Schlopsi - Kommentare

Alle Kommentare von Schlopsi

  • 5 .5

    “Happiness creeps into you so quietly you don‘t notice… but misfortune arrives very abruptly.”

    Stell dir vor, du wärst eine ambitionslose, arme Sau und lebst in deiner Süffbude vor dich hin. Während du über eine volle Zahnpastatube philosophierst, klopft ein Schuldentreiber an deine Tür und fordert einen unbezahlbaren Geldbetrag von dir. Du hast keine Verwandten und auch sonst niemanden, der dir aus der Patsche helfen kann. Da bietet dir der Typ plötzlich eine Million Yen an. Was du dafür tun musst? Mit ihm durch die Straßen Tokios spazieren. Für was entscheidest du dich?

    [...] Slice of Life trifft auf Komödie, der schnöde, jedem bekannte Alltag, der unerwartet verrückt wird. So entschließt sich auch Fuyima (Odagiri Joe), das unwiderstehliche Angebot von Fukuhara (Mr. „diese Frisur rockt“ Miura Tomokazu) anzunehmen und durch die Straßen Tokios zu wandern. Zunächst natürlich ohne eine Ahnung, was dahinter steckt.

    An sich hätte ich den Film echt gerne gemocht. Er schenkt dem Zuschauer einen kulturellen Einblick in den japanischen Alltag, was natürlich immer in Verbindung mit den Stationen steht, die im Verlauf der Geschichte abgelaufen werden. Tonal ist das normal, manchmal wird es etwas schrullig, wenn alte Geschichten ausgepackt werden, die nach und nach die wahren Beweggründe Fukuharas aufdröseln. Doch ich tat mich unglaublich schwer mit dem abgedroschenen Humor, der hier und da losgelöst eingestreut wird. Nicht nur, dass eine kleine Nebenhandlung völlig irrelevant für den kompletten Film ist, sie zieht sich auch wie Kaugummi und nervt. Am Anfang denkt man noch, es gäbe einen größeren Nutzen dahinter, doch der verpufft und die Figuren nehmen der eigentlichen Geschichte viel zu viel Raum weg. [...]

    https://infernalcinematicaffairs.wordpress.com/2018/01/22/film-adrift-in-tokyo-2007-jp/

    • 6

      [...] Kingsman: The Golden Circle ist schon ganz nett. Er startet geradewegs mit dem typischen Comicrelief und wirft everybodys Darling Eggsy (Taron Egerton) schnurrstracks in die erste Actionszene des Films. Und die hat es wie gewohnt in sich. Schnelle Schnitte teilen die Bewegungen in feine Einheiten und doch stört diese Hektik nie die Orientierung innerhalb des Bildraums. Es ist, wie bereits im Vorgänger, ein absolutes Schmankerl, mit anzusehen, mit welcher Schaulust diese Szenen umgesetzt werden (auch wenn keine mehr an den Kirchenkampf Harrys im ersten Film herankommt…). The Golden Circle ist kurzweilig, gerade weil er so viele Nebenstories aufgreift. Statt eine stringente Geschichte zu verfolgen, hangelt er sich von einer amüsanten Situation zur nächsten und lebt vielmehr von seinen eingeworfenen Ideen, als dem Großen und Ganzen, zusammengefasst als Miss Poppy vs. the World. Auch wenn der Spaß im Film klar an erster Stelle steht, so ist es doch ein wenig schade zu sehen, wie halbherzig die Ideen verbraten und teilweise auch ausgewalzt werden (Elton John lässt grüßen). Ebenso wie die forciert wirkenden, und viel zu häufig genutzten vulgären Wortwitze, büßt der Film einiges an Einfallsreichtum ein und scheitert daran, ein flottes, geradliniges Agentenintermezzo zu bilden. Stattdessen verschwendet er zu viel wertvolle Zeit darauf, in, für die Handlung weitestgehend irrelevanten Nebenwegen zu verrennen. [...]

      https://infernalcinematicaffairs.wordpress.com/2017/11/07/kingsman-the-golden-circle-2017/

      3
      • 7 .5
        Schlopsi 01.11.2017, 15:17 Geändert 01.11.2017, 15:18

        [...] Was das Worldbuilding angeht, so gehört Thor sicherlich zu den (zumindest visuell) anspruchsvolleren Filmen mit seinem bezaubernden Asgard. Doch gerade hier kann er sich entspannt zurücklehnen und sich auf den Lorbeeren vergangener Geschichten ausruhen. Man fühlt sich direkt heimisch in der Welt der Götter und doch gibt es noch neue, kleine Orte zu entdecken. Mit Sakaar kommt zudem ein weiterer Spielort hinzu, der sehr prominent vertreten ist. Es ist das Heim des mysteriösen Grandmasters (Jeff Goldblum). Der Schrottplanet erinnert mich entfernt an eine Welt aus Guardians of the Galaxy, sorgt mit seinen Bewohnern jedoch für einiges an Spaß – wenn gleich auch gerne etwas weniger Zeit in dieser Welt verbracht hätte werden können… Überhaupt genießt Tag der Entscheidung die Freiheit, sich nicht zu sehr auf seinen Weltenbau versteifen zu müssen. Hier stehen ganz klar die bekannten Figuren im Zentrum, was sich positiv auf die ohnehin göttliche Dynamik zwischen Thor und Loki auswirkt – diesmal auch mit Hulk im Gepäck. Man kennt sich, man weiß wie der Hase läuft und doch nimmt es dem Gespann nichts an Wirkung. Es ist einfach einer dieser Filme, die man sich gönnen kann wenn man angeschlagen ist und etwas zum Lachen braucht. Die gute Laune kommt dann ganz von selbst und man hat oft genug den Eindruck, dass er auch gar nicht mehr sein will. [...]

        Komplett: https://infernalcinematicaffairs.wordpress.com/2017/11/01/thor-tag-der-entscheidung-2017

        4
        • 6

          A Tale of Two Sisters von Kim Jee-woon entlehnt sich einem alten koreanischen Volksmärchen. Doch weitaus moderner fasst Kim dieses auf und zeichnet mit seiner Interpretation ein vermeintlich idyllisches Familienportrait, dessen Fassade mit dem ersten Kontakt zwischen den titelgebenden Schwestern zur Hausbewohnerin Eun-Joo (Yum Jung-Ah) bereits erste Risse erhält. Obwohl der Film mit seiner ersten Szene schon andeutet, dass etwas nicht ganz im Reinen mit sich ist, gibt sich A Tale of Two Sisters sehr lange rätselhaft. Sobald die Schwestern in ihr altes Heim zurückkehren – aus welchen Gründen auch immer sie abwesend waren – geschehen dort unerklärliche Dinge. Dinge, die zunächst willkürlich an eine Japanese Ghost Story erinnern mögen. Der Horror ist hier durchaus gespickt mit klassischen Horrormotiven, verzichtet aber auf Jumpscares. Eher nutzt Kim eine subversive Ader – ganz im Zeichen des J-Horrors – um mit langgezogenen Gruselsequenzen oder einem dissonanten Soundtrack für ein unangenehmes Befinden zu sorgen. Zudem wird der Horror auf einer psychologischen Ebene abseits üblicher Motivik bedient. Obwohl lange Zeit nicht auszumachen ist, worin die Geschichte ihren Ursprung findet und auch nur bedingt Antworten auf eben diese Fragen liefert, streut Kim zahlreiche Hinweise ein, die nach und nach mit Sinn versehen werden. So ist auffällig, dass die Kameraführung häufig die Position von Soo-mi (Lee Soo-jung) einnimmt. Bereits in der eingangs erwähnten Fahrt zum Familienhaus wird dies ersichtlich. Zudem ist der dominante Einsatz der Farbe Rot deutlich wahrzunehmen. Ob im Kleidungsstil der Schwestern, den Wandfarben oder sonstigen feineren Details, es vergehen nur wenige Bilder ohne diese Warnfarbe, die in der saturierten Gesamtästhetik noch zusätzlich heraussticht. Die so drohende Gefahr, ein unausweichliches Ende, erscheint nahezu omnipräsent und nimmt seinem Finale dennoch nichts an Wirkungsmacht. Eine weitere Feinheit, mit der Kim dezent platzierte Hinweise gibt, ist die Kadrierung innerhalb seiner Bilder. Absolut souverän legt Kim das Grundgerüst für seine Geschichte mit der Bildsprache frei, deren Charakterbeziehungen er mit den Positionierungen innerhalb des bildlichen Raums aufzeigt. Es lohnt sich dem Beachtung zu schenken.

          Dieser kleine analytische Exkurs soll deutlich machen, mit welch cineastischen Selbstverständnis Kim Jee-woon seinem Psychohorror Konturen verleiht. Die Kameraführung ist mancherorts unkonventionell gehalten, manchmal unangenehm distanziert vom Geschehen. Wenn die Familie gemeinsam am Tisch zum Abendessen sitzt und die Kamera eine gefühlte Ewigkeit in einer Totalen verweilt. Oder nahe um eine Figur kreist, um ihr Innerstes nach außen zu kehren… Mit A Tale of Two Sisters zieht der Koreaner sämtliche visuelle Register und braucht kaum Worte, um zu zeigen, worum es ihm geht. Es ist ein Film, der sich zunächst mit seinen warmen Farben und Nahen an das Gemüt anbiedert, ehe er sich dann wieder vollkommen in eintönigen Dekors distanziert. [...]

          Komplett: https://infernalcinematicaffairs.wordpress.com/2017/10/29/film-a-tale-of-two-sisters-2003-kr/

          6
          • 6 .5
            über Dunkirk

            Hier muss gar nicht um den heißen Brei geredet werden, denn "Dunkirk" ist ganz in Ordnung. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

            Das größte Problem des Films ist es, dass er sich wie eine Fingerübung Christopher Nolans anfühlt. Es ist ein technischer Showcase par excellence: Ein immanenter anschwellender Score unterstreicht die anspruchsvollen Bildkompositionen, die Szenen werden von ihren Darstellern getragen… und zugleich bietet all dies auch Tücken, auf die Dunkirk gnadenlos hereinfällt. Und da wären wir wieder beim Hauptproblem: Es erscheint lediglich wie eine Fingerübung, deren Unsauberkeiten mit Leichtigkeit hätten umgangen werden können.

            [...]Fernab der Szenen, die sich Einzelschicksalen widmen, wirkt der Film fad und wenig beeindruckend. Es gibt keine wunderbare Plansequenz wie etwa in Abbitte, die das ganze Ausmaß des Geschehens einfängt. Vielmehr hängt der Film in vorgegebenen Bildkadrierungen, die sich weitestgehend „mittendrin“ befinden oder schnell zum nächsten Handlungsort führen. Es fehlt der Sinn für das große Ganze, das Tüpfelchen auf dem i, um dem Film zu wahrer Größe zu verhelfen. So wirkt es wie ein festgefahrenes maschinelles Abdrehen vorbestimmter Situationen, die mittels eines rhythmisch soliden, aber uneinnehmlichen Schnitts auskommen müssen. Nicht selten wirken die Übergänge wie einzelne Clips für Werbematerial jeglicher Art, die zwar in dem Moment gut für sich selbst wirken, aber unsensibel im Gesamtpaket erscheinen. Und wenn dann noch der dritte Schnitt in Folge auf die selbe unveränderte Situation erfolgt, dann wird es überdeutlich, dass es an notwendigem Gefühl mangelt.

            Die Szenen verweigern sich der ultimativen Wirkungsmacht und das ist der größte Mangel an Dunkirk. Denn letztlich ist und bleibt es nur eine Fingerübung Christopher Nolans mit ausuferndem Budget und Material. Zumindest erscheint es erfrischend, wie anders sich dieser Blockbuster präsentiert. Doch anders ist nicht immer herausragend…

            https://infernalcinematicaffairs.wordpress.com/2017/08/01/film-dunkirk-2017-usuknlfr/

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            • 6 .5

              [...] Schon die ersten Minuten lassen Zweifel daran, ob es sich überhaupt um einen DC, respektive Superheldenfilm handelt: Satte Farben knallen nur so auf die Kameralinse, Amazonen schwingen die Schwerter in knappen Rüstungen und nicht eine einzige Fanserviceeinstellung, überhaupt unterliegt hier weitestgehend nichts den Zwängen, sich der anbahnenden Justice League und folgendem unterwerfen zu müssen. Sehen wir dabei von den überflüssigen Gegenwartsepisoden zu Beginn und Ende einmal ab… Wonder Woman ist mitreißend und macht Laune. Der Cast ist bis in die Spitzen passend besetzt und auch die Handlung selbst ist bis zu einem gewissen Grad so gelungen, dass es nichts zu meckern gibt.

              [...] Im finalen dritten Akt verkommt Wonder Woman jedoch zu einem der schlechtesten Superheldenfilme der Neuzeit. Es fühlt sich an, als wäre die Regie ausgetauscht und das Drehbuch nicht zu Ende geschrieben. Überhaupt fällt mit einem Schlag der gesamte Film wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Natürlich ist einiges so angelegt, dass man zügig heraus hat, wie der Hase läuft. Das Antagonistenduo spielt genau so, wie es zu erwarten wäre. Ludendorff und Dr. Maru verleihen ihren Rollen wenig Profil und dienen dem Film auch nur als Katalysator für die kommenden Ereignisse. Im Prinzip sind und bleiben diese dabei entbehrlich. Damit hat es sich jedoch auch schon, denn die Auflösung des ganzen Spektakels ist unglaublich lieblos dahin geklatscht und erinnert an jeden einzelnen Superheldenblockbuster der 2000er Jahre: Die eigentlichen Bösen sind austauschbar und das große Ganze muss von einem, bis dahin nicht in Erscheinung getretenen, Überantagonisten vollends in Schutt und Asche gelegt werden. Und Wonder Woman stolpert über diesen Stein mehr als bloß einmal. Das Finale ist ein Fass mit doppeltem Boden, entledigt sich jedweder Sympathie und Empathie, ergötzt sich an durchwachsenen Special Effects und liefert den selben Bockmist, wie es Batman v Superman: Dawn of Justice und zahlreiche MCU-Filme vorher taten: Pure Langeweile und Unglaubwürdigkeit, die schwer zu schlucken ist. Es ist schon eine Ansage, wenn bei der Enthüllung des Bösewichts ein Seufzen durch die Reihe schleicht und sich jeder Zweite vor Fassungslosigkeit in den Kinositz vergräbt. Wo vorher noch Detailverliebtheit und impulsive Action Atemlosigkeit verursachten und Patty Jenkins Regie den Eindruck vermittelte, sich von den ganzen Fehlern des Genres loszusagen, verfällt sie nun in freudige Ekstase, jeden einzelnen dieser Missstände in den sonst so gekonnten Film einzuschleusen. Das hat Wonder Woman zu keinem Zeitpunkt nötig und gestaltet das langwierige und wenig überraschende Finale als Brechstange mit altbekannten Mustern nur noch schwerer zu ertragen, als es bei anderen Genrekollegen der Fall ist. Vor allem, wenn die Motivation nur darin liegt, warum Wonder Woman so handelt, wie sie eben handelt. Was übrigens in nicht minder unspannenden Monologen mündet, die aus Glückskeksen zusammengewürfelt erscheinen. [...]

              https://infernalcinematicaffairs.wordpress.com/2017/06/18/film-wonder-woman-2017-us/

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              • Jetzt muss aber auch im gleichen Zug erwähnt werden, dass das Animationsstudio Sunrise mit an Bord ist, welches den Anime damals produziert hat. Von daher bin ich in diesem Falle nicht ganz so skeptisch, wie beim völlig losgelösten US-Death Note Versuch, der bereits im Trailer kläglich versagt.
                Das schwierigste an der gesamten Sache wird eh sein, es dem Publikum so schmackhaft zu gestalten, sodass auch Fans des Anime nicht nur nörgeln. Aber das... lässt sich bei den meisten eh nicht trennen.

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                • 8

                  Bereits die sieben Bände umfassende Mangavorlage von Yoshitoki Ōima beeindruckt(e) Millionen von Lesern. Ob national oder auch international entwickelte sich A Silent Voice (OT: Koe no Katachi) schon kurz nach Erscheinen des gleichnamigen Oneshots (einem kurzen Abriss der Handlung in Mangaform) zum Ausnahmewerk japanischer Unterhaltungsliteratur.
                  Da ist die Skepsis berechtigt, ob ein knapp über zwei Stunden andauernder Animationsfilm aus dem Hause Kyoto Animation der Masse an Stoff gerecht werden kann.

                  Handlung:
                  >>Als sich Shōko vor ihren neuen Klassenkameraden vorstellen soll, blickt sie in die Klasse, als wäre sie in Gedanken woanders. Nach einer erneuten Aufforderung zückt sie ein Blatt Papier, auf dem steht „Hallo, mein Name ist Shoko Nishimiya und ich bin taub. Es freut mich, euch kennenzulernen.“
                  Schnell wird sie aufgrund ihrer zuvorkommenden Art von ihren Mitschüler(innen) ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Sie erhält Unterstützung wo es nur geht, wenn sie aufgrund ihrer Gehörlosigkeit nicht alles vom Klassengeschehen mitbekommt. Doch nach und nach betrachten ihre Mitschüler sie aufgrund ihres Handicaps als Last, weswegen sie zum Opfer des Querulanten Shōya Ishida wird, der eine Mobbingwelle innerhalb der Klasse auslöst. Die Angriffe, die sich zusehends nicht mehr nur auf verbale Aussagen beschränken, entwickeln eine Eigendynamik, die dafür sorgt, dass Shōko die Schule erneut wechselt. Womit Shōya nicht gerechnet hat? Nun wird er selbst zum Außenseiter. Er verliert seine Freunde und den Anschluss an seine Klassenkameraden, sieht sich deftigen Mobbingattacken ausgesetzt und steckt nun selber in der undankbaren Opferrolle.
                  Jahre nach dem Abschluss trifft Shōya jedoch zufällig auf Shōko. Kann er Buße tun für seine Taten…?<<

                  [...] Sowohl wenn Shōko, als auch Shōya in die Opferrollen gestoßen werden, schenkt der Film dem Zuschauer nichts. Es ist unerträglich mitansehen zu müssen, mit welchen Mitteln Kinder(!) gegen ihre Mitschüler wettern – ohne jegliche Rücksicht wird nachgetreten, wo es nur geht. Woran A Silent Voice jedoch scheitert, ist, diesen Handlungen eine tiefere Motivation zu verleihen. Ein Punkt der Kritik, der mit Sicherheit auch durch das knapp bemessene Zeitmanagement der Erzählung bedingt ist, welche mehr als genug Stoff für eine 12/13 Episoden lange Serie bietet. So wird das Mobbing selbst nach einer gefühlten halben Stunde schon wieder abgehakt. Wie es zu den Verschiebungen innerhalb der Charakterkonstellationen kommt, lässt sich nur bedingt nachvollziehen. Stattdessen argumentiert der Film mit einem Bruch innerhalb der Narration und verleiht dem ganzen einen episodenhaften Charakter. Das Pacing ist zu hoch, der Stimmungswechsel dadurch wenig glaubhaft.

                  Dieser Umstand wird jedoch vom Film selbst behoben, wenn er sich den Folgen dieser Konflikte widmet. Hierfür nimmt er sich genügend Zeit und Raum, um den mühsamen Kampf gegen Vorurteile vielschichtig und behutsam zu gestalten. Gerade Shōya entwickelt sich zu einem spannenden Charakter, der auch Jahre nach dem Schulabschluss mit Vorurteilen und persönlichen Problemen zu kämpfen hat.
                  So verschiebt sich nun der erzählerische Fokus direkt auf Shōya, der nun nicht mehr nur einer von vielen ist. Hier geht die emotionale Reise erst richtig los. Was sich von hier an entwickelt, ist eine gefühlvolle Auseinandersetzung über die Folgen von Mobbing bis ins höhere Jugendalter, Freundschaft, Loyalität und was es überhaupt bedeutet, über andere ständig hinwegzusehen und hinwegzusetzen. Es klingt nach einer abgedroschenen, stereotypen Geschichte, aber hier verbergen sich zahlreiche Trigger, die bekannte Denk- oder Erinnerungsmuster aus der eigenen Jugend hervorholen können – je nachdem, was für einen Hintergrund sich der Thematik entsprechend vorweisen lässt. Und genau das macht A Silent Voice so ausdrucksstark. Es ist die Geschichte eines Außenseiters, der wieder versucht, Fuß zu fassen und sich seinen gemachten Fehlern völlig bewusst ist. Die Dramatik spitzt sich dabei immer weiter zu, und nimmt durchaus Entscheidungen vor, die bei solch einem Film nicht unmittelbar zu erwarten wären. So entpuppt sich der Film als weitaus erwachsener und durchdachter, als es das Setting vielleicht vorgaukeln möchte.

                  Die Inszenierung:
                  [...] Doch auch in Bezug auf Shōko hat A Silent Voice einiges zu bieten. Wie bereits erwähnt, spielt der Film mit der Gebärdensprache, die von den Bildern und der Animation her schön in Szene gesetzt ist. Sie ist zudem ein subtiler Vermittler von Gefühlsregungen zwischen den Gesprächsteilnehmern, was persönlicher wirkt, als die Kommunikation via Stift und Papier. Dennoch ist es paradoxerweise die Tonebene, die alle Trümpfe ausspielt. Nicht der Soundtrack ist es, der beeindruckend gestaltet ist, sondern das Tondesign, das wie für das Kino gemacht ist. Es ist ein Spiel mit dumpfen Tönen und wummernden Bässen, die sich über die Musik legen und so die Gehörlosigkeit Shōkos fühlbar gestalten. Ähnlich eines Herzschlags, unterstreichen diese Formen der Klänge die Emotionen der Charaktere, allem voran auch die Beziehung zwischen Shōya und Shōko. Zumindest rudimentär versetzt es den Zuschauer in eine ähnliche Situation und bietet so Platz für Anknüpfungspunkte.
                  Zwar ist das alles sehr verspielt, jedoch eine sehr erfrischende Herangehensweise, um unterschiedliche Defizite oder Andersartigkeiten aufzuzeigen und aus den medienbedingten Einschränkungen einer Literaturvorlage ausbricht.

                  A Silent Voice ist eine absolut sehenswerte Adaption der gleichnamigen Mangavorlage. Obwohl gerade zu Beginn noch Skepsis herrscht, ob die Fülle an Stoff gerecht umgesetzt werden kann, entwickelt sich der Film nach kurzen Anlaufschwierigkeiten zu einer sehr gefühlvollen Geschichte um gemachte Fehler und die Suche nach Vergebung, sowie den Grenzen, denen eine Freundschaft obliegt. Im wahrsten Sinne des Wortes eine Achterbahnfahrt der Gefühle!

                  https://infernalcinematicaffairs.wordpress.com/2017/06/02/ncff-2017-a-silent-voice-jp-2017/

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                  • 6
                    Schlopsi 07.06.2017, 13:32 Geändert 07.06.2017, 16:34

                    [...]
                    Selten war der Name derart Programm:
                    >>Kosuke (Tasuku Nagaoka), seinesgleichen Author von Theaterstücken und Womanizer in Tokyo, hat die Schnauze voll von Beruf und Frauen. Also zieht er ins japanische Hinterland und baut sich dort gänzlich abgelegen eine spartanische Hütte. In der Hoffnung, in Ruhe über den Sinn seines Lebens zu sinnieren, wird die Stille von der aggressiven Shiori (Yuki Mamiya) gebrochen. Sie stellt Kosuke nicht nur in Sachen Geduld auf die Probe, auch sein selbst auferlegtes Enthaltsamkeitsgelübde sieht sich einer unausweichlichen Gefahr ausgesetzt.<<

                    Kurz vor dem Screening warnte Regisseur Akihiko Shiota sämtliche Zuschauer noch, dass der folgende Film vorrangig für Männer gemacht sei. Es handele sich um einen Softporno, der aber immerhin so viel „romantische“ Geschichte in petto halte, dass auch Frauen ihren Spaß mit dem Erotikfilm haben würden. Und dem kann von meiner Seite nichts entgegengesetzt werden.

                    Wet Woman in the Wind ist ein inhaltloser Softporno, der sich seinen Genreklischees völlig hingibt, es aber auf so ehrliche Weise anstellt, dass Mann und Frau gleichermaßen ihren Spaß haben können – auch losgelöst von sexuellen Aspekten.
                    [...]
                    Natürlich lässt sich zu jedem Zeitpunkt genau voraussagen, was wann, wo und zwischen wem geschehen wird. Aber das ist tatsächlich Nebensache, denn die Interaktion zwischen den unterschiedlichen Charakteren sorgt zu jeder Zeit für heitere Stimmung. Da macht es auch nichts, dass zahlreiche Witze so flach sind, dass man drüber stolpern kann oder Shioris Charakter wegen ihrer Eintönigkeit auf Dauer doch ziemlich nervtötend wird. Im Zusammenspiel mit Nagaoka gelingt es Mamiya jedoch, eine intensive, angespannte Atmosphäre zu erzeugen und neben Kosuke auch den Zuschauer ständig auf die Probe zu stellen, wer hier überhaupt am längeren Hebel sitzt. Denn der Ausgang des Films ist von Genrewegen her betrachtet, ohnehin klar… doch das umeinander tänzeln und Ausbooten der beiden bleibt über die kurzweiligen 78 Minuten ein Heidenspaß, gerade wenn sich beobachten lässt, wie Kosuke immer öfters schwer schlucken muss, um sich nicht doch seinem Trieb hinzugeben, der hier natürlich völlig nachvollziehbar ist. Gerade wenn vier Herren einer Theatergruppe Schlange stehen, um von einer bestimmten Dame verführt zu werden… Irgendwie sympathisch, irgendwo verschroben, klar künstlich, aber sich selbst immer bewusst. Der Kinosaal hat sich köstlich amüsiert.

                    Wet Woman in the Wind ist ein spaßiger Beitrag des Roman Porno Reboot Projekts von Nikkatsu, der zwar nie über seinen Softpornanspruch hinauswächst, dafür aber einen Höhepunkt liefert, der selbst die wilden Wölfe aufheulen lässt.

                    https://infernalcinematicaffairs.wordpress.com/2017/06/07/ncff-2017-wet-woman-in-the-wind-jp-2016/#more-16987

                    2
                    • 9 .5

                      Einer der schwer verdaulichsten und zugleich beeindruckensten Filme sollte erst gegen Ende der Nippon Connection laufen. Dabei hätte sich Kôji Fukadas Suspensedrama Harmonium, welches sich um Schuld und Sühne dreht, wohl besser als Rausschmeißer geeignet. Diese Pille wäre aber wohl zu bitter gewesen und hätte noch Tage später für Magenkrämpfe gesorgt. So war es also ’nur‘ der vorletzte Film des Festivals, der mit ästhetischer Raffinesse für Furore sorgte.

                      [...] Und dann bricht Harmonium mit seiner Struktur; seinen Figuren, der Narration, dem Motiv. Einfach allem. Es braucht also erst einen Film der harmonisch beginnt und dann die Unruhe stiftet. Ein generelles Problem in der diesjährigen Programmauswahl, wie es scheint: Zu viele Filme folgen ihrem vorgestelltem Schema und exerzieren es bis zum Schluss durch. Die Überraschung bleibt aus, niemand traut sich, aus seinem Trott auszubrechen, um sich vom gewöhnlichen Einheitsbrei abzuheben. Zu oft wird die sichere Schiene gefahren, sodass Filme wie Happiness, Mr. Long oder The Long Excuse schon allein dadurch an Spannung gewinnen, weil sie ihre Wendungen nutzen, um das Spektakel anzufeuern. Und so geht es auch Fukada mit Harmonium an. Wo der Frieden in der Idylle allmählich bröckelt und sich langsam das Unbehagen gegenüber dem mechanisch anmutenden Yasaka ausbreitet, rüttelt eine einzige Einstellung an sämtlichen Konventionen, denen der Film bis dahin folgte. Mit einem Mal ist da Zorn und Wut, die Unbekümmertheit weicht der Fassungslosigkeit. Der in unschuldiges weiß gekleidete Fremde entblößt sein dunkelstes Innere.

                      [...] Doch erst im Zusammenspiel mit dem Sounddesign entwickelt der Film seine volle Wucht. Das titelgebende Harmonium steht dabei natürlich ganz klar für das oberflächlich betrachtete Familienglück. Doch das musikalische Leitmotiv verflüchtigt sich schon bald, genau wie das Idyll, welches durch das allmähliche Einmischen Yasakas bedroht wird. Der Soundtrack, weicht einem artifiziellen Tondesign, welches sich durch Stille oder verstärkte Naturgeräusche in den Schlüsselmomenten auszeichnet. Es lässt sich in der Tat von einem neuartigen Soundtrack sprechen, wenn sich der Verfall der Familie durch das zusehends lautere, reißende Geräusch eines strömenden Flusses verdeutlicht. Die geschilderte Nüchternheit intensiviert sich auf unbequeme Weise, und verleiht dem ganzen trotz der Künstlichkeit keinen abgehobenen Arthousetouch, sondern die unausweichliche elektrisierende Atmosphäre einer nahenden Katastrophe.

                      Im Q&A nach dem Screening erklärten Kôji Fukada und Komponist Hiroyuki Onogawa, wie es dazu kam: [...]

                      Harmonium ist ein bitterböses Suspensedrama mit Thrillerelementen, welches das gewohnte Schema laissez-faire aufbricht und mit seiner unausgesprochenen Bosheit so sehr in die Magengrube schlägt, dass man nicht umhin kommt, von der Finesse der Regie und Erzählung beeindruckt zu sein.

                      https://infernalcinematicaffairs.wordpress.com/2017/05/31/ncff-2017-harmonium-2016-jpfr/

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                      • 6
                        Schlopsi 07.05.2017, 01:32 Geändert 07.05.2017, 01:33

                        Und peu à peu stirbt THE FALL einen langsamen Tod in Belfast...
                        Die Serie macht in Staffel 1 einen absolut standfesten Eindruck: Jamie Dornan, als ordinärer Durchschnittsdaddy mit dem Hang zum Voyeurismus und Morden, Gillian Anderson als abgeklärte Super Intendant und einige andere nennenswerte Nebenbesetzungen, die dem ganz schon mal eine solide Rahmung verschaffen.
                        Der Fall, um den sich hier über drei(!) Staffeln alles dreht, hat zu Beginn ordentlich Drive- es geht nicht zu schnell, aber die Entwicklung der Mordreihe stagniert auch zu keinem Zeitpunkt (in Staffel 1). Es ist nicht mal ein wirkliches Katz- und Mausspiel vorhanden - vielmehr entwickeln sich beide Handlungsstränge der Serie parallel - und dennoch wird ein ansprechendes Spannungsfeld zwischen Polizei und Serienkiller aufgebaut, bei dem von handwerklicher Seite aus betrachtet, wirklich vieles stimmt. Als einziger Grund zum Anstoß wäre Anderson als eiskaltes Miststück in der Rolle der Chefermittlerin zu nennen, die mit dieser Art schon etwas zu penetrant erscheint. Allerdings werden ihr im weiteren Verlauf wieder einige Momente zugeschrieben, die über diese Überzeichnung hinwegsehen lassen.
                        Insgesamt zeigt sich THE FALL vielschichtig, greift einige Motive und Handlungsweisen im nüchternen Belfast auf und verarbeitet diese.
                        Und dann folgt Staffel 2.
                        Im titelgebenden Fall der Serie selbst, wird aufs Gaspedal gedrückt. Auch wenn mit der vorangegangen Staffel durchaus ein zufriedenstellendes Ende vorhanden gewesen wäre, verzetteln sich die Drehbuchschreiber nun keineswegs im Fall selbst (das geschieht erst in S3), sondern vielmehr in den Figuren. SI Gibson durchläuft eine kaum nachvollziehbare 180° Wende und wird zu emotional, was einen zu harten Bruch innerhalb der Serie darstellt. Denn dieser Bruch ist einfach da und macht auch vor Nebencharakteren keinen Halt. An sich sympathische Charaktere werden zu pathetischen Heulsusen degradiert (hier darf die klassische Backwoundstory aus der Kindheit natürlich nicht fehlen!), und unbedeutenden Charakteren wird zuviel Zeit geschenkt, die die Geschichte nicht vorantreiben, sondern sie vielmehr in ihrer Entwicklung behindern (Spoiler: Teenies sind echt doof.).
                        Und dann ist es nicht nur ein entweder-oder, nein, sie tauchen ständig auf, verhalten sich immer gleich, machen im Prinzip nichts weiter als den immerselben Konflikt wieder aufzuwärmen und bieten dabei keinerlei Mehrwert. Sie überhöhen sich permanent selbst und werden schier unerträglich. Dass der Fall allmählich übermütig wird, muss auch nicht weiter erläutert werden... der fällt seiner eigenen Aktionslust zum Opfer.
                        Im Finale dann wartet weitestgehend nur noch Frust. Nach dem Cliffhanger von S2 entscheidet sich die THE FALL für den denkbar schlechtesten Weg, die Geschichte zu einem Ende zuführen. Zwar vermag es die Serie durchaus noch, mit der Erwartungshaltung zu spielen, aber die Geduld bzgl. der Kontinuität und Nebencharaktere wird mit unlogischen (nicht irrationalen) Entscheidungen überstrapaziert, Charaktere stehen auf der Stelle und fangen an, mit der immer gleichen Chose schlichtweg zu stören. Die Handlung wirkt dahingeschludert und nahezu lustlos.
                        Das Einzige, was THE FALL aber durchgehend auf einem bestimmten Niveau hält, ist die Handwerkskunst der Bilder. Ich habe fürgewöhnlich wenig Probleme damit, einem Charakter zuzuschauen, der in Film und Fernsehen in die intimste Privatsphäre eines anderen Menschen eindringt. Aber THE FALL geht ohne die Brechstange rauskehren zu müssen fies unter die Haut und evoziert Bilder und Gedanken, die für arges Unbehagen sorgen können. Auch einige Dialoge, die die letzte Staffel noch etwas hochhieven können, lassen einen (auf positiv unangenehme Art) erschaudern. Schlecht ist THE FALL - MORD IN BELFAST nicht. Keineswegs. Aber leider kann es die Ausgeklügeltheit der ersten Staffel nicht weiter ausdehnen. Mitschuld daran trägt das Auswalzen auf drei Staffeln.

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                        • Schlopsi 07.05.2017, 00:21 Geändert 07.05.2017, 03:40

                          Leutööö, macht da mit! Nicht nur das Programm ist dieses Jahr wieder der Burner, sondern auch das Festival selbst! Da heißt es tatsächlich nicht nur gute, bis sehr gute Filme gucken, sondern auch die wunderbar familiäre Atmosphäre genießen. <3 Und vielleicht sogar ein Autogramm vom diesjährigen Ehrengast Kōji Yakusho abgreifen. Hach, da werde ich schon wieder ganz hibbelig! Kurosawa in Frankreich, HARMONIUM, OVER THE FENCE, DESTRUCTION BABIES (hoffe ja sehr auf ein zweites KEN & KAZU...), AT THE TERRACE, IN THIS CORNER OF THE WORLD etc. pp. was sollte man da nicht nennen... :D

                          Natürlich wäre ich nach dem letzten Jahr gerne wieder mit am Start... Nachdem ich mich letztes Jahr doch extrem schwer in das Festival verliebt habe. Zeit und Muße wäre zur Genüge da. ;)

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                          • Oh, das wird also der erste sehenswerte Marvel-, ...pardon... DC-Film, der sehenswert erscheint. Wenn sie den nicht mit zig unnötigen Cameos vollballern, ist das schon die halbe Miete. Ansonsten ist schön, dass es keine Pantieshots gibt, welche die Bildsprache dominieren. Sieht relativ respektvoll aus, auch wenn er mich doch stark an Dr. Strange erinnert. Aber was solls. Vielleicht klappt es für DC ja jetzt mal.

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                              Als einer der drei bekanntesten Vertreter der neuen französischen Härte streben die Regisseure Alexandre Bustillo und Julien Maury mit À L’INTÉRIEUR neue Maßstäbe im Genrekino an und erfüllen dabei die Erwartungshaltung in Sachen Darstellung völlig. Dass die furchtbaren Bilder des Verkehrsunfalls, mit denen der Film startet, nur als kleiner Anheizer dienen sollen, ist klar. Dennoch wirkt das Gesehene umso drastischer, wenn durch eine Stimme aus dem Off vermittelt wird, dass die Fahrerin schwanger ist und der Zwischenschnitt auf eine computergenerierte Embryografik im Mutterleib den Aufprall simuliert. Auch wenn die Gewalt hier nur passiv dargestellt wird, so verfehlt sie nicht ihre Wirkung, wenn die Kamera infolgedessen wieder auf die schwer verletzte und bewegungsunfähige Sarah im Autowrack wechselt. Und das ist erst der Anfang, denn das wahre Grauen soll noch folgen…

                              Was sich aus diesem Drama heraus entwickelt, ist nichts anderes, als ein hartgesottener Terrorfilm, der weder an expliziten Darstellungen noch an psychologischer Härte spart. Auch wenn INSIDE vergleichsweise gesittet beginnt, der Homeinvasioncharakter nur langsam an Fahrt aufnimmt und die psychologische Komponente zu Beginn im Vordergrund steht, so ist es doch dem gekonnten Schnitt des Films zu verdanken, dass sämtliches Zeitgefühl verloren geht und der folgende drastisch inszenierte Horror über einen nicht enden wollenden Zeitraum Einzug in Sarahs Wohnung erhält.
                              Die häufig eingesetzten Abblenden wirken künstlich, sorgen dennoch für eine unangenehme Atmosphäre und einen eigenen Rhythmus, der etwas Unvorhersehbares in sich birgt. Daraus resultiert schon weit vor dem blutigen Höhepunkt des Films ein spannungsgeladener Klimax, der Hoffnungen auf eine akkurate Inszenierung weckt.

                              Leider wird INSIDE dieser handwerklichen Finesse nur auf darstellender Ebene gerecht. Die Narration des Horrors wackelt im Vergleich dessen gewaltig und muss sich mit unübersehbaren Logiklöchern und Banalitäten herumschlagen, die so schwach in die Erzählung eingebunden werden, dass sie den gesamten Film zusehends ins Absurde abdriften lassen und den Terror unverhältnismäßig überzeichnet darstellen. Er verkommt zu einer Karikatur seiner selbst und toppt sich nur noch mit mageren Spezialeffekten, welche müde toleriert werden. Gegen Ende entschließt sich das Regieduo sämtliche Grenzen zu sprengen und so den brutalen Gewaltexzess, der bis dahin durchaus gekonnt und in Maßen Verwendung fand, auf die Spitze zu treiben. Es mündet in der bildgewordenen Umkehrung des zuvor Gezeigten, der den psychologischen und physiologischen Gewaltgrad so sehr ins Triviale verkehrt, dass sämtliche aufgebrachten Emotionen verschwinden und alles auf Rache sinnt. Es ist ein letztes Aufbäumen, das Ersehnen der Katharsis und dem Beenden des Terrors, und doch verweigern die narrativen Ungereimtheiten genau diesen Effekt, diese Genugtuung. Es passiert zig Mal zu oft, dass sich Charaktere zu dümmlich verhalten oder eine dünne Sperrholztür als einzige Bastion in der heimgesuchten Wohnung präsentieren. Wo soll da noch Raum zum mitfiebern gegeben sein?

                              Dass sich der Film zudem noch offensichtlich um Interpretation in Hinblick auf das Einstreuen der tatsächlichen Unruhen von 2007 in Villiers-le-Bel (Paris) bemüht, wird dabei ebenso banal verschenkt, wie mögliche Spannungsmomente durch ein etwaiges Eingreifen der Polizisten. Oder finden sich gerade hierin die Parallelen…?
                              Einzig die Darsteller vermögen dem Horror noch ein Gesicht zu verleihen. Alysson Paradis überzeugt mit ihrer Darstellung Sarahs ebenso wie Béatrice Dalle als die Unbekannte La femme. Der Psychoterror wird von beiden Akteurinnen getragen, der sich aus dem nicht vorhandenen Zusammenhang beider Frauen bis ins Mysteriöse erstreckt. Sämtliche Nebendarsteller werden im Vergleich dessen weitestgehend verschenkt, wobei hier das immer schwächer werdende Drehbuch klar zur Verantwortung gezogen hört.

                              Der deutsche Titel INSIDE – WAS SIE WILL IST IN DIR gibt den Inhalt des französischen Horrorfilms À L’INTÉRIEUR kurz und knapp wieder und bedarf kaum einer Ergänzung. Der Titel ist Programm und bietet eine drastische Härte, die im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut geht. Dennoch versäumen es Alexandre Bustillo und Julien Maury ihrer handwerklich gekonnten Inszenierung auch eine erzählerische Geradlinigkeit zu verleihen, die der Thematik gerecht wird. Gerade in den angestrebten Spannungsspitzen tappen die Regisseure in die Falle und opfern die gesunde Portion Erzählstruktur einer reißerischen Darstellung. An die Finesse vom nationalen Genrekollegen MARTYRS reicht L’INTÉRIEUR daher bei weitem nicht.

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                                Vollständig hier nachzulesen:
                                https://infernalcinematicaffairs.wordpress.com/2017/01/11/film-die-taschendiebin-2015-kr/

                                [...] Es war durchaus etwas Skepsis vorhanden, nachdem ich so meine Probleme mit Parks Ausflug nach Hollywood in Stoker hatte. Denn der Trailer versprach eine sehr ambitionierte Bildsprache, von der leicht die Gefahr auszugehen schien, wieder so dominant zu wirken, wie es in oben genannten Film der Fall war, wo die Handlung infolgedessen schnell zur Nebensache verkam. Glücklicherweise widersteht er dieser Versuchung und offeriert zwar dennoch eine berauschende Ästhetik (die sich auch deutlich an die von Stoker anlehnt), welche sich von den Bildern hin zu den Kostümen erstreckt, legt dieser jedoch auch eine anspruchsvolle Geschichte zugrunde, die mit den Erwartungen spielt. Es ist eine Rückbesinnung auf seine früheren Filme, in denen zunächst klare Strukturen für eine ambivalente Ausgangslage Sorge tragen. Die Figurenkonstellationen und -hierarchien sind klar gezeichnet und es wird schnell ersichtlich, wer welche Motive verfolgt. Das Hausmädchen Sook-hee, welches sich in das Leben der Haushälterin Hideko einschmeichelt und weniger here Ziele im Blick hat, als sich auf die anbahnenden Liebeleien einzulassen. Und dann stößt mit Graf Fujiwara (Ha Jung-woo) auch noch ein alter Bekannter in das fragile Geflecht…

                                Doch ist das so? Ist alles so einfach, wie es scheint? Gibt es ein schwarz und weiß? Wenn Park Chan-wook mit seinen bisherigen Werken eines gelehrt hat, dann ganz sicher, dass nichts so simpel ist, wie es den Anschein hegt. Liebe ist keineswegs einfach (I’m a Cyborg, but that’s OK), Rache ist es mit ihren strikten Konsequenzen ebenfalls nicht (Oldboy, Lady Vengeance), das Leben per se geschätzt noch weniger (Sympathy for Mr. Vengeance) und Hingabe zur Liebe… nunja.
                                In drei klar voneinander getrennten Akten schildert Park das Treiben auf dem noblen Anwesen und lässt dabei aus drei verschiedenen Perspektiven blicken. Faszinierend daran ist, wie sich die Rezeption einer einzelnen Szene, die sich im ersten Akt noch höchst erotisch und klimatisch vollzieht, im zweiten völlig entgegen ihrer ursprünglichen Intention wirkt und dadurch eine gänzlich andere Ansicht auf das Geschehen offeriert. Es ist ein Spiel mit der Erwartungshaltung, aber auch gängigen Kinokonventionen, die womöglich schon wieder so platt eingewoben werden, ganz sicher jedoch nichts in ihrer Effizienz, welche hier auf die Spitze getrieben wird, einzubüßen droht. Dafür ist der koreanische Filmemacher zu geschickt, um diese Elemente für die Anspannung zu nutzen, die er immer weiter vorantreibt und über sämtliche der drei Akte erstreckt. Weil er um die Wirkungskraft seiner Pointen weiß.
                                [...]
                                Wahres Gold wert sind dabei die Darsteller, die sich für Die Taschendiebin die Ehre geben. Durch die unterschiedlichen Erzählperspektiven sind diese gezwungen, ihre Rolle in unterschiedlichen Facetten wiederzugeben, was das Ganze noch beeindruckender erscheinen lässt, als es ohnehin schon der Fall ist. Das Verschieben der Sympathien, aufgrund der fortschreitenden Handlung und der (soweit bekannten) Bestrebungen einzelner Charaktere, ist ein faszinierendes Spiel. Nicht nur seitens der eigenen Wahrnehmung, aber auch dank der herausragenden Akteure. Mit Beherrschung fügen sie sich ihren Rollen, brechen diese an vereinzelten Stellen mit absurd lakonischen Einschüben auf und lassen sich nie gänzlich in ihre Karten blicken. Gerade die Damen Kim Tae-ri und Min-hee Kim verblüffen mit präzisem Schauspiel, das sich edel, grazil und höchst erotisch vollzieht, während sich ihre männlichen Gegenstücke erst in den Schlüsselmomenten zu ihrem Talent bekennen. Dann aber auch wieder die Perzeption auf ihrer Seite wissen, was das Ganze gekonnt abrundet und den Szenen mehr Schlagkraft verleiht.

                                Auch vom Standpunkt der Regie aus betrachtet, gibt es nur wenig zu klagen. Die Bildsprache ist ein malerischer Traum, aber bei weitem nicht mehr so dominant wie oben bereits erläutert in Stoker. Es ist eine klassische Inszenierung, die nur gelegentlich von prägnanten Kameraeinstellungen unterbrochen wird, welche dem ganzen eine gewisse Handschrift unterstellen, sich sonst aber dem allgemein strengen Tonfall des Films beugt. Ebenso imponierend wie die Optik, gestaltet sich auch der emotional aufgeladene Soundtrack aus der Feder von Parks Stammkomponisten Jo Yeong-wook. Mit unverkennbaren Wiedererkennungswert ausgestattet, ist der Score nobel und elegant in seiner Ausführung und spiegelt exakt das wieder, was sich auf der visuellen Ebene ereignet. Gefühlvoll und sanft wie ein Glockenspiel, aber auch bestimmt und voranpreschend, ganz so, wie die Akteure im Film handeln. Besonders hervorgehoben sei daher das Stück My Tamako, My Sookee, welches so punktgenau mit seiner Leitmotivik spielt und doch die gesamte Gefühlspalette des Film wiedergibt. Es ist wie ein Traum, der nie enden soll, voller Schönheit und Zukunftsmusik, aber auch einem Ziel, auf welches hingearbeitet wird. Streicher und Klavier in ihrer pursten Form, ganz genau so, wie die beiden Figuren im Film, Sook-hee und Hideko (Tamako).

                                Die Taschendiebin reiht sich nahtlos in die virtuosen Werke des Koreaners Park Chan-wook ein. Knappe zweieinhalb Stunden berauschendes Kino in gehobener Ästhetik und anspruchsvollem Storytelling, münden in einer wundervollen Geschichte über zwei Frauen, die ihre wahre Liebe finden und aus ihren gesellschaftlich auferlegten Zwängen auszubrechen versuchen. Elegant gespielt, lakonisch im Umgang und ambivalent in Szene gesetzt: Das ist ein Film, der keine Sekunde kürzer ausfallen darf.

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                                  Rutger Hauer räumt als vigilanter Hobo mit Schrotflinte das tyrannisierte Städtchen Hope Town auf.

                                  Mehr braucht es zum Inhalt auch nicht zu sagen, besteht diese Grindhouse-Trash-Granate doch aus nichts weiter, als eben diesem vigilanten Rachefeldzug gegenüber dem verschlafenen kanadischen(!) Nest, in dem ein größenwahnsinniger Obermacker das Kommando übernommen hat, die Polizei korrupt ist und sich pädophile Weihnachtsmänner an Schulkindern laben…. Natürlich ist es nur Weihnachtsmann und nur eine abgedrehte Idee in dem absurd überdrehten Kracher Hobo with a Shotgun.

                                  Das Schicksal, das diesen beschlagnahmten Film ereilte, mag im ersten Moment für wenig Verwunderung sorgen, werden in diesem Gorefest doch Köpfe aus nächster Distanz weggepustet, menschliche Innereien offengelegt und anderweitige Scharmützel auf – zugegeben – sehr kreative Weise in aller Ausführlichkeit gezeigt. Alles ist derartig überspitzt und überstilisiert dargestellt, dass es schwer fällt, diesen Film überhaupt ernst nehmen zu wollen. Fängt dies doch schon beim dürftigen Vokabular des Stadttyrannen an, welches ihn weit über (/unter) den Standard solcher Filmchen hinaus befördert und an Lächerlichkeit kaum zu überbieten sein mag, wären da nicht seine beiden Söhne, die nicht minder schwer auf dicke Hose machen und die Marschrichtung vorgeben. Es tut schon innerlich weh, dieser überhöhten Karikatur dabei zusehen zu müssen, wie er die Bewohner Hope Towns in Angst und Schrecken versetzt und munter jeden abmurkst, der sich seiner nicht fügt.

                                  Regisseur Jason Eisener zieht alle Register. Narrativ ist Hobo with a Shotgun auf das allernötigste herunter gebrochen, auch wenn an vereinzelten Stellen möglichst tiefgründige, in ihrer Inszenierung aber wieder so absurd und fehl am Platze erscheinende, moralgeprägte Einschübe stattfinden. Die Säuberungsaktion durch den Hobo muss schließlich auch in einem solchen Film seine Legitimation erhalten und wie könnte man dies besser lösen, als mit einer warnenden Predigt vor Neugeborenen, die noch so unschuldig sind, dass man sich kaum vorstellen möchte was mit ihnen geschehen würde, würden sie in dem bestehenden Umfeld aufwachsen. Würden sie dem unterjochten Volke angehören, oder selber die Fäden in die Hand nehmen und zum Unterdrücker werden? Es sind Fragen, die unweigerlich gestellt werden müssen und als Rechtfertigung für den Vigilantismus dienen. Was dreckig ist, muss gereinigt werden, auch wenn ein Besen nicht für alle Schmutzflecke ausreicht. Manchmal geht das nur mit einer Schrotflinte. Diese Momente wirken unfreiwillig komisch, dienen aber gerade deshalb als starker Kontrast zum sonstigen Schlachthausflair, den der Film versprüht.

                                  Auf audiovisueller Ebene dreht Eisener jedoch völlig am Rad. Ob mit überzogenen Farbfiltern, drastischen Gewaltexzessen in aller Deutlichkeit oder einem fetzigen Synthesizersoundtrack, der ebenso gut älteren Grand Theft Auto-Ablegern entliehen sein könnte, spritzt das Blut literweise durch die Luft an Wände, in Gesichter oder auf Böden, der Geschmacklosigkeit werden keinerlei Grenzen gesetzt. Es ist ziemlich abgefahren, auf welche Weisen die Menschen hier um die Ecke gebracht werden, denn nur weil sich im Filmtitel das Wort Shotgun befindet, heißt dies noch lange nicht, dass dies die einzige bewährte Methode bleibt. Wenn nun Erwähnung findet, dass der einzige Traum, den unser Hobo hegt, der Erwerb eines Rasenmähers(!) ist, dann lässt sich in etwa vorstellen, welch kreative Momente sich die Macher darüber hinaus einfallen lassen haben. Für Splatterfans fast schon ein Muss, werden Zartbesaitete schnell an ihre Grenzen stoßen. Grenzen, um die sich hier jedoch keiner schert, was in einer bestimmten Szene doch etwas zu grobschlächtig erscheint. Hier stellt sich dann doch die Frage, ob wirklich alles so erzählt werden muss wie es getan wird, oder ob darauf auch hätte verzichtet werden können. Auch wenn es hier tatsächlich einem narrativen Sinn entspricht.

                                  Schauspielerisch muss hier wenig erläutert werden. Ein Film ohne tiefen Anspruch benötigt keine ausgefallenen Charakterportraits. Hier dreht sich alles um abgerundete Schwarz-/Weißkarikaturen, die möglichst überzogen mit unterschiedlichen Sichtweisen auf Krawall gebürstet sind und als Grundlage für den blutigen Konflikt dienen. Alter Haudegen Rutger Hauer wird nach Konfrontation mit der korrupten Obrigkeit zum Bären und mäht alles nieder, was ihm dabei krumm kommt und erhält alsbald Unterstützung von der Prostituierten Abby (Molly Dunsworth), was in zahlreichen denkwürdigen und komischen Situation mündet, sich aber aufgrund der Abgestumpftheit idealerweise in das Geflecht einfügt.

                                  Im Endeffekt ist Hobo with a Shotgun ein filmischer (Gewalt)Exzess, welcher sich bewusst überspitzt dargestellt in die Reihe der Grindhouse-Filme einreiht und gar zu den härteren dieser Art gezählt werden darf. Auch wenn hier noch mehr Tabus auf weniger elegante Weise gebrochen werden und sich diese Trashgranate in seiner pausenlosen Gewaltinszenierung schnell selbst übersättigt, so bleibt am Ende doch nur das Gefühl über, die Zeit lieber in eine Runde Grand Theft Auto zu investieren, wo sich auf ebenso kreative Weise (un)gescholtene Bürger ihrer Selbst entledigen lassen. Denn nichts anderes ist Hobo with a Shotgun, der jedoch weit über diese Stränge schlägt und dadurch wieder zu absehbar und bemüht wirkt, als wirklich originell und spaßig.

                                  https://infernalcinematicaffairs.wordpress.com/2016/12/18/film-hobo-with-a-shotgun-2011-ca/

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                                  • Ai, da diese Liste derzeit häufig über das Dashboard huscht, würde ich auch gerne meinen Senf zum Thema abgeben und gleich zwei Filme vorschlagen.

                                    Der erste wäre "Being Good" (JP 2015; R: Mipo O) -
                                    Ein behäbiges japanisches Sozialdrama, dass sich (u.a.) mit Kindesmissbrauch, Mobbing und Leistungsdruck beschäftigt und eine unglaubliche Menge an Feingefühl in Hinblick auf die Thematik offenbart. Dabei geht er bereits zu Anfang mächtig an die Nieren, wenn die Tochter von ihrer Mutter geschlagen und gezerrt wird. Es kommt ganz selten vor, dass mich sowas innerlich zerreißt, aber hier saß ich mit geballten Fäusten und zähneknirschend im Kino. Sehr sehenswerter Film, der zwischen all dem Ernst und Leid die (aufmunternde) Leichtigkeit für kleine Verschnaufpausen bietet, ohne es sich damit allzu leicht zu machen oder an Seriosität einzubüßen.

                                    Der Zweite: "Sympathy for Mr. Vengeance" (KR 2002; R: Park Chan-wook) -
                                    Dass das Leben nicht fair ist, das weiß jeder. Aber was sich hier an Unglück, Pech und (sozialer) Ungerechtigkeit ansammelt, ist schon beinahe unerträglich. Die zynische Schlusspointe gibt dem ganzen (und dem Zuschauer) den Rest und zählt für mich zu den besten Filmenden aller Zeiten. Einfach bitter.

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                                      Wer kennt sie nicht, die langersehnte Zeit im Sommercamp am See? Wo lüsterne Jungs schüchternen, aber nicht minder lüsternen Mädchen hinterherjagen, sich gegenseitig Streiche gespielt werden - wie etwa die Kleidung des Schwimmpartners zu verstecken - und das Genießen der Natur zur Nebensache wird?

                                      Es ist die perfekte Ausgangslage für einen Teenieslasher. Obwohl die Situation stark Sean Cunninghams Kultfilm FRIDAY THE 13TH nachempfunden ist (welcher ein Jahr zuvor – 1980 – erschien), kann THE BURNING – BRENNENDE RACHE sowohl mit einem skrupellosen Killer trumpfen, als auch starken handgemachten Masken und Effekten, welche sich gute 35 Jahre später nahezu makellos dem Gorehound im Zuschauer präsentieren.

                                      Nach einer knapp gehaltenen Exposition, die den fehlgeschlagenen Streich am Hausmeister Crosby und dessen grausame Folgen zeigt, schwenkt der Blick auf ein Jugendcamp in malerischer Landschaft - Zeitsprung inklusive. Die Teenies genießen mal mehr, mal weniger, die traute Zweisamkeit und das Spiel in der Natur, der Unglücksvogel der Gruppe entpuppt sich als Voyeur und wird zum Mobbingopfer aller erster Güte, ausgehend natürlich vom Oberprollo, der kein „Nein!“ versteht. Es ist das übliche Treiben auf einem Schulausflug und nicht einmal die Idylle trügt.

                                      Regisseur Tom Maylan verzichtet in seiner Horrorversion auf Übernatürliches ebenso wie auf Jump Scares, stattdessen bemüht er sich ohne reichlich konstruieren zu müssen auf die Profunditäten eines solchen Ausflugs. Auch den rachsüchtigen Killer hält Maylan lange im Zaun, was die Spannung unweigerlich nach oben treibt. Obwohl viel Zeit für die austauschbaren Pappfiguren von Darstellern genutzt wird, so ist dies nicht als Verschwendung zu betrachten. Die Atmosphäre wirkt unschuldig, die Gefahr ist nicht absehbar und die Kids sorgen selbst für genug Konfliktatmosphäre. Es ist ein Spiel mit Klischees, wie sie aus solchen Slashern nur zu bekannt sind, dennoch fällt es schwer diese zu verübeln, wenn sich alle in Sicherheit wiegen. Bis der Killer zum ersten Mal zuschlägt…
                                      Hier liegt auch die Stärke des Films, der mit für seine Zeit hervorragenden Maskenbildern für Grauen sorgt. Die expliziten Tötungsszenen gehen im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut, werden jedoch vergleichsweise sparsam eingesetzt. Die Atmosphäre wiegt mehr als alles andere, was THE BURNING von anderen Genrevertretern abhebt. Obwohl sich der knusperne Crosby mit seiner messerscharfen Heckenschere nicht in die Reihe populärer Slasher wie Mike Meyers, Jason Vorhees oder Freddy Krüger einreihen wird, dafür fehlt es letztlich doch zu sehr an speziellen Eigenheiten um an diesen Kultstatus anzuknüpfen, verursacht er ein wunderbar unabschüttelbares Grauen unter den Schülern und sorgt für munteres Metzeln. Dabei ist es lediglich schade drum, wie wenig Zuwendung dem Slasher in narrativer Hinsicht entgegengebracht wird. Die in der Vergangenheit hinzugefügte Backwound muss ausreichen, ebenso wie die Tatsache, dass man ihn nie in Gänze zu Gesicht bekommt. Vieles bleibt der Fantasie überlassen, einzig die Heckenschere wird zum gezeigten Instrument. So fehlt das Markante an Crosby, der wie ein Unglück bringender Schatten über dem Sommercamp hängt.

                                      THE BURNING macht einiges richtig. Er kreiert eine friedvolle Atmosphäre, die lange vom Killer verschont bleibt, ehe das Blutvergießen auf drastische Weise beginnt. Es ist ein netter narrativer Kniff, der mit den Erwartungen an einen Slasher grundlegend spielt. Umso schwerer wiegt dabei jedoch das völlig überflüssig in die Länge gezogene Ende, dass sich nicht nur in äußerst ungeschickten Klischees, sondern auch in unklugen Aktionen verliert, bei denen die Tischplatte schon dick genug sein muss, um diese nicht mit einem präzisen Kopfstoß zu zerbrechen. Vor lauter Fremdscham natürlich, wenn sich der Protagonist so vorhersehbar und schlichtweg dumm verhält, dass es schon an ein Wunder grenzt, sollte er überleben. Da hilft das ganze inszenatorische Geschick im Vorfeld auch nicht viel, wenn der Schlüsselmoment so lieblos dahin geklatscht wird.

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                                      • Ich bin (bei) moviepilot, weil ich nicht nur gerne meinen Senf zu aktuellen, als auch weniger aktuellen Filmen abgebe, sondern auch gerne im Diskurs mit meinen Buddies stehe. Denn spannend wird so eine Plattform erst, wenn unterschiedliche Perspektiven aufeinandertreffen und sich so Sichtweisen eröffnen, an die man vorher nicht unbedingt gedacht hätte.

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                                          [...] Am Ende bleibt die Frage, ob diese laut Regisseur als Metapher auf den Bosnienkrieg und dessen Folgen auf die Zivilbevölkerung zu sehende, ausufernde und zusehends voyeuristisch exploitative Gewaltdarstellung einer Kritik oder Verarbeitung der Thematik zu Hilfe eilt, oder vollkommen den Kern dessen verfehlt. Zwar spricht A Serbian Film selbst durchaus die unbequeme Situation der serbischen Gesellschaft als Randnotiz an, vergräbt diese aber in immer widerwärtigeren Bildern, die sich einzig und allein am triebgesteuerten Menschen und der Faszination des Abscheulichen ergötzen und im ekelerregend absurden Finale kulminieren. Noch dazu bleibt fraglich, welcher Zuschauer über das nötige Vorwissen des Bosnienkrieges verfügt und die Verbindung zur Historie knüpfen kann. Gerade wenn der Fokus des Films die Metapher auf die Spitze treibt und am Ende bloß zwei Szenen im Gedächtnis bleiben, die für den Film selbst und die genannte Aussage nicht einmal von Bedeutung sind und lediglich dem Schockpotenzial dienen. Was bleibt ist ein selbstverräterischer, verherrlichender Gewaltporno unter dem Deckmantel der Kunst. [...]

                                          https://infernalcinematicaffairs.wordpress.com/2016/11/30/film-a-serbian-film-2010-rs/

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                                            Ich bin von Grund auf ein netter und aufgeschlossener Mensch. Das ist ja allgemein bekannt… wie dem auch sei. Im Folgenden möchte ich eine Ansicht zu Kinji Fukasakus Verfilmung von "Battle Royale" korrigieren, die ich bisher polternd und vehement vertreten habe (s. ersten Kommentar zum Film).
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                                            "Battle Royale" will mit seinen expliziten comic-/mangareliefartigen Darstellungen schockieren und provozieren und ist sich dabei vollkommen bewusst, wie das in Anbetracht der Thematik zu bewerkstelligen ist. Die plakative Bildsprache prangert etwas an und sie trifft den Nagel auf den Kopf. Gewalt als Mittel zum Zweck und infolgedessen nicht als Selbstzweck missbraucht, überspitzt in jeder Szene die Situation an sich, in dessen Sterbeszenen der Schüler die übermäßig theatralischen letzten Momente nur dem „Pünktchen auf dem i“ entsprechen und die musikalischen Ouvertüren während der Reports, also der Bekanntgabe der Zwischenstände, den Zynismus auf die Spitze treiben. Alles verfügt über seine innere Ordnung, systematisch fordert die Battle Royale ihre Opfer, der Aufseher Kitano (Takeshi Kitano) schaut dem blutroten Treiben mit eloquenter Gelassenheit zu und kommentiert mit legerem Zynismus das Tempo des „Spiels“. Und Tempo hat das Spiel, was dem Film nur zu Gute kommt. Der groteske Gegensatz des langsam treibenden Aufsehers und der gehetzten Schüler, die unvorbereitet in die neue Situation geworfen werden, reizen.
                                            Dabei sind es gerade die zahlreichen Jungdarsteller, die unter Anleitung der Regie eine wunderbare Gratwanderung zwischen Menschlichkeit und Wahnsinn darbieten. Angeführt von Tatsuya Fujiwara als Shuya fügt jeder einzelne Darsteller dem Gesamtwerk eine weitere schonungslose Facette hinzu, die den Film erst einen. Kudos an die abgebrühten Kids, die so einen Weitblick erst ermöglichen und in Anbetracht der Schwere der Thematik trotzdem noch für Schmunzler sorgen können, ohne dabei dem Film seiner Intention zu berauben.
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                                            "Battle Royale" ist makaber, überspitzt und bietet dennoch einen gewissen Wert, der bei all seiner kontroversen Darstellung nicht vergessen werden darf. Es ist ein schmaler Grat zwischen Satire und selbstzweckhafter Nutzung filmischer Mittel, den Regisseur Kinji Fukasaku jedoch meisterlich beschreitet. Zu kritisieren ist an diesem Film im Endeffekt nur noch eines: Wie dreist sich die Tür einer Fortsetzung offengehalten wird, die letzten Endes all das verrät, wofür dieser Film hier eintritt.

                                            https://infernalcinematicaffairs.wordpress.com/2016/11/20/film-battle-royale-2000-jp/

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                                            • Den Trailer muss man nur oft genug gucken, dann verzeiht man den CGI-Overkill etwas. Die Kostüme machen jedenfalls optisch etwas her und Johansson greift interessante Punkte in ihrer Darstellung des Majors auf. Gefällt mir sehr gut. Bisher ist mir eigentlich nur Batou völlig gegen die Vorlage besetzt, zumindest kommt er nicht im Ansatz an das Charisma des Originalcharakters heran.

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                                                "Baise-moi" ("Fick mich!") oder auch: der peinliche Versuch, mit französischer Kaltschnäuzigkeit zur Provokation aufzurufen.

                                                Regisseurin Virginie Despentes legt ihrem Werk eine pessimistische Weltsicht zweier Frauen zu Grunde, die sich in einer von triebgesteuerten Männern dominierten Welt zurechtfinden müssen. Als Milieustudie beginnend, begleitet der Zuschauer Manu (Raffaëla Anderson) und Nadine (Karen Bach), die im Laufe der Handlung aufeinandertreffen. Die eine von einer Bande vergewaltigt, die andere mit ansehend, wie ihr Freund kaltblütig erschossen wurde. Fortan beschließen die beiden Fremden gemeinsame Sache zu machen und sich an der Welt zu rächen…

                                                "Baise-moi" - der Titel ist Programm. Von der Gesellschaft sprichwörtlich gefi**t, begeben sich Manu und Nadine auf einen Roadtrip durch Frankreich und hinterlassen dabei eine Spur aus Mord und Totschlag. Entfernt erinnert der Film an den Klassiker Thelma & Louise von Ridley Scott, in dem sich ebenfalls zwei Frauen von der zwanghaften Gesellschaft absetzen und als Gesetzlose durch die Staaten fahren. An dieser Stelle findet ein etwaiger Vergleich aber auch schon sein Ende, ist Baise-moi doch die Brechstangenversion eben dieser Thematik. Alles ist auf Konfrontation aus, der Sex hasserfüllt und das Gesetz der Waffe regiert. Grenzen sind offenkundig nur dazu da, um in drastischen Schritten übertreten zu werden und der einzige Sinn besteht darin, zu provozieren. Anders lässt sich nicht erklären, wie mit dieser äußerst persönlichen Kameraführung, die ebendiese Tabus wie Vergewaltigung und kaltblütigen Mord, in all ihrer Hässlichkeit einfängt, keinerlei Emotion beim Zuschauer wecken kann. Der Akt wird förmlich zelebriert und in die Länge gezogen, wobei Despentes jedoch die Wirkung eben dieser Bilder verfehlt. Denn weder entfalten diese Einstellungen eine Schockwirkung, noch dienen die beiden Protagonistinnen von Anfang an als Identifikationsfiguren. Die Unfähigkeit der Regie wird auf gleich zweifache Weise deutlich: Durch den vermeintlichen Anspruch „Kunst“ zu schaffen, wird mit dem vergrößerten Blick der Kamera erst recht offensichtlich, wie überzogen die Darstellung im Kern doch ist - der Einsatz von Zeitlupe und harten Jumpcuts überhöhen diese zusehends. Daneben die beiden Frauen, die bereits vor den auslösenden Ereignissen alles andere als friedliche Familienleben führten: Gras, Bier, Porn und Sozialhilfe; für die Ambition einen geordneten Sitz innerhalb der Gesellschaft zu finden ist da kein Platz. Die Regie versäumt es auch an dieser Stelle, vom platten Diskurs des Films abzuweichen und verbietet von Vornherein sämtliche Empathie für die Frauen, welche sich in der Opferrolle sehen und dann den Spieß umdrehen.

                                                Doch auch die Umsetzung an sich ist mangelhaft: Der Independentkino-Flair mag vielleicht dem beschränkten Budget geschuldet sein, ändert jedoch keinesfalls die Tatsache, wie uninspiriert die Kamera genutzt und die Handlung in Szene gesetzt wird. Die unruhige Kamera mit ihren konträr gesetzten starren Detailaufnahmen erinnert an einen semidokumentarischen Stil, fängt jedoch lediglich holprig inszenierte und hölzern gespielte Momentaufnahmen ein, welche die Qualität nachgestellter Szenen im Mittagsprogramm der Privatsender noch unterbieten. Der Zuschauer mag mit dieser persönlichen Kameraführung nah am Geschehen sein, nah an den Protagonistinnen Manu und Nadine ist er jedoch nie. Zu krampfhaft versucht Despentes, sämtliche Tabus der Gesellschaft zu brechen und driftet zusehends in platte Einstellungen ab, die provozieren sollen, dadurch jedoch früh ad absurdum geführt werden. Nach dem drölften erigierten Penis ist die Luft raus, die Chose des Provocateurs verläuft im Sande und der große finale Knall in einem Sexschuppen setzt dem ganzen noch in lächerlichster Manier die Krone auf. Spätestens an dieser Stelle ist dem Film nur noch daran gelegen, sich an seinen eigenen Bildern aufzugeilen und den angestauten Hass der Frauen auf die wohlhabende Gesellschaft zu entladen. Da helfen auch keine noch so expliziten Rechtfertigungen mehr, um diesen am Ende die Konsequenzen aufzuzeigen. Der Gegenteilige Effekt tritt ein: Das Richten wird zur Genugtuung für die 77 Minuten höchst plakativer Kreischerei, wie furchtbar diese Welt doch ist.

                                                "Baise-moi" setzt alles daran den Zuschauer zu schocken und verfängt sich selbst in repetitiven Mustern, die mit brachialer Kraft nur eins vermögen: Zu langweilen. Natürlich darf dabei die Holzhammer-Message Despentes auch nicht oft genug erwähnt werden. Aber dass alle Männer Schweine sind, das sangen die Ärzte schon zwei Jahre zuvor…

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                                                  Auch wenn Marvel im Grunde immer dasselbe abzieht – nämlich einen Superheldenblockbuster nach Schema F – so sind sie nicht auf den Kopf gefallen. Die kreativen Köpfe scheinen ganz genau zu wissen, wann sich ein Schuh totgelaufen hat und wann sie die Reißleine ziehen müssen. Just in diesen Momenten fügen sie ihrer Masche eine neue, andere Seite hinzu und lassen innovativ erscheinen, was im Grunde dem immer selben Muster folgt. Nichts anderes ist "Doctor Strange", der dem technikorientierten Fokus des Marvel Comic Universe nun die Magie präsentiert.

                                                  Nach dem Hype der diesen Superheldenfilm umgab, braucht an Inhalt nichts mehr erwähnt zu werden. Etwas Originstory, die die Ursprünge des selbstverliebten Neurochirurgen Doktor Stephen Strange (Benedict Cumberbatch) zeigen, und prompt startet in der Zwischenzeit auch schon das eigene Abenteuer, in welchem sich der Magierneuling gegen dunkle Mächte behaupten muss. Natürlich noch während seiner Ausbildung…

                                                  Was hebt diesen Film nun aber von den anderen Marvelfilmen ab, was ähnelt ihnen und was macht "Doctor Strange" so einzigartig?

                                                  Das Gute voran: "Doctor Strange" ist kurzweilig. So kurzweilig, dass nach 115 Minuten überlegt werden kann, ob da gerade wirklich ein Marvel-Film lief. Und das ist ein Eindruck, der auch nach einer zweiten Runde bestehen bleibt. Wie das geht? Regisseur Scott Derrickson verzichtet auf ausufernde Materialschlachten und hält sich auch sonst an der kurzen Leine. Stattdessen startet er mit einer eindrucksvollen Actionsequenz, welche auch gleich die visuelle Finesse, die noch folgen soll, andeutet und verzettelt sich nicht in unnötigen Sidestories. Er konzentriert sich auf das Wesentliche und zeigt auch nur das Nötigste. Eine etwaige Romanze mit der Doktorenkollegin bleibt daher aus und die „komplizierte“ Beziehung zwischen Stephen Strange und Christine (Rachel McAdams) wird zum Tragebalken des egozentrischen Neurochirurgen und der Entwicklung, welche er nach dem Unfall durchläuft. Überhaupt sind es die Sidekicks, die dem Fantasyspektakel einiges an Wucht nehmen. Christine ist entschlossen und lässt sich nicht lange an der Nase herumführen, ist gleichzeitig aber auch supersüß wenn sie schreckhaft zusammenzuckt. Auch Bibliothekar Wong (Benedict Wong), der wahrscheinlich witzigste Nebencharakter (neben Doctor Stranges flatterhaften Umhang) lässt sich nicht die Show vom arroganten Doktoren stehlen. Stattdessen lässt er einen lakonischen Spruch nach dem anderen vom Stapel und lässt so den Zauberlehrling oft genug ins Leere laufen, was wiederrum in herrlichen Retourkutschen mündet. Es sind diese Momente, die zu den größten Stärken des Films gehören, ihm die Schwere nehmen, ohne es zu sehr ins Lächerliche zu zerren. Und es sind Momente, in denen die ausgeglichene Chemie zwischen allen Beteiligten durchscheint. Alle scheinen sie voll bei der Sache zu sein und vor allem mit einer Menge Spaß. So lässt es sich leichter verzeihen, wenn ein Mads Mikkelsen als Antagonist beinahe vollständig seitens der Geschichte verschenkt wird (eine gewisse Ausstrahlung hat der Däne sowieso immer) und ein gewisser anderer Sidekick vom coolen Sympathen zur weinerlichen Memme (die dem ganzen in einer gewissen End Credit-Szene noch das Krönchen aufsetzt) verkommt. So gut Chiwetel Ejiofor auch spielt, so bescheiden ist doch seine Rolle als Mordo geschrieben. Zwar hat auch er einige starke Momente, muss sich jedoch selbst dekonstruieren und sich der Handlung fügen. Sehr schade, wenn man in seine Zukunft blickt… Diese beiden Punkte sind tatsächlich diejenigen, die Doctor Strange daran hindern, sich über die schematischen Vorbestimmungen des Superheldengenres hinwegzusetzen.

                                                  Worüber gar nicht erst debattiert werden muss, ist hingegen Leinwandgöttin Tilda Swinton. Es steht vollkommen außer Frage, dass diese Frau nicht viel braucht, um völlige Aufmerksamkeit zu erhalten. Ohne dabei die anderen an die Wand zu spielen, wohlgemerkt! Ist es ihre zurückhaltende, aber bestimmte Art, mit der sie so dominiert? Ihre Optik, die mit ihren androgynen Zügen trotzdem, oder gerade deswegen so fasziniert? Ihr steht die Rolle der Ältesten wie angegossen und darf gleich zu Beginn sämtliche Zügel in die Hände nehmen. Dabei dürfte sich dieser Auftritt mit Sicherheit in der Riege der imposantesten Einstiege in ein Marvelabenteuer to date einfinden. Aber auch abseits der Action brilliert die Dame unangefochten. Sie beherrscht ihre Gegenüber aus unnahbarer Distanz, gibt sich jedoch alles andere als herrisch. Oft genug zeigt sie ihren Schülern mit einem Lächeln auf den Lippen (oder merklichen Zweifeln), wie sie sich in Anbetracht der Ereignisse zu verhalten haben.

                                                  Kann ein Benedict Cumberbatch dagegen überhaupt ankommen? Diese Frage lässt sich nicht so leicht beantworten. Wie abzusehen war nähert Cumberbatch seiner Paraderolle des arroganten Detektivs an, ringt ihm aber wieder andere Seiten ab. Es sind deutliche Unterschiede zwischen den Figuren eines Doctor Strange und Sherlock Holmes auszumachen. Ein Wiederholungstäter ist der Brite in dieser Hinsicht also nicht. Ihm steht die Rolle des (Ver)Zweifelnden gut zu Gesicht, der sich irgendwann zwar den neuen Gesetzmäßigkeiten fügt, aber trotzdem nach eigenen Wegen sucht, um sein Ziel zu erreichen. Dabei dürfen schnippische Bemerkungen gegenüber seinen neuen Magie-Kumpanen ebenso wenig fehlen, wie die Skepsis gegenüber der Magie selbst. Dennoch ist sein Auftritt als Gegenpol zum sonstigen auf Hightech bedachten Franchise nicht ohne Fehler, die auch Stephen Strange selbst betreffend. So treffsicher viele der Gags auch sind, so flach wie Schenkelklopfer entpuppen sich andere. Womöglich lag es an der deutschen Synchronisation, oder aber manche der humorvollen Einlagen wurden tatsächlich so versteift vorgetragen, dass man sich das Lachen aufgrund der bloßen Tatsache verkneifen muss, wie offensichtlich das Ganze doch ist. Es fehlt dem Ganzen an Konsequenz, den Humor voll durchzuziehen. So schien es doch öfters wie ein Pendeln zwischen unterschiedlicher Niveaus, die mit dem Ende – welches dem von Guardians of the Galaxy doch extrem ähnelt – einen klaren Tiefpunkt erreicht, der im o.g. Beispiel noch charmant erschien. Hier kommt ein weiterer Punkt zum Tragen, der an späterer Stelle noch einmal kurz aufgegriffen werden soll. Bleiben wir für den Moment noch kurz beim Humor. Am bedauerlichsten für die Wirkung des Films ist die Tatsache, wie schnell die Stimmung nach übereifrigem Einsatz von Humorspitzen wieder umschlägt. Auch wenn der Grundtenor für die meiste Zeit über in lockerleichten Gefilden fischt, so wird nach den wenigen ernsten Momenten sofort ein Gag nachgereicht, der die Stimmung gar nicht erst setzen lässt. Krampfhaft wird eine fröhliche Schiene bedient, um dem Zuschauer ja nicht zu viel zumuten zu müssen. Zu Beginn des Films erstaunlicherweise nicht, womöglich ist es also nur ein Versuch, um der anfänglich recht depressiven Stimmung wieder Herr zu werden. Ein wenig unausgeglichen verhält es sich, dennoch ist auch dieser Kritikpunkt aufgrund der Kurzweiligkeit des Endprodukts nicht zu gravierend.

                                                  Wie bereits angesprochen gibt es noch eine Sache, die mit einem kritischen Blick beäugt werden sollte. Die Optik. Gefällig ist die Art und Weise, mit der die Moderne auf traditionelle Gesellschaftsmerkmale trifft. es ist leicht zu vergessen, dass es sich bei Stephen Strange um einen begnadeten Neurochirurgen handelt, der dann nach Neapel reist, um dort die Erleuchtung zu finden. Natürlich wird genau dieser Kulturclash auch im Film selbst diskutiert, allerdings sind die Grenzen nicht so hart und der Zuschauer muss nicht erst nach Asgard reisen, um ein neues Setting im MCU kennenzulernen. Kudos an die Männer und Frauen hinter den Kulissen, die einige wunderschöne Sets zusammengeschustert haben. Auch die Magie selbst, die zum Dreh- und Angelpunkt der Geschichte wird, wird mittels eleganter Effekte zur augenscheinlichen Realität. Und natürlich dürfen auch die an "Inception" und M. C. Escher erinnernden Dimensionsverzerrungen bewundert werden, die dank des 3D mit räumlicher Tiefe (oder doch eher Höhe?) zum Augenschmauß werden. Wenn sich dort die Action abspielt, dann bleibt einem die Luft weg. Dennoch machen sich einige Qualitätsunterschiede in diesen Dimensionsspielereien bemerkbar. Es gibt vereinzelte Szenen, in denen die Greenscreentechnologie geradezu danach schreit, verwendet worden zu sein. So verkommt manch ein Szenenbild mehr zur billigen Theaterrequisite denn zu einem Millionenblockbusterdesgin, was dazu führt, aus der magischen Immersion gerissen zu werden. Hier hat Marvels Qualitätssicherung etwas geschludert, was in anderen Filmen des Studios so noch nicht passiert ist.

                                                  All dieser Mängel zum Trotz besticht "Doctor Strange" mit seiner resoluten Kurzweil, die die 115 Minuten wie im Flug vergehen lässt und dem Marvel Comic Universe – endlich – wieder Innovation und Neues verschafft. Die Magie öffnet dem eingeschlafenen Superheldenfranchise eine neue Ebene, die nach dem Showcase auch gerne weiterhin beschritten werden dürfen. Und wer ist nicht schon gespannt, wenn Doctor Stephen Strange auf Tony Starks übergroßes Ego trifft? Das werden wir erfahren, wenn es soweit ist.

                                                  https://infernalcinematicaffairs.wordpress.com/2016/11/02/film-doctor-strange-2016-us/

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                                                  • Bitter, wenn ein solcher Charakterkopf - dem man sich kaum entziehen konnte - nur noch mit diesen tragischen Unfall in Verbindung bringt. Gerade wenn man sich durch aktuelle Newsartikel im Netz klickt und die Headlines darauf hinweisen. Daran hat er lange zu knabbern gehabt und am Ende folgt ihn das noch zweifach ins Grab. Massee war ein fantastischer Darsteller, der immer etwas unangenehmes ausstrahlte. Genau das richtige, für fiese Rollen. Habe ihn gerne beobachtet.

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