Telebaum - Kommentare

Alle Kommentare von Telebaum

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    Es ist nicht ganz leicht, ein so schweres Thema in einen so leichten Film zu packen. Sonja Heiss aber hangelt sich traumwandlerisch sicher an diesem sehr schmalen Grad entlang, und so entgeht "Hedi Schneider steckt fest" einerseits der Gefahr, an der Schwere des Themas zu ersticken, andererseits in Kitsch und Blödelei zu verpuffen, obgleich das Spiel der Laura Tonke szenenweise alles andere als überzeugt.

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    • Etwa noch jemanden vergessen?

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        Telebaum 22.03.2015, 16:37 Geändert 15.11.2016, 10:40

        Woher die Empörung?

        Während Noé mit MENSCHENFEIND (1998) noch an die Schmerzgrenze ging, überschreitet er sie mit IRREVERSIBLE ganz klar. Ihm geht es in diesem Film primär nicht darum, etwas Bestimmtes auszusagen, (was einige Kritiker übrigens richtigerweise anmerken, doch fälschlicherweise bemängeln), sondern es geht ihm um den Zuschauer selber, um uns, um unsere Sehgewohnheiten, um das Medium Film und darum, was Film, was Zeit mit uns macht, mit uns machen kann. Dahingehend ist IRREVERSIBLE noch mehr als andere Filme ein Film für den Zuschauer, was in diesem besonderen Fall heißt, gegen ihn zu sein, da er unsere Bedürfnisse an das Medium Film weder bedient noch befriedigt, sondern uns ganz im Gegenteil peinigt, vergewaltigt, Schmerzen zufügt, physische wie psychische und zuletzt ohne Versöhnung und Katharsis entlässt, stehen lässt, wegwirft, bespuckt.

        Der Film löste so heftige Reaktionen aus, weil er uns unsanft in ein moralisches wie narratives Dilemma befördert. Der typische Rape-Revenge-Film gehorcht einem strengen Schema: am Anfang steht der Akt des Bösen (die Vergewaltigung), am Ende wird dieser durch einen (oft noch brutaleren) Akt des Guten gerächt; dazwischen liegt die Suche nach dem Täter, die den Spannungsbogen ausmacht und für die wir die Gewaltakte als Ankerpunkte in Kauf nehmen. Die Narration funktioniert daher auch nur chronologisch. Und auch in der ethisch-moralischen Dimension gibt es keine Fragen: Rache ist, so die stillschweigende Vereinbarung zwischen Genrekonvention und Zuschauer, das legitime Mittel, um der Gerechtigkeit genüge zu tun – schließlich haben wir es mit Kinounterhaltung zu tun, wir bewegen uns auf der Ebene des Films und nicht in der Welt da draußen, in der Selbstjustiz nicht weniger strafbar wäre, als das Ausgangsverbrechen. Nur durch die Genreregeln ist es uns überhaupt möglich, einen brutalen Rachefilm zu goutieren, erst die Regeln erlauben es uns, Gewalt (selbstredend nur im Rachekontext als kathartische Auf- und Entladung) zu akzeptieren, zu ertragen und zu verdauen. IRREVERSIBLE scheint – zumindest vom Plot her – ein Rape-Revenge-Film zu sein, dekonstruiert aber zugleich seine klassische Struktur sowie eine Reihe dieser (für uns vermeintlich so fundamentalen) Genre-Regeln. Aber im Einzelnen.

        Es beginnt damit, dass die Handlung von den gewohnt harten und uns oft fernen Genremilieus verlagert wird in ein Milieu, das uns allzu vertraut ist: Beziehungsprobleme, Partys, Menschen wie du und ich. Die Hauptfigur, der vermeintliche Rächer (Marcus), ist ein unausgeglichenes, rassistisches, homophobes, drogenkonsumierendes, egoistisches und genau wie der Vergewaltiger zumeist testosterongesteuertes, zuweilen sogar mit Aggressionen ausgestattetes Großmaul, das mit anderen Frauen rummacht und den wir – nun ja – wohl kaum mit einer solch moralischen Mission betrauen würden.

        Die Rückwärtserzählung stellt den Akt der Rache an den Beginn des Film und lässt uns (die wir noch nicht wissen, dass es sich um einen Rape-Revenge-Film handelt) in dessen exzessiver Brutalität völlig im Unklaren darüber, ob und inwieweit dieser Akt gerechtfertigt ist, was die Figuren verbindet und worum es überhaupt geht. Ganz abgesehen davon, dass der genretypische Spannungsbogen von der Suche (des Protagonisten) nach dem Täter auf die Suche (des Zuschauers) nach der Ursache für die Tat verlagert wird. Auch deshalb ist IRREVERSIBLE vor allem ein Film für Zuschauer. Die Rückwärtserzählung ist, entgegen dem, was manch Kritiker Noé unterstellt, alles andere als Selbstzweck, vielmehr ist sie ganz wesentlich für Wirken und Erleben des Films, da wir – wenn wir nach der Hälfte des Films endlich die Ursache für die Tat nachgereicht bekommen –, schließlich feststellen müssen, dass die Rache weder vom Richtigen, d.h. von der zum Rächer aufgebauten Hauptfigur (Marcus) begangen wurde, noch den Richtigen, d.h. den Vergewaltiger traf.

        Ich verwende hier instinktiv die Vergangenheitsform, denn das chronologisch Kommende liegt narrativ schon hinter uns; wir wissen bereits um das Verhängnis des fehlgeleiteten Racheakts, so dass uns dieser nun losgelöst von seiner Ursache erscheinen muss, was es uns jetzt völlig unmöglich macht, die Brutalität des Täters (Pierre) zu verstehen und zu akzeptieren. Zudem fragen wir uns, wie es sein kann, dass aus einem Charakter, den wir als eher ruhig, vernünftig und besonnen kennengelernt haben, eine solche Aggression hervorbricht, als hätte der Regisseur einen Rollentausch vorgenommen, den wir nur deshalb ungefragt schlucken, weil er (für uns) zu Beginn des Films geschieht, während er eigentlich am Ende des Plots liegt, wo wir ihn (was eine chronologische Narration voraussetzen würde) vermutlich kaum bereit wären, zu schlucken.

        Es bleibt zudem die Unsicherheit, die aus der Dreieckskonstellation und aus der Unklarheit hervorgeht, in welcher Weise die Trennung von seiner Freundin und die daraus erwachsene Rivalität zu seinem Freund in Pierres mentale Verfassung mit hineinspielt. All diese Unklarheiten werfen eine Reihe von neuen Fragen auf und vor allem untergraben sie die Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit der vermeintlichen Rape-Revenge-Erzählung, insbesondere aber die für unser ethisch-moralisches Empfinden kaum zu vernachlässigende Präsupposition, dass die Vergewaltigung auch wirklich die Ursache für Pierres finalen Gewaltexzess ist. Doch Pierres Tat passiert spontan und als Folge von etwas anderem, nämlich erst in dem Moment, in dem Marcus außer Gefecht gesetzt ist und dessen Vergewaltigung droht.

        Die Ursache für Pierres Gewaltakt wird damit nicht nur personell von der eigentlichen Racheabsicht abgekoppelt und auf die aktuelle Situation verlagert, womit die Rape-Revenge-Erzählung (ohne dass es uns klar ist) gleich zu Beginn einen dramatischen Bruch erfährt, einhergehend mit der schleichenden Erkenntnis, dass das Ausmaß der Brutalität (Schädelbruch), dessen Ursache wir (zumindest emotional) mit der Vergewaltigung rechtfertigen, nun keinesfalls mehr als gerechtfertigt angesehen werden kann. Das ist der eigentliche Schock, der im Nachhinein auf den Vergewaltigungsschock folgt und die Feuerlöschersequenz in der Mitte des Films nochmals in die Gesamtkausalität, die sich gerade in unserem Kopf zusammensetzt, zurückkatapultiert.

        Es gibt im Mainstreamkino die ungeschriebene Regel, dass Gewaltszenen (die für den Racheplot vor allem Ankerpunkte sind) nur angedeutet oder höchstens angeschnitten werden, dann aber bald der erlösende Schnitt zu kommen hat. Das tut Noé nicht. Wir müssen die Feuerlöscherszene nahezu 5 Minuten, die Vergewaltigungsszene fast 10 Minuten lang ertragen, letztere ohne jede ablenkende Kamerabewegung. Wir werden dazu genötigt, diese beiden Akte exzessiver Gewalt mitzuerleben, wenn nicht in ihrer realen, so doch in ihrer realzeitlichen Dimension. Es ist immer noch die wirkungsvollste Art, wie ein Film uns quälen kann, indem er den erlösenden Schnitt hinauszögert, solange, bis es nichts mehr zu sehen gibt, bis die Zeit alles zerstört hat. Das Warten auf den Schnitt wird bei Noé über das normative Maß der Erträglichkeit hinaus ausgereizt.

        In der Tunnelszene kommt noch die plötzliche Erkenntnis vom Irregehen der Rache hinzu, die ja den Falschen treffen wird, wie wir jetzt wissen, und diese Erkenntnis kommt für uns zum schlechtmöglichsten Zeitpunkt, nämlich gerade dann, als wir den Vergewaltiger gern bestraft sehen würden, allein um der Unerträglichkeit dieser Szene etwas Adäquates entgegenzusetzen. Wir müssen also in diesen knapp 10 Minuten, in denen wir soviel Zeit haben, alles zu reflektieren, nicht nur die Vergewaltigung verdauen, sondern auch noch die neu hinzugewonnene Erkenntnis, dass die Rache nicht den Vergewaltiger treffen wird und zudem ein Unschuldiger sterben muss, weil Pierre aus schwer nachvollziehbaren Gründen absolut überreagieren wird.

        In der Tunnelsequenz kulminieren sämtliche Handlungsstränge des Films, bezeichnenderweise inklusive eines wegschauenden Komparsen (Cameo-Auftritt von Noé), während wir gezwungen sind, aus halbdistanzierter Frosch-Perspektive viel zu genau hinzuschauen. Das macht es so schwer, das macht diese Szene so unerträglich. Eigentlich wollten wir bereits bei der Feuerlöscherszene abschalten, eigentlich, aber da hatte der Film gerade erst begonnen, spätestens aber jetzt, in dieser ewig langen Plansequenz – kurz, wir tun es nicht. Vielleicht weil wir wissen, dass damit das Schlimmste überstanden ist, überstanden sein muss. Jetzt können nur noch die erträglichen, ja, jetzt müssen doch endlich die angenehmeren Bilder kommen.

        Und irgendwann gegen Ende des Films kommen die schönen Bilder ja dann auch, Alex auf einer grünen Wiese liegend, Sonne, Rasensprenger, spielende Kinder, Nachwuchsfreuden – es ist die wohl trügerischste Persiflage, die auf ein Happyend denkbar ist und wird konsequenterweise sofort torpediert durch ein Lichtstakkato und natürlich durch das omnipräsente Wissen um den Ausgang der Geschichte.

        Der eigentliche Schluss der Noéschen Rape-Revenge-Erzählung ist dementsprechend auch vielmehr der grinsende Vergewaltiger in der Feuerlöscherszene, der weder durch Justiz noch durch Selbstjustiz zur Verantwortung gezogen wird, der innerhalb des Plots ungestraft davonkommt. Versöhnung sieht anders aus. Die Auflösung unserer Sehgewohnheiten direkt vor unseren Augen bringt unser genregeschultes Moralverständnis genauso ins Wanken, wie es die Kamera visuell tut. Nach diesem Film fühlt sich alles nur noch falsch an, und wenn nicht falsch, dann nur deshalb, weil wir das Ende noch nicht kennen, weil die Zeit dafür erst noch kommen wird.

        Einige Kritiker sahen in dem Umstand, dass die Rache den Falschen trifft, nur den Gipfel der Noéschen Zynik. Im Grunde aber ist es der Kern und steht nicht zufällig am Anfang des Films. Denn auch wenn wir bis zur Mitte des Films davon ausgehen müssen (oder vielmehr wollen), es wird schon alles seine Ordnung haben, es wird schon den Richtigen getroffen haben, spätestens ab der Tunnelszene muss jedem Zuschauer aufgehen, dass dieser Rape-Revenge offenbar keinen uns bekannten Gesetzen folgt.

        Die Schwierigkeit IRREVERSIBLE zu ertragen und die Empörung liegt darin begründet, dass uns von Anfang an Informationen fehlen, um eine derartige Tat wie jene mit dem Feuerlöscher (inklusive der Inszenierung) wenn schon nicht zu rechtfertigen dann doch wenigstens erklären zu können. Und deshalb beginnen wir ganz automatisch, die fehlenden Teile auszufüllen. Wir präsupponieren, dass die Tat ihre Ursache in einer vorausgegangenen Tat hat, und vor allem, dass es den Richtigen getroffen hat. Diese beiden stillschweigenden Genrevereinbarungen brauchen wir, um uns im Kino sicher, um uns ethisch-moralisch einigermaßen wohl zu fühlen, um uns überhaupt einlassen zu können auf diese Erzählung, in der wir offenbar gezwungen werden, brutalste Gewaltszenen minutenlang ertragen zu müssen. Beides erfüllt sich jedoch nicht, der Film setzt alle ethisch-moralischen Regeln außer Kraft, indem er die Tat von der Ursache ablöst und indem er uns in der Mitte des Films ganz apprupt zu verstehen gibt, dass es den Falschen treffen wird.

        Neben dem moralischen zwingt uns Noé in ein narratives Dilemma, in dem wir uns mehr und mehr unwohl fühlen. Wie wollen wir die zweite Hälfte eines Rape-Revenge noch genießen in dem Wissen, dass der Rächer gar nichts mehr wird ausrichten können, sondern mit gebrochenem Arm in einem Hospital enden wird. Mit jeder Einstellung, mit jeder Szene wird uns bewusst, wohin das Ganze führt, nämlich zu Bildern, die wir froh sind, hinter uns zu haben und die wir garantiert nicht noch einmal sehen wollen.

        Wo der typische Rape-Revenge-Film von der Spannung lebt, wie der Täter gefunden und wie seine gerechte Strafe aussieht, scheint die Handlung von IRREVERSIBLE bis zur Mitte des Films auf das eine ursächliche Ereignis zuzusteuern, auf das wir allerdings nicht spannungsvoll warten, sondern vor dem wir uns seit der Feuerlöscherszene vor allem fürchten. In der zweiten Hälfte bietet uns der Film dagegen harmonischere und versöhnlichere Bilder an, die uns allerdings angesichts des zu offensichtlichen narrativen Schein und Trug fast zu erdrücken drohen, gleichzeitig aber auch irgendwie erleichtern, wäre da nur nicht dieses Zuviel an Wissen, dieses Zuviel an Zeit, jene Zeit, die hinter uns, doch vor den Figuren liegt.

        Spannung erwächst in IRREVERSIBLE aus einer Art von zeitlicher Suspense, allerdings ohne jede Ungewissheit: wir wissen im Gegensatz zu den Figuren genau, was passieren wird, und doch fiebern wir innerlich mit, sie mögen bitte einen anderen Weg einschlagen, die Party absagen, sich trennen, was auch immer, nur nicht der Zeitlinie folgen (was unmöglich ist, wie uns allzu bewusst ist; vielleicht haben wir aber auch nur zu viele Zeitreise-Filme gesehen). Auf alles, was wir jetzt zu sehen bekommen, fällt ein ambivalentes Licht, während die Kamera mit zunehmendem Filmverlauf immer ruhiger agiert.

        Fazit: Die Gerechtigkeitserzählung verliert ihre Glaubwürdigkeit, der Rache-Topos seine Zuverlässigkeit und vielleicht stört uns das an IRREVERSIBLE mehr als die explizite Gewaltdarstellung. Wir sind geschockt, denn hier hält eine Geschichte nicht mehr das, was sie seit Ewigkeiten verspricht. Noé verweigert und verwehrt uns die moralische Befriedigung und damit die kathartische Erlösung, was in der Regel die Prämissen für die Zumutbarkeit eines Rape-Revenge-Films sind.

        Doch Noé führt uns nicht nur die Mechanismen des Rape-Revenge-Konstrukts vor Augen, sondern vor allem unsere Abhängigkeit von diesem Konstrukt und seinen Regeln, zumindest solange wir uns (ethisch-moralisch) wohl fühlen wollen, solange wir Kino genießen wollen. Und als die Abhängigsten entlarvt er jene, die sich in seinem Kino am wenigsten wohl fühlen, die sich empören, die seine Filme ablehnen und beschimpfen.

        Wir, die wir nicht zu letztgenannten gehören, die wir das Kino nicht bei der Feuerlöschersequenz verlassen oder abschalten, uns entlarvt Noé als Masochisten. Härter kann ein Film seine Zuschauer kaum bestrafen. Nicht zufällig beklagten einige Zuschauer körperliche Reaktionen. Und genau dafür hat der Film diese Härte auch nötig, um uns zu Komplizen zu machen, zu Mittätern. Daher die Empörung.

        Durch den Bruch mit den Genreregeln erschüttert IRREVERSIBLE das für uns notwendige moralische Fundament, das es uns normalerweise erlaubt, filmische Gewalt ertragen zu können – kein äußeres, sondern ein für uns innerliches Beben, das noch einmal potenziert wird durch Länge und Ausdrücklichkeit der Gewaltdarstellung, der wir beiwohnen, solange wir hinschauen. Der Regisseur setzt die Regeln außer Kraft und wir folgen ihm. Bereitwillig oder nicht. Auch das ist irreversibel. Wie können wir jetzt noch Beethovens 7te hören? Vielleicht nur so, wie die 9te nach CLOCKWORK ORANGE.

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          Telebaum 11.03.2015, 13:04 Geändert 11.03.2015, 13:07

          Nüchterner als Boorman kann man diesen Stoff kaum behandeln. DER GENERAL hält sich nicht lange auf etwa mit ästhetischen Spielereien, überflüssiger Action oder emotionalen Momenten, nein, Boorman erzählt effizient und gradlinig, was es zu erzählen gibt und genau darin liegt die Kunst des Films. Nicht ohne Humor wird so nahezu das gesamte Leben des Martin Cahill mit all seinen anarchistischen, geistreichen und vor allem absurden Facetten ausgeleuchtet, und so glaubwürdig, dass man am Ende diesen Brendan Gleeson auf eine Stufe mit Philip Seymour Hoffman stellen möchte.

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            Mist ... wieso kann ich Béla Tarr stundenlang zuschauen ... langweile mich aber beim hochgerühmten Edgar Reitz schon nach einer Stunde zu Tode?

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              Telebaum 16.02.2015, 18:58 Geändert 25.02.2015, 15:59

              Antonioni und die Unmöglichkeit, sich selbst zu gehören ... die Trennung von seiner Frau ist für den Mechaniker Aldo nicht bloß eine Trennung, sondern vielmehr die langsam aufkommende und leibhaftig zu erfahrende Erkenntnis des Zurückgeworfenseins in die kalte nackte Existenz. Alles andere im Leben, Arbeit, Sicherheit, Ruhe, Vergnügen und Lebensfreude hatte für Aldo nur mit dieser Liebe bestand. Antonioni zeigt diese innere Leere in den immer nebligen und verhangenen Po-Landschaften mit gewohnter Brillianz und Beklemmung. IL GRIDO schildert eine geradezu existenzielle Abhängigkeit von diesem Gefühl, verbunden mit der Unmöglichkeit, sich selbst zu genügen. Nicht allein der Verlust der geliebten Frau verursacht die Qualen, sondern die Unmöglichkeit, ohne Irma Willen, Lebenskraft und letztlich eine eigene Identität zu finden. Mit der Beziehung zerbricht auch das Ich-Konstrukt und so schwimmt Aldo zunehmend mehr im Nichts und strebt zum Nichts hin. Auf seiner Reise wird sich Aldo der Vergeblichkeit seines Tuns zunehmend mehr bewusst, seine Liebe zu Irma ist durch nichts, durch gar nichts zu ersetzen. Diese Erkenntnis mündet bei Aldo in der vollkommenen Unmöglichkeit, etwa ein neues Leben zu wählen, irgendwo hinzugehören, wenn man so wie er und nicht anderes fühlt.

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                über Shining

                Bei der Neusichtung fiel mir auf, dass THE SHINING die Frage der Erwerbsarbeit, des sozialen Status und des berufliches Scheiterns zwischen künstlerischem Traum und kapitalistischer Wirklichkeit auffällig deutlich thematisiert:

                VITA? Womit Jack bisher sein Geld verdient hat , erfahren wir nicht (im Buch war er Englischlehrer, hat diesen Job aber wegen einer persönlichen Verfehlung verloren).

                WIRKLICHKEIT: Jetzt ist er "Hausmeister". Wendy gegenüber spricht er einmal über die moralische und ethische Verantwortung, die er mit diesem Job angeblich übernommen hat, dabei ist seine Frau es, die sämtliche Arbeiten in dem Hotel macht. Auch als Hausmeister scheint Jack also unbrauchbar.

                ALPTRAUM: Jacks größte Angst ist es, Teller oder Autos zu waschen, wie er sagt. Das wäre für ihn der drohende soziale Abstieg.

                TRAUM: Jack will ein Schriftsteller sein, er ist aber kein Schriftsteller, sein schriftstellerischer Traum scheitert und endet in dem Satz „All work and no play makes Jack a dull boy“.

                Weiß jemand, ob es über das Thema Artikel gibt?

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                  Absoluter Geheimtip! Der Film funktioniert ähnlich einer Novelle von Hartmut Lange. Ganz subtil verändert sich die Wahrnehmung der Welt und damit der Wahrnehmende selbst. Die jahrelang eingeübten Alltagsroutinen bekommen plötzlich einen Riss; die Wirklichkeit bekommt etwas unwirkliches, unheimliches. Und Regisseur Kolirin begeht nicht den Fehler, Erklärungen dafür zu liefern. Er beschränkt sich darauf, die Absurdität einer solchen Veränderung aufzuzeigen.

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                    Einmal ungeachtet der zum Teil vielversprechenden Ansätze: Nolan scheint sich allmählich zum Kitsch-Regisseur No. 1 zu schwingen und zu allem Überfluss zu Kubricks Karikatur. Schade drum.

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                      Telebaum 02.01.2015, 11:09 Geändert 21.01.2015, 23:58

                      Noé geht an die Schmerzgrenze. Es gibt nicht viele Regisseure, die ungeachtet aller Konventionen und Reaktionen Mut zu solch einer Kompromisslosigkeit und Radikalität zeigen. Wir dürfen hier fast durchgängig dem inneren Monolog des "Menschenfeinds" lauschen, der so menschenfeindlich doch eigentlich gar nicht ist. In ihm drückt sich vielmehr der Schmerz an einem Leben aus, das scheinbar nichts anderes im Sinn hat, als uns langsam aber stetig zu zermürben, eine Aneinanderreihung von Ekel, Schmach, Demütigungen und Enttäuschungen. Bei jedem seiner hasserfüllten Gedanken möchte man dem Schlachter zurufen: schau' doch noch einmal hin, siehst du nicht auch die andere, die lebenswerte, die menschliche Seite, aber die Verbitterung thront über allem. Und am Ende des Films sprüht doch ein Funken - ja was? - Nähe, Zärtlichkeit, gar Menschenliebe? Nein, hier spricht kein Menschenfeind, hier spricht jemand, der sich sehnt nach dem, was ihm die Welt (oder er sich selbst) vorenthält, Wärme, Zuwendung, Menschlichkeit.

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                        über Aurora

                        Die Ausgangslage von AURORA erinnert an Antonionis IL GRIDO. Die Trennung von seiner Frau ist für Viorel genauso wie für Aldo nicht bloß die Trennung von einer Frau, sondern die plötzliche Erkenntnis des Zurückgeworfenseins in die nackte kalte Existenz. Alles andere, Arbeit, Sicherheit, Ruhe, Vergnügen und Lebensfreude hatte nur mit dieser Liebe bestand. Für beide Figuren besteht eine geradezu existenzielle Abhängigkeit von diesem Gefühl, verbunden mit der Unmöglichkeit, sich selbst zu gehören. Ja, darum geht es, sie sind unfrei. Im Moment der Trennung führt genau diese Unfreiheit in beiden Fällen zu jenem Drama, das wir sehen. Nicht der Verlust einer Frau verursacht die Qualen, sondern die Unmöglichkeit, ohne diese Liebe Willen und Lebenskraft zu finden. Wenn die Ehe zerbricht, zerbricht auch das Ich-Konstrukt. Viorel kann nicht der bleiben, der er war, genausowenig wie Aldo. Nicht nur die Frau fehlt, nein, es bleibt gar nichts und so schwimmen beide Figuren im Nichts und streben zum Nichts. Ihnen bleibt nur die Kompensation in Form von Aggression, bei Aldo gegen sich selbst, bei Viorel gegen die vermeintlichen Verursacher. Wie Antonioni interessiert sich Puiu wenig für die Ursachen, für die Geschichten, die zur Trennung geführt haben, auch nicht für das Leben der Ex-Frau, der Kinder. Sein Fokus liegt allein auf Viorel, wie er bei Antonioni auf Aldo liegt. Auch die Stimmung ist ähnlich: karg, trist, beklemmend und für den Zuschauer zumeist undurchsichtig. Viorel ist sich (im Gegensatz zu Aldo, der dafür erst seine Reise braucht) jederzeit der Vergeblichkeit seines Tuns bewusst, doch etwas anderes gibt es nicht zu tun, der Film zeigt die absolute Unfreiheit, die Unmöglichkeit, ein neues Leben zu wählen, sich selbst zu gehören, wenn man ein Gefangener dieses Gefühls ist, letztlich ein Verurteilter, zu dem Viorel am Schluss wird.

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                          über Phoenix

                          SPOILERWARNUNG

                          PHOENIX handelt vom Verlust, vom Verlust der Würde, vom Verlust der Liebe, vom Verlust des Gewohnten, aber es ist auch ein Film über Gedächtnisverlust, Gesichtsverlust, Identitätsverlust. Nelly befindet sich in einer Situation, die undenkbarer kaum sein könnte: sie hat den Holocaust überlebt, kommt körperlich verunstaltet, seelisch verkrüppelt zurück in eine zertrümmerte Welt, erkennt sich nicht im Spiegel, wird von ihrem Mann nicht erkannt und soll sich selbst spielen, gleichzeitig aber eine andere sein; oder vielmehr: die Nelly nach Auschwitz soll eine Nelly von früher spielen, eine Nelly, die es nicht mehr gibt, die es nicht mehr geben kann. Nina Hoss’ apathisches Spiel ist die adäquate Form dafür, ihr unsicherer Gang, ihre hölzernen Bewegungen, ihre erstarrte Mimik, Verlorensein und Verzweiflung, eine typisch Petzoldsche Gespensterfigur, angesiedelt mehr im Leblosen denn im Lebendigen.

                          Auf den ersten Blick mutet es geradezu grotesk an, dass ausgerechnet ihr Mann Johnny der Einzige ist, der sie nicht erkennt. Doch Nellys Gesichtsverlust ist ein metaphorischer, ein spiegelbildlicher: PHOENIX beschreibt den Gesichtsverlust der Deutschen, Johnny selbst ist es, der sein Gesicht wahren muss, der mit seinem Verrat an ihr Schuld auf sich geladen hat, dem Gesichtsverlust droht, oder vielmehr: der sich seinen Gesichtsverlust nicht eingesteht. Um genau diesen Prozess des Erkennens aber geht es; PHOENIX beschreibt eine Bewusstwerdung. Zunächst ist er auf bestem Wege, die Schuld aus seinem Bewusstsein zu tilgen. Für ihn existiert seine Frau nicht mehr, sie darf nicht existieren, denn ihr Dasein ist nicht zu trennen von seiner Schuld. Johnny will nichts davon wissen, dass sie noch lebt, noch leben könnte. Daher kann er, darf er sie auch nicht erkennen, er verbietet es sich, sie zu erkennen, auch wenn sämtliche Indizien etwas anderes sprechen.

                          PHOENIX redet darüber, worüber nicht geredet wurde, was nicht sein durfte, was die Deutschen verdrängen mussten, es ist ein Film über das Nichtsehen-, das Nichtwissen-, das Nichterinnernwollen. Was in den Lagern geschah, das will niemand wissen, versichert er ihr nachdrücklich. Niemand wird danach fragen. Auch Nelly will nicht alles wissen, etwa nichts davon, dass ihr Mann sie verraten hat. Das Glück hat Vorrang, die Zukunft – natürlich. Mit den Mitteln des film noir reflektiert Petzold die psychologische Situation der Deutschen nach 1945, in der die Menschen den Holocaust durch Verschweigen und Verdrängen zu vergessen, ihn aus ihrem Gedächtnis zu löschen suchten. Denn wie sollte unter dieser Bürde das Neue entstehen? Vor ihren Augen aber, da stehen sie, die Überlebenden, die Zeugen für das, wofür niemand Zeugen haben will. Und wenn doch jemand nach den Lagern fragt, so gibt Johnny ihr zu verstehen, dann solle Nelly erzählen, was sie irgendwo gelesen hat, ganz so, wie man aus einem fernen Roman vorträgt. Zumutbar ist dem Otto-Normal-Verdränger nur die Nelly ohne dunkle Geschichte, die Nelly wie sie früher war, in rotem Kleid und französischen Schuhen, ja, diese Nelly will man sehen, die Sängerin.

                          Nichtsehenwollen auf der einen Seite führt zum Nichtgesehenwerden auf der anderen. PHOENIX stellt Fragen, statt welche zu beantworten: Wie entsteht Identität? Wer erschafft unser ICH? Bin ich, nein, muss ich das sein, was andere in mir sehen, sehen wollen, mir aufzwingen? Was ist mein wahres Gesicht? Und vor allem: Wie wahre ich mein Gesicht? PHOENIX funktioniert bei all jenen Zuschauern nicht, die nicht gewillt sind, die (zugegebenermaßen schwierige) Prämisse zu schlucken, nämlich jene, dass Johnny seine Frau nach der Gesichts-OP nicht erkennt, nicht an ihrem Geruch, nicht an ihren Bewegungen, nicht an ihrer Stimme. Doch Johnnys Nicht-Sehen-Nicht-Wissen(-Wollen) ist weniger eine Prämisse als vielmehr das Thema des Films. Sie zu schlucken hieße auch, das Vergessen zu schlucken; dahingehend erklärt sich vielleicht die polarisierende Wirkung des Films.

                          Mir jedenfalls lief am Schluss ein Schauer über den Rücken, als Johnny seine Frau endlich erkennt, erkennen muss: als Tätowierung – genau dort, wo er lediglich eine gesichtslose Narbe hinterlassen wollte – schlägt ihm die Wahrheit ins Gesicht. Nelly aber geht ins Licht, sie ist genau wie Lene nie wirklich zu den Lebenden zurückgekehrt.

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                            über Liebe

                            Endlich mal ein Film, bei dem man getrost eine Stunde rausgehen kann, ohne etwas zu verpassen.

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                              Kommt zwar nicht ganz an LE SAMOURAI heran (aufgrund einiger wirklich schlecht inszenierter Szenen wie etwa der Strangulationsszene mit einem komisch gleichmütigen Opfer), dennoch bestechend in der destruktiven Konsequenz bezüglich Plot, Stimmung und filmischer Mittel.
                              SPOILER
                              Dass die Resistance am Ende genauso ihre eigenen Kinder frisst, wie wir es besser aus einer anderen französischen Epoche kennen, mag historischer Unfug sein, unterstreicht aber einmal mehr Melvilles Botschaft, dass jede ideologische Bewegung bei dem Versuch, Störimpulse auszuschalten, und geht sie aus noch so humanen Beweggründen hervor, schließlich sich selber hinrichtet und sich dabei "gegen jede moralische Reflektion des eigenen Handelns abhärtet", wie Cinepheel treffend anmerkt.

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                                Es gibt in Un flic, der überhaupt recht beachtliche Längen aufweist, eine der in dieser Hinsicht bemerkenswertesten Sequenzen in Melvilles gesamten Oeuvre, nämlich den zweiten Coup (Simon lässt sich vom Helikopter auf den Paris-Lissabon-Zug abseilen, um an die Drogenkoffer zu kommen). Melville zeigt uns diese Sequenz quasi in Echtzeit, sie dauert genau so lange, wie Simon Zeit hat, nämlich knapp 20 Minuten; nach der Hälfte der Zeit schaut Paul auf die Uhr und sagt, er hat noch 10 Minuten, bevor der Zug eine Ortschaft (samt Kirchturm) erreicht.

                                Es gibt innerhalb dieser knapp 20 Minuten eine dahingehend alles auf die Spitze treibende Plan-Sequenz, nämlich als Simon sich in der Zugtoilette zurechtmacht. Ungewöhnlich ist sie in ihrer Länge und Ausführlichkeit. Ich fragte mich tatsächlich, aus welchem Grund uns Melville jetzt auch noch die fünfte, die sechste Gesichtswaschung zeigt (obwohl wir nach der ersten Begriffen haben, um was es geht), warum Melville uns zum ersten, zum zweiten, zum dritten Mal zeigt, wie er sich das Gesicht abtrocknet, warum Melville uns zum neunten, zum zehnten Mal zeigt, wie er sich mit dem Kamm durchs Haar fährt und warum uns Melville in aller, ja Überflüssigkeit zeigt, wie Simon seinen Reißverschluss öffnet, den Anzug ablegt, ihn zusammenrollt, die Schuhe wechselt und anschließend jedes einzelne Teil sorgsam verstaut, um sich dann nochmals die Haare zu kämmen, noch zweimal, dreimal, und schließlich bekommen wir auch noch zu sehen, wie er penibel das Waschbecken sauberwischt.

                                Es gibt im Grunde keine wirkliche Motivation für diese Ausführlichkeit, dachte ich. Warum also tut Melville uns Zuschauern das an? Warum diese Längen, zumal er die Plansequenz nach drei Minuten sowieso unterbricht, um den nahenden anderen Passagier zu zeigen (ohne dessen Erscheinen die ganze Aktion sowieso sehr fragwürdig gewesen wäre, da Simon in seinem schönen roten Morgenmantel niemandem begegnet wäre). Etwa um Simons Charakter, seine Akribie in der Planung und seine Ruhe in der Ausführung, aufzuzeigen? Sicher nicht. Etwa der Spielerei mit der Echtzeit wegen?

                                Es gibt Filme, die gehen mir tagelang nicht aus dem Kopf, bei Un flic war es nur diese eine Szene. Gerade diese Toilettenszene, über deren Länge ich mich so empört hatte, hatte sich nun in meinem Gedächtnis festgesetzt wie keine andere und wird dort auf ewig mit Melville verbunden bleiben, genau so wie der Vogelkäfig in Le Samourai – ein Käfig, eine Zugtoilette, diese melvillesche Metaphorik, höchste zeitliche Ausdehnung auf engstem Raum, diese Kulisse, dieses Rattern und Dröhnen des Zuges, diese fast schon meditative Verhaltensbeobachtung, es versöhnte mich schließlich doch noch mit Un flic, von dem ich anfangs doch ein wenig enttäuscht war.

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                                • Godard reflektierte das Medium Film gnadenlos und darin ist er der konsequenteste gewesen. Ihm ging es weniger darum, dass wir Genuss an seinen Filme empfinden, vielmehr passiert genau das Gegenteil: wir werden unablässig damit konfrontiert, welcher Mechanismen es bedarf, um den Zuschauer, um uns, zu verführen, und in dem Moment, in dem diese Mechanismen offengelegt werden, sind wir plötzlich abgestoßen, wir wollen kein Kino sehen, dass uns nicht verführt, dass uns darüber hinaus unsere Verführbarkeit vor Augen führt.

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                                    Ach ja, der deutsche Film. Mir wird so schwer ums Herz. So viel soziale Kälte, so wenig Ästhetik, so schlechte Schauspielerei, so viel Ignoranz gegenüber dem Zuschauer, der sich doch auf schöne Kinoerlebnisse freut und auch weiterhin freuen will. Ihm wird es hier nicht leicht gemacht. Der Österreicher Weingartner trampelt durch sein dokumentarisches Setting, als hätte er vergessen, dass er eine Kunstform betreibt. JA! FILM IST KUNST! Zugegeben, es gibt sie, die Momente, die dunkel an so etwas wie Filmkunst erinnern, etwa die Wolfsszene, die aber eben, wie alles andere bei diesem Film, wenig originell ist, einfach ideenlos. Vielleicht meint Weingartner ja tatsächlich, dass sein stilloser Stil (Hyperrealismus?) selten originär wäre - das Gegenteil ist der Fall: die Verweigerung einer gewissen Ästhetik (und wäre es wenigstens eine Art Minimalismus) schafft keinen inhaltlich-formalen Einklang, sondern trübt den Blick auf die Themen Weingartners, der - wie ich glaube - ja sehr Wesentliches zu erzählen hat. Aber wieso macht er das plump? Ja PLUMP, ein bessers Wort lässt sich für seine Filmemacherei gar nicht finden. Da ist also wieder einmal viel Wasser von den Mühlen der zahlreichen Kritiker des Deutschen Kinos wegzuwischen, zu denen ich mich wohlgemerkt NICHT zähle, denen ich aber gerade nach solchen Filmen wenig zu entgegnen habe.

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                                      Woody Allen verbreitet mal wieder Langeweile.

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                                        Nymphomaniac fehlt es an Rohheit, an Ungehobeltheit, an Schmutzigkeit, an Unberechenbarkeit, an Bildgewalt, ja, genaugenommen mangelt es dem Film an einem wesentlichen Stück Lars v. Trier. Vielleicht ist er mittlerweile ein zu abgebrühter, ein zu feingeschliffener Regisseur, jemand, der schon sämtliche Grenzen ausgelotet hat und sich nun satt und überdrüssig zurückzieht in sein Spielzimmer für Erwachsene, darauf bauend, dass aus dem vermeintlich skandalösen Thema im Einklang mit einem Sammelsurium zusammengewürfelter Bausteine, intellektuellen Einsprengsel, Schrifttafeln, Anglermetaphern, (eine Aneinanderreihung von 50 Penisaufnahmen ist da noch der originellere Part) so etwas wie ein Gesamtkunstwerk entsteht. – Dies gelingt leider nicht. Es bleibt beim lustlosen Dahinwürfeln. Dahingehend versinnbildlicht Joes Würfelbecher diesen Film bestens. Im Ergebnis bleibt ein Würfelspiel, bei dem sich jeder Wurf jedoch nicht als zufällig erweist, sondern als gestellt, denn es gibt kaum eine Filmminute, die die Konstruiertheit des Ganzen vergessen lässt, weshalb Trier natürlich auch noch das Überdrussthema schlechthin verhandeln muss, Wahrheit und Glaube.

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                                          Dieses aussterbend schöne Detroit, diese detailversessenen Requisiten und Räume, diese Stimmung von Ewigkeit, diese Sounds und Klänge, diese Lichter und Gassen, diese gemalten Stillleben und natürlich diese beiden sich reibenden Figuren - oh Jim Jarmusch, wie alt ist dieses Genie mittlerweile? Über 60. Und doch ewig jung und so gut wie eh. Es ist schon eine Weile her, dass ich mich mal wieder in einem Film so vollkommen und in jeder Sekunde verlieren und hiernach mit derart erhebenden Gefühlen das Kino verlassen konnte (ich glaube es war bei Melancholia).

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                                            über XXY

                                            Allein ein schwieriges Thema und eine mutige Herangehensweise bedeutet keineswegs, dass wir es mit einem herausragenden Film zu tun haben: klarer Fall von überbewertet.

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                                              Der Film kommt zwar als Heist daher, doch handelt es sich keineswegs um einen Heist, sondern um einen existentialistischen Film (weshalb er von vielen, die meinen, es handle sich um einen Heist, auch als langweilig bewertet wird). Es geht um einen gelangweilten, traurigen, verzweifelten Menschen, dem - weil er alles haben kann - nichts anderes bleibt, als die Zeit totzuschlagen und dafür kann der Nervenkitzel nicht groß genug sein.

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                                                Ein Gemälde. Ohne Worte.

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                                                  Was sollte man FINSTERWORLD vorwerfen? Etwa dass er zu plakativ ist, zu gewollt, zu schematisch, zu metaphorisch? Und dass er im Grunde nicht mal besonders gut funktioniert, eher so dahergerumpelt kommt? Außerdem sich hätte viel mehr trauen können? Und schließlich dass er auch viel zu pc ist? Ja genau, das alles kann man ihm vorwerfen. Dennoch ist es doch irgendwie schön, dass sich Kracht und Finsterwalder, Menschen mit einer eignen Stimme, mit einem hierzulande seltnen Blick, ans Filmische gewagt haben. Es sind Künstler, die uns mit jeder Einstellung zu verstehen geben, dass sie gar nicht wissen, wie Filmemachen geht, denen das Medium Film offenbar nicht in die Wiege gelegt wurde, die es sich aber genau deswegen auch erlauben können, wie ganz selbstverständlich bei den Großen, etwa bei BABEL abzuschaun, ohne dass es jemanden stören würde, denn hier bleibt alles, wenn schon nicht Metapher, dann Karikatur. Zumal Finsterwalder in der Figur der Franziska ihre eigene Karikatur gleich mitliefert, jemand, der gerne Filme machen will, dem aber die Kunst, die Ästhetik, die Sicht, die dieses Medium verlangt, nicht gegeben ist und die so staunend auf Seidl, Antonioni, Haneke schielt, wissend, dass sie diese Gipfel nie wird erreichen können, so viel sie auch zu sagen hätte, über Deutschland, über die Menschen, über den Ekel. Kracht und Finsterwalder sollen weiter machen, spannend zu beobachten bleibt es in jedem Fall, manchmal auch eklig, aber vor allem schön finster.

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                                                    über Woyzeck

                                                    Ohh, noch kein einziger Kommentar zu dieser durchaus mutigen Woyzeck-Wiederbelebung; na dann bitte: allein sich auf diese nicht ungefährliche Unternehmung einer Büchner-Verfilmung einzulassen, soll an dieser Stelle gewürdigt sein.

                                                    "Zeig Er seinen Puls." - Wir sehen Tom Schilling, der verkabelt und mit Hannibal-Lecter-Sauerstoffmaske auf einem Laufband rennt. Dieses Bild kehrt immer wieder. Auch auf den Bildschirmen des Doktors. Es steht wie kein anderes für die Transponierung des "Subjekt Woyzeck" vom Erbsen- zum Pharma-Tester, für die Wissenschaft bleibt er ein interessanter Kasus.

                                                    Um es kurz zu sagen, die klaustrophobische Psychedelic in Bild und Sound sticht durchgehend heraus, wohingegen die erzählerische Plotgestaltung vielleicht etwas zu kurz gekommen ist, denn ein Woyzeck anno 2012 hätte doch so viel mehr (und vor allem Differenzierteres) an Stoff zu bieten, aber vll. hätte darunter dann auch die schizoide Atmosphäre des Films gelitten, diese U-Bahn-Nebentunnel, diese kargen Räumlichkeiten, diese nervöse Hinterhofkiezkultur, und vor allem die beiden Hauptdarsteller: die immer leichenblass und apathisch herumwandelnde Nora von Waldstätten und natürlich dieses so fühlbare Abdriften in die Psychose einer von Tom Schilling erneut großartig interpretierten Figur namens Woyzeck, die nicht nur des Namens wegen nicht so recht in die Zeit passen will.

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