Es ist mittlerweile mehr als zwei Jahre her, dass ich Malicks Arbeit von Baulands - Zerschossene Träume bis The New World durchgeschaut habe. Ich vermag mich nicht zu erinnern, ob Müdigkeit oder eine technische Behinderung dazu führte, dass ich aufhörte seine Filme zu sehen. Doch hatte ich alle Werke mindestens überdurchschnittlich bis sehr gut in Erinnerung. The Tree of Life schließlich setzt seiner mir bekannten Filmographie eine wohl verdiente Krone auf. Das Werk, das Malick nach Days of Heaven begann und erst Dekaden später realisieren konnte, macht sich die Zeit als Element der Erzählung ebenso selbstverständlich und visionär zu eigen wie einst Stanley Kubrick in 2001. Letzterer springt von der Zeit des Affen ins Jahr 2001, Malick springt aus den 50ern zum Urknall. Er erzählt von den Beginnen, er erzählt von Liebe und Macht, Glauben und Hass. Besonders beeindruckend - sicherlich neben der großartigen Arbeit von Emmanuel Lubezki und Douglas Trumbull der größte Faktor für die Wirkung des Films - ist die Schnittarbeit von Malick. Ganze fünf Cutter hat der Herr engagiert; The Tree of Life ist ein Dokument von Malicks Arbeitsprozess und -philosophie in der Postproduktion. Wie wild werden die ruhigen, sanften, poetischen Einstellungen aneinandergereiht. Aus dem Prinzip des unsichtbaren Schnitts des klassischen Erzählkinos wird ein Prinzip des omnipräsenten Schnitts. Jeder Schnitt reizt den Verstand des Zuschauers, Verbindungen herzustellen. Malick fordert den Zuschauer heraus und bringt ihn dazu, derart viele Verbindungen zu erstellen, dass die Seele sich vom Körper zu trennen scheint. Der Verstand arbeitet auf Hochtouren, der Körper entspannt ob der tranceartigen Kraft der Bilder, die zwischen den Schnitten zu sehen sind. Ein Film, der sich als belohnenden Kraftakt der visuellen Ruhe beweist.
Hallo mein Freund,
habe mich wie du bei Mubi auf Lav Diaz gefreut, wurde dann von der Evolution der Filipino Family enttäuscht und habe dann die anderen Filme ausgelassen. Nur an Florentina Hubaldo, CTE habe ich mich noch rangetraut. Meine Frage nun an dich: Inwiefern glaubst du, vermittelt Diaz in seinen Filmen ein zutreffendes Bild seines Landes?
Was muss man sich nicht alles gefallen lassen, als einer der heute irgendwie vergessenen, damals aber ganz großen Filmschaffenden, wie Paul Schrader sie verkörpert? Damals mit dem Buch zu Taxi Driver und der Regiearbeit bei beispielsweise Mishima: A Life in Four Chapters immer wieder Garant für herausragende Filmkunst abseits der Gewohnheiten, heute… wenig. Was war eigentlich das letzte Projekt, das man von ihm aufmerksam verfolgt hat? Eigentlich auch egal, denn Schrader ist jetzt wieder da, hat sich mit Nicolas Cage und Willem Dafoe zwei alte Bekannte mitgenommen (beide kennt er durch Marty Scorseses Arbeiten) und macht einen auf William Friedkin. Der hat nämlich sein bislang letztes Regie-Werk Killer Joe dem Publikum so wunderbar süffisant vor den Latz geknallt, wie es nur solche alten Hasen können, die die Filmlandschaft noch anders kennen. Jene, denen Jahr für Jahr gesagt wird, sie könnten keine Gewinne mehr generieren. Diese, die dann einen filmischen Mittelfinger aufs Zelluloid bannen. Gelobt seien sie.
Dog Eat Dog ist dann auch schließlich einer dieser Filme geworden, bei denen man dem Regisseur anmerkt, dass er (und das schreibe ich nun mit jedem erdenklichen Maße an Respekt) im Alter immer noch gehörig auf die Kacke hauen kann. Schrader empfängt den Zuschauer mit einer vorsichtigen Ausgangslage. Im TV läuft eine Talkshow, wo ein Verfechter der Zweiten Erweiterung der Verfassung der Vereinigten Staaten (in der das Recht auf Waffenbesitz garantiert wird) mit dem Moderator argumentiert, weshalb es einfach eine Pumpgun braucht, um ruhig schlafen zu können. Über dieses Bild lässt Paul Schrader ganz nüchtern seinen Namen einblenden. I’m back, bitch. Und jetzt halt dich fest. Man mag nämlich zunächst einen bemitleidenden Ton zu erhaschen meinen. Schrader distanziert sich klar von dem Waffen-Idioten da im TV, aber nicht auf eine sachliche Art und Weise, sondern indem er jegliche Richtwerte hinter sich lässt und einfach alle Moralitäten in den Boden stampft. Wer eine Pumpgun braucht, um sein Haus vor koksenden Irren zu beschützen, der vergisst bestimmt, dass auch koksende Irre (darf ich vorstellen: Willem Dafoe) eine Pumpgun besorgen können.
Schrader zeigt; wir leben in einer schrecklichen Welt, in der der Schrecken durch die Medien noch künstlich aufgeplustert wird - obwohl das gar nicht nötig wäre. Der Regisseur weiß das und sagt dem den Kampf an, indem er ebendiese ins schwer zu Konsumierende erhöht. Er versucht, die Welt mit den eigenen Mitteln zu schlagen. Grund zur Besserung/Änderung in den Medien - auch im Kino - ist selten Rationalität, sondern einfach Übersättigung. Schrader positioniert die Kamera mehrmals extra in einer besseren Position, um die Gewalt, das Blut und alles was so dazu gehört besser im Frame zu haben. Er spielt dabei immer wieder mit inszenatorischen Regeln, mit Humor, Geschmacksgrenzen, testet diese aus, mal mit Applaus, mal mit Abneigung als Ergebnis - verlieren tut er den Zuschauer dabei nie. Es ist nämlich bewusst, dass es hier um wichtigeres geht, als darum, mal wieder von irgendeiner Formulierung eines dahergelaufenen Idioten im Namen anderer beleidigt zu sein. Schrader dehnt mal aus, dann staucht er wieder zusammen. Er fabuliert und musiziert, dirigiert und inszeniert. Er macht alles, worauf er Lust hat in dem Stil, auf den er gerade Lust hat. Er geht von den 2010ern in das antike Griechenland, von den 40ern in die Generation Facebook. Müde wird er dabei nicht. Und auch wenn er wenig bis gar nichts dem Zuschauer vorgekaut und unterschrieben am Ende darlegt, so reißt er doch viele Gedanken an. So viele, dass man am Ende gar nicht sicher ist, ob man jetzt totale Grütze oder das Werk eines Genies gesehen hat. Momentan stimme ich für letzteres.
Der dritte und letzte Teil von Wim Wenders’ Roadmovie-Trilogie (Alice in den Städten, Falsche Bewegung und Im Lauf der Zeit) ist gewissermaßen eine direkte Fortführung im größeren Stil von Alice. Während Alice über die Fotografie und das Fernsehen erzählte, zeigte, wie die Menschen versuchen sich in ihrer wundersamen Wirkung zu verlieren, wie der Bilderrausch immer ausbeutender und aufsehenerzwingender wird. Hier jedoch geht es Wenders um die große Liebe Kino. Der Film von 1976 ist in schwarz-weiß gedreht, dauert 176 Minuten und ist überaus ruhiges Autoren-Kino. Ausbeutend und aufsehenerzwingend ist hier gar nichts, viel mehr fordert Wenders von seinem Publikum eine neue Herangehensweise ans Kino. Eine, die sich tiefergehend mit dem Medium auseinandersetzt und dem Film Respekt und Geduld entgegenbringt. Leider ist das heutzutage anscheinend schon zu viel verlangt. […] Wenders baut eine immens enge Beziehung zwischen den Figuren und dem Publikum auf und versucht darüber, das persönliche Kino zu retten. Ein Versuch, der nun rückblickend gesehen zum Scheitern verurteilt war. Aber ist Wenders auch gescheitert? Ist er das wirklich, wenn es immer wieder Zuschauer gibt, die den Weg zu Im Lauf der Zeit finden, die sich befreien lassen und für drei Stunden überzeugen lassen, dass das Kino so lebendig ist wie eh und je. Deshalb folgt Wenders seinen Figuren bis in intimste Momente (buchstäblich bis zum Defäkieren in der Natur). Deshalb zeigt er seine Figuren beim Ausführen von Kino in seiner Reinform. Robert und Bruno vollführen Schattenspiele hinter der großen Leinwand für ein Publikum bestehend aus Kindern. Licht und Dunkel verzaubert das junge Publikum - wohl auch deshalb hat Wenders den Film in schwarz-weiß gefilmt. Es braucht nicht viel, um die Magie des Kinos aufleben zu lassen. Und dass sie langsam schwindet hängt auch mit der filmischen Sozialisierung zu tun. Jeder hat die Chance, den Stand des Kinos zu verbessern und Filme zu respektieren. […]
[…] So zeigt sie eine Episode in einem Kindergarten, wo die Kinder bereits im jungen Alter die Lobeshymnen auf den Führer des Landes auswendig singen. Dabei entlarvt sich das Land zunächst selbst, wenn sie mit stolzgeschwellter Brust diesen Ort zur Schau stellen wollen und dabei jedoch nur überaus bittere Gesichter des westlichen Publikums ernten. Doch erzählt das irgendwie mehr über uns als über das Land Nordkorea an sich. Zudem wäre die gerümpfte Nase des westlichen Zuschauers einmal mehr ein vorgefertigter Elitärismus, geprägt durch unsere Massenmedien. Und an dem ist Cho keine Sekunde lang interessiert. Auch deshalb folgt auf die singenden Kinder eine Episode über einen Bauern auf dem Lande. Und als der uns erzählt, dass sein Glaube an den Führer die Motivation seines Lebens speist, da kommt das so vom Herzen, dass man ihn wirklich nicht als weiteren indoktrinierten und abgestumpften Bürger abtun kann. Hier beginnt die Doku die rein informierenden und interessanten Aspekte hinter sich zu lassen und begibt sich in einen Bereich, in welchem vom Zuschauer reflexive und selbstkritische Gedankenarbeit gefordert wird. […]
[…] Mit der Reise fängt es an. Ein Flugzeug fliegt lange Zeit ins Nichts. Der Himmel ist konturlos grau und obwohl die Kamera auf dem Boden steht, kommt lange Zeit kein Gegenstand, keine Vegetation ins Bild, die dem Zuschauer einen Anhaltspunkt geben würde. Keine direkte Information wird dem Publikum gegeben, sehr wenig direkte Information über den Ort der Szenerie. Ein verlassener Strand, das kalte Meer, die Schwelle zur Welt. Das Meer, das stets einladend aussieht, obwohl die Wellen in Richtung des Betrachters donnern. Hier ist der erfolglose und desillusionierte da inspirationslose Reporter Philip (Rüdiger Vogler, Im Lauf der Zeit), der immer gleiche Fotos macht. Es scheint ganz so, als würde er nachsehen wollen, ob die Realität und die Wahrheit seiner Bilder sich irgendwann ändern würden. Die kleine Alice beschreibt seine Fotos später als „leer“.
Und tatsächlich sind sie das. Auf den von ihm geschossenen Fotos fehlen manchmal plötzlich Teile, Menschen, Ob- und Subjekte. Wenders spielt hier natürlich mit der Realität und der vertrauensvollen Wahrnehmung des Zuschauers, indem er vorhin Gesehenes als Täuschung anreißt - und die Entscheidung, was nun wahr ist, dem Zuschauer überlässt. Philip ist in einer Schaffenskrise, er hält wenig von der Aufgabe seines Jobs, führt ihn nicht aus und verliert schließlich die Perspektive und Orientierung in seinem Leben. Schließlich gelangt Philip nach New York. Eigentlich die Stadt der Freiheit, für ihn die Stadt des Zwangs und der unangenehmen Verantwortung. Eine letzte Station vor der Freiheit. Er will fliehen und begibt sich noch einmal in die Höhle des Löwen, um das Handtuch zu werfen. […]
[…] Ein weiteres signifikantes Element des New Hollywood war von Beginn an die Montage. Jump Cuts begeisterten die Filmwelt, Match Cuts wurden zur Perfektion getrieben und was macht Friedkin? Der verbindet Dinge, die nicht verbunden werden sollten und macht das so geschmeidig und genial, dass man vom Sofa aufstehen und applaudieren möchte. Von den Blutergüssen der Ehefrau wird zur Fluchtfahrt vom Überfall geschnitten, die Orgelmusik der Kirche verbindet beide Szenen miteinander. Später, wenn Arbeiter in Lateinamerika bei einer Öl-Explosion ums Leben kommen und die Trauerzüge nachts durch das Dorf ziehen, dann übernehmen die Wehmuts-Schreie den Platz der Orgelmusik und werden dank Szeneriewechsel alsbald zum Schrei der Freiheit.
Es sind jedoch nicht nur Kapitalismus und Glauben, die Friedkin hier entlarvt, es ist auch seine große Hassliebe, Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Der amerikanische Traum der Freiheit wird in Sorcerer, so der Originaltitel, der Absurdität preisgegeben. Kurze und überraschende Momente der Ausgelassenheit weichen dem plötzlichen Verderben. Und wenn die Nitroglyzerin-Kästen die letzten Kilometer zu Fuß getragen werden, dann stellt sich die Frage nach dem Warum schon längst nicht mehr. Alle Rationalität ist abhanden gekommen, nur die Frage nach dem wie existiert noch. Und Scheider torkelt einmal mehr über eine blutrot glänzende Straße, über den Pfad der Verdammnis in seine eigene Hölle, aus der doch eigentlich entkommen wollte. […]
[…] Aufschneider ist natürlich, wie etwa Zettelpuppe oder Winkeladvokat, ein herablassender Begriff für Pathologen, Chirurgen und derer ähnliche Berufe. Generell ist der Film, dem Titel zum Trotz, seinen Figuren jedoch nicht bösartig gesinnt. Viel mehr beobachtet der Regisseur David Schalko (für Braunschlag gefeiert), der zusammen mit seinem Hauptdarsteller Josef Hader auch das Drehbuch schrieb, mit einer gewissen Nonchalance, einer Prise Schadenfreude und einem immer wieder gefühlvollen Momentum, das sich in überschaubaren Abständen seinen Figuren auf einer tieferen Ebene widmet. Das ist vor allem dann richtig angenehm, wenn man bedenkt, dass das totale Chaos in Aufmacher bereits nach fünf Minuten vorprogrammiert ist.
Dr. Fuhrmann (Josef Hader, aktuell in Vor der Morgenröte zu sehen) ist egoistisch und gibt keine fünf Pfennige auf seine äußerliche Erscheinung. Er hat sich nicht damit abgefunden, dass seine Frau jetzt seine Ex-Frau ist, niemand mag ihn auf der Arbeit, er nervt seine Umwelt mit seinem ewigen Zynismus und treibt alles so weit, dass selbst seine Tochter, die grad erst zu ihm gekommen ist, schon wieder abhaut und bei Fuhrmanns neuem Assistenten Unterschlupf und mit ihm einen Liebhaber bekommt. Das würde zwar schon genügen, um jeden Menschen zur Weißglut zu treiben, aber schönes Detail ist dabei noch, dass seine Frau, ähm, Ex-Frau jetzt mit dem snobistischen Chirurg aus dem gleichen Krankenhaus liiert ist. Es sind wohl diese Umstände, die Fuhrmann immer wieder zu Aussagen verleiten, die auch mal „Eigentlich ist er schön, der Krebs.“ lauten können. […]
[…] Die Logik der Journalisten ist dabei unfehlbar. Was passiert, wenn die Wahrheit rauskommt und die Zeitung als Lügenpresse diffamiert? Das wird nicht passieren. (Fotos, das sind die Wahrheit.) Was passiert, wenn Saijo und Aoye klagen? Dann steigert sich Auflage, Verkauf und Umsatz der Zeitung. Logik und Geschäftsmodell gehen Hand in Hand, für Moral ist dabei wenig Platz vorhanden. Die Zeitungen haben einen Machtbereich, der viel größer und feingliederiger ist als der der Judikative. Alsbald entfaltet sich eine Spirale aus Subjektivität (der Rashomon-Effekt, den Kurosawa im gleichen Jahr mit dem so genannten Film behandelte), Gier, Macht und allgemeiner Böswilligkeit. Und wenn der Gerichtsprozess beginnt, dann positionieren sich die vielen Kameras der Medien im Saal und bewegen sich synchron wie Balletttänzer im Takt mit den relevanten Personen. So wird aus dem Ernst des Lebens für die Angeklagten schnell ein künstlerisches Produkt für die Masse. Unberuhigend ist, wie wenig sich dahingehend tatsächlich geändert hat, wie zeitaktuell dieses Werk noch immer ist. Beruhigend ist, dass Kurosawa am Ende zeigt, dass jeder angebliche Skandal ebenso beständig ist, wie ein Laubblatt im Herbstwind. […]
[…] Der Film beginnt mit einem majestätischen Gleitflug über die Themse in London. Hier sind wir also nun, fernab von den abgeschiedenen Motels, fernab von den Penthouse-Wohnungen einer Großstadt oder Mount Rushmore. Stattdessen sind wir in einer Industriemetropole, überall raucht und dampft es, von den riesigen Wolkenkratzern Manhattans ist die Stadt weit entfernt. Am Ende des Fluges über den Fluss wartet eine extreme Aufsicht auf eine Versammlung von Menschen, die einem Redner zuhören. Mr. Hitchcock ist in dieser Menge natürlich inbegriffen. Kurz darauf entdecken einige Vertreter aus dieser Versammlung eine Leiche im Fluss, über den der Zuschauer noch eben glitt. Hitch stellt lakonisch eine Verbindung zwischen dem Zuschauer und dem Mörder her. Seine ganze Karriere lang wurden seine Filme als zu brutal, hässlich, unmenschlich und noch weiteres kritisiert; vergessen wurde dabei eines: Niemand zwingt ein Publikum, sich einen Film anzuschauen. Mitgefangen, mitgehangen; der Zuschauer ist selbst Schuld, wenn er sich gerne das Grauen ansieht, das von einem Hitchcock-Film ausgeht. Nicht nur in der Manier scheint Frenzy ein aufgewecktes Fazit einer großen Karriere zu sein. […]
[…] Der Film über Schönheit quillt dem Werk dabei aus jeder einzelnen Pore. Nicht nur, dass Refn hier immer wieder neue Wege findet, bekanntes darzustellen; der ganze Film sieht aus wie eine Hochglanzfotografie oberster Qualität. Schönheit ist dabei jedoch eine trügerische Eigenschaft. Sie kann sicherlich viel bewegen, sie kann zu Reichtum führen, sie kann das Leben eines Menschen bestimmen. Aber sie kann auch Laster sein. Dabei kommt natürlich zunächst Narziss aus der griechischen Mythologie in den Sinn, der sich in sein Spiegelbild verliebte. Spiegelbilder sind dabei ein Element in The Neon Demon, das Beachtung verdient; zunächst dient es dem Schutze, später der Versicherung und schließlich - es wurde angedeutet - wird zum schmerzhaften Laster. Doch die Gefahr der Schönheit kann auch von Dritten ausgehen. So zum Beispiel von Hank (Keanu Reeves!, John Wick), dem das Motel besitzt, in dem Jesse zunächst wohnt. Der wird von der Schönheit angezogen, doch kommt sie für ihn im Einklang mit einer sexuell-gewalttätigen Konnotation. Impulsartig macht er sich dran, sie zu zerstören. […]
[…] In tristen und kalten Bildern erstreckt sich das Leben von Klaus Roth (Tom Schilling, Oh Boy), der schon kein mustergültiger Mensch zu sein scheint, bevor er den entscheidenen Auftrag bekommt, für den er Undercover in einen Wettmafia-Ring eingeschleust werden soll. Als verdeckter Ermittler in die Höhle des Löwen und das Herz der Kriminalität. Wir lernen Roth kennen, als er Eishockey spielt und eine beherzte Keilerei mit Kollegen entstehen lässt. Kurz darauf wird er offiziell verhaftet, abgeführt und irgendwo im deutschen Nirgendwo mit seinem neuen Chef konfrontiert. Der wird von niemand geringerem als Jens Albinus (Idioten) verkörpert, der seiner Figur ein herrlich abgehalftertes Aussehen verpasst. „Wer sich irgendwann nicht mehr an seine eigenen Lügen erinnern kann, ist ein toter Mann.“ Er sagt das so daher, aber die Aussage verfehlt nicht an Wirkung. Im Gegenteil, die Kraft der Aussage kommt mit einem Schlag und sinkt dann immer tiefer ein. In Momenten wie diesen versucht man stets, seinen Verstand um die Aussagen zu wickeln, ihre Reichweite zu verstehen - und stößt dabei teilweise an seine Grenzen. […] Der Regisseur Kadelbach zeigt intensiv, wie das Leben eines verdeckten Ermittlers ablaufen kann. Immer tiefer wird Roth aka Milan in das Geschehen gezogen, tiefer in die Familie, tiefer in die Kriminalität, tiefer in den Strudel des Verderbens. Kadelbach schwört dabei männliche Idealbilder herauf, um sie im nächsten Zug direkt brutal scheitern zu lassen. Der Auftragsmord als Beweis der Treue und Männlichkeit in dem einen Moment, der provozierte Schnupfen im nächsten Moment. Das Wehwehchen, das Roths Kopf aus der Schlinge ziehen soll. Doch das Damoklesschwert bleibt über Roth hängen und droht stets, ihn zu zerstören. Die titelgebende kurze Distanz wird dabei immer wieder zum Gegenstand des Films. Sei es die Entfernung zwischen Täter und Opfer, zwischen Ermittler und Verdächtigem, Figur und Kamera oder auch ganz schlicht zwischen Verlust und Gewinn. In dieser Welt kann es nur einen Gewinner geben. Und der Gewinner ist immer der, der sich ohne jegliche Grenzen bewegen kann. […]
Wenn Simon sich nach ein paar Szenen erneut auf den Weg zum Gipfel begibt, um die Urlauber zu bestehlen, sehen wir seine Tat in einem weiteren Kontext. Wir sehen die Gondel, in der er zum Berg fährt einsam und ruhig in der Luft zuckeln - immer dichter gegen die gigantische Bergwand, die den Rest des Bildes ausfüllt. Es sind solche Einstellungen, die eine Menge über Simon und seine Situation aussagen, die die Macht des Bildes voll ausschöpfen und einem das Herz brechen können. Mehrmals zeigt Meier wie Simon mit einer Last in Richtung Berglandschaft stiefelt, sein Leben ist eine Sisyphos-Aufgabe, hat kein klares Ziel, keine Meilensteine der Hoffnung und Regeneration. Die Zeit verfliegt, auch in Simons Leben, so ist das nun einmal. Schlimm ist jedoch, wenn es Kindern bereits störend auffällt. Schlimm ist, wenn Kinder in so jungen Jahren unzufrieden mit ihrem Leben sind und dabei reifer handeln, als ihre Erziehungsbeauftragten.
Claude Chabrols Film „Vor Einbruch der Nacht“ ist ein großartiges Werk, das sich mit den Schäden der damaligen gutbetuchten Gesellschaft auseinandersetzt. Die Strände sind kalt, stürmisch und grau, die Wellen verschlingen sich selbst, die Gesichter der Figuren sind von seelischem Schmerz erfüllt, doch die Münder stumm. Blicke sind alles in diesem Film, sie erzählen die Geschichte von Anfang bis Ende, füllen Ellipsen und vollenden das Werk Chabrols. Und wenn dann der Zeitungsbericht über den Mord mit „Antiquitätenhändlerin in möblierter Wohnung ermordet“ beginnt, dann zeugt die Gesellschaft von einem selbstverständlichen Zynismus im Endstadium. Etwas ist von Grund auf kaputt in dieser Gesellschaft und ich glaube, wir sollten darüber reden.
Interessanter, aber nicht restlos glaubwürdiger Einblick in den Menschen Nicolas Winding Refn. Eigentlich kein Einblick in dem Sinne, eher eine Art Behind the Scenes über die gesamte Spanne der Produktion von „Only God Forgives“ hinweg, bietet der Film für den geneigten Zuschauer und Leser wenig überraschend neues zum Menschen Refn oder der Entstehung des Films. Wohl auch, wie Liv Corfixen mal anmerkt, weil Refn sie nie filmen ließ, wenn mal was schief lief. Als Fan kann man sich die kleine Doku gerne ansehen, große Erwartungen sollte man jedoch nicht haben.
Als Zeitdokument funktioniert das Werk hervorragend; hier lassen sich gute Einblicke in das Leben der Berliner in den späten 20ern gewinnen. Filmhistorisch ist der vielleicht dank der fixen Schnitttechnik auch noch interessant, aber die riesengroße Baustelle des Films ist ein gravierender Punkt: Mit dem, was der Herr Walter Ruttmann IN den Frame packt, ist er restlos überfordert. Da ist nichts wirklich interessant, aussagekräftig oder sonst wie erwähnenswert. Und so reiht er 65 Minuten lang Tagestäglichkeiten aneinander. Da weiß man, was man an Sergei Eisenstein hat.
[…] Wir leben in Zeiten, in denen ein Mann Präsident des mächtigsten Landes der Welt werden möchte, der gegen jede Bevölkerungsgruppe zu wettern scheint, die ihm grad so vor den Latz geknallt wird (und dann auch noch hohe Zustimmung zugestanden bekommt). Da wirkt es fast schon knuddelig im Bud Spencer-Sinne, wenn der korrupte Paul Dinge sagt, wie „Ich glaube, ich lasse ihn mal meine vorsichtige linke Faust riechen.“. Paul ist ein impulsiver Choleriker, der von Gier getrieben ist und keinerlei Würde in sich trägt. So scheint es zumindest zu Anfang des Films. Größe wird Paul erst noch erlernen müssen, aber das ist vollkommen in Ordnung. Es widerspricht allerdings auch ein Stück weit dem gängigen Film Noir-Mechanismus, das den Helden am Ende an seiner Aufgabe scheitern sehen will. Das Genre steckt hier noch in seinen Kinderschuhen, das ist überaus deutlich. […]
"Der Gläserne Schlüssel" ist ein frühes Werk des Film Noir und als solches durchaus sehenswert. So lässt sich hier nicht nur schön erlernen, wie ein Genre mit sich wächst und wie es entwickelt wird, denn der Film von Stuart Heisler verspricht zudem unterhaltsame neunzig Minuten. Diese hätten zwar hier und da abgespeckt werden können, doch exerzieren sie überaus zielstrebig den gegebenen Konflikt durch und zeigen auf, wie Wut in Unvernunft, Unvernunft in Gewalt und schließlich in Hass umschwenken kann. Das ist zwar stets sehr einfach gehalten, hat jedoch auch immer noch seinen unverkennbaren Charme.
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Es ist mittlerweile mehr als zwei Jahre her, dass ich Malicks Arbeit von Baulands - Zerschossene Träume bis The New World durchgeschaut habe. Ich vermag mich nicht zu erinnern, ob Müdigkeit oder eine technische Behinderung dazu führte, dass ich aufhörte seine Filme zu sehen. Doch hatte ich alle Werke mindestens überdurchschnittlich bis sehr gut in Erinnerung. The Tree of Life schließlich setzt seiner mir bekannten Filmographie eine wohl verdiente Krone auf. Das Werk, das Malick nach Days of Heaven begann und erst Dekaden später realisieren konnte, macht sich die Zeit als Element der Erzählung ebenso selbstverständlich und visionär zu eigen wie einst Stanley Kubrick in 2001. Letzterer springt von der Zeit des Affen ins Jahr 2001, Malick springt aus den 50ern zum Urknall. Er erzählt von den Beginnen, er erzählt von Liebe und Macht, Glauben und Hass. Besonders beeindruckend - sicherlich neben der großartigen Arbeit von Emmanuel Lubezki und Douglas Trumbull der größte Faktor für die Wirkung des Films - ist die Schnittarbeit von Malick. Ganze fünf Cutter hat der Herr engagiert; The Tree of Life ist ein Dokument von Malicks Arbeitsprozess und -philosophie in der Postproduktion. Wie wild werden die ruhigen, sanften, poetischen Einstellungen aneinandergereiht. Aus dem Prinzip des unsichtbaren Schnitts des klassischen Erzählkinos wird ein Prinzip des omnipräsenten Schnitts. Jeder Schnitt reizt den Verstand des Zuschauers, Verbindungen herzustellen. Malick fordert den Zuschauer heraus und bringt ihn dazu, derart viele Verbindungen zu erstellen, dass die Seele sich vom Körper zu trennen scheint. Der Verstand arbeitet auf Hochtouren, der Körper entspannt ob der tranceartigen Kraft der Bilder, die zwischen den Schnitten zu sehen sind. Ein Film, der sich als belohnenden Kraftakt der visuellen Ruhe beweist.
Ja, was für ein Mann. Ein dunkler Ritter. Wenn da nicht der Scheinwerferkegel wäre, den er krampfhaft auf sich lenkt.
Hallo mein Freund,
habe mich wie du bei Mubi auf Lav Diaz gefreut, wurde dann von der Evolution der Filipino Family enttäuscht und habe dann die anderen Filme ausgelassen. Nur an Florentina Hubaldo, CTE habe ich mich noch rangetraut. Meine Frage nun an dich: Inwiefern glaubst du, vermittelt Diaz in seinen Filmen ein zutreffendes Bild seines Landes?
Was muss man sich nicht alles gefallen lassen, als einer der heute irgendwie vergessenen, damals aber ganz großen Filmschaffenden, wie Paul Schrader sie verkörpert? Damals mit dem Buch zu Taxi Driver und der Regiearbeit bei beispielsweise Mishima: A Life in Four Chapters immer wieder Garant für herausragende Filmkunst abseits der Gewohnheiten, heute… wenig. Was war eigentlich das letzte Projekt, das man von ihm aufmerksam verfolgt hat? Eigentlich auch egal, denn Schrader ist jetzt wieder da, hat sich mit Nicolas Cage und Willem Dafoe zwei alte Bekannte mitgenommen (beide kennt er durch Marty Scorseses Arbeiten) und macht einen auf William Friedkin. Der hat nämlich sein bislang letztes Regie-Werk Killer Joe dem Publikum so wunderbar süffisant vor den Latz geknallt, wie es nur solche alten Hasen können, die die Filmlandschaft noch anders kennen. Jene, denen Jahr für Jahr gesagt wird, sie könnten keine Gewinne mehr generieren. Diese, die dann einen filmischen Mittelfinger aufs Zelluloid bannen. Gelobt seien sie.
Dog Eat Dog ist dann auch schließlich einer dieser Filme geworden, bei denen man dem Regisseur anmerkt, dass er (und das schreibe ich nun mit jedem erdenklichen Maße an Respekt) im Alter immer noch gehörig auf die Kacke hauen kann. Schrader empfängt den Zuschauer mit einer vorsichtigen Ausgangslage. Im TV läuft eine Talkshow, wo ein Verfechter der Zweiten Erweiterung der Verfassung der Vereinigten Staaten (in der das Recht auf Waffenbesitz garantiert wird) mit dem Moderator argumentiert, weshalb es einfach eine Pumpgun braucht, um ruhig schlafen zu können. Über dieses Bild lässt Paul Schrader ganz nüchtern seinen Namen einblenden. I’m back, bitch. Und jetzt halt dich fest. Man mag nämlich zunächst einen bemitleidenden Ton zu erhaschen meinen. Schrader distanziert sich klar von dem Waffen-Idioten da im TV, aber nicht auf eine sachliche Art und Weise, sondern indem er jegliche Richtwerte hinter sich lässt und einfach alle Moralitäten in den Boden stampft. Wer eine Pumpgun braucht, um sein Haus vor koksenden Irren zu beschützen, der vergisst bestimmt, dass auch koksende Irre (darf ich vorstellen: Willem Dafoe) eine Pumpgun besorgen können.
Schrader zeigt; wir leben in einer schrecklichen Welt, in der der Schrecken durch die Medien noch künstlich aufgeplustert wird - obwohl das gar nicht nötig wäre. Der Regisseur weiß das und sagt dem den Kampf an, indem er ebendiese ins schwer zu Konsumierende erhöht. Er versucht, die Welt mit den eigenen Mitteln zu schlagen. Grund zur Besserung/Änderung in den Medien - auch im Kino - ist selten Rationalität, sondern einfach Übersättigung. Schrader positioniert die Kamera mehrmals extra in einer besseren Position, um die Gewalt, das Blut und alles was so dazu gehört besser im Frame zu haben. Er spielt dabei immer wieder mit inszenatorischen Regeln, mit Humor, Geschmacksgrenzen, testet diese aus, mal mit Applaus, mal mit Abneigung als Ergebnis - verlieren tut er den Zuschauer dabei nie. Es ist nämlich bewusst, dass es hier um wichtigeres geht, als darum, mal wieder von irgendeiner Formulierung eines dahergelaufenen Idioten im Namen anderer beleidigt zu sein. Schrader dehnt mal aus, dann staucht er wieder zusammen. Er fabuliert und musiziert, dirigiert und inszeniert. Er macht alles, worauf er Lust hat in dem Stil, auf den er gerade Lust hat. Er geht von den 2010ern in das antike Griechenland, von den 40ern in die Generation Facebook. Müde wird er dabei nicht. Und auch wenn er wenig bis gar nichts dem Zuschauer vorgekaut und unterschrieben am Ende darlegt, so reißt er doch viele Gedanken an. So viele, dass man am Ende gar nicht sicher ist, ob man jetzt totale Grütze oder das Werk eines Genies gesehen hat. Momentan stimme ich für letzteres.
Ihr habt Ghostbusters 25x falsch geschrieben.
Der dritte und letzte Teil von Wim Wenders’ Roadmovie-Trilogie (Alice in den Städten, Falsche Bewegung und Im Lauf der Zeit) ist gewissermaßen eine direkte Fortführung im größeren Stil von Alice. Während Alice über die Fotografie und das Fernsehen erzählte, zeigte, wie die Menschen versuchen sich in ihrer wundersamen Wirkung zu verlieren, wie der Bilderrausch immer ausbeutender und aufsehenerzwingender wird. Hier jedoch geht es Wenders um die große Liebe Kino. Der Film von 1976 ist in schwarz-weiß gedreht, dauert 176 Minuten und ist überaus ruhiges Autoren-Kino. Ausbeutend und aufsehenerzwingend ist hier gar nichts, viel mehr fordert Wenders von seinem Publikum eine neue Herangehensweise ans Kino. Eine, die sich tiefergehend mit dem Medium auseinandersetzt und dem Film Respekt und Geduld entgegenbringt. Leider ist das heutzutage anscheinend schon zu viel verlangt. […] Wenders baut eine immens enge Beziehung zwischen den Figuren und dem Publikum auf und versucht darüber, das persönliche Kino zu retten. Ein Versuch, der nun rückblickend gesehen zum Scheitern verurteilt war. Aber ist Wenders auch gescheitert? Ist er das wirklich, wenn es immer wieder Zuschauer gibt, die den Weg zu Im Lauf der Zeit finden, die sich befreien lassen und für drei Stunden überzeugen lassen, dass das Kino so lebendig ist wie eh und je. Deshalb folgt Wenders seinen Figuren bis in intimste Momente (buchstäblich bis zum Defäkieren in der Natur). Deshalb zeigt er seine Figuren beim Ausführen von Kino in seiner Reinform. Robert und Bruno vollführen Schattenspiele hinter der großen Leinwand für ein Publikum bestehend aus Kindern. Licht und Dunkel verzaubert das junge Publikum - wohl auch deshalb hat Wenders den Film in schwarz-weiß gefilmt. Es braucht nicht viel, um die Magie des Kinos aufleben zu lassen. Und dass sie langsam schwindet hängt auch mit der filmischen Sozialisierung zu tun. Jeder hat die Chance, den Stand des Kinos zu verbessern und Filme zu respektieren. […]
[…] So zeigt sie eine Episode in einem Kindergarten, wo die Kinder bereits im jungen Alter die Lobeshymnen auf den Führer des Landes auswendig singen. Dabei entlarvt sich das Land zunächst selbst, wenn sie mit stolzgeschwellter Brust diesen Ort zur Schau stellen wollen und dabei jedoch nur überaus bittere Gesichter des westlichen Publikums ernten. Doch erzählt das irgendwie mehr über uns als über das Land Nordkorea an sich. Zudem wäre die gerümpfte Nase des westlichen Zuschauers einmal mehr ein vorgefertigter Elitärismus, geprägt durch unsere Massenmedien. Und an dem ist Cho keine Sekunde lang interessiert. Auch deshalb folgt auf die singenden Kinder eine Episode über einen Bauern auf dem Lande. Und als der uns erzählt, dass sein Glaube an den Führer die Motivation seines Lebens speist, da kommt das so vom Herzen, dass man ihn wirklich nicht als weiteren indoktrinierten und abgestumpften Bürger abtun kann. Hier beginnt die Doku die rein informierenden und interessanten Aspekte hinter sich zu lassen und begibt sich in einen Bereich, in welchem vom Zuschauer reflexive und selbstkritische Gedankenarbeit gefordert wird. […]
[…] Mit der Reise fängt es an. Ein Flugzeug fliegt lange Zeit ins Nichts. Der Himmel ist konturlos grau und obwohl die Kamera auf dem Boden steht, kommt lange Zeit kein Gegenstand, keine Vegetation ins Bild, die dem Zuschauer einen Anhaltspunkt geben würde. Keine direkte Information wird dem Publikum gegeben, sehr wenig direkte Information über den Ort der Szenerie. Ein verlassener Strand, das kalte Meer, die Schwelle zur Welt. Das Meer, das stets einladend aussieht, obwohl die Wellen in Richtung des Betrachters donnern. Hier ist der erfolglose und desillusionierte da inspirationslose Reporter Philip (Rüdiger Vogler, Im Lauf der Zeit), der immer gleiche Fotos macht. Es scheint ganz so, als würde er nachsehen wollen, ob die Realität und die Wahrheit seiner Bilder sich irgendwann ändern würden. Die kleine Alice beschreibt seine Fotos später als „leer“.
Und tatsächlich sind sie das. Auf den von ihm geschossenen Fotos fehlen manchmal plötzlich Teile, Menschen, Ob- und Subjekte. Wenders spielt hier natürlich mit der Realität und der vertrauensvollen Wahrnehmung des Zuschauers, indem er vorhin Gesehenes als Täuschung anreißt - und die Entscheidung, was nun wahr ist, dem Zuschauer überlässt. Philip ist in einer Schaffenskrise, er hält wenig von der Aufgabe seines Jobs, führt ihn nicht aus und verliert schließlich die Perspektive und Orientierung in seinem Leben. Schließlich gelangt Philip nach New York. Eigentlich die Stadt der Freiheit, für ihn die Stadt des Zwangs und der unangenehmen Verantwortung. Eine letzte Station vor der Freiheit. Er will fliehen und begibt sich noch einmal in die Höhle des Löwen, um das Handtuch zu werfen. […]
[…] Ein weiteres signifikantes Element des New Hollywood war von Beginn an die Montage. Jump Cuts begeisterten die Filmwelt, Match Cuts wurden zur Perfektion getrieben und was macht Friedkin? Der verbindet Dinge, die nicht verbunden werden sollten und macht das so geschmeidig und genial, dass man vom Sofa aufstehen und applaudieren möchte. Von den Blutergüssen der Ehefrau wird zur Fluchtfahrt vom Überfall geschnitten, die Orgelmusik der Kirche verbindet beide Szenen miteinander. Später, wenn Arbeiter in Lateinamerika bei einer Öl-Explosion ums Leben kommen und die Trauerzüge nachts durch das Dorf ziehen, dann übernehmen die Wehmuts-Schreie den Platz der Orgelmusik und werden dank Szeneriewechsel alsbald zum Schrei der Freiheit.
Es sind jedoch nicht nur Kapitalismus und Glauben, die Friedkin hier entlarvt, es ist auch seine große Hassliebe, Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Der amerikanische Traum der Freiheit wird in Sorcerer, so der Originaltitel, der Absurdität preisgegeben. Kurze und überraschende Momente der Ausgelassenheit weichen dem plötzlichen Verderben. Und wenn die Nitroglyzerin-Kästen die letzten Kilometer zu Fuß getragen werden, dann stellt sich die Frage nach dem Warum schon längst nicht mehr. Alle Rationalität ist abhanden gekommen, nur die Frage nach dem wie existiert noch. Und Scheider torkelt einmal mehr über eine blutrot glänzende Straße, über den Pfad der Verdammnis in seine eigene Hölle, aus der doch eigentlich entkommen wollte. […]
[…] Aufschneider ist natürlich, wie etwa Zettelpuppe oder Winkeladvokat, ein herablassender Begriff für Pathologen, Chirurgen und derer ähnliche Berufe. Generell ist der Film, dem Titel zum Trotz, seinen Figuren jedoch nicht bösartig gesinnt. Viel mehr beobachtet der Regisseur David Schalko (für Braunschlag gefeiert), der zusammen mit seinem Hauptdarsteller Josef Hader auch das Drehbuch schrieb, mit einer gewissen Nonchalance, einer Prise Schadenfreude und einem immer wieder gefühlvollen Momentum, das sich in überschaubaren Abständen seinen Figuren auf einer tieferen Ebene widmet. Das ist vor allem dann richtig angenehm, wenn man bedenkt, dass das totale Chaos in Aufmacher bereits nach fünf Minuten vorprogrammiert ist.
Dr. Fuhrmann (Josef Hader, aktuell in Vor der Morgenröte zu sehen) ist egoistisch und gibt keine fünf Pfennige auf seine äußerliche Erscheinung. Er hat sich nicht damit abgefunden, dass seine Frau jetzt seine Ex-Frau ist, niemand mag ihn auf der Arbeit, er nervt seine Umwelt mit seinem ewigen Zynismus und treibt alles so weit, dass selbst seine Tochter, die grad erst zu ihm gekommen ist, schon wieder abhaut und bei Fuhrmanns neuem Assistenten Unterschlupf und mit ihm einen Liebhaber bekommt. Das würde zwar schon genügen, um jeden Menschen zur Weißglut zu treiben, aber schönes Detail ist dabei noch, dass seine Frau, ähm, Ex-Frau jetzt mit dem snobistischen Chirurg aus dem gleichen Krankenhaus liiert ist. Es sind wohl diese Umstände, die Fuhrmann immer wieder zu Aussagen verleiten, die auch mal „Eigentlich ist er schön, der Krebs.“ lauten können. […]
[…] Die Logik der Journalisten ist dabei unfehlbar. Was passiert, wenn die Wahrheit rauskommt und die Zeitung als Lügenpresse diffamiert? Das wird nicht passieren. (Fotos, das sind die Wahrheit.) Was passiert, wenn Saijo und Aoye klagen? Dann steigert sich Auflage, Verkauf und Umsatz der Zeitung. Logik und Geschäftsmodell gehen Hand in Hand, für Moral ist dabei wenig Platz vorhanden. Die Zeitungen haben einen Machtbereich, der viel größer und feingliederiger ist als der der Judikative. Alsbald entfaltet sich eine Spirale aus Subjektivität (der Rashomon-Effekt, den Kurosawa im gleichen Jahr mit dem so genannten Film behandelte), Gier, Macht und allgemeiner Böswilligkeit. Und wenn der Gerichtsprozess beginnt, dann positionieren sich die vielen Kameras der Medien im Saal und bewegen sich synchron wie Balletttänzer im Takt mit den relevanten Personen. So wird aus dem Ernst des Lebens für die Angeklagten schnell ein künstlerisches Produkt für die Masse. Unberuhigend ist, wie wenig sich dahingehend tatsächlich geändert hat, wie zeitaktuell dieses Werk noch immer ist. Beruhigend ist, dass Kurosawa am Ende zeigt, dass jeder angebliche Skandal ebenso beständig ist, wie ein Laubblatt im Herbstwind. […]
Das nenne ich mal einen TV-Tipp! Sehr schön. Da verzeihe ich euch glatt die Nummer gestern mit ihr-wisst-schon-wem.
[…] Der Film beginnt mit einem majestätischen Gleitflug über die Themse in London. Hier sind wir also nun, fernab von den abgeschiedenen Motels, fernab von den Penthouse-Wohnungen einer Großstadt oder Mount Rushmore. Stattdessen sind wir in einer Industriemetropole, überall raucht und dampft es, von den riesigen Wolkenkratzern Manhattans ist die Stadt weit entfernt. Am Ende des Fluges über den Fluss wartet eine extreme Aufsicht auf eine Versammlung von Menschen, die einem Redner zuhören. Mr. Hitchcock ist in dieser Menge natürlich inbegriffen. Kurz darauf entdecken einige Vertreter aus dieser Versammlung eine Leiche im Fluss, über den der Zuschauer noch eben glitt. Hitch stellt lakonisch eine Verbindung zwischen dem Zuschauer und dem Mörder her. Seine ganze Karriere lang wurden seine Filme als zu brutal, hässlich, unmenschlich und noch weiteres kritisiert; vergessen wurde dabei eines: Niemand zwingt ein Publikum, sich einen Film anzuschauen. Mitgefangen, mitgehangen; der Zuschauer ist selbst Schuld, wenn er sich gerne das Grauen ansieht, das von einem Hitchcock-Film ausgeht. Nicht nur in der Manier scheint Frenzy ein aufgewecktes Fazit einer großen Karriere zu sein. […]
[…] Der Film über Schönheit quillt dem Werk dabei aus jeder einzelnen Pore. Nicht nur, dass Refn hier immer wieder neue Wege findet, bekanntes darzustellen; der ganze Film sieht aus wie eine Hochglanzfotografie oberster Qualität. Schönheit ist dabei jedoch eine trügerische Eigenschaft. Sie kann sicherlich viel bewegen, sie kann zu Reichtum führen, sie kann das Leben eines Menschen bestimmen. Aber sie kann auch Laster sein. Dabei kommt natürlich zunächst Narziss aus der griechischen Mythologie in den Sinn, der sich in sein Spiegelbild verliebte. Spiegelbilder sind dabei ein Element in The Neon Demon, das Beachtung verdient; zunächst dient es dem Schutze, später der Versicherung und schließlich - es wurde angedeutet - wird zum schmerzhaften Laster. Doch die Gefahr der Schönheit kann auch von Dritten ausgehen. So zum Beispiel von Hank (Keanu Reeves!, John Wick), dem das Motel besitzt, in dem Jesse zunächst wohnt. Der wird von der Schönheit angezogen, doch kommt sie für ihn im Einklang mit einer sexuell-gewalttätigen Konnotation. Impulsartig macht er sich dran, sie zu zerstören. […]
Nicht euer Ernst...
Wie kommt dieser knackbescheuerte Müll denn auf einen Durchschnitt von 6?! :D
[…] In tristen und kalten Bildern erstreckt sich das Leben von Klaus Roth (Tom Schilling, Oh Boy), der schon kein mustergültiger Mensch zu sein scheint, bevor er den entscheidenen Auftrag bekommt, für den er Undercover in einen Wettmafia-Ring eingeschleust werden soll. Als verdeckter Ermittler in die Höhle des Löwen und das Herz der Kriminalität. Wir lernen Roth kennen, als er Eishockey spielt und eine beherzte Keilerei mit Kollegen entstehen lässt. Kurz darauf wird er offiziell verhaftet, abgeführt und irgendwo im deutschen Nirgendwo mit seinem neuen Chef konfrontiert. Der wird von niemand geringerem als Jens Albinus (Idioten) verkörpert, der seiner Figur ein herrlich abgehalftertes Aussehen verpasst. „Wer sich irgendwann nicht mehr an seine eigenen Lügen erinnern kann, ist ein toter Mann.“ Er sagt das so daher, aber die Aussage verfehlt nicht an Wirkung. Im Gegenteil, die Kraft der Aussage kommt mit einem Schlag und sinkt dann immer tiefer ein. In Momenten wie diesen versucht man stets, seinen Verstand um die Aussagen zu wickeln, ihre Reichweite zu verstehen - und stößt dabei teilweise an seine Grenzen. […] Der Regisseur Kadelbach zeigt intensiv, wie das Leben eines verdeckten Ermittlers ablaufen kann. Immer tiefer wird Roth aka Milan in das Geschehen gezogen, tiefer in die Familie, tiefer in die Kriminalität, tiefer in den Strudel des Verderbens. Kadelbach schwört dabei männliche Idealbilder herauf, um sie im nächsten Zug direkt brutal scheitern zu lassen. Der Auftragsmord als Beweis der Treue und Männlichkeit in dem einen Moment, der provozierte Schnupfen im nächsten Moment. Das Wehwehchen, das Roths Kopf aus der Schlinge ziehen soll. Doch das Damoklesschwert bleibt über Roth hängen und droht stets, ihn zu zerstören. Die titelgebende kurze Distanz wird dabei immer wieder zum Gegenstand des Films. Sei es die Entfernung zwischen Täter und Opfer, zwischen Ermittler und Verdächtigem, Figur und Kamera oder auch ganz schlicht zwischen Verlust und Gewinn. In dieser Welt kann es nur einen Gewinner geben. Und der Gewinner ist immer der, der sich ohne jegliche Grenzen bewegen kann. […]
"Winterdieb"
Wenn Simon sich nach ein paar Szenen erneut auf den Weg zum Gipfel begibt, um die Urlauber zu bestehlen, sehen wir seine Tat in einem weiteren Kontext. Wir sehen die Gondel, in der er zum Berg fährt einsam und ruhig in der Luft zuckeln - immer dichter gegen die gigantische Bergwand, die den Rest des Bildes ausfüllt. Es sind solche Einstellungen, die eine Menge über Simon und seine Situation aussagen, die die Macht des Bildes voll ausschöpfen und einem das Herz brechen können. Mehrmals zeigt Meier wie Simon mit einer Last in Richtung Berglandschaft stiefelt, sein Leben ist eine Sisyphos-Aufgabe, hat kein klares Ziel, keine Meilensteine der Hoffnung und Regeneration. Die Zeit verfliegt, auch in Simons Leben, so ist das nun einmal. Schlimm ist jedoch, wenn es Kindern bereits störend auffällt. Schlimm ist, wenn Kinder in so jungen Jahren unzufrieden mit ihrem Leben sind und dabei reifer handeln, als ihre Erziehungsbeauftragten.
"Vor Einbruch der Nacht"
Claude Chabrols Film „Vor Einbruch der Nacht“ ist ein großartiges Werk, das sich mit den Schäden der damaligen gutbetuchten Gesellschaft auseinandersetzt. Die Strände sind kalt, stürmisch und grau, die Wellen verschlingen sich selbst, die Gesichter der Figuren sind von seelischem Schmerz erfüllt, doch die Münder stumm. Blicke sind alles in diesem Film, sie erzählen die Geschichte von Anfang bis Ende, füllen Ellipsen und vollenden das Werk Chabrols. Und wenn dann der Zeitungsbericht über den Mord mit „Antiquitätenhändlerin in möblierter Wohnung ermordet“ beginnt, dann zeugt die Gesellschaft von einem selbstverständlichen Zynismus im Endstadium. Etwas ist von Grund auf kaputt in dieser Gesellschaft und ich glaube, wir sollten darüber reden.
"My Life Directed by Nicolas Winding Refn"
Interessanter, aber nicht restlos glaubwürdiger Einblick in den Menschen Nicolas Winding Refn. Eigentlich kein Einblick in dem Sinne, eher eine Art Behind the Scenes über die gesamte Spanne der Produktion von „Only God Forgives“ hinweg, bietet der Film für den geneigten Zuschauer und Leser wenig überraschend neues zum Menschen Refn oder der Entstehung des Films. Wohl auch, wie Liv Corfixen mal anmerkt, weil Refn sie nie filmen ließ, wenn mal was schief lief. Als Fan kann man sich die kleine Doku gerne ansehen, große Erwartungen sollte man jedoch nicht haben.
"Berlin - Die Sinfonie der Großstadt"
Als Zeitdokument funktioniert das Werk hervorragend; hier lassen sich gute Einblicke in das Leben der Berliner in den späten 20ern gewinnen. Filmhistorisch ist der vielleicht dank der fixen Schnitttechnik auch noch interessant, aber die riesengroße Baustelle des Films ist ein gravierender Punkt: Mit dem, was der Herr Walter Ruttmann IN den Frame packt, ist er restlos überfordert. Da ist nichts wirklich interessant, aussagekräftig oder sonst wie erwähnenswert. Und so reiht er 65 Minuten lang Tagestäglichkeiten aneinander. Da weiß man, was man an Sergei Eisenstein hat.
[…] Wir leben in Zeiten, in denen ein Mann Präsident des mächtigsten Landes der Welt werden möchte, der gegen jede Bevölkerungsgruppe zu wettern scheint, die ihm grad so vor den Latz geknallt wird (und dann auch noch hohe Zustimmung zugestanden bekommt). Da wirkt es fast schon knuddelig im Bud Spencer-Sinne, wenn der korrupte Paul Dinge sagt, wie „Ich glaube, ich lasse ihn mal meine vorsichtige linke Faust riechen.“. Paul ist ein impulsiver Choleriker, der von Gier getrieben ist und keinerlei Würde in sich trägt. So scheint es zumindest zu Anfang des Films. Größe wird Paul erst noch erlernen müssen, aber das ist vollkommen in Ordnung. Es widerspricht allerdings auch ein Stück weit dem gängigen Film Noir-Mechanismus, das den Helden am Ende an seiner Aufgabe scheitern sehen will. Das Genre steckt hier noch in seinen Kinderschuhen, das ist überaus deutlich. […]
"Der Gläserne Schlüssel" ist ein frühes Werk des Film Noir und als solches durchaus sehenswert. So lässt sich hier nicht nur schön erlernen, wie ein Genre mit sich wächst und wie es entwickelt wird, denn der Film von Stuart Heisler verspricht zudem unterhaltsame neunzig Minuten. Diese hätten zwar hier und da abgespeckt werden können, doch exerzieren sie überaus zielstrebig den gegebenen Konflikt durch und zeigen auf, wie Wut in Unvernunft, Unvernunft in Gewalt und schließlich in Hass umschwenken kann. Das ist zwar stets sehr einfach gehalten, hat jedoch auch immer noch seinen unverkennbaren Charme.
"Er ist wieder da" wäre auch ein lächerlicher Scherz.
Ich möchte mich bei MUBI bedanken. Und bei Hardy auch - wieso? Das verrate ich nicht.
Ich möchte gewinnen und würde dafür sogar meine Beziehung zu Hardy spielen lassen.