Retro-Übersättigung oder: Warum die 80er Jahre nerven

10.08.2016 - 08:55 UhrVor 4 Jahren aktualisiert
Stranger Things: Rückbesinnung mit dem Vorschlaghammer
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Stranger Things: Rückbesinnung mit dem Vorschlaghammer
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Die 1980er Jahre sind allgegenwärtig in Film- und Fernsehproduktionen wie der Netflix-Serie Stranger Things. Das hat mit Nostalgie und verständlichen Sehnsüchten, aber auch reichlich Verklärung zu tun. Es droht die Retro-Übersättigung.

Wenn es für Stranger Things, die aktuell sehr populäre Netflix-Serie mit den vielen Eighties-Vibes, eine Zielgruppe gibt, zähle ich ganz bestimmt dazu. Als Kind der 1980er Jahre wurde meine filmische Sozialisation maßgeblich von Regisseuren wie Steven Spielberg, Joe Dante und John Carpenter geprägt. Ich war und bin offen, sogar überaus empfänglich für phantastische Stoffe. Und wie so viele Kinder fieberte ich einst mit, wenn Die Goonies auf Schatz- oder die Jungs in Stand by Me auf Leichensuche gingen, wenn Molly Ringwald erste Adoleszenzerfahrungen sammelte oder die Gremlins das Suburbia von Teenagern wie ihr durcheinander brachten.

Später, dem Geist der Dekade nicht weniger verpflichtet, sah und liebte ich auch die Genremeisterwerke jener Zeit, von A Nightmare On Elm Street bis RoboCop. Noch immer habe ich eine Schwäche für Slasher-Cheese, der damals am Fließband produziert wurde, aber erst in x-ter Variation ein Gefühl wahrer Vertrautheit zu vermitteln wusste.

Dieses Gefühl dürfte entscheidend sein für Erfolg und Beliebtheit zahlreicher gegenwärtiger Film- und Fernsehproduktionen, die offenkundig am Kino der 80er Jahre geschult sind und viel Mühe darauf verwenden, es zu beschwören oder daran konkret anzuknüpfen. Stranger Things versucht gleich beides: Die im Jahr 1983 spielende Serie ist eine detaillierte Rekreation ihrer Zeit, deren politische und popkulturelle Besonderheiten sie durch die Nostalgiebrille betrachtet, und sie ruft nicht nur historisierte Bilder auf, sondern versucht selbst Teil dieser Bilder zu werden.

An filmischen Referenzen führt das natürlich nicht vorbei, sie werden sogar fleißig ausgestellt. Inhaltlich ist die Serie besonders ikonischem Spielberg-Material verpflichtet, und ästhetisch folgt sie allem, was unmissverständliche Erkennungszeichen trägt. Dieses Video bereitet diverse Bildzitate und Verweise von Stranger Things auf (wenn auch längst nicht alle, es fehlt insbesondere der in den letzten beiden Episoden wiedergekäute Höllentrip):

Wie gesagt, eigentlich müsste mir dieser Kniefall vor Dingen, zu denen ich deutliche Bezugspunkte habe, gefallen. Dass er das aber nicht tut, liegt zuallererst am Umgang der Serie mit dem Kino eines Jahrzehnts, das auch heutigen Generationen allzu vertraut sein dürfte. Es begnügt sich mit schlichten, nicht sehr interessanten Nachstellungsgesten.

Die jugendlichen Charaktere, seien es nun die scheinbar Explorers entsprungenen Jungs oder ihre älteren, in erste Liebesnöte verwickelten Geschwister, sind nicht allein Abziehbilder bestimmter Figurentypen des Coming-of-Age-Films der 80er Jahre, sondern müssen ihre Nachgemachtheit als – quasi doppeltes – Zitat auf zwei Beinen auch mit Dialogen bestätigen, die auf Zeitgenössisches rekurrieren. Ständige Erwähnungen finden Marvel-Comics und Tolkien-Bücher, an Kinderzimmerwänden hängen, warum auch immer, Plakate von Tanz der Teufel und dem eigentlich erst viel später zum Kultfilm avancierten Das Ding aus einer anderen Welt.

Mein Missfallen, abseits des also eher penetranten Referenz-Bingos, hat zum anderen mit einer grundsätzlichen Skepsis gegenüber dem schon seit einigen Jahren andauernden Eighties-Revival zu tun. Die Rückbesinnung auf ein Jahrzehnt, das seinerseits schon Rückbesinnung war, nämlich ein Throwback in die behüteten (und ehrlich gesagt ziemlich langweiligen) 1950er Jahre, ist von einem unangenehmen kulturellen und moralischen Konservatismus geprägt.

Der letzte Star Wars, Episode VII - Das Erwachen der Macht, wurde gefeiert dafür, dass er im Gegensatz zu den übel beleumundeten Prequels alles noch einmal so machte, wie man es kannte und liebte, der letzte Indiana Jones aber, Das Königreich des Kristallschädels, stieß mit der inhaltlichen und technischen Weiterführung der Geschichte auf Ablehnung. Folgt ein beliebtes Franchise der 80er Jahre nicht servil dem entsprechenden Publikumsdiktat, können Fans, wie bei der Neuauflage der Ghostbusters geschehen, schon mal auf die Barrikaden gehen.

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Dass in der Sehnsucht nach vertrauten Gefühlen auch ein Wunsch nach alten Verhältnissen Ausdruck findet, ist nachvollziehbar. Das Genrekino der 80er Jahre erzählte, wie es zuvor die 50er Jahre mit Filmen über außerirdische Invasionen taten, von der "roten Gefahr" (oder der Angst vor dieser Gefahr), die nicht mehr als abstraktes Monstrum über Vorstadtwelten hereinbrach, sondern konkret wurde. Sie musste bekämpft werden entweder auf amerikanischem Boden (Die rote Flut) oder, wenn der US-Action-Film seine Söldner von Reagans Gnaden  entsandte, direkt im Lager des Feindes (Rambo II und Konsorten).

Nachvollziehbar ist das deshalb, weil die retrospektive Übersichtlichkeit des Kalten Krieges (welcher auch in Stranger Things viele Echos produziert) im Auge einer kaum mit simplen Gut-Böse-Schemata zu bewerkstelligenden Gegenwart beinahe sentimental stimmt – der Rückgriff auf die 80er Jahre ist auch ein Fluchtmanöver in die Fantasie einer heilen oder zumindest wieder heil zu bekommenden Welt.

Die Fantasie gewinnt dabei an naiver Attraktivität, wenn sie ihre Helden als quirlige, wenngleich versierte Dreikäsehochs präsentiert, denen es gelingt, Einfluss auf hochrangige Regierungsoperationen zu nehmen (WarGames, Stranger Things), und die – im Gegensatz zu den Erwachsenen – fähig scheinen, sich mit dem Fremden zu arrangieren oder es sogar zu verstehen (E.T. - Der Außerirdische, Stranger Things).

Diese Figuren sind Affirmationen des kleinen Mannes (beziehungsweise des kleinen Jungen), und ihr Suburbia ist ein Schutzraum, der zwar nicht frei von Problemen im Kleinen ist (Winona Ryder tritt in Stranger Things als Reinkarnation von Dee Wallace auf und spielt eine leicht hysterische, also alleinerziehende Spielberg-Mutter), die großen Konflikte aber umso besser gelöst bekommt: Der Rückzug ins Private hat im 80er-Jahre-Kino oft eine erlösende Qualität. Auch das ist Teil des Gefühls, auch daran soll das Revival erinnern (und es scheint, als wolle es gar nicht wissen, wie hintersinnig etwa Poltergeist den Suburbia-Schutzraum schon als Lüge vorführte).

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