JarvisBln - Kommentare

Alle Kommentare von JarvisBln

  • 10
    über Das Rad

    Der Film wird am 28.10. und 4.11.2019 auf arte gezeigt. Allerdings stimmt die Längenangabe hier nicht, die Laufzeit beträgt ca. 7 Stunden.

    2
    • 10

      Ein ganz grossartiger Film. Und schwer zu beschreiben warum, da es nicht der Plot ist, sondern die visuelle Umsetzung, die einen packt. Sternberg schafft Atmosphäre, im Maschinenraum des Schiffes spürt man die Hitze, in der Hafenkneipe scheint man das
      Stimmengemurmel zu hören (obwohl der Film ja stumm ist, es hätte mich auch gar nicht
      gewundert, wenn plötzlich Marlene Dietrich in der Kneipe aufgetaucht wäre um die Lola
      zum Besten zu geben), der Sex liegt in der Luft. Schlüsselszenen (Selbstmord- bzw. Mordversuch) werden nur indirekt gezeigt, und die Liebesgeschichte zwischen dem unsteten Seemann und der Lebensmüden wird in ihrer ganzen Ambivalenz gezeigt: Einerseits wird
      durch lyrische Szenen (verlangsamte Bewegungen, Tauben auf dem Fenstersims) ein Happy-End antizipiert, andererseits wird diesem Paar eine resiginierte, fast schon zynische Paarbeziehung gegenübergestellt, die nichts Gutes ahnen lässt. Wie es ausgehen wird?
      Das verrate ich nicht.

      Ergänzung: Nach erneutem Sehen, diesmal gross auf Kinoleinwand, auf 10 Punkte
      heraufgestuft.

      1
      • 10

        Noch ein Arte-Gucker. Auch nach wiederholtem Sehen wird dieser Film
        keine Sekunde langweilig. In jeder Einstellung spürt man Bogdanovichs
        Liebe zum Film, so dass man selbst auf die blödesten Gags nicht böse
        sein kann, und Streisands selbstironisches Spiel macht einfach nur gute
        Laune.

        • 10

          Frank Borzages späte Stummfilme gehören für mich zu den schönsten Melodramen, die ich kenne. Das mag daran liegen, dass Borzage die Gefühle seiner Figuren, einfache Menschen, ernst nimmt, die Gefühle zwar überhöht, fast in einem spirituellen Sinne, dabei aber nie kitschig wird.
          Er stellt diese Figuren in betont künstliche Dekors, mit "falschen", viel zu grosszügigen Proportionen, gibt ihren Gefühlen somit eine Bühne, und er inszeniert seine Paare in Schlüsselszenen in quasi-religiösen Posen, voreinander kniend oder liegend, die gefalteten
          Hände des anderen ergreifend, er lässt sie tänzeln, balancieren, sich in Posen probieren,
          und das Happy-End kommt einem Wunder gleich.
          Der Film, der erste Borzage Film übrigens, den ich glücklicherweise auf grosser Leinwand sehen durfte, beginnt in der Kanalisation von Paris, die Hauptfigur Chico ist Kanalarbeiter, und führt uns bis in den titelgebenden siebten Himmel, Chicos grosszügige Mansardenwohnung im siebten Stock mit Blick auf ganz Paris, wie es scheint. Diane, die weibliche Hauptfigur, wird von ihrer Schwester ausgenutzt und geschlagen, mit der Peitsche wird sie von ihr durch die
          Gassen gejagt (eine wunderbare Kamerafahrt) und Chico direkt vor die Füsse getrieben.
          Die Liebesgeschichte kann beginnen.

          2
          • 10

            Romantische Komödie? Es geht um Sex, Drogen, einen
            Hauch von Transgender und Konsumkritik, aber alles
            herzallerliebst verpackt.

            • 10

              Seit Fassbinder habe ich eine so intensive, radikale Darstellung
              von Sprachlosigkeit im deutschen Kino nicht mehr gesehen.
              Hier stimmt alles: die grossartigen Schauspieler, Kamera,
              Ausstattung. Ein intensives Kammerspiel, so intensiv, dass es
              manche offensichtlich nicht ausgehalten haben (man denke an die Proteste
              bei der Uraufführung auf der Berlinale).

              • 10

                Harte Kost, aber es lohnt sich. Ein Leben voller Zwänge und Repression - die Familie, die Mitschüler, die strafenden Lehrer, seine nicht akzeptierte Homosexualität. Robert Tucker, im ersten Film der Trilogie Kind, dann Erwachsener und schliesslich sterbender alter Mann bewegt sich durch sein Leben als wäre es nicht sein eigenes, man sieht ihn auf Fähren und im Bus, das Leben zieht an ihm vorüber.
                Das Kind hat immer ein devotes "Thank you, Sir" auf den Lippen, leuchtende Augen bekommt es beim Anblick eines muskulösen jungen Mannes im Schwimmbard unter der Dusche. Doch die Homosexualität kann nur als Schuldgefühl erlebt werden, auch weil die Abhängigkeit von der geliebten, aber als Kontrollinstanz erlebten Mutter zu gross ist. (Während er mit dem Leichenwagen zu ihrer Beerdigung fährt singt Doris Day im Off "I could be happy, I could be sad it all depends on you".)
                Auch der sterbende Robert Tucker wird sich nochmal an seine Mutter erinnern, nicht unbedingt real, er tanzt als kleiner Junge an Weihnachten mir ihr auf der Strasse, dazu läuft "Someone to watch over me". Das Liebende, Beschützende und das Kontrollierende liegen nahe beieinander.
                Das Sterben letztendlich verdeutlicht nochmals schmerzhaft die Tragik dieses ungelebten Lebens, spätestens hier endet auch naturgemäss das Autobiographische des damals knapp 40-jährigen Regisseurs.
                Mit körnigen schwarz-weiss Bildern zeigt Davies ein poetisch-realistisches Liverpool, schaut mir ruhigem, gnadenlosen Blick auf diesen Menschen, auf das Leben.
                Unsagbar traurig, unsagbar schön.

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                • 9

                  Einerseits erinnert mich der Film stark an das deutsche Kino der 70er Jahre, als versucht wurde, den Heimatfilm neu zu definieren, mit Elementen aus Western, wortkargen Charakteren und Popelementen wie der Jukebox, andererseits
                  kann man den Film auch ganz heutig sehen, Stichwort EU und Migration.
                  Oder die Frau als femme fatale, als Film Noir Figur.
                  Oder als Film über Liebe, Begehren und Abhängigkeit.

                  • 9

                    Interessant, wie der Film von vielen nur als Mafiafilm,
                    als Thriller gesehen wird. Und was die Gewalt betrifft:
                    Wieviel Gewalt ist denn in dem Film? Wenig, die aber
                    zugegebenermassen heftig. Was ist mit der Homoerotik,
                    dem Kinderwunsch von N.Watts, zwei Themen die den
                    ganzen Film begleiten, und die in dem genialen, Hollywood
                    Mainstream zitierenden Schlussbild, auf den Punkt gebracht
                    werden. Gerade das macht den Film spannend.

                    • 9

                      "Wunder gibt es immer wieder ", so könnte man salopp diesen Film ironisieren, aber
                      das wäre natürlich ganz falsch. In strenger Form, in kargen Räumen und exzellenten,
                      harten Schwarz-Weiss Bildern (ich musste immer an Das weiße Band denken) verhandelt
                      Dreyer theologische Positionen und das Thema Wunder. Die Stärke des Films ist, dass
                      das ganze alles andere als dröge ist, und dass ich als nicht-religiöser, doch spirituell
                      interessierter Zuseher, die Auferstehung der toten Mutter als Wunder verstehen kann.
                      (Nebenbei: Diese Auferstehung wird in dem ebenfalls sehr sehenswerten Film Stellet
                      Licht direkt zitiert)

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                      • 9

                        Ein wunderbar genauer Film, der stilsicher alle Kitschkliffen umschifft. Besonders gefiel
                        mir, wie Doris Dörrie ganz leicht und unaufdringlich japanische Stilelemente einbaut,
                        die Bilder am Anfang, im bayerischen Dorf, erinnern an Ozu, nicht zu vergessen die
                        grosse Bedeutung, die dem Essen zukommt und, mein ganz persönlicher Favorit, das
                        Röllchenmotiv: von der Weißwurst bis zu den Krautwickerln, Wepper und Irizuki wickeln
                        sich in eine Plane ein, Sushi im Point-it Wörterbuch als Bild für Trudi und Rudi, vereint
                        im Jenseits. Und dann der imaginäre Tanz von Rudi mit seiner toten Frau - großes Pathos,
                        aber, wie bereits vermerkt, nie kitschig. Und selbst Nadja Uhl ist erträglich.

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                        • 8 .5

                          Ein Kleinod, dem viel mehr Aufmerksamkeit zu wünschen ist.
                          Ein Film mit einer poetischen Grundhaltung, ein Grossstadtfilm, ein politischer Film, ein Film, der mit den ästhetischen Strömungen seiner Zeit spielt.
                          Im Längsschnitt, wir sehen ein dreistöckiges Treppenhaus, wird das titelgebende Haus und seine Bewohner_innen mit ihren alltäglichen, oft grotesken Tätigkeiten vorgestellt. Währenddessen kämpft sich eine bäuerliche gekleidete junge Frau mit einer Gans durch Moskaus Verkehr, wunderbar durch Schnitt und Zeitraffer rhythmisiert, und gerade will der Strassenbahnfahrer aus dem Wagen springen, um sie aus dem Weg zu scheuchen, da friert das Bild ein, ein Zwischentitel frägt, wie die Gans eigentlich nach Moskau kommt, Anlass für ein Rückblende die exakt wieder zum eingefrorenen Bild führt, die Geschichte kann weitergehen.
                          Parasha Pitunova, so heisst die Besitzerin der Gans, wird durch eine Namensverwechslung zur proletarischen Heldin, sie erlebt den ganzen Pathos der Heldenverehrung (und wir den Pathos des sowjetischen Revolutionskinos), nur um nach Auflösung der Parade einsam und allein auf einem grossen, leeren Platz zurückgelassen zu werden. Solche kleinen dialektischen Volten tragen stark zum Reiz des Films bei. Schon zu Anfang, bevor der Verkehr das Bild bestimmt, wird das erwachende Moskau gezeigt, in der Tradition der Grossstadtsymphonien.
                          Ein sehr lesenswerter Beitrag zum Film findet sich auf filmzentrale.de: http://filmzentrale.de/rezis/hausindertrubnajastrassejs.htm

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                          • 8 .5

                            Zwei Knabengesichter, aneinander geschmiegt, die Augen geschlossen, ihr Bild geht nahtlos in den dunklen Hintergrund über.
                            Das ist das erste Bild dieses Films. Ein Bild voller Zartheit und Unschuld. Und auf genau diese Weise bekommt der Regisseur dieses schwer verfilmbare Buch in den Griff. Er setzt der Kargheit der Sprache eine Schönheit der Bilder entgegen.
                            Sonnendurchflutete Landschaften, warme Gesichter - das Böse ist der Welt nicht anzusehen,
                            um so ungeheuerlicher wie Kälte und Härte das menschliche Handeln bestimmen.
                            Wie es dazu kommen kann wird anhand der beiden Knaben gezeigt, die, wie das titelgebende Grosse Heft, unbeschriebene Blätter sind und mit ihren Erfahrungen beschrieben werden.

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                            • 8 .5

                              Deutsche Ost-West Liebesgeschichte, im Jahr 1952 spielend, doch hier wir dort ist kein Platz für die Liebe. Zu sehr sind alle mit "den Verhältnissen", wie es einmal im Film heisst, beschäftigt.
                              Beginnender ökonomischer Aufschwung im Westen ("Das Geschäft läuft gut. Wir haben fast schon wieder die Umsätze von 1938", heisst es bezeichnenderweise im Lebensmittelgeschäft mit Feinkostambitionen), Mangelwirtschaft im Osten, Schwarzhandel, mit Tricks und Schleichwegen ist die Grenze noch zu überwinden.
                              Ein Kind als Spielball zwischen Grosseltern (West) und Mutter (Ost), von den dresdner Bombennächten traumatisierte Grosseltern (Ost), der menschliche Polizist (West), der seine Stellung verliert, der gute russische Soldat.
                              Käutner positioniert hier nicht Ost gegen West, ihm geht es um die Menschen, die sich durchschlagen in einer Welt, von der sie meinen, nicht für ihren derzeitigen Zustand verantwortlich zu sein. "Ich habe die Grenze nicht gemacht". Das kam im Kalten Krieg der 50er Jahr nicht gut an.
                              Und die Liebesgeschichte? Der einzige Platz für Liebe ist ein aufgelassenes, zerstörtes Bahnhofshäuschen im Niemandsland zwischen Ost und West. Ein Happy-End erlauben die Verhältnisse nicht.

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                              • 8 .5
                                über Gläser

                                Gutfühlkino mal ganz anders. Der ganze Film ist irgendwie Zen Light, ganz unaufdringlich,
                                alle Darsteller spielen entwaffnend unaufgeregt, sind ganz bei sich und die Figuren beschäftigen sich tagsüber hautpsächlich mit "twilightning", was darin besteht, einfach dazusitzen und an
                                nichts zu denken. Die wichtigen Themen sind, wie die eingelegten Pflaumen dieses Jahr wohl
                                schmecken werden, die morgendlichen Merci-Übungen am Strand, das Treffen am Eisstand.
                                Dass nur alle paar Jahre die richtige Person an diesen richtigen Platz findet, mag daran liegen,
                                dass der Plan wie folgt aussieht: ein krakeliger Strich, ein Kreuz und der Vermerk: Wenn Du
                                glaubst, Dich verlaufen zu haben, geh nach 80m nach links.
                                Selten so entspannt aus dem Kino gekommen, einer meiner Lieblingsfilme auf der diesjährigen
                                Berlinale.

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                                • 8 .5

                                  Ein Mann wird aus dem Gefängnis entlassen. Seine Frau, die ihn abholen will, verschläft, da der Wecker stehengeblieben ist. Sie verpassen sich (die Eisenbahnzüge in denen sie auf dem Weg vom/zum Gefängnis sind begegnen sich auf freier Strecke, sein Brief fällt aus ihrer Hand ins Gleisbett) und sie suchen sich. Das ist die ganz Handlung.
                                  Fast ohne Dialog wird nur über Atmosphäre, Zahlen (Ziffernblätter, Hausnummern) und Zeichen erzählt, deren (Miss-)deutung die Verunsicherung des Protagonisten verstärken. Gleichzeitig erlaubt sich der Film Umwege, genau erkundet die Kamera das Tanzlokal, in dem die Frau arbeitet, bleibt bei Paaren haften, als sollte gesagt werden: wir könnten auch deren Geschichte erzählen, jede_r hat so seine/ihre Geschichte. Ein weiterer Umweg auf dem Weg vom Gefängnis in die Stadt: Ein Karussell, das auf dem Weg liegt, auch hier wird eine Geste falsch gedeutet, der frisch Entlassene erlebt seine erste Anfeindung, vom Karussell herab wird er verhöhnt.
                                  Formal bedient sich Hochbaum verschiedenster Stilmittel, ist dabei jedoch nie epigonal, sondern verdichtet diese zu seinem ganz eigenen Kosmos. Poetischer Realismus, Neue Sachlichkeit, Grossstadtfilm, Collagen in der Tradition der Avantgarde, und beim Tratsch im Hinterhaus kommt auch die Komödie zu ihrem Recht.
                                  Ein beglückender Film.

                                  • 8 .5

                                    Ein schöner Film, der sich nicht im Anekdotischen verliert,
                                    sondern Schwerpunkte setzt, von Kuba über Mexiko,
                                    Rumänien bis Tansania, überall wird die Melodie des
                                    bekannten Liedes mit eigenen Texten versehen, der
                                    eigenen Kultur einverleibt. Als Agit-Prop-Lied in Mexiko,
                                    als Beerdigungslied in Rumänien, als Hochzeitslied
                                    in Tansania. Also gar kein traditionelles Seemannslied,
                                    wie uns Hans Albers glauben machen will.
                                    Und wenn der KZ-Überlebende Musiker Coco Schumann
                                    erzählt, wie er mit den Ghetto-Swingers das Lied spielen
                                    musste, vor den Schlangen vor der Gaskammer, wenn
                                    man sein Gesicht sieht, wenn er das Lied später zur
                                    Unterhaltung spielen muss - das ist schon den ganzen
                                    Film wert, einen Film über die Kraft der Musik, die
                                    Kraft einer Melodie.

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                                    • 8

                                      Ein wunderbar altmodischer, melodramatischer Film. Es geht einfach um Liebe, bedingungslose Liebe, und Rachel Weisz spielte sich souverän und ohne jegliche Hysterie direkt in mein Herz. Wie heisst es doch in West Side Story: "When love is in sight, there is
                                      no wrong or right".

                                      • 8
                                        JarvisBln 02.06.2018, 13:30 Geändert 02.06.2018, 20:40

                                        Keine einzige Bewertung bisher. Na sowas! Deshalb ein paar kurze unsortierte Bemerkungen zum Film.
                                        Es handelt sich um den ersten deutschen abendfüllenden Tonspielfilm und das merkt man dem Film auch an: Die Sprechszenen sind sehr reduziert, es wird überdeutlich gesprochen und sie sind eher statisch, was den ersten, sehr schwerfälligen Tonfilmkameras geschuldet ist. Demgegenüber steht der extensive Einsatz von Musik (von Heymann), und, ganz im Geiste des Kinos der Weimarer Republik, grossartig montierte und fotografierte (Rittau!) Sequenzen ohne Sprechton. Und dann darf Willy Fritsch auch noch zwei Lieder singen.
                                        Der Film bewegt sich vom Land in die Stadt und wieder zurück, er beginnt und endet mit einer blühenden Trauerweide, die im letzten Bild in einer Überblendung kahl wird. Dazwischen wird er zum Grossstadtfilm mit fulminanter, langer Kirmessequenz, ist auch SIttenfilm und natürlich ein Liebesfilm, eine merkwürdig sprachlose Liebe, eine Sprachlosigkeit wie man sie aus Volksstücken (Fleisser, Horvath und später dann auch Fassbinder) kennt, mit einem Pferd als Projektion des Glücks, ein Motiv das immer wieder, teils unvermittelt, ins Bild kommt, und das das erschütternde Schlussbild (vor dem Bild mit dem Baum) bestimmt.
                                        Diese disparaten Mittel lassen den Film aus heutiger Sicht wie einen Avantgardefilm wirken, er ist eine echte Entdeckung.
                                        Sehr gefallen hat mir übrigens auch der Text zu diesem Film auf der Seite Eskalierende Träume.

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                                        • 8

                                          Das Geräusch einer Roulettekugel, die in ihr Fach fällt. Ein roter Spot. Ein blauer Vorhang öffnet sich. Die Vorstellung kann beginnen.
                                          Rot und Blau werden die vorherrschenden Farben der beiden Hauptfiguren sein. Frannie (Teri Garr), die im roten Fähnchen auszieht und das Abenteur sucht. Hank (Frederic Forrest), der angesichts der Artistin Leila (Nastassja Kinski) zum Little Boy Blue regrediert.
                                          Die beiden sind seit 5 Jahren ein Paar und fragen sich, ob das schon alles war, trennen sich und stürzen sich in (sexuelle) Abenteuer und sind doch nie vollständig voneinander getrennt, die Kamera bringt ihre Gesichter immer wieder zueinander.
                                          Die ganze Welt ist hier eine Bühne und nichts anderes als eine Bühne, und die Welt ist Las Vegas, die Stadt der (gebrochenen) Glücksversprechen. Die Arbeitsplätze der beiden heissen Paradise (eine Reisebüro) und Reality Wrecking (ein Schrottplatz mit Versatzstücken der Traumproduktion).
                                          Die hyperreale Künstlichkeit des Studiosettings erzeugt (im Gegensatz etwas zu der Künstlichkeit der MGM Musicals der 50er Jahre) eine Illusionslosigkeit, so dass die Träume zwangsläufig Schiffbruch erleiden müssen. Das Ende, des erneute Zusammenfinden des Paares ist daher weniger Klischee als nur konsequent.

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                                          • 8

                                            "Ich schminke mich gern", so das simple Statement von Herrn von Bohlen im Film
                                            Dabei ist es in den 60er Jahren geradezu eine Provokation sich geschminkt und
                                            effeminiert in der Öffentlichkeit zu zeigen, ein gefundenes Fressen für die Presse,
                                            die ihn auch genüsslich lächerlich macht und offen ihre Verachtung für ihn zeigt.
                                            Mit Äusserungen wie "Arbeiten? Das hat mir gerade noch gefehlt" machte er sich
                                            im Deutschland der 60er Jahre auch nicht gerade Freunde.
                                            Im Film führt Arndt von Bohlen und Halbach (hervorragend dargestellt von Arnd Klawitter) durch sein eigenes Leben, selbstbestimmt, wie er es wahrscheinlich niemals war.
                                            Und die Interviews mit Zeitzeugen, ihre süffisanten Anspielungen auf sein Anderssein
                                            sind ein Lehrstück an Homophobie.

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                                              Früher Super-8 Film, der nach langer Zeit, das Ursprungsmaterial war in sehr prekärem
                                              Zustand und wurde vom Filmmuseum München restauriert, wieder aufgeführt werden
                                              konnte (im Rahmen der letzten Viennale).
                                              Der Film ist sicher nicht "fertig", doch sieht und hört man hier was Film alles kann. Über
                                              Blicke, Gesten, ohne Angst vor Pathos, wird hier mittels Schnitt, Musik (Wagner) und Text (Lautréamont) ein abstrakter Entwurf unfokussierten Begehrens entwickelt.
                                              Man kann dies als (für damalige Verhältnisse) avantgardistische Weiterentwicklung des
                                              Melodrams sehen, auf alle Fälle aber überzeugt die Konsequenz, mit der Schroeter
                                              von Anfang an ohne Kompromisse seine Ästhetik entwickelte.
                                              Interessant dazu ein anderer Film auf der Viennale: ein spontaner Konzertmitschnitt eines
                                              Auftritts der (mit Schroeter eng verbundenen) Ingrid Caven, ihr Gestenrepertoire ist nach wie vor sehr von Schroeter geprägt, so dass beide Filme, obwohl fast 40 Jahre dazwischenliegen,
                                              sich sehr nah sind.

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                                                JarvisBln 08.08.2017, 12:00 Geändert 08.08.2017, 12:27

                                                113-minütige Fassung. Ausgangspunkt der Geschichte: Auf dem Weg zu seiner Hochzeit frisst das Pferd des Bräutigams Fadinard einen italienischen Strohhut an, dieser gehörte Mme de Beauperthuis Paul, welche sich gerade ehebrecherisch mit einem feschen Leutnant im Gebüsch vergnügt. Jetzt muss Ersatz her, sonst fliegt die ganze Sache auf. Der Bräutigam muss sich jetzt gleichzeitig um seine Hochzeit kümmern und sich auf die Suche nach einem Ersatz für das (äusserst rare) Hutmodell machen.
                                                Eine Komödie voller Understatement, die gerade daraus maximale Komik entwickelt. Das ist zum einen die subtile Körperkomik: eine Haarnadel rutscht ins Hochzeitskleid, die Schuhe sind zu eng, der zweite Handschuh fehlt, die Fliege sitzt schief - daraus entwickeln die Beteiligten minimal verschobene Bewegungen, gilt es doch immer auch Haltung zu bewahren. Zum anderen führen Gegenstände Eigenleben, sie verdoppeln sich, fliegen durch die Luft (kleine surrealistische Reminiszenz), sie werden verknautscht und zerstört.
                                                Und nicht nur der Quickie im Busch wird völlig selbstverständlich verhandelt, der Leutnant flirtet letztendlich auch schamlos mit der frisch gebackenen Braut.
                                                Der Hut findet sich natürlich zum Schluss, er war nämlich immer schon da.
                                                Dieser Film ist das pure Vergnügen.

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                                                  JarvisBln 23.02.2023, 15:12 Geändert 23.02.2023, 15:14

                                                  Was für eine Überraschung. Jazz und Gospel rhythmisieren den Film, der Schnitt ist hervorragend, und Baldwins Radikalität ist so klug und wahr: 20 Jahre nach dem Marsch auf Washington sagt er, die Integration war ein grosser Fehler, es wurde den Schwarzen Identität genommen und nichts gegeben. Und das Traurige dabei: auch heute, weitere 40 Jahre später hat sich nichts grundlegend geändert.

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                                                    Eine unromantische Liebesgeschichte aus (West-)Berlin, die konsequent im Arbeitermilieu spielt, und die man im deutschen Film der 50er Jahre so nicht erwarten würde.
                                                    Der Film beginnt in einer Fabrik, genauer gesagt Osram, Glühbirnen. Maschinen sind das erste was hier sehen und hören, Fliessbandarbeit und dann die Jungs, die sich auf das Wochenende freuen, es ist Freitagnachmittag.
                                                    Es geht, natürlich, um Mädchen und ob die Neue, Christa (Barbara Frey), rumzukriegen sei. Es wird gewettet, 5 Mark. Mecky (Horst Buchholz) nimmt an.
                                                    Doch Christa fällt nicht auf ihn rein, selbst als er sie unter falschem Vorwand zu einem Catcherturnier lockt, das in eine Schlägerei ausartet (und er so seine Beschützerrolle spielen kann), die umgehend in eine Rock’n’Roll Party umschlägt (die einzige direkte Reminiszenz an die zeitgenössische Jugendkultur) ist ein gemeinsamer Spaziergang das Äusserste, was Christa zulässt.
                                                    Sie landen auf einer Art Schrottplatz und hier dann, für mich, die Schlüsselszene des Films: Sie setzen sich in einen ausrangierten Wagen, sind von vorne durch die verschmutzten Scheiben fotografiert, ganz Melodram (und werden sich, nach erzwungener Trennung, dort auch wieder finden). Mecky beginnt zu träumen, vom Wegfahren in die weite Welt, übers Meer bis nach New York, dort könnte man Satchmo hören. Meine Mutter sagt immer Negermusik dazu, erinnert sich Christa, um umgehend eine Geschichte zu erzählen von einer schwarzen Puppe (sie sagt natürlich Negerpuppe dazu), die ihr die Liebste war, und die sie auch behielt, als sie schon längst nicht mehr mit Puppen spielte.
                                                    In dieser kurzen Szenen erkennen sich zwei, in ihren Wünschen und Träumen, in ihrer Einsamkeit, in ihrem Anderssein.
                                                    Und ab hier ändert sich auch das Muster der normativen Rollenverteilung: Sie übernimmt nun das Heft, forciert die Freundschaft (gegen den Willen der Mutter) und er ist völlig verunsichert, sein Rollenbild stimmt nicht mehr, ihm wird der Boden unter den Füssen weggezogen. Er wird auch das erotische Objekt dieser Beziehung, einmal darf er nur mit knappem Handtuch aus der Dusche kommen, die weibliche Erotik wird an eine promiske Bekannte Meckis delegiert.
                                                    Das alles spielt in einem wunderbar fotografierten Berlin (Schöneberg), das kalt und neblig ist, und „die Strassen haben Einsamkeitsgefühle“ (wie Wolfgang Neuss in einem anderen Film aus dem gleichen Jahr, Wir Wunderkinder, singt).
                                                    Und beide Hauptfiguren kommen, wie oft in dieser Zeit, aus beschädigten Familien mit jeweils nur einem Elternteil, sie lebt mit ihrer Mutter (und einem Bruder), die das Spiessertum jener Jahre reproduziert, er mit seinem Vater, kumpelhaft in einem eher chaotischen Haushalt, dem aber eindeutig die Sympathien dieses Films gehören.
                                                    Am Schluss, das Wochenende ist vorbei, sitzt Mecki wieder bei Osram am Fliessband. Die Maschinen arbeiten.
                                                    Ein Kleinod.

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