote bekommen, wäre seine Depression kein Geheimnis gewesen? Hätte ein kürzlich bekannt gewordener Pilot seinen Job behalten oder wäre er sang- und klanglos abgeschrieben worden? Die Thematik ist noch immer ein Problem und „Einer flog über das Kuckucksnest“ führt sie einem schmerzhaft vor Augen. [...]

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                                  über Ekel

                                  Der titelgebende Ekel ist nicht nur Programm bei Carol und ihrer Stellung gegenüber Männern und ihren Erlebnissen in der Wohnung. Ekel verspürt auch der Zuschauer vor den Erlebnissen der bildhübschen Blondine, deren Augen am Anfang noch in ihrer ganzen Schönheit erstrahlten und am Ende das Publikum mit ihrem Hass zum Schütteln bringen. Roman Polanski zeigt sich als Meister der Bildkomposition und der Kamerabewegung, wenn er aus einem Detail mit einem kleinen Schwenk eine Totale werden lässt und dem Zuschauer noch die Möglichkeit gibt, seine Seele ein letztes Mal zu befreien. Später wird sich das Konzept ändern; weder Carol noch der Zuschauer wird sich befreien können von der unaufhaltsamen Kraft, die der eigene Verstand darstellt. Polanski nutzt, hier zum ersten Mal, nicht das Unbekannte, sondern das Vertraute und wandelt es soweit, bis nichts mehr vertraut scheint, ja, bis der bloße Gedanke an Vertrauen und Vertrautes absurd erscheint. Gekonnt spielt Polanski mit dem Zuschauer und jubelt ihm immer wieder Kleinigkeiten unter, die nicht unbedingt auffallen mögen. Zum Beispiel ergibt der Fußweg, den Carol zurücklegt, keinen Sinn. Sie läuft im Kreis. Oder zum Beispiel sagt ein One Way Street-Schild, das nicht nach vorne, sondern nach hinten zeigt, in welche Richtung sich das Geschehen zwangsweise entwickeln wird. Und zum Beispiel hat Carols Kleid das gleiche gekreuzte Muster wie das Brückengeländer hinter ihr. Es zeigt den inneren Konflikt in ihr; hin- und hergerissen zwischen Verlangen und, da sind wir wieder, Ekel. Sie riecht erregt am Unterhemd eines Mannes und übergibt sich danach. Polanski findet eine Fülle an Symbolen, Motiven und Bildern, die die unzähligen Ebenen offenbaren, andeuten und bedienen, die sich hinter der offensichtlichen Handlung verdeckt halten. Und dann wäre da ja noch diese verdammte Stille, die unheimlicher ist, als jeder dunkle Keller in jeder Kindheit es je sein könnte. Man möchte weggucken, aber man ist gleichermaßen fasziniert. Abgestoßen und angezogen. Der Zuschauer wird immer weiter in den Film gezogen und bekommt immer mehr die gleichen Probleme wie Carol. Es wirkt eine Kraft von außen auf uns und dringt in uns ein. Wie die Männer, Hände und Geräusche der Außenwelt in Carols Leben eindringen, verschafft sich der Film Eintritt in unser inneres Wesen, ob wir wollen oder nicht, und begrapscht uns, reibt sich an unserer Seele und lässt nicht los, bis wir selbst aufgeben.

                                  _Smooli

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                                    über Titanic

                                    […] Aus heutiger Sicht lässt sich ebenso einfach wie schnell über die Geschichte des Schiffes und all der Verantwortlichen urteilen. Fanatisches Streben nach Macht und Prestige sei schlecht, die Menschen jagten einem augenscheinlichen Traum nach, ohne zu wissen, dass der Traum sich eigentlich als Verderben entpuppen würde. Jedoch nutzt Cameron die Rahmenhandlung in der Gegenwart mehr als geschickt, um einerseits ein ausgefeiltes dramaturgisches Konstrukt zu erstellen und andererseits, um die Werte und Lehren der alten Zeit in Relation zu setzen. Auch heute noch vergeigen wir zu viel Zeit damit, unerklärten und ziellosen Instinkten nachzujagen. Die Taucher suchen nach einem Diamanten und finden „nur“ Zeichnungen. Sie sind enttäuscht von ihrer Wertlosigkeit. […] Die Vereinigten Staaten werden gleichzeitig entlarvt, als Land, dessen Motto ein vergessener Traum ist, der vielleicht mal existierte, aber nur noch verrotten in den tiefsten Jagdgründen aufzufinden scheint. Als Symbol für Freiheit und Gleichheit inszeniert, ist es eigentlich eine Aristokratie, in der eine konstante Hierarchie herrscht und auch eben das auch so bleiben soll. […] Aber selbst wenn man den Hintergrund beiseite lässt und sich nur auf die emotionale Komponente des Werkes konzentriert, selbst dann nimmt der Film mit seiner monumentalen Größe gefangen. Es ist einer der größten Stärken von James Camerons Arbeit: Er wiegt den Zuschauer zunächst seicht in er Hand, gibt ihm etwas Zeit, um es sich gemütlich zu machen und begeht mit ihm dann eine Rundfahrt, die ihresgleichen sucht. Camerons Griff schlingt sich immer fester zu und seine Schritte werden immer größer, aber man ist gezwungen mitzuhalten und anfangs scheint eben dies auch noch federleicht vonstatten zu gehen. […] Ein letztes Wort soll noch James Horner gebühren, der [...] ums Leben kam. Seine Musik ist es, die bleibt und die Jahre überdauern wird und die mit einem Menschen unglaubliche Dinge anstellen kann. Ihre Pracht, Präzision und Perfektion fließt in diesem Werk mit den Bildern ineinander und lässt einen mehr fühlen, als man erwarten würde. „Titanic“ ohne Horner? Möchte man sich nicht vorstellen.

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                                      „Don’t you sometimes hate yourself?“ - „Constantly.“

                                      Tina Fey und Amy Poehler haben sich neulich im Monolog der Golden Globe-Verleihung darüber lustig gemacht, dass es Frauen über 40 in Hollywood sehr schwer haben. Schuld ist dabei Hollywood an sich. SUNSET BOULEVARD ist eine Abrechnung. Eine Kritik. Eine Satire. Und das alles im mehr als passenden Mantel des Film Noir. Ein Genre, das ich liebe, weil es von gebrochenen Charakteren besiedelt ist, weil es am Ende eben nicht Friedefreudeeierkuchen ist, weil es sich etwas trauen darf und dem Publikum nicht immer HeileWelt vorspielt.

                                      „You made a rope of words and strangled this business.“

                                      Norma Desmond hat hier jedoch nicht nur mit ihrem Alter zu kämpfen, nein, zudem war sie auch noch Star der Stummfilm-Ära. Ein Star, den jeder, selbst die in Hollywood involvierten, für tot hält. Wilder reißt der „Traumfabrik“ die glitzernde und scheinende Maske vom Haupt und offenbart eine teuflische, lächelnde Fratze.
                                      Loyalität, Vertrauen, Freundschaft, Optimismus, künstlerisches Interesse. All das existiert nicht. Gier, Misstrauen, unendliche Kosten-Nutzen-Analyse. All das bestimmt den Alltag. Wenn du keinen Gewinn mehr abwirfst, wirst du zum Teufel gejagt. Danke für die schöne Zeit und jetzt verpiss dich. Wie der Alltag in Hollywood aussieht, wird hier anhand eines toten Affen gezeigt, der Normas Haustier war. Er stirbt und wird begraben. Der Erzähler spricht von King Kongs Ururenkel. Und wofür ist King Kong bekannt? Er wurde eingeschifft, in Ketten zur Schau gestellt, begafft, ausgenutzt und dann weggeschmissen.

                                      SUNSET BOULEVARD ist wirklich ein Film, der an Zynismus nur schwer zu überbieten ist und das auch gleich in voller Kraft von Anfang an auf den Zuschauer los lässt. Ein toter Drehbuchautor wird in einem Pool gefunden. „No one important, really“ sagt der Erzähler. Er habe ja schließlich nur ein paar B-Movies gemacht. Und das ist nur der Anfang.
                                      Tatsächlich steckt der Film voll von Dialogen, die wirklich zitierwürdig und unfassbar gut sind. Für mich gibt es generell zwei Arten von guten Dialogen. Die Dialoge, die so gut sind, dass sie vollkommen natürlich wirken. Und die Dialoge, die so gut sind, dass ich sie mir als Zitat auf dem Poster vorstellen kann. Dieser Film steckt voll von Dialogen, die ich zur zweiten Kategorie zähle.

                                      In der Tat, dieser Film ist ein Meisterwerk. Ein Film, der sich etwas traut. Der abkommt, von dem ewig gleichen Weg, der „Traumfabrik“ und allein schon deshalb Respekt verdient. Dass er dann auch noch einer der ultimativen selbstkritischen und mutigen Abrechnungen mit Hollywood ist, macht ihn nur noch besser. Ein durch und durch wundersames Werk von Billy Wilder.

                                      Oh und, ähem… Die Community-Wertung von 6,5 ist ein schlechter Scherz.

                                      _Smooli

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                                        über Oldboy

                                        […] Die Welten, in denen die Geschichte von „Oldboy“ spielt, darf man durchaus gerne als mehrere, geteilte, separate, aber sich gegenseitig bedingende Welten ansehen. In der einen ist Dae-su ein Trunken- und Raufbold, ein erbärmlicher Niemand, der ab und zu mal einen heben geht. In einer anderen ist er das Opfer, das nicht nur seiner Freiheit, sondern auch seiner Liebe, seinem Stolz, seiner Identität und allen Sinnen beraubt wird. In wieder einer anderen Welt ist er der Grund allen Übels, der Ursatan, das Sinnbild für alles Schlechte des Lebens. Je nachdem, aus welcher Perspektive man den Film anschaut, je nachdem, wie die Geschichte erlebt. Dae-su selbst ist dabei ein nicht wirklich verlässlicher Erzähler; inwiefern kann man die Handlung nun als echt bezeichnen, inwiefern als ersponnen? Oder, wenn man einen noch anderen Ansatz wählen möchte: Inwiefern hat Dae-su Macht über die Geschichte, die er dem Zuschauer erzählt und für dessen Aufmerksamkeit er sich am Ende artig bedankt? Der Mann ist de facto ein Mensch mit Problemen, der mit seiner Mittelmäßigkeit nicht zurecht kommen mag und versucht, seine Tochter krampfhaft zu etwas Besserem zu machen, als er selbst ist. Er hat ihr Engelsflügel zum Geburtstag gekauft. Sie soll nicht an seinen Machenschaften zu leiden haben. Die Gesellschaft, die Polizei, alle anderen kümmern ihn kein Stück, sie aber schon. Sie ist sein Ein und Alles und sie wird ihm binnen Sekunden genommen, wenn er im Regen auf einmal verschwindet und später als anderer Mensch wieder aufgefunden wird. […]

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                                          […] Das Harakiri, oder auch Seppuku genannt, war eine Art der Selbsttötung, mit denen herrenlose Samurai, die sogenannten Ronin, sich selbst auf ehrenhafte Weise in die nächste Welt befördern konnten. Was sie dazu machen mussten, ist sich ein Schwert in den Bauch zu stechen und rumzurütteln, bis alles rausfiel, was rausfallen konnte. Danach wurde ihnen von einem Sekundanten der Kopf abgeschlagen. Alles höchst ehrenwert. Kobayashi nutzt dieses Zeitalter des 17. Jahrhunderts, rüttelt gehörig an den Fundamenten der Zeit und ihren (Moral-)Vorstellungen und stößt dem Samurai-Genre kräftig vor den Latz. Besonders deutlich in diesem Film, der lediglich zwei Kampfszenen beinhaltet und ansonsten aus Dia- und Monologen besteht, ist wie sehr es Kobayashi am Herzen liegt, den romantisierten Mythos des Samurai freizulegen, und ihn in seiner realen rauen Wahrheit zu zeigen. […] Kobayashi nimmt die Zügel in die Hand und bedient sich einiger Komponenten, wandelt sie jedoch ab ebenso geschickt wie gekonnt ab und schafft etwas Großartiges. Etwas, das selten geschieht und diesen Film in die Liga der ganz Großen katapultiert. Wenn filmische Akribie und Perfektion, ein beeindruckend konsequenter Hintergrund und die tiefgreifende Doppelbödigkeit ineinandergreifen wie perfekt laufende Zahnräder, dann wird das Sehen eines Films zu einem Erlebnis. […]

                                          _Smooli

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                                            Die Kinder singen von einem schwarzen Mann, der vorbeikommt und sie holt. Fröhlich, heiter, ausgelassen. Kinder eben. Was sie da eigentlich sagen, wissen sie nicht. Sie wissen nicht von der Gefahr. Sie spielen mit dem Feuer, ohne sich etwas dabei zu denken. Deshalb verstehen sie auch nicht, warum die Mama ihnen das Lied immer wieder verbietet. Etwas später spielt ein Mädchen mit ihrem Ball. Sie schmeißt ihn immer wieder gegen eine Lithfass-Säule auf der etwas über einen Mörder steht. Auch das weiß das Kind nicht. Sie spielt. Wieso auch nicht, sie weiß ja schließlich nicht, dass es Schlimmes auf der Welt gibt. Wieso sollte es das auch geben?

                                            Fritz Lang, ein absoluter Meister seines Fachs, teilt seinen Film in verschiedene Phasen ein. Zuerst sehen wir den unmittelbaren Opfern zu - den Kindern und dem Täter. Danach folgen wir den Familien, Freunden, Bekannten und der gesamten Gesellschaft an sich, die sich vereint und eine Art Bürgerwehr bildet, die Selbstjustiz als einzigen Ausweg sieht. Die ehemaligen Opfer werden hier zu Tätern. Und der ehemalige Täter zum Opfer.
                                            Angst, Hass, Paranoia. Schon bald fordern die Bürger absolute Überwachung und Kontrolle. Jeder Verdächtige ist vogelfrei. Und wird man erst einmal verdächtigt, ist man gebrandmarkt. Deutlich zu sehen ist, wie die Menschen, die jene strenge Durchsetzung fordern, als schwarze Männer dargestellt werden. Sind sie besser? Sind sie gut? Begehen sie nicht auch Verbrechen der Freiheitsberaubung? Ist es gerecht, dass für die Suche eines Menschen das Leben vieler (zu Unrecht) eingeschränkt wird?
                                            Der Regisseur stellt große Fragen und spricht wichtige gesellschaftlich relevante Themen an. Und als wäre das nichts, fädelt er noch einen weiteren Themenkomplex ein: die Rolle der Medien. Die Zeitungen informieren über den Täter. Wenn es in der Zeitung steht, muss es ja wahr sein. Aber informiert sie lediglich? Kontrolliert sie nicht auch? Wirkt sie beruhigend oder aufhetztend?
                                            Spätestens am Ende, wenn sich die Menschen versammeln und die Gesellschaft vollkommen durcheinander ist und man weiß, dass niemand, nicht ein Mensch, der an der Sitzung teilnimmt, unschuldig ist. Aber „das gehört nicht hier her“. Man ist schließlich dabei über die Sünden des anderen zu richten. Da stellen sich weitere Fragen. Verwehrt eine schlechte Tat das Recht auf Gerechtigkeit und das Leben? Das fragt sich die Bevölkerung hier gar nicht. Sie sind auch nicht an der Version des Täters/ Opfers interessiert. Sie ignorieren seine Worte. Verhalten sich herablassend. Wie eine wilde Meute. Also noch einmal: Informieren die Medien bloß?

                                            M ist 84 Jahre alt und immer noch so aktuell und bedeutend, dass es einerseits ein Genuss, andererseits ein wenig gruselig ist. Ein Film mit einer so universalen Aussage, dass man Fritz Lang nur als Visionär bezeichnen kann. Ein unfassbar guter, ja, ich sage es, ein vollkommener Film.

                                            _Smooli

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                                              "25 Millionen Tote... Nicht mehr. Bei sowas ist das natürlich immer ein bisschen Glückssache."

                                              Mit was für einer ignoranten Leichtigkeit in diesem Film über Massenmord, Paranoia und Größenwahn gesprochen (bzw. nicht gesprochen) wird, ist schon beachtlich.
                                              Der Humor kommt in DR. SELTSAM dabei stets über zweierlei Wege: das Gesagte und das Gezeigte.
                                              Beides formvollendet.
                                              Das Lachen mag einem mal im Halse stecken bleiben. Mal mag es ein wenig dauern, bis man den Humor überhaupt erkennt und mal kommt ist der Witz so deutlich, dass man laut auflacht. Darbietung der Teilnehmer erste Sahne.

                                              Zwei Jahre nach der Kuba-Krise rechnet Stanley Kubrick mit Amerika und einer Welt ab, die nur gut und böse, ehrlich und falsch, schwarz und weiß kennt. Die Amerikaner als Gutmenschen, die Russen als hinterlistige Ehrlose. Oder die Russen als Retter der Freiheit, die Amerikaner als Bedroher der solchen.

                                              Peter Sellers offenbart sein Können in drei Rollen, von denen er jede einzelne perfekt meistert. Dr. Strangelove ("Mein Führer, ähm, ich meine Mr. Präsident."), Captain Mandrake ("Na dann verbinden Sie mich nicht als dringend, sondern als dieses andere... naja, als einfach so.") und Mr. Präsident ("Aber Dimitri, du kannst nicht sagen, dass es dir mehr leid tut. Es tut uns beiden gleich leid.").

                                              Von vorne bis hinten ist DR. SELTSAM ODER: WIE ICH LERNTE, DIE BOMBE ZU LIEBEN ein perfekt durchdachtes, formidabel inszeniertes und grandios dargebotenes Werk über die innersten Triebe des Menschen nach Macht, Sicherheit und Macht.
                                              Ein Dokument, das einem den Wahnsinn vor Augen führt. Ein Monument für alle Beteiligten.

                                              Mit Recht wurde der Film in den Filmkanon der Bundeszentrale für politische Bildung aufgenommen.

                                              _Smooli

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                                                _Reise durch das Werk der Coens

                                                STATION VI: FARGO

                                                Nach dem sehenswerten, aber doch irgendwie unspektakulären HUDSUCKER kommen wir nun in einen Ort, an dem es stets kalt, windig und langsam ist und an dem die Straßen am Horizont im dichten Schnee und Nebel verschwinden. Fargo.

                                                „Alles Gangster heutzutage, alles Gangster.“
                                                Jerry möchte seine Frau entführen lassen, um so seinen reichen Stiefvater erpressen zu können. Die Gewinnsumme teilt er 50/50 mit den Entführern. So der Plan. Dass das nicht ganz glatt abläuft, sollte klar sein, wenn man die Namen Ethan und Joel Coen liest.
                                                Für mich ist FARGO der erste Film, der die coenesquen Eigenschaften so bravourös vereinbart, wie es heute von ihnen erwartet wird. Skurrilitäten, diese wundersame Magie, die einen sofort gefangen nimmt und erst am Ende wieder loslässt, perfekte Dialoge, liebenswerte und etwas trottelige Charaktere, Einzigartigkeit und die großen Themen der Gier/ Habsucht, des Egoismus und der fehlerhaften Kommunikation.

                                                „Sie sagen doch… Was sagen Sie?“ „Ich werd nicht diskutieren!“
                                                Gerade zum letzten Punkt fallen viele Sätze im Film, die darauf hinweisen. Das Geniale daran ist, dass sie einem gar nicht als solche auffallen, wenn man nicht darüber nachdenkt. Die Bedeutung dahinter kommt also nicht voll auf die 12 oder reißt den Zuschauer gar aus der Kriminalgeschichte. Der Stiefvater hört Jerry nicht zu. Jerry redet nicht mit seinem Boss und die Auftragsgangster rennen komplett am Leben vorbei: Weder hören sie zu, noch kommunizieren sie untereinander. Interessant zu sehen sind jedoch Margie und Norm. Diese reden in ihrer ersten Szene nämlich auch aneinander vorbei. Dies tun sie jedoch nicht (wie die anderen) aus Egoismus, sondern aus Fürsorge für den anderen. Damit zeigen die Coens, dass weniger zählt, was man sagt, sondern mehr, was man meint.

                                                „Ich mach dir ein paar Eier, Margie. Du musst doch was essen.“
                                                In all den Wirren der Kriminalität und der Geschichte voll Desinteresse, Egoismus und Gier wirken Polizistin Margie und ihr Ehemann Norm als Gegenpol. Sie kommunizieren, führen ein bescheidenes, aber sehr zufriedenes Leben und schaffen mit der Schwangerschaft wohl das absolute Gegenteil des Egoismus. Selten habe ich so ausnahmslos liebenswerte Charaktere gesehen, wie Margie und Norm, die in ihrer beinahe einfältigen Lebensweise viel beneidenswerter wirken, als die „Erfolgreichen“, die zwar Geld, aber keine Zufriedenheit besitzen.

                                                „Dies ist eine wahre Geschichte.“
                                                Was die Coens in FARGO so meisterhaft machen, ist die Verbindung von spannendem Krimi und lockerem Humor, die sich nicht gegenseitig beengen, sondern die Hand reichen und perfekt verbinden. Auf der technischen Seite makellos, ist es vor allem das Drehbuch, das (genau wie Frances McDormand) den Oscar einfach nur verdient hat. Die Kamera wird so positioniert, dass sie wie ein heimlicher Zuschauer, wie die Fliege an der Wand wirkt. Das Publikum wird also heimlich in die Handlung integriert, sodass all die verrückten Handlungen viel glaubwürdiger erscheinen, weil man der Meinung ist, sie wirklich mitzuerleben. Der Vorspann tut dabei sein Übriges.
                                                Neben den oben genannten Eigenschaften der Coen-Filme muss ich noch einen weiteren Punkt nennen, der mir besonders am Herzen liegt. Die Coens schaffen es für mich wie niemand sonst, in all dem wirren Nonsens, der die Filmwelt bevölkert und lebendig macht, große Gefühle zu wecken, ohne sentimental zu werden. Die drei Worte „Ich liebe dich“ wirken hier, ohne stilistische Verfälschung von Musik, Kamera oder besonderer Betonung, einfach nur natürlich und wirken dadurch wie das schönste, was je ein Mensch hören konnte.

                                                „Films like FARGO are why I love the movies.“ - Roger Ebert
                                                Ich kann nur zustimmen. Dieser Film ist der erste Höhepunkt in der damals erst zwölf Jahre alten Filmographie der Brüder. FARGO versteht es perfekt, Atmosphäre und Spannung aufzubauen und zu halten, Krimi und Humor zu verbinden und kann dabei mit Tiefgang und den wohl liebsten Charakteren der Filmgeschichte jenseits der FSK12-Marke aufwarten.

                                                „… Ende der Geschichte.“

                                                Der nächste Teil der Reise beschäftigt sich mit dem Leben, das so schön sorglos sein könnte, wenn man jemandem nicht auf den bekackten Teppich gepinkelt hätte.
                                                Nächste Station: THE BIG LEBOWSKI

                                                _Smooli

                                                Vorherige Station: www.moviepilot.de/movies/hudsucker-der-groe-sprung/comments/1053898
                                                Nächste Station: http://www.moviepilot.de/movies/the-big-lebowski-2/comments/1055067

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                                                  STATION XVI: INSIDE LLEWYN DAVIS

                                                  Seit ich denken kann, interessiere ich mich für Musik. Ich möchte sie nicht nur hören. Ich will sie studieren, sie entdecken, sie fühlen, sie selbst machen. Musik ist für mich wirklich etwas Übernatürliches. Dementsprechend doll gefreut habe ich mich, als ich erfahren habe, dass Ethan und Joel Coen einen Film über einen Folk-Musiker veröffentlichen. Dass ich mit dem Genre an sich nicht vertraut war, hat mich nicht gestört. Und was soll ich sagen? Der Film hat all meine Erwartungen übertroffen.

                                                  In INSIDE LLEWYN DAVIS begleiten wir den titelgebenden Musiker für eine kurze Zeit in seinem Leben. Er spielt in Bars und hofft auf den großen Wurf. Dass das keine Hollywood-Geschichte wird, sollte einem klar sein, wenn man den Namen Coen liest. Nein, richtig viel verändern tut sich nicht in Llewyns Leben. Trotzdem macht der Film einen runden Eindruck, wenn der Abspann beginnt. Und auch wenn dem Zuschauer ein eindeutiges Ende à la „und wenn sie nicht gestorben sind“ verwehrt bleibt, kann man sich doch vorstellen, wie die nächsten Jahre des Protagonisten aussehen. Wie in vielen Filmen der Brüder ist auch hier das Schicksal ein vorherrschendes Thema. Wir können unser Leben nicht steuern. Wir konnten es niemals und wir werden es niemals können. Alles was wir können, ist Ausgangspositionen schaffen. Llewyn hat Talent und Potenzial, aber es will und will nicht klappen. Bis zu dem Moment, an dem einem langsam klar wird, dass das mit dem Licht am Ende des Tunnels nichts wird. Dass eher ein Sackgassen-Schild auf einen wartet, als Erlösung.

                                                  Die Coens spielen gekonnt mehrere ihrer großen Stärken aus. Zum einen ist da die grandiose Atmosphäre des Films, die einen so weit mitnimmt, dass man sich letzten Endes in Situationen nicht sicher ist, ob man jetzt lachen oder weinen sollte. Beides würde Sinn machen. Zum anderen sind da Emotionen, die wirklich kräftig daher kommen und das (für mich wirklich wichtig) ohne die alte „Voll-auf-die-12“-Sentimentalität.

                                                  Und dann ist da noch die Musik. Die herrliche Musik. Oscar Isaac ist zum Anbeten. Die Musik ist in diesem Film wirklich ungelogen einfach großartig. Ich könnte den Film wahrscheinlich auf Dauerschleife anschauen und würde nicht müde werden, Mr. Davis zuzuhören. Allein die Tatsache, dass die Coens uns die Gelegenheit lassen, den Musikern ihre Stücke ganz zu spielen, ist schon erwähnenswert. Das trägt viel zum Gefühl bei, das einem vermittelt wird. Eine Gitarre, ein Mann und seine Stimme. Das reicht, um mir eine richtig angenehme Gänsehaut zu verpassen.

                                                  INSIDE LLEWYN DAVIS ist ein pures, ehrliches und großartiges Charakterdrama mit herausragender Musik (dazu fallen mir wirklich nicht genug Superlative ein), über einen Mann, der sich vielleicht manchmal ein wenig selbst im Weg steht, aber alles dafür tut, um nicht einfach nur zu „existieren“, sondern etwas zu bewegen.
                                                  Ich persönlich wähne mich im Himmel, wenn Llewyn zu seiner Gitarre greift und gefühlvoll ein paar Lieder zum Besten gibt.

                                                  „Was nie neu war und nie alt wird ist ein Folk-Song.“

                                                  _Smooli

                                                  Vorherige Station: http://www.moviepilot.de/movies/true-grit/comments/1058801

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                                                    [...] Als „das Land, in dem Gott mit der Schöpfung nicht fertig wurde“, wird er Ort beschrieben, zudem Fitzcarraldo später noch kommen sollte. Dort, wo er ein Opernhaus errichten und damit seinen Traum erfüllen wollte. Nach der Sage komme Gott wieder, sobald die Menschen ausgestorben seien, um sein Werk zu vollenden und dem Erdreich zur Vollkommenheit zu verhelfen. [...] Seine Frau, gespielt von Claudia Cardinale („Spiel mir das Lied vom Tod“), beschreibt ihren Gatten und Opernliebhaber am Anfang noch als Träumer und rechtfertigt seine größenwahnsinnige Pläne damit, dass nur Träumer Berge versetzen könnten. Etwas, was Fitzgerald noch sehr wörtlich nehmen wird. Ob der Begriff des Träumers aber so zutreffend ist? Sicher handelt es sich um eine liebevolle Umschreibung für einen Wahnsinnigen. So, wie Fitz sich aufführt, sobald jemand es wagt, seine Leidenschaft nicht zu teilen oder zu unterstützen. Ihm ist ganz recht, dass Gott von diesem Ort, seinem Ziel, vertrieben wurde. Denn der würde bloß stören. Um seinen Traum durchzusetzen, will Fitzgerald, dass die Welt um ihn herum still steht, um ihm nicht in die Quere zu kommen. Helft mit oder verzieht euch. Das Leben muss pausieren, Recht, Gesetz, Moral und Glauben haben keinerlei Bedeutung, solange er sein Opernhaus nicht bauen kann. Besonders deutlich wird das schon relativ früh im Film, wenn er auf einem Kirchenturm steht, manisch brüllt, die Kirche sei geschlossen, solange er keine Oper bekäme. Gott ist weg, vermisst wird er nicht. [...]

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