Solveig - Kommentare

Alle Kommentare von Solveig

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    Solveig 09.03.2021, 14:46 Geändert 10.03.2021, 08:42

    Eine wirklich nette, kleine Serie mit Wohlfühlthemen und als eine ebensolche -oase gemeint. Andrè Benjamin bezeichnet sie als "Fight Club" auf Droge, während irgendwo in den ersten Episoden der Film "Amelie" genannt wird, so haben mich die Schnitzeljagd, das Agieren der Figuren und der Inhalt der Botschaften von Anderswo in der Tat sehr an Jeunets bekanntes Stadtmärchen um eine herzenswarme wie etwas schräge junge Frau erinnert, die durch die Schönheit der kleinen Dinge ihren Mitmenschen dazu verhelfen möchte, die alltägliche Schönheit wiederzuentdecken, welche manchmal im Laufe eines ganzen Lebens verloren gegangen ist. Irgendwann bleibt nur noch die Erkenntnis, dass das Leben vorbei ist und das eigene Ich, aus so vielen Jahren Vergangenheit einen in der Gegenwart zur Rede stellt und einen zur Verantwortung zieht, was das ältere Alter-Ego aus seinem Leben gemacht hat.
    Midlifecrisis, Selbstfindung, Monotonie, Schwierigkeiten der eigenen Identitätsakzeptanz, Selbstverwirklichung, Lebenskrise, Besessenheit und Verkauf der eigenen Lebensideen mit der einhergehenden Untreue dem eigenen Ich gegenüber, das sind wohl die größten Themen, die in diesen 10 Episoden mehr oder weniger versteckt sind. Übel nehme ich der Serie ihren stark manipulativen Charakter auf den Zuschauer: die Botschaften von Anderswo, die Musik, der ambivalente Erzähler, die Schlussszenen, das alles wirkt schon sehr wie eine Werbeschleife, die zum Kauf eines Produktes verführen soll. "Ja, die Botschaften von anderswo sind großartig", soll der Zuschauer am Ende wohl aus dem Sessel vor der Mattscheibe begeistert aufspringen und den Flimmerkasten herzlich umarmen.
    Aber dennoch:
    Ich hatte während der Mittagsstunden eine gute Zeit mit den Botschaften von Anderswo, die mit zunehmender Lebenserfahrung keine völlig neuen Sichtweisen auf das Leben offerieren, aber immerhin in der Tat trösten, mit manchen Lebensenttäuschungen nicht völlig einsam auf weiterer Flur in der Gesellschaft dazustehen. Und für Kniffe wie Wechsel zwischen Animations- und Realfilm, schönen Aufnahmen, unzuverlässigen Erzählern, kleineren Twists, Metaebenen, wechselnden Erzählperspektiven - dafür habe ich schon recht viel ürig.

    I liked it.

    8
    • 8 .5
      Solveig 25.02.2021, 22:31 Geändert 25.02.2021, 22:36

      Trapp, trapp, trapp die Pferdehufe, trapp, trapp, trapp die Straße des kleinen iranischen Dörfchens Malayer entlang, trapp, trapp, trapp, die Räder der Kutsche drehen sich und drehen sich, trapp, trapp, trapp, der blinde Passagier Qassem ist überglücklich, trapp, trapp, trapp, er hat endlich die Möglichkeit nach Tehran zu fahren, um das Spiel seiner Lieblingsfußballmannschaft live mitzuerleben.
      Eine wunderschöne Szene, die dezent und doch völlig offensichtlich die große Freude eines kindlichen Herzenswunsches einfängt und transportiert, raus aus der Enge des unverstandenen Kinderwunsches.
      Und ein wirklich schöner Film, den ich allen sehr empfehlen möchte, die von François Truffauts Debutfilm Les quatre cents coups verzaubert waren; ihr werdet auch Kiarostamis Traveller lieben und euch an etwas völlig in Vergessenheit Geratenes zurück erinnern: an die Zeit, wie es war, ein Kind zu sein.
      Qassem ist ein einfacher, durchschnittlicher x-beliebiger Junge und anscheinend ohne wirklich nennenswerte Talente. Bisauf eins. Er liebt den Fußball über alles, wofür er den Fleiß, den die Eltern sich für die Schularbeiten und den regelmäßigen Besuch selbiger wünschen, gerne vernachlässigt. Denn nachvollziehen oder gar Interesse an der großen Zuneigung des Jungen für diesen beliebten Sport zu zeigen, das ist allen Erwachsenen in Qassems Umgebung fremd. Wie sollte dies auch möglich sein; es sind alles einfache Menschen, die wohl mehr von der Hand in den Mund leben und nur noch die Strenge des alltäglichen Lebens kennen, um überhaupt einen Alltag haben zu können. Durch die Augen eines Kindes hat jedoch selbst eine solche Umgebung einen Blick für ihre Möglichkeiten, wenn sie durch echte Leidenschaft motiviert ist. Qassem ist ein Kind, lebt im Augenblick, Konsequenzen sind ihm weniger bewusst, seine Passion motiviert ihn und das so überzeugend, dass der Zuschauer Verständnis dafür aufbringen kann, dass er seine Lehrer anschwindelt (deren Tätigkeit fernab wirklicher Berufsmotivation angesiedelt ist), der eigenen Mutter Geld mopst, das sie versteckt hatte oder vorgibt, mit einer defekten Kamera Fotos seiner Schulkameraden aufnehmen zu können, die sie vorab bezahlen müssen, auch wenn sie die Bilder hierfür nie bekommen werden. Das wird alles körperliche Bestrafungen nach sich ziehen - einerlei, denn er hat alles Geld zusammengekratzt, um nach Teheran fahren zu können. Muss für ein Eintrittsticket am Ende mehr bezahlen, so dass er keine Möglichkeit mehr haben wird, mit einem Bus nach Hause zurück zu fahren und bei einer Erkundung der iranischen Hauptstadt wird ihm vor Augen geführt, was seine Kindheit in Malayer ihm alles an Möglichkeiten nicht bieten kann.
      Und was wird nun aus dem Fußballspiel?
      Tja, ich sehe das so oft bei meiner kleinen Tochter: in diesem einen Augenblick möchte sie DAS EINE unbedingt haben, wofür es kein Links, Rechts, keinen Blick nach hinten oder vorne gibt, alles ist auf dieses Eine fokussiert und dann ... irgendwann merkt ein Kind dann ebenfalls, das die Welt oft weit über einen unverstandenen Kinderwunsch hinausgeht. Oder wir, dass wir jene Dinge, die wir uns von Herzen wünschen, schlichtweg verpassen können. So ganz erwachsen werden wir dann wohl doch nie.

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      • 8 .5
        Solveig 20.02.2021, 14:45 Geändert 20.02.2021, 15:32

        Chaplin goes Bollywood und auch ich wage einen ersten Schritt ins klassische Bollywood. Hier hat es mir gut gefallen, ich komme gerne wieder. "Shree 420" macht Spaß und verfliegt trotz seiner dreistündigen Laufzeit (die deutsche Synchronisation des Films dauert lediglich 2 Stunden, hat jedoch sämtliche musikalische Einlagen geschnitten). Raj Kapoors gleichnamiger Vagabund ist nicht nur von seiner Rolle her eine Anlehnung an Chaplin, auch seine anfängliche Naivität, sein Humor, seine unterhaltsamen Taschentricks, sein Vermögen, in widrigeren gesellschaftlichen Verhältnissen seinen Humor und seine Lebenslust zu behalten, sich zu verlieben und eine Frau mit Charme für sich zu gewinnen, das alles erinnert stark an den populärsten Tramp der Filmgeschichte. Aber nicht nur das. Auch formal und tricktechnisch orintert sich Raj Kapoor an seinem großen Idol und vermag den Zuschauer für seine ambitionierte Gesellschaftskritik zu gewinnen. Märchen vermischt sich mit Satire, bietet wiederkehrende Symbole an, wovon sich manche im Laufe des Films dem Zuschauer erschließen - manche mehr, manche weniger offensichtlich - und wartet mit wunderschönen schwarz/weiß-Fotografien auf.
        Die Geschichte an sich ist ebenso chaplin'esk. Einen mittellosen Vagabund zieht es in die Großstadt Bombay, deren Gesellschaft sich in arm und reich aufteilt. Dazwischen gibt es nichts. Da Raj jedoch einen Hochschulabschluss besitzt, was ihm nicht sofort anzusehen ist ("Kleider machen Leute"), ist er zuversichtlich, schnell Arbeit zu finden. Er begegnet der aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Lehrerin Vidya ("Weisheit"), welche die pure Weiblichkeit in allen Facetten verkörpert, und verliebt sich in sie, möchte mit ihr eine Familie gründen, um ihre gemeinsamen Kinder in spe in die Schule schicken zu können und findet schließlich eine Anstellung in einer Büglerei. Doch als die reiche Maya ("Illusion") Rajs Talent fürs Kartenspiel entdeckt, führt sie ihn in die höhere Gesellschaftsschicht ein. Raj, der seine Ehrlichkeit verkaufte, gewinnt gefallen am matriellen Wohlstand, doch wird sich Vidyas Prophezeihung bewahrheiten: Wer in Bombay zu Wohlstand gelangt, verdient sich dies nur durch Betrug und Korruption, worauf auch der Filmtitel im Original verweist. So entsteht eine klassische Kontrastgeschichte zwischen der Unschuld vom Lande und der korrupten Großstadt. Auch hier gibt es kein Dazwischen. Die Geschichte wird zur Parabel.
        Aber ich muss gestehen, wenn auch Vidya ihre Zuneigung für Raj entdeckt und die beiden singend durch die verregneten Straßen Bombays ziehen, um Zukunftspläne zu schmieden, während Raj ein Bügeleisen auf einem Bügelbrett stehen ließ, das genauso ein Loch ins Brett wie die Liebe ein solches in Rajs Herz brennt - das ist einfach verzaubernd schön.
        Und ja, selbstredend, dass für diesen Film Abneigungen gegenüber Gesangseinlagen hinderlich am Genuss sind. Ich verspreche aber, ein paar Ohrwürmer sind garantiert. Ich hatte einen sehr hartnäckigen von "Mera Joota Hai Japani".

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        • 9
          Solveig 11.02.2021, 23:04 Geändert 12.02.2021, 10:50

          Ich sing dir mein Lied, in ihm klingt mein Leben.
          Die Töne, den Klang hast du mir gegeben
          von Wachsen und Werden, von Himmel und Erde,
          du Quelle des Lebens, dir sing ich mein Lied.

          Ich sing dir mein Lied, in ihm klingt mein Leben.
          Den Rhythmus, den Schwung hast du mir gegeben
          von deiner Geschichte, in die du mich mitnimmst,
          du Hüter des Lebens. Dir sing ich mein Lied.

          Ich sing dir mein Lied, in Ihm klingt mein Leben.
          Die Tonart, den Takt hast du mir gegeben
          von Nähe, die heil macht – ich kann dich nicht finden,
          du Wunder des Lebens. Dir sing ich mein Lied.

          Ich sing dir mein Lied, in ihm klingt mein Leben.
          Die Höhen, die Tiefen haben wir uns gegeben.
          Du hältst uns zusammen trotz Streit und Verletzung,
          du Freundin des Lebens. Dir sing ich mein Lied.

          Ich sing dir mein Lied, in ihm klingt mein Leben.
          Die Töne den Klang hast du mir gegeben
          von Zeichen der Zuversicht auf steinigen Wegen
          du Hoffnung des Lebens. Dir sing ich mein Lied.

          … über die Dinge des Lebens.

          Ich muss immer an mein (von mir nun leicht verändertes Lieblings-)Lied denken, wenn meine Gedanken zum Dreiergespann Sautet, Schneider und Piccoli schweifen. Es vermischt sich so gut mit der Melodie des Chanson de Hélène, dass ich ebenso an den Film ein Herzchen verliere.
          Ich bin jedes Mal fasziniert davon, wenn dieser kleine Film davon erzählt, ob wir uns unsere gesamte Lebensspanne zusammen fabulieren, um die Dinge des Lebens zu finden oder in dem Moment, an dem wir vielleicht ganz plötzlich unser Leben an uns vorbeirauschen lassen oder uns bewusst werden, dass wir mit unserer eigenen Handschrift möglichst jetzt beginnen sollten, unser Leben als Fabel niederzuschreiben, Glück und Genuss hineinzudichten. Ob es am Ende gelogen oder einfach nur verschönert ist, ist dabei völlig unwesentlich und so schön kann diese Erkenntnis wohl sowieso nur im französischen Kino erzählt werden, bevor die wesentlichen Dinge des Lebens an uns vorbeirauschen:
          „Du liebst mich, weil ich da bin. Aber wenn du auch nur über die Straße müsstest, um zu mir zu kommen, wäre dir das zu viel. Du bist zu bequem.“

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          • 9 .5

            Wie schön ist es, die Natur als etwas Beseeltes aufzufassen. Schon immer war ich der Auffassung, dass ein rein rationaler Blick und Umgang mit der Welt nicht verkehrt ist, man ihr jedoch soviel an faszinierenden Geheimnissen, an Lebendigkeit und letzten Endes auch soetwas wie ihrer "Würde" raubt, wenn all die Mythen vergangener Zeiten als überholte Märchen abgetan werden, die heute nicht mehr gelten sollen. Verschwinden die Mythen aus unserem modernen Bewusstsein, ist emotionale Armut und Überforderung mit tiefen Emotionen eine mögliche langfristige Folge. Das ist für mich jedenfalls die Quintessenz dieses kleinen Juwels an Animationsfilm, an dem für mich so ziemlich alles stimmt. Visuell eine wunderschöne Abenteuergeschichte für das jüngste Publikum seiner Zielgruppe; visuell ebenso ein metaphorischer Genuss für den erwachsenen Gegenpol und somit vereint DIE MELODIE DES MEERES das, wovon ich gerne mehr hätte: ein Animationsfilm, der sein Publikum über sein Alter hinweg mit eigenen Themen und Herzensangelegenheiten ansprechen kann.
            Nebenbei mochte ich die Figur der Macha gern, erinnerte sie mich ein ganz klein wenig an meinen Seelenverwandten auf Zeit: König Haggard aus "Das letzte Einhorn": Der Raub an Emotionen ist gleichzeitig der Raub an all den Facetten des lebendigen Daseins: Ödnis und Depressionen sind das Resultat. Es ist der Angst vor Verlust, ein falscher Beschützerinstinkt, das Bewahrenwohlen vor körperlichem und seelischem Schmerz, das zwar gut gemeint ist, aber unser (Seelen-)Leben ungemein verflachen lässt. Und zum anderen erinnerte sie mich ein wenig an Yubaba aus "Spirited away", da sie als böse Figur aufgebaut wird, letztendlich aber nicht wirklich ganzheitlich in die Kategorie von "gut" und "böse" passt. Das mag ich. Ein Märchen, aus dem viel Weisheit und reifere Lebenserfahrung spricht.
            Insgesamt eine wunderschöne Ode an das Fantastische, das uns umgibt, wenn wir nur ein wenig in der Lage sind, einen Blick dafür zu haben und das feine Gehör die leise Stimme des Fantastischen zur richtigen Zeit zu vernehmen (Saoirses Stimme ♥). Die Welt ist ein Ort des Wunderbaren, wir müssen uns dies nur erzählen lassen, dann befinden wir uns in dessen Mitte.

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            • Liebe Moviepiloten,
              in all der Zeit meiner Inaktivität haben mich einige Nachrichten bezüglich der Liste hier erreicht. Sie ist nun etwas älter und dass wohl keiner der Links noch verfügbar ist, war nur eine Frage der Zeit. Um alle neu rauszusuchen (falls überhaupt möglich), dazu fehlt mir leider die Zeit. Dennoch lasse ich die Liste hier unverändert stehen, denn vielleicht motiviert sie ja zum Stöbern, welche seltene Filmperlen evtl. irgendwo im Netz einfach so herumliegen. Irgendwo werden sie in der Regel immer wieder mal neu hochgeladen.

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              • 8
                Solveig 31.01.2021, 00:52 Geändert 31.01.2021, 10:41

                Ein sehr böser und vor allem sehr zweischneidiger Film, der für mich in die Hände eines reiferen Publikums gehört. Wieso? In der falschen Zielgruppe wird er wohl leider gefundenes Fressen für bestehende Vorurteile gegenüber Geschlechterrollen in der Türkei sein; eine dezidierte Auseinandersetzung wird aller Wahrscheinlichkeit nach daraufhin nicht stattfinden.
                Aus privater Erfahrung kann ich versichern, dass es zum Glück genauso eine ganz andere Seite der türkischen Gesellschaft gibt, weswegen ich dankbar bin, dass es neben DIE FREMDE Filme wie ALMANYA gibt, der ein anderes und genauso realistisches Bild (wenn auch im Rahmen eines anderen Genres) zeichnet oder Akins GEGEN DIE WAND, der sich ähnlicher Thematik wie dieser Film hier nähert, es aber gleichzeitig schafft, seine Problematik universeller als ein allgemein menschliches Problem auf die Leinwand zu bringen.
                Dennoch empfinde ich DIE FREMDE als ein sehr starkes Drama, welches meine persönliche Vorliebe für Filme anspricht, nicht alles sagen oder gar ausdiskutieten zu müssen. Unausgesprochenes dominiert hier, es wird mehr gezeigt als kommentiert und die Darstellung der Entwurzelung Umays von ihrer Familie und ihrem Zuhause, die Unmöglichkeit, jenseits davon persönliches Glück zu finden, sollte im besten Falle für die Belange unseres Nächsten sensibilisieren. Eine Geschichte wie diese hier kann leider in so manchen Gesellschaften und Ecken dieser Welt erzählt werden. Nicht weniger in Deutschland.

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                  Solveig 24.01.2021, 22:43 Geändert 25.01.2021, 10:13

                  Ich sah die Unschuld, die Finsternis verwandelte. Verloren in einer Welt aus Brutalität und Hass durchstreifte sie jene und hinterließ ihre Spuren, vielleicht sogar eine zarte Saat der Hoffnung an verwundbarsten Stellen. Die Rede ist von Marketa, Tochter des Lazar.
                  Vom behüteten Käfig ihres Vaters sollte sie übergehen in den geordneten, goldenen Käfig eines Klosters. Geraubt von Mikolas, Sohn des Kozlik, und vom selbigen geschändet erwächst eine Innigkeit zwischen beiden, die so distanziert wie aufrichtig und aus einer archaisch männlichen wie weiblichen Porträtierung aufopferugsvoller kaum sein könnte. Das reine Christliche verbündet sich mit dem Paganen, versündigt sich mit ihm, an ihm, und vergibt in einem Akt äußerster Menschlichkeit. Neben Marketa und Mikolas verdienen Alexandra, Mikolas Schwester, und Christian, Sohn eines Bischofs, für mich genauso viel Aufmerksamkeit: Sie spiegeln sich exakt gegenseitig und waren bei beiden Sichtungen innerhalb von drei Tagen mein roter Faden in diesem Wust aus Dreck, Schlamm, windiger Moral, dem Gesetz des Stärkeren, in einer Welt auf der Suche nach einem Gott, der sich an dem harten Leben der hier gezeigten Menschen wohl selbst nicht die Hände schmutzig machen möchte. So wird Marketa sein Opferlamm, das dem Sturm dieser würdelosen Zeit geopfert wird, gleichgültig wie kultiviert der Mensch zu sein scheint und welchem Stand er auch angehören mag: am Ende sind sie alle nur wilde Tiere.
                  Aber egal was ich hier auch schreibe und was man ggf. vorab an Inhaltsangaben zu dem Film gelesen haben mag: "Marketa Lazarová" kann und muss man nur selbst erleben. "Erleben" trifft es auch wirklich. Aufgeteilt in zwei Teile, ist der erste ("Straba") noch einigermaßen geradlinig erzählt, den zweiten Teil ("Baranek bozi" - "Lamm Gottes") darf man nur fühlen: assotiative, mitunter kryptische Bilder, surreale Visionen, elliptische Erzählfäden, die plötzlich abbrechen und haken schlagen haben mich die Zerrissenheit und den Strudel des Hasses, der Angst, der Verlorenheit und der menschlichen Schwäche miterleben lassen. Umso berührender, mit welchen Schilderungen die Erzählstimme mich aus dem Film entlässt und auch die widersprüchliche Verbundenheit zwischen Marketa und Alexandra werden mir wohl lange im Gedächtnis bleiben.
                  Ich gestehe, vollständig durchdrungen habe ich den Film nicht und ob ich es werde, weiß ich nicht. Ich kann mir gut vorstellen, dass "Marketa Lazarová" nicht weniger tschechische Mentalität und Geschichte angesichts der empfundenen Qualen, Fremdherrschaften zu unterliegen, verarbeitet wie Andrzej Wajda in "Asche und Diamanten" nur eben in einer ganz anderen, viel allegorischeren und märchenhafteren Form, die jedoch auf einer ganz anderen, nicht-rationalen Ebene nicht weniger realistisch ist. So weit bin ich jedoch nicht, aber immerhin soweit, zu wissen, dass ich diesen Film irgendwann einmal sehr gerne an Petrus' Himmelspforte vorbeischmuggeln werde.

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                    Solveig 19.01.2021, 23:03 Geändert 20.01.2021, 00:20

                    Eine schwieriges Unterfangen, vor das mich BLANCANIEVES stellt. Bei mir persönlich steht und kippt die Wertung wohl mit meiner persönlichen Erwartung. Ist die vielleicht zu hoch? Durch Moviepilot habe ich erst richtiges Interesse an Filmgeschichte und Film als einem rein visuell erzählenden Medium entwickelt und ich mag die Seite hier immer noch deswegen gerne, weil ich nicht weiß, ob ich ohne einige andere Moviepiloten jemals auf die Form der Stummfilme aufmerksam geworden wäre. So viele bezaubernde Titel der 10er und 20er Jahre des letzten Jahrhunderts, welche unbedingt im kulturellen Gedächtnis eines jeden Filmliebhabers verbleiben sollten. Ich bin da sehr angetan und plädiere stets dafür, diese alte Filmform weiterhin zu konsumieren. Die spielerische, entdeckungsfreudige Suche nach neuartigen Erzähl- und Ausdrucksmitteln vermag mich heute noch fasziniert zu vereinnahmen, zu unterhalten, ins emotionale Tiefgewässer abtauchen zu lassen - einerlei ob es eine berührende Liebesgeschichte, eine Thriller, ein kritisches Sittengemälde, ein politisches Zeitzeugnis, ein (tragisches) Märchen oder eine Schauergeschichte sein soll. Die Geschichten sind in der Regel nicht so umfangreich, als dass sich ein ganzer komplexer Roman aus ihnen stricken ließe, aber die tricktechnischen Errungenschaften, das Erzählen mithilfer eingestreuter Symbole, meisterliche Montagen, präziese erdachte Kulissen und Studiobauten, Spielereien mit der Kamera und der Beleuchtung und charismatische Schauspieler - durch all dies erlangen Stummfilme eine ganz eigene Art künstlerischer Tiefe und Sogkraft. Kein Wunder, dass so mancher moderne Filmemacher hiervon angetan ist und angibt, aus der Vergangenheit der Filmgeschichte Lernen zu können.
                    Was macht nun BLANCANIEVES hieraus?
                    Was habe ich auf der Plusseite: Ja, es ist eine Hommage, gekennzeichnet durch die vielen Zitate der alten Klassiker, die kurzzeitig in Nostalgie schwelgen lassen und verzücken können. Die Schauplätze und ihre Ausstatungen sind recht opulent und detailverliebt, aber nie überbordent. Gleiches gilt für die Kostüme. Angetan bin ich zudem immer davon, wenn sich ein s/w-Film in meinen Augen sehr bunt und farbig präsentiert - es gibt eben reichlich Nuancen zwischen schwarz und weiß und BLANCANIEVES weiß das genauso.
                    Die Neuadaption des Schneewittchenmärchens gefällt mir: eine altvertraute Geschichte mit neuen Ideen erzählt, die ich originell und gelungen finde, in einem Rahmen, den ein Stummfilm normalerweise auch hergibt. Leichter Spoiler: Auch das traurige und anders gedeutete Ende wird mir gewiss in Erinnerung bleiben; hierfür scheinen spanische Filmemacher ohnehin ein Faibl zu haben, wenn sie Märchen in der heutigen Zeit auf die Leinwand bringen.

                    Aber so recht will der Funke bei mir nicht überspringen. Das ist schade, denn in die einzelnen Szenenbilder, die ich zuvor von BLANCANIEVES gesehen hatte, hatte ich mich bereits verliebt. Aber ich mache es hier kurz: es fühlt sich für mich nicht wie ein authentischer Stummfilm an. Mir fehlt die Sogkraft einer eigens definierten Bildsprache der alten Klassiker. Ein Stummfilm ist weit mehr als einfach nur ein Film ohne Ton. Echte Stummfilme kann ich mir z.B. tatsächlich nicht mit akustisch wahrnehmbaren Dialogen vorstellen; BLANCANIEVES schon. Der Streifen hätte mir als Tonfilm wohl besser gefallen. Auch die Schauspielleistung gibt in BLANCANIEVES ihr bestes, reicht für mich aber nicht an die elegant charismatischen mimischen und gestischen Darstellungen von damals heran, wobei ich hier wohl fair sein muss: Schauspielausbildungen sind wohl kaum mit jenen von vor 100 Jahren zu vergleichen. Und dennoch verstehe ich nach BLANCANIEVES die Skepsis der damaligen Stars gegenüber dem Tonfilm, ob die schauspielerische Darstellung mit Ton überhaupt noch den Anspruch von Schauspielkunst habe oder nicht doch ins triviale abgleitet und zum bloßen "overacting" verkomme.

                    In Kürze: Als Tonfilm hätte BLANCANIEVES wohl einen Punkt mehr erhalten. So scheitert er wohl leider an meinen Erwartungen. Dennoch schön zu sehen, dass diese Filmform auch heute noch gepflegt wird. Ich werde auch hier noch dranbleiben

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                    • 8 .5
                      über Transit

                      „Alles war auf der Flucht, alles war nur vorübergehend, aber wir wußten noch nicht, ob dieser Zustand bis morgen dauern würde oder noch ein paar Wochen oder Jahre oder unser ganzes Leben.“ (Anna Seghers "Transit")

                      Einer der herausragendsten Titel deutscher Exilliteratur ist mehr als nur ein historischer Roman mit autobiographischen Bezügen. "Transit" fungiert bei Seghers auch als Metapher für die menschliche Existenz überhaupt: das gesamte Leben zwischen Geburt und Tod ist nichts anderes als ein großer Transit. So stolpert ihr namenloser Ich-Erzähler als völlig unpolitischer Mensch durch Frankreich, auf der Flucht vor dem deutschen Faschismus, der im besetzten Nordfrankreich um sich greift und sich weiter ausbreitet. Er hat keinen Namen und insgesamt erfährt der Leser nur wenig über seine "faktische" Person. Aber er hat das dringende Bedürfnis, einem Fremden und gleichzeitig dem Leser, seine Geschichte zu erzählen, tief getroffen von der Nachricht, dass die "Montreal" gesunken sei.
                      Wir erfahren, dass der Ich-Erzähler erst in dem Moment eine Identität und eine erzählenswerte Geschichte erhält, als er das Manuskript des sich suizidierten antifaschistischen Schriftstellers Weidel findet und ihm fortan der Zufall in die Hände spielt. Vorher war er nur irgendein gesichtsloser Flüchtender in einer breiten Masse eines Flüchtlingsstroms ohne etwas Nennenswertes an sich zu haben. Der Zufall spielt ihm jedoch in die Hände, dass er aufgrund einer Verwechslung im mexikanischen Konsulat endgültig Weidels Identität annimmt. Es ist somit ein toter Schriftsteller, der dem Namenlosen die Möglichkeit bietet, ein Leben mit Bedeutung zu führen, eröffnet durch das Auffinden eines Manuskripts, von dem unser Erzähler fasziniert ist - widerum eine wunderschöne Metapher, weswegen das Erzählen von Geschichten für uns Menschen so existenziell wichtig ist, sogar unser Überleben sichern kann. Doch in dem Moment, in dem unser "Held" mit Weidel eins wird, wird er gleichzetig zum Gespenst für Marie Weidel, die ihren Mann in Marseilles sucht und, wie das Schicksal es in seiner Laune möchte, dem Erzähler begegnet. Beide fühlen sich zueinander hingezogen, doch bleibt der tote Weidel unüberwindlich zwischen ihnen stehen, sodass unser Erzähler im Roman irgendwann einsehen muss, dass er gegen den Toten, dessen Identität er sich angeeignet hat, nicht gewinnen kann.

                      So viel zum Kerninhalt des Romans Seghers.

                      Was macht Petzolds Film aus seiner Vorlage?
                      Eine ganz exzellente Literaturverfilmung, die sowohl die zeitlose Thematik menschlicher Existenz per se erkannt hat als auch die Erzählstruktur kreativ in ein anderes Medium übersetzt. Auch Anna Seghers verschränkt in ihren Romanen gerne Zeitebenen und -strukturen, Vergangenes wird zum dringenden menschlichen Erzählbedürfnis, weil es im Hier und Jetzt präsent werden muss. Genau so wird auch im Film erzählt. Georgs Geschichte spielt in der Zeit des Dritten Reichs, im Marseills der Gegenwart und entwickelt sich zu einer möglichen Dystopie, die aufzeigt, wohin eine Gesellschaft führen kann, wenn sich mit Hilfe von Angst und Hass gegenüber Menschen, die Schutz suchen, ein autoritärer Staat entwickelt.
                      Sehr schön kommt in der Verflimung auch das Voice Over zum Einsatz, die dem Film in der Tat eine literarische Poesie verleiht und gleichzeitig eine traumartige Atmosphäre erschafft, die genau jenen Aspekt der Vorlage aufzugreifen versucht: Georgs Geschichte wird erst in dem Moment erzählenswert, als er mit der Identität Weidels verschmilzt. Gleichzeitig wird dadurch das Thema sensibilisiert, es ethisch in Frage zu stellen, ob es richtig ist, in der Presse von "Flüchtlingsströmen" oder "-lawinen" zu sprechen, wodurch nicht nur Angst bei Einwohnern im Exilland geschürt wird, sondern geflüchteten Menschen ihre Individualität, ihre ganz persönliche Geschichte, ihre Identität genommen wird. So ist das Ende in seiner Summe auch ein möglicher Abgesang des Humanismus.
                      Insgesamt eine sehr gelungene Abbilung der krisenhaften Exilerfahrung, chaotisch-kafkaesker Bürokratie und der transitären Schicksalhaftigkeit menschlichen Lebens auf der Leinwand. Einziger Wunsch, den ich gehabt hätte: ich hätte Georg in der Verfilmung auch lieber als einen Namenlosen gesehen. So wäre seine Geschichte vollends zu einer Parabel geworden, so alt wie es die Menschheit selbst ist.

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                        Solveig 04.01.2021, 22:26 Geändert 06.01.2021, 20:21
                        über Phoenix

                        „Kino ist eine Sammlung unerlöster Menschen.“ (Christian Petzold)
                        Ich gehöre zu jenen, die Petzold mit seinem „Phoenix“ überzeugen konnte und halte den Strei-fen für einen ausgesprochen gelungenen Film, sowohl inhaltlich, schauspielerisch als auch in seiner Komposition. Und obwohl es inzwischen Medien en masse gibt, die den Holocaust oder Nazi-Deutschland im Fokus haben, hebt sich „Phoenix“ durch das gewählte Format des Kammerspiels wohltuend von Filmen wie „Schindlers Liste“ oder „Der Pianist“ ab, sodass ich zu keinem Zeitpunkt den Eindruck hatte, wieder Aufgewärmtes vorgesetzt bekommen zu ha-ben.
                        Stilistisch orientiert sich Petzold an einem der beliebtesten Genres der Nachkriegszeit, dem Film Noir, wodurch eine beklemmende Atmosphäre erzeugt und Subtext generiert wird. Zum einen stehe ich einfach auf Details im Bild wie z.B. dem Stilmittel, Ausgestaltung eines Raums zu nutzen, um damit auf die innere Verfassung einer Figur zu verweisen. So ist für mich deutlich, dass nicht nur Nellys Gesicht zerstört wurde, sondern sie seit ihrer Befreiung aus dem KZ Auschwitz-Birkenau buchstäblich vor den Trümmern ihrer Identität steht. Ihr altes Leben, ihr altes Ich gibt es nicht mehr. Und ihre Identität wird zum schwierigsten und komplexen Thema des gesamten Films. Der zerbrochene Spiegel versinnbildlicht Nellys Iden-titätsverlust. Aufgegriffen wird das Motiv, als die Wirtin Nelly ihre neue Kleidung zeigt; der Spiegel im Schrank wirft Nellys Bild nicht zurück, sie existiert nicht mehr. Sie wird zum Ge-spenst, was ebenso schon früh im Film erzählt wird: Sie läuft noch im Krankenhaus einem Gespenst durch die Gänge hinterher, das sie zu alten Fotos führt, auf denen sie sich wiederzuerkennen versucht.
                        Oftmals wird das Unverständnis artikuliert, dass ihr Mann Johannes („Johnny“) sie nicht er-kenne. Anderseits kann man sich auch über Nellys unterlassene Versuche wundern, weswegen sie sich auf das, für sie gewiss schmerzhafte, Doppelgängerspiel einlässt. Für mich ergibt es Sinn, dass er der einzig verbliebene Punkt ihres Lebens ist, der ihr die Möglichkeit bietet, ihr Selbst wiederzufinden. Ihre Angehörigen sind ermordet worden, als Jüdin identifiziert sie sich nicht, alles andere ist lediglich nur noch eine zerstörte Ruine wie sie selbst. Dass sie sich von daher so sehr an ihren Mann klammert, ist für mich nicht abwegig, zumal sie selbst sagt, dass die Vorstellung, zu ihm zurück zu kehren, sie das KZ überleben ließ.
                        Und ihr Mann? Natürlich hat er sie erkannt, das steht für mich außer Frage, auch wenn Johnny das nicht verbal äußert, so zeigt mir das Ronald Zehrfelds exzellentes Spiel mit seiner Mimik. Warum sich die beiden Figuren auf den ersten Blick so seltsam verhalten, habe ich als ein komplexes Spiel diverser Abwehrmechanismen aufgefasst: er, weil er seine Frau verraten hat; sie, weil sie es gewiss ahnt, es aber nicht wahrhaben möchte bzw. daran glauben will, dass sein Verrat nicht als solcher intendiert war (vgl. jenes Gespräch, das Nelly anstößt, als Johannes sie auf seinem Gepäckträger mitnimmt und sie den Ort verlassen, an dem er sie lange vor dem NS-Regime versteckt hatte). Oder aber sie glaubt an einen Neubeginn, an Altes anzuknüpfen, an ihre Liebe, die ihr ihr Überleben ermöglichte. Warum sollte sie denn sonst auf sich selbst eifersüchtig sein, wenn Johnny ihr von Nelly erzählt?
                        Für sein Verhalten fand ich wiederum die Theorie über die kognitive Dissonanz schlüssig. Johnny weiß schließlich, was er getan hat. Besagter Theorie zur Folge strebt der Mensch nach einem widerspruchsfreien Selbstbild, das sich aus stringenten und widerspruchsfreien Hand-lungen und Wertvorstellungen zusammensetzt. Stimmen Selbst- und Fremdbild nicht überein, schafft das Individuum eine Grundlage, sich selbst wieder als Einheit zu erleben und auch das trifft imho auf beide Figuren zu. Dazu zu stehen, Nelly erkannt zu haben, bedeutet, den Ver-rat an ihr einzugestehen. Beiden Figuren auf ihrer Suche nach ihrem Selbst zuzusehen und daran zu Grunde zu gehen, hat mir wehgetan und das haben sowohl Nina Hoss als auch Ronald Zehrfeld für mich einmalig gestemmt sowie durch den Rückgriff auf Stilmittel des Film Noirs spürbar war, dass auf beiden Figuren der Schatten des vergangenen letzten Jahres (1944/45) lastet.
                        Sehr ansprechend fand ich zudem den Subtext des Pygmalionmythos. Beide Figuren versu-chen, die alte Nelly zu rekonstruieren, die es jedoch schlicht nicht mehr gibt. Beide formen sie die neue Nelly nach ihren Wunschvorstellungen: Er, um womöglich an ihr Erbe zu gelangen und sie, weil sie an einen Neuanfang mit ihm glauben möchte. Am Ende scheitern beide Figu-ren an Johnnys Verrat: Das scheinbar perfekte Gebilde des Pygmalions trägt eben doch noch die Tätowierung des Vernichtungslagers am Arm.
                        Der Thematik entsprechend ein intensives wie schmerzhaftes und bei mir nachhallendes Kammerspiel. Bereitet mir große Lust auf mehr Petzold.

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                          Solveig 02.01.2021, 23:37 Geändert 03.01.2021, 17:29

                          Ich war nun auch dabei, als das dritte Zeitalter der Menschheit begann, zehn Jahre nach dem interstellaren Krieg zwischen den Menschen und den Minbari.

                          Ich habe außerirdische Völker kennen gelernt, die fast alle interessanter Weise recht humanoid auftreten, ebenso auf eine lang entwickelte Geschichte, Tradition und Religion zurück blicken und ebenso humanoide politische Interessen haben können. Dies reicht von imperialistischen Ausdehnungen, die für die einen mit Zivilisierungsabsichten gerechtfertigt werden, für die anderen jedoch nichts anderes als Unterdrückung bedeutet und sogar in Genoziden enden kann. Ich habe mir Gedanken über die Reichweite der Evolution von Lebewesen gemacht, die weit über irdisches Verständnis hinaus gehen, habe fasziniert festegestellt, dass der Mensch auch noch in den kommenden 200 Jahren scheinbar nur sehr, sehr langsam aus der eigenen Geschichte lernt und selbst die ferne Zukunft noch immer aus vielen Archetypen besteht. Ich wurde mit ethischen Fragen konfrontiert, ob es angesichts prekärer Umstände gerechtfertigt ist, veränderte Menschen als Instrumente in Kriegshandlungen einzusetzen, ob man als Mediziner in der Pflicht steht, ein Volk vor dem Aussterben zu bewahren, welches den eigenen biologischen Untergang vor vielen Generationen durch ein großes Verbrechen selbst verschuldet hat ("Erbschuld"). Mir wurde eine mögliche Zukunft präsentiert, die den aufgeklärten Optimismus mit ihrem progressiven Fortschrittsglauben in Frage stellt, ob der Mensch, der stets große Stücke auf sich hält, sich in Zukunft nicht doch wieder zurück ins Mittelalter katapultiert.

                          Ich habe imens liebenswürdige Charaktere mit ihren Schwächen und Stärken kennen gelernt, die deswegen so liebenswürdig sind, weil sie ein richtig ausgearbeitetes Charakterprofil und eine eigene Geschichte bekommen haben und im Grunde betrifft es nicht nur den Grauen Rat der Minbari, sondern alle Wesen im Babylon 5-Universum: sie stehen zwischen dem Licht und den Sternen, sie sind alle grau. Hierbei nicht weniger ein großes Dankeschön an die Guest Starrings Walter Koenigs; nur selten war mir ein amoralischer Mistkerl vergleichsweiße sympathisch wie Alfred Bester, dessen Handlungen widerwertig waren, doch die Motive stets nachvollziehbar und somit bot er schlicht einen tollen Kontrast zu der typischen und moralisch unfehlbaren Heldenfigur eines Jeffrey Sinclair, dessen Posten jedoch von John Sheridan übernommen wurde, dessen Entscheidungen im Krieg fragwürdigen Zunder liefern.

                          Es hat riesigen Spaß bereitet, mitzuverfolgen, dass so eine alte Serie so viele Grundsteine für die moderneren Bedürfnisse eines Publikums aufbauen konnte und sei es auch nur das damalige Novum, eine Handlung über mehrere Staffeln hinweg aufzubauen, deren Einzelheiten erst am Ende im Gesamtgefüge verbunden werden. Da konnte ich gerne über ein paar schwächere Folgen hinwegsehen, den die werden angesischts meiner Pluspunkte an der Serie glatt von den Schatten ins Verschwundene mitgenommen.

                          Wehmut bleibt jedoch angesischt der offenen Fragen zurück, die uns J. M. Straczynski mit der Stilllegung seiner Raumstation schuldig geblieben ist. Was denn nun z.B. aus den Telepathen und ihrer Anführerin geworden ist, lässt ein unbefriedigendes Gefühl zurück, regt jedoch gleichzeitig die Phantasie an und wenn das der Fall ist, dann war die hier erzählte Geschichte stark genug dafür.

                          Ein Herz an die beruflich überaus kompetente und menschlich oftmals versagende Susan Ivanova und an den Oskar Schindler 2.0, Vir Cotto und an Herz an die Serie, die mir einige spannende Stunden, viele denkwürdige Zitate, ein fesselndes Universum und auch einiges an Humor geboten hat. Ein Herz also an diese Serie, die noch ein weit größeres Spektrum abdeckt als das, was von mir erwähnt worden ist. ♥

                          Und ja, es ist gut, dass das Leben/Universum nicht gerecht ist, sonst müssten uns ebenso all die schlimmen Dinge widerfahren, die wir ebenso verdient hätten.

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                          • Solveig 24.01.2015, 10:50 Geändert 24.01.2015, 10:51

                            DAS ist mal ein TV-Tipp!
                            Kann ich auch jedem nur ans Herz legen. Mir ist der Film sehr an die Nieren gegangen und gleichzeitig habe ich noch nie einen ähnlich kraftvollen Film gesehen, der einem großartigen Humanisten so ein sensibles und großes Denkmal setzt. Zugleich auch ein Film voller ethischer Fragen und deswegen einer, der wirklich tiefgreifend etwas aus der Holocaustthematik macht.

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                              Solveig 13.01.2015, 00:25 Geändert 13.01.2015, 22:26

                              - "Kann es wirklich sein?
                              Wo bist du gewesen? Wo bist du gewesen? Verdammt nochmal! Wo bist du gewesen?!"
                              [...]
                              - "Ich bin jetzt hier."
                              - (Bitteres lachen) "Und wo warst du vor zwanzig Jahren? Vor zehn Jahren? Wo warst du als ich noch jung war? Als ich noch eins dieser unschuldigen jungen Mädchen war, zu denen du immer kommst? Wie kannst du es wagen... Wie kannst du es wagen JETZT zu mir zu kommen? Jetzt, wo ich das bin?" (weinen)
                              - "Kannst du sie wirklich sehen? Weißt du wirklich, wer sie ist?"
                              - "Wenn du darauf gewartet hättest ein Einhorn zu sehen so lange wie ich schon."
                              - "Sie ist das letzte Einhorn der Welt."
                              - "Es muss das letzte Einhorn sein, denn es kommt zu Molly Grue. ... ist schon gut. Ich verzeihe dir."
                              ---
                              Noch immer eine dieser Stellen in einem Film, die ich ganz besonders mag. Wenn ich hier manche Kommentare zu dem Film überfliege, finde ich es fast etwas schade, dass viele mit so einer hohen Wertung diese allein auf ihre Nostalgiebrille zurückführen. Ja sicher... Den Soundtrack finde ich manchmal ebenfalls etwas arg kitschig (wobei ich Titel wie "Man's Road" und "In the sea" nach wie vor gern höre) und ebenso wenig mag ich heute die sehr femininen Wimpern des Einhorns sowie seine Gestalt als Menschenfrau. Fakt ist aber, dass mich wohl kaum ein anderer Film so sehr in meiner Vorliebe für bestimmte Stoffe und auch ein wenig in meiner Denkweise geprägt hat wie dieser Film hier.
                              Als Zwerg saß ich Jahr für Jahr pünktlich am Heiligen Abend vom Fernseher, um mir den Film anzuschauen. Später, in der Teenzeit, hat sich das dann auf Ostern verschoben. Als Kind wusste ich nicht, ob ich die Geschichte im Ganzen überhaupt verstehe. Aber sie hatte für mich schon immer etwas ausgesprochen Faszinierendes, obwohl ich es nicht greifen konnte (und das macht mir Filme auch heute noch tatsächlich am interessantesten). Wahrscheinlich das größte Geheimnis, warum mich der Film immer wieder so sehr anzog. Später dann als Teen musste ich mir schon allerlei Häme anhören, als ich DAS LETZTE EINHORN als meinen Lieblingsfilm angab und es damit zu entschuldigen versuchte, dass er zwar "häßlich gezeichnet" (würde ich so heute nicht mehr sagen), aber trotzdem "wunderschön" sei.
                              Später dann verstand ich, dass ich mich mit jedem Lebensabschnitt ein klein wenig mehr mit irgendeiner der Figuren etwas identifizieren konnte. Molly Grue mochte ich sehr gern. Eine Frau, die von all den wunderbaren Dingen träumt, die man sich in Geschichten erzählt von alledem, die das Leben für einen bereithalten kann, wenn man sie nur sehen will. Sie heiratete einen Räuberhauptmann, der seine kühnen Taten (wohl längst Vergangenheit) heute nur noch besingen lässt, während seine Bande nur noch ein heruntergekommener und zerlumpter Haufen ist. Räuberbanden sind eigentlich in jeder Geschichte (und ich habe sie als kleines Mädchen vergöttert!) interessante, alternative Gesellschaftsformen, die eben jener durch ihre hohen, oft auch romantisierten, Ideale einen Spiegel vorhalten. Und Molly und ich hatten wohl denselben Kindheitshelden: Robin Hood, von dessen Glanz in all den Sagen sie wohl ebenso träumte und nun als erwachsene Frau ernüchtert ist, so einen Sack Flöhe versorgen zu müssen. Ernüchterung darüber, dass die "glanzvollen Taten" ihres Gatten wohl nur und ausschließlich in seinen selbstbeklatschten Liedern zu finden sind, die alle anderen längst ermüden. Und dann, wenn man selbst schon gar nichts mehr vom Leben erwartet, blitzt doch die alte Sehnsucht ferner Geschichten und Wünsche in deiner Welt durch und du lässt alles andere liegen und folgst ihr auch nach Jahren noch.

                              Ich mochte ebenfalls seitdem ich mich bewusst daran erinnern kann alles was irgendwie mit alten und vorallem auch symbolhaften Geschichten zu tun hat; liebe Märchen als einen Spiegel volkstümlicher Wertvorstellungen und Mythen als die wohl ältesten Versuche der Menschheit überhaupt, die Welt und die Stellung des Menschen zu ihr und seinerselbst in Bildern zu deuten. Sprachliche, erzählende Bilder, ja - und ich hielt mich auch selbst für jemanden, dessen Stärke es in erster Linie sei, in Bildern denken und verstehen zu können. Ich schlug diesen Weg dann auch später immer mehr ein, liebte das Altertum mit seinen Weisheiten, lernte liebendgern antike Sprachen, die mir - obwohl sie ironischerweise so oft als "tot" bezeichnet werden - verdeutlichten wie lebendig Sprache schon immer war, heute und vor hunderten Jahren, dass Sprache uns wesentlich in dem beeinflusst wie wir Dinge in der Welt aufeinander beziehen und sie ordnen, damit ein Verständnis ihrer möglich sei, wie viel Mentalität sich in einer Sprache ausdrückt, und dass selbst hinter heutzutage so erstarrten Begriffen wie 'glauben' lebendige Vorstellungen stecken (es ist ein altes, gotisches Partizip, das mit 'jemanden od. etwas liebhaben' übersetzt werden kann und somit tatsächlich Auskunft darüber geben könnte, wie Missionare damals die christliche Botschaft den Goten zugänglich machen wollten) und auch, wie viel in "trockener Grammatik" davon zu finden ist, wie Menschen ihre Umwelt wahrnehmen und interpretieren. Ich weiß noch, dass ich mich nach all diesen Sitzungen und Stunden plötzlich unglaublich alt fühlte, denn vieles, was ich in ihnen lernte, ließ diesen einen kurzen Moment durchblitzen, warum so manches in unserer Welt heute so ist wie es ist, dass alles irgendwann mal gepflanzt wurde, was wir heute nutzen. Und die, die um die Zeit deren Pflanzung wissen, können heute ihre schönen Blüten bestaunen. Wege, die ich gerne gehe, auch wenn der Lohn dafür nicht immer sehr dankbar ist.

                              Und dann kam Schmendrick, der sich als ein Medium und Mittler der Magie versteht, etwas, das er gern beherrschen und worüber er verfügen möchte - und dann schließlich erkennen muss, dass ihm dies nicht möglich ist. Er ist lediglich ihr Werkzeug. Auch das ist ein Gefühl und eine Erfahrung, die vielleicht nicht nur ich kenne und gemacht habe.
                              Ich kenne es von mir, wenn ich an längeren schriftlichen Arbeiten saß, seien es diverse kreative Sachen, die ich in meinen letzten Schuljahrenssehr gern und regelmäßig schrieb, Briefe, längere Texte jeglicher Art oder Hausarbeiten. Wenn ich Lob dafür bekam, nahm ich es dankend an. Es ist aber seltsam, dass ich zumindest nie erklären konnte wie ich genau auf dies und jenes kam, ich manchmal meine eigenen Texte als fremd empfinde und oft Jahre später gar nicht mehr glauben kann, dass ich sie verfasste (und ich meine das nicht in dem Sinne, wie man sich manchmal schämt, was man damals für einen Mumpitz von sich gab). Wie oft passierte es, dass ich vor leeren Blättern saß, unter Druck, wieder etwas "Gutes" zu Papier zu bringen, das ja zum Glück sehr geduldig ist - und es starrte mich nur Leere an und Leere kam nur von mir zurück. Frustriert und aufgebend legte ich mich dann oft aufs Bett und dachte gar nicht mehr - und dann kam er auf einmal, sehr still und leise und doch stand er plötzlich da: der Gedanke, die Idee. Sie kam mich besuchen, obwohl ich sie vor Stunden so dringend gebraucht hätte und sie erzwingen wollte. Aber nein, ich verfüge überhaupt nicht über sie. Die Welt der Ideen ist riesig und sie herrschen selbst in ihrem eignen Reich - und wenn wir Glück haben, kommen sie zu uns, manchmal auch nur sehr flüchtig, manchmal rufen sie uns nur sehr neckisch, um sogleich wieder zu entschwinden. Aber wenn wir geduldig sind glaube ich zumindest, mich nur umdrehen und so tun zu müssen, das Interesse an ihnen verloren zu haben - manche Ideen und Gedanken sind sehr eitel! - und dann folgen sie plötzlich und wollen beachtet werden. Diese Chance sollte man immer nutzen, wer weiß, wann sie je wiederkommt. Und manchmal nimmt einen eine Idee tatsächlich an die Hand und baut vor den Augen ganze Gedankenkonstrukte auf. Gesegnet jener, der so viel wie möglich davon festhalten, verinnerlichen und weitergeben kann. Es sind Ideen, die ich erzwingen und beherrschen wollte und dieser Hochmut tut nicht gut; man ist selbst schlußendlich nichts anderes als ein Medium, dem sich die Ideen nach ihrer Laune mitteilen. Man mag manchmal daran verzweifeln, aber immerhin lehren sie die wunderbare Tugend der Demut im Denken, etwas, das ich an jedem Menschen sehr schätze, wenn ich es finde. Die Figur des Schmendrick ist somit ein stückweit zu einer Allegorie geworden, die ich sehr mag.

                              Und dann ist da noch König Haggard, der mir ebenfalls eine Identifikationsmöglichkeit bietet. In den letzten Jahren sogar immer mehr, obwohl ich seine Figur schon als Kind faszinierend fand, vorallem weil ich nie zuordnen konnte, ob er nun 'böse' oder 'gut' sei. Wenn ich an ihn denke, fällt mir irgendwie immer als erstes der "Brief des Lord Chandos" von Hugo von Hofmannsthal ein, der beklagt, ihm sei alle Schönheit der Worte - und damit auch ein gutes Stück seiner Welt - abhanden gekommen. Ihre Träger spotten heute nur noch über ihn, nachdem ihre Welt ihn ausgestoßen hat und sie ihm nur noch fremd sei.
                              Manch glücklicher Mensch, der erkennt, in welche Schönheit einer Welt er hineingegeben wurde, der zu einem Menschen wird, der das Schöne so sehr liebt ... ein bisschen zu sehr, vielleicht. Alles Schöne ist nicht mehr genug, flüchtig im besten Falle. Es befriedigt einen nicht mehr. Die Welt wird einem fremd, man selbst sich vielleicht auch, obwohl mal einst soviel in sie gegeben hat ("Meine Geheimnisse hüten sich von selbst, hüten sich auch die deinen?"). Da gibt es nur noch eins, was einen in dieser empfundenen Leere und Tristesse wirklich glücklich macht - und Glücksempfinden ist nunmal das, wonach wir alle eigentlich streben, weswegen man es allein für sich beanspruchen will. Man wird zum Glücksräuber der Welt. Ebenfalls eine Allegorie, die mir vertraut ist.

                              Und abgesehen von alledem ist DAS LETZTE EINHORN für mich ein Film, der sehr schön mit dem Wesen von Geschichten selbst und der Spannung zwischen Vergänglichkeit und Ewigkeit spielt: ausgedrückt in der Figur des letzten Einhorns auf der Suche nach seinen Artgenossen, denn allein zu sein ist nicht dasselbe wie einsam zu sein. Es ist der Prolog, in dem uns Tiere aus fern liegenden Zeiten kurz begegnen und lebendig werden, ehe sie wieder für alle Zeiten erstarren und womöglich vergessen werden, zugänglich nur noch für jene, die sich an sie erinnern in einer Welt, in der sie eigentlich gar keinen Platz mehr haben. Und wer weiß - Geschichte wird irgendwann zur Sage, Sage nur noch an etwas, woran sich nicht mehr viele erinnern, aber zu etwas, das erzählt werden kann und für diesen Moment schauen uns die Figuren aus fremden und weit, weit entfernten Jahren einen Moment an und sprechen zu uns. Die Zeit folgt Fuß auf Fuß, fliegt dahin, wer auch immer sie wirklich schreiben mag. Und irgendwann wird vielleicht der Mensch nur noch eine Sage sein - oder ein Märchen, geschrieben in Büchern von Kaninchen.

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                                  Solveig 04.01.2015, 21:48 Geändert 06.01.2015, 05:28

                                  - "Ihr langweilt Euch, Monseigneur?"
                                  - "Bitte? Ich langweile mich nie, Rose. Wie kann man sich denn langweilen auf einer Welt, in der es so viel zu tun, zu entdecken und zu verstehen gibt?"
                                  - "Du hast von Liebe gesungen, suchst du sie?"
                                  - "Aber natürlich suche ich sie. Ich glaube, wir alle."

                                  Purer Zucker ist das, den Jacques Demy uns mit Peau d'âne schenkt. und wer Demy bereits kennt, ahnt vermutlich, dass einem bei seinem Filmen vor lauter verspielter Farbenpracht beinahe die Augen ausfallen mögen und ich mich nach der Erstsichtung wohl nicht weniger so fühle wie Catherine Deneuve als Prinzessin, die an einer "Pfeife" zieht. Überbordende Farben, Leichtfüßigkeit und ... nun ja ... Liebe, die dieser Film ausstrahlt und zelebriert, dem man wohl nicht ganz umsonst einen gewissen Einfluss der Hippie-Zeit nachsagt. Peau d'âne ist ein Film, der einfach Spaß macht und das zuletzt auch deswegen, weil man in jeder Hingabe zum verspielten Detail merkt, wie sehr es Demy selbste Spaß gemacht haben muss, diesen Film zu realisieren, der ein Märchen adaptiert, das ihn bereits in seiner Kindheit fasziniert hat. Und mich hat der Film auch erwischt - fehlt nur noch Michel Piccoli und man sähe hier die gesamte Riege der schauspielernden französischen Filmgeschichte, die allesamt meine liebsten Lieblinge sind - und als Cocteaufan nehme ich selbstredend nicht weniger schmunzelnd all die Anlehnungen und Zitate des wunderbaren La belle et la bête an, die spätestens beim Anblick der lebenden Ornamente und Statuen der Märchenschlösser ins Auge fallen.
                                  Aber warum mich Peau d'âne eigentlich so verzückt hat, ist ganz einfach gesagt: seine durch und durch einfach lebensbejahende Art, die er in jedem Zug ausspricht. Na, vielen Dank auch, dass ich seit gestern abend, durch die Nacht hindurch bis jetzt einen furchtbaren Ohrwurm und Entzugserscheinungen habe, wenn meine Gehörgänge nicht von Catherine Deneuves Gesang gefüttert werden, wie man denn den gâteau d'amour backe:

                                  https://www.youtube.com/watch?v=-9dQysBGyPw

                                  Man nehme einfach nur eine Prise Lebensfreude, liebenswerteste schrullige, mitunter skurrile Figuren, die Farben des besten Wetters, des Mondes und der Sonne - ach, einfach all die strahlenden Farben des Regenbogens -, witzige Anachronismen voller ironischer Brechungen und Peau d'âne ist ein Zuckerkuchen den Demy mit aller Phantasie und Liebe garniert und serviert.
                                  Und anbei schmunzel ich während des Films und dieses wunderschönen Liedes - in einer Kindheitserinnerung schwelgend, dass ich als 6jährige so gern ein Haustier haben wollte, meine Eltern mich aber noch für zu klein dafür hielten. Also klaute ich regelmäßig ein Hühnerei aus der Küche, baute aus Schals ein Nest hinter dem Schreibtisch direkt vor der Heizung in meinem Kinderzimmer, legte das Ei hinein, Kuscheltier drauf und wartete, bis hoffentlich ein Küken schlüpfen würde. Nur waren es wohl leider keine zwanzig Tage, die ich dafür als Dreikäsehoch Geduld hatte - daran wird's wohl gelegen haben.
                                  Apropos Kindheit - ja, ja, strahlende Schönheit wie die der Catherine Deneuve ist nicht immer ein Segen, treibt sie doch so neckisches und die Sinne verwirrendes Spiel, dass der König dieses Märchens auf die Idee kommt, seine eigene Tochter ehelichen zu wollen (Freud, ich hör dir trapsen - etwas verdreht zwar - wie vieles in dem Film -, aber ich hör dir, ja ja!) und die arme Tochter hin und her gerissen ist wischen der dankbaren Liebe, die sie als Kind für ihren Vater empfindet und der erotischen Liebe zwischen Mann und Frau. Gäbe es nicht Jacques Perrin als Prinzen, der wiederum an Liebeskummer erkrankt, nachdem er die Prinzessin als 'Eselshaut' sah, könnte sie einem fast leidtun. ... oder? Ja, doch. Prinzen stehen auf süße Mädchen, Mädchen vielleicht auf Prinzen. Und Frauen. Ääh... warum bekomme ich während ich dies hier tippe rote, warme Wangen und ertappe mich während Peau d'âne wie ich mich in den Film träumend irgendwo im Hintereckchen meines Inneren albern kichernd die Frage kaum zu stellen wage, ob ich mit der Schönheit der verstorbenen Königin konkurrieren und ... Jean Marais nicht vielleicht ... für mich ... haben könnte. :3
                                  Hihi, man möge es mir verzeihen, Märchen sind zum Träumen und Schönsein da. ... und um Tugendhaftigkeit zu lehren. Schönheit kann bedrängender Fluch sein oder sich in all ihrem strahlenden auch einfach unter dem zotteligen Fell eines muffigen Esels verbergen.

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                                  • Glückwunsch, mein Dude.
                                    Insbesondere dazu, dass Dein Kommentar zu dem Film zum KoDeWo ausgezeichnet wird, bei dem Du Dich über jede weniger euphorische Wertung wahrscheinlich zumindest ein bisschen ärgerst. Oder? ;)

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                                    • Na dann wünsche ich Dir bei Deinem Vorsatz viel Erfolg und schaue mit, was daraus wird. ;)

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                                      • Die Kirchturmglocke
                                        schlägt zwölfmal Bumm.
                                        Das alte Jahr ist wieder mal um.
                                        Die Menschen können sich in den Gassen
                                        vor lauter Übermut gar nicht mehr fassen.
                                        Sie singen und springen umher wie die Flöhe
                                        und werfen die Mützen in die Höhe.
                                        Der Schornsteinfegergeselle Schwerzlich
                                        küßt Konditor Krause recht herzlich.
                                        Der alte Gendarm brummt heute sogar
                                        ein freundliches: Prosit zum neuen Jahr.

                                        - Joachim Ringelnatz -

                                        Wünsche einfach allen, die das hier lesen, dass sie gestern/heute einen schönen, vielleicht ebenso beschwingten Jahreswechsel erlebt haben, alles begraben können, was 2014 doof gelaufen ist - und frischen Mut und gutes Gelingen für alle neuen Pläne!

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                                        • Solveig 31.12.2014, 16:37 Geändert 31.12.2014, 17:50

                                          In den letzten zwei Monaten habe ich meine Freizeit weniger mit dem Filmeschauen verbracht, sondern mehr wieder mit dem Lesen diverser Sachen - darunter aber vor allem wieder ein paar der Erzählungen und Romane Rosemary Sutcliffs. Sie ist und bleibt meine über alles geschätzte Autorin und ganz besondere Geschichtenerzählerin, denn sie schenkt mir - was mir heute nicht mehr allzu oft passiert - nach wie vor das schönste aller Gefühle, das ein Geschichtenerzähler einem nur schenken kann: sich vollkommen in seinen Geschichten zu verlieren, das Erzählte absolut plastisch heraufzubeschwören und einen selbst so sehr in die erzählten Geschehnisse zu involvieren, dass man komplett darin aufgeht, Spannung unerträglich macht und keuchend eine Katharsis erlebt - die Geschichten noch wochenlang später mit sich herumträgt und sie einen einfach nicht loslassen wollen.
                                          Für Rosemary Sutcliff selbst, die schon als junges Mädchen unter stark ausgeprägter Arthritis litt, welche ihr nur eine sehr eingeschränkte Bewegungsmöglichkeit ermöglichte, empfinde ich eine ungeheure große Zuneigung. Gerade deswegen, weil sie in so einem gefesselten Körper leben musste, entwickelte sie die Gabe des Blicks für kleine und wesentliche Details, beschäftigte sich früh mit antiken Sagen und klassischen Autoren wie Charles Dickens und studierte sehr sorgfältig Quellen (alter) Geschichte - und außerdem fertigte sie gern selbstgemalte Miniaturen an. Dies alles sollte auch ihr Tätigkeit als Schriftstellerin prägen. Rosemary Sutcliffs Œuvre umfasst über vierzig Romane; ihr Lebenswerk wurde in ihrem Heimatland noch zu ihren Lebzeiten honoriert und Königin Elisabeth II. bezeichnete Sutcliff als kompromisslose und geniale Chronistin. Es sind alles Jugendbücher, die sie verfasste - in Deutschland standen viele ihrer Werke ihrerzeit auf der Auswahlliste des Deutschen Jugendliteraturpreises - und deren Geschichten alle in historisch vergangenen Zeiten, vornehmlich Britanniens, handeln: von der Bronzezeit über die Spätantike und das Mittelalter hin zu der Zeit Oliver Cromwells'. Sutcliff versteht es wunderbar auf nur einer einzigen Seite ein Szenario wie ein gesamtes Gemälde vor den Augen ihrer Leser entstehen zu lassen und durch ungeheure atmosphärische Dichte ihrem Geschichten Leben einzuhauchen wie sie mitreißender und ergreifender nicht sein könnten - und insbesondere sind all ihre Werke von einem tiefen Humanismus getragen, der einen sehr nachdenklich macht. Mich hat wohl niemand sonst so eindringlich, glaubhaft und überzeugend gelehrt, dass es völlig gleichgültig ist wie viele Jahrhunderte uns Menschen trennen und wie anders die Lebensbedingungen unserer Zeiten auch sein mögen, ob wir an einen stetigen Fortschritt eines progressiven Geschichtsverständnisses nun glauben wollen oder nicht: der Kern des menschlichen Wesens, all sein Empfinden und all sein Sehnen, war schon immer derselbe und wird es auch immer bleiben. Nicht selten lässt Sutcliff am Ende ihrer Romane eine Brücke oder ein Fenster entstehen, durch das die Figuren ihrer Geschichten, die charakterlich sehr fein ausgearbeitet sind, uns Leser anschauen und zu fragen scheinen, ob uns ihr Schicksal nicht - über alle Zeiten hinweg - vertraut vorkommt. Und wir glauben, sie berühren zu können.
                                          Sutcliff hat mir beigebracht wie lebendig Geschichte und alles Vergangene wirklich ist und wie sehr unser Spiegelbild - historia magistra vitae bekommt durch sie eine ganz eigene Bedeutung. Und sie hat mich noch etwas gelehrt, das ich sehr ernst nehme.
                                          -
                                          "Esca, warum lehnen sich alle Grenzstämme so erbittert gegen unser Kommen auf?" fragte Marcus aus einem plötzlichen Impuls heraus.
                                          "Die Stämme des Südens haben sich viel williger unserer Art angepasst."
                                          "Wir haben unsere eigene Art", sagte Esca. "Die Stämme des Südens hatten ihr Geburtsrecht schon verloren, bevor die Römer als Eroberer
                                          kamen. Sie verkauften es für die Dinge, die Rom ihnen bot. Sie waren fett von römischen Waren, und ihre Seelen waren träge geworden."
                                          "Aber all die Dinge, die von Rom kamen, waren doch gut?", fragte Marcus. "Gerechtigkeit und Ordnung und gute Straßen - das war doch etwas!"
                                          "Das ist alles gut", stimmte Esca zu. "Aber der Preis ist zu hoch."
                                          "Der Preis? Die Freiheit?"
                                          "Ja - und mehr als die Freiheit."
                                          "Was noch? Sprich, Esca, ich möchte es wissen. Ich möchte euch verstehen."
                                          Esca blickte starr vor sich hin und dachte eine Weile nach. "Sieh dir mal das Muster hier auf deiner Dolchklinge an", sagte der andere schließlich.
                                          "Hier ist ein enger Bogen, und hier nach der anderen Seite offen ein zweiter Bogen, der das Gleichgewicht herstellt, und hier zwischen den Bögen
                                          ist eine kleine, runde, aufrechte Blume; und das alles wiederholt sich hier und hier und hier. Es ist schön, gewiss, aber es ist für mich so bedeutungslos
                                          wie eine erloschene Lampe."
                                          Marcus nickte, als der andere zu ihm aufblickte. "Sprich weiter!"
                                          Esca nahm den Schild auf, den Marcus beiseite gelegt hatte. "Nun sieh dir mal diesen Schildbuckel an. Diese Wellenlinien hier fließen eine aus der anderen,
                                          sie kreisen wie die Sterne am Himmel und treiben wie Sand in den Dünen. Das sind die Linien des Lebens, und der Mann, der sie gemacht hat, wusste
                                          in seinem Inneren von verborgenen Dingen, zu denen dein Volk den Schlüssel verloren hat - wenn es ihn überhaupt einmal besaß." Er blickte wieder
                                          sehr ernst zu Marcus auf. "Ihr könnt nicht erwarten, dass der Mann, der diesen Schild machte, seinen Nacken willig unter das Joch des Mannes beugte,
                                          der diese Dolchklinge machte."
                                          "Die Klinge machte ein britannischer Handwerker", sagte Marcus beharrlich. "Ich kaufte sie in Anderida, als ich zum erstenmal nach Britannien kam."
                                          "Ein britannischer Handwerker schon, aber nach römischem Muster. Einer, der so lange unter dem Schutze Roms gelebt hatte - auch seine Vorfahren
                                          schon -, dass er die Art und den Geist seines eigenen Volkes vergessen hatte." Er legte den Schild wieder hin. "Ihr habt feste Steinwälle gebaut,
                                          ihr habt gerade Straßen geschaffen, eine geordnete Gerichtsbarkeit und disziplinierte Truppen. Das wissen wir, das wissen wir alles nur zu gut.
                                          Wir wissen, dass euer Recht zuverlässiger ist als unseres, und wenn wir uns dagegen erheben, erleben wir, dass unser Ansturm an der Disziplin
                                          eurer Truppen zerschellt wie die Welle am Felsen. Aber wir verstehen das nicht, weil alle diese Dinge zu dem maßvoll geordneten Muster gehören
                                          und für uns nur die freien Wellenlinien des Schildbuckels gelten. Wir verstehen euch nicht. Und wenn die Zeit kommt, dass wir eure Welt zu verstehen
                                          beginnen, dann geschieht es nur allzu leicht, dass wir unsere eigene Welt nicht mehr verstehen."
                                          (Auszug aus "Der Adler der neunten Legion")
                                          -
                                          Sie hat mich gelehrt, mir kein moralisches Urteil zu erlauben, weder über Gesellschaften (längst) vergangener Zeiten, noch über Menschen (auch heutiger) anderer Kulturen. Unsere eigene moralische Verurteilung beruht allein auf unseren Weltbildern und wenn wir moralisch urteilen, stülpen wir unser eigenes Weltbild undifferenziert einfach über das eines jeden anderen und wenn wir dies tun, unterstellen wir unserer Sicht auf die Welt alleinige Gültigkeit und unfehlbare Richtigkeit und unterdrücken somit alles, was unsere Welt und die Sicht auf sie und das Leben so besonders schön und schillernd macht: ihre Vielfalt und vorallem ihre Bereicherung für uns.

                                          "Liebste", erwiderte Paris, "mein Schiff liegt in der Bucht und dein Gemahl ist nicht zu Haus. Komm mit mir, du und ich, wir gehören zusammen wie zwei Weinreben, die vom selben Stocke stammen."

                                          Ich danke Dir, meine Liebe und hatte nach den letzten Ausflügen in Deine wunderbaren Erzählungen das dringende Bedürfnis, Dir dies zu schreiben.

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                                          • Zu dem asiatischen Wink - ich glaube, Du musst generell noch ein paar Ghiblis sehen, oder? Wenn ja, beneide ich Dich sehr darum. Würde glatt ein bisschen was von meinen Lebensjahren hergeben, die alle noch einmal zum ersten Mal sehen zu dürfen.

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                                                Da wir uns häufiger mal etwas schenken sollten, ist folgender Kommentar für die liebe Zimtmond. Ich habe mich sehr gefreut, dass sie Lust auf noch eine kleine Sonderminirunde hatte und ich ihr somit einen Kommentar zu einem Film schreiben kann, bei dem ich jedesmal einen kurzen Moment an sie denken muss, wenn ich bei diesem Titel an meinem DVD-Regal vorbeigehe.
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                                                „Also, mir ist gerade etwas Unglaubliches passiert. Muss mein Schutzengel sein, das gibt’s nicht.
                                                Es war, als hätte die Telefonzelle mich gerufen, klingeling, klingeling, klingeling. [...] Seltsam, das Leben. Wenn man klein ist, vergeht die Zeit überhaupt nicht, und dann ist man plötzlich fünfzig Jahre alt. Und alles, was von der Kindheit übrig ist, passt in ein Kästchen, verrostet und klein. Haben Sie schon Kinder, Mademoiselle? [...] Ich glaube, es wäre an der Zeit, sie [= die eigene, schon lange nicht mehr gesehene Tochter] wieder zu besuchen, bevor ich in einer kleinen Kiste ende. Meinen Sie nicht auch?“

                                                https://www.youtube.com/watch?v=aip3836VtZ0

                                                Was tun an manchen Tagen?
                                                Wenn dich Regenströme plagen?
                                                Tropfen rinn‘ die Scheib‘ entlang,
                                                Dein Spiegelbild zu wein‘ begann.

                                                Die Arme um die Knie geschlung‘
                                                Augen zu, der Mund nicht stumm
                                                Eine Melodie erklung.
                                                Sachte wiegend hin und her,
                                                Kummer streichelt zärtlich sehr,
                                                Die Trauer begangener Fehler.

                                                Einsam glauben wir zu sein,
                                                Zieht die Phantasie ins Herze ein.
                                                Wie ein wohlig goldner Sonnenschein
                                                Bricht sie durch die Schwermut herein.
                                                „Weinen Sie nicht, junges Fräulein.“

                                                Die Phantasie im bunten Anorak,
                                                Charmant hält sie den Trübsinn ab.
                                                Dass Deine Welt Dir bunt erscheine,
                                                Lächelnd sich vor Dir vereine
                                                All der kleinen Dinge Gaben
                                                Die da sind umsonst zu haben.
                                                Der gute Ratschlag des Souffleurs,
                                                Bilder, Deine Kommandeurs,
                                                Die Dir lustig weise wispern,
                                                Dir Dein Inneres erknistern,
                                                Und du schmunzelnd sehend wirst,
                                                Alles Bedrücken Du verlierst.

                                                Das Leben ist ein kleines Spiel,
                                                Ohne vorgegeb’nes Ziel.
                                                Sei Du selbst der Weg dorthin!

                                                All die Träume, die Du hast
                                                Verschwende nicht, hab‘ sie zu Gast!
                                                Aus Deinem Inner‘n trag sie heraus
                                                Und sie klatschen Dir: Applaus!
                                                All die feinen kleinen Dinge,
                                                Lebend der der Flügel Schwinge
                                                Von der Phantasie getragen
                                                Wer mag da denn schon verzagen.
                                                Federleicht durchs Leben gehend,
                                                Lächeln hier und da vergebend -
                                                Hat das Leben doch ein Ziel?
                                                Liebe sei ihr einzig‘ Spiel.

                                                - „Kann ich bitte ein Päckchen Hefe haben, Lucien?“
                                                - „Ist es für Mademoiselle Amélie, heh?“
                                                - „Ja.“
                                                - „Dann backt sie sicher ihren berühmten Butterkuchen.“

                                                Ja, sicher. „Die fabelhafte Welt der Amélie“ ist gewiss ein mit dickem Zuckerguss überzogener Film, und doch gibt es keinen, der in all seiner süßen Melancholie voller liebevoller Details mich an Zeiten denken lässt, als die Welt noch in Ordnung war und es wieder sein könnte.

                                                Und Dir, liebe Zimtmond, wollte ich Dir nur zu gern einen Kommentar zu eben jenem Film wichteln, denn sei es Dein Nickname oder vielmehr Deine lliebe und freundliche Art, die auf mich stets so viel Optimismus ausstrahlt, dass ich immer an Dich denken muss, wenn mir „Die fabelhafte Welt der Amélie“ durch den Kopf geht.
                                                Frohe Weihnachten wünsche ich Dir und auch allen anderen Moviepiloten!

                                                20
                                                • Wegen großer Müdigkeit und einer Familie, die bebackt werden wollte, leider mit Verspätung, aber trotzdem noch Deathpool in seinen Wichtelstifel gesteckt:
                                                  http://www.moviepilot.de/movies/nausicaae-prinzessin-aus-dem-tal-der-winde/comments/1218777

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                                                  • 8 .5
                                                    Solveig 22.12.2014, 18:35 Geändert 24.12.2014, 18:39

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                                                    Folgender Kommentar, der im Rahmen der "User-Wichtel-Aktion-2014" entstanden ist, ist dem teuren Deathpool gewidmet. Ich hoffe, Du wirst ihn mögen.
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                                                    Ein sanftes Rauschen vom Wind getragen bringt die ruhigen Töne des Klaviers, vereint sich mit ihm, sanftes Wellen, die am Ohr vorbeiziehen, die Augen schließen lassen. Gewogen und getragen, so muss es sich anfühlen, sich fallen lassen in diesen reinen Klang. Die Augen geschlossen, sich fallen lassen, perlende Tropfen zu spüren glauben. Hörst Du es? Der sachte Klang von Holz auf Holz... Mag es das sein? Der sanfte Herzschlag der Erde? Ach, wie schön es hier ist... Die Lungen mit sauberer Luft zu füllen. Was mag er sein, der Mensch? Erscheinen und vergehen, auferstehen, sich erheben und empor strecken - verbrennen, zerstören, zunichtewerden - ein Seufzen im Wind, Schlaf, Vergänglichkeit, ein Zerfallen zu Staub - im ewigen Atem der Welt. Die Welt kann ohne den Menschen, kann aber der Mensch ohne die Welt?
                                                    Nur einen Moment die Augen schließen, sich fallen lassen in den reinen Klang, die reine Luft, die Reinheit selbst, da, wo doch alles verdorren und verloren ist. Hat das Leben selbst ein Ende, wenn die Erde das Leben selbst ist und noch einmal Kraft findet, sich zu erneuern, was der Mensch zerstört hat? Tod ... und Vergebung?
                                                    In der Ferne erhebt es sich, dort am weiten Himmelszelt, das Requiem. Die unschuldig-kindliche Stimme verkündet und begleitet es
                                                    https://www.youtube.com/watch?v=ejnDXnNIBD0
                                                    Hier, wo alles tot und verdorren ist - dort erhebt es sich, auf einem goldenen Feld, getrieben vom Wind - hinabsteigen wird sie, Legende und Gestalt, neu zu knüpfen das gerissene Band zwischen Geschöpf und Schöpfung, Mensch und Natur. Leben, Tod, Begräbnis, ... Neubeginn.

                                                    Ach ja ... schon allein Joe Hisaishia Musik vermag mir stets das Herz zu öffnen, dass Miyazaki anschließend mit seinen Botschaften voll ausfüllt. Und NAUSICAÄ ist und bleibt in der Filmographie des japanischen Großmeisters der Animationskunst ein ganz besonderer Titel, welcher dem heute weltweit bekannten Studio Ghibli die Tore öffnete und den Weg ebnete. Rückblickend schrieb Miyazaki in diesen Film sein Testament und sein Erbe. Schaut man sich NAUSICAÄ an, kommt man heute nach einigen anderen seiner Filme nicht mehr drum herum, all die Wurzeln zu erkennen, die Miyazaki bereits in diesem Film anlegte und die all seine anderen Werke prägen sollten. Schmunzelnd fühlt man sich beim Kennenlernen von Rastel und Asbel so, als stünden Sheeta und Pazu vor einem, kommt nicht drum herum, in Prinzessin Kushana Züge der Herrin Eboshi wahrzunehmen oder sich beim Ansturm der zornigen Ohmus an die Wildschweine aus Prinzessin Mononokes Wald zu erinnern. Und vorallem verpackt und offenbart NAUSICAÄ all die großen Themen und Faszinationen für die Miyazaki inzwischen nur zu gut bekannt ist und von seinen Fans geliebt wird: seine besondere Vorliebe, Frauen zu den Heldinnen seiner Geschichten zu schreiben und das Hin- und Hergerissen Sein, ob der Mensch für diese Welt nun eigentlich Fluch oder Segen sei - oder vielmehr beides zugleich; aber zumindest, ob der Mensch Hass oder aber besondere Liebe verdiene.
                                                    Hayao Miyazaki, dem wegen seiner familiären Herkunft immer wieder gern eine Faszination für Technik und insbesondere Flugmaschinen attestiert wird, versteht es, seine Leidenschaft in vielen seiner Filme auszuleben. Er kennt wohl nur zu gut die ganz große Sehnsucht des Menschen, sich vom Boden zu erheben und nach den Weiten des Himmels mit all seinen Wolken und Sternen zu greifen.
                                                    Was ist eigentlich der Mensch? Ein Tier der Erde, mit ihr verbunden und auf sie angewiesen, denn sie ist seine Wiege und seine Mutter. Doch der Mensch ist ein besonderes Tier, denn er ist fähig, den Kopf zu erheben und nach den Sternen zu schauen, Sehnsüchte und Träume zu entwickeln - und sie zu verwirklichen, wahr werden zu lassen. Und dafür mag man sich anstecken und begeistern lassen, den Menschen umarmen und lieben zu wollen für seine Neugier und den Drang, Geheimnissen auf die Spur zu kommen, sie verstehen zu wollen: die Wunder, die ihn umgeben, zu staunen. Das weiß und versteht Miyazaki nur zu gut. Aber er kennt auch den Preis dafür, der zum menschlichen Wesen leider genauso dazugehört: die Hybris, zu vergessen, woher man kommt und wo der eigentliche Platz ist, genügsam zu sein, Dinge aus Liebe um ihrer selbst willen zu begreifen. Irgendwann genügt ihm dies jedoch nicht mehr; der Mensch erhebt sich über die Dinge und weil sie so unwiederbringlich schön und einzigartig sind, ist es mit Genügsamkeit nicht getan - er will sie unterwerfen und beherrschen, damit all ihre Reichtümer ihm selbst dienen. Auch über diesen Wesenszug des Menschen sieht Miyazaki nicht hinweg und der Preis, den der Mensch dafür zu zahlen hat, entwickelte der heute so populäre Regisseur aus Fernost in seiner postapokalyptischen Vision NAUSICAÄ. Der Mensch, der sich über sich selbst und seine Erde erhob - und schließlich tief gefallen ist, von seiner Schöpfung ausgestoßen. Sie kann ohne den Menschen überleben, er aber nicht ohne sie. Vermag dieses neue Selbstbewusstsein dem gefallenen Menschen seinen eigentlichen Platz in der Welt zurückzugeben? Und der Mensch, vermag er seine Krone, die ihm die Schöpfung verliehen hat, abzunehmen und sie derjenigen zurückzugeben, die sie ihm verliehen hat? Seiner Umwelt.

                                                    - „Bitte seht Euch einmal diese Hand an. Es ist dieselbe Krankheit, die Fürst Jihl befallen hat. In einem halben Jahr wird sie sein wie aus Stein. Aber unsere Prinzessin hat sich von dieser Hand nicht abgewendet. Sie sagt, sie hat sie gern, weil es für sie die schöne Hand eines schwer arbeitenden Menschen ist."

                                                    - „Ihr wollt die Kraft des Feuers einsetzen. Das ist nicht verwerflich, auch wir nutzen das Feuer.“
                                                    - „Aber wenn man zu viel Feuer verwendet, stirbt alles. Man kann einen Wald an einem Tag niederbrennen, doch Wind und Wasser brauchen hundert Jahre, um einen Wald neu entstehen zu lassen.“

                                                    Eiskalt erwischt hat es mich bei diesem kleinen, wunderbaren Dialog. Er spricht in der Symbol der Hand die große Zuneigung zum Menschsein aus, so wie der Mensch von Anbeginn seines Seins gemeint war, wenn ihn tatsächlich dereinst mal jemand zu einem Geschöpf gemacht hat, der es so sehr liebte, dass er dem Menschen seine kostbare Schöpfung anvertraute und ihm zur Heimat gab, bis der Mensch sich seiner besonderen Stellung bewusst wurde, seinen Platz verließ und sich über dieses liebende Geschenk erhob und es völlig für sich beanspruchte und es sich gefügig machen wollte, bis er fiel und erkennen musste, wie gering er doch eigentlich in diesem Kosmos ist. Ein böses Geschenk der Klugheit mit der großen Bürde der Verantwortung, schon in vielen Mythen in dem archaischen Symbol des Feuers ausgedrückt und auch von Miyazaki in die Geschichte seiner NAUSICAÄ eingebunden.
                                                    NAUSICAÄ ist im Allgemeinen ein Film, der durch atmosphärische Dichte und Leere seiner postapokalyptischen Vision ungemein fesselt und auch aufgrund seiner zahlreichen dramatischen Höhepunkte einen großartigen Spannungsbogen erzeugt - und schließlich auch durch die Hoffnung, die der Film und sein Regisseur ihren Zuschauern schenken, welche schließlich in der Figur der Nausicaä ihren strahlenden Höhepunkt findet, die sowohl Mitleid, Liebe und Aufopferung gegenüber Menschen und ihrer Umwelt aufbringt; die echte Liebe, das Wunder des Lebens verstehen und bewahren zu wollen, aber auch die große Faszination des Menschen teilt: die Liebe zur Neugier, zum Fortschritt, zur Technik - und sich doch seines Platzes in der Welt und seiner eigenen Irrtümer bewusst zu sein.
                                                    In diesem Sinne empfinde ich NAUSICAÄ als Miyazakis Testament innerhalt seines Gesamtwerks, welches seine Schriftzüge in ganz besonderer Weise beinhaltet und zum Ausdruck bringt.

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