Torwaechter - Kommentare

Alle Kommentare von Torwaechter

  • 7 .5
    über Carol

    Schon schön, aber ich hatte mir irgendwie mehr erwartet. Das tolle üppige 50er-Jahre Dekor beeindruckt zunächst sehr, wird dann aber irgendwann auch etwas nervig. Was letztlich daran liegt, dass die Liebesgeschichte vor allem in der ersten Hälfte eher vor sich hinplätschert und auch das Verlieben der beiden zaghaft und unsicher abläuft. Tereze sagt es selbst, sie weiß nicht was sie will, und Carol sagt, sie weiß nicht was sie tut, das erschwert es dem Film in Fahrt zu kommen. Was aber natürlich authentisch ist zu jener Zeit, als Homosexualität etwas war, von dem eine junge Frau vielleicht mal gehört hat, aber nie darüber aufgeklärt wurde.

    Im direkten Vergleich gefiel mir "A Single Man" von 2009 besser. Sowohl visuell als auch emotional. Die Melancholie in "Carol" ist zwar auch da, und schön, aber "A Single Man" handelt nicht vom Beginn einer Beziehung sondern von der existentiellen Leere nach dem Tod des langjährigen Gefährten - das hat schätze ich automatisch mehr Tiefgang. Die Homosexualität führt bei "A Single Man" dazu, dass der Protagonist nicht offen trauern kann, und dass ihn niemand versteht, was doppelt schmerzt - bei "Carol" führt die Homosexualität der Protagonisten eher zu Entschleunigung. Die Dramatik bzgl. Scheidung und Sorgerecht hätte jedenfalls auch eine Dame aus wohlhabendem Haus, die heimlich mit hübschen, naiven jungen Kerlen herummacht.

    Trotzdem ein schön anzusehender Film, bei dem Cate Blanchett mal wieder zeigen kann, was sie draufhat.

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    • 7 .5

      Jetzt hat der Film doch tatsächlich den Preis der US-Produzentengilde gewonnen und damit nun die Nase im Oscar-Rennen knapp vorne. Irgendwie hab ich's schon befürchtet gehabt, "Mad Max" und "The Revenant" sind halt einfach zu speziell, um den Endspurt zu packen und nehmen sich gegenseitig Stimmen weg. "The Big Short" profitiert wiederum massiv von seinem politisch hochwichtigen Thema und starker Ensemble-Leistung der Darsteller. Und im Vergleich zu "Spotlight" ist er witzig und frech, nicht zu bieder.

      Tja, ich mochte ihn aber irgendwie nicht so richtig. Die große Leistung ist es natürlich die Finanzkrise auf unterhaltsame Weise zu erläutern, aber für jemanden, der sich damit bereits beschäftigt hat, ist so gut wie nichts Neues zu erfahren. Interessant sind daher nur noch die Protagonisten des Films, alles leicht überzeichnete Außenseiter, wobei die realen Personen offenbar wirklich so sind: Ein Autist, ein Narzisst und ein Choleriker erkennen jeweils nacheinander den großen Betrug und die Chance gegen die amerikanische Immobilienblase zu wetten. Adam McKay, bisher bekannt für seine Will Ferrell Komödien, inszeniert das ganze sehr rotzig und anarchistisch, lässt die Darsteller direkt mit dem Publikum sprechen, lässt Popmusik- und schlechte Internetvideos einblenden usw. usf.
      Aber genau deswegen ist der Film auch nicht angenehm anzusehen und genau da liegt vermutlich für mich der Hund begraben. Der Schnitt ist zappelig, die Kamera zoomt unruhig herum, ständig macht sie Schärfefehler, blasser TV-Reportage-Look. Das ist natürlich alles eine bewusste stilistische Entscheidung, macht aber keine Freude im Auge. Ich fand's anstrengend, und behaupte "The Big Short" ist eher ein Film für den Fernseher oder Monitor zuhause.

      Wenn er am Ende tatsächlich den Oscar gewinnen sollte, wäre er der vermutlich unästhetischste Haupt-Oscar-Gewinner aller Zeiten. (Trifft aber vermutlich auch auf "Spotlight" zu, dem Trailer nach zu urteilen)

      Aber immerhin würde er in Sachen Diversity ein wenig die aktuellen Wogen glätten - neben "Mad Max" ist "The Big Short" der einzige der nominierten Filme für den Hauptpreis, der eine schwarze Frau in einer Sprechrolle zeigt. Und ich glaube auch zwei Asiaten.

      • 10
        über Sicario

        "Sicario" kommt im Gewand eines Drogen-Crime-Thrillers, ist aber im erzählerischen Kern sehr viel mehr ein waschechter Kriegsfilm. Untermalt mit gewohnt exzellenter Kameraarbeit von Roger Deakins und der apokalyptisch-treibenden Musik von Komponist Jóhann Jóhannsson, zeichnet Denis Villeneuve auf Basis des spannungsgeladenen Drehbuchs von Taylor Sheridan ein hoffnungsloses Portrait eines ewigen Kriegs auf beiden Seiten des Grenzzauns mit der für ihn typischen Präzision und Düsternis. "Gomorrha" meets "Zero Dark Thirty". Emily Blunt und vor allem Benicio Del Toro spielen auf höchstem Niveau. Letztlich geht es nicht um Drogen oder Mexiko - es geht ganz allgemein um amerikanische Kriege, die außer Kontrolle geraten sind und alle Grenzen verwischen. Und um eine Frau, die in die mörderischen Sandkastenspiele einer gnadenlosen Männerwelt hineingerät. Ganz groß. "Blade Runner 2" (wieder Villeneuve plus Deakins) kann nur gut werden.

        • 9 .5

          War überrascht, wie sehr ich den Film dann doch mochte. Die Rachestory ist simpel, aber sie verfängt ungemein gut. Alles reduziert sich auf die beiden menschlichen Ur-Instinkte: Überleben und Gerechtigkeit.
          Was Leonardo DiCaprio hier durchmacht, was die ganze Filmcrew durchmacht, ist höchst spektakulär. "The Revenant" ist Inarritus "Apocalypse Now" - es muss einer der schwierigsten Dreharbeiten der Filmgeschichte gewesen sein. Kein Wunder, dass das Budget von geplanten 60 am Ende auf 135 Mio. USD sprang. Und das ist nur die offizielle Zahl, wer weiß, was der Film wirklich gekostet hat.
          Aber auch dank exzellenter Visual Effects sind wahnsinnige Szenen und Sequenzen entstanden, die man so noch nie gesehen hat. Zwischen Inarritu und seinem Kumpel Cuaron scheint wohl inzwischen eine Wette zu laufen, wer sich die krasseren Plansequenzen ausdenken und auch umsetzen kann.

          Atemberaubend die Naturaufnahmen. Erinnert sehr an einen Malick-Film, was nicht zuletzt an Lubezkis Kameraarbeit liegt. Aber auch inhaltlich durch die religiös-spirituellen Momente. Als einziges Manko sehe ich, dass der Film etwas zu lang ist, etwas zu repetitiv. DiCaprio hat mindestens eine Beinahetoderfahrung zuviel. Und auch die als magisch und entrückt gedachten Momente, in denen das Geschehen von Gott oder der Natur quasi kommentiert wird, das Göttliche in der Natur sichtbar wird, treten mir ein- oder zweimal zu oft auf.
          Letztere verleihen dem Film jedoch auf der anderen Seite die nötige Tiefe und Relevanz. Das Ende wirft viele philosophische Fragen auf. Der Geist der Ehefrau wendet sich vom Protagonisten ab. Zufrieden? Oder schließt sie hinter sich die Tore zum Paradies? Vor dem Hintergrund der gewaltigen Kräfte der Natur ist es beeindruckend zu sehen, wie weit der Wunsch eines einzelnen Menschen nach Rache trägt. Aber die Frage stellt sich eben, ob es das alles wirklich wert war.

          Man kann das ambivalente Ende vermutlich interpretieren wie man möchte. Ich glaube aber nicht, dass Inarritu, der zuletzt bei "Birdman" schon buddhistische Motive aufgriff und bei "Babel" die weltweite Verbindung von Leid illustrierte, wirklich auf eine typische erbauliche Rache-gut-alles-gut Story aus ist. Zu sehr ist "The Revenant" dafür durchwirkt mit apokalyptischen Bildern und Vorboten. Der mörderische Kreislauf der Natur geht weiter - solange wir atmen, kämpfen wir, solange wir atmen, geben wir nicht auf.

          Aber dafür dürfte DiCaprio nun auch immerhin endlich seinen wohlverdienten Oscar bekommen. :)

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          • Schöner Artikel! Ich werde am 13.11. auf dem FilmerCamp an der HdM in Stuttgart über das Thema sprechen und bin daher gerade beim Googeln hierdrauf gestoßen.

            • 8 .5

              Der neue Film vom an Depression erkrankten Lars von Trier ist ein sehr stimmungsvoller düsterer Psychothriller mit Dafoe und Gainsbourg als Hauptdarstellern. Wie immer sehr intensiv die Inszenierung, aber im Gegensatz zu seinen anderen Filmen ist Trier hier mal schwelgerischer, der Film hat viele unglaublich langsame SloMo-Szenen und interessante Detailaufnahmen. Von daher ist nicht viel vom Dogma-Konzept übrig geblieben.

              Vom Gezeigten her in meinen Augen kein Skandalfilm oder Schocker, aber für zartbesaitete Naturen sind manche Szenen im Film natürlich nichts. Nacktheiten und sehr expliziter Sex muss man natürlich auch noch berücksichtigen.

              Von all dem mal abgesehen bleibt am Ende eine sehr interessante psychologische Studie mit einem wirklich beeindruckenden interpretationsoffenen Finale. In Sachen Stimmung und Atmosphäre ist der Film großartig - die gezeigte Gewalteskalation sehe ich als großteils eher unnötig an, das riecht zu sehr nach kalkulierter Drehbuchidee. Schöner wäre es gewesen wenn es im rein psychologisch-mystischen Feld geblieben wäre.

              • 7 .5

                Bin mit großen Erwartungen in den Film gegangen und fand ihn jetzt leider nur wenig überraschend. Die Erwartungen wurden zwar erfüllt, aber letztlich will man ja beeindruckt werden. "There Will Be Blood" hat das damals geschafft.

                Beeindruckendes gab es aber durchaus zu sehen, die schönen Schwarzweiß-Bilder und die unglaublich authentische Inszenierung und schauspielerische Darstellung vor allem. Die Handlung selbst dagegen ist stark reduziert, der Film ist primär eine Sozialstudie der Zustände in einem norddeutschen protestantischen Dorf irgendwo im Nirgendwo. Die ist zwar absolut gelungen, aber bei zweieinhalb Stunden Laufzeit hätte ich mir doch ein wenig mehr Entwicklung gewünscht.

                Natürlich findet das meiste im Verborgenen statt und es ist auch hochinteressant was für ein Netz aus Schuld, Vergeltung und Misstrauen gesponnen wird, doch zusammen mit der formell äußerst strengen filmischen Form fand ich die Einblicke in die jeweiligen patriarchal und brutal regierten Familien auf Dauer dann doch etwas repetitiv. Die nette Liebesgeschichte des Dorflehrers und Filmerzählers ist das einzige Kontrastprogramm, ohne sie wäre der Film ein einziger Blick in die Finsternis. Leider fühlt sie sich deswegen auch leicht deplatziert an, mit den restlichen Handlungssträngen hat sie letztlich kaum etwas zu tun. Es hätte dem Strang IMHO besser getan, wenn sie als Kindermädchen auch irgendwie stärker in die ganzen Vorkommnisse verwickelt gewesen wäre.

                Und was die Sache mit dem Proto-Faschismus anbelangt - dass es letztlich darum geht, war mir vor dem Film bewusst, und der Film behandelt dies auch exzellent hintergründig - aber eben auch das war wie zu erwarten. Dass die gezeigten Kinder die große deutsche Tätergeneration werden würden, schwebt über ihnen, und man sieht ihre unheilvolle Umgebung und Situation, aber das ist es dann auch schon. Eine sehr präziser Blick in die Geschichte, nüchtern wird alles offengelegt, jede schwärende Wunde im Volkskörper, aber mehr als Sezieren findet nicht statt.

                Vielleicht liegt meine mangelnde Begeisterung aber auch nur daran, dass ich mich bereits relativ intensiv mit deutscher Vorkriegsgeschichte und -gesellschaft beschäftigt habe. Für andere mag der Film den einen oder anderen erhellenden Einblick offenbaren, schließlich gibt es gerade unter den heutigen jungen Deutschen nicht wenige, die sich überhaupt nicht vorstellen können, wie anders alles in diesem Land war, ob gesellschaftlich, kulturell, wirtschaftlich oder in Sachen Religion, Familienehre und Erziehung, bevor ein anderer Wind hier zu wehen begann.

                Auf jeden Fall ein würdiger Beitrag für den Fremdsprachen-Oscar, eine Nominierung ist "Das Weiße Band" denke ich ziemlich sicher.

                Und mal schauen, vielleicht wächst der Film auch mit der Zeit im Kopf noch. Spätestens beim nächsten Dummfug-Schwachsinn in Sachen Hollywood-Drehbuch :)

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                • 9

                  Hippe Indie-Komödie über den Liebeskummer eines New Yorker Postkartendesigners, der sich unsterblich in eine Kollegin verliebt, die mit ihm auch eine Liason eingeht, aber letztlich nicht an die Liebe glaubt und keine feste Beziehung eingehen möchte.

                  Hört sich jetzt nicht unbedingt total neu an, und ist es auch nicht, auch wenn der Film ziemlich gehyped wird von wegen Wechsel der Geschlechterrollen und individuellem Stil. Aber macht trotzdem richtig viel Spaß. Zum einen liegts an den beiden hochsympathischen Hauptdarstellern, Indie-It-Girl Zooey Deschanel und Nachwuchs-Charaktermime Joseph Gordon-Levitt (großartig bereits in "Brick"), und zum anderen an dem tatsächlich sehr erfrischenden Filmstil: es wird rasend hin und her gesprungen innerhalb der 500-tägigen Beziehung, und alle Register moderner Coolness gezogen, z.B. auf alt getrimmte Rückblenden, eine kleine spöttische Musical-Einlage, eine bitterböse Splitscreen-Sequenz, nachgedrehte Szenen aus franz. Nouvelle Vague Filmen, und und und. Fast alles ist anderen Filmen entliehen und "(500) Days of Summer" kokettiert natürlich en masse mit dem bestehenden Kanon an Kinoromantik, aber auf sehr leichte angenehme Weise, die man dem Film kaum übel nehmen kann. Die dargelegte Mischung aus Komödie und existentieller Melancholie ist jedenfalls durchaus was Besonderes.

                  Herausragend - und für einen hippen Indie-Film unerlässlich - ist der Soundtrack, der eine tolle Mischung aus Retro und aktuellem Indie-Pop darstellt, Regina Spektor kommt zweimal fantastisch zum Einsatz.

                  Ein Abstrich am Film wäre am Ende aber dann doch noch, dass die inneren Gedankengänge von Summer kaum beleuchtet werden. Ist ja ganz löblich, sich mal voll und ganz auf den männlichen Part zu konzentrieren, aber mir war das dann doch ein wenig zu einseitig. Wobei es auch Summers Charakter geschuldet ist, dass sie sehr undurchsichtig in ihren Entscheidungen und Unentscheidungen verbleibt. Wir kennen solche Frauen ja :)

                  Alles in allem definitiv eine der besseren RomComs, der sich auch meilenweit vom Hollywood-Kitsch abhebt, sozusagen eine Antithese zum üblichen romantischen Einheitsbrei mit Sandra Bullock & Co.
                  Und da es gerade kein Liebesfilm ist, auch für überzeugte oder einsame Singles, und sogar Liebeskranke sehenswert.

                  EDIT
                  Teil der Viral Kampagne des Films war ein eigens fürs Web gedrehtes Filmchen, der den Klassiker-Mixup-Style des Films gut rüberbringt, auch sehr sehenswert:
                  [url]http://www.youtube.com/watch?v=17KUOQOlt8E[/url]