Solveig - Kommentare

Alle Kommentare von Solveig

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    Der folgende Kommentar entstand im Rahmen der "User-Wichtel-Aktion-2014" und möchte Val Vega auf einen kleinen Ausflug in Roman Polanskis Kultfilm mitnehmen, in dem wir einem einzigartig schön inszeniertem Ball der Nachtschwärmer beiwohnen.
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    Lieber Val Vega, da Du mir eine unverbindliche Liste erlesener Filmklassiker zur möglichen Auswahl für den Wichtelkommi geschickt hast und wir inzwischen wissen, dass Dir Filme wie Murnaus und Herzogs NOSFERATU sehr gefallen haben, denke ich, dass Du auch an Polanskis Vampirtanz Deine Freude haben könntest. Also, darf ich bitten? Mach es Dir während der langen Abende der dunklen Jahreszeit wohlig gemütlich mit dicken Socken, Fleecdecke, einem heißen Kakao und frisch duftenden Plätzchen, und so wollen wir uns auf den Weg machen in die schneebedeckten und eisigen Südkarpaten, zusammen mit dem schrulligen, ab und an schon recht senil wirkenden Professor Abronsius und seinem treuen, aber tollpatschigen Lehrling und Gehilfen Alfred (von Polanski selbst und höchstpersönlich verkörpert), der Hals über Kopf sein Herz an die schöne Sarah, die Tochter eines Dorfwirts, verliert, und die von Graf Krolock, der Herr eines nahe gelegenen Schlosses, eines nachts besucht wird, während das schöne Mädchen in ihrem Elternhaus ein Bad nimmt. Während der arme Alfred durch ein Schlüsselloch nur Fetzen des Geschehens wahrnehmen kann, werden wir Zeugen eines Ringens Krolocks mit der Wirtstochter, deren Inszenierung mit wunderbar subtilen und dennoch spürbar erotischen Untertönen gezeichnet ist. Armer Alfred! Verlor er erst sein Herz und jetzt jene, die es ihm gestohlen hat. Aber was wollen er und sein Mentor denn eigentlich hier, an diesem Ort? Urlaubsabsichten wird man hier höchst wahrscheinlich nicht mit sich bringen. Nein. Professor Abronsius verlor durch seinen übergroßen Eifer seinen Lehrstuhl an der Universität Königsberg. Seine Passion? Die dunklen Wissenschaften um die Geschöpfe der Nacht - Fledermäuse sind ja noch ganz niedlich, aber da gibt es noch eine andere Spezies an Nachtschwärmern, die da in dem Schlosse nahe dem Dörfchen in den entlegenen Karpaten hausen. Wollen wir Abronsius und Alfred begleiten? Au ja, das wird ein Spaß, sag ich Dir! Ob sie und wohl willkommen heißen? Weißt Du, was komisch ist? Das Schlösschen scheint ein entlegener und geschlossener Raum mit einer ebensolchen Gesellschaft zu sein. Aber manchmal, manchmal scheinen die Bewohner ihre Gesellschaft durch Dorfbewohner zu erweitern, um das Böse weiter in die Welt zu tragen... ernsthaft? Ich verrate Dir, der Schlossherr macht schon einiges her. Sein stilvoller und ruhiger Auftritt, wenn er vor Dir steht und seine sehr eloquente Art haben etwas sehr - *hüstchen*, muss ich schon sagen - Anziehendes und in seiner großen Bibliothek würde nicht nur Professor Abronsius alle Zeit vergessen. Psst, ich lege die Hand aufs Herz - was spielt das schon für eine Rolle, die Zeit, wenn man doch... die Ewigkeit ... haben... könnte ...? Oh, denn ich glaube, der Graf hat schon so den ein oder anderen Hintergedanken, sich Gäste auf sein Schloss zu holen. Und sieh, ich glaube, Alfred kam dasselbe in den Sinn und er bekommt wohl nicht umsonst weiche Knie. Aber abseits von Graf Krolock und seiner Großzügigkeit gibt es da noch etwas anderes, Verführerisches. Hörst Du das? Psst, ganz leise... da! Oh, eine Frauenstimme gleich einem Sirenengesang, so tief volltönig und vielleicht gar traurig, irrt durch die langen Korridore des Schlosses. Ja, ja, Alfreds Loreley - haben wir sie nicht als die schöne Sarah kennengelernt? Ist sie hier?
    Und mal unter uns, wie gewinnt man als Tollpatsch vom Dienst eigentlich das Herz einer Frau? Ich glaube, Krolocks Sohn, Herbert, ist ein ganz ausgezeichneter Ratgeber, oh ja, nur gib gut acht, denn vielleicht werden Dir seine Ratschläge doch ein wenig zu ... öhm, zu plastisch. ;-) Denn seine wahre Natur...? Ein Spiegel lügt nie, sage ich Dir! Er verbirgt weder die Wahrheit eines Vampirs noch die eines Menschen.
    Überzeuge Dich selbst davon, lieber Val Vega. Wenn Du Dich nicht an einem Film störst, dessen Handlung eigentlich ziemlich überschaubar ist und man sich in ein gemächlicheres Erzähltempo fallen lassen können sollte. Polanskis TANZ DER VAMPIRE orientiert sich noch eindeutig an Konzepten traditioneller Dramen wie man sie im klassischen Theater kennt, sowohl im Aufbau und der Handlungsentwicklung als auch den Merkmalen der Überschaubarkeit von erzählter Zeit (hier zwei Tage), erzähltem Raum (die gesamte Handlung des Films spielt fast komplett im besagten Schloss) und des Figureninventars (und die Anzahl handelnder Figuren ist hier für einen Spielfilm relativ klein) - aber dennoch strahlt der Film ein gewisses Geheimnis für sich aus, das ihm Größe verleiht und dieses wird gewiss durch die gelungene Atmosphäre und die damit einhergehenden aufwendigen und detailverliebten Sets und Kostüme heraufbeschwört. Genrefans werden sich außerdem wohl kaum der überaus liebevollen Art nicht entziehen können, mit der der Film mit Klischees spielt, welche für den Humor dieser - eigentlich - Komödie mitverantwortlich ist, welche sich auch aus Slapstick und Situationskomik ergibt, die aber wiederum erstaunlich natürlich daherkommen und zumindest für ein ehrliches Lächeln beim Zuschauer sorgen und ein schaurig-wohliges Gefühl in seinem Inneren entfacht, hier in diesem Schloss, in der Abgeschiedenheit, inmitten dieser eigentlich in sich geschlossenen Gesellschaft, die uns ihre ganz eigene, morbide Attraktivität vermittelt.
    Und das Wunderbarste? Wir werden Zeugen einer steifen und doch irgendwie so überaus eleganten Tanzveranstaltung im großen Ballsaal, wiegen uns nach festen Regeln mit unserem Gegenüber die Schritte in die Ewigkeit, Nacht für Nacht vielleicht - das ist der TANZ DER VAMPIRE...
    Aber gibt Acht!, denn jene, die nicht in diesen Gesellschaft gehören...
    Für uns Besucher ist diese seltsame und ganz eigene Schönheit wie ein gedrückter Schlaf, Schnee und Winde fallen auf uns und wir greifen vergeblich aus zum Erwachen - da ist es schon passiert! Das, was wir fürchten und was uns gleichzeitig so seltsam unwiderstehlich anzieht...

    21
    • 6 .5

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      Dieser Kommentar ist ein Wichtelgeschenk für Hueftgolde und im Rahmen der "User-Wichtel-Aktion-2014" entstanden. Ich hoffe, Du wirst ihn mögen, auch wenn mich INTO THE WILD thematisch nicht ganz so sehr mitgenommen hat wie anscheinend den Großteil des Forums.
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      - "Der Kern des menschlichen Wesens setzt sich aus unseren Erfahrungen zusammen." -
      Das größte Geschenk des jugendlichen Alters, was mag das wohl sein? Vielleicht ein ganzes Leben, das vor einem liegt, in der eigenen Hand, ein unbeschriebenes Blatt, das es zu füllen gilt, der Platz der eigenen Wünsche, Träume und Ideale, alles beginnt jetzt hier, die Verwirklichung. Ein grenzenloser Himmel wölbt sich über dir und das schmelzende Eis kündigt das Ende des Winters an. Frühling wird es werden, Aufbruch!
      Das, was den 22jährigen Christopher McCandless getrieben hat? Das größtmögliche Stück vom Kuchen der Freiheit? Freiheit verkörpert in den weiten der U.S.A., in der Wildnis der Natur, sich selbst losgesagt von der urbanen Gesellschaft und ihren Werten, die von seinen Eltern so sehr gepflegt zu sein schienen und sich im Laufe des Films als bloßer Schein und Fassade herausstellen, hinter der es weniger ideal aussieht. Und die Ideale des jungen Mannes, der soeben sehr erfolgreich ein Studium abgeschlossen hat? Es sind die Namen Henry David, Leo Tolstoi und Jack London, die hier fallen, an denen Chris vorallem die Absage an das kapitalistische System so sehr bewundert. So spendet er seine gesamten Ersparnisse - eine Summe von $ 24.000 -, vernichtet Identitätspapiere und sämtliche Bankkarten und bricht auf - Into the wild, zum Urzustand menschlichen Seins, das er in der Wildnis sieht.
      Das ist auch eindeutig die Stärke des 2007 von Sean Penn gedrehten Films: wahnsinnig schöne Naturaufnahmen, die sich schon manchmal tatsächlich wie die noch ungeschriebene Weite anfühlen; Entsagung, Freiheit, Urzustand und Selbstverwirklichung, Erfahrung abseits einer materialistischen Gesellschaft hin zum Kern menschlichen Wesens. Bloß vergisst Chris dabei nicht auch eine Kleinigkeit? Dass der Mensch trotz dieses Schritts nicht vor der Tatsache davonlaufen kann, ein Wesen zu sein, das nun einmal auch auf Sozialität hin ausgelegt und auf diese auch angewiesen ist. So hält sich auch Chris für kürzere Zeiträume bei Menschen auf, die am Rande der Gesellschaft leben oder gar ebenso, mit einem Fuß zumindest, aus dieser ausgestiegen sind. Und auch er muss die Erfahrung machen, dass die Wildnis nicht nur eine grenzenlose Möglichkeit bietet, den Urzustand des Menschen zu verwirklichen, sondern die Wildnis dem Menschen nicht weniger feindlich gesinnt ist. Sie ernährt ihn nicht vorbehaltslos und legt ihm nichts zu Füßen, um seine Bedürfnisse zu befriedigen - und kann ein Mensch allein in ihr wirklich ein zu Hause finden? Die stärkste Szene für mich, als Chris einen Elch erlegt, dem er allein dennoch nicht gewachsen ist, obwohl ihm das erlegte Tier allerlei geben könnte: Nahrung, Kleidung, Werkzeug. Da kommt in mir tatsächlich einmal der Gedanke auf von der Vertreibung aus einer Art Paradies, das der Mensch durch seine urbane inzwischen urbane Lebensgewohnheit tatsächlich selbstverschuldet hat und nun die Konsequenzen quittiert bekommt - Chris glaubt, hier an diesem „heidnischen“ Ort abseits der Zivilisation abbrechen zu müssen; ein Überleben sei hier für ihn nicht möglich, ein anderes Ziel jedoch in Sicht: die Wildnis Alaskas. Ob er hier wohl eine andere Erfahrung machen wird?
      Sean Penns Film gilt für die Mehrzahl positiver Kritiken als ein sehr einfühlsame Regiearbeit und so ganz werde ich nicht das Gefühl los, eine Sympathie des Regisseurs für seinen Protagonisten zu spüren, der auch von Emile Hirsch durchaus für sich einnehmend gespielt wird. Auch die Hintergrundgeschichte McCandless‘, die immer weiter durch die Offstimme der Schwester erzählt wird, und welche ebenso die innige Beziehung zwischen Bruder und Schwester offenlegt, mag ein Identifikationsmoment zwischen Publikum und dem „Helden“ der Geschichte zu stiften, bloß hapert es an dieser Stellen bei mir dann doch etwas. Als jemand, der sich generell wenig mit dem amerikanischen Wertesystem anfreunden kann, gleichzeitig aber auch Menschen aus ähnlichen Familienverhältnissen kennt, die für sich eine andere Form des Ausstiegs gefunden haben (welche ich am meisten bewundere - eine Art inneres Exil -), bleibt mir der Film insgesamt dann doch zu positiv auf die Figur Christopher McCandless zugeschnitten. Oftmals werde ich das Gefühl nicht los, die stark empathische Haltung des Films gegenüber seiner Geschichte und seiner Figur stehen ihm selbst im Weg, um mich richtig zu erreichen. So werden Stellen, in denen kritischere Untertöne von McCandless‘ Ausstieg für mich durch Gedanken aus dem Off oder der Dramaturgie des Films auf eine Ebene gehoben, auf der ich meinte, Mitleid für Chris empfinden zu müssen, obwohl eine kritische Haltung hier dem Film mehr inhaltliche Tiefe durch thematische Auseinandersetzung mit seinem Stoff hätte geben können und auch ein differenzierteres Bild seiner Hauptfigur, ihrem Handeln und ihrer Entscheidung gezeichnet hätte. Ein wesentlicher Aspekt, den ich leider etwas vermisst habe, weswegen mich der Film nicht ganz so sehr berühren und für McCandless‘ Weg begeistern konnte wie jene, die sich als seine Anhänger oder zumindest Bewunderer bezeichnen. So vollziehen auch die gut gemeinten Ratschläge jener Menschen, die Chris auf seiner Reise begegnen, einen ziemlich wackeligen Balanceakt zwischen Binsenweisheit und Lebenserfahrung, die manchmal jedoch etwas an Plattitüden kratzt. Vielleicht hängt letzteres aber auch vom Alter des Publikums und ihrem noch vorhandenem Idealismus ab, wie begeistert man jene Ratschläge annehmen kann und wie nahe man sich dadurch der Figur des Christopher McCandless fühlt und ihm nachempfinden kann.
      So bleibt INTO THE WILD für mich persönlich ein schön anzusehender Abenteuerfilm, ein landschaftlich mitnehmendes Roadmovie, bei dem ich mir mehr inhaltliche Differenziertheit gewünscht hätte, um die Sympathie für seine Hauptfigur teilen zu können.

      11
      • 8 .5
        Solveig 06.12.2014, 16:46 Geändert 15.12.2014, 07:29

        "Es ist alles nur meine Schuld, Umekawa. Ich bin dir zutiefst dankbar, aber ich spüre auch schmerzlich meine Liebe zu dir, die ungebrochen in mir weiterlodert. Kannst du nicht verstehen, was in meinem Herzen vor sich geht?
        Sie erzählt die Geschichte und dabei fallen ihre Tränen auf Goldmünzen. Ihre Tränen sind wie der Morgentau, der sich auf die Ginstern setzt.
        Der Glanz eines Menschen hängt oft aber auch vom Geld anderer ab.
        Sie laufen im Sand ziellos dahin, wohin ihre Füße sie auch tragen."

        Eine Empfehlung an alle, die sich schon in Kim Ki-duks leeren Häusern verloren haben und mit Takeshi Kitanos Stil, welcher auch mir hin und wieder etwas zäh scheint, vertraut sind und wissen, dass man für die Geduld irgendwann mit wunderschönen Bildern belohnt wird. Denn abgesehen von dem eigentlichen Inhalt dreier hier erzählter Geschichten über die Liebe und ihren Verlust, ist der Film vorallem eine wunderschöne sinnliche Erfahrung, welche durch Bilder und Kulissen arrangiert wird. Ein farbenvoller und -froher Film (und daher mein kleiner Gruß am Nikolaustag) über ein in Trauer verkehrtes Gefühl, ein wenig im Stile Martin Opitzs bekannter Verse
        .
        „Ach Liebst, lass uns eilen,
        Wir haben Zeit.
        Es schadet uns verweilen
        Uns beiderseit.
        [Die Geschichte Ryokos, die Hiro liebt, welcher ein Yakuza wird.]
        .
        Der edlen Schönheit Gaben
        Fliehen Fuß für Fuß,
        Dass alles, was wir haben
        Verschwinden muss.
        [Die Geschichte Matsumotos und Sawakos.]
        .
        [...]
        Wo du dich selber liebst,
        So liebe mich.
        Gib mir das, wenn du gibst,
        Verlier auch ich.“
        [Die Geschichte Nukis und Harunas.]
        -
        Ein Wagnis, Liebe als das Gefühl zu porträtieren, das Kitano durch seine Bilder im Zuschauer zu evozieren versucht: Bilder voller Farben, Sanftheit, Schönheit, Staunen, Hingabe, Verspieltheit, Rausch, maskiert, Bewegung, Frühjahr, Blüte...
        Auch Matsumoto und Sawako kennen dieses Gefühl, das ihnen genommen wurde. Einander versprochen, soll Matsumoto dem Druck seiner Eltern nachgeben und ein anderes Mädchen heiraten, welche mehr gesellschaftliche Vorteile, und auch solche der beruflichen Karriere, verspricht. Sawako fällt tief. Es ist, als ob die Liebe Flügel verleihe, ein Gefühl, leicht und zart wie ein Schmetterling, ein Gefühl, dessen Schwerelosigkeit sich bis zum Mond am Nachthimmel emporzusteigen vermag, getragen vom sanften Aufwind - gefallen liegt es nun zu Boden, flügellos, unbeachtet, zertreten, überfahren und für immer verloren.
        Eine Rückkehr aus Liebe oder eine Bindung aus dem Pflichtgefühl der Verantwortung?
        Aneinander gebunden ziehen Matsumoto und Sawako und „der edlen Schönheit Gaben fliehen Fuß für Fuß, dass alles, was wir haben verschwinden muss.“ Eine Reise durch Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter, das Aufblühen, Erblühen, Vergehen und Ersterben der Liebe.
        Und auf ihrer Reise durchziehen sie die Geschichte Ryokos und Hiros, Nukis und Harunas.
        Besonders die des jungen Mädchens, welches nun zur älteren Frau geworden ist, gebunden an ihr Versprechen, jeden Samstag hier auf der Bank im Park mit einer Lunchbox auf ihren Freund zu warten, welcher vor so vielen Jahren einen anderen Weg einschlug, nachdem einer Firma, seiner Arbeitsstelle, Konkurs drohte. In einem Anzug wollte er eines Tages zu ihr zurückkehren und seitdem wartet sie hier, immer. Nicht wissend, dass er zum Anführer einer Yakuza geworden ist.
        Eine irgendwie (be-)rührende kleine Geschichte um Abschied, jugendliche Hoffnung, Verlust, Erinnerung, Vergessen und der Erkenntnis so vieler vergeudeter Jahre, doch bleibender Zuneigung und vielleicht sogar eines Wiederbeginns. Die Liebe als Pflänzchen im Rausch der Zeit, die wie der Wind eilt und an ihr zehrt, wartend auf denjenigen, der sie wieder erblühen lässt. Doch das Blatt muss fallen - der Yakuza-Chef erntet nun doch die Früchte seiner Arbeit, die er vergessen schien, die Zeit jedoch nicht. „Es schadet uns verweilen uns beiderseit.“
        Und schließlich die Geschichte des Popsternchens Haruna, die sich der Treue ihres Fans Nuki gewiss sein kann, welcher sein Augenlicht opfert, nachdem Haruna durch einen Unfall entstellt und nicht mehr dieselbe zu sein glaubt. Eine Idealisierung bleibender Treue der Zuneigung, die eigentlich nur eine Schwärmerei zu sein schien, wie man sie für einen Medienstar gewöhnlich in jungen Jahren aufbringt, und die dann doch über diese Flüchtigkeit hinaus in dieser Geschichte Bestand hat, bezahlt abermals durch Verlust. [Obgleich ich gestehen muss, dass diese Geschichte bei mir von allen dreien am schnellsten verblasste, wohl, weil mir Harunas Entstellung nicht so schlimm schien, um Nukis Opfer glaubhaft erscheinen zu lassen - allerdings tat es dem Gesamteindruck des Films auch keinen sehr großen Abbruch.] „Gib mir das, wenn du gibst, verlier auch ich.“
        Und Matsumoto und Sawako? Ihre Geschichte scheint schon längst zu einer Parabel geworden zu sein, die all die sie umgebenden Geschichten verbinden und miteinander verweben; durch Frühling, Sommer, Herbst und Winter, hindurch durch das Aufblühen, Erblühen, Vergehen und Ersterben der Liebe.

        14
        • 9
          Solveig 30.11.2014, 13:12 Geändert 13.12.2014, 15:05

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          Dieser Kommentar ist ein Wichtelkommentar im Rahmen der "User-Wichtel-Aktion-2014" für Filmliebhaber jp@movies.
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          Augenrund zwischen den Stäben.

          Flimmertier Lid
          rudert nach oben,
          gibt einen Blick frei.

          Iris, Schwimmerin, traumlos und trüb:
          der Himmel, herzgrau, muß nah sein.

          Schräg, in der eisernen Tülle,
          der blakende Span.
          Am Lichtsinn
          errätst du die Seele.

          (Wär ich wie du. Wärst du wie ich.
          Standen wir nicht
          unter einem Passat?
          Wir sind Fremde.)

          Die Fliesen. Darauf,
          dicht beieinander, die beiden
          herzgrauen Lachen:
          zwei
          Mundvoll Schweigen.
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          SPRACHGITTER von Paul Celan
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          Paul Celan, einer der bekanntesten Vertreter der sogenannten hermetischen Lyrik, verstand es wunderbar, eine Sprache für die Sprachlosigkeit und ihres Unvermögens zu finden - in einer Zeit, die er selbst erlebte, eine Zeit, die die tiefste Dunkelheit - und Abwesenheit? - des Menschseins heraufbeschwor und vielen auch noch womöglich als Schreckgespenst durchs Bewusstsein und durch die Lande zieht. - Nach Auschwitz sei es barbarisch, noch ein Gedicht zu schreiben, meinte Adorno. Worte finden - für was eigentlich? Ist das nicht gefährlich? Worte zu finden bedeutet schon, etwas einen Sinn zu geben. Welchen Sinn sollte aber der Holocaust haben? Worte, wo seid ihr? Gezeiten des Schweigens. Wäre es nicht ein Verbrechen, den Holocaust zu erklären? Zu verstehen? Elie Wiesel selbst - Friedensnobelpreisträger von 1986, Überlebender Auschwitzs und Buchenwalds, einer der ersten, der das Schweigen mit seinem viel zitierten Roman „Die Nacht“ brach und in weiteren Publikationen sein Erlebtes verarbeitete - meinte eins, vielleicht werde er irgendwann in diesem Leben verstehen können, wie Menschen in der Lage sein können, sich gegenseitig so etwas wie Auschwitz antuen zu können, aber er bete dafür, dass er niemals verstehen möge, wie es sein könne, dass Gott dies zuließ.
          Aber was, wenn der Holocaust ganz im Nebel des Schweigens verschwindet. Macht man sich strafbar, diesem Verbrechen einen Sinn zu geben oder nicht viel mehr, die Opfer einen zweiten, nicht weniger grausamen Tod ein zweites Mal erleiden zu lassen? Es ist eine Sache, über die man nicht sprechen kann und erst recht eine, über die zu schweigen unmöglich ist. Vorallem in den 60ern wurden Stimmen der unangenehmsten Fragen nach dem „warum?“ immer lauter und immer größer die Bemühung, für den Holocaust eine eigene Sprache zu finden, die den Überlebenden zum Mahn- und Denkmal werden sollte. „Démanty Noci“ ist in meinen Augen ein filmischer Beitrag zum Diskurs seiner Zeit und als solcher ein sehr gelungener. Warum ich mit Paul Celans Versen den Kommentar zu diesem Film eröffnete? Ich denke, sie haben eine ähnliche Struktur - zumindest hatte ich während des Films ständig Celan im Ohr und auch „Démanty Noci“ wird man eine gewisse hermetische Lyrik nicht absprechen können. Wir folgen zwei Jungen, die auf der Flucht sind - auf Waldwegen und auf den Straßen einer Stadt. Wer sie sind, woher sie kommen, das wissen wir nicht genau. Wir folgen ihnen in sehr dichten Nahaufnahmen ihrer gebeugten Oberkörper mit einer unruhigen Kamera; fragmentarische Rückblenden gaukeln vor, wir würden etwas mehr über sie erfahren, aber eigentlich wissen wir nur, dass sie Fremde sind, fremd überall. Getrieben von Hunger stolpern sie auf ihren Fluchtwegen - ob sie noch leben werden? Wenigstens hätten die Ameisen eine Beute, wäre dem nicht so. Eine morbide Stimmung durchzieht den Film immer wieder. Ruhe. Ausruhen. „Komm näher zu mir“, „Setz dich zu mir“ bittet der eine Junge den anderen.

          (Wär ich wie du. Wärst du wie ich.
          Standen wir nicht
          unter einem Passat?
          Wir sind Fremde.)

          Die Flucht verliert ihren Weg. Schnitte und das Arrangement der Bilder werden verwirrender, verwirrend wie es die Welt geworden sein muss, in der man fremd ist - schon immer fremd war? Der Film löst das Konzept von Zeit und Raum völlig auf. Geschieht dies, was die Jungen sehen, wirklich? Spielt ihre Phantasie ihnen einen Streich? Ihre Angst? Ein Begehren? Jemanden Töten? Für ein Stückchen Brot? Brot - bitte, nur Brot. Und vielleicht ein wenig Milch? Nährendes, Grundlegendes?

          Wir sind Fremde...

          Nicht einmal Brot und Milch können die Jungen bei sich behalten.
          Sie werden gejagt. Sie sind auf der Flucht. Sie sollen deportiert werden. Sie fliehen. Vor wem? Vor den Deutschen? Aber, ... aber die Männer sind alt und „deutsch“ sehen sie überhaupt nicht aus. Aber sie jagen. Mit Gewähren. Tiere oder Menschen? Gibt es da überhaupt einen Unterschied?

          Die Fliesen. Darauf,
          dicht beieinander, die beiden
          herzgrauen Lachen:

          Sie lachen. Sie sprechen Deutsch? Sie feiern ihre Jagd, die Jungen wurden ... gefangen? ... erschossen?

          zwei
          Mundvoll Schweigen.

          Geschwiegen wird in dem Film übrigens viel, Dialoge gibt es nur wenige. Aber Deutsch hört man viel. Gesprochen nicht von Bestien, gesprochen von Menschen in Gesellschaft. Aber warum jagen sie und was jagen sie - ob Tiere oder Menschen, die Frage ist egal. ... aber da an der Wand, da hängt ein Schild, auf dem zu lesen ist „Streut Blumen der Liebe bei lebender Zeit und bewahred einander vor Herzenleid.“ Es wird absurd. Und immer wieder die fliehenden Straßen, Waldwege, die Unruhe, immer mehr nimmt sie zu - und immer wieder dieselben Bilder, die allmählich unangenehm, ja beinahe bedrohlich werden, denn allmählich beginnen sie Fragen zu stellen. Wo bist du? Ist das hier echt? Kann das sein? Würden Antworten eigentlich überhaupt einen Unterschied machen? Ist Schweigen nicht die alleinige Antwort, die gilt. ... und immer wieder diese freundliche, deutsche Stimme, prosten und lachen - und ein Schuss und Glückwünsche.
          Und hier könnte ich wieder Celans Gedicht zitieren.
          „Démanty Noci“ ist nicht unbedingt ein einfacher Film, aber einer, der seine Thematik und den Diskurs seiner Zeit ernst nimmt. Ein Versuch, eine neue Sprache des Sprachlosigkeit, des Nichtverstehens, des Absurden, der Verzweiflung und des Schweigens zu finden. Sinnzusammenhänge werden vollständig aufgelöst, Bildarrangements wiederholt. Der Film beginnt im Schweigen und im Verlorenen unangenehme Fragen nach dem Menschsein zu stellen, jedem, der sich nicht hiervor verschließt und den assoziativen Bildern und ihrer Struktur nachgeben kann.
          Ein wunderbares Stück hermetischer Lyrik auf Film gebannt und für mich etwas ganz Besonderes, ein Film, den ich Dir, lieber Jens, ans Herz legen möchte. Ich bin mir sicher, Du wirst es nicht bereuen, ihn einmal gesehen zu haben.

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          • Mal wieder eine schöne, aufwendige Liste. :)
            Ich glaube, bei Brokeback Mountain bemängeln die Meisten als Minus, dass der Film nur so gute Kritiken bekommen hat, da er die Liebe zweier Männer zueinander thematisiert, jedoch eigentlich ein ziemlich durchschnittlicher Liebesfilm fürs Kino ist: wäre das eine Geschichte zwischen einem Mann und einer Frau, die sich aus irgendwelchen Gründen nicht lieben dürften, würde kein Hahn nach dem Film krähen.
            Bei der "Passion Christi" fand ich es vorallem so schwach, dass Mel Gibson sich offensichtlich überhaupt nicht mit der Botschaft der Passion auseinandergesetzt hat. Abgefilmte, exzessive und ausufernde Gewalt fand ich persönlich sehr ermüdent.
            Und Titanic hat man mir persönlich damals, als der Film frisch im Kino lief, kaputtgehypt. Aber das interessiert vermutlich niemanden. ;)

            5
            • 8 .5

              Ich stehe hier am Strand,
              deren Bank
              die Wellen brechen.
              .
              Über mir
              die weite Mär'
              aus Wolken aufgetürmt.
              .
              Ich stehe hier auf rauem Boden,
              der mich einst genährt,
              ist mir nun Feind geworden.
              .
              Ein wunderbarer und rätselhafter Film ist Swjaginzews 'Woswraschtschenije' geworden, über dessen Bedeutung sich der Regisseur bis heute beharrlich ausschweigt und das ist gut so, denn jede fest vorgegebene Interpretation würde dem Film die Vielschichtigkeit seiner Bedeutungsebenen rauben. Dabei scheint die Geschichte an sich eigentlich ganz einfach, wird sie doch auch sehr geradlinig erzählt, wartete jedoch mit dem Merkmal auf, das ich in Filmen immer am meisten schätze: Subtilität. Die unheimliche Spannung zwischen dem Vater und seinen Söhnen wirkt sich sehr unbehaglich auf den Zuschauer aus. Der Plot ist sehr fein von symbolischen Elementen durchzogen, die sich nahtlos in ihn hineinfügen und den Zuschauer somit nie lautstark und ohrenbetäubend anschreien - eine Wohltat, die ich stets zu schätzen weiß. Und ein Mysterium, zu dem die nächsten 106 Minuten dank ihrer Bildgewalt - die raue Lanschaft des Drehorts haben etwas sehr Bedrohliches - und Andrej Dergatschews sehr dezenter und unaufdringlicher Musikkomposition werden. Und nicht zuletzt natürlich Konstantin Lawronenko in der Rolle des strengen, herrischen und unerbittlichen Vaters, den ich aber bei Weitem nicht als so einseitig empfunden habe, wie diese unvollständige Titulierung vorgaukeln mag. Liegt vielleicht auch daran, dass ich mich selbst daran erinnert fühlte, dass mir als Kind strenge Erwachsene als Autoritätspersonen beinahe immer die liebsten waren, gaben sie mir oft eine gewisse Sicherheit und das Bewusstsein zumindest deutlich zu wissen, woran ich bei ihnen bin und was von mir erwartet wird - das aber mal nur so am Rande - und auch gleichzeitig als Überleitung.
              Ich habe für mich den besten Zugang zu 'Woswraschtschenije' gefunden, indem ich den Film als ein kraftvolles Coming-of-Age und Psychodrama aufgefasst habe. Da solle man einer sagen, es sei doch schön, Kind zu sein: keinerlei Sorgen und Nöte, die einen quälen. Wie oft vergisst man hierbei aber, dass schon kleine Kinderseelen komplexe, tiefe Gewässer sind, die man schnell verstümmeln kann, wozu es noch nichtmal physischer Gewalt bedraf.
              Auch Iwan (12) und sein Bruder Andrej (14) befinden sich in einer sensiblen Phase ihres Lebens: dem Übergang vom Kindsein in eine ungewisse Zukunft, welche nicht selten mit Spannungen und Unsicherheit einhergeht und mit zur größten Herausforderung wird, die man in diesem Alter zu meistern hat. Von der Geborgenheit des Elternhauses - hier durch die Mutter (Natalia Vdovina) verkörpert - zieht es einen allmählich weg und schon bald wird man sich in der weiten Welt dort draußen selbst zurechtfinden müssen. Da taucht plötzlich nach zwölf Jahren der Vater auf, eine Figur, mit der der Film bei mir zuallererst den Schlüssel zur freud'schen Deutung öffnete, mit welcher 'Woswraschtschenije' aber auch gleichzeitig auf interessante Weise spielt. Andrej scheint als etwas ältere Bruder auf den ersten Blick schon "mannhafter" zu sein als der kleine Wanja, doch beim Auftauchen des Vaters und ihrem gemeinsamen Ausflug ist es gerade er, der sich dem strengen Vater fügt und widerstandslos agiert, um sein Wohlgefallen zu erlangen, während sein jüngerer Bruder, welcher die Mutprobe zu Beginn des Films nicht bestanden hat, dem Vater trotzt und misstraut - so bisschen schwebte in meinem Hinterkopf der Ödipuskonflikt umher, wobei dieser als Deutungsfolie allein nicht ausreicht, zumal Iwan mit seinem Vater nicht in sexueller Hinsicht buhlt, aber denn werde ich im Laufe ihres anstehenden 7-Tage-Trips das Gefühl nicht los, dass eine gewisse Rivalität zwischen dem Vater und seinem jüngeren Sohn steht.
              Der vordergründige Angelausflug stellt sich für mich als Initiationsreise zum Erwachsenwerden heraus, für den sich 'Woswraschtschenije' an Symbolen bedient, die mir vornehmlich aus der älteren - sprich: antiken und mittelalterlichen - Literatur bekannt sind und dem Film seine archaische Kraft geben: vorallem wenn man sich in der Geschichte auf Iwan konzentriert, dem die Aufgabe zukommt, den Vater zu überwinden, welcher für die strenge Ordnung, Rationalismus und Willensstärke steht. Ihm werden unter anderem auch die (phallischen) Attribute Turm und Schwert zugeschrieben. gerade letzteres könnte zweischneidiger nicht sein, denn es steht für Schutz und Obhut, aber auch für Gewalt - und das werden Iwan und Andrej ebenfalls erfahren. Iwan, der Suppe und Brot vom Vater ablehnt und auf das Angeln besteht; Iwan, der solange stur und trotzig in seinem Verhalten bleibt, dass er vom Vater aus dem Auto verwiesen wird und gefühlte lange Stunden allein und einsam auf einer Brücke ausharren muss, bis starker Regen aufkommt und der Jungen eine gefühlte Ewigkeit bis auf die Haut durchnässt zurückgeblieben ist, ehe sich der Vater erbarmt, zurückzukommen und seinen Jüngsten wieder einzusammeln mit der Aufforderung, sich trockene und warme Sachen anzuziehen.
              Der Aufenthalt auf der Insel, dem Reiseziel, das letztendlich vom Vater festgelegt wurde, wird zu einer Zeit der Bewährung. Unter der strengen Obhut des Vaters gelangten die Jungen hier her und überquerten noch mit seiner Hilfe den Weg vom Festland zu einer Insel - und hier werden sie sich von ihm lösen. Spätestens dort, wenn sie allein zum Angeln hinausfahren wollen gegen den väterlichen Willen, der erst einlenkt, nachdem er ihnen eine Zeit vorgab, zu der sie wieder bei ihm sein sollen.
              (Ab hier SPOILER:)
              Iwan überredet seinen Bruder etwas länger auf dem Wasser zu bleiben. Zur Belohnung gelingt es ihm, mit einem bersonders großen Fisch zurückzukehren, doch der Vater ist für diesen Erfolg blind und gerät in Rage darüber, dass seine Söhne nicht die vorgegebene Zeit eingehalten haben, die sich auf Andrej entlädt, dem er seine Uhr gab. Unter den Ohrfeigen seines Vaters weckt sich nun auch beim älteren Bruder der Trotz, der sich in der Provokation äußert, dass der Vater ihn doch umbringen solle - aber Andrej, der die mannhafte Mutprobe am Anfang des Films bestanden hat, unterliegt dem Patriarchen. Nicht so Iwan, der seinen Vater in diesem Augenblick mit einem Messer bedroht. Iwan, der seinem Vater die gesamte Zeit aber Misstraute und womöglich sogar hasste, wird ihm doch nicht ganz ähnlich, denn er wirft das Messer fort und flieht, besteht jetzt erst die Probe, was ihm zu Beginn des Films aus Angst verwehrt wurde und überwindet schließlich den Vater endgültig.
              Auf sich allein gestellt müssen die Jungen nun den Weg zurückfinden, ankommen, heimkommen. Ein Foto bezeugt noch ihre behütete Kindheit, doch der Vater ist verschwunden, der Patriarch. Ab jetzt werden sie selbst zurechtkommen müssen.
              -
              Was sich hier womöglich noch nach einem netten Ausflug anhört, findet sich in der unwirtlichen und rauen Landschaft Nordrussland wieder und entpuppt sich als eine Fahrt, deren Rückkehr ungewiss bleibt. Ein spannungsvoller Lebensabschnitt liegt hinter Iwan und Andrej, deren Bedrohlichkeit fängt 'Woswraschtschenije' wunderbar, intensiv und eindringlich mit jenen Landschaftsaufnahmen ein.
              Ich will aber noch anmerken, dass der Vater in dem Film für mich keineswegs nur "das Böse" oder dergleichen verkörpert. 'Woswraschtschenije' gibt ihm noch ein Geheimnis mit, welches jedoch unergründbar bleibt: ein (Schatz?-)Kästchen, welches jedoch mit dem Vater unwiederbringlich verschwindet und die Frage im Raum bleibt, was es mit dem Vater eigentlich aufsich hatte, woher er plötzlich kam und was der eigentliche Beweggrund für ihren Ausflug war. Der Vater verkörpert Härte, diese scheint sogar unerbittlich, aber auch einen gewissen Sinn für Gerechtigkeit und Erbarmen, Sorge und Geborgenheit, auf eine ganz eigene, patriarchalische Weise ausgelebt.
              So enststeht 'Woswraschtschenije' für mich zu einem Gleichnis des Erwachsenwerdens und Überlebens in einer rauen Welt, die einen nicht freiwillig Willkommen heißt - und würde man diese Gedanken noch etwas weiter spinnen, käme man sicherlich auch auf noch abstrakte Bedeutungsebenen, die 'Woswraschtschenije' letztendlich zu einem absolut spannenden Film machen, dessen Auseinandersetzung sich sehr lohnt.

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              • 9

                Ja, ein Gespenst geht um in Europa - lange schon - und hinterlässt nahezu überall seine Brandherde, sodass es schließlich auch in Russland ankommen musste. Hier brodelt es, zerschlagen liegt die Uhr auf dem Boden des familiären Hauses, zerschlagen familiäre Banden, zerschlagen die Zeit selbst - siehe, Altes ist vergangen, Neues ist geworden... und mit was für einer enormen Wucht. Russland war aber auch spät dran damit, nicht so aber in Sachen Film, wo eine Revolution schon ganz am Anfang der Geschichte dieses Mediums stand. Mal ehrlich, schade, wenn Leute diese Filme verweigern, weil sie befürchten, danach zu glühenden Kommunisten zu werden, die nicht mehr fähig sind, kritisch mit gesellschaftlichen und politischen Ideologien umzugehene. Ich empfinde russische Filme dieser Zeit viel mehr als Zeitzeugen und in Sachen ihrer Dynamik, Schnitt, Montage und vorallem Bildgewalt - allesamt auf hohem, visionärem Niveau - macht ihnen da keine Nation so schnell etwas nach. Und dabei steht Pudovkin Eisenstein in nichts nach und trotzdem gelingt ihm etwas ganz Großartiges: die visuelle Schlagkraft seines Kollegens vorweisen zu können und dennoch mit einer Bildmontage DIE MUTTER zu einem lyrischen Stück Filmkunst mit wunderschönen metaphorischen Bildern zu kreieren, die auf mich sogar in gewisser Weise handwerklich noch reifer wirkt und ich am Ende mit dem Unterkiefer auf dem Tisch vor dem Film sitze. Die Bilder der im Frühjahr marschierenden Revolutionäre und die Kraft des aufbrechenden Flusses, der sich von dem Eis befreit, das ihn solange bedeckt hielt, werde ich sicher nie vergessen. Und dazwischen sicher eine Geschichte um eine Frau und einen jungen Mann, wie sie emotional wohl kaum mehr unterfüttert sein könnte: Mutter und Sohn, die zu einer tragischen Parabel ihrer Zeit werden.
                Wunderschöner Film, bei dem es mich traurig stimmt, dass den nur 10 User hier bewertet haben. Andererseits bekommt DIE MUTTER dadurch womöglich die Durchschnittswertung, die der Film auch wirklich verdient hat.

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                • Dritte Krone für Jenny; Glückwunsch. :)
                  Auch wenn ich mich an Deinen Zweitwohnsitz noch gewöhnen muss und lieber einen anderen Film für diese Auszeichnung hier gesehen hätte. Die Auswahl unter Deinen Kommentaren ist ja groß genug, um den "Kommentar der Woche" auszufüllen. :)

                  9
                  • 3

                    Wow, 'The Fountain' hebt die Messlatte für meine filmische Kitscherfahrung ebenfalls auf ein neues Level. Aber wenigstens kann man mir nicht nachsagen, ich würde es mit Aronofsky nicht versucht haben, was sicher auch seiner sehr überschaubaren Filmographie zu verdanken ist, in der sich seine Werke für mich zwischen nicht Überzeugendem (Black Swan) zu kurzweiligem "in Ordnung" (The Wrestler) erstrecken oder sogar zu gar nicht mal Uninteressantem (Pi) reichen.
                    Ich kann mir schon vorstellen, dass dieser Film hier auf manche berührend wirkt, nur macht es sich Aronofsky dabei aber auch sehr einfach; der verzweifelnde Jackman, die schöne Weisz, ein Score, der beim Zuschauer aufdringlich das richtige Gefühl einschalten soll und sich Themen nähert, die bei den meisten Menschen eine ewige Sehnsucht wecken. Letzteres zu bebildern finde ich dann aber ziemlich unoriginell und uninspiriert. 'The Fountain' wirkt, alsob Aronofsky in einem fernöstlichen, nordischen und lateinamerikanischen Bilderbogen geblättert und von dort seine Ideen übernommen hätte. Das Ergebnis: konventionelle und halbgare Mythenvorstellungen, durch die der Zuschauer dank des Scores und der existenziellen Themen der Menschheit durchgeschoben wird.
                    Mein Geschmack war The Fountain aber leider nicht.

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                    • 9 .5

                      Ein Ritter zog ins Heilige Land
                      Sein Seelenheil er dort zu glauben fand
                      Sein Leben daheim erschien ihm zu gut
                      Der arme Tor!
                      Auf diesem Zug
                      Er Vieles Verlor
                      Verlor die Gewissheit auf Seelenheil,
                      Verlor die Gewissheit wer er selbst da sei,
                      Verlor das Vertrauen in diese Welt,
                      Verlor all Garantie, die ihn am Leben hält.
                      Seine Herrin verließ er in der Blüte des Lebens
                      Besang ihre Schönheit, und das nicht vergebens:
                      Voll Lachen und Frohsinn war ihr Streben.
                      Doch Jahre vergingen
                      Er fort von daheim,
                      Die Such' musst' misslingen.
                      Er fand nur die Predig vom Strafgericht
                      Doch das Leben geheim -
                      Sein Gewissen dies bricht.
                      Verschwunden ist auch
                      Das herrliche Licht
                      Welches uns bedingunglose Liebe verspricht.
                      Aber - ach! - Ritter Antonius Block
                      in all deinen Hoffnungen
                      steckt nun ein Pflock.
                      Wie in Händen und Füßen desjenigen da
                      Der predigte vom Himmelreich,
                      Das doch unter uns sei.
                      Ach, lieber Antonius, vergessen du hast
                      Innezuhalten bei deiner Jagd ohne Rast.
                      Wie glaubtest du aber auch
                      - Bei all den Schatten! -
                      Halbeingelöste Versprechen geltend zu machen?
                      Wie konnte dir da aber auch zuteilwerden,
                      Dass das Schönste hier auf Erden
                      Sei Liebe und geliebt zu werden?

                      "Wenn etwas vollkommen ist in dieser unvollkommenen Welt, dann ist die Liebe am vollkommensten in ihrer unvollkommenen Vollkommenheit."
                      ----------------------------
                      "I hope I never get so old I get religious." - Ingmar Bergman
                      ----------------------------
                      Richtig so, lieber Bergman. Je mehr wir dem Sinn des Lebens hinterherjagen, desto mehr entfernen wir uns davon. Unsere eigene Schuld, wenn wir das Leben so krampfhaft suchen, obwohl es nichts weiter ist als Spiel und Tanz mit dem Tod - je mehr wir ihm hinterherjagen, desto schneller verlieren wir es. "Wer ist wie Gott?", diesen sprechenden Namen gabst Du dem kleinen Sohn des Gauklerpaares, welches Du voller Wärme und so liebevoll geschrieben und in Szene gesetzt hast. Was gibt es darauf schon für eine Antwort? Aber das Gauklerpaar, dem du kindliche Neugier und Naivität in ihren Charakter gelegt hast - die das Strafgericht als das sehen, was es letztendlich bei den Pfaffen ist: ein Spiel, und nichts anderes, sowie das Leben auch -, die erinnern mich immer so ein bisschen an...
                      "Zu derselben Stunde traten die Jünger zu Jesus und fragten: Wer ist doch der Größte im Himmelreich? Jesus rief ein Kind zu sich und stellte es mitten unter sie und sprach: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. Wer nun sich selbst erniedrigt und wird wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich. Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf." (Mt 18, 1-5)
                      Oder aber noch schöner und passender:
                      "Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte wie ein Kind und urteilte wie ein Kind. Als ich ein Mann wurde, legte ich ab, was Kind an mir war.
                      Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin.
                      Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe." (1Kor 13, 11 - 13)
                      Ich danke Dir jedenfalls für Deinen schönsten, weil warmherzigsten Film und dafür, die Last zu nehmen, allem und jedem Geheimnis dieses Lebens wie elenden Schatten hinterherjagen zu müssen, auf die wir in diesem Leben sowieso keine Antwort bekommen und schließlich von der peinigenden Angst eingeholt werden, es verschwendet zu haben.

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                      • Interview: "Mir fiel auf, dass Ihre Schauspielerinnen das Recht haben, zu altern und alt zu sein. Marcels Frau heißt Arletty [aus dem Film 'Le havre'], so wie die berühmte französische Schauspielerin der 1930- und -40er. Kati Outinen spielt diese stille, stolze Frau. Seit Jahrzehnten gehört Outinen zu Ihrer Filmfamilie."

                        Kaurismäki: Ich habe in meinen Filmen nie Make-up verwendet bei den Darstellern. Höchstens wird ihnen mal die Nase gepudert. Ich nutze Würde anstelle von Make-up! Die Leute sollen bei mir so authentisch, so ehrlich wie möglich aussehen.

                        >>> Deswegen mag ich seine Filme inzwischen auch so gern - ganz besonders wenn Outinen und Pellonpää gemeinsam gespielt haben.
                        Kaurismäkis Filme sind nicht nur wortkarg, kalt und schwarzhumorig - einige davon empfinde ich hinter der Fassade sogar als ungemein zärtlich.
                        .... und bissi lästern kann man mit dem Finnen auch.

                        Interview: Diese Art des Umgangs mit Schauspielern ist sehr selten geworden [bezog sich auf Kaurismäkis oben zitierte Antwort]. Die Figuren in Hollywood-Filmen ähneln einander mitunter bis zum Verwechseln, ganz gleich ob sie nun brünett oder blond sind.

                        Kaurismäki: Plastik ist eben für das Plastikgeschäft da.

                        Quelle: http://www.fr-online.de/kultur/aki-kaurismaeki-ich-nutze-wuerde-statt-make-up,1472786,10840632.html

                        >>> Aber hier könnte man ja jetzt ohnehin eine ganze Zitaterunde eröffnen. :-)

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                        • 9
                          über Stalker

                          "Es wurde uns gelehrt -
                          wir stehen an der Schwelle. Dies ist der wichtigste Moment Ihres Lebens.
                          Sie müssen wissen, dass hier in diesem Raum Ihr geheimster Wunsch in Erfüllung geht; der aufrichtigste, was Sie am meisten ersehnen. Sie brauchen nicht zu sprechen. Sie müssen sich nur - sich innerlich öffnen und sich bemühen, Ihr ganzes Leben bereit zu halten.
                          Wenn ein Mensch des öfteren die Vergangenheit überdenkt, dann wird er gütiger, und vorallem ... vorallem ... er glaubt. So, nun gehen Sie..."

                          Gehen Sie, begeben Sie sich auf eine Reise, auf eine Reise mit dem Stalker, eine Reise wohin? Nun, eine Reise zum Menschen... Individuum? Gebunden an Pflicht, Moral, Gesellschaft, Familie. Das Erhabendste und Klügste? Der Mensch?
                          Er klügelt sich nicht durch das Leben, er geht hindurch. Er denkt nicht über sich, er erlebt sich. Er ist nicht un-, nicht übermenschlich, er ist nur Mensch, feige und stark, gut und gemein und herrlich, wie ihn Gott aus der Schöpfung entließ. So sind ihm alle Dinge, deren Kern, deren richtiges Wesen er zu schauen gewohnt ist, nahe.
                          Oder?
                          Tarkowskis beinahe überstrapaziertes Zitat (weil man es für meinen Geschmack zu inflationär gebraucht) will ich hier dann doch mal bringen: wir schauen nur, aber wir sehen nicht.
                          Eine Reise mit dem Stalker, tief ins Innere, umgeben von einer zerstörten Welt, in der das Menschsein etwas Ausgestoßenes ist, heimatlos, ängstlich, zwischen hochtrabender Kunst und aufklärender Wissenschaft, hin- und hergerissen, die beide an ihm ziehen, von ihm zehren. Der Mensch zwischen Einsamkeit, Elend, inmitten des Weltschmerzes. Ein Ausgestoßener der Schöpfung.
                          Gehen Sie mit dem Stalker auf eine Reise, der Mensch... Er denkt nicht über sich, er erlebt sich. Er ist nicht un-, nicht übermenschlich, er ist nur Mensch, feige und stark, gut und gemein und herrlich. So sind ihm alle Dinge, deren Kern, deren richtiges Wesen er zu schauen gewohnt ist, nahe.
                          Oder anders gesagt: sie werden ihm nahe. Womöglich das, weshalb dieser Film bei den ersten Begegnungen so fordernd ist: er bohrt sich dem Zuschauer ins Bewusstsein, immer, immer tiefer, stellt an dessen Wesen Fragen in oft kryptischer Symbolik, bohrt sich so tief hinein, dass es beinahe nicht zu ertragen ist und die Zone, sie schließt sich immer enger um einen, bis der Mensch in seiner Einsamkeit beinahe zerbricht. Aber...
                          "Möge sich erfüllen was begonnen wurde. [...] Und vor allem, mögen sie an sich selbst glauben und hilflos werden wie Kinder. Denn Schwäche ist etwas Großes und Stärke gering. Wenn ein Mensch geboren wird, ist er schwach und biegsam. Wenn er stirbt, ist er fest und hart. Wenn ein Baum jung ist, ist er zart und biegsam, aber wenn er trocken und starr wird, stirbt er. Härte und Stärke sind Gefährten des Todes. Biegsamkeit und Schwäche bekunden die Frische des Seins. Deshalb kann nichts siegen, was verhärtet ist."

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                          • Solveig 21.09.2014, 12:26 Geändert 22.09.2014, 08:52

                            Meine Tarkowskizwischenbilanz nach vier gesehenen Filmen. Bisauf seinen ersten Langfilm, der schon in der besonderen Bildästhetik seinen anderen Filmen in nichts nachsteht, habe ich mir an seinen anderen Titeln bei jeder Erstsichtung ganz schön die Zähne ausgebissen. Für jeden brauchte ich mindestens zwei, für "Stalker" sogar drei Anläufe, um sie bis zum Schluss durchzusehen. Und da ist er dann immer da, DER eine Schlüsselsatz, der fällt und der plötzlich die gesamten Filme öffnet, die einem soviel zurückgeben:
                            .
                            STALKER
                            ---------------
                            "Ich weiß, Sie werden ärgerlich sein, aber trotzdem muss ich es Ihnen sagen. Es wurde uns gelehrt, wir stehen an der Schwelle. Dies ist der wichtigste Moment Ihres Lebens. Sie müssen wissen, dass hier in diesem Raum Ihr geheimster Wunsch in Erfüllung geht, der aufrichtigste, was Sie am meisten ersehnen. Sie brauchen nicht zu sprechen, Sie müssen sich nur - sich innerlich öffnen und sich bemühen, ihr ganzes Leben frei zu halten."
                            .
                            DER SPIEGEL
                            ---------------------
                            "Einen Körper hat der Mensch, einzig und unwiederholbar. [...] und sie [die Seele] hört durch ihres lebenden Gefängnisses der Wälder und Felder Rasseln, die Trompete der sieben Meere. [...] Ich träume von einer anderen Seele im anderen Gewand."
                            .
                            ANDREJ RUBLJOW
                            -----------------------------
                            "Liebe übt Nachsicht.
                            Liebe handelt in Güte.
                            Liebe eifert nicht.
                            Liebe macht sich nicht groß.
                            Liebe bläht sich nicht auf.
                            Liebe benimmt sich nicht ungehörig.
                            Liebe sucht nicht das Ihre.
                            Liebe läßt sich nicht erbittern.
                            Liebe rechnet das Böse nicht an.
                            Liebe hat nicht Freude am Unrecht.
                            Liebe freut sich über die Wahrheit.
                            Liebe erträgt alles,
                            sie glaubt alles,
                            sie hofft alles,
                            sie duldet alles.
                            Liebe hört niemals auf."
                            .
                            Zusammen mit dem Tarkowskizitat, das ich hier einmal schon gepostet habe, habe ich immer Rilkes Panther vor Augen, wenn ich an Tarkowski denke, auch wenn ich mir noch nicht sicher bin, ob man den letzten Vers nicht etwas anders dichten müsste:

                            Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
                            so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
                            Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
                            und hinter tausend Stäben keine Welt.

                            Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
                            der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
                            ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
                            in der betäubt ein großer Wille steht.

                            Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
                            sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
                            geht durch der Glieder angespannte Stille -
                            und hört im Herzen auf zu sein.

                            - Rainer Maria Rilke -

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                            • Sehr schön Liste, die zu Tarkowski motiviert. :) Habe ja noch die Hälfte vor mir - "Der Spiegel" ist momentan auch noch mein Favorit, wobei mich die in "Andrej Rubljow" eingestreuten Dialoge besonders gefesselt haben.

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                              • "Gleichzeitig verliert die Handlung nie an Spannung, und trägt problemlos über die vollen 108 Minuten, was nicht zuletzt den beeindruckenden Leistungen, vorneweg Peter Lorre, zu verdanken ist."
                                Mich haut ja das atmosphärisch kaum zu überbietende Ende jedesmal wieder aufs Neue weg.
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                                *SPOILER* "Das ist ja gar kein Mensch!", wenn sich der wütende Mob auf Lorre stürzen will und plötzlich stehen bleibt, einer langsam nach dem anderen die Arme hebend.
                                -
                                "Immer muss ich durch Straßen gehen, und immer spür ich, es ist einer hinter mir her. Das bin ich selber! Manchmal ist mir, als ob ich selbst hinter mir herliefe! Ich will davon, vor mir selber davonlaufen, aber ich kann nicht! Kann mir nicht entkommen! Wenn ich's tue, dann weiß ich von nichts mehr. Dann stehe ich vor einem Plakat und lese, was ich getan habe, und lese. Das habe ich getan?"
                                -> Schon zu Drehzeiten ein unglaublich mutiger Film, der auch heute nichts, aber auch gar nichts an Brisanz verloren hat und nicht zu Unrecht einer der prägendsten deutschen Filme überhaupt.
                                (Tipp: Bitte auch "Das Testament des Dr. Mabuse" schauen. Der ist genauso herausragend!)

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                                  Manchmal muss man doch im Müll nach seinem Glücke graben,
                                  sich einer verletzten Hand annehmen,
                                  um sich etwas gern zu haben,
                                  um dem Alltag zu entgeh'n, dem unbequem'.
                                  .
                                  Manchmal muss man es doch wagen:
                                  jemandem die Plagen klagen,
                                  sich zu stellen den Ja-Nein-Fragen,
                                  in Kauf nehmen manche Niederlagen.
                                  .
                                  Manchmal sich dem Leben geben,
                                  tiefe Nächte ganz allein durchleben,
                                  der Heimatlosigkeit widerstreben
                                  und im Inneren erbeben.
                                  .
                                  Manchmal muss man doch im Müll nach seinem Glücke graben,
                                  wenn es da im Herzen ziept.
                                  Seh'n den and'ren Unglücksraben
                                  und verstehen, dass man liebt.
                                  ---
                                  Zu romantisch?
                                  Hmm, gewürzt mit mitreißend melancholischen Nachtaufnahmen, unterlegt mit Musik der 80er, Pellonpääs ehrlicher Ausstrahlung, Outinens Zurückhaltung, die dem Film nicht selten einen eigenwilligen Humor gibt (genau wie der moralisch selbstdefinierte Zusammenhalt unter Leidensgenossen im Arbeitermilieu), wird daraus ein kleiner, eigenwilliger Film, dessen Figuren, allesamt mit ihren Charakterschwächen liebevoll in Szene gesetzt, die nächste Fähre nehmen und in die Welt des Zuschauers übersetzen. Ich nehme sie gern mit in meinen Alltag, sowie diesen kleinen Rohdiamanten.

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                                  • Solveig 13.09.2014, 20:53 Geändert 15.09.2014, 22:25

                                    Gibt meiner Meinung nach auch nichts Drögeres als wenn eine Litarturverfilmung stumpf die Vorlage abfilmt. Schöner Artikel und ein ♥ muss ich für die Erwähnung Murnaus dalassen.

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                                      Kalt ist es in Finnland,
                                      noch kälter wohl in den Filmen seines bekanntesten Regisseurs.
                                      Kalte Farben, kahle Wände, nüchterne Straßen.
                                      Ob da die vielen Streichhölzer weiterhelfen?
                                      Iris hat ihre kalte Einsamkeit alleine zu tragen,
                                      die kalte Isolation im eigenen Elternhaus,
                                      die kalte Gleichgültigkeit ihrer Umgebung.
                                      Einen wärmenden Gedanken gibt es nur,
                                      den sie in Kitschheftchen und in den kurzlebigen Zeilen der Schlagerwelt findet.

                                      https://www.youtube.com/watch?v=LCyrz1G_Phg
                                      ♫♫"Dort hinter dem Ozean
                                      liegt ein fernes Land,
                                      wo Wellen des Glücks
                                      umspielen den Strand.
                                      Wo ewig die Blumen
                                      in Blütenpracht steh'n,
                                      wo Trübsal und Schmerz
                                      und Sorgen vergeh'n.
                                      Ach, wenn ich doch einmal
                                      dies Traumland könnte seh'n,
                                      nein, nie wie ein Vogel
                                      von dort würd' ich flieh'n."♫♫

                                      Wir drehen uns im Tanz, nur du und ich, wir für uns allein;
                                      fühle deine angeschmiegte Wärme, sehne mich nach ihr, will sie noch einmal spür'n ~
                                      nein, nie wie ein Vogel von dir würd' ich flieh'n.

                                      "Es gibt nichts, das mich weniger berühren könnte als deine Zuneigung."

                                      ♫♫"Ach, wenn ich doch einmal
                                      dies Traumland könnte seh'n,
                                      nein, nie wie ein Vogel
                                      von dort würd' ich flieh'n.
                                      Doch flügellos bin ich,
                                      die Erde mein Band.
                                      Im Traume nur kann ich besuchen das Land."♫♫

                                      Wie naiv.
                                      Das Traumland ist fort -
                                      Kalte Farben, kahle Wände, nüchterne Straßen.
                                      Naive Mädchenträume sind heute ausverkauft,
                                      warme Blumen reichen nur fürs Briefpapier
                                      aber einen Scheck gibt es dafür.
                                      Und für die zu tragende Last in mir...
                                      Kalte Farben, kahle Wände, nüchterne Straßen.
                                      ... naive Mädchenträume sind für immer ausverkauft.

                                      ♫♫"Oh, wie konntest du
                                      meine schönen Träume verwandeln in Schäume?
                                      Nun muss ich gehen,
                                      die kalte Erde sehen.
                                      Die zarte Blume ist verloren,
                                      die Hoffnung ist erfroren.
                                      Hat man alles hingegeben
                                      und wird dann betrogen,
                                      so ist es schwer,
                                      im Leben Erinnerung zu tragen.
                                      Nun leuchtet sie nicht mehr,
                                      Die Blume der Liebe.
                                      Dein kalter Blick, dein kaltes
                                      Lächeln haben sie ausgelöscht."♫♫

                                      Die Blume, sie leuchtete nur für eine Nacht -
                                      und hat dir dein eigenes Unglück gebracht.
                                      ----------------------------------------------------
                                      Ohne Frage ist "Das Mädchen aus der Streichholzfabrik" formal Kaurismäkis durchdachtester und konsequentester Film seiner proletarischen Trilogie. Ich finde es großartig, wie er naiven Kitsch in Form finnischer Schlager, sowie ein paar anderer kleiner Details typischer Mädchenträume, in die ausladende Tristesse Helsinkis und seiner Gesellschft - die sich gewiss in vielen Ecken der Erde finden lässt - einflechtet, deren Welt gnadenlos desillusioniert und schließlich in zynischen, schwarzen Humor kippen lässt.
                                      ... das tut schon weh und eine gewisse Fiesheit muss man ihm hier schon attestieren - sowie ... einen wunderbaren Film.

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                                      • Solveig 12.09.2014, 09:24 Geändert 12.09.2014, 10:21

                                        Schön. Ein sicher nie zu Ende diskutierendes Thema, lieber Sigmund, und sehr gute Gedankenanstöße. Und vorallem sehr richtig: ich denke auch, dass "Kunst" (wegen der nicht klar festzulegenden Bedeutung schreibe ich es mal in Anführungsstrichen) das höchstmögliche ist, was den Menschen ausmacht und wohl auch das, was ihn von allen anderen Lebewesen unterscheidet. Obwohl auch sie etwas ist, das nichts anderes als menschliche Sehnsüchte widerspiegelt und zu befriedigen versucht, obwohl sie am letzteren häufiger scheitert als Kitsch, da hast Du Recht.
                                        Ich komme selbst eigentlich aus einer sehr platonischen Sichtweise; Kunst ist keine stupide Abbildung, sondern verweist auf "Wahrheiten", die bei Platon die 'ewigen Ideen' sind, die ins Metaphysische/Transzendente reichen. Platon hielt ja gerade von der darstellenden Kunst nicht besonders viel, solange sie nur das abbilde, was vor Augen ist. Das ist vergänglich. Ein Maler malt kein Gesicht wie er es vor Augen hat - er muss es interpretieren, sehen was dahinter ist und welche Wahrheit hinter ihr liegt, eben auf welche ewige Idee sie verweist (wofür er allerdings nach antiker Vorstellung den Kuss der Muse benötigt - was die Muse heute wohl sein könnte?). Nachteil ist allerdings, dass diese Vorstellung nicht immer funktioniert, sobald man aus einem abendländisch geprägten Kulturkreis heraustritt, was die Vorstellung ewiger (!) Ideen schon wieder schwierig macht.
                                        Andererseits bin ich aber auch sehr vom Konzept des Konstruktivismus angetan und ich glaube, in der Moderne dürfte es auch das mündigste Konzept sein. Ein Kunstwerk ist demnach nichts anderes als ein Konstrukt, das aus der Kommunikation zwischen dem zu betrachtenden Werk und seinem Rezipienten entsteht. Allerdings nimmt man dem Kunstschaffenden somit einiges aus der Hand und gesteht auch dem Rezipienten ein stückweit zu, ein "Künstler" zu sein. Ich mag dieses Konzept aber, weil Kunst dadurch etwas ist, das man sich selbst aneignet und das eigene Ich daran wachsen kann und das ist für mich das Schönste, was Kunst hervorbringen kann: die eigene Phantasie, Wahrnehmung, Sinn und Bedeutung generieren zu können; es ist dann ein aktiver Akt und nichts Passives mehr. Kunst ist Sinngebendes und Sinngebung gleichermaßen. Und gute Künstler fürchten sich meines Erachtens nicht davor, sondern freuen sich über den geschaffenen Diskurs zwischen ihren Werken und ihren Rezipienten. Und dieser Diskurs ist es auch, der wahre Kunst so zeitlos macht und manchmal sicher auch der Grund, weshalb man sie erst ein paar Generationen später würdigt.
                                        Ich versuche eigentlich immer, einen Mittelweg zwischen beiden Konzepten zu finden. Meine persönliche Wertschätzung von Kunst hängt zum größten Teil eben von der Qualität des Diskurses ab. Andererseits suche ich in Filmen auch immer als erstes nach den Aspekten, die mir vertraut sind - der nächste Schritt ist dann, zu verstehen, wie dieser Aspekt im Gesamtwerk dargestellt ist und gemeint sein könnte - und wie überzeugend das eben ist.
                                        Kitsch ist hingegen nur eine sehr kurzweilige Befriedigung, da stimme ich zu, und seine Möglichkeiten, die ich eben beschrieben habe, sind schnell erschöpft - muss aber gestehen, dass ich den manchmal auch brauche.
                                        [Edit: So, alter Kommentar gelöscht, neuer, überarbeiteter/Rechtschreibfehler korrigierter Kommentar. Das Editing funktioniert irgendwie noch nicht so richtig - auf einmal waren mehrere Textpassagen dupliziert und der Text ein einziger Salat.]

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                                          https://www.youtube.com/watch?v=1RCfm9lkBkI
                                          "Once upon a time, in a faraway land, a young prince lived in a shining castle. Although he had everything his heart desired, the prince was spoiled, selfish, and unkind. But then, one winter's night, an old beggar woman came to the castle and offered him a single rose in return for shelter from the bitter cold. Repulsed by her haggard appearance, the prince sneered at the gift and turned the old woman away, but she warned him not to be deceived by appearances, for beauty is found within. And when he dismissed her again, the old woman's ugliness melted away to reveal a beautiful enchantress. The prince tried to apologize, but it was too late, for she had seen that there was no love in his heart, and as punishment, she transformed him into a hideous beast ..."
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                                          Fast schon etwas gruselig, dass es im Grunde genommen nur dieser Melodie und Narration bedarf, damit ich 8 Punkte springen lasse. "Beauty and the Beast" aus dem Jahr 1991 hat aber auch wirklich einfach das schönste Filmopening und ich wünschte beinahe, die gesamte Geschichte würde einfach mit den Fensterglasbildern erzählt werden und mich könnte man danach versuchen, wie die zerflossene Butter vom Boden aufzusammeln. Der Prolog verkörpert für mich auch einfach das, was viele wohl unter der Magie der Disneyfilme verstehen, vielleicht liegt darin das Geheimnis, dass dieser Film fast immer als Lieblingsdisney genannt wird, wenn es denn zur Abwechslung mal nicht "The Lion King" ist.
                                          Sehr opulent verfilmte ja bereits Jean Cocteau den Stoff in den 40ern, der ursprünglich aus der Feder der Jeanne-Marie Leprince geflossen ist. Schätze ich dort die expressive Szenengestaltung mit surrealen Zügen, die für mich beinahe eine depressive Stimmung auf dem sagenumwobenen Schloss erzeugt, die Wertschätzung der Rose, die wie Bella die unschuldige, unberührte, natürliche und dabei bescheidene Schönheit verkörpert, die vom Biest behütet wird, das bei Cocoteau offensichtlich mit seiner menschlichen und tierischen Natur ringen muss, so schätze ich auch die sich entwickelnde Beziehung zwischen der Schönen und der Bestie in dem französischen Märchenfilmklassiker besonders, aus deren Unterkühlung Achtung voreinander hervorgeht und vielleicht die erlösende Liebe.
                                          Disneylike ist hier das Biest aus meiner heutigen Sicht zwar eher, von seiner düsteren Unterkunft im Westflügel seines Schlosses und seinen Manieren einmal abgesehen, knuffig geraten und wenn man diesem Film Kitsch vorwirft, so ist auch das sicher nicht von der Hand zu weisen. Der größte Pluspunkt ist für mich in dem Film aber einfach die bibliophile Belle.
                                          GASTON: How can you read this? There's no pictures!
                                          BELLE: Well, some people use their imaginations.
                                          GASTON: (...) It's not right for a woman to read--soon she starts getting ideas... and thinking.

                                          Das ist schon niedlich wie der hohlköpfige Gaston sich selbst in diesem Film auf sein klischeehaftes Aussehen reduziert, während die freiheitsliebende Belle dem Leben in der Provinz entfliehen möchte, indem sie ein Buch nach dem anderen verschlingt und von Dingen träumt, die über den Horizont ihrer anderen Dorfbewohner hinausgehen. Und hierin liegt für mich dann, abgesehen davon, dass ich den Film als Kind natürlich auch geliebt habe, auch heute noch ein gewisser Zauber.

                                          "Märchen schreibt die Zeit,
                                          immer wieder wahr,
                                          eben kaum gekannt,
                                          dann doch zugewandt,
                                          unerwartet klar.

                                          (...)

                                          Ewig wie die Zeit,
                                          ewig und bereit,
                                          ewig altbekannt,
                                          ewig imposant,
                                          wie die Sonn' aufgeht.

                                          Märchen schreibt die Zeit,
                                          es ist ein altes Lied,
                                          bittersüß verwirrt,
                                          einseh'n, daß man irrt,
                                          und auch mal vergibt.

                                          Wie das Licht der Sonn'
                                          strahlend sich ergießt.
                                          Märchen schreibt die Zeit
                                          in des Dichters Kleid,
                                          (...)"

                                          Schei...be, bei dieser Märchenhommage hat es mich erwischt.
                                          Märchen schreibt die Zeit,
                                          Märchen sind wie Spiegel,
                                          sieh hinein und du entdeckst ganze Generationen vor dir
                                          samt ihrer Welt- und Wertevorstellungen.
                                          Es gibt kaum eine schönere Gelegenheit, einer längst vergangenen Zeit wiederzubegegnen als in einem Märchen, Schönheit und Dunkelheit so dicht beieinander und im Inneren wächst das Gute hervor; oder - im Sinne dieses Films gesprochen - eine eigene innere Rose, die innere Schönheit, die dieser Geschichte, egal in welcher Adaption, zu Grunde liegt.
                                          Allesamt genug Gründe, Beatuy and the Beast auch heute noch so gern zu haben und - "Disneymagie"? Ja, ich spüre sie auch heute noch; es ist der Zauber des Märchens selbst.

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                                          • Das ist aber eine Fleißliste. Hast Du die Argumente gegen einen Film aus Rezensionen zusammengesammelt?

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                                            • 9 .5

                                              Im Strudel der Angst
                                              hinabgezogen - du bangst.
                                              Schuldgefühl, Verlang'
                                              Besessenheit - gefang'
                                              In den Fesseln der Angst.
                                              Von der Liebe umspielt,
                                              ein Gewissen gefriert.
                                              Von Panik gepeitscht,
                                              die Vergangenheit schreit.
                                              Entflohen den Armen,
                                              gestürzt! Kein Erbarmen.
                                              Das Schicksal gekomm',
                                              deren Verstrickung nicht entronn'.
                                              Von Albträumen gequält,
                                              Wahrnehmung kreiselt
                                              im Strudel der Angst
                                              hinabgezogen - du bangst;
                                              Erinnerung aufsprang
                                              Überwindung verlangst
                                              Erlösung erzwangst...
                                              -
                                              VERTIGO, wieviel wurde über diesen Film schon geschrieben und an ihm herumanalysiert und doch bleibt neben der Tiefe und Sogkraft der Bilder irgendwie doch nicht ganz ergründbar, wieviele existenzielle Themen der Master of Suspense hier eigentlich hineingewoben hat.
                                              Respekt allerdings - mein Hitchcockfavorit ist REBECCA, da ich dort immer sehr staunte, wieviel Atmosphäre und Spannung man allein durch Bilder und Bebilderung einer Szene erzeugen kann. VERTIGO zeigt mir s/w-Nerd aber, wie sagenhaft visuelle Farbeffekte einem Film Tiefgang geben und selbst mich begeistern können. Chapeau!

                                              30
                                              • Jenny, zumindest was überbewertete Regisseure und Filme angeht, ticken wir gar nicht mal so unähnlich. Auch wenn in einer Liste, die ich erstellen würde, nicht alle Namen von dieser hier auftauchen würden (hauptsählich, weil mir ein paar davon einfach egal sind), schmerzt mich hier keine Persönlichkeit, auch wenn ich Scorsese gern habe, was aber weniger an seinen Filmen liegt (in Deinem Kommentar steht ja aber auch eine Einschränkung), sondern mehr an seinem eigenen Filmgeschmack und die Empfehlungen, die er so ausspricht. Da waren für mich immer tolle Schätze bei.
                                                Ansonsten: bitte mehr solcher Listen. Ich finde die sehr unterhaltsam.

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                                                • Spontan:
                                                  "Der Mann, der lacht" von Paul Leni aus dem Jahr 1928.
                                                  -> Ein entstelltes Gesicht verurteilt einen jungen Mann zum irren Dauergrinsen, obwohl er hinter dieser nicht mehr abnehmbaren Maske ein sehr sensibler und verletzbarer Mensch ist.

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                                                  • 9

                                                    - "Seit er krank ist, spreche ich ständig mit ihm, weißt du. Und was ich ihm alles über mich erzähle - ich fühle, dass so Vieles in mir leichter wird. ... seltsam, oder?"
                                                    - "Das, was du erzählst, das erinnert mich an meine Kindheit. Mein Vater erzählte, erzählte mal von einem Stein. Er war sagenumworben, er war magisch. Damals hat er gesagt, wenn du diesen Stein irgendwann findest, erzähle ihm von deinen Sorgen, deinen Geheimnissen und der Stein wird dir zuhören. All die Dinge, die du nie wagst auszusprechen, erzähle sie ihm. Du erzählst und erzählst, und er hört sich deine Geheimnisse an. Er ist einfach nur da und hört dir zu. Irgendwann wird dieser Stein entzwei gehen. Er zerfällt, Stück für Stück. Und ab diesem Tag wirst du frei sein und von all deinen Schmerzen erlöst."
                                                    - "Wie heißt er?"
                                                    - "Der Stein?"
                                                    - "Ja."
                                                    - "Der Stein der Geduld."
                                                    -----------------------------------------------------------
                                                    Ein altes persisches Märchen besagt, der Stein der Geduld nehme all den Kummer, Schmerz und Leid, all das Sehnen, Wünschen und Geheime in sich auf, bis er vor lauter Offenbarungen schließlich zerbricht, und jenen, der ihm alles anvertraute ... nun ja ... erlöst .... ?
                                                    Ein wunderschönes Märchen wird der Überbau zu Atiq Rahimis Kammerspiel, der hier seinen eigenen Roman verfilmte und ein Seelenporträt seiner Protagonistin auf eine sehr sanfte und behutsame wie nicht weniger eindringliche Weise entfaltet. Sie, eine junge Frau, scheint im von politischen Unruhen gebeutelten Afghanistan selbst eine Gefangene zu sein. Gefangen in gesellschaftlichen, religiösen, weltanschaulichen Konventionen, Rollenerwartungen und Pflichten, findet sie in ihrem um Jahre älteren Ehemann - einem im Koma liegenden und seitdem pflegebedürftigen Soldaten - ihren 'Stein der Geduld', dem sie Stück für Stück ihr Innerstes enthüllt, Einblick gewährt in eine Seele unterdrückter Gefühle, Demütigung, Dunkelheit und Verlogenheit, was jetzt in diesen Worten schon sehr viel moralischer klingt und die wunderbare, aber ebenso an die Nieren gehende, Sanftheit dieses Films zerschlägt. Ich bitte um Nachsicht.
                                                    "Stein der Geduld" ist eine Geschichte, in der eine Frau durch ihr Seelenleben die Grundfesten einer männlich dominierten Weltordnung auf stille Weise immer mehr niederreißt, bis ihr 'Stein der Geduld' am Ende zerbricht, da sie auf ihre ganz eigene Weise das Weltbild ihres Mannes zerschlagen hat und am Ende eine Ungewissheit bleibt, ob Tod, Sieg, Hoffnung oder Erlösung dem entzweiten Stein der Geduld entweicht; oder vielleicht sogar alles zusammen.
                                                    Vorwerfen könnte man Atiq Rahimi zwar, dass er die Geschlechterrollen seiner Geschichte auf den ersten Blick sehr stereotyp zeichnet, doch durch die Anlehnung an das persische, titelgebende Märchen wird diese Kritik meines Erachtens sogleich wieder entkräftet. Seine Geschichte wird zu einer Parabel aus archaischen Bildern, was man einem Märchen schlecht vorwerfen kann. Und was schätzt man eigentlich irgendwann so sehr an dem überaus reichen Märchenschatz dieser Welt? Irgendwann schätzt man an ihnen, dass sie etwas von den stillen Träumen ihrer Erzähler in sich tragen, Geheimnisse, die sie für alle Zeit in sich tragen und behüten, in Symbolen, Bildern, Metaphern, deren tieferer Sinn sich dem Zuhörer erahnen lässt, aber dessen wahre Bedeutung still und sanft durch seine Finger gleiten, lediglich eine Ahnung zurücklassend. Und ebenso wird hier von Atiq Rahimi die Geschichte einer Frau mit der jenes Märchens selbst verwoben und aufgebrochen. Und wer weiß, vielleicht sucht dieser Film in seinen archaischen Vorstellungen unter seinen Zuschauern ebenso nach einem 'Stein der Geduld', um ihm die Sehnsucht und tiefen Wunsch seines Heimatlandes anzuvertrauen; symbolisch, metaphorisch, sinnlich ... geduldig zuhörend und aufbrechend.

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