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Alle Kommentare von moviesforlife

  • 6 .5

    "Game of Thrones" Staffel 7 - Eine Abrechnung (mit Spoilern)

    Die siebte Staffel von "Game of Thrones" ist eine Enttäuschung. Wir alle wissen das, wenn wir einmal - sei es auch nur für einen kurzen Moment - ganz ehrlich sind, uns von persönlichen Präferenzen freisagen und zumindest versuchen, das von HBO gebotene Material völlig nüchtern und objektiv zu betrachten. Ja, "Game of Thrones" ist nach wie vor von Episode zu Episode ein beeindruckendes Erlebnis, das aus produktionstechnischer Sicht sämtliche visuelle Qualitätsstandards bricht, brachiale Bilder präsentiert und bei aller dargebotenen optischen Fulminanz dennoch ausreichend Platz für hintergründige Bildsymbolik und tiefere Interpretationsmöglichkeiten lässt. Etwas vergleichbar Aufwändiges und Spektakuläres findet sich momentan im Serienmedium nirgendwo sonst. Das ist ein Fakt. Doch leider leidet unter der großen Bekannt- und Beliebtheit der Serie mittlerweile vor allem die Qualität der Drehbücher sowie die Erzählweise der Handlung. Das ist ebenfalls ein Fakt.

    Zu gehetzt, zu unausgegoren, zu inkonsistent, zu konstruiert und - besonders im Vergleich mit den ersten vier Staffeln - viel zu berechenbar gibt sich die aktuelle Staffel der Fantasy-Serie. Nicht zuletzt ist dies dem Umstand geschuldet, dass sich die Produzenten Benioff und Weiss zusehends darauf festreiten, eine Serie, deren Handlung so groß angelegt und aufbereitet wurde, dass sie mit Leichtigkeit das Potenzial hätte, ganze fünf oder sechs weitere Staffeln zu füllen, innerhalb von lediglich dreizehn Episoden zu einem halbwegs abgerundeten Ende zu führen. Entsprechend überhastet handelt die siebte Staffel viele wichtige Handlungsstränge ab, ohne diese dramaturgisch befriedigend abzuklopfen und auch Charaktere, die einstmals noch relevant für die Handlung gewesen sein mögen, werden unbedacht abgeschrieben oder zu charakterlosen Spielsteinen in den Armeen mächtigerer Figuren funktionalisiert.

    Oft liest man von Seiten der Fans, zu denen ich mich auch selbst zählen darf, dass jenes drastisch erhöhte Erzähltempo nicht per se etwas Schlechtes sei und der Unmut vieler Zuschauer nur darauf zurückzuführen wäre, dass sie sich noch nicht daran gewöhnt hätten. Diese Aussage ist allerdings falsch. Die Tatsache, dass sich "Game of Thrones" kaum mehr Zeit lässt, die Geschichte und ihre zahllosen Haupt- wie Nebenfiguren würdig auszubauen und stattdessen alle Geschehnisse blind und ohne Verstand Schlag auf Schlag abhandelt, ist keine Gewöhnungssache. Es ist schlicht und ergreifend schlecht, passt nicht zu den bisherigen sechs Staffeln und dürfte viele Leute, die sich bis dato Jahr für Jahr auf die Weiterentwicklung der Erzählung gefreut haben, schwer enttäuschen. Kurzum: Es fühlt sich streckenweise nicht mehr wie "Game of Thrones" an.

    Während eine Reise jenseits der Mauer früher noch ein hochspannendes Abenteuer darstellte, welches sich gleich über mehrere Staffeln hinweg erstreckte, wird die Mauer nun innerhalb einer einzigen Folge überquert, es werden eine Horde von Wiedergängern sowie die Weißen Wanderer bekämpft, ehe man noch in selbiger Episode wieder auf die sichere Seite der Mauer zurückkehrt. Während es früher noch ein Erlebnis war, Daenerys Drachen im Kampf zu beobachten, bekommen die Drei nun praktisch jede zweitete Folge einen Auftritt spendiert, was langsam immer weniger und weniger bestaunenswert wird. Eine Schlacht, die zu den besten Zeiten der Serie eine oder zwei Staffeln lang vorbereitet worden wäre, wird nun schnell in einer dreiminütigen Montage mit erklärender Off-Stimme abgehandelt, was beinahe schon wie eine vollkommen anderen Show erscheint.

    Auch das Eintreffen von Daenerys in Westeros, das mittlerweile über sechs Staffeln aufgebaut wurde und auf einen epochalen Kreuzzug durch die sieben Königslande hoffen lies, entwickelt sich zu einer Teleportations-Orgie sondergleichen: Ohne dass es Sinn ergeben würde und ohne Ankündigung taucht die Mutter der Drachen plötzlich hier und dort auf, nur um in der nächsten Episode wie aus dem Nichts wieder an einem anderen Ort zu erscheinen. Sechs Staffeln voller beschwerlicher Reisen und langer Wegstrecken kulminieren hiermit also in einer hektischen Sightseeing-Tour quer durch Westeros.

    Nun mag der ständige Vergleich mit den ersten Staffeln von "Game of Thrones" nicht wirklich fair sein, zumal eine unvoreingenommene Bewertung an dieser Stelle wichtig ist. Doch selbst einzeln und ohne Vorbehalte betrachtet, ist die Entwicklung einiger wichtiger Konflikte in hohem Maße unbefriedigend. Fakt bleibt nunmal, dass ein gut vorbereiteter Konflikt gleichsam nach einer wohl überlegten Umsetzung verlangt. Wird ein lange angekündigter Konflikt also schnell in wenigen lustlosen Minuten abgearbeitet, zeugt dies von einem überforderten Drehbuch. Ein lieblos inszenierter Konflikt entspricht folglich einem langweiligen Konflikt, einem vergessenswerten und somit einem nichtigen Konflikt.

    Ist die siebte Staffel von "Game of Thrones" aufgrund ihrer vielen Defizite nun misslungen? Mitnichten. Es ist und bleibt bedauerlich, wie viel Potenzial die Autoren bei der Ausarbeitung ihrer Geschichte verschwenden und viele Geschehnisse hätten durch eine bessere Umsetzung und eine längere Vorbereitung weit mehr Einschlagskraft hinterlassen können, aber dennoch ist die neue Staffel weit davon entfernt, qualitativ mittelmäßig oder gar schlecht zu sein. Zwar ist sie eindeutig das bisher fehlerhafteste Kapitel der Serie, nichtsdestotrotz ist Staffel 7 aber immer noch gutes und durchweg sehenswertes Fernsehen. Denn letztendlich wird in diesen sieben Episoden nicht mehr alles, jedoch immerhin noch so einiges richtig gemacht.

    Abseits der eindrucksvollen Landschaftsaufnahmen, der turbulenten Spezialeffekten und der angenehmen musikalischen Untermalung, wartet Staffel 7 mit vielen kleinen, gut ausgearbeiteten Charaktermomenten auf und überrascht mit einigen clever geschriebenen und manchmal auch humorvollen Dialogen, welche sich meist überraschend gut in das breite Handlungsgefüge der Serie einreihen. Seien es die dynamischen Dispute zwischen Jaime und Cersei, die Monologe Kleinfingers oder verschiedene Streitgespräche zwischen Tyrion und Daenerys. Als beispielsweise Bran den selbstsicheren Lord Baelish mit seinem eigenen Zitat "Chaos is a ladder" konfrontiert und dieser daraufhin für einen kurzen Moment aus der Fassung gerät, ist das großes Fernsehen. Und auch die Abschlussszene der dritten Episode, die letzte verbale Attacke von Olenna Tyrell auf den perplexen Jaime, gehört zu den am besten geschriebenen Szenen der letzten drei Staffeln, stumm mündend in tragischer, fast schon poetischer Ironie - und das nicht nur da Olenna, die als Rothweyn geboren wurde, ausgerechnet durch Rotwein ums Leben kommt.

    In ihren besten Momenten gelingt es der siebten Staffel darüber hinaus, die aktuelle Blockbusterlandschaft vor Neid erblassen zu lassen. Selbst die arg konstruierte Actionszene in der sechsten Folge bietet zumindest mehr als episch aufgezogenes, adrenalingeladenes Spektakel in denkwürdigen Bildern. Ganz zu schweigen erst von der großartigen Schlachtszene in Folge 4, die aus inszenatorischer Sicht ganz sicher neue Maßstäbe für das Kino setzt und der es ähnlich gut wie der Schlacht der Bastarde in der vorherigen Staffel glückt, den Zuseher mitten in das Kampfgeschehen, mitten in ein allumfassendes Martyrium aus Feuer, Asche, Blut und Tod zu katapultieren - ein Erlebnis, wie man es im Moment mit keiner zweiten Serie haben kann.

    Am Ende bleibt von der siebten Staffel daher mehr als bloß der bedauerliche Gedanke, alles hätte doch so viel gekonnter umgesetzt werden können, hätte man sich nur mehr Zeit dafür gelassen und hätte man auf einige vorhersehbare Plotmechanismen verzichtet. "Game of Thrones" ist und bleibt ein Erlebnis. Ein besonderes Erlebnis. Wenngleich die Größe der vorherigen Staffeln nicht mehr erreicht werden kann und es mittlerweile viele Makel gibt, die mehr als genug Stoff für eine ganze Welle an negativer Rezeption liefern, ist es trotzdem verwunderlich, wie weiterhin Folge um Folge in ihren Bann zieht und einen für das Publikum unwiderstehlichen Sog ausübt, dessen Macht man sich nur sehr mühevoll entziehen kann.

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    • Bisher eindeutig die stärkste Episode der siebten Staffel. Allein die Schlacht am Ende ist einfach wundervoll inszeniert worden. Ansage an so gut wie jeden Blockbuster aktuell: So und nicht anders hat großes Kino auszusehen!

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      • moviesforlife 05.08.2017, 16:07 Geändert 05.08.2017, 16:09

        Interessant wie viele Leute hier in den Kommentaren sagen, dass sie sich bei ihrer Lieblingsserie nicht lediglich auf eine einzelne Lieblingsfolge festlegen können. Und wenngleich es mir bei zum Beispiel "Fullmetal Alchemist: Brotherhood" oder "The Leftovers" ähnlich geht, ist es bei anderen Lieblingsserien doch wirklich leicht, die eine Episode zu nennen, die als absoluter Höhepunkt zwischen allen anderen hervorsticht.

        Bei "Breaking Bad" fällt die Wahl ganz klar auf "Ozymandias", welche gleichzeitig sowohl die drittletzte Episode der finalen Staffel als auch den dramaturgischen Höhepunkt der Serie markiert. Hier werden so gut wie alle im Verlauf der Serie sorgfältig aufgebauten Konflikte in einem hochintensiven Finale entladen, das auf emotionaler Ebene selbst in der Kinogeschichte noch seinesgleichen sucht. Ich liebe es.

        In "Game of Thrones" ist die beste Folge ebenfalls recht schnell gefunden: "The Rains of Castamere" ist und bleibt in ihrer unfassbaren Konsequenz mit Abstand eine der überwältigendsten Serienepisoden aller Zeiten. Davon, eine derartige Fassungslosigkeit bei mir auszulösen, kann ein "Battle of the Bastards" oder ein "The Winds of Winter" nur träumen.

        Bei "Hunter x Hunter" wären gleich zwei Titel zu nennen. Einmal "Zero x and x Rose" und des weiteren natürlich "Anger x and x Light". Hier kann ich mich beim besten Willen nicht zwischen der womöglich am besten durchdachten und am schönsten inszenierten Action-Szene sowie der dramatischsten, zermürbendsten und düstersten Episode der Serie entscheiden. Pure Genre-Dekonstruktion.

        Und zuletzt bleibt noch "Everyone's Waiting", das Serienfinale von "Six Feet Under". Hierzu muss wohl gar nicht mehr viel gesagt werden. Außer dass es sich um die denkbar emotionalste und rundeste Konklusion handelt, die man sich für eine Serie nur wünschen kann. Allein die letzten Minuten sind in ihrem Humanismus monumental.

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        • moviesforlife 28.06.2017, 23:36 Geändert 28.06.2017, 23:38

          Ich habe ihn vorhin gesehen und bin wirklich immens positiv überrascht. "Enemy" ist tatsächlich ein fantastischer Film. Vermutlich sogar das beste Werk Villeneuves, das ich bis dato gesehen habe. Wer mal wieder die Synapsen in seinem Gehirn entstauben und längere Zeit intensiv nachdenken möchte, aber gerade zufällig keinen Film von David Lynch zur Hand hat oder dessen wichtigste Werke bereits alle gesehen hat, dem sei mit "Enemy" eine durchaus würdige Alternative ans Herz gelegt.

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          • Moviesforlife liest immer mit. Grüße zurück. ( ͡° ͜ʖ ͡°)

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            • "Kann Shinkai eigentlich auch noch andere Filme außer über "zwei-sich-liebende" drehen?"
              Nein.

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              • moviesforlife 07.05.2017, 15:24 Geändert 07.05.2017, 15:26

                Das Geniale an "Get Out" ist in meinen Augen definitiv die Tatsache, dass sich hinter dem vorgehaltenen Liberalismus der Eltern letztendlich nicht - wie von Anfang an nahe liegen würde - offener Rassismus, sondern etwas weitaus Schlimmeres verbirgt. Und dabei entlarvt sich die Familie bereits in den ersten Minuten selbst. Einerseits stellen sie sich wiederholt als liberal und weltoffen dar, andererseits betonen die Eltern direkt im ersten Gespräch, dass sie dem Protagonisten Chris das Rauchen verbieten wollen, sie ihm diese Eigenschaft buchstäblich "abtrainieren" möchten. Auch die kurze Erwähnung über die kontrollierte Ausrottung aller Rehe stellt den Vater recht früh in ein sehr fragwürdiges Licht.

                Ab hier folgen Spoiler.
                Davon abgesehen repräsentiert jedes Familienmitglied für sich genommen einen Aspekt ihres hinter der Fassade des Liberalismus getarnten Kontrollbedürfnisses: Die Tochter verführt und kontrolliert Männer mit Hilfe ihrer weiblichen Reize, die Mutter missbraucht ihren Beruf als Psychotherapeutin, um den Verstand ihrer Patienten zu manipulieren, während der Vater als Chirurg wortwörtlich im Gehirn seiner Opfer herumfuhrwerken darf. Und selbst das Altern oder den Tod will die Familie künstlich beeinflussen, gar bezwingen.

                Somit ist das Clevere an "Get Out" nicht das übliche Anprangern von Rassismus oder die klar erkennbare Medienkritik - etwa als Chris in Trance versetzt wird und die Welt als eine Art Fernsehbildschirm wahrnimmt, durch welchen die Mutter sein Unterbewusstsein beeinflusst - sondern die Enthüllung, dass eben keine rassistischen Motive hinter den Absichten der Eltern stecken. Ganz im Gegenteil. Und das ist es, was mir Angst macht.

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                • 8 .5

                  Ich hasse Krankenhäuser. Ich hasse sie einfach. Dieses grellweiße, immer gleich aussehende Gängelabyrinth. Diese sterilen, kalten Wände mit ihren eng aneinandergereihten Türen. Dieser leicht süßliche Geruch nach Putz- und Desinfektionsmittel. Diese immer gestresst wirkenden Krankenschwestern, gefangen in ihrer scheußlichen Routine: Tag für Tag Werte messen, Patienten füttern, ihnen gut zureden, sie ins Bett bringen und sie dann in ihren spartanisch eingerichteten Krankenzimmern zurücklassen. Und über allem schwebt greifbar die bleischwere Gegenwart von Krankheit, Tod und Verfall in ihrer denkbar stärksten Konzentration.

                  Ja, vermutlich liegt es in erster Linie an dieser unumgänglichen Konfrontation mit dem Sterben, mit dem Moment, in dem der eigene Körper den Geist aufgibt, die mich bei jedem Krankenhausbesuch unheimlich deprimiert. Die Traurigkeit der Menschen, die Zimmer für Zimmer mit ihrem physischen Wohlergehen zu ringen haben, in ihren weißen Kitteln vor sich hinvegetieren, den Kampf vielleicht schon längst aufgegeben haben und daraufhin der Resignation verfallen. Die Angst, die Sorge und die Melancholie der Patienten, ihrer Freunde und ihrer Angehörigen. Man spürt sie förmlich in den leeren Gängen wiederhallen und schmeckt sie in der stickigen Luft um sich herum, diese Woge des menschlichen Elends.

                  Und auch meine eigene Stimmung trübt sich augenblicklich, sobald ich auch nur an ein Krankenhaus denken muss. Erinnert es mich doch schmerzlich an jene Zeit, in der mein Opa wegen seines Herzfehlers und seiner Nierenprobleme mehrmals pro Jahr in ein Hospital eingeliefert werden musste. Es erinnert mich an die vielen Besuche - jeder mit der schmerzlichen Befürchtung, es könnte der Letzte sein - das viele Bangen und die tägliche Gewissheit, dass bald schon die Zeit kommen würde, in der ich ohne diese mir so nahe und liebe Person, die mich bereits an meinen ersten Tagen auf dieser Welt in Händen gehalten hatte, leben müsste.

                  Eine Zeit lang versuchte ich das alles zu verdrängen. Später dann bereitete ich mich innerlich darauf vor, wohl wissend, dass mein Opa streng genommen großes Glück gehabt hatte, mit seinem schwachen Herzen überhaupt ein Alter von etwas mehr als 80 Jahren erreicht zu haben. Ich rechnete also Tag für Tag damit, dass es irgendwann passieren müsste, früher oder später. Stellte mir vor, wie es sich anfühlen würde, die schlimme Nachricht zu erfahren. Redete mir ein, dass bis zum Eintreffen dieses Momentes sicherlich noch einige Jahre ins Land ziehen dürften. Beruhigte mich mit dem Gedanken, dass der Tod im Grunde etwas ganz natürliches sei und eben - genau wie die Geburt - zum Leben mit dazugehöre und es uns überhaupt erst möglich mache, die gewaltige Menge an Lebenszeit wertzuschätzen, die uns gegeben wurde.

                  Und es stimmt. Der Tod ist eigentlich etwas ganz und gar Natürliches. Streng genommen ist er in der Geschichte unseres viele Milliarden Jahre alten Universums sogar der absolute Normalzustand - das Leben, so wie wir es kennen, ist hingegen die Ausnahme. Und der Tod ist allgegenwärtig. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde sterben irgendwo auf der Erde Menschen. Aus biologischer Sicht ist sogar unser eigener Körper bereits mehrfach gestorben, schließlich leben unsere Körperzellen im Durchschnitt nur etwa sieben bis zehn Jahre lang, bevor sie absterben und durch frische Zellen ersetzt werden. Also wieso verdrängen wir den Tod und seine Omnipräsenz immer wieder so gekonnt aus unserem Alltag? Wieso schockiert und erschüttert es uns trotzdem, wenn ein enger Freund, Verwandter oder Bekannter unerwartet verscheidet?

                  Die Psychologie kennt eine interessante Metapher für dieses Phänomen: Man stelle sich einen luftgefüllten Ballon vor, der mit aller Kraft unter Wasser gedrückt wird. Zunächst ist es noch einfach, den Ball unter der Wasseroberfläche, also außerhalb der eigenen Wahrnehmung, zu halten. Doch mit der Zeit gestaltet es sich als zunehmend anstrengender und mühevoller, bis einem der Ballon schließlich aus den Fingern gleitet und mit einem lauten Platschgeräusch aus der Tiefe an die Oberfläche geschossen kommt. Ähnlich verhält es sich mit der Verdrängung des Todes. Man blendet alle Gedanken daran bewusst aus und eine Zeit lang geht es einem danach tatsächlich besser. Doch über Kurz oder Lang wird uns die nüchterne Tatsache, dass wir - genau wie alles andere Leben auf diesem Planeten - vergänglich sind, mit aller Gewalt heimsuchen und im schlimmsten Fall sogar zum Sturz in eine tiefe Existenzkrise führen.

                  In diesem Sinne ist "Six Feet Under - Gestorben wird immer" eine unsagbar heilsame Serie. Und das nicht nur, weil sich dieses Meisterwerk in jeder einzelnen Episode mit Leid, Kummer und Tod als unvermeidbarer Bestandteil des Lebens auseinandersetzt und spätestens in der finalen Staffel mehr als eindrucksvoll demonstriert, dass alles und jeder irgendwann, irgendwo und irgendwie enden wird, sondern auch, da diese Serie das Leben - dem meist depressiven Grundtenor zum Trotze - zutiefst bejaht. Es wäre zudem keine Übertreibung zu behaupten, dass "Six Feet Under", insbesondere die letzte Staffel, meine Sicht auf die Welt und das Leben als solches grundlegend verändert hat. Angesichts dessen lässt sich selbst der eine oder andere zwischenzeitliche Durchhänger, die manchmal etwas repetitive Erzählstruktur und die teils wechselhafte Drehbuchqualität entschuldigen. Sogar mehr als das: Wer lange genug durchhält, der wird in Staffel 5 mit einem überwältigenden Sortiment an Meisterwerk-Episoden sowie mit dem besten und ergreifendsten Serienende entlohnt, das ich bis zum jetzigen Zeitpunkt gesehen habe.

                  Nach dem Abschluss von "Six Feet Under" war ich jedenfalls nicht nur völlig in Tränen aufgelöst und musste mir eine halbe Stunde lang Rotz und Wasser aus der Nase schnäuzen, sondern mir wurde auch zum ersten Mal wirklich bewusst, dass nicht nur ich, sondern auch alle Menschen die mir nahe stehen, alle meine Freunde, meine Familie, all die Leute, die mir täglich auf der Straße über den Weg laufen und auch meine Bekanntschaften hier auf "moviepilot" eines Tages sterben werden. Eigentlich eine unheimlich traurige und beängstigende Vorstellung in der nicht wenig Angst vor der absoluten Einsamkeit mitschwingt. Andererseits ist es die zeitliche Beschränkung der eigenen Lebensspanne, die dem menschlichen Leben überhaupt erst einen Sinn verleiht. Nur so kann man das Hier und Jetzt schätzen lernen und die übrige Lebenszeit in vollen Zügen auskosten. Bis irgendwann das Ende kommt.

                  Das Ende kam dann schließlich auch für meinen Opa. Und wie es bei solchen Dingen immer läuft, traf mich dieser Moment trotz sämtlicher mentaler Vorbereitung vollkommen unerwartet. Eines Tages ging dieser Mann, der mir so viel bedeutet hat, zur Dialyse in ein Krankenhaus - ein reiner Routineeingriff, selbstverständlich - und kam nie wieder zurück. Um die bittere Wahrheit zu sagen: Ich konnte mich vorher nicht einmal mehr von ihm verabschieden. Und es schmerzte. Oh ja, es schmerzte so sehr, das erbarmungslose Gefühl, einen Menschen, den man bereits sein ganzes Leben lang kennt, nie wieder sehen zu können, nie wieder seine Nähe zu spüren, nie wieder seine Hand zu halten, ihn nie wieder auf der Gartenbank sitzen zu sehen, wie er seinen Blick im Sommer gedankenverloren über die bunten Blumenbeete schweifen lässt. Und versteht mich nicht falsch, ich hatte in meiner Verwandtschaft bereits zuvor mit dem Tod zu tun gehabt. Aber noch nie hat mich ein Mensch verlassen, der mir so wichtig und vertraut war. Sogar so vertraut, dass ich am Tag darauf mit dem Gedanken erwachte, die Nachricht von seinem Tod wäre bloß ein schlimmer Alptraum gewesen und ich hätte mir den ganzen Schmerz nur eingebildet.

                  Wie dem auch sei, gleichzeitig ist mein Großvater auch der einzige Tote, den ich bisher gesehen habe. Ich habe das Bild immer noch lebhaft vor Augen: Der engste Familienkreis stand im Gang des düsteren Bestattungsinstituts - sicherlich kein so Gutes wie das "Fisher & Söhne" aus "Six Feet Under" - und suchte die Kammer, in der er zur Ruhe gebettet lag. Danach versammelten sich alle in dem kleinen Raum mit der Leiche und sagten gemeinsam ein "Vaterunser" auf, während ich im Nebenraum stand und mir die Tränen aus den Augen wischte. Kurz darauf durfte ich dann alleine in die Kammer mit dem toten, adrett hergerichteten Körper gehen um mich gewissermaßen von ihm zu verabschieden, obwohl eine leise Stimme in meinem Hinterkopf die ganze Zeit über flüsterte, dass er tot war und meine unter Tränen gemurmelten Abschiedsworte ohnehin nicht mehr hören konnte.

                  All diese schmerzvollen Erinnerungen wurden mir von "Six Feet Under" und vor allem den perfekten letzten vier Episoden wieder lebhaft in Erinnerung gerufen. Auch Gedanken an die Beerdigung einige Tage später kamen ab und an wieder an die Oberfläche. Seltsamerweise empfand ich das tatsächliche Begräbnis allerdings als wesentlich weniger einschneidend und endgültig als die Zeit der Trauer davor. Vielleicht liegt es daran, dass ich nach meinem Besuch im Leichenhaus des Bestattungsinstituts ein Stück weit mit der Sache abgeschlossen hatte und einen Schlussstrich darunter ziehen konnte. Vielleicht ist der Grund dafür aber auch, dass ich Friedhöfe immer schon als einen Ort der Ruhe empfunden habe. Obwohl der Tod an dieser Stätte präsenter ist als irgendwo sonst, macht mir ein Besuch dort so gut wie gar nichts aus. Und besser als ein Krankenhaus ist ein Friedhof allemal.

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                  • 6 .5

                    Obwohl die im Titel beschriebene rote Schildkröte nur in wenigen Szenen zu sehen ist - welche jedoch zu den eindringlichsten Kinomomenten des Jahres 2017 gehören dürften - ist sie nichtsdestotrotz sowohl die treibende Kraft als auch das eigentliche Herzstück des Films. Verhindert sie anfangs noch, dass der namenlose Protagonist die einsame Insel verlässt, auf der er unglücklicherweise gestrandet ist, leitet sie später dann einen radikalen Wendepunkt in der Charakterentwicklung des Mannes ein und sorgt indirekt sogar dafür, dass er die anfänglichen Fluchtversuche aufgibt und seine Ansicht über die Natur sowie das Leben in ihr grundlegend überdenkt.

                    Demzufolge lässt sich die rote Schildkröte als Symbol für die Natur als solche interpretieren. Zu Beginn bekämpft sie der Protagonist noch - er beutet die Natur beispielsweise aus, um schnellstmöglich ein Floß zu erbauen - und versucht ihr zu entkommen, doch nach und nach wandelt sich die Beziehung zwischen den beiden. Ab diesem Punkt beginnt der Mann, seine Situation zu akzeptieren. Anstatt vor ihr davonzulaufen, lernt er die Dinge wertzuschätzen, die ihm auf dieser winzigen Insel gegeben wurden, wodurch sich nicht zuletzt auch seine Einstellung zum Leben selbst maßgeblich verändert.

                    Natürlich spricht es nur für die Fähigkeiten des Studio Ghibli im Allgemeinen und für die Qualität ihres neuesten Meisterstreiches "Die rote Schildkröte" im Besonderen, dass ein derart bedeutungsschwangerer Film tatsächlich ohne ein einziges gesprochenes Wort auskommen kann. Denn trotz der allgegenwärtigen, nur selten durch minimalistischen Musikeinsatz unterbrochenen Stille hat "Die rote Schildkröte" dem aufmerksamen Zuschauer so vieles mitzuteilen. Allein der anmutige und wundervoll melancholische Schlussmoment spricht diesbezüglich Bände: Das Publikum soll endlich begreifen, dass es für ein glückliches Leben nicht selten von Vorteil sein kann, ab und an innezuhalten, die Hektik und den Stress des Alltags zu vergessen und aus dem Wettrennen des Lebens auszusteigen. Sich an dem zu erfreuen, was man bereits hat, ist oftmals nämlich weit erfüllender als auf die Dinge zuzuhetzen, die man noch nicht hat.

                    In vielerlei Hinsicht macht dies aus "Die rote Schildkröte" ein filmisches Gegenstück zu "Die Legende der Prinzessin Kaguya", einem der neueren Werke des Studios. Während der letztere Film von einer jungen Frau erzählt, welche die Natur - einen Bambuswald - verlässt, um in die weit entfernte Zivilisation zu ziehen und schließlich aus den dort vorherrschenden Traditionen auszubrechen versucht, dreht sich "Die rote Schildkröte" um einen Mann, der aus der Zivilisation in die Natur - ebenfalls in einen Bambuswald - verschlagen wird, dieser zuerst entkommen will, sich dann aber mit ihr abfindet und sie letztlich zu schätzen, ja, gar zu lieben lernt. "Die Legende der Prinzessin Kaguya" macht dem Zuseher also Mut, über den Tellerrand hinauszublicken und sich nicht zwangsläufig mit geographischen, sozialen oder spirituellen Grenzen abzufinden. "Die rote Schildkröte" hingegen zeigt das Glück und die Zufriedenheit, die man mitunter in seinem gegenwärtigen Zustand entdecken kann, wenn man diesen nur so gut es geht akzeptiert.

                    Wie bei den meisten Ghibli-Filmen ist auch die Botschaft von "Die rote Schildkröte" nicht leicht erfassbar und eher subtil in den erstaunlich realitätsnahen Naturbildern und den wortlosen Aktionen der männlichen Hauptfigur verankert. Die ständige Stille und das Fehlen einer einprägsamen Hintergrundmusik mögen den einen oder anderen Ghibli-Fan freilich etwas irritiert und unschlüssig zurücklassen, könnten möglicherweise sogar eine emotionale Distanz verursachen. In seiner unaufgeregten und nüchternen Machart, die angenehm an Michael Dudok de Wits bekanntesten Kurzfilm "Vater und Tochter" erinnert, weiß "Die rote Schildkröte" allerdings sehr zu beeindrucken. Nur leider befürchte ich, dass dieses ruhige und meditative Werk genauso still an den deutschen Kinobesuchern und Rezipienten weltweit vorbeiziehen wird, wie der Protagonist sein stummes Einsiedlerdasein auf der kleinen Insel führt. Im Grunde ist das überaus bedauerlich. Denn genau für solche Filme wurde das Kino erdacht.

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                    • Das wäre dann definitiv und mit breitem Abstand das Ende von "Six Feet Under".

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                        moviesforlife 11.03.2017, 14:49 Geändert 11.03.2017, 14:52

                        Seit mehreren Monaten fieberte ich dem Ende von "Six Feet Under" nun schon entgegen. Und das liegt nicht etwa daran, dass ich es nicht mehr erwarten konnte, diese grandiose Serie endlich abzuschließen. Nein, meinetwegen dürfte "Six Feet Under" gerne ewig weitergehen und mich noch viele weitere Monate in meinem Leben begleiten. Vielmehr war ich unfassbar gespannt auf das Ende der finalen Episode, die den wunderbar treffenden Titel "Everyone's Waiting" trägt. Das berühmte Ende, welches mir vielfach und von den verschiedensten Seiten als ein absolut perfekter Abschluss, gar als das beste und emotionalste Serienende aller Zeiten angepriesen wurde. Und obwohl ich solchen Phrasen in der Regel keine große Bedeutung beimesse, war ich lange Zeit über unheimlich neugierig auf den Schluss dieser Serie. Zumal die besagten Schwärmereien meistens von Leuten stammten, deren emotionalen Einschätzungen ich, trotz einiger Geschmacksdifferenzen, im Normalfall blind vertrauen kann (der größte Dank gebührt an dieser Stelle Deusfantasy, der mich überhaupt erst auf die Serie aufmerksam gemacht hat).

                        Und so habe ich mir die allerletzte Folge von "Six Feet Under" in der Nacht zum Mittwoch der vergangener Woche zu Gemüte geführt. Von den Ereignissen der vorherigen Episoden emotional schwer angeschlagen, war ich mir in den letzten 15 Minuten von "Everyone's Waiting" naiverweise absolut sicher, dass ab diesem Punkt wohl nichts mehr kommen konnte, das mich nach allem, was ich bereits ertragen hatte, noch sonderlich mitnehmen könnte. Da es mir allerdings gelungen ist, die ganze Zeit über sämtlichen Spoilern aus dem Weg zu gehen und ich daher unvoreingenommen an das Ende herangehen konnte, hatte ich keinen blassen Schimmer von dem, was mich in den letzten sechs Minuten dieser Episode erwarten sollte. Um niemandem etwas vorwegzunehmen, der die Serie nicht kennt, formuliere ich es ganz prägnant: Ihr hattet Recht. Ihr alle, die mir vom besten Serienende aller Zeiten vorgeschwärmt habt, hattet absolut Recht.

                        Dieses Ende. Diese Abschlussmontage. Diese letzten Minuten. Dieser Song. Ich bin sprachlos. Ich bin wirklich vollkommen sprachlos. Immer noch.

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                            Als der kleine Simba im berühmten ersten Teil der Filmtrilogie, "Der König der Löwen" von 1994, über die strikten Gesetze seines Vaters aufgeklärt wird, reagiert er erbost und rebellisch, setzt sich über alle erdenklichen Verbote hinweg und bricht, seinem jugendlichen Leichtsinn folgend, eine Regel nach der anderen. Auf die Information hin, dass Simba eines Tages - ob er es will oder nicht - seine Jugendfreundin Nala heiraten müsse, da es schließlich seit jeher der Tradition seines Stammes entspricht, erwidert der junge Löwe kurzerhand: "Bin ich erst mal König, wird sie [die Tradition] sofort abgeschafft!"

                            Doch was gibt es in "Der König der Löwen 2: Simbas Königreich" zu sehen? Simba, mittlerweile selbst zum Vater und König herangewachsen, fügt sich nun den konservativen Ansichten des monarchistischen Systems, das nur allzu schnell in eine Tyrannei umzukippen droht - wie man anhand von Scars despotischer Machtergreifung im ersten Teil erkennen kann - und stellt für seine Tochter Kiara Unmengen an Vorschriften und Einschränkungen auf, ganz der Tradition des eigenen Vaters und dessen Vorfahren folgend. Überraschend ist diese Charakterentwicklung jedoch nicht, ging es doch im Vorgängerfilm hauptsächlich um Simbas Pflicht, seiner Bestimmung als König der Löwen nachzugehen und diese an Stelle seines Vaters zu verwirklichen.

                            Entsprechend wenig Offenheit zeigt Simba für alles Neue und Fremde, das nicht mit seiner eigenen Weltanschauung übereinstimmt. So hegt er beispielsweise starke Vorurteile gegenüber einer Gruppe von Löwen, die außerhalb der Grenzen seines Reiches lebt und in der er nicht nur eine politische Bedrohung wittert, sondern die er außerdem allesamt als seine Feinde stigmatisiert, obgleich sie abgesehen von ihrer mäßigen Hygiene und ihrer anderen Fellfarbe nur wenig von seinem eigenen Rudel unterscheidet. Als Kiara Freundschaft mit Kovu, einem dieser Löwen, schließt und sich eine Liebesbeziehung zwischen den beiden entwickelt, schreitet der pflichtbewusste Vater umgehend ein: In Kovu sieht er anfangs nicht mehr als einen hinterlistigen, schmutzigen und unwillkommenen Eindringling, dessen Umgang das liebe Töchterlein doch bitte vermeiden soll. Anstatt Kovu als Person zu begegnen, erkennt er in ihm lediglich die Fehler seiner Stammesgenossen und verschließt vor seinen begründeten Rechtfertigungen geflissentlich die Ohren.

                            Ein dramatischer, sich unweigerlich zuspitzender Konflikt zwischen den unterschiedlichen Parteien und deren politischen sowie sozialen Ansichten liegt demzufolge von den ersten Minuten an in der Luft und entfaltet alsbald eine beinahe dichterische Tragik. Kein Wunder, schließlich ist die Handlung von "Der König der Löwen 2" sehr eng an das Schaffen des großen William Shakespeare angelehnt. Während sich bereits der erste Teil in groben Zügen an Shakespeares "Hamlet" orientiert, erinnert die Geschichte zweier Liebenden, die durch ihre verfeindeten Familien voneinander getrennt werden, stark an ein anderes berühmtes Stück des englischen Künstlers: "Romeo und Julia".

                            Besonders ergreifend wird "Der König der Löwen 2" ab dem Punkt, an dem Kiara ihr eigenes Schicksal und ihre Bestimmung als künftige Königin hinterfragt und versucht, aus der ihr von Geburt an zugeschriebenen Rolle auszubrechen. Wenngleich ihr Vater der festen Überzeugung ist, im ewigen Kreislauf des Lebens sei bereits alles, also auch die Zukunft seiner Tochter, vorherbestimmt - ein extrem fatalistischer Denkansatz - versucht sie sich aus seinem konservativen Regime zu emanzipieren. Anstatt wie der junge Simba "Ich will jetzt gleich König sein!" herauszuposaunen, stellt Kiara die rhetorische Frage "Eine große Königin, ob ich sowas auch bin?" und zweifelt damit die Richtigkeit ihrer Bestimmung an.

                            Auf der anderen Seite wird auch Kovu dazu gezwungen, eine Rolle zu erfüllen, die er nicht für die Richtige oder gar für seine Bestimmung erachtet. Von Kindesalter an trimmt ihn seine totalitäre Mutter darauf, die Macht als neuer König an sich zu reißen und in Scars Fußstapfen zu treten. Kovus Situation ist also doppelt tragisch: Zum einen misstrauen ihm Simba und seine Leute, da sie in ihm gewissermaßen einen zweiten Scar vermuten, andererseits erkennt ihn auch seine eigene Familie nicht als Individuum mit freiem Entscheidungswillen an, sondern sieht Kovu bloß als eine Schachfigur, eine Marionette, die ihre Funktion zu erfüllen hat. Und das um jeden Preis.

                            Bezeichnenderweise kommt es am Ende von "Der König der Löwen 2", im Gegensatz zu Shakespeares Vorlage, aber nicht zur großen Tragödie, sondern zu einer friedlichen Versöhnung, gipfelnd in einer rührenden und absolut zeitlosen Friedensbotschaft. Anstatt seinen Feind, wie im Kampf zwischen Simba und Scar, mit aller Gewalt in den Abgrund zu stürzen, wird sich hier gegenseitig die Hand gereicht und sogar Simba gelangt zu der Einsicht, dass alle Löwen - egal welcher Herkunft, welches Aussehens und welcher Überzeugungen - von Grund auf gleich sind, wodurch eine gewaltvolle Auseinandersetzung völlig absurd erscheint.

                            Dieser friedvolle Schlussakt kann, zusammen mit dem abschließenden Off-Zitat "Wir sind eins", auch durchaus als ein Appell nach mehr Nächstenliebe und Menschenfreundlichkeit verstanden werden, der heutzutage mehr politische Aktualität denn je besitzt. Jedenfalls gelingt es Kovu und Kiara am Ende, den schicksalsbestimmten Fatalismus ihrer Eltern zu besiegen und den im ersten Teil immer wieder angepriesenen "Ewigen Kreis" zu durchbrechen. Denn ein Kreislauf besitzt den großen Nachteil, dass sich alles wiederholt. Auch die Fehler und Irrungen der Vergangenheit.

                            Doch die große Ironie bei dieser fein ausgeklügelten Handlung und den brillant geschriebenen, doppelbödigen Hauptfiguren ist, dass "Der König der Löwen 2" in erster Linie deswegen eher negativ besprochen wird, da viele Leute den Film gezwungen mit seinem etwas kultigeren und eindeutig pathetischeren Vorgänger vergleichen, was dieser fabelhaften Fortsetzung allerdings nicht im Ansatz gerecht wird. Ähnlich wie die Protagonisten des Films, Kovu und Kiara, die nicht an ihren eigenen Taten sondern an den Erwartungen gemessen werden, die ihre Familien in sie setzen, wird auch "Der König der Löwen 2" an dem populären Ursprungsfilm gemessen und nicht an den Dingen, die ihn tatsächlich ausmachen und zu einer der besten Fortsetzungen aller Zeiten erheben. Eine verwaschene Erinnerung an jene Zeit, in der Disney noch etwas Wertvolles vermittelt hat.

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                            • Ja, das ist heftig. Lob an dich, dass du so offen über dieses Thema schreibst. Mir persönlich ging es (bisher) glücklicherweise noch nie so, dafür ist die Kunst ein zu essenzieller Teil meines Lebens, für den meine Leidenschaft wahrscheinlich nicht mal dann versiegen würde, wenn ich es denn wollte. Demzufolge brauche ich auch ein Ventil, um diese Leidenschaft abzulassen. Und dafür bietet sich am ehesten - neben der mündlichen Unterhaltung - ein geschriebener Text an, in dem man all seine Empfindungen dem Film gegenüber zum Ausdruck bringen kann.

                              Es gab bei mir auch schon eine Zeit, in der ich so viele Serien gesehen habe, dass mir die Lust auf Filme vergangen ist und umgekehrt auch schon Wochen, in denen ich viele interessante Filme entdeckt habe und mit Serien nichts mehr am Hut haben wollte. Aber ganz kann ich auf das Medium nicht verzichten. Zumindest noch nicht. Und irgendwann gibt es dann immer einen Film oder eine Serie, die mich extrem überrascht oder mich so sehr inspiriert, dass ich nicht anders kann, als etwas darüber zu schreiben. Daher hoffe ich für dich, dass es sich hier nur um eine blöde Phase handelt, die irgendwann vorbei geht. Sonst wäre das nämlich wirklich sehr schade. :-/

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                              • Die Oscar-Nacht ist vorbei, ich habe schön ausgeschlafen und mein Dashboard ist wie jedes Jahr komplett zugespammt. Also alles so, wie es sein soll. <3

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                                • moviesforlife 25.02.2017, 17:31 Geändert 25.02.2017, 17:35

                                  Wow, wirklich so gut? "Lost" stand ohnehin schon auf meiner Liste mit Serienvorsätzen für dieses Jahr, aber durch deinen Artikel hat sich ihre Priorität in dieser Liste ganz klar erhöht. Zum Glück weiß ich bisher auch so gut wie nichts über "Lost" - die Sache mit dem Ende mal ausgenommen - und werde mich ganz und gar von der Serie überraschen lassen können. Und du kannst dich mit "The Leftovers" übrigens auch auf eine ordentliche Überraschung gefasst machen. Eine der besten aktuell laufenden Serien, wenn du mich fragst.

                                  Ansonsten: Sehr lesenswertet Artikel, obwohl ich natürlich nur für die Passage ohne Spoiler sprechen kann.

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                                  • moviesforlife 22.02.2017, 15:08 Geändert 22.02.2017, 15:22

                                    Jeder, der sich nur ansatzweise für das Medium interessiert, dürfte "Death Note" sowieso schon gesehen haben. Zugegeben, der Anime wird vom unerfahrenen Mainstream teilweise stark überbewertet, der ethische Konflikt hätte etwas besser ausgearbeitet werden können und die Handlung sowie die Entwicklung des Protagonisten wandern ab der Hälfte rapide in den Keller. Dafür zählt die erste Hälfte von "Death Note" aber nach wie vor mit zu den spannendsten Dingen, die mir jemals in der Film- und Serienwelt begegnet sind. Nicht zu vergessen die bahnbrechende Visualisierung des psychologischen Duells zwischen Light und "L", die unzähligen religiösen Motive und den extrem einprägsamen Soundtrack.

                                    Ja, "Death Note" ist purer Konsens, aber verpassen sollte man diese Gelegenheit, den Anime eventuell nachzuholen, trotzdem nicht.

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                                      moviesforlife 20.02.2017, 18:33 Geändert 20.02.2017, 21:50

                                      Kommt es mir beim Lesen der eher durchwachsenen Rezeption nur so vor oder gibt es hier tatsächlich so gut wie niemanden, der diese überragende Fortsetzung, ihre shakespeare'sche Tragik und die Konsequenz, mit der sie die Ideologie des ersten Teils hinterfragt, verstanden hat?

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                                      • Bei "10 Cloverfield Lane" stimme ich dir vollkommen zu. Schon seit langer Zeit keine so dämliche Auflösung mehr gesehen. Die letzte Viertelstunde fühlte sich für mich eher wie eine Parodie des Genres an und fährt das zuvor aufgebaute Potenzial komplett gegen die Wand. Schade um einen prinzipiell ganz ordentlichen Film.

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                                          • Wie eigentlich fast immer bei Miyazaki, ist das Beeindruckende an "Prinzessin Mononoke" für mich in erster Linie die Eleganz, mit der hier ein fantastisches und überraschend doppelbödiges Drehbuch um die doch relativ simple Botschaft herum konstruiert wird. Etwas wie Oberflächlichkeit oder Undifferenziertheit gibt es in "Prinzessin Mononoke" kaum bis gar nicht, dafür aber ein Ende, das es dem Publikum alles andere als einfach macht und in hohem Grad zur Reflektion anregt. Außerdem, typisch für Miyazaki, lässt jedes Bild, so konsequent es auch sein mag, noch ausreichend Platz für Wärme, Sinnlichkeit und Emotionen. Vor allem Emotionen. Zu guter Letzt sei auch die traumhafte Filmmusik von Joe Hisaishi nicht unerwähnt, die ich ohne Zögern zu den schönsten Stücken zählen würde, die je für einen Film komponiert wurden.

                                            Kurzum: Ein Film, den man gesehen haben sollte.

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                                            • moviesforlife 01.02.2017, 17:12 Geändert 01.02.2017, 17:14

                                              Mein Favorit hiervon ist ganz eindeutig "I've Told Every Little Star" aus "Mulholland Drive". Zum einen natürlich, da der Song und die Art in der er vorgetragen wird, an sich schon wunderschön sind. Aber davon abgesehen hat diese Szene und ihre musikalische Begleitung auch inhaltlich viel mehr auszusagen als man auf den ersten Blick annehmen sollte. Ist zum Beispiel jemandem aufgefallen, dass Jasons Frage "Did you want to tell me something, Adam?" genau in dem Moment fällt, in dem die Sängerin bei der Textzeile "Why haven't you told me?" angelangt ist? Damit baut Lynch nicht nur ein nettes Detail in diese Szene mit ein, sondern trifft gleichzeitig auch eine Aussage über den gesamten Film, indem er zwei verschiedene Ebenen gegenüberstellt: Die nüchtern vorgetragene Frage von Jason und synchron dazu die gesungene Frage im Hintergrund. Inhaltlich ähneln sich die beiden Fragen zwar sehr, unterscheiden sich allerdings im Satzbau und in der Art, in der sie vorgetragen werden. Ein vergleichbarer Kontrast besteht in "Mulholland Drive" zwischen Dianes aufregender Traumwelt und der tristen Wirklichkeit, die einander zwar in vielen Punkten gleichen, sich jedoch in einigen wichtigen Details voneinander unterscheiden.

                                              Musik nimmt in "Mulholland Drive" aber sowieso einen sehr wichtigen Stellenwert ein. Man denke allein an die gefälschte musikalische Performance im "Club Silencio", die den Kern des Films - den Einschnitt zwischen Realität und Trug - innerhalb weniger Minuten auf den Punkt bringt.

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                                                Es dürften bereits einige Monate vergangen sein, seit eine animierte Serie - sei es ein Anime, ein Cartoon oder ein computeranimiertes Werk - zum letzten Mal eine so unergründliche Faszination in mir geweckt hat wie die Miniserie "Over the Garden Wall" von Patrick McHale. Und das liegt nicht etwa daran, dass ich in der letzten Zeit keine guten Serien aus dem Bereich der Tricktechnik gesehen hätte. In Wirklichkeit stoße ich immer wieder auf fantastische Animationsserien und weiß durchaus deren Vorzüge zu würdigen, schließlich bietet eine animierte Serie nahezu grenzenlose Möglichkeiten zur Verwirklichung und Entfaltung künstlerischer Visionen und muss sich nicht zwangsläufig den Regeln und Ansprüchen der realen Welt unterordnen.

                                                Das Problem ist eher, dass ich seit jeher dazu neige, gefeierte Produktionen als wesentlich schlechter aufzufassen als es die breite Masse tut oder mich allerhöchstens in meiner Erwartungshaltung bestätigt zu fühlen. Sehe ich mir also eine beliebte Serie an, sind meine Erwartungen ihr gegenüber in der Regel von astronomischer Höhe und können praktisch gar nicht mehr übertroffen, maximal noch erfüllt werden. Deswegen versetzt mich eine Serie am ehesten in Ekstase, wenn ich mich - aus welchem Grund auch immer - mit mehr oder weniger niedrigen Erwartungen an sie heranwage und dann völlig unvorbereitet und wie aus dem Nichts von ihrer unerwarteten Genialität überwältigt werde.

                                                Die letzte animierte Serie, die dieses euphorische Gefühl in mir auslösen konnte, dürfte der Anime "Ping Pong the Animation" gewesen sein, der leider Gottes unter einer der langweiligsten und irreführendsten Prämissen leidet, die man sich nur vorstellen kann: Schenkt man der Inhaltsangabe Glauben, so geht es in dieser Serie lediglich um zwei Freunde und ihre Leidenschaft für das Tischtennisspielen. Wie sollte man denn aus diesen wenig verheißungsvollen Informationen ableiten können, dass sich hinter "Ping Pong the Animation" ein tiefenpsychologisches, lebensbejahendes und mit Unmengen an versteckter Symbolik angereichertes Meisterwerk verbirgt, das nicht nur über philosophische und existenzialistische Denkansätzen reflektiert, sondern in seiner vorletzten Episode auch eine der intelligentesten Monologzeilen liefert, die jemals im Rahmen eines Serienformates ausgeklügelt wurden? Die Antwort: Man kann es nicht. Und genau deswegen, aufgrund dieser geminderten und fehlgeleiteten Erwartungshaltung, ist die schlussendliche Seherfahrung umso beeindruckender.

                                                Vergleichbar überwältigend gestaltet sich das kurze, aber dennoch inspirierende Erlebnis mit der Mystery-Cartoonserie "Over the Garden Wall", der es mit ihrem Umfang von gerade mal zehn Episoden à jeweils zehn bis elf Minuten gelingt, eine intensive und zutiefst melancholische Atmosphäre aufzubauen, die mich mit Sicherheit noch für die nächsten Wochen in ihrem unwiderstehlichen Bann gefangen halten wird. Und dabei könnte man im ersten Moment dem Trugschluss erliegen, es handele sich bei "Over the Garden Wall" um eine uninteressante Kinderserie. Zumal sie von Cartoon Network produziert wurde; einem Kanal, der gemeinhin den diskussionswürdigen Ruf eines reinen Kindersenders genießt.

                                                Doch selbstverständlich ist "Over the Garden Wall" alles andere als eine Serie für Kinder. Begonnen bei der ungemein beklemmenden Atmosphäre, die jeden Horrorfilm der letzten Jahre mit Leichtigkeit in den Schatten stellt, über den rabenschwarzen Humor und einige erschreckende Bilder, die sich so schnell nicht mehr aus meinem Gedächtnis verbannen lassen und welche mir unter anderem bewiesen haben, dass ich Tiere, die sich wie Menschen gebärden, als extrem unangenehm empfinde, bis hin zu der schwierigen Thematik, die sich einem Kind von vornherein gar nicht erschließen kann.

                                                Die schiere Komplexität und Durchdachtheit von "Over the Garden Wall" ist aber nicht nur für Kinder sondern auch für Erwachsene schwer greifbar, was in erster Linie der Tatsache geschuldet ist, dass beinahe jedes Bild, jede Handlung und jede Aktion innerhalb der Serie eine Metapher darstellt. Jeder Dialog oder Monolog ist reine Poesie, wenn er nicht gerade in einer geschliffenen Pointe mündet. Jede Folge liefert endlosen Stoff zum Nachdenken, bis zur konsequenten Auflösung in den letzten beiden Episoden, welche bezeichnenderweise die Titel "Into the Unknown" und "The Unknown" tragen und auf den zweiten Blick mehr als genug Spielraum für jedwede Interpretation offen lassen.

                                                Ich könnte an dieser Stelle noch ewig über die Bedeutung von "Over the Garden Wall" sinnieren, könnte seitenlang die vielen Details analysieren, könnte meine Deutungsansätze vorstellen, könnte die versteckte Botschaft des Titels erläutern, könnte Parallelen zu "Dantes Inferno" oder berühmten Märchen und Volkssagen herausarbeiten oder den Kommentar einfach in stiller Bewunderung für das kongeniale Writing dieses Cartoons zu einem spoilerfreien Ende führen. Am besten ist nämlich, man lässt sich selbst völlig unvoreingenommen auf diese eigenwillige und leider viel zu kurze Reise ein, lässt sich von den traumhaften Naturzeichnungen einlullen und von der einmaligen und schwer in Worte zu fassenden Atmosphäre einnehmen, die durch den fantastischen Musikteppich und die ohrwurmverdächtigen Gesangseinlagen stimmungsvoll vervollkommnet wird.

                                                Ja, die Entdeckung von "Over the Garden Wall" am vergangenen Sonntagabend hat mir nicht nur den Tag, sondern gleich die komplette Woche versüßt. Umso mehr bemitleide ich die Leute, die sich vor diesem exzellenten Cartoon verschließen, da sie in ihm nicht mehr als bloß eine weitere Zeichentrick-Kinderserie sehen können. Doch ist "Over the Garden Wall" so viel mehr als nur das. Es ist eine Liebkosung für Auge und Ohr, eine Serie, über die man stundenlang nachdenken kann, ohne sie in ihrer Gesamtheit begriffen zu haben. Es ist von Anfang bis Ende eine wahrhaft vollendete Serie. Und damit einher geht auch der Eindruck, etwas wirklich Bedeutsames gesehen zu haben. Und das hallt nach. Lange, lange Zeit.

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                                                • Jetzt schon mit Abstand eines der größten Highlights des Jahres.

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                                                  • Da hast du dir die richtigen Filme für Platz 1 bis 3 rausgesucht. Gefällt mir.

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                                                    Ich würde dir außerdem noch dringend "Wiener Dog" empfehlen. Speziell für dich als Hundeliebhaber dürfte das ein sehr interessantes Erlebnis werden. Und das Ende dieses Films ist einfach mal ein riesiges "Fuck you!" an alle aktuell existierenden Tier-Komödien. Definitiv ein Film, an den man sich noch erinnern wird.

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