Es ist schon wieder ein Jahr vergangen und ein weiterer, umfangreicher Jahresrückblick kann beginnen. Mit dem Kinojahr 2015 tue ich es mir etwas schwer, es in eine Schublade einzuteilen. Es ist nicht so das es ohne Highlights blieb, eher das es in den zahlreichen Filmsparten, von Blockbustern bis Cannes-Kino, es Filme gab die auf ganzer Linie überzeugen konnten, aber auch welche die vollständig versagten. Aber lassen wir es beginnen.
Marvellisierte Blockbuster und feurige Herzenslichter
Der Konzern Marvel greift mit seinen schleimigen Händen immer mehr nach dem Zeit und dem Geld der Zuschauer und setzt sein Konzept der Stangenware konsequent fort. Nur selten findet sich unter den Filmen des Marvel-Universum Filme, die irgendeine Vision haben, ganz oft aber ist es nur laut, bunt, ironisch und ganz schön gefühlskalt. Die neuste Katastrophe trägt den Namen Marvel's The Avengers 2: Age of Ultron. Ein Film, der fast schon ein Sinnbild ist, für alles was an diesem Comic-Konzern falsch läuft : Eine ewige Fan-Masturbation mit aufgemotzen, zerstörerischen Bildern, leeren, ausdruckslosen Protagonisten und omnipräsente Ironie die jedes Gefühl von Leidenschaft abtötet. Jede filmische Vision wird hier zerstört. Fast ist es etwas schade, das der später erschiene, Fantastic 4 zum Totalflop wurde. Zwar verdient er seinen schlechten Ruf aufgrund seiner massiven Storyschwächen, aber wenigstens hatte er eine Vision die von dem Marvel-Wohlfühl-Trip etwas abwich.
Ansonsten floppten eine Menge anderer Filme, allen vorran das Wachowski-Desaster Jupiter Ascending und Joe Wrights fantasievoll gestalteter, aber gnadenlos leerer Pan. Schade ist letzteres für Joe Wright um dessen Position in Hollywood ich nun fürchte, schließlich verfügt er, wie seine letzten Filme beweisen, über inszenatorische Talente.
Umso schöner ist es, das es auch in den großen Multiplex-Kinos dieses Jahr ein paar tolle Filme gab. Allen vorran ist der neuste Streich der Marke James Bond, James Bond 007 - Spectre. Sicherlich ein Film der seine Schwächen hat, unter anderem die Durchanalysierung der Figur James Bond. Daneben aber punktete der Film mit rasanten Actionszenen, insbesondere in der furiosen Eröffnungsszene. Nicht der beste Bond der Daniel Craig-Ära, aber, sollte es der letzte sein, ein schöner Abschluss.
Ein ganz großes Licht gab es am Ende des Jahres, oder eher gesagt, einen großen Stern, und der heißt Star Wars ! J.J. Abrams Star Wars: Episode VII - Das Erwachen der Macht mag sich sehr an dem ersten Teil der Sternenkrieg-Saga orientieren, aber in ihm schlägt ein eigenes Herz. Nach den zugezuckerten und miserabel inszenierten Prequels von George Lucas, ist dieser Teil zum einen eine angenehme Rückbesinnung, als auch sehr schön inszeniertes Unterhaltungskino, das den Geist vergangener Tage tatsächlich zurück bringt. Und ein Film, der Herz und Seele in seine Figuren steckt. Wenn Han Solo in einem großartigen Moment die Worte spricht "Es ist wahr. Die Macht, die Jedi. All das gibt es" dann erreicht Abrams mehr Gefühl und Kinomagie, als der gesamte Rest des Blockbusterkinojahres.
Das Oscarkino - Die größte Überraschung des Kinojahres
Nicht falsch verstehen : Auch dieses Jahr betraten erneut austauschbare Stangenwerke den Ring um die begehrte Trophäe. Allen vorran der schleimig, rührselige Die Entdeckung der Unendlichkeit, der auf der simplen Tränendrüsen-Fahrbahn verkehrt und sich kein bisschen für sein Thema, den legendären Stephen Hawking, interessiert. Etwas besser ist da das Alan Turing-Biopic The Imitation Game - Ein streng geheimes Leben, verfügt es doch über nachvollziehbare Emotionen, ist aber auch zu formelhaft um herausragend zu sein. Den Gipfel der Unverschämtheit aber stellt Clint Eastwood mit seinem American Sniper dar. Ein zutiefst patriotischer und unreflektierter Film mit dem Eastwood seinen, eigentlich als unantastbar geltenden, Ruf nachhaltig schadet.
Aber zum positiven : Der Indie-Schlagzeuger Film Whiplash wurde stark in Kritik genommen, mit dem Vorwurf ein faschistisches Weltbild zu vertreten, in Wahrheit aber stellt er sich dagegen. Es ist ein Film der aufzeigt, wie man aus einem solchen System entkommen kann und dies tut er auf mitreissende und furiose Weise sodass er den Zuschauer immer wieder in den Sessel drückt. Und bietet mit J.K. Simmons eine kompromisslose und beängstigende Schauspielleistung, die zurecht mit dem Oscar belohnt wurde.
Ansonsten sei der Film Foxcatcher von Bennett Miller erwähnt, mit dem Miller seine wieder einmal seine eigene, düstere Form der Geschichtsaufarbeitung bewies. Der Sieger der Oscar-Saison und mein Sieger des Kinojahres aber ist Alejandro González Iñárritu mit seinem Birdman oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit. Ein Film der aufgrund seines eigenwilliges Stils, den Film mithilfe unsichtbarer Schnitte, so wirken zu lassen, als wäre er in einem Take gedreht worden, schon auf sich aufmerksam macht. Diesen Stil rechtfertigt der Film mit seinem Inhalt, der seinem Theatercharakter entspricht.
Tatsächlich aber ist es der Inhalt, der BIRDMAN zu dem Film des Jahres macht. Neben dem visuellen Feuerwerk ist es Inarritus losgelöste Inszenierung, sein pointiertes Drehbuch und sein beispielloses Ensemble, angeführt von Michael Keaton, der mit diesem Film sein Comeback feiert und nebenbei die größte Schauspielleistung des Jahres abliefert. In BIRDMAN bekommt jeder sein Fett weg : Marvel, die Kritiker, der Internetkult, die Selbstliebe der Schauspieler. Mitten darin versucht Keatons Riggan Thomson, sich in den Olymp zu spielen. Inarritu zeigt, wie wertvoll und gigantisch große Kunst sein kann und wie sie immer mehr verwahrlost. Und das es doch wert ist, für sie zu kämpfen. BIRDMAN ist der Film zur Lage des Kinos in unserer Zeit.
Das Kino in Europa - Junge Wilde und Altbewährtes
Kein Film erschütterte nicht nur das deutsche, sondern auch das europäische Kino in den letzten Jahren so sehr wie Sebastian Schipper mit Victoria. Der Film, der in einer 140 minütigen Kameraeinstellung gedreht wurde, ist nicht nur der erste Film der auch funktioniert, ohne auf diesen Aspekt reduziert zu werden, und diesen so gut nutzt wie nie zuvor. Schipper raubt dem Zuschauer jede Distanz und schickt ihn mit auf diesen rauschhaften Trip durch das nächtliche Berlin. VICTORIA ist reines Kino, so unschuldig und doch so meisterhaft.
Neben VICTORIA sei der angenehm zurückgenommene und großartig gestaltete Sci-Fi Film Ex Machina erwähnt, der beweist, wie kraftvoll und stilsicher ein Debütwerk sein kann.
Das europäische Kino wird oft vorgeworfen, veraltet zu sein. Als Beispiel wird Paolo Sorrentinos Ewige Jugend genommen, der Senioren in einem Hotel zu Protagonisten macht. Sicherlich hat dieser Film nicht mehr die Kraft von Sorrentinos letztem Film aber dennoch konzentriert sich Sorrentino eher auf Emotionen und unterlegt sie mit eindrucksvoller Bildsprache. Kein aufregender, aber ein schöner Film.
Weitere Highlights bieten Andrey Zvyagintsev mit seinem düsteren Leviathan, in welchem er die Politik von Russland auseinander nimmt und gleichzeitig den Leidensweg des Menschen bebildert, und Roy Andersson der mit Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach die Absurdität des Lebens entlarvt und einen weiteren (vielleicht sein optimistischster) Beitrag zu seinem Kuriositätenkabinett liefert. Und Giorgos Lanthimos bietet noch seinen bitterbösen The Lobster dazu.
Neues von Bekannten
Sämtliche altbekannte Regisseure brachten dieses Jahr neue Beitrage zu ihrem Gesamtwerk. Zum einen wäre da Gaspar Noé mit seine, auf Provokation getrimmter, sich selbst zum 3D-Porno erklärter Love, der aber keine Emotionalität in sich trägt und für die Verhältnisse eines Noe nichts neues bietet sodass er zwar nicht katastrophal, aber erschreckend belanglos daher kommt. Für jemanden wie Noe ist das eigentlich das Schlimmste.
Viel besser verhält es sich mit dem Regiepoeten Terrence Malick, der momentan scheinbar als "Wirrkopf" abgestempelt wurde und sein Film Knight of Cups teilweise arg zerrissen wurde. Dabei bietet kein Regisseur eine vergleichbare Bildersprache und ist zudem noch in der Lage, Kino wirklich als meditative Reise zu sich selbst zu sehen. Malick bleibt halt der missverstandene Träumer.
Endgültig im eigenen Stil angekommen ist aber Paul Thomas Anderson, das Regiewunderkind, mit seiner Thomas Pynchon Verfilmung Inherent Vice - Natürliche Mängel. Anderson orientiert sich nicht an seiner Story, er scheint das Konzept des Trips verstanden zu haben. Sein Film ist von Eindrücken, Sitationen und Figuren geprägt, während die Handlung eher vorbeiläuft. Ein magischer Film !
Kritikerlieblinge für die mir der Zugang fehlte
Merkwürdigerweise gab es dieses Jahr eine handvoll Filme, die zwar kritischen Anklang fanden, zu denen ich aber kein bisschen Zugang fand. Dies beginnt bei dem eher lahmen It Follows, der sich auf seiner Retro-Schiene auruht während er die Probleme dieses Genres weiterhin bedient.
Noch beliebter fiel der Pixar-Film Alles steht Kopf aus. Oft wird ihm Kreativität angerechnet, ich aber sehe darin nichts anderes als eine Versimplifizierung des menschlichen Geistes. Der Kopf wird nicht erklärt sondern in alter Disney-Manier heruntergedummt sodass der Film das Äquivalent zu einem Kinderbuch in den wartezimmern von Arztpraxen wird, der Kindern ihren Geist erklären wollen. Die bunte Bebilderung tut sein übriges.
Am meisten ratlos zurückgelassen hat mich aber der Hype um Mad Max: Fury Road, der vielleicht alles über den momentanen Actionfilm sagt. Ja, MAD MAX : FURY ROAD ist handwerklich ordentliches Kino aber er konnte mich wegen seiner Nicht-Handlung und seinen Nicht-Figuren kaum packen. Das hier von einer Revolution des Actionfilmes geredet wird, nur weil ein Regisseur mit praktischen Effekten handwerklich gutes Kino schafft, ist befremdent. George Miller hat es sich zu einfach gemacht. Nur weil das Spektakel stimmt, heißt das nicht, das der Film sonst nichts bieten müsste.
Stille Highlights zum Ende des Jahres
Zum Ende hin dann noch ein paar lobende Worte. An den Kassen ging Steve Jobs von Danny Boyle völlig zu Unrecht unter, dabei gelingt Boyle durch seine 3-Akt Inszenierung nicht nur eine exzellente, neue Version des Biopics, sondern er gibt dem Menschen Steve Jobs dessen Menschlichkeit zurück. Zwischen Anbetung und Verteuflung ist Steve Jobs ein Mann mit Vision, die es durchzusetzen gilt.
Und wie könnte man Todd Haynes und seinen Kritikerliebling Carol vergessen ? In verschneiten Bildern erzählt Haynes eine typische, tragische Liebeserklärung und macht das Kino zur Sprache der Gefühle. Man streitet sich was beeindruckender ist. Das Schauspiel der beiden Hauptdarstellerin (allen voran Rooney Mara in der bisher besten Leistung ihrer Karriere) oder die Bilder, die zu jeder Sekunde mit dem Seelenleben der Figuren Hand in Hand gehen ? Im Endeffekt ist es beides.
Frohes Neues Jahr euch allen ;)