Solveig - Kommentare

Alle Kommentare von Solveig

  • 8

    "Du sollst den Namen des Herrn nicht missbrauchen" - Dekalog, 2
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    Ein kleiner Film der stillen Töne, in dem es ein paar Szenen gibt, die auf mich fast schon ein bisschen meditativ-nachdenklich wirkten, nämlich dort, wo die klare menschliche Entscheidung oder der Bereich menschlichen Eingreifens aufhört und es keine klaren Antworten gibt, wodurch "Dekalog, dwa" zu einem Film wird, der seinen Zuschauer nicht primär auf rationaler Ebene anspricht. Das vordergründige Thema ist allerdings deutlich zu benennen: die Frage nach der Reichweite individueller Entscheidungsfreiheit und der moralischen Verantwortung des Menschen - und sehr, sehr dezent schwinkt in "Dekalog, dwa" die Frage mit, ob nicht darüber hinaus im Stillen noch jemand einen Einfluss ausübt, vernehmbar für jene, die es fühlen können.
    Dorota sucht ihren älteren Nachbarn auf, der Chefarzt ist, und auf dessen Station ihr Mann, Andrzej, liegt, der an Krebs erkrankt ist und dem es zusehends schlechter geht. Die Frau möchte wissen, ob ihr Mann leben oder sterben wird, denn obwohl sie ihn sehr liebt, erwartet sie doch das Kind von einem anderen, welches sie nur dann austragen will, wenn ihr Mann keine Überlebenschance hat - im Falle einer Abtreibung verspielt sie außerdem mit hoher Wahrscheinlichkeit die Möglichkeit, jemals wieder schwanger werden zu können. Aus medizinischer und ethischer Sicht zögert der Arzt eine klare Antwort hinaus, bis Dorota ihn über den Termin der Abtreibung unterrichtet; die Verweigerung einer klaren Antwort koste das Kind womöglich das Leben, die klare Antwort eines Arztes, der von Beruf aus versuchen soll, Leben zu bewahren.
    "Dekalog, dwa" lebt vornehmlich von dem sensiblen Schauspiel seiner Akteure und vom Vermögen des Zuschauers, auf die stillen Zwischentöne des Films hören und diese fühlen zu können, denn wenn es hier Antworten gibt, dann ruhen diese in einem Bereich, auf den der Mensch trotz seiner Freiheiten und Möglichkeiten keinen Zugriff hat. Es sind zu einem die kleinen, warmherzigen, kurzen Anspielungen, die zu denken geben, wenn Dorotas Gynäkologe die Frau nach ihrem Namen fragt und bemerkt, dass dieser sehr schön sei (Dorota = 'das Gottesgeschenk'). Es ist die Szene, die nichts anderes als den bewusstlosen (?) Andrzej auf seinem Bett liegend im Krankenzimmer zeigt, sowohl sein Leben als auch das von Dorotas ungeborenem Kind in der Schwebe und Unsicherheit seiend. Endet irgendwo die Eingriffsmöglichkeit des Menschen? ... eine Biene, die in ein Glas mit einem Getränk auf Andrzejs Nachttisch gefallen ist, kämpft sich mühsam empor und Andrzej, Andrzej erzählt, was er zu fühlen glaubte, an der Schwelle des Übergangs, was rational nicht begreifbar ist.
    - "Wissen Sie, was es bedeutet, ein Kind zu haben?"
    - "Ja, ich weiß." - Der Arzt hat selbst verloren.
    Ein kleiner, stiller, sehr sanfter Gefühlsfilm.

    16
    • 9 .5

      "Du sollst nicht töten." - Dekalog, 5
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      Kieślowskis wohl bekanntester und wahrscheinlich auch wichtigster Film, der nicht selten als ein Plädoyer gegen die Todesstrafe aufgefasst wird, womit man allerdings die Intention dieses Films doch ziemlich reduziert.
      Im Neuen Testament heißt es bei Paulus, das Gesetz sei jedem Menschen ins Herz geschrieben und Kant definiert das Gewissen eines Menschen dahingehend, dass im Inneren ein eigener Gerichtshof tage.
      In "Dekalog, pięć" wiederum begegnet der Zuschauer innerhalb der Tristesse Warschaus drei Männern, dem 20-jährigen Jacek, der ziellos durch die Stadt läuft und dem Zuschauer nicht gerade als Sympathieträger präsentiert wird; einem Taxifahrer, der ebenso eher wirsch wirkt; und dem jungen Piotr, der gerade sein letztes Examen ablegt und angehender Strafverteidiger ist, welcher jedoch bereits in der mündlichen Prüfung den Sinn der Bestrafung von Verbrechen durch den Staat hinterfragt. Drei Männer, die sich fremd sind, und die durch eine sehr grausame Tat miteinander verknüpft werden. Der unerträgliche, brachiale, minutenlange Akt des Tötens, wenn Jacek den Taxifahrer ermordet, ist in "Dekalog, pięć" zwar leicht gekürzt worden, wirkt auf mich jedoch nicht weniger verstörend. Aber warum tut Jacek dies? Für den Zuschauer gibt es bis dahin keinerlei Anhaltspunkte, lediglich kleine Momente, in der das Grauen dieser Tat flüchtig gebrochen wird, während Jacek merkt, dass sein Opfer immer noch lebt, spricht er "o Jezusie" (Oh Jesus) aus, doch seine Tat ist nicht mehr rückgängig zu machen, der Taxifahrer muss sterben. Zu denken gibt außerdem Jaceks Reaktion, nachdem der Mord endlich zu ende ist, er in das Taxi steigt, das Radio anstellt und dieses sogleich aus dem Auto wirft, nachdem ein Kinderlied ertönte - und schließlich der Teufelskopf, den der Taxifahrer an der Frontscheibe seines Autos angebracht hatte, der dem Zuschauer entgegenstarrt.
      Wir kennen nicht das Warum und werden es eigentlich auch nie erfahren, wir sehen einen jungen Mann, der sein Opfer in einem quälend langen Akt tötet und kurz glauben wir, der Täter sei mit seiner eigenen Tat überfordert, wodurch er sich bei aller Unsympathie und Entsetzen doch einen Funken Menschlichkeit bewahrt.
      Erst nach dieser Tat lernt der Zuschauer den Menschen Jacek kennen, der sich in einem sehr emotionalen Abschlussgespräch mit seinem Strafverteidiger, Piotr, offenbart und anscheinend viele Zuschauer berührt, sodass dieser Film zusammen mit dem anschließenden Akt - die Vollstreckung der Todesstrafe für den schuldiggesprochenen Jacek - wohl deshalb so oft als Plädoyer gegen die Todesstrafe verstanden wird. Auf Jacek lastet Schuld. Seine kleine und geliebte Schwester kam bei einem Unfall durch Jaceks Freund ums Leben, nachdem die Beiden sich betrunken haben. Indirekt hat Jacek seiner Mutter die Tochter genommen und nun tatsächlich einem Menschen das Leben. In der Vollstreckung der Todesstrafe nimmt ein Kollektiv wiederum Jacek das Leben, was sich als genauso angstvoll seitens des Hingerichteten und ebenso kalt und würdelos darstellt und den Zuschauer wegen des zuvor mitgehörten Gesprächs womöglich nicht weniger trifft als die Ermordung des Taxifahrers.
      Der Film entschuldigt Jaceks Tat in keinster Weise, aber es bleibt der üble Nachgeschmack, ob sich nicht auch das Gesetz selbst schuldig gesprochen habe.
      "Dekalog, pięć" ist deswegen bei Weitem nicht nur ein Plädoyer gegen die Todesstrafe, sondern wie der Titel der Kinofassung richtig mitteilt, ein Film über das Töten selbst und wahrscheinlich der Teil, in dem Kieślowski die dunkelste Seite des Menschen heraufbeschwört, die er womöglich selbst nicht immer so kontrollieren kann wie er es vielleicht gern tun würde - es bleibt die Sinnlosigkeit des Tötens, sowohl des illegalen wie des vermeintlich legalen und die unbeantwortete Frage, wovor das Gesetz eigentlich schütze, sowohl jenes, das dem Menschen ins Innere geschrieben wurde, als auch das, welches durch die Justiz vollstreckt wird.

      23
      • 7 .5

        "Du sollst den Tag des Herren loben." - Dekalog, 3
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        Den Tag des Herren? Kieślowski sucht sich Weihnachten aus, um hier seine Geschichte zu erzählen, den Tag, an dem sich Gott der Welt und den Menschen aus Liebe selbst geschenkt habe, den Tag, den viele im engsten Kreis ihrer Familien feiern - aber für jene Menschen, die niemanden haben, ist Heiligabend zugleich der Tag der größten und womöglich unaushaltbarsten Einsamkeit.
        Ewa lockt in dieser Nacht ihren ehemaligen Geliebten, einen Taxi-Fahrer, unter dem Vorwand von seiner Familie weg, ihr Mann sei verschwunden und bittet um Hilfe, nach ihm zu suchen. Schon einmal eine ganze Nacht des Heiligabends draußen in der Kälte verbracht? Wenn es scheint, dass alle anderen Menschen in häuslicher Wärme und der Wärme der eigenen Familie diese besondere Nacht verbringen? Und da sind nun zwei Menschen, die sich einst begehrten, sich aus Verantwortungsgefühl wieder trennten, zusammen auf einer Suche umhergetrieben, vornehmlich die Wärme eines Taxis in dieser Nacht teilend, alte Gefühle nicht zulassen könnend - aber vielleicht wollend? Und nebenbei bleibt für den Zuschauer die Spannung dieses Dekalogteils durch die Ungewissheit aufrecht erhalten, was nun eigentlich mit Edward, Ewas Mann, geschehen ist - ist ihm etwas zugestoßen?
        ... und ein ganzer Heiligabend und der Familienvater ist nicht da ..., der vorgegeben hat, sein Taxi sei gestohlen worden und er wolle es suchen, denn damit ernährt er schließlich seine Familie. Wie verbunden er sich seiner Familie wohl fühlt? Liebt er sie, oder ist er für sie verantwortlich und widerspricht sich das überhaupt? Oder bleibt der Mensch Zeit seines Lebens stetig auf der Suche nach Erfüllung und wo könnte diese am ehesten zu finden sein? Am Heiligabend, dem Beginn eines Versprechens an den Menschen, nicht mehr einsam zu sein.
        "Dekalog, trzy" fällt ein klein wenig aus dem Rahmen, erscheint er weniger konstruiert als die ethischen Dilemmata der anderen Folgen (was ich übrigens nicht abwertend meine, ethische Dilemmata haben ihre Konstruiertheit von Natur aus an sich, doch wenn sie so fundamentalmenschlichen Bedürfnissen wie in dieser Reihe aufdecken, merkt man dies kaum), dafür auf den ersten Blick aber auch etwas weniger vielschichtig, dafür aber geradliniger erzählt. Letztendlich entpuppt sich "Dekalog, trzy" vorallem durch den gewählten Kontext als atmosphärische Studie über die Suche des Menschen nach Wärme und Geborgenheit zu seinem Nächsten, unabhängig davon, ob man tatsächlich einsam oder durch Verantwortung an jemanden oder etwas gebunden ist - und ganz stille ist dies womöglich auch die stete Suche nach menschlicher Erfüllung.

        13
        • 9

          "Du sollst Vater und Mutter ehren." - Dekalog, 4
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          Das kleine Mädchen, Vaters kleine Tochter, deren Beziehung über die Jahre des Erwachsenwerdens eine innige gewesen sein muss, hatten Vater und Tochter doch erstmals nur sich, da die Mutter fünf Tage nach der Geburt der Tochter verstorben ist. Spaßig geht man miteinander um, ist doch nichts bei, sind doch nur Vater und Tochter, die sich am Śmigus-dyngus, nach altem polnischen Osterbrauch, im Spiel mit kaltem Wasser übergießen und die nassen Kleider der kleinen Tochter am Körper kleben, der inzwischen zu dem einer 20-jährigen, hübschen, jungen Frau geworden ist.
          Und dass der Vater durch Zufall am Telefonhörer mitbekommt, wie seine Tochter ihrem Freund erleichtert erzählt, dass sie doch noch endlich ihre Periode bekommen hat - welcher Vater möchte schon hören, dass die kleine Tochter nun eine erwachsene Frau ist und welchem Vater wäre hier nicht unangenehm zu Mute?
          "Du sollst Vater und Mutter ehren." - Ein Ideal? Und wenn es so ist, hat dieses Ideal eine natürliche Grenze?
          "Liebes Töchterchen,
          ich weiß nicht wie Du aussiehst, jetzt, da Du den Brief liest. Bestimmt bist Du schon groß und Michal lebt nicht mehr. Jetzt bist Du noch ganz klein; ich sah Dich nur ein einziges Mal. Danach zeigten sie Dich mir nicht mehr, weil ich bald sterben muss. Ich muss Dir etwas Wichtiges sagen; Michal ist nicht Dein Vater. Es ist nicht wichtig, wer es ist - viel Dummheit und viel Leid. Ich weiß, dass Michal Dich wie eine Tochter lieben wird, und dass du es gut bei ihm haben wirst, was mir Ruhe gibt. Ich denke gerade an Dich, wenn Du jetzt diesen Brief liest. Du hast dunkles Haar, nicht wahr? Du hast schmale Hände und einen zarten Hals. So hätte ich es gern.
          Deine Mutter"
          Stille erotische Anspielungen und ein herausfordernder Blick - und eine Ohrfeige!
          Die Flucht der Tochter in ein Verlöbnis, in eine baldige Ehe. Und der Vater, der sein kleines Mädchen am liebsten für immer als Kind bei sich gehabt hätte...
          Die Tochter, der es seltsam vorkommt, wenn sie mit einem Jungen intim wird, als betrüge sie jemanden. Was ist das? Wenn sie angefasst wird, was flüsters ihr ihre Sehnsucht ins Ohr?
          Und der Vater? Er mag es nicht gern, sich vorzustellen, wenn seine Tochter mit einem Jungen intim wird. Ist normal, welcher Vater mag das schon? Aber was ist das für ein seltsames Gefühl? Gleicht es nicht dem der Eifersucht, die ein Mann empfindet, wenn er eine Frau mit einem anderen teilen muss?
          Eine Nacht steht bevor, in der sich Vater und Tochter emotional voreinander offenbaren, aber stets so, dass nur Angedeutetes und eigentlich Unausgesprochenes für den Zuschauer fühlbar wird. Was sind das bloß für seltsame Gefühle, gehen sie nicht eigentlich schon über eine Vater-Tochter-Beziehung hinaus? Aber Vater und Tochter sind sie gar nicht ... oder hat sich die Mutter vielleicht geirrt? Aber Frauen wissen doch sowas...
          Eine Nacht, soviel Schmerz des Unbestimmten, soviel Schmerz des Nicht-Dürfens - und die Frage, wo ist hier die Grenze? Und wie immer, soviel Sensibilität; die Tochter, die ihren Oberkörper entblößt und mit verschrenkten Armen vor der nackten Brust ihrem Vater gegenübersteht, der sie mit einem Pullover bedeckt und zärtlich umarmt.
          So ein intimes, Grenzen auslotendes, feinfühliges Kammerspiel - geht wahnsinnig unter die Haut!
          "Du sollst Vater und Mutter ehren." In der Moderne, in der Familienrollen nicht immer klar sind? Ehren - den eigenen Haushalt der Gefühle regulieren können, nur das Beste Vater und Mutter entgegen bringen - ist das überhaupt möglich? Oder schlägt ein ideales Gut in ein gesellschaftliches Tabu um?
          Was bleibt, ist die Ungewissheit und die geforderte Fähigkeit, mit dieser leben und miteinander umgehen zu können.
          ... und dabei klingt das Gebot doch eigentlich so einfach, weil ein darüber-Hinaus ein Tabu ist.

          14
          • 8

            "Du sollst nicht ehebrechen." - Dekalog, 6
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            So einfach dieses Gebot klingt, soviel holt Kieślowski hier heraus, indem er die Liebe selbat als das tief-, aber auch abgründigste und ambivalenteste und irgendwo auch als eins der egoistischsten Gefühle des Menschen porträtiert - und das innerhalb einer so überschaubaren Laufzeit.
            Für "Dekalog, sześć" hatte ich eine Vorhersage von 9,0. Das es hier nun keine ganz so hohe Punktzahl geworden ist, liegt allerdings daran, dass ich die dazugehörige Kinofassung "Ein kurzer Film über die Liebe" so sehr verinnerlicht habe, der für mich wegen seiner ungemein behutsamen Sensibilität und seiner Poesie immer noch Kieślowskis schönster Film überhaupt ist und zu meinen persönlichen Top5-All-Time-Favourites schlechthin gehört. Wer deswegen meine Meinung zu diesem Film und zu diesem Dekalogteil nachlesen möchte, den verweise ich einfach mal auf die Filmseite zu "Ein kurzer Film über die Liebe", wo ich vor ein paar Monaten schon einen Kommentar geschrieben habe.
            Bleibt mir hier zu sagen, dass wo das 5. Gebot im Dekalogzyklus im Vergleich zur Kinofassung ein bisschen hinzugewonnen hat, so verliert das 6. Gebot hier leider ebenso ein wenig. Ein paar Szenen sind hier etwas anders zusammengeschnitten, was das Anschauen immer noch interessant macht, weil der Eindruck entsteht, ob sich der Sinn bzw. die Aussage des Films ein bisschen verschoben hat. Was ich aber sehr schade finde, ist, dass die von Stefania Iwińska verkörperte Figur - eine alte Frau, deren Sohn aus beruflichen Gründen stets weit weg von zu Hause ist und bei der dafür Tomek, die männliche Hauptfigur dieses Films, wohnt - im Vergleich zur Kinofassung blass bleibt. Das schöne an dem "kurzen Film über die Liebe" war für mich vorallem, dass die Liebe und die damit einhergehende Sehnsucht nach einem anderen Menschen, welche zudem die Angst und Flucht vor der Einsamkeit bedeutet, anhand dreier Generationen erzählt wird, sodass sich das Bedürfnis nach Liebe im jeweiligen Alter eines Menschen anders definiert - und gezeigt wird, dass Liebe zudem auch ein ziemlich egoistisches Gefühl sein kann. Das büßt "Dekalog, sześć" leider ziemlich ein, fehlen z.B. die intimeren Szenen zwischen Olaf Lubaszenko (Tomek) und Stefania Iwińska wie z.B. die Unterhaltung, warum Menschen eigentlich weinen und das empfundener Schmerz in der Einsamkeit nur dadurch zu lindern ist, indem man sich größeren hinzufügt, das im "kurzen Film über die Liebe" motivisch durch den ganzen Film gezogen wird.
            Es bleiben aber auch hier noch immer die schönen poetischen Momente des Films, wenn Magda z.B. auf ihrem Küchentisch die Milchflasche umkippt, die metaphorisch ihre eigene Gefühlswelt ausschüttet, da sie kurz danach einer (erneuten) Enttäuschung wegen zu weinen beginnt, oder das Einfangen der unglaublich ansteckenden Freude, nachdem Tomek sich getraut hat, Magda auf ein Eis einzuladen. Und natürlich die subtile Farbdramaturgie, die Kälte, Leere und Isolation in den Treppenhäusern, wo man sich wünscht, dass wenigstens hinter den Türen menschliche Wärme zu finden ist, oder besonders in der Szene, in der Magda zum ersten Mal in Tomeks Zimmer steht und die Einsamkeit des jungen Mannes allein durch Farbe und Beleuchtung des Zimmers nahezu greifbar ist.
            Das alles gibt es allerdings auch im "kurzen Film über die Liebe" zu sehen und da für mich in seiner Intensität noch gesteigert. Erwähnen kann ich aber trotzdem noch, dass man dafür aber in "Dekalog, sześć" ein alternatives Ende vorgesetzt bekommt.
            Alles in allem ist "Dekalog, sześć" immer noch ein wunderschöner Film, der bei mir aber, wie gesagt, bisschen darunter leidet, dass ich die Kinofassung zu sehr liebe.

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            • 8

              "Du sollst nicht stehlen." - Dekalog, 7
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              So, nachdem ich gestern selbst das Bedürfnis hatte, wenigstens ein paar Worte zur Dekalog-Reihe zu schreiben, wollte ich mit der Zeit eigentlich auch noch jeden Dekalogteil einzeln kommentieren, Ich beginne mit dem 7. Gebot allein schon deswegen, weil es neben dem 4. und 5. die tiefsten Spuren in mir hinterlassen hat.
              Dabei wird "Dekalog, siedem" leider häufiger mal als schwächster Teil der Reihe angesehen, was vorallem daran liegt, dass er von seinen Schauspielleistungen nicht ganz das Niveau der anderen Teile erreicht und die Haupthandlung zudem an einen anderen Ort verlagert wird, während die anderen Geschichten ansonsten innerhalb einer einfachen Wohnblockanlage am Stadtrand Warschaus spielen.
              "Du sollst nicht stehlen."
              Hier denkt man als allererstes sicher an etwas Dingliches, ein fremdes Eigentum oder eine fremde Sache, die man nicht jemandem wegnehmen und an sich bringen darf. Kieślowski geht jedoch noch einen ganzen Schritt weiter und lädt diesen Dekalogteil vorallem emotional wahnsinnig auf, ohne dass eine Auflösung auch nur irgendwie möglich wäre. Es geht hier vorallem um tiefste Entfremdung zwischen Menschen, die von Natur aus eigentlich aufs innigste zusammengehören sollten und emotional bestohlen wurde hier jede Person in "Dekalog, siedem".
              Erzählt wird von der jungen Majka, die sich mit 16 Jahren zu dem jungen Lehrer Wojciech hingezogen fühlte, weil dieser "anders spreche" als die anderen. Das Mädchen wird von ihm schwanger. Da dies jedoch ein Skandal wäre und die Eltern das Mädchen für diese Aufgabe für zu jung halten, wird das Kind nach seiner Geburt als Tochter der eigentlichen Großmutter - Majkas Mutter, die zudem Direktorin der Schule ist - ausgegeben. Sechs Jahre später entführt Majka ihre kleine Tochter aus einem Schultheater und flieht mit ihr zu Wojciech, der inzwischen nicht mehr Lehrer ist, sondern sich mit dem Anfertigen von Teddybären über Wasser zu halten versucht. Von dort aus nimmt Majka Kontakt mit ihrer Mutter auf, um ihr Einverständnis zu erzwingen, mit dem Kind das Land Richtung Kanada zu verlassen. In der Bedankzeit, die sie ihrer Mutter gibt, entwickelt "Dekalog, siedem" vorallem durch sein Kammerspiel und Dialoge zwischen Majka und der kleinen Ania, der Name ihrer kleinen Tochter, zwischen Majka und Wojciech und zwischen Majkas Mutter und Majkas Vater Tiefe, da familiäre Hintergründe aufgedeckt werden.
              Majkas Mutter konnte nach der Geburt ihrer Tochhter selbst keine weiteren Kinder mehr zur Welt bringen, obwohl sie sich nichts sehnlicher gewünscht hätte. Majka selbst wurde nicht auf natürlich mütterlicheweise von ihrer Mutter geliebt, sondern musste sich ihre Aufmerksamkeit stets erarbeiten. Sie war nicht ihre kleine Tochhter, sie war vorallem die kleine Tochter ihres Vaters. Und als Majka ihr Kind erwartete, schob ihre Mutter rationale Gründe vor, ihr das Kind "wegzunehmen", obwohl Majka rückblickend meint, die Mutter habe egoistisch gehandelt, denn all ihre Sehnsüchte nach einem weiteren Kind und die Liebe, die sie Majka nicht geben konnte, projiziert und erhält nun die kleine Ania. Aber auch Wojciech zeigt sich "bestohlen", denn schließlich ist die Kleine auch seine Tochter und er selbst wurde vor vollendete Tatsachen gestellt, ohne irgendein wirkliches Mitspracherecht eingeräumt zu bekommen.
              Und schließlich Majkas eigene Sehnsucht nach Liebe, die ihr eigenes Kind ihr bedingungslos geben könnte und die sie ihrem Kind zu geben hätte, ist sie doch das Natürlichste auf der Welt.
              In einem tiefgehenden Geflecht geht es in "Dekalog, siedem" insgesamt um Diebstahl völlig natürlicher Gefühle zum einen und zum anderen um die völlige Entfremdung von Menschen, die eigentlich aufs innigste zusammengehören. Zwischen Mutter und Tochter gibt es keine wirkliche Bindung, so scheint es. Zwar wird die (Groß)Mutter panisch, als Majka ihr droht, dass sie sie und Ania nie wiedersehen wird, doch scheint ihr mehr der Verlust der Enkelin zu bekümmern als der Verlust der Tochhter, die sie sogar gern weit weg wüsste. Nicht weniger entfremdet sind jedoch Majka und Ania selbst. Die Kleine hat Albträume und Majka kann ihr keinen Trost geben, da sie die Ängste ihres eigenen Kindes nicht kennt und mit dieser Situation überfordert scheint. Und nicht zu vergessen die Szene, in der sie Ania nahezu anfleht, sie "Mama" zu nennen, doch Ania bleibt bei "Majka".
              Und schließlich Wojciech, der wohl einzige, der an die Bedürfnisse des Kindes denkt und Majka darauf hinweist, dass Ania viel zu sensibel ist, um diese ganze Geschichte durchzustehen und ein Kind einen (emotional) gefestigten Grund benötigt, um aufzuwachsen.
              Eine Auflösung gibt es nicht, es bleibt die Entfremdung und Entwurzelung, die in völliger Zerrissenheit endet.
              Ja, es stimmt schon. Maja Barełkowska habe ich ihre Rolle als Majka auch nicht immer zu 100% abgenommen und auch Anna Polony, im Film Majkas Mutter, wirkte in ein paar wenigen Szenen im Spiel bisschen aufgesetzt. Aber die emotionale Tiefe des Konflikts und der Dialoge machen das bei mir allemal wieder wett. Und da ich das Glück habe, Polnisch zu verstehen, kann ich noch hinzufügen, dass die Wortwahl der Dialoge unheimlich nahegehen; die Wahl fiel des öfteren auf die intimsten und sehnsuchtsvollen Ausdrücke, die eine Beziehung zwischen Mutter und Kind überhaupt ausdrücken können - und in der Tiefe des hier entwickelten Konflikts scheinen sogar die gewählten Begriffe ihres Inhalts bestohlen worden zu sein. Zusammen mit der allerletzten Szene hallte "Dekalog, siedem" bei mir nicht zuletzt deswegen lange nach.
              Ein ganz wunderbarer Teil.

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              • 9 .5
                über Dekalog

                "Unerschöpfliches Streben ist das Element der Seele. [...] Dieser Durst, diese Unruhe, mein Schmerz über meine Schwachheit entschleiert meine Hoheit. Ich weine, nur ein Mensch zu sein [...]." - Friedrich Schiller -
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                Puh, ahnungslos tappte ich am Wochenende mir nichts dir nichts in Kieślowskis "Dekalog"-Serie, die schon lange auf meiner Planliste stand und der Zufall mir unvorhergesehener und liebenswürdiger Weise die Möglichkeit bot, diesen Kurzfilmzyklus in sich abgeschlossener Geschichten durchzusehen. Ich dachte eigentlich, mir vielleicht täglich zwei Folgen anzuschauen, aber einige der Dekaloge haben es ganz schön in sich - durch ihre großteils sehr fesselnde und intensive Atmosphäre vergisst man schnell alles um sich herum und kann sich dem Sog der Geschichten kaum noch entziehen; zu spannend und berührend versteht es einer der größten Menschenkenner Sehnsüchte nach Liebe, Nähe, Geborgenheit, Schutz, Flucht vor Einsamkeit, Trauer und tiefstem Schmerz, der Menschen gleichermaßen zu Tätern und Opfer macht, zu erzählen. Kieślowskis Filme sind, obwohl der Titel dies womöglich suggeriert, keine Moral predigende Lehrstücke. Im Gegenteil. Vor jeder Folge habe ich selbst kurz überlegt, was wohl Inhalt des jeweiligen Gebots eigentlich konkret bedeuten könnte und wie es sich umsetzen ließe, nur um dann festzustellen, dass Kieślowski gerade so seine inhalte nicht umsetzt. Es geht hier kein bisschen um Moral, sondern um die Inszenierung komplexer(/erer) Dilemmata der Ethik - *Klugscheißermodus an:* und nicht vergessen, Moral und Ethik sind keine synonymen Begriffe, Die Moral spricht eine überdeutliche Sprache des 'Du musst/darfst (nicht)/sollst'; die Ethik fragt, sie fragt nur leise, ohne Antworten anzubieten,: 'aber was ist, wenn?' *Klugscheißermodus aus* Was ist wenn gesellschaftliche Moral aus unterschiedlichsten Richtungen aufeinander treffen und sich zu widersprechen beginnen? Und wo ist der Mensch in ihrer Mitte, der diese Widersprüchlichkeiten und Spannungen aushalten und erknenne muss, um handlungsfähig zu bleiben. Da beginnt es zu schmerzen und weh zu tun, denn in diesem Mittelpunkt offenbaren sich all die menschlichen Schwachstellen und empfindlichsten Wunden an denen der Mensch (tragisch) zu Grunde gehen kann.
                Und genau hier setzt Kieślowski i.d.R. an; er abstrahiert in seinem zehnteiligen Filmzyklus für seine seine Geschichten, die er zusammen mit dem befreudeten Rechtsanwalt Krzysztof Piesiewicz schrieb, die ihnen zugrunde liegenden Gebote, um ethische Dilemmata zu inszenieren. Kein einziger Film gibt Antworten, wo immer es deutlich zu werden scheint, wendet Kieślowski einen dramaturgischen Kniff an, um die Eindeutigkeit zu verwischen. Und das geht unter die Haut mitten ins Herz. Ich habe schon lannge nicht mehr so schlecht geschlafen wie an diesem Wochenende, weil die Geschichten lange in meinem Kopf nachhallten. Besonders beschäftigt haben mich dabei Dekalog 2 aufgrund seiner ethischen Komplexität, Dekalog 4, der freud'sches Gedankengut atmet und nach dem unsteurbaren, tragischen Verlangen zwischen Vater und Tochter fragt, welches am gesellschaftlichen Tabu kratzt; Dekalog Fünf, den ich aufgrund seiner dramaturgischen Straffung als sogar nich intensiver und eindringlicher empfand als die dazu erschienene Kinofassung "Ein kurzer Film über das Töten", und Dekalog Sieben, der für manche der schwächste ist, mir aber aufgrund der tiefe des dortigen Konflikts und der Verdinglichung eines Kindes durch Besitzanspruch beinahe das Herz zerriss. Grundsätzlich bin ich mir sicher, dass jeder Zuschauer in dieser Serie seinen absoluten Lieblingsteil finden wird; sie handeln alle von fundamentalmenschlichen Bedürfnissen und Verstrickungen, nuancieren aber durchaus in der Herangehensweise an den Stoff oder auch durch dezent humoristische, wenn auch tragisch bleibende, Einlagen.
                Unerwähnt will ich nicht lassen, dass mir Artur Barciś arg unheimlich geworden ist und ich hoffe, demnächst nicht irgendwelche Paranoia auf der Straße zu zeigen. Er ist in fast jedem Teil einmal kurz in einer Szene zu sehen und kündigt i.d.R. Unheil an. Kieślowski sagte selbst: "Es gibt in allen zehn Filmen eine Figur, die all das ist […]. Schicksal, Vorbestimmung, Gott, Engel, vielleicht Teufel. Jemand der auf all das schaut, was passiert, nichts sagt, nur schaut, überdrüssig, leidend." Diese Rolle verkörpert Barciś und zeigt dadurch auf, dass der Mensch in all seinem Schmerz, seinen Sehnücjten und seiner Einsamkeit allein auf sich zurückgeworfen ist.
                Und natürlich nicht zu vergessen: mal wieder Zbigniew Preisners großartige Musik, die all der menschlichen Gefühlswelt ihren Klang gibt.
                Ich bin sehr angetan.

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                • Bei Phoenix wäre ich etwas böse, wenn ich nicht zum Eisessen mitkommen dürfte. ;)
                  Sympathische Liste, Jenny. Ich glaube, in irgendeiner Variante klaue ich mir die Idee irgendwann mal. :)

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                  • Mehr als verdienter Kandidat für den Kommi der Woche.
                    Herzlichen Glückwunsch, lieber filmfan!
                    Ich habe den Kommentar leider - wegen der Spoilerwarnung - nur überflogen, da ich den Film noch sehen möchte. Aber ich freue mich riesig, dass jemand, der sich stets so differenziert und kompetent in seinen Kommentaren mit Filmen auseinandersetzt endlich in dieser Kategorie erscheint.

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                    • "Amphitryon – Aus den Wolken kommt das Glück" war der persönliche Lieblingsfilm von Willy Fritsch. ;) ( So von Fan zu Fan.:) )

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                      • 10

                        Der Graben (von K. Tucholsky)
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                        "Mutter, wozu hast du deinen aufgezogen?
                        Hast dich zwanzig Jahr mit ihm gequält?
                        Wozu ist er dir in deinen Arm geflogen,
                        und du hast ihm leise was erzählt?
                        Bis sie ihn dir weggenommen haben
                        für den Graben, Mutter, für den Graben."
                        [...]
                        .
                        Ich hab' meine tote Tochter gewaschen (von Hildegard Wohlgemuth)
                        ---------------------------------------------------------------------------------------
                        Ich hab' meine tote Tochter gewaschen
                        und mein Sohn schläft für immer im Schnee
                        Und ich hab' doch die Kinder für's Leben geboren
                        Und ich hab' doch die Kinder im Krieg verloren
                        Und ich hab' doch gebetet: Dein Wille gescheh.

                        Ich hab' nur meine Brüder behalten
                        und der kleinste diente in der Armee.
                        Und für den werden Söhne noch immer geboren
                        als Soldaten und Deutschland ist so nicht verloren
                        Und der betet noch immer: Dein Wille gescheh.

                        Ich hab' meinem großen Bruder geschrieben
                        und der dient seinem Herrn in der Höh
                        Und bei dem sei die Tochter doch nicht verloren
                        Und für den sei der Sohn doch im Schnee erfroren
                        Und ich müsse nur beten: Dein Wille gescheh.

                        Ich hab' meine tote Tochter gewaschen
                        und mein Sohn schläft für immer im Schnee
                        Und du hast die Kinder für's Leben geboren
                        Und sie haben bei diesem Herrn nichts verloren!
                        ganz und gar nichts verloren, Dein Wille gescheh!
                        [Na, wer mag dieser Herr wohl sein?]
                        .
                        Und sie träumten von großen Heldentaten für ihr Vaterland, denn sie wollten richtige Männer werden, dem ungeliebten Vater etwas beweisen, von den Frauen ernstgenommen werden, hohen Idealen und Vorbildern nacheifern oder einfach dazugehören - sie selbst, sie waren das ganze Vaterland und ihr eigenes Selbst nur ein Schwindel... ?
                        .
                        "Auf DIE BRÜCKE reagierte man sehr gut. Das Merkwürdige war, dass man mich fragte, 'Sagen Sie, darf dieser Film in Deutschland denn laufen und die Menschen gehen da rein?' Und ich sagte 'ja'. 'Und wie steht Ihre Regierung dazu?' Und da habe ich gesagt, 'unsere Regierung hat diesem Film den Bundesfilmpreis gegeben'. Und da machte man sich dann doch anscheinend Gedanken darüber, dass auch bei uns Filme, die so eindeutig gegen den Krieg und gegen Militarismus Stellung beziehen, gezeigt werden können. Und insofern war DIE BRÜCKE sogar ein bisschen ein Politikum und hat gezeigt, dass es bei uns auch eine Menge Menschen gibt, die eben keine Revanchisten sind, so wie man drüben Westdeutschland gemeinhin doch betrachtete."
                        - Notiz Bernhard Wickis 1962 auf dem Festival von Moskau, wo DIE BRÜCKE gezeigt wurde -
                        .
                        Keine Frage: für mich DER wichtigste deutsche Nachkriegsfilm überhaupt, der so lakonisch, intelligent, vielschichtig und eindringlich seine Geschichte erzählt und die Botschaft der Kriegssinnlosigkeit auf so vielen Erzählebenen transportiert, sodass DIE BRÜCKE für mich auch heute noch als echter (!) Antikriegsfilm unerreicht bleibt.

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                        • Irgendwie stark: sowie der letzte Kommentar der Woche auch von keinem anderen als Dasprofil kommen konnte, so musste dieser Kommentar der Woche natürlich auch von Christian sein: der, der so komische Filme ausbuddelt. ;))
                          Herzlichen Glückwunsch!

                          6
                          • 8 .5

                            Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?
                            Kleiner Igel - Samowar
                            mit dem Bären, wunderbar!
                            Einmal Sterne zählen woll'n,
                            ein Geheimnis dir verraten soll'n.
                            Doch - herrje - der Weg dorthin,
                            ein Igelchen verloren ging.
                            Des Nebels Schwaden ihn umhüllen,
                            Seltsames Getier umringen:
                            Pirschende Uhus Unheil bringen?
                            Ach, es steckt dir so im Nacken
                            Angst das Igelherzchen packen.
                            Angst durch Wunder doch gebrochen,
                            da staunt der Igel sehr, versprochen.
                            Ein schönes, weißes Pferd erblickend,
                            den Igelkopf mit Fragen schmückend,
                            soviel Schönheit hier in weiß,
                            soviel Frag' in den Gedanken kreist,
                            Licht im Nebel noch entdeckt,
                            des Igelherzchens Neugier weckt.
                            Staunend durch den Nebel gehend,
                            soviel' Geheimnis ihn umgebend.
                            Doch - oh Schreck! - verloren ging,
                            das Igelherz in Panik schwingt.
                            Kleiner Igel, keine Angst,
                            selbst im Nebel du vertrauen kannst.
                            Beistand soll es hier auch geben,
                            und dir den Weg zum Bären bringen.
                            Geheimisse dir Stern' erzählen?
                            Geheminisse im Nebel finden...
                            -
                            Eine recht überschaubare Handlung und nur 10 min. Laufzeit zeichnen Norsteins so - leider nur irgendwie in Deutschland weniger - bekannten "Igel im Nebel" aus und machen ihn aufgrund seiner Erzählweise, die doch so voller stiller Lebensweisheit gespickt ist, zu einem der schönsten Animationsfilme überhaupt.
                            Einmal 10 min. opfern und sich selbst davon überzeugen (und nicht vor engl. Untertiteln zurückschrecken):
                            http://www.youtube.com/watch?v=oW0jvJC2rvM

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                            • 9 .5

                              "Roter Mohn auf dem Monte Cassino
                              Statt Ros tranken sie polnisches Blut.
                              Über diese Mohnfelder marschierten Soldaten und starben/verwelkten
                              Aber stärker als der Tod war die Wut.
                              Es vergehen Jahre und Jahrhunderte ziehen vorüber
                              Es bleiben die Spuren vergangener Tage.
                              Und alle Mohnblumen auf dem Monte Cassino werden röter, weil sie durch polnisches Blut wachsen." - Strophe des Lieds 'Czerwone maki na Monte Cassino' ('Roter Mohn auf dem Monte Cassino'), das im Film zitiert/gesungen wird -
                              -
                              8 Mai 1945: Deutschland hat kapituliert. Doch in dem bereits aus der Nazigewalt befreiten Polen herrscht politische Unruhe; der Grund hierfür: der sich zu etablieren drohende Kommunismus. Nicht schon wieder - für das polnische Nationalbewusstsein ein Kloß, den man da zu schlucken hat, denn Land und Leute lebten ihrer Meinung nach schon in ihrer Geschichte viel zu lange unter dem Joch anderer Nationen und Unterdrücker, eine Mentalität des Verlustes und der Melancholie, doch im Inneren, da lodert noch ein kleines Flämmchen des Widerstands, das sich schon bald entzünden soll. Motiv und Haltung, die sich bis heute in vielen polnischen Volksliedern und schließlich auch in der Nationalhymne manifestiert haben.
                              Und zwischen den Unruhen und einer ungewissen Hoffnung gibt es da Maciek und Andrzej, die zu Attentätern für die Volksarmee werden. Ihr Ziel ist der kommunistische Parteisekräter Szczuka. Doch es läuft schief. Statt des Sekräters ermorden sie zwei unschuldige Zivilisten, wie lange soll das noch so weitergehen? Doch die beiden erhalten noch eine zweite Chance, denn Szczuka wird den Abend und die Nacht in einem Hotel der Stadt verbringen, da dort ein Bankett für den künftigen Minister gegeben wird. Doch Maciek überkommen allmählich Zweifel und dann ist da noch das hübsche Mädchen an der Bar, Krystyna. Wie sinnvoll ist das weitere Morden nach dem Krieg - und dann noch, wenn man sich gerade verliebt hat?
                              Andrzej Wajda, einer der bedeutendsten polnischen Regisseure, inszeniert mit 'Asche und Diamant' einen sehr beeindruckenden Film, der atmosphärisch genau jene beschriebene Mentalität Polens einfängt: viel Tragik in der Geschichte, eine stets spürbare Trauer, dass egal was man tut, für immer etwas verloren ist, das Alte gibt es nicht mehr, es ist tot und das Neue ungewiss. Noch dazu durchzieht den Film eine gewisse Ironie, die immer wieder mal aufleuchtet, sei es, dass der kommunistische Parteisekräter amerikanische Zigaretten raucht oder ein Feuerwerk dem Himmel entgegenstrebt, nachdem Maciek gemordert hat. Sei es der sinnlose Tod, den Maciek zu verantworten hat, der ihm in einer Kirche vor Augen geführt wird oder sei es der Abgesang ehemaliger Werte, wenn in einer zerstörten Kirche eine Jesusfigur kopfüber sanft traurig im Bild schwingt.
                              Angesichts der Entstehungszeit des Films und des historisch-politischen Kontextes Polens ist Wajda mit 'Asche und Diamant' ein beachtenswertes Werk gelungen und ich freue mich sehr, dass es gegenwärtige Regisseure gibt, die diesen Film sogar zu ihren zehn Besten Filmen aller Zeiten zählen. Denn von seiner historischen Bedeutung einmal abgesehen empfand ich den Streifen auch fürs Auge großartig. So viele ausdrucksstarke und metaphorische Bilder, eine so melancholisch-ästhetischer Umgang mit Licht und Schatten, die wunderbaren Fotografien Jerzy Wójciks erzeugen eine eindringliche Atmosphäre: genau so bannt man die Mentalität einer als verloren geglaubten Generation, die ein bloßer Spielball der wechselseitigen Verhältnisse ist, auf die Leinwand (sehr schön und vielsagend auch, wenn das Orchester am Ende in ganz verschiedenen und überhaupt nicht miteinander harmonierenden Tönen spielt).
                              Ganz großes Kino!
                              Zudem hat mich das Ende irgendwie ziemlich berührt. Vielleicht gibt es Diamanten, doch Wind zieht auf und die Asche der Zeit verdeckt sie - so wie die vom polnischen Blut getränkten Mohnblumen auf dem Monte Cassino inzwischen noch röter blühen.
                              (Eine kleine Notiz am Rande: der Kritikerschnitt - sind aber zum Glück nur 2 Bewertungen - 6,0?? ... okay ...)

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                              • Ich glaube, ich habe mich nur selten von 7 Antworten so unterhalten gefühlt.
                                Die lesen sich gut!

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                                • Wenn ein Kommentar zu Werner Herzog - und dieser hier mehr als verdient -, dann nur von Dir. Da psst einfach alles. ;)
                                  Herzlichen Glückwunsch! Wurde auch höchste Zeit, dass Du hier endlich einmal stehst!

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                                  • 9
                                    über Bin-Jip

                                    Unauffällig fährt er durch die Straßen
                                    Sein Dasein? Einfache Pizzaflyer, unbeachtet
                                    Bleiben sie unberührt, gewinnt er Raum,
                                    schleicht sich in Häuser.
                                    Ja, er war hier. Werden sie es merken?
                                    Und da ist sie, die schöne Sun-hwa
                                    gefangen im Goldenen Käfig einer Ehe.
                                    Ihr Mann will sie allein besitzen, die schöne Sun-hwa.
                                    Er fügt ihr Gewalt zu, weil er schwach ist.
                                    Und sie? Was ist Liebe?
                                    Gewalt? Besitz? Machtanspruch? Schmerz?
                                    Bin-jip - Leere Häuser.
                                    Doch da kommt er, dringt auch in ihr Haus, in ihr Leben.
                                    Sie folgt ihm.
                                    Ist es Liebe?
                                    Zwei Menschen treiben durch die Straßen,
                                    suchen leere Häuser auf.
                                    Ist es Liebe?
                                    Ist sie erfüllbar, ist sie lasterhaft?
                                    Ist sie von Dauer? Oder darf sie einfach nicht sein,
                                    hier an diesem Ort, in dieser Welt?
                                    Was bleibt von der Liebe?
                                    Ein Gedanke, stetes Suchen, ein unerfülltes Sehnen ...
                                    aber, aber vielleicht macht genau dies das Leben leichter
                                    erträglicher, hier an diesem Ort, in dieser Welt.
                                    Ich sehne mich nach dir, immer und überall,
                                    doch vielleicht, vielleicht bist du deswegen so nah bei mir...
                                    -
                                    Kim Ki-duk transzendiert die Liebe,
                                    der lyrische Regisseur par excellence schafft wieder einmal großes, stilles Gefühlskino.
                                    "Es ist schwer zu sagen, ob die Welt, in der wir leben, die Realität ist oder ein Traum."
                                    Kim Ki-duk? Inzwischen der Apoll auf meinem Regieolymp.

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                                    • 6 .5

                                      'Seventh Heaven', im Deutschen entweder unter 'Das Glück in der Mansarde' oder aber 'Im siebenten Himmel' bekannt, war jetzt mein zweiter Film von Frank Borzage, dem routinierten und poetischen Unterhaltungskünstler, der in seinen Filmen vornehmlich von der Liebe zwischen Mann und Frau, ihres Zeichens i.d.R. Außenseiter, und deren Bewährungsprobe erzählt. So auch hier.
                                      Es ist die Geschichte von Chico und Diane; er arbeitet in den Kanalisationen von Paris wo er mitbekommt, dass Diane, die der Prostitution nachgehen soll (was sich mir allein durch den Film allerdings nicht wirklich erschlossen hätte), von ihrer Schwester schikaniert wird. Als die Polizei die junge Frau verhaften will, gibt Chico das Mädchen als seine Ehefrau aus und erspart ihr somit einiges. Zu einer Scheinehe gezwungen, nimmt Chico, der so oft zu Gott u.a. um eine blonde Lebensgefährtin betete, seine Wünsche jedoch nie erhört wurden (Diane ist außerdem dunkelhaarig), Diane mit zu sich in die Mansarde, wo man sich allabendlich dem Sternenhimmel besonders nahe fühlt. Und tatsächlich entwickelt sich zwischen den beiden eine Zuneigung, die darin mündet, dass Diane und Chico in der Mansarde wirklich zu Mann und Frau werden. Als der erste Weltkrieg ausbricht wird Chico allerdings einberufen, Diane arbeitet fortan in einer Munitionsfabrik wo ein anderer ein Auge auf sie geworfen hat. Trotz ihrer Trennung und dieser Bewährungsprobe bleiben sich Chico und Diane treu; sie versprachen sich, jeden Tag um 11.00 Uhr einander zu gedenken und sich dadurch nahe zu sein, was immer auch geschehen möge. Doch ihre Liebe und auch ihr Glaube müssen sich bewähren - und da kommt die Nachricht, dass Chico gefallen sei, und ... selbst anschauen. :)
                                      'Seventh Heaven' sollte für 20th Century Fox ein Erfolg werden. Das Budget des Films lag bei 1,3 Millionen US Dollar und spielte über 2,5 Millionen wieder ein. Bei den allerersten Oscarverleihung 1929 wurde dieser Film zusammen mit Murnaus 'Sunrise' als Gewinner in drei Kategorien am meisten ausgezeichnet; 'Seventh Heaven' erhielt den Oscar für die beste Regie (womit Frank Borzage zum ersten oscargekrönten Regisseur der Geschichte wurde), das bestes Drehbuch und die beste Hauptdarstellerin; Janet Gaynor wurde gleich dreifach für ihre Leistung einmal in diesem Film, in 'Sunrise' und in 'Street Angel' (ebenfalls ein Borzage-Filme) ausgezeichnet. 'Seventh Heaven' landet somit insgesamt auf Platz 13 der erfolgreichsten Stummfilme der Geschichte.
                                      Was ist zu erwarten? Der Film versucht wirklich ständig sehr gefühlsbetont und ergreifend zu sein und wirkt wie ein überbetontes Melodrama - aber ein gut gemachtes überbetontes Melodrama. Handwerklich braucht er sich auch gar nicht zu verstecken und hätte von dem Aspekt her sogar noch einen Punkt mehr verdient. Aber so ein bisschen verhält es sich hier schon so wie mit dem süßen Schmalzgebäck: ein paar Bissen schmecken gut, ein paar zu viel sind allerdings ein paar zu viel. Dennoch punktet der Film durch die Natürlichkeit seiner beiden Hauptdarsteller: die zierliche Janet Gaynor mit ihrem zarten Puppengesicht und der nicht weniger vorzeigbare Charles Farrell können ihr Publikum schnell zum Dauerschmachten bringen, sodass man ihnen alles Gute und Glück der Welt wünschen mag.
                                      Ansonsten erkennt man in diesem Film sehr deutlich das typische Liebeskonzept des späteren Hollywoods und zeitweise dachte ich irgendwie auch, dass Borzage wohl sowas wie der Vorläufer von Walt Disney war, nur eben für ein erwachsenes Publikum.

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                                      • OMG Kobbi, ich überlege auch schon, ob ich mir mal einen Boll geben soll. Trau mich aber nicht.^^

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                                        • Nur zwei Fans, kein Kommentar und so spärliche Informationen, das hat sich Paul Wegener nicht verdient, ist er doch der vielleicht wichtigste Pionier deutscher Filmgeschichte überhaupt, der den Grundstein in einer Zeit legte, als Deutschland eins der wegweisenden Länder in Sachen Film werden sollte.
                                          1894 nimmt Wegener ein Studium der Rechtswissenschaften auf und besucht nebenbei Seminare in Philosophie und Kunstgeschichte. Nachdem er sein Studium abbricht, um seinem eigentlichen Lebenswunsch nachgehen zu können, den er schon als Schüler hegte, bricht er gleichzeitig mit seinem Elternhaus. Es sollte sich aber lohnen. Paul Wegener wird Theaterschauspieler und zwar nicht irgendeiner, sondern ein echter Star, der schonmal 9000 Mark im Jahr verdient und 1906 schließlich von Max Reinhardt ans Deutsche Theater geholt wird, das seinerzeit renommierteste, an dem so ziemlich jeder bedeutende Filmschaffende Deutschlands angefangen hat. Wegener begeistert vorallem in Shakespearerollen und sollte als gefragter und gut situierter Schauspieler an einige Ecken der Welt kommen.
                                          Was ihn aber so wichtig macht: Als der Film als neues Medium aufkam, war dies noch regelrecht verpönt, ein Mitwirken gar unter Strafe gestellt. Paul Wegener jedoch nahm als einer der ersten Theaterkünstler den Film sehr schnell als eine neuartige Möglichkeit der Kunstform wahr und war maßgeblich daran beteilgt, den Film auf eben jenen dazu zu erheben. Zusammen mit Stellan Rye, dem damals berühmten Schriftsteller Hanns Heinz Ewers und Kameramann Guido Seeber realisierte er den "Studenten von Prag", der als einer der allerersten Kunstfilme überhaupt in die Geschichte eingingen. Spätestens nach "Der Golem" und "Der Golem, wie er in die Welt kam", so Wegener ebenso Regisseur wie Darsteller ist, feiert er und das Medium Film internationalen Erfolg.
                                          Als Regisseur, Darsteller, Drehbuchautor und Produzent wirkt Wegener fortan in 30 Filmen mit. Man erkennt ihn überall schnell: seine leicht untersetzte, stämmige Statur, seine schmalen Augen und seine hohen Wangenknochen bringen ihm in der Regel Rollen mysteriöser Gestalten ein, wie z.B. in den Lubitschfilmen "Sumurun" oder "Das Weib des Pharao". Und auch seine eigenen Filme weisen i.d.R. einen sehr märchenhaften/fantastischen Touch auf.
                                          Nach der Machtergreifung der Nazis bleibt Wegener in Deutschland, wie und warum auch immer gerät er an Rollen in Filmen von Veit Harlan, soll den Nazis aber andererseits ein unbequemer Genosse gewesen sein. Nachweislich spendete Wegener Geld an Widerstandsgruppen und versteckte schonmal gefährdete Menschen bei sich. Nach Kriegsende durfte er seinen Beruf schnell wieder ausüben.
                                          Es lohnt sich, sich mit ihm zu beschäftigen.

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                                          • 8 .5

                                            - "Hier liegt Balduin. Er kämpfte mit dem Teufel und verlor." -
                                            Ach, immer diese ätzenden Remakes. ;-) Früher war ja bekanntlich alles besser und wäre es auch heute noch, hätte man es in Ruhe gelassen. Ob das Publikum von 1926 auch so dachte?
                                            "Der Student von Prag" unter der Regie von Henrik Galeen ist ein Remake des gleichnamigen Films von 1913 von Stellan Rye und Paul Wegener, der sich zu Beginn auch sehr deutlich an der Vorlage orientiert.
                                            Erzählt wird vom armen Studenten Balduin, ein begnadeter Fechter, dessen nicht vorhandene Mittel ihn nicht am gesellschaftlichen Leben der elitären Schicht teilhaben lassen. Und dabei hat sich Balduin doch verliebt, nämlich in die Herzogin Margit, obwohl er heimlich von einem anderen, einfachen Mädchen, Lyduschka, angehimmelt wird.
                                            Was tun? Scapinelli weiß Rat. Als er von der Situation Balduins erfährt, bietet er ihm 600.000 Florin an, unter der Bedingung er möge sich dafür nehmen, was er wolle. So geschieht's und Balduin verliert sein Spiegelbild, das er Scapinelli verkauft. Diesen Handel soll er noch bereuen, sehr sogar.
                                            Galeens "Der Student von Prag" gibt sich sehr ambitioniert, stellenweise sogar recht furios, was sich vorallem in den Fechtszenen und auch auf der Jagd zeigt, bei der Herzogin Margit beinahe vom Pferd stürzt, hätte Balduin nicht Schlimmeres verhindert. Das hat die '26-Version der 13er voraus. Und obwohl die Anlehnung zu Beginn so offensichtlich ist, fällt auch doch ein zweiter Unterschied sofort ins Auge: "Der Student von Prag" von 1913 war für mich vorallem durch seine leicht barock anmutende, dadurch romantisch-märchenhafte Kulisse so liebenswürdig, was auch sowieso die typische Handschrift Paul Wegeners werden sollte, der zu seiner Zeit ohnehin der Mann fürs Fantastische war.
                                            Henrik Galeen hingegen, der den meisten vielleicht nur als Drehbuchautor z.B. zu Murnaus "Nosferatu" und anderer Gruselfilme der 20er bekannt ist, schlug einen anderen Weg ein, den des Naturalistischen, wenn man so will. (Und der übrigens schon in der '13er-Version Regieassistent war.) Sein Film beginnt mit einem etwas längeren Anlauf, ein Aufenthalt in fröhlicher Studentenrunde im Grünen und schließlich einer Taverne in einem kleinen Dorf, wo gesungen wird (dem Zuschauer werden Notenblätter mit Liedversen vor die Augen gehalten). Die Stimmung nimmt jedoch in den schon genannten Fecht- und Jagdszenen zu, in denen Balduin sein Können demonstrieren kann, die seinen Ruf als begnadeten Fechter festigen - und dann wird es langsam aber stetig und zunehmend immer unheimlicher. Galeen nutzt längere Einstellungen, in denen er ganz allein auf das Können seiner Darsteller vertraut, um beim Zuschauer Unsicherheit und zunehmende Unruhe zu evozieren, welches durch ein von der Lichtgestaltung her dunkles und zunehmend düsteres Setting unterstützt wird. Ohnehin gibt sich Galeens Verfilmung vorallem in der zweiten Filmhälfte in gewisser Weise psychologischer als die Vorgängerversion. Das (Liebes)Dreieck zwischen Balduin, Herzogin Margit und dem Mädchen Lyduschka wird intensiver miteinander verwoben, der Konflikt aus unerwiderter und unmöglicher Liebe stärker herausgearbeitet. Und Balduins Spiegelbild? Man weiß als Zuschauer, dass es irgendwo da draußen ist und umherläuft. So wie die Belebung des Spiegelbilds inszeniert wurde, ahnt man schon, dass dieser Handel Unheil bringen wird, weil die Stimmung wunderbar herausgearbeitet wurde. Aber man sieht es relativ selten, doch glaubt man seine Präsenz zu spüren, die Balduin zum Verhängins wird, mit dem sich der Zuschauer sehr gut identifizieren kann und dadurch emotional gelenkt wird. Noch dazu steigert sich das Element des Unheimlichen und Gespenstischen durch naturhafte Darstellungen: Wind zieht immer stärker auf und rüttelt immer kräftiger an Baumästen; man könnte fast etwas Okkultisches assoziieren, das irgendwie in Verbindung mit dem Handel des dubiosen Scapinelli steht.
                                            Sehr schöner und unterhaltsamer Film, dem man allerdings gewillt sein muss, ihm eine Chance zu geben. Der Vorbau hätte etwas kompakter sein können und den Schnitt empfand ich zu Beginn stellenweise etwas ungewöhnlich und anstrengend - da stand der Film bei mir noch punktetechnisch auf einer 6,5. Je mehr man sich jedoch auf ihn einließ, desto mehr zog er an Spannung an, die mich begeistern konnte.
                                            Letztendlich ist es sicher Geschmackssache, ob man es lieber märchenhaft mag wie bei dem '13er-Studenten oder eben naturalistisch-gespenstisch wie in dieser Version oder ob man mehr mit Paul Wegener oder Conrad Veidt in der Titelrolle mitbangt. Beides sind für mich sehr schön gewordene Filme, obgleich die leichte Psychologisierung dieses Stoffs hier Galeen einen halben Punkt mehr einbringt. Eigentlich sehr schade, dass er und Paul Wegener heute ebenso zu den eher in Vergessenheit Geratenen gehören.

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                                            • http://www.youtube.com/watch?v=K1oOXS8PKrg
                                              So, mein letztes Geburtstagskind in diesem Monat - da bin ich doch gleich mal so frei, ihm den ersten Kommentar hier zu würdigen: Wilhelm Egon Fritz Fritsch, aber allen immer und überall einfach nur als Willy (Fritsch) bekannt, den ich sehr gern habe und der heute 113 Jahre alt geworden wäre.
                                              Kennt ihn hier heute überhaupt noch jemand? Der Ärmste muss sich ja auf MP mit gerade mal 2 Fans begnügen. :( Naja gut, wenn man sich seine Filmographie so ansieht, steckt man ihn sicher sofort in die Sparte vergangener Herzensbrecher der heutigen bzw. meiner Großelterngeneration und deren Unterhaltung, was sicher auch nicht ganz falsch ist. Wie ich selbst auf ihn gekommen bin, habe ich andernorts schon angerissen: als jemand, der in Fritz Langs Filmographie umherfischt, bin ich natürlich auch in eben jener über ihn gestolpert. Eigentlich galt Willy damals zu seiner Zeit als fleischgewordener Traum einer jeden Schwiegermutter: sein sonniges Gemüt und sein gewisser Schalk brachte ihm schnell den Ruf und Rollen eines Charmeurs und Herzensbrechers ein, was er am Theater und schließlich auch in Filmen gekonnt auszuspielen wusste. Ich bin ihm allerdings erstmalig in Langs FRAU IM MOND und anschließend SPIONE begegnet, wo er ausnahmnsweise keine solche Klischeerolle spielte, sondern mich mit seiner sehr charismatischen Ausstrahlung voll und ganz für sich einnahm und um den Finger wickelte: eine distanziert kühle Haltung unter deren Oberfläche es aber ordentlich brodeln muss. Aawww, ja ... <3
                                              In den paar Filme, die ich anschließend noch mit ihm gesehen habe - und ich tue es seinetwegen gern, selbst wenn der Inhalt mir eigentlich total egal ist -, nahm er anschließend wieder jene Rollen an, die sein Image zur Anfangszeiten seiner Karriere begründete; zusammen mit Lilian Harvey wurden sie zum Traumpaar der neu angebrochenen Tonfilmära in Deutschland. Sämtliche Filme sollen eben auf jene beiden und ihre Liebe zugeschnitten gewesen sein, welche sie glaubhaft verkörperten, um ihr gesamtes Publikum zum Schmachten zu bringen - irgendwo habe ich auch gelesen, dass die beiden tatsächlich liiert waren, doch nach der Machtergreifung der Nazis emigierte Harvey, während Fritsch (leider...) auf Druck von außen Mitglied der NSDAP wurde ( :( ), allerdings eine weitestgehend unpolitische Haltung eingenommen haben soll und ich hoffe doch sehr, dass dem so ist. Immerhin konnte er aber auch nach dem Krieg problemlos wieder Filmrollen annehmen, was ja keine Selbstverständlichkeit war. Emil Jannings (der eigentlich auch zu meinen Lieblingsschauspielern gehört), der sich bedauerlicherweise komplett an die Nazis verkauft hatte, wurde z.B. von den Alliierten sogleich nach dem Krieg ein Berufsverbot auferlegt.
                                              Warum es sich lohnt, den Namen Willy Fritsch wenigstens mal gehört zu haben?
                                              Er ging immerhin in die deutsche Filmgeschichte mit dem Fakt ein, den allerersten Satz im deutschen Tonfilm gesprochen zu haben: "Ich spare nämlich auf ein Pferd." ("Melodien des Herzens 1929) Und ohnehin sollte man seine Filme in den ausgehenden 20ern und beginnenden 30ern nicht unterschätzen, wenn man z.B. sieht, dass beliebte Filmemacher wie Billy Wilder schon mal am damaligen Drehbuch beteiligt waren wie z.B. bei dem Film "Ein blonder Traum".
                                              Warum ich Fritsch allerdings so gern habe ist auch einfach zu erklären: ich liebe die kulturelle Zeit der Weimarer Republik, sowohl Film als auch Musik. Da finde ich besonders das neu aufgekommene mediale Bewusstsein und seine entdeckten Möglichkeiten enorm unterhaltsam, ihre Spielereien in ihrer Begeisterung für die eigene Sache sehr ansteckend. Und Willy Fritsch verkörpert damit einen großen Teil in meiner Wahrnehmung, sogar in seiner Zeit, als es die Weimarer Republik nicht mehr gab. Ich mag ihn auch als Sänger gern. Kostprobe?
                                              http://www.youtube.com/watch?v=4iu-v1FJN98
                                              Nein, eigentlich höre ich sonst ganz andere Musik, aber seine ist mir irgendwie einfach grundsympathisch und in Zeiten, in denen ich einen Durchhänger habe, steckt Fritsch mich mit seiner Leichtigkeit schnell an. Ohnehin soll er privat ein sehr umgänglicher und freundlicher Mensch gewesen sein.
                                              In diesem Sinne: besten Dank, lieber Willy, für Deine Arbeit, der ich mich immer wieder mal gerne widme, weil ich Dich einfach gern hab.
                                              (Und immerhin, sein Sohn Thomas scheint hier auf MP Bekanntheit zu genießen, wohl aber vorallem als Synchronsprecher, den sicher jeder schonmal gehört hat. Er sprach z.B. 'Scar' in "Der König der Löwen" und 'Maximus' in "Gladiator".)

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                                                "God closed my eyes so
                                                I could see only the real
                                                Gwynplaine."
                                                -
                                                Nun, meine beiden Vorkommentatoren haben den "Mann, der lacht" ja schon sehr schön und sehr informativ zu Hintergründen der Entstehung des Films und seiner Technik gewürdigt, wehalb ich mich kurz fassen kann: ein von Paul Leni sehr schön und aufwendig inszeniertes, frühes und gefühlvolles Erzählkino nach einem Roman Victor Hugos, dessen Ende allerdings in seiner Tragik abgeändert wurde und das - meine ich zumindest erkannt zu haben - wohl ebenso stilbildend für historische Kostümfilme geworden ist oder zumindest Einfluss auf dieses Genre hatte. Zeitweise musste ich während des Films an den "Mann in der eisernen Maske", an "Die drei Musketiere" oder auch ein ganz klein bisschen an Lynchs "Elefantenmensch" denken, allerdings mag letzteres am Thema des Films liegen.
                                                In einem ziemlich düster morbiden Prolog, in dem sich Leni typischer Mittel des deutschen Expressionismus bedient, der den Film auch gleichzeitig ein bisschen mit Horrortouch anstreicht, wird erzählt, wie Gwynplaines (der zur Titelfigur werden wird) Vater, ein Edelmann Königs James II., wegen Mejastätsbeleidigung in die 'Eiserne Jungfrau' gesperrt wird und darin zum Tode verurteilt wird, während er noch mitbekommt, dass das Gesicht seines kleinen Sohns von einem Chirurgen entstellt werden soll: fortan soll Gwynplaine mit einem irren und bizarren Dauergrinsen seinen törichten Vater belachen. Nach dieser Tat irrt der Junge ganz allein und heimatlos geworden durch den bittersten Winter, wobei er eine erfrorene Frau findet, die ein Baby im Arm hält, ein blindes Mädchen, das der Junge mitsich nimmt und schließlich Unterkunft bei einem fahrenden Schausteller findet, der das als bizarr hässlich entstellte Gesicht des Jungen und des später jungen Mannes nutzt, um Schaulustige zu unterhalten, obgleich ich die drei Figuren als beinahe familiär zueinander empfunden habe.
                                                Die Schauspielleistungen, allen voran Conrad Veidts, ist in den anderen Kommentaren ja ebenso schon benannt worden. Trotz der Protese in seinem Gesicht, die ihn zu eben jenem Dauergrinsen anhält, schafft Veidt es mimisch großartig all den Schmerz, das Leid, die Trauer, Verletzbarkeit und Sensibilität seiner Figur in sein Gesicht zu legen, vorallem in seine großen und ausdrucksvollen Augen. Gwynplaine, der sich selbst durch seine Entstellung minderwertig fühlt und sich nicht traut, die Liebe der blinden Dea zu erwiedern, weil er sich ihrer nicht würdig fühlt; und Dea selbst, die von Mary Philbin verkörpert wird und dank ihrer Statur, ihrem zarten Gesicht und den hellen Locken etwas sehr Engelhaftes an sich hat und trotz ihrer Bilndheit die wahre und innere Schönheit Gwynplaines längst erkannt hat, der sie als Baby vorm Erfrieren gerettet hat. Hinzu kommt noch Olga Baclanova in der Rolle der Herzogin Josiana, welche Interesse an dem skurrilen und bizarren Schauobjekt gefunden (ganz anders als die Figur der Dea) hat und die für die Zeit des Films eine fast schon unerhörte laszive und erotische Ausstrahlung in den Film hineinträgt.
                                                Kurzum könnte man den "Mann, der lacht" als Film über empfundene Selbstentwertung, Demütigung, den Wert so zarter und verletzbarer innerer Schönheit und Liebe und schließlich das Aufraffen zur Selbstbestimmung und Anklage bezeichnen, der seinen Zuschauer unterhalten und eine altbekannte, aber immer wieder schöne Moral vermitteln möchte. Sehr ansehnlich, stimmig und aufwändig inszeniert, auch wenn ich mir manchmal gewünscht hätte, auf ein paar Zwischentitel zu verzichten und deren Inhalt lieber visuell zu erzählen. Akustisch macht dieser Stummfilm auch bereits Einiges her, wie das Intonieren von Gefühlen mit Instrumenten oder sogar einem Lied und vorallem das zentrale Motiv des Lachens - vorallem das des verletztenden - wird ebenso hörbar gemacht und bildet einen schönen Kontrast zu der stillen Sensibilität der Titelfigur, die zum ewigen Lachen verdammt ist, obwohl sie viel häufiger Tränen in den Augen hat.

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                                                  Ach, wenn ich zu diesem Film schon die allererste Bewertung abgebe, dann kann ich ja auch gleich den allerersten Kommentar zu schreiben.
                                                  Zufällig bin ich nun also über Frank Borzage gestolpert, ohne zu wissen, wer das eigentlich genau ist, am Titel nur hängen geblieben, weil ich die Gelegenheit bekam, einen kleinen Film für Zwischendurch mit der reizenden Janet Gaynor zu sehen.
                                                  Und was sagte mir Google gerade? Frank Borzage war der allererste Regisseur, er einen Oscar gewann? Ui, da bin ich doch mal blind über einen Namen gefallen und neugierig geworden. Wenn ich dazu noch die Worte Dumonts lese
                                                  "[Die Filme] schildern nichts anderes als das Aufkeimen einer Zuneigung, die Suche nach Authentizität, einen inneren Werdegang. Der Poet der liebenden Intimität ist geboren und sein Stoff gefunden: Ein Mann und eine Frau, beides scheinbar hoffnungslose Einzelgänger, Außenseiter, ja sogar Deserteure, überwinden ihre egozentrischen Triebe, um sich im Lauf mehrerer Lebensprüfungen - ob Krieg, Krankheit oder Armut - gegenseitig aufzuwerten. Sie werden gefestigt durch ihre Liebe zueinander. Eine uneingeschränkte, betont unbürgerliche Liebe, die zugleich Objekt und Subjekt von Borzages ganzer Filmographie ist und je nach Story die Zeit, den Raum, möglicherweise den Tod transzendiert." (Quelle: WIKI http://de.wikipedia.org/wiki/Frank_Borzage)
                                                  bin ich doch nun sehr neugierig und werde mir sicher bei Gelegenheit ein paar mehr seiner Filme anschauen.
                                                  LUCKY STAR hat schonmal einen ganz guten Anfang vorgelegt. Eine süße kleine Geschichte/Romanze, die zwischen dem einfachen Farmermädchen Mary und dem durch den Krieg invaliden Tim aufkeimt, wird hier in sehr ruhigen und stillen Bildern erzählt. Das heißt, da ich die sehr expressive Darstellungen des deutschen Stummfilms gewöhnt bin, fällt hier in LUCKY STAR alles sehr viel zurückhaltender aus, was der Geschichte einerseits eine gewisse Authentizität und liebenswürdige Natürlichkeit der dargestellten Personen gibt, andererseits aber doch bisschen die heutigen Sehgewohnheiten herausfordert. LUCKY STAR muss es schaffen, beim Zuschauer eine Empathie für seine beiden Protagonisten aufzubauen, sonst wird sich der Film für den Betrachter doch etwas in die Länge ziehen. Am besten man geht hier völlig ohne Erwartungen heran und wer von sich weiß, dass er mit einem langsameren Erzähltempo - noch dazu in einem Stummfilm - keine Probleme hat, der wird in LUCKY STAR womöglich eine kleine Perle für sich finden können. Vorallem die Momente, in denen die Figuren ganz allein mit ihren Gefühlen im Bild sind, geben dem Streifen eine gewisse Zartheit, in der man sich der Figur emotional nah zu sein glaubt. Hinzu kommt eine ausgesprochen schöne Ausleuchtung der malerischen Kulissen, die das Auge gut bedienen und ich zumindest den Film schon allein deshalb zu Ende schauen wollte, weil mir seine Optik ganz gut gefallen hat. Allerdings kann und will LUCKY STAR sicher keinen hohen künstlerischen Anspruch erheben, sondern bleibt einfach ein kleines Stück Unterhaltungsfilm und ein netter Zeitvertreib. Wer vor diesem Hintergrund mal etwas anderes und zumindest hier auf MP weniger bekanntes sehen will, der sollte LUCKY STAR ruhig eine Chance geben. Ich bin zumindest hierdurch neugierig auf den Regisseur geworden.

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                                                  • Solveig 22.01.2014, 00:22 Geändert 11.09.2014, 20:33

                                                    Der Januar feier so manches Geburtstagskind unter meinen Favoriten - darunter auch meinen persönlichen Lieblingsschauspieler: Conrad Veidt. Ein ganz Wunderbarer, der für mich durch sein stets ausgezeichnetes Schauspiel jedesmal zum Blickfang in einem Film wird und mich durch seine unglaubliche Präsenz in all seine Rollen für sich einnimmt. Das liegt vorallem daran, dass Conrad Veidt für mich ein sehr schönes, weil so markantes und ausdrucksvolles Gesicht hat, welches ihm eine umwerfende Ausstahlung verleiht. Zusammen mit seiner nicht gerade unbescheidenen Größe von 1,90 m und einer eher hageren Gestalt zeichnete ihn wohl gerade dieses Merkmal dazu aus, in seiner Filmographie i.d.R. jene Rollen zu finden, in denen er Schurken und Bösewichte mimt und spielt - den Ruf als "Dämon der Leinwand" hatte er schon recht früh inne. Andererseits zählte Veidt neben seinem Berufskollegen Alfred Abel zu einer auffallenden Ausnahme in der Schauspielriege seiner Zeit: während es damals Sitte war, in Gestik und Mimik betont und sehr ausdrucksstark zu spielen, zeichnete Veidt sich durch eine gewisse Zurückhaltung in seinen Darstellungen aus, was seinem eigenen Charisma eine besondere Note verlieh und ihm durchaus auch die ein oder andere melancholisch-sensible Rolle einbrachte.
                                                    Veidt selbst soll jedoch die Rollen der Bösewichte bevorzugt haben. Er meinte, sich in der Vorbereitungszeit für einen Film mit seiner Rolle intensivst auseinanderzusetzen, sodass die von ihm zu spielende Person inMehrDer Januar feier so manches Geburtstagskind unter meinen Favoriten - darunter auch meinen persönlichen Lieblingsschauspieler: Conrad Veidt. Ein ganz Wunderbarer, der für mich durch sein stets ausgezeichnetes Schauspiel jedesmal zum Blickfang in einem Film wird und mich durch seine unglaubliche Präsenz in all seine Rollen für sich einnimmt. Das liegt vorallem daran, dass Conrad Veidt für mich ein sehr schönes, weil so markantes und ausdrucksvolles Gesicht hat, welches ihm eine umwerfende Ausstahlung verleiht. Zusammen mit seiner nicht gerade bescheidenen Größe von 1,90 m und einer eher hageren Gestalt zeichnete ihn wohl gerade dieses Merkmal dazu aus, in seiner Filmographie i.d.R. jene Rollen zu finden, in denen er Schurken und Bösewichte mimt und spielt - den Ruf als "Dämon der Leinwand" hatte er schon recht früh inne. Andererseits zählte Veidt neben seinem Berufskollegen Alfred Abel zu einer auffallenden Ausnahme in der Schauspielriege seiner Zeit: während es damals Sitte war, in Gestik und Mimik betont und sehr ausdrucksstark zu spielen, zeichnete Veidt sich durch eine gewisse Zurückhaltung in seinen Darstellungen aus, was seinem eigenen Charisma eine besondere Note verlieh und ihm durchaus auch die ein oder andere melancholisch-sensible Rolle einbrachte.
                                                    Veidt selbst soll jedoch die Rollen der Bösewichte bevorzugt haben. Er meinte, sich in der Vorbereitungszeit für einen Film mit seiner Rolle intensivst auseinanderzusetzen, sodass die von ihm zu spielende Person in seinem Inneren selbst heranwachse und aus ihm heraus wolle. »Die sogenannten Bösewichte sind im Grund genommen nicht so schlecht, und wenn ich sie gerne spiele, so ist es nicht darum, weil mir das Zerstörende ihres Wesens liegt, sondern weil ich den Zipfel Menschentum, der im bösesten Bösewicht verborgen ist, zeigen will.«
                                                    Privat galt Conrad Veidt als ein überaus toleranter und weltoffener Mensch mit humanistischen Prinzipien, der die Meinung vertrat, dass man jedem Menschen unabhängig von seiner Nationalität, Religion und Hautfarbe mit Respekt begegnen sollte. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Veidt Deutschland nicht allzu lange nach der Machtergreifung der Nazis verließ, zumal er natürlich auch mitbekam, dass der Druck der Regierung auf Filmeschaffende mit jüdischen Wurzeln, die zu seinem eigenen Freundeskreis zählten, immer größer wurde, obwohl Goebbels selbst mit allerlei sehr großzügigen Angeboten versuchte, einen der beliebtesten Stars überhaupt im eigenen Land zu halten.
                                                    Zu schade, dass Veidt bereits im Alter von 50 Jahren an einem Herzinfarkt verstarb. Er hätte sicher noch in so manch großem Film gespielt. Überhaupt lohnt es sich, sich mit seiner Filmographie auseinanderzusetzen, wenn man filmhistorische Interessen verfolgt. Obgleich er nun kein biblisches Alter erreichte, versetzt mich Veidt in Staunen wie rasch doch die Entwicklung in der Filmbranche voranging; seine erste bekannteste Rolle ist heute gewiss die des 'Caesare' in "Das Cabinet des Dr. Caligari", seine lezte bekannteste wohl die des Major Strasser in "Casablanca".
                                                    Ich kann einfach nur nocheinmal sagen, dass er für mich ein ganz großartiger Schauspieler ist und ich ihn mir auch gern als einen angenehmen Menschen vorstelle, was nach allem, was ich bisher über ihn gehört und gelesen habe, sicher auch nicht so ganz falsch ist. Und da meine Uhr hier nun das Datum 22.01.2014 anzeigt, kann ich diesen Text auch mit einem Herzlichen Glückwunsch zum 121. Geburtstag, lieber Conrad, schließen. Weniger

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