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Rückblick auf das Kinojahr 2014

31.12.2014 - 11:49 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Dieses Kinojahr war gewiss, ein weites Feld, wie es Fontane sagen würde
Weltkino
Dieses Kinojahr war gewiss, ein weites Feld, wie es Fontane sagen würde
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Es gibt keinen passenderen Zeitpunkt, als der Morgen des 31. Dezember, wenn man selbst eigentlich nur auf den Abend wartet, damit das Feiern des Neujahrs beginnen kann. Den Rest des Tages hat man irgendwie nichts zu tun und deswegen hab ich mich gekonnt für einen etwas umfangreicheren Rückblick auf das Kinojahr 2014 entschieden. Das Kinojahr steckte voller großartiger Überraschungen und natürlich auch ein paar Enttäuschungen, aber letztendlich war es ein Jahr, das in wahnsinnig vielen Sparten überzeugen konnte.

Der amerikanische Blockbuster : Einfallslose, ärgerliche Stangenware

Kaum ein Kino war dieses Jahr ärgerlicher als das große Kino aus dem Hause Hollywood. Ich will nicht schon wieder gegen die Massenware an Comicverfilmungen, Fortsetzungen und Young-Adult Adaptionen (und deren Fortsetzungen) wettern, aber dieses Jahr wurde ich mehrfach enttäuscht. Angefangen bei dem ärgerlichen The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro, der weiterhin den leibgewonnenen einst herzhaft von Tobey Maguire gespielt und von Sam Raimi inszeniert) auf einen Skateboard-Poser und spreche klopfenden Kotzbrocken runterdummt, und zudem an Inszenierung und Storyaufbau völlig diffus geraten ist. Nicht gerade besser ist der neue Godzilla geraten, der gekonnt auf jegliche Dramaturgie verzichtet und zudem jedes Element, das Spaß machen könnte (Godzilla selbst oder auch der großartige Bryan Cranston) verheizt. Noch seelenloser ist nur die peinliche Bibelverfilmung Noah von Darren Aronofsky (der es sich zum Ziel gesetzt zu haben scheint, seinen einst positiven Stand bei mir zunichte zu machen, sowie die grausame Literaturverfilmung Die Bestimmung - Divergent. Eine ebenso nervige Literaturverfilmung fand sich mit Das Schicksal ist ein mieser Verräter, welche jungen Erwachsenen offenbar das Gefühl geben sollte, das es nichts romantischeres gibt als Krebs zu haben und den geliebten Boyfriend mal eben im Anne Frank Haus abzuschlabbern und dafür auch noch Applaus zu kassieren. Ich mach hier mal auf arroganten Lehrmeister und sage : Bedenklich !

Gegen so viel Seelenlosigkeit und falscher Gefühle wirkte der diesjährige Christopher Nolan Interstellar wie eine Wohltat. Zwar ist er wieder unglaublich verschwafelt und auch wieder sehr pseudointelligent geraten, aber dennoch schlägt in ihm ein Herz, ein Herz das an Liebe appelliert und das sie in der Lage ist, das ganze Universum zu retten. Das so etwas von Christopher Nolan kommt, ist mit die größte Überraschung. Weiterhin wurde es gegen Ende des Jahres aber nicht wirklich besser : Der Hobbit 3: Die Schlacht der Fünf Heere war selbstverständlich Quatsch und alles, was von der einst geliebten Mittelerde-Reihe übrig blieb. Peter Jackson ist auch so jemand, der sich denutzieren will.

Eine riesige Überraschung gab es jedoch noch und es ist ausgerechnet eine Comicverfilmung ! Kaum ein Film hat mir dieses Jahr im Kino so viel Spaß gemacht, wie Guardians of the Galaxy ! Einfach vielleicht, weil er sich im Vergleich zu den nolanschen Batman oder dem webbschen Spider-Man, dasselbe richtig macht wie die Avengers, und sich nicht zu ernst nimmt sondern deswegen locker flockig zwischen abgedrehten Sci-Fi Spaß und Actionfilm tänzelt. Dazu noch der Retro-Soundtrack und mein Herz schlägt schneller. Bitter mehr davon !


Kritikerlieblinge : Zwischen Anbiederei und echtem Können !

Die Oscar-Saison gelangt immer erst Anfang des neuen Jahres nach Deutschland. Hier zeigte sich ganz klar, welche Filme nur auf gefallen aus sind und scheinbar Auszeichnungen hinterhertragen oder konsequent bleiben und auf ihre Weise überzeugen. Zu letzterem gehört zum Beispiel Martin Scorsese dessen neustes Werk The Wolf of Wall Street drei Stunden lang pure Exzesse liefert und dabei so wahnsinnig und irre wie sein Protagonist Jordan Belfort daher kommt. Das macht Spaß und ist vor allem angenehm unangenehm. Ein Alexander Payne überzeugte mich mit seinem Road-Movie Nebraska, der weniger an der Zeichnung einer Demenz-Erkrankung interessiert ist (die im Film niemals vorhanden ist), sondern eher mit seinem Vater/Sohn-Gespann das große Glück sucht, und das ist allemal mehr magisch. Wahnsinnig minimalistisch und um mehrere Meter besser als der thematisch ähnliche Gravity, war J.C.Chandors All Is Lost, der zum einen durch seinen völlig unprätentiösen Stil faszinierte und zum anderen mit Robert Redford aufwartet, der die Vorstellung seiner Karriere abliefert. Der wohl unterschätzteste Film und die unterschätzteste Performance der Oscar-Saison !

Weniger gekonnt war hingegen David O. Russell mit seinem entsetzlichen American Hustle, bei dem ich nicht weiß, was schrecklicher ist : Die Tatsache das der Film hundert mal verwendete Konflikte und Storywendungen als das Opus Magnum anpreist oder die Tatsache, das scheinbar die Welt jene abfeiert und diesen Film zum Meisterwerk ernennt. Scheinbar hat kein einziger solcher Kritiker jemals zuvor ein Kino von innen gesehen, sodass ihn Belanglosigkeiten so überzeugen. Nicht besser verhielt es sich mit dem großen Sieger 12 Years a Slave, der in jeder einzelnen Szene verlogen und anbiedernd daherkommt. Ein typischer Film, bei dem sich hinterher ordentlich auf die Schulter geklopft wird, alle im Kino betroffen sind und sagen "Schlimme Zeiten, so was !". Das amerikanische Kino hat mit der filmischen Aufarbeitung der Sklaverei wohl sein Pendant zur deutschen filmischen Aufarbeitung des Holocaust gefunden. Gut ist beides nur selten. Lichtblick war dahingehend Spike Jonze mit seiner feinfühligen, zutiefst berührenden Sci-Fi Romanze Her, in welchem Joaquin Phoenix mal wieder zeigt, warum ich so große Stücke auf ihn halte, und Scarlett Johansson zeigt, das sogar nur ihre Stimme unwiderstehlich sein kann.

Ein weiteres Highlight bewies dieses Jahr jedoch noch eine ganz sichere Bank, jemand der seit jeher absolut liebenswerte Stilsicherheit, feinfühlige Figurenzeichnung und aberwitzige Erzählungen beweist. Die rede ist selbstverständlich von Wes Anderson und seinem neuen Meisterwerk Grand Budapest Hotel. Tatsächlich konnte mich auch der größte Liebling der Kritiker, Richard Linklaters Mammutwerk Boyhood, mehr als überzeugen, einfach weil Linklater Menschlichkeit und Ehrlichkeit beweist. Ein unglaublicher Rückblick auf die vergangenen 12 Jahre breitet sich aus. Der Zuschauer wird Teil des Filmes und erlebt jene Dekade, wie seine eigene Kindheit wieder. Erwachsene können hier nostalgisch werden, wohin gehend Jugendliche sich identifizieren. Das ist wahnsinnig großes Kino. Alle feiern es, ich auch !

Im voranschreitenden Jahr bewies in der Sektion des unabhängigen Kinos Kelly Reichardt mit Night Moves, das sie weiterhin eine sichere Bank ist. Ihr Film ist so still, wie verstörend. Auf der Zielgeraden faszinierte mich der zutiefst radikale, wie gemeine Nightcrawler - Jede Nacht hat ihren Preis, der beweist, wie mutig aktuelles Kino sein kann. Eine Abrechnung, nicht nur mit der Landschaft der Medien, sondern auch mit dem konsequenten Erfolgsdenken und dessen zweifelhaften Auswirkungen. Jake Gyllenhaal liefert als Lou Bloom die Vorstellung seiner bisherigen Karriere ab und bewegt seine Figur gefährlich zwischen Wahnsinnig und Konsequent und meistert dabei jeden Spagat und verfällt nie in hemmungsloses, überzogenes Over-Acting.


Kult-Regisseure heute : Wiederholung und Mut zur Konsequenz

Sicherlich fällt Martin Scorsese mit seinem The Wolf of Wall Street in diese Kategorie. Scorsese treibt die Essenz seiner Gangster-Epen der Vergangenheit hier auf die Spitze, in jeder Hinsicht. Es gilt : Immer mehr und niemals aufhören. Das ist raffiniert wie konsequent. Vor allem wird hier ein Weg gefunden, altbekanntes neu zu machen, ohne zu sehr in eigene Muster zu verfallen. Sicherlich ist dieser Film in seiner enormen Länge nicht fehlerfrei, aber dennoch mehr als überzeugent. Ähnlich wie Scorsese geht auch Body-Horror Regisseur David Cronenberg mit seinem neusten Werk Maps to the Stars, mit nur einem Unterschied : Er scheitert daran. Die Inszenierung von ihm ist nicht halb so wahnwitzig, wie früher, Cronenberg bewegt sich permanent zwischen erzählerischer Kälte und der Verteuflung des modernen Hollywood. Sicherlich gibt es Momente in diesem Film voll cronenberschen Brillanz, doch sie sind viel zu harmlos gesät um zu bleiben. Überhaupt ist dieser Film kein bisschen mutig sondern verfällt immer mehr in eine seichte Küchenzimmerpsychologie. Nur leider sind auch die Figuren zu überzogen, damit das alles als Charakterstudie durchgeht. Gerade bei einem Regisseur vom Kalieber eines Cronenberg ein enttäuschender Film !

Dieses Jahr fast komplett verschmäht bei den Kritikern und gegen Jahresende fast völlig untergegangen, gestaltet sich der neue Streich von Terry Gilliam The Zero Theorem. Hier geht nichts anderes verloren als eine wahnsinnig interessante Perle : Gilliam bedient sich zwar auch der Muster, die erschoss vor Jahrzehnten in seinen früheren Meisterwerken anwendete, doch er überträgt sie gekonnt in die Moderne. Sein Film verdeutlicht die Aktualität seiner Themen : Der Protagonist findet sich in einer Welt, ohne tiefe Gefühle, ohne den Schutz des Privaten wieder und benötigt gerade solche so sehr. Auch diese Message ist heutzutage zwar nicht die neuste, aber die Art wie Gilliam sie rüberbringt begeistert weiterhin.


Europäische Delikatessen

Nahezu ausnahmlos überzeugen konnte mich dieses Jahr das europäische Kino in mehreren Sparten.

Besonders das britische Kino fand seine Sternstunde : So wartete es zum einen mit dem verstörenden, sehr mehrdeutbaren Am Sonntag bist du tot mit einem fulminanten Brendan Gleeson auf. Ein Film, der mich seit seiner Sichtung verfolgt. Auch der Dokumentarfilm fand im britischen Kino sein Highlight : Die Dokumentation über Nick Cave 20,000 Days On Earth gewählt Einblicke in das Leben des Künstlers, wie sonst keine. Sicherlich gehört ein bisschen Selbstinszenierung dazu, doch Cave gewährt dem Publikum den Eindruck seiner Seele, ohne sich dabei zu sehr zu feiern. Die Inszenierung tut es ihm gleich. Weit mehr als eine Doku, ein wahrer Seelenfilm ! Ganz am Ende bekamen wir von der Insel Mr. Turner - Meister des Lichts von Mike Leigh geliefert, einem weiteren Meisterwerk im Schaffen dieses Ausnahmeregisseurs. Leigh verdeutlich meisterhaft subtil, das Innenleben des legendären Malers, ohne sich jemals auf seine Legende zu stützen, er macht ihn greifbar. Und dann wäre da ja noch der, zu recht mit Preisen überhäufte, Timothy Spall, der sich zwischen tragischer Schönheit des Augenblickes und verzweifelter Härte bewegt. Andere wären an so einer Rolle gescheitert, Spall meistert sie. Nicht mehr und nicht weniger als die beste Schauspielleistung des Jahres !

Ein weiteres Land meiner Aufmerksamkeit war Polen. Großteils wegen des, vor kurzem mehr als gefeierten Ida. Könnte man bei diesem stillen Werk, welches inszenatorische Anklänge im Kino eines Ingmar Bergman findet, ginge es um die Dekonstruktion von Religion, so handelt es in Wahrheit von der Selbstsuche einer jungen Novizin. Dabei gelingt dem Film ein enormes Maß an Feinfühligkeit, welches seine Meisterhaftigkeit unterstreicht. Besprochene Dekonstruktion übernimmt aus dem gleichen Land das homosexuellen Drama Im Namen des..., welches zwar nicht ohne Fehler daherkommt aber eindringlich verstörend nachwirkt. Keine leichte, aber gute Kost !

Während aus Frankreich die Selbstfindungskomödie Maman und ich zurecht gefeiert wird, überzeugt aus den Niederlanden Borgman mit groteskem Humor und bitterem Horror. Das größte Mammutwerk aus der Rubrik stellt aber Enfant terrible Lars von Trier dar, dessen Nymphomaniac 1&2 im Vornherein als billiger Porno abgestempelt wurde, tatsächlich aber eine rauschhaften Abrechnung mit der menschlichen Sexualität ist. Von Trier zerstört alle Grenzen, vernichtet jeden Halt. Er findet immer wieder Grenzen, die er überschreiten kann und lässt keine Sekunde des Wohlfühlens. Dabei sei der Film besonders im, über 5 Stunden langem, Directors Cut zu empfehlen.

Der beste Film des Jahres ist aber noch ein anderer : In über 3 Stunden skizziert der türkische Regisseur Nuri Bilge Ceylan ein Szenario der Charakterlichen Auslieferung. Er offenbart das Innenleben seiner Protagonisten auf nahegehende Weise. Sein Winterschlaf ist ein filmischer Diskurs über Misstrauen, tatsächlich auch über (ohne dabei auch nur jemals ein politischer Problemfilm zu sein) Vorurteile und deren vehemente Folgen. Und dennoch existiert in diesem Film etwas jenseits aller Worte, etwas im Verborgenen. Etwas größeres und besseres wurde in diesem Jahr nicht vollstände gebracht.


Kleiner Wink in das asiatische Kino

Obwohl mir die Studio-Ghibli Produktionen Wie der Wind sich hebt und Die Legende der Prinzessin Kaguya noch entgingen, so muss ich noch ein paar Filme nennen. Die asiatisch/amerikanische Produktion Snowpiercer bewies sehr eindrucksvoll und minimalistisch eine (und das soll heutzutage etwa heißen) innovative Dystopie zu schaffen und diese mit absurder Satire zu würzen. Zudem bescherte man uns mit The Raid 2, den ohne Zweifel besten Action-Film seit Dekaden, ein Film der fulminant wie bodenständig ist, der genau im richtigen Moment das Tempo rausnimmt und dann wieder richtig durchgreift. Besser werden solche Filme nicht. Wahre Kunst !

Großartig unangenehmes gab es Ende des Jahres von den Philippinen : Lav Diaz und sein vierstündiger Norte, The End Of History erfanden Dostojewskis "Verbrechen und Strafe" in epischer Form völlig neu. Besonders gegen Ende des Filmes erweist sich Diaz als langsamer Mörder, der sich ganz langsam an den Zuschauer hinausschleicht. Seine Inszenierung, ohne die Spur von Hetzerei sind sowohl angenehm als auch beunruhigend.


...und unser deutsches Kino ? Sträflich vernachlässigt !

Ja, viel hab ich mich nicht in unserem Lande herumgetrieben. Sicherlich bezweifle ich das ich mit Vaterfreuden oder kürzlich Honig im Kopf irgendetwas verpasst hätte, da war ich mit dem großartigen Stromberg: Der Film eine millionenmal besser unterhalten. Die gefeierten Kreuzweg, Die geliebten Schwestern und Zeit der Kannibalen werden aber definitiv noch nachgeholt. Hervorheben will ich in dieser Rubrik das draus Die Frau des Polizisten, einem der verstörendsten und spannendsten Filme des Jahres. Kein kitschiger, Tränendrüsen Problemfilm mit einseitiger Rollenverteilung, sondern ein tragischer Diskurs über die Abgründe unseres Wesens und wie wir solche in einem Umfeld entladen, das wir für sicher unser halten Und dann entsteht etwas, das sich häusliche Gewalt nennt. Nur leider merken es oftmals sowohl Täter, als auch Opfer, wie weit es mit ihnen beiden gekommen ist.


Was noch gesagt werden muss...

Ich will überhaupt kein langes Theater drum veranstalten : Dieses Jahr sind wahnsinnig viele, wichtige Filmschaffende gegangen. Unter anderem Lauren Bacall oder Eli Wallach, beide nach einem langen Leben und einer erfolgreichen Karriere. Doch nicht jeden traf es so gutmütig : Dieses Jahr verstarben wahnsinnig viele unter sehr tragischen Umständen und oftmals viel zu jung. Nennen will ich da als Beispiel Robin Williams, dessen Schicksal grausam wie todtraurig war.

Abschied nehmen will ich aber noch einmal von Philip Seymour Hoffman. Ich habe es zwar schon gemacht, aber jetzt nehme ich Abschied davon, um ihn zu trauern. Irgendwann erreicht man den Punkt, wo das Trauern aufhört und das Akzeptieren beginnt. Und ich muss lernen zu akzeptieren, das er nicht wieder kommt, so schwer mir das auch fällt. Ich weiß nicht, ob ich es überhaupt kann.

Ich weiß, es so abzuschließen ist pure Tränendrüse, aber ich musste es noch einmal sagen.

Das Kinojahr 2014 war ein Erfolg filmisch gesehen, in jeder Rubrik fand ich Begeisterung. Und das schöne daran ist, das morgen ein neues beginnt und es wieder viel zu entdecken und sehen gibt.

Have fun !

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