AktionMorgenluft - Kommentare

Alle Kommentare von AktionMorgenluft

  • 7 .5
    über Frank

    Wie die Figur Frank, so ist auch der Film etwas ganz Besonderes. Es wird Menschen geben, die nicht ein einziges Mal lachen, aber innerlich brüllen müssen und umgekehrt, beides aber spricht für diese Kleinod. Frank verbindet in seiner Sonderstellung tragikomische Aspekte mit skurrilem Charme, die musikalischen Perspektiven und stets sehr andersartigen Klänge schaffen eine unverwechselbare Stimmung, die diesen Film so fremdartig und gleichzeitig anziehend wirken lassen. Trotz fehlendem klaren Aufbau oder gerade deshalb, schafft Frank es, über den gesamten Verlauf, seine sanfte Spannung aufrechtzuerhalten. Die sich zuspitzende Lage in der Band und die, dem gegenüberstehende Erfüllung Jons, schaffen einen unverklärten Blick auf fragile Persönlichkeiten, die in der Summe alle nicht für den Weg nach oben bestimmt zu sein scheinen. Ein mitreißender und unanständig charmanter Außenseiter.

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    • 7

      Puh, was für Verstrickungen. Solch komplexe Handlungsstränge hat man nicht oft am Sonntagabend. Dieser Tatort folgt zwar aufmerksam dem Verlauf der Ermittlungen, weiß dabei aber eine Geschichte zu erzählen (Skript: Thomas Wendrich), die hängen bleiben dürfte. So bleiben doch einige offene Fragen nach dem Schluss, die es noch zu beantworten gälte. Regisseurin Katrin Gebbe setzt dabei auf voll auf ihre Schauspieler und weiß diese gut in Szene zu setzen. Heike Makatsch spielt einfach geraderaus und findet eine schöne Balance zwischen beruflichem Durchsetzungsvermögen und ihrer familiären Geschichte. Der Hintergrund dieser hat Spuren hinterlassen, und nichts an Wirkung eingebüßt. Die badische Mundart, die ihr aus dem Kommissariat entgegenkommt, lässt sie nur noch fremder und abseitiger wirken, was ihrer Rolle zugutekommt. Über die Kommissarin und ihre Kollegen erfährt man nicht viel, dafür umso mehr über Beteiligten am Mordfall.

      Der ein wenig breit angelegte Jugendsprech hätte an mancher Stelle etwas kürzer treten können, aber alles in allem verkörpern die Schauspieler ihre Rollen emotional nachvollziehbar, was dazu führt, dass die Jugendlichen weitestgehend die vorherrschenden Umstände aufzeigen. Die Atmosphäre ist dadurch stimmungsvoll aufgeladen und bedrückend. Trauer und Kompromisslosigkeit leben in diesem Viertel, aber auch von außen kommt nicht viel Gutes, sodass Türen meist verschlossen bleiben.

      Freiburg in seiner hässlichsten Seite beeindruckt mit fast schon nebensächlicher Armut und Hinterhofstimmung. Die Dramatik der vergessenen Sozialhilfeempfänger findet im Verlust ihren Anfang und verdichtet sich durch die Zeit, die hier für jeden anders ticken müsste. So braucht es bei einem ein Jahr der Ohnmacht, bei dem anderen fünfzehn, bei wieder einem anderen eine gänzlich andere Definition. Ämter und Behörden kennen diesen Stillstand nicht und geben für schlechter Eingestimmte kompromisslos eine Abwärtsspirale vor. Die Folgen davon kann man eindringlich hinter den Fassaden Freiburgs sehen: Bio-Kiffen für fünf Minuten Himmel.

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      • 7

        Kommissar Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) tingelt durch die Flughäfen Deutschlands, um auf mögliche Sicherheitslücken, die Terroristen ins Land bringen könnten, hinzuweisen. Während einer seine Undercover-Einsätze ist der Bundespolizist am Flughafen Hannover, wo er von der Polizeioberkommissarin Julia Grosz (Franziska Weisz) gekonnt niedergestreckt wird. Prompt gibt es auch die erste Leiche, welche sich für den Fall als unwichtig rausstellen sollte. Diese ist nämlich tragisches Opfer einer Verwechslung, denn eigentlich wollte der, am Flughafen arbeitende Rocky Kovac (Christoph Letkowski), einen anderen Mann von der Passkontrolle wegschleusen, nämlich Enis Günday (Cem-Ali Gültekin), welcher vor einigen Jahren Deutschland verlassen und sich dem IS angeschlossen hat und nun in „heiliger Mission“ zurück nach Deutschland gekommen ist. Faber und Grosz ermitteln konsequent und versuchen das Schlimmste abzuwenden, während Rocky erfährt, wen er da eigentlich rausgeschmuggelt hat.

        Da Falke nun ohne seine Partnerin Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) auskommen muss, verpasst ihm Drehbuchautor Florian Oeller die wortkarge, aber smarte Julia Grosz. Unter dem Mantel des Terroristen-Krimi wird ihre Vergangenheit und damit ihre Figur als künftige Partnerin nachvollziehbar eingebettet und auch sonst scheint die Kombination aufzugehen, sodass man sich auf mehr freuen darf. Enis Günday als IS-Rückkehrer bietet einiges an Diskussionsgrundlage, da er nicht einseitig und flach daherkommt, sondern von seiner Schwester genau als das hingestellt wird, was er ist. Denn Enis "war schon immer so". Wusste nicht wo er hin wollte. Hat sich von anderen leiten lassen. Hatte keine eigene Persönlichkeit. Ein Blatt im Wind, das sich Anerkennung und Halt erhofft. Und genau das ist es, was junge Menschen in Terrorismus, Rechtsradikalität und sonstige Extreme abtreiben lässt, nicht etwa göttliche Überzeugungen oder Rachegedanken, was Florian Oeller hier ganz richtig herausstellt.

        Göttlicher Sinn wird hier nur systematisch von den „Brüdern“ eingeimpft, um Rechtfertigung beim Auslösen des Mechanismus oder des Abzugs zu erfahren. Folglich wackeln diese Überzeugungen Enis auch bei jeder Konfrontation. Vor allem die Dialoge zusammen mit Rocky sind hier sehr menschlich und berührend geraten. Sie weisen darauf hin, was mit einem Menschen geschehen kann, der gesellschaftlich nicht aufgefangen wird, wenn es ihm schlecht geht. So kommt es auch nicht von ungefähr, dass Enis verboten wird, seine Familie vor dem Attentat anzurufen.

        Özgür Yildirim zeigt uns visuell stimmige Bilder und hinterlegt diesen Tatort mit Klängen von Mousse T., was eine durchaus interessante Atmosphäre schafft. Auch erzählerisch und thematisch macht dieser Tatort eine gute Figur, von kleinen logischen Problemen mal abgesehen. So müsste dem Zuschauer erst mal erklärt werden, wie man heimlich einen Gang auf einem Flughafengelände einbaut, ohne dass es jemand mitbekommt und warum der tote Winkel der Kamera nicht ausgereicht hätte. Nichtsdestotrotz wird die real existierende Terror-Gefahr durchaus ernst genommen und spannend sowie kritisch bearbeitet.

        Wen hier letztlich nun der Zorn Gottes trifft, bleibt aber dennoch fraglich. Sind es die potentiellen Opfers eines fehlgeleiteten Attentäters? Trifft es jene, die sich ihm in den Weg stellen oder am Ende den Attentäter selbst? Zornig sind in diesem Tatort nämlich nur Menschen. Menschen mit ihren natürlichen Bedürfnissen und Wünschen, deren Missachtung sie in Positionen treiben, in die sie gar nicht wollen.

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        • ?

          Ich verspüre eine gewisse diebische Vorfreude...

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          • Damit hast du nicht nur dir eine Freude gegönnt :D Sie verachtet Männer, die auf Ziegen starren... Sehr schön! Super Liste

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            • 9

              Judy Hopps hat Träume. Als zu den kleinen Säugetieren zählende Häsin, hegt sie nur einen Wunsch! Sie will zur Polizei. Von ihren ängstlichen Eltern ermuntert, nur Träumen nachzuhängen, die sie zur Karottenfarmerin befördern, schafft sie es trotz aller Widerstände und dank des Programms zur Eingliederung kleiner Säugetiere zum Zoomania Police Department. Das ZPD liegt, wie der Name andeutet, in der Metropole Zoomania und beherbergt alle Arten von Säugetieren in ihrem natürlichen Habitat, welche als klimatische Versorgungsbereiche fungieren, wie z.B. „Tundratown“, „Sahara Square“ und die Nager-Miniatur-Stadt „The Burrows“. Doch die Eingliederung in Stadt und ihrem neuen Arbeitsgebiet soll sich schwieriger gestalten, als gedacht, denn durch altbackende Überzeugungen in selbigem bleiben Judy Hopps nur 48 Stunden, um den Fall eines vermissten Otters aufzuklären. Nick Wilde, ein gelegenheitskrimineller Fuchs entpuppt sich dabei als große Hilfe und schnell wird aus dem diametral angelegten Paar eine spürnasige Schicksalsgemeinschaft. Fuchs und Has nehmen gemeinsam die Fährte auf und sind einem gigantischem Verbrechen auf der Spur.

              Entgegengesetzte Konstellationen von Raubtier und Beutetier sind in Zoomania aufgehoben und durch ein gemeinsames Zusammenleben ersetzt worden. Die Tiere sind anthropomorph angelegt, verhalten sich also wie Menschen. Das wirklich Bemerkenswerte aber daran ist, dass die Macher es geschafft haben, für menschliche Wesenszüge wirklich treffende tierische Entsprechungen zu finden. Nicht nur das beseelte Yak in der Yoga- Oase für Nudisten oder das schnellste Bürokraten-Faultier namens Flash aus der Zulassungsstelle sorgen für, vor Lachen rote Augen, sondern auch die vielen anderen Bewohner von Zoomania, die irgendwie alle miteinander klarkommen müssen. Demnach nennenswert ist die Art des Humors, der sich aus dem „normalen“ Verhalten seiner Bewohner ergibt und uns aus einem, äußerst groß geratenen Spiegel heraus, zuzwinkert, und das so schnell, dass man den Film sicherlich mehrmals sehen muss, um alles aufzusaugen. Ob Missverständnisse, natürliche Verwicklungen, reichlich popkulturelle Referenzen oder Slapstick-Einlagen, hier hält sich alles angenehm die Waage und wirkt nie aufdringlich. Vielfalt und Erfindungsreichtum beweisen ebenso die Dialoge und Beziehungen, die nicht nur amüsieren, sondern auch die Utopie (im Original deshalb auch „Zootopia“) plausibel aufrechterhalten, kultureller Overlap inbegriffen. So prototypisch die Charaktere sind, so einzigartig werden sie durch ihr Verhalten.

              Zoomania hat sich thematisch ein ganz schönes Paket aufgeladen. Hauptsächlich werden hier Vielfältigkeit, Diskriminierung und gesellschaftliche Missstände angesprochen, aber auch Zutrauen, Mut und Freundschaft sind Inhalt. Der ZPD-Leitbüffel Bogo bringt in einer kurzen Ansprache die Herausforderung auf den Punkt.

              “It’s not about how badly you want something. It’s about what you are capable of!”

              Es scheint, als hätte man der Häsin diese Worte von Geburt an auf den Leib tätowiert, denn aus ihr spricht genau der Widerstand, der diese Worte verinnerlicht und aufgezogen hat und sie genau deshalb konsequent ablehnt. Von der Opfer-Häsin keine Spur. Ihr Handwerkszeug ist Wille, Überzeugung und manchmal herzzerreißende Aufrichtigkeit. Und dass ist es auch, was Zoomania von anderen Animationsfilmen abhebt. Disney spielt hier zwar auch mit der empathischen Grundhaltung der Zuschauer, nimmt sie und ihre Themen dabei aber vollkommen ernst. Probleme, die sich aus Vielfalt ergeben werden hier nicht einfach als solche hingestellt, sondern als natürlicher Faktor behandelt, der keiner weiteren Sinndeutung bedarf. Man könnte auch in den Himmel schreiben: „Wir sind eben alle unterschiedlich!“ Große und kleine Zuschauer werden somit mit nachvollziehbaren Hindernissen konfrontiert, aber nicht belehrt. Integration als Kinderspiel. Eben nicht.

              Was einen nämlich restlos überzeugt sind die Problemlösestrategien, die Judy Hopps und Nick Wilde anwenden, um an ihr Ziel zu kommen. Sie nutzen die Vielfalt oder Besonderheiten der Bewohner für ihr Ermittlungen und arbeiten sich somit dahin, wo Hopps engstirnige Kollegen bisher gescheitert sind.

              Das alles ist in der Welt der Animation bei Weitem nicht neu, wirkt hier aber nicht so bemüht, sondern rundum gelungen. Auch die Verknüpfung von zwei Zielgruppen ist ausgezeichnet gelungen und spricht für die Hingabe an diesen Animationsfilm. Integration wird hier ganz neu und außerdem sinnig gedacht. Mit anderen Worten: Zoomania schafft es, dieses Paket und noch mehr zu schultern. Ein großer und wichtiger Film, der zu begeistern vermag.

              Zum Schluss reiche ich das Mikro an Häsin Judy Hopps, die da sagt:

              “Life’s a little bit messy. We all make mistakes. No matter what type of animal you are, change starts with you.”

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              • 9

                45 Years betitelt den Stand der glücklichen Ehe von Kate Mercer (Charlotte Rampling; Oscar-Nominierung und silberner Bär) und ihrem Ehemann Geoff (Tom Courtenay; silberner Bär). Für die Feier zu Ehren dieses Tages laufen Vorbereitungen in alle Richtungen. Freunde helfen und prophezeien viele Tränen, der Festsaal wird ausgesucht und es verspricht ein netter und schöner Abend zu werden, als Geoff plötzlich einen Brief erhält. In diesem erfährt er, dass die Leiche seiner damaligen Freundin Katya aufgefunden wurde, die er durch einen Sturz in den Bergen ums Leben gekommen ist. Vor 50 Jahren waren Geoff und sie mit einem Freund auf einer Wanderung, als sie unvermittelt in eine Felsspalte stürzte. Als er diesen Brief in den Händen hält und später überlegt, in die Schweiz zu fahren, geht ein einschneidender Ruck durch die Ehe der beiden.

                Andrew Haigh ("Weekend") adaptierte für das Drehbuch eine Kurzgeschichte von David Constantine. Der Hauptfokus liegt auf Geoff und Kate und deren Umgang mit der Erinnerung an Katya (namentlich ähnlich angelegt) sowie den daraus emporsteigenden Emotionen. Ganz leise und sacht entfaltet sich das Miteinander der beiden Partner, die routiniert und herzlich miteinander wirken. Sätze, die nicht richtig ausgesprochen werden müssen, weil der andere weiß, was man denkt oder sagen möchte, gemeinsame Erinnerungen, die sich in der Zeit zu einer gemeinsamen geformt haben sowie die selbstverständlichen Berührungen bei den alltäglichen Verrichtungen. Dabei lebt dieses Zusammenspiel von der Virtuosität der beiden Hauptdarsteller, denen man zu jedem Zeitpunkt ihre jahrelange Intimität abnimmt. Eine Intimität und Verbundenheit, die scheinbar schon viel Tiefen überwunden hat und daran gewachsen ist. Charlotte Rampling spielt diese Rolle nicht einfach nur, sie lebt sie, reduktionistisch, auf den Punkt und jeden Grundton bestimmend. So vermögen es auch nur die leisen Zwischentöne, am Gerüst dieser starken Verbundenheit zu rütteln und sie auf die Probe zu stellen. 45 Years ist dabei einer dieser wenigen Filme, in denen man ab und an das Gefühl hat, man stört als Zuschauer, denn das Leiden Kates durchdringt einfach alles und auch die immer stärker werdende Abwesenheit Geoffs ist zu jeder Zeit spürbar.

                Als Kate etwas mehr über die Vergangenheit ihres Mannes herausfindet, bröckelt ihre Ehe. Auf dem Dachboden sitzend kann man ihr in einer Abfolge von Dia-Bildern die Zerrüttung ansehen, die sie nach außen hin zu verbergen versucht. Dieser Versuch, sich davon nichts anmerken zu lassen, zwingt auch beide in eine verfahrene Situation hinein, die zum Ende hin bis zum Bersten gespannt ist. Beide hören auf, miteinander zu reden. Kate sagt dann auch sinngemäß an einer Stelle, dass sie sich noch nicht kannten, aber in dem Jahr des Unfalls, beide mit einem Verlust umgehen mussten (ihre Mutter starb auch in diesem Jahr). Sie befindet es daraufhin als sonderbar, dass sie erst jetzt darüber sprechen würden, da es für beide ein besonderes Jahr war. Es ist letztlich ihr verzweifelter Versuch, an etwas anzuknüpfen, an das man nicht anknüpfen kann und eine Verbindung zu schaffen, wo keine sein kann.

                "Wenn wir älter werden, hören wir auf, Entscheidungen zu treffen. Darum sind die, die wir treffen, wenn wir jung sind, so verdammt wichtig."

                ---Spoiler---

                Es ist etwas, dass wir alle kennen, wenn wir neue Beziehungen mit Menschen eingehen und versuchen, unsere Vergangenheiten und Gefühle mit einzubringen. Der jeweils andere wird immer wissen, dass es andere vor ihm gegeben hat. Es wird immer die große erste Liebe geben, die der andere nicht ist. Geoff allerdings, hat diese Vergangenheit in der Felsspalte neben Katya begraben und nun holt die Erinnerung an diese Liebe nicht nur ihn, sondern auch sein Leben ein. Die Erinnerung an eine Liebe, gegen die man nicht kämpfen und schon gar nicht ankommen kann. In der Rede Geoffs auf ihrer Hochzeitsfeier kann man nur raten, wem seine Tränen letztlich galten. Kates Ausdruck am Ende lässt daran wenig Zweifel, denn er vereint die Bitterkeit aller enttäuschten Lieben, die an diesem Kampf scheitern mussten.

                45 Years ist ein zutiefst ruhiger und besonnener Film, der aber im Inneren für starke Unruhe zu sorgen vermag.

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                • 3

                  In Luzern, da wird gepuzzelt. Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) müssen den Todesfall einer jungen Internats-Schülerin Ava Fleury (Ella Rumpf Capron) lösen, der sich schnell als Mord entpuppt. Denn LKW-Fahrer Fritz Loosli (depperter Fernfahrer) ist letztendlich nur über die bereits tote Schülerin (flüsternde Französin) gefahren, was auch ihr Vater (kühler Rächer) begreifen muss, der Gerechtigkeit um jeden Preis fordert. Recht schnell kommen die Ermittler auf das Internat und finden dort mehrere Situationen bzw. Menschen vor, die vorher in Schubladen wie, verwöhnt und gefährlich, gepackt werden. Die Internatsleitung (bebrillter Hausdrache) und der Hausmeister (Ahnungslose Glühbirne) helfen bei der ersten Spurensuche. Avas Zimmergenossin (die schüchterne Blonde) hat was mit ihrem Kunstlehrer (der schüchterne Rothaarige), der von ihr deshalb erpresst wurde. Ihr ehemaliger Mitschüler (Hipster), vertickte Drogen und wurde von ihr verpfiffen und mit dem arabischen Prinzen (verwöhnter Narr) einer Diplomaten-Familie wollte sie nach London fliehen, was ebenfalls das Missfallen vom Hipster hervorrief, der im Internat übrigens eine Drogenhandlung mithilfe des pubertierenden Urin-Dealers (Quoten-Nerd) aufzog.

                  „Die Herren von der Fifa sind sehr enttäuscht darüber, dass ich ihr Mittagessen so schnell verlassen musste."

                  Aber das wirkliche Problem ist hier der Diplomatenstatus der Herrscherfamilie und der verknallte Flückiger. Hinzu kommen die Kriminaltechnikerin (farbecht) und der Praktikant (Luftikus), der an den Ermittlungen beteiligt wird.
                  Tatort Luzern weiß eigentlich nicht so richtig wohin. Die beiden Kommissare Flückiger und Ritschard (launisch und gar nischt) ermitteln eher farblos, was durch die Synchronisation nicht gerade gewinnt. Auch die Chemie zwischen und mit den anderen Figuren will nicht so recht zünden und durch die äußerst geradlinige Ermittlung liegt der Fokus hier ganz besonders auf diesen. Leider fällt die Charakter-Zeichnung einseitig bis nullseitig aus und mündet bei fast allen Personen in Stereotypen, die ihrer Stellung nicht gerecht werden. Dramaturgisch ist dies jedenfalls nicht nachvollziehbar. So zeigt die Affäre mit dem Lehrer zwar, dass Ava nicht die nette Internatsschülerin von nebenan ist, aber für mehr Sinnfüllendes war offenbar kein Platz. Genauso verhält es sich mit der Dealer-Abzweigung. Narrativ fordernd war dies jedenfalls nicht, geschweige denn vorantreibend.

                  Ein Lichtblick dürften hier Kriminaltechnikerin Corinna Haas und ihr Techtelmechtel mit dem Praktikanten Silvan Bühler gewesen sein, aber auch die Aufklärung am Schluss war sehenswert. Ansonsten gibt es viele Schauplätze, aber wenig Zusammenhänge. Einige Puzzle-Teile passen nicht ins Bild der spannenden Krimi-Landschaft und so ziehen leider dramaturgische Schwächen und Längen das Fazit dieses Tatorts.

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                  • 6 .5

                    Das ist es nun, das neue Ermittler-Team. Die drei Engel von Dresden nach Saalfeld und Keppler, die sich ja jetzt in ihrem Liebesnest suhlen dürften. Im Dresdner Zwinger tummeln sich nun Henni Sieland (Alwara Höfels), Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Maria Mohr (Jella Haase) und natürlich der dazugehörige Charlie, hier verkörpert von Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) als Bezwinger der starken Damen.
                    Die bekommen es alle auch ganz dicke, nämlich in Form von Schlager. Sänger Toni Derlinger von "Toni & Tina" wird während der Proben für ein Schlagerkonzert erschlagen aufgefunden. Und natürlich verstehen sich in der Schlagerwelt alle ganz prächtig. Keiner wars und die beiden Damen, nebst der Polizei-Anwärterin Maria Mohr, müssen sich zwangsweise durch die schrägen Melodien wühlen, während Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (es gibt Menschen, die kann man nur im Ganzen betiteln) den Mädels Stütze und Widerspruch zugleich ist. Ein wunderbar chaotischer Haufen.

                    Dass Drehbuchautor und Produzent Ralf Husmann (Stromberg) für das Skript verantwortlich ist, merkt man diesem Tatort in jeder Sekunde an. Der Fall, eher Schauplatz einer dem Zuschauer nicht immer zugänglichen Nebenhandlung, kommt hier wie gewohnt. Bemüht komisch und gewohnt klischeeüberladen wälzt dieser Tatort am Anfang konstruierte und emanzipierte Probleme und vergisst darüber seine Mitspieler. Die bekommen ab der zweiten Hälfte mehr Raum und wirken mit weniger schnoddrigen Sprüchen im Nacken -die aber durchaus zu unterhalten wissen- wesentlich authentischer und spielfreudiger. Dennoch wird die Botschaft vom neuen Tatort immerzu rausgebrüllt. Altherren raus, Frauen an die Macht und Kaffee heißt ab heute Café Cinnamon Latte für 4,95 Euro. Frischer Wind soll rein und der kommt: Im Sturm.

                    Die Dynamik der beiden Ermittleren Sieland und Gorniak macht durch und durch Spaß und wenn man den Ton noch etwas zügelt und sinnstiftender einsetzt nimmt man den beiden Frauen auch die Polizistin ab. Dass sich hier zudem auch eine Frauenfreundschaft andeutet ist ebenfalls jeder Zeit nachvollziehbar. Ja, diese Frauen haben auch Probleme, aber sie haben auch vor allem einen Job. Und auch Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel rundet dieses Team hervorragend ab, wenn er ernstere Töne anschlägt und ihm statt Frauenquote und politisch korrekte Formulierungen, echte Probleme an die Hand gegeben werden.

                    Natürlich muss man auch ein paar Worte zur Sozialkritik verlieren, die hier ja mit Pegida und Co. mehr als im Fokus stehen. Der Sachse nämlich, der ist dümmlich und mags nicht fremd, pardon: der alte, sächselnde und an alten Werten festhaltende Sachse mags nicht fremd, und Frauen schon gar nicht. Aber schön hat er es im barocken Dresden. So ungefähr jedenfalls der Tatort, der heute ohne Pegida auskam, aber mit Springerstiefeln vor einer Schlager-Bühne zu begeistern weiß. Ja, dieser Tatort nimmt sich nicht sehr ernst, aber: Weniger wäre hier durchaus mehr gewesen. Denn auch das ist Zutrauen. Thematische Bezüge anzudeuten, und dann so dermaßen zu überspitzen, dass auch wirklich niemand mehr auf die Idee kommt, es wäre auch nur irgendjemanden ernst damit, ist letzten Endes eben nur safe. "Auf einen Schlag" kommen hier die Frauen-Figuren (allen voran Alwara Höfels), teils sehr flotte schnippische Dialoge und Schnabel (gut, es geht wohl doch ohne). Mehr davon, dann klappts vielleicht auch mit einem richtigen Mord.

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                    • Weil es schon immer so gut funktioniert hat, Filme in die Länge zu ziehen...

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                      • Auch wenn die Aufteilung in den Hauptkategorien für mich nicht logisch nachvollziehbar ist, freut es mich umso mehr für Spotlight. Zurücklehnen und die Geschichte für sich selbst sprechen lassen. Vielleicht ist das auch manchmal die größere Kunst.

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                        • 7

                          Kartenhaus heißt der treffende Titel des heutigen Tatorts. Die, kurz vor ihrem 18. Geburtstag stehende Laura Hartmann (Ruby O. Fee) baut sich selbiges, wenn sie in ihrem Zimmer tanzenderweise ihren Träumen nachhängt. Nebenan sticht ihr vorbestrafter Freund Adrian Tarrach (Rick Okon) schonungslos auf ihren Stiefvater ein. Ihre Mutter schwelgt zur gleichen Zeit in Madame Butterfly und wartet auf selbigen. Während das Pärchen schnell verschwindet, findet Fr. Hartmann ihren toten Mann auf dem Küchenfußboden. Laura selbst hat von alledem nichts mitbekommen und denkt, dass Adrian und sie verreisen werden. Die daraufhin anrückenden Hauptkommissare Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) werden nicht lange brauchen, um den Täter zu ermitteln. Schnell sind sie dem Pärchen auf der Spur.

                          „Sie lügt – er träumt.“ „Gefährliche Mischung.“

                          Dieser Tatort lebt durch die zwei flüchtigen jungen Menschen und schnell eröffnet sich dem Zuschauer die zugrundeliegende Dynamik der beiden. Pseudologia phantastica trifft auf verklärte Liebe. Mit einer großen Portion Leidenschaft im Rücken steht der Roadmovie-Romantik hier nichts mehr im Weg und wird von den zwei Beteiligten beherzt umgesetzt. Mit schönen bildhaften Übergangen und einem annehmbaren Tempo reift diese Jagd zu einem Abgesang auf die üblichen Fesseln jugendlicher Liebe, die sich nur noch über Technik definiert. Freiheit, Liebe und Sex entgegen aller Widerstände. Rhythmisch durch die Plattenbauten ziehend, dürfen wir auf ein Ende mitfiebern, das unweigerlich einen konsequenten Abschluss finden muss. In diesem Tatort ist das gleichsam schön, wie schade.

                          Und! Wie angenehm, endlich mal wieder ein harmonisierendes Ermittler-Team sehen zu dürfen!

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                          • 8 .5
                            AktionMorgenluft 28.02.2016, 18:12 Geändert 28.02.2016, 23:32

                            Der Zeitschrift Boston Globe ist eine eigene investigative Abteilung zu eigen, die Spotlight-Abteilung. Das Team, bestehend aus Sacha Pfeiffer (Rachel McAdams), Michael Rezendes (Mark Ruffalo), Steve Kurkjian (Gene Amoroso), Matt Carroll (Brian d’Arcy James) und Eileen McNamara (Maureen Keiller), bekommt einen neuen Editor namens Marty Baron (Liev Schreiber). Baron liest in einer Kolumne über die Vertuschung eines Missbrauchs-Skandals durch den Kardinal Law, dem Erzbischof von Boston, und macht sie zum Hauptanliegen von Spotlight, welche die Spur vorerst bis zu 13 Priestern verfolgt. Alle wurden nach dem Vorwurf des Missbrauchs vom Kardinal unter falschen Angaben in andere Positionen versetzt. Auf deren Spur kommen sie nicht zuletzt durch die Hilfe von Anwalt Mitchell Garabedian (Stanley Tucci) und dem Leiter einer Opfer-Rechts-Organisation (Neal Huff). Vorerst skeptisch ob der Bedeutungsschwere der Story, kommen dem Team um Chef Walter Robinson (Michael Keaton) immer neue Hinweise unter, die sich zu einem globalen Skandal ausweiten sollen, und an dessen Ende nicht nur über 6.000 Priester angeklagt sind, sondern das gesamte System Kirche schwanken wird.

                            Tom McCarthy verfolgt die Untersuchung dieses brisanten Materials im Film nüchtern und sachlich. Die Protagonisten können sich innerhalb dieser Ausrichtung voll entfalten und dieser auf Tatsachen beruhenden Geschichte geschlossen entgegentreten. Obwohl Mark Ruffalo in der Figur des Michael Rezendes hier hervorgehoben werden sollte, erhebt McCarthy angenehmerweise keinen seiner Figuren zu Helden, sondern zeigt mühselige und akribische Pressearbeit, die nie langsam oder schwerfällig daherkommt. Jeden ihrer Schritte, sei es im Auf- oder Nachspüren, verfolgt man mit gestocktem Atem, Tränen in den Augen oder Fassungslosigkeit. Darstellungen einzelner Opfer berühren hier mit Feingefühl und Aufrichtigkeit, anstelle von Horrorszenarien. Die perfide Maschinerie der Umgarnung durch Priester wird in den Gesprächen mit den Missbrauchsopfern schonungslos offengelegt und weiß mit verachtender Selbstverständlichkeit zu beeindrucken. Dabei wird der Fokus im Film vor allem auch auf Nachlässigkeiten gelegt. Die große Wahrheit kennt hier niemand, aber alle halten sie Anzeichen dafür in der Hand und müssten nur genauer hinsehen. Die Institution Kirche hat somit häufig nur kleine Gegenspieler, welche selbst nicht viel ausrichten können, und weiß diese Macht auszuspielen. Aber auch hier wird man keine stilistische Erhöhung des Zeigefingers finden, im Gegenteil. Der Zuschauer ist hier selbst gefragt.

                            „ If it takes a village to raise a child, it takes a village to abuse them.”

                            Es ist diese Art von Inszenierung, die Spotlight mehr als nur sehenswürdig machen. Als Abbild von Realität kann ein Film immer nur eine Wiederholung einer Wahrheit sein, sofern diese dem Film unterliegt. Spotlight lässt diese Wahrheit nicht nur weitestgehend für sich sprechen, sondern atmet förmlich durch sie. Überbläht wirkt hier nur die Macht der Kirche, deren Gegenstück diese Macht missen lässt. Als 4. Gewalt tritt hier die Presse in den Vordergrund, welche die einzelnen Puzzle-Teile für sich zu nutzen weiß. Nur der Wahrheit und dem Leser verpflichtet schafft sie das, was andere nicht können. Sie wird hier zum eigentlichen Helden und erinnert an die Ära der Printmedien, die heute immer mehr der Vernetzung und Schnelllebigkeit zum Opfer fällt, welche sie einst selbst für sich beansprucht hat. Im Vatikan sowie der absteigenden Rangordnung wird man wohl wieder die Köpfe einziehen müssen, auf dass der neuerliche Sturm schnell vorüberziehen möge.

                            Spotlight ist vor allem ein Plädoyer für Pressearbeit, aber auch für unabhängige Untersuchungen vom weitestgehend frei agierenden System Kirche, welche ohne bedeutende Gegenspieler Millionen von Menschen beeinflusst und prägt. Glaube sollte keine Auseinandersetzung und Kritik ersetzen, sondern innerhalb dessen wachsen und blühen, denn es ist der fehlbare Mensch, der ihn in die Welt trägt.

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                            • Das Beste kommt hier nicht zum Schluss...^^

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                              • 7 .5
                                AktionMorgenluft 23.02.2016, 20:09 Geändert 25.02.2016, 10:12

                                „Der Marsianer“ fußt auf dem gleichnamigen Roman von Andy Weir und handelt von Mark Watney (Matt Damon), einem Astronauten und Botaniker. Dieser bleibt während einer Mars-Mission am Tag 18 (Sol 18) unter unglücklichen Umständen zurück und muss, auf sich allein gestellt, sein Überleben sichern. Mittels persönlichem Logbuch und Selbstgesprächen erfahren wir von seinem Plan, sich 4 Jahre lang über Wasser zu halten, um am Ende dieser, die Raumstation Ares IV zu erreichen und mit der dortigen Crew wieder zur Erde zu kommen. Es soll ein langer Weg werden.

                                Als einziger Mensch auf dem roten Planeten, zeigt sich Watney sofort von seiner derben Seite. Das einzige, was ihm in seiner Erkenntnis noch zu sagen bleibt, ist: „Fuck“. In Anbetracht der Lage mehr als angemessen und nahezu gemäßigt. Statt zu verzweifeln, überlegt er sich nun aber, wie er zu Nahrung und Wasser kommt. Ist es beim Wasser noch ein komplizierter Prozess, wird es beim Essen schon einfacher. Mars-Erde + Crew-Exkremente= Kartoffeln. Durchrationierte, auf 4 Jahre ausgelegte Feldarbeit. Mittels eines persönlichen Logbuchs zeichnet er diese und andere Vorhaben auf. So ersinnt er im Laufe vorüberziehender Sols auch einen Weg mit der NASA zu kommunizieren, was nicht nur der NASA gefällt, sondern der ganzen Welt, die nun an dieser Misere teilhaben darf. Allein auf einem Planeten und die ganze Welt fiebert mit.

                                Diese ganze Szenerie wirkt vorerst so unwirklich, dass man meinen könnte, man stecke in einem Wunschbild von Watney, der davon träumt Astronaut zu werden oder einem Traum der Nasa, die fortan nur noch Bauern ins All schießt. Denn die Erwägung des Survival-Dramas kontert hier mit flotten Sprüchen, menschlichem Geschick und viel Erfindungsreichtum, ganz gemäß des hochgelobten technischen Feingefühls der Romanvorlage. Durch die anhaltende filmische Umsetzung selbiger, befindet man sich in einem immerwährenden Kontrast, der einem ein inneres Schmunzeln aufzwingt. Alles verkommt zur Farce, ohne jemals surreal zu sein. Selbst Anspielungen auf Fantasy-Verfilmungen wirken hier nicht deplatziert, genauso wenig wie Watney, der eben auf einem Planeten hockt und darauf wartet, dass ihn jemand abholt. Sich dieser komischen Situation durchaus bewusst, verhält er sich nur folgerichtig und sorgt nicht nur bei der NASA für viel Erheiterung. Vor allem deswegen, verliert dieser Film nicht an Authentizität, sondern bildet völlig pathosfrei eine mögliche Realität ab.

                                Die Rettung von Mark Watney ist großes Unterhaltungskino, das nicht auf profane Effekte setzt, sondern Einfallsreichtum, vor sich hinschleichende Spannung und subtilen bis frechen Humor in den Vordergrund stellt. Die homerische Odyssee bekommt hier einen aktuelleren Anstrich und wird über Schmerzgrenzen hinaus ausgereizt. Das Leben ist manchmal schrecklich banal und überdies vernetzt. Man kann nur damit umgehen und aufpassen, dass man nicht in seine eigenen Exkremente tritt.

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                                  Der neueste Tatort aus Stuttgart beweist kritischen Verstand und büßt dabei nicht an Unterhaltung ein. Bortz (Felix Klare) und Lannert (Richy Müller) sind eigentlich einem Drogenboß, auf der Spur, als sie vor einem von der Drogenfahndung zu observierenden LKW stehen. Lannert, der die ganze Zeit über nervös wirkt, hatte wohl eine Vorahnung von dem, was gleich kommen wird. 23 Leichen. Flüchtlinge. Erstickt. Lannert, ist es auch, der sofort losstürmt und sich auf die Suche nach Kostic begibt, während Bortz noch in alten Querelen zwischen den beiden verharrt und eine andere Spur aufnimmt. Beide mit der traurigen Gewissheit im Rücken: Hätten sie nicht so lange observiert, währen die Einreisenden noch zu retten gewesen. Lannert wird indessen schnell fündig und muss sich nun gegenüber Milan Kostic (Sascha Alexander Gersak) und seiner Schwester Mitra (hervorragend: Edita Malovcic) behaupten, während die ehemals geflohene Afrikanerin Lela (Florence Kasumba), angeschossen von Milan Kotic, zwischen den dreien steht und sich fragt, ob ihre Angehörigen auf der Flucht noch leben. Bortz merkt Lannerts Verschwinden und ist ihm mit dem Zivillisten und Übersetzer Jamal (Orhan Kilic) auf der Spur.

                                  Das nun folgende einehmende Kammerspiel zwischen den vier Beteiligten, offenbart Lannert einen differenzierteren Blick auf die beiden Schleuser und wirft ihn in leise, unstillbare Konflikte. Selbst geflüchtet, geben beide Geschwister Mitgefühl als treibende Kraft ihrer Aktivitäten an, während Lea, getrieben von ihrer Angst um ihre Angehörigen, nicht weiß, wem sie eigentlich noch vertrauen kann. Sie hat ihrer Heimat nicht nur den Rücken gekehrt, sondern jegliches Vertrauen in Rechtsstaatlichkeit verloren, was Fundament ihrer Zerrissenheit bleibt. Auch Bortz, auf der Suche nach seinem Kollegen, kann sich den Fragen nach Beruf und Berufung nicht verschließen.

                                  Tatort Stuttgart stellt hier ein aktuelles sozialpolitisches Thema in den Vordergrund und beschäftigt sich zudem mit der Frage, ob Schleuser wirklich so abgebrühte Menschen sind, wie man meinen würde und wie man sie uns medial verkauft. Abseits davon, dass schon die Fragestellung mutig und aktuell gestellt ist, bleibt auch die Umsetzung dessen nicht weit zurück. Was ist Recht und Rechtsstaatlichkeit und was ist Beruf und Berufung innerhalb dieses Systems? Zwischen Kammerspiel und Fahndung werden Fragen aufgeworfen, die es in Zukunft zu beantworten gilt. Völlig kitsch- und pathosfrei führt uns dieser Tatort vor Augen, dass eben nicht alles schwarz/weiß innerhalb der Flüchtlingsproblematik ist und sein kann. Atmosphärisch kompakt, mit mitreißender Kameraführung und einem herausragenden Richy Müller hebt sich dieser Tatort wohltuend von seinen thematisch ähnlichen Kollegen ab. Es sind die leisen Konflikte, die in unseren Ohren klingeln sollten, die diesen Tatort brisant machen.

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                                    The Look of Silence ist der Nachfolger von „The Act of Killing“, welcher ebenso von Joshua Oppenheimer stammt. Hintergrund beider Filme ist die, in den 1960er von der indonesischen Regierung genehmigten, Hinrichtungen vermeintlicher Kommunisten. Behandelte der erste Teil vornehmlich die Perspektive der Täter, widmet sich der zweite Film nun der Perspektive der Opfer, genauer der Familie von Adi Rukun, dessen Bruder Ramli Rukun nicht einfach nur hingerichtet, sondern auf bestialische Weise ermordet wurde. Dass Adi nun gerade ein Vermesser für Brillen ist, mutet hier gleichzeitig absonderlich und doch auch passend an. So wird der Film damit umrahmt, dass er Brillen für die Täter anfertigen lässt und bei dieser Gelegenheit mit ihnen über die gemeinsame Vergangenheit spricht.

                                    1965 wird Ramli von paramilitärischen Milizen ins Gefängnis geworfen, woraus er kurze Zeit später abgeholt und zum Schlangenfluss gebracht wird. Dort sticht man ihm einmal mit dem Messer in die Schulter und einmal in den Bauch. Ramli, kaum lebensfähig, kann flüchten und schleppt sich zu seiner Familie, wo er die Nacht verbringt. Am nächsten Morgen tauchen die Paramilitärs unter dem Vorwand, ihn ins Krankenhaus bringen zu wollen, bei seiner Familie auf. Seine Mutter bittet die Anführer, ihren Sohn begleiten zu dürfen, was ihr verwehrt wird. Es ist ein angehaltener Atemzug von vielen, der innerlich ein ganzes Land teilen wird. Nicht die Hinrichtungen selbst, sondern die Konsequenz und die Härte, mit der sie durchgesetzt wurden, rütteln bis heute an Indonesien und dank Joshua Oppenheimer haben sie nun eine Stimme.

                                    Diese führt uns in seine verdrehte Wirklichkeit, die am Stück schwer auszuhalten ist. Die Familie Rukuns, gezeichnet. Sein Vater, ausgemergelt, blind, taub und laut eigener Angabe 16-17 Jahre alt, ist der Spiegel einer Gesellschaft, die vergessen möchte, aber weiterhin in Angst lebt. Die stoische Ruhe seiner Mutter, Resultat des aussichtslosen Kampfes, der niemals Ruhe gibt. Beide leben Tür an Tür mit den Mördern ihres Sohnes, vor denen sie warnen.

                                    In kurzen Interviews mit diesen Männern, agiert Adi vor allem deshalb auch bedacht und höflich. Die dadurch zustande kommende Spannung ist zu jeder Zeit spürbar und findet ihren Höhepunkt immer in der Konfrontation mit der Ermordung des Bruders, was die Situation für ein paar Minuten entblößt und uns einen Blick in das Gewissen von Massenmördern und ihren Angehörigen gewährt. Wie selbstsicher sich die Angeklagten teilweise dabei fühlen, kann man in Haltung, Auftreten und kaum zu verhehlenden Drohgebärden sehen. Kein Bedauern, kein Einfühlungsvermögen, keine Einsicht. Unterdessen stellen die Mörder Ramlis, den Mord an selbigen nach. Stolz und dankbar agieren sie vor der Kamera, weil sie endlich mal wieder jemand danach fragt. Ramli haben sie einfach wieder zum Schlangenfluss verschleppt, wo ihm der Penis abgeschnitten wurde, bis er verblutete. Mit einem Tritt beförderte sie ihn dann in den Fluss. Die ganze Prozedur kann man in einem bebilderten Buch von einem der Täter detailliert nachlesen. Es soll am Ende dessen Ehefrau sein, die als einzige eine Entschuldigung gegenüber seinem Bruder hervorbringt. Gewusst habe sie von den Taten ihres Mannes aber nie etwas.

                                    Joshua Oppenheimer arrangiert den ganzen Film als Begegnungen auf Augenhöhe. Nur, wenn Adi die Brillen vermisst hält er für einen kurzen Moment die Oberhand, um seine Fragen zu stellen und das Schweigen zu brechen. Dass er sein Gegenüber als Mörder betitelt wirkt dabei zunehmend natürlicher. Mörder genannt zu werden bedeutet hier stolz auf etwas, und angesehen zu sein. Dabei entsteht im Verlauf jedoch durchaus ein differenziertes Bild. Wie auch schon im vorigen Film, präsentieren sich diese Männer stellenweise feingeistig. Sie sind musikalisch, künstlerisch und naturverbunden und im Umgang mit ihren Enkeln und Tieren zeigen sie sich liebe- und verständnisvoll. Es bleibt somit bei der Frage, ob diese aufgeladene Schuld allein durch Organisierung dieser, ihre Rechtfertigung findet und finden kann. Im Ausdruck der Beteiligten kann man die Antwort erahnen. Am Ende dürfen wir verpuppte Raupen sehen, die aus ihrem Kokon wollen. Sie werden von Adis Mutter gehalten.

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                                      Nach dem misslungenen Militärputsch Indonesiens im Jahre 1965, hängte die Regierung alles der PKI, der kommunistischen Partei Indonesiens an. Kommunisten galten von da an als Freiwild und durften auf, von der Regierung genehmigte, jede erdenkliche Weise getötet werden. Ziel war die vollständige Vernichtung aller. Dessen nahmen sich paramilitärische organisierte Truppen, sogenannte Premen, an (Aussprache und Wortherkunft beziehen sich auf „free men“), welche sämtliche Chinesen und Intellektuelle als Kommunisten ansahen. Als Kommunist verdächtigt zu werden galt als sofortiges Todesurteil, deren ausführende Vollstrecker nie bestraft wurden, sondern bis heute zu der gehobeneren Gesellschaft Indonesiens zählen. In aller Öffentlichkeit berichten sie von ihren Taten und brüsten sich mit ihrem Werk, allen voran Organisationen, wie die Pemuda Pancasila, die bis heute existiert.

                                      Der Dokumentarfilmer Joshua Oppenheimer konzentriert sich auf diese Täter und schlägt dabei einen ungewöhnlichen Weg ein. Er bittet sie im Vorfeld, einen Film über die damalige Zeit zu drehen, und somit ihre Taten nachzustellen. Anwar Congo, selbst Massenmörder, dient hier als Bezugspunkt für den Zuschauer. Seine Morde waren vom amerikanischen Hollywood-Kino inspiriert, die er aus seiner früheren Tätigkeit als Einlasser beim ortsansässigen Kino hatte. Aufgrund dessen wird auch der geplante Film von diesen erzählenden Elementen beeinflusst. Folter und Verhör werden hier ganz im Stil eines Kriminal-Films präsentiert. Durch die begrenzte Anzahl an Darstellern, nehmen die Täter auch Opferrollen ein und müssen sich so mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen.

                                      „So viele Morde müssen einen verrückt machen.“

                                      Die zentrale Frage, die über jeder Inszenierung schwebt, bezieht sich auf den Umgang mit genehmigter und geduldeter Gewalt, die keine Bestrafung, sondern nur Rechtfertigung findet. Es sind Fragen nach Reue, Mitgefühl und Schuld. Die psychische Katharsis, über die Anwar ab und an stolpert, ist zäh, widerspenstig, und mitunter sogar fröhlich. Er berichtet leise von Träumen, die ihn manchmal verfolgen oder Geräusche von Sterbenden. Schuldgefühle werden von den Beteiligten aber deutlich verneint, als ob sie sich dessen selbst versichern müssten und mit überbelichteten fantastischen Szenen, und Figuren ins Lächerliche gezogen. Die Realitätsferne, der die Premen unterworfen sind, offenbart sich hier ausgerechnet in aufziehendem Mitgefühl, wenn sie beginnen sich selbst und ihre Methoden zu hinterfragen. „Don´t worry, be happy“ trällert der angeschraubte Fisch eines Pancasila-Mitglieds auf Knopfdruck.

                                      Joshua Oppenheimer deckt hier schonungslos humane Abgründe auf, die in einer anderen Realität lebhaft pulsieren. Mit der narrativen Verzerrung der dokumentarischen Realität schafft er andere Zugangsebenen für die Täter und den Zuschauer, die nichts an Schrecken einbüßen. The Act of Killing zeigt keine Reue, vergießt wenig Tränen und hält nichts bereit, um zu heilen.

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                                          AktionMorgenluft 14.02.2016, 22:37 Geändert 14.02.2016, 22:45

                                          In einem Parkhaus finden die getrennt anreisenden Ermittler aus Ludwigshafen, Lena Odenthal (Ulrike Folkerts), Mario Kopper (Andreas Hoppe) und Johanna Stern (Lisa Bitter), eine männliche Leiche vor. Bodybuilder. Vermutlich steroidabhängig. Überfahren. Dieser steht durch eine DNA-Analyse im Verdacht, ein junges Mädchen vergewaltigt und ins Koma geprügelt zu haben. Vorher schlägt Kopper der Forensik noch ein Schnippchen, indem er an den Tatort pinkelt.

                                          Man muss sich auch nicht weiter am Fall aufhalten, da dieser dank der Ermittlungsarbeit völlig in den Hintergrund gerät. Gezeter, Gejammer, Anfeindungen und ein vermutlich hochgradig abgenervtes Fernsehpublikum wünscht sich nach spätestens 20 Minuten nur noch eines:. Möge diese figürliche Ausgeburt einer Hybris doch endlich ab- und umziehen. Nein, es macht wirklich keinen Spaß mehr. Und dieses Mal ist das besonders schade.

                                          Visuell kommt der Tatort aus Ludwigshafen nämlich ganz stark. Eine wunderbar dichte Atmosphäre wird hier nur durch die Kamera erzeugt, überbelichtete Szenen, als ob die im Koma liegende Marie Rainders (Elisa Afie Agbaglahi) selbst über die Ermittlungen wacht und ihre in smartphone cams getauchte Vergangenheit. Schön. Schade. Schön schade.

                                          Fazit: Überbelichtetes Gewand, unterbelichtete Story!

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                                            AktionMorgenluft 14.02.2016, 16:23 Geändert 14.02.2016, 17:02

                                            Der Leiter der „Scion Capital LCC Hedge Funds“ Michael Burry (gespielt von einem großartigen Christian Bale) verwaltet zuverlässig das Kapital seiner Kunden. Er soll der erste sein, der von der Immobilienblase Wind bekommt und handelt. Belächelt von den Banken und seinen Kollegen, hält er in stoischer Ruhe an seiner Meinung fest, dass der Imobilienmarkt und die gesamte Weltwirtschaft zusammenbrechen. In Burrys Büro hören wir eine donnernde Andeutung, von dem was da auf uns zugerollt kommt: Krachender Heavy Metal begleitet von Burrys leisen Drumsticks. Sie sollen im Laufe des Films lauter werden, wie auch der Rest.

                                            Jared Vennett (Ryan Gosling) geleitet uns dabei durch das System und dient als roter Faden. Steve Carell, der den Hedgefond-Manager Mark Baum verkörpert, unterstreicht die Abhängigkeit von diesem System und lässt uns an seiner Entwicklung innerhalb dessen teilhaben. Beide könnten unterschiedlicher nicht sein. Einer, der sich abgefunden hat und einer, der sich noch abfinden muss. Mittendrin zwei Nerds, die ebenfalls ihre Chance sehen und die Unschuld von aufstrebenden Genies verkörpern. Ben Hockett (Brad Pitt), der schon raus ist aus dem Geschäft, aber doch nicht loslassen kann und als mahnender Zeigefinger dient, rundet das Ensemble aus seinem Ökoparadies heraus ab.

                                            Ein aufklärender Film, der nie erklärend wirkt, aber dafür dokumentarisch, gleichsam reißerisch, aber nie aufdringlich erscheint. So oder so ähnlich müsste man „The Big Short“ zusammenfassen. Dass Charles Randolph und Adam McKay es nicht nur schaffen, die angeblich sperrige Vorlage in ein ergreifendes Drehbuch zu verwandeln, sondern die Erklärung der Weltwirtschaft im Ganzen und der amerikanischen im Speziellen sogar zu einer Art Manier erheben, bringt den beiden vielleicht auch den Oscar für das beste adaptierte Drehbuch ein.

                                            Diese Erklärungen werden ironisch und teils herablassend direkt an den Zuschauer gerichtet, denn sie werden von Stars und Sternchen und Köchen vorgetragen, also jenen, die unsere Interessen widerspiegeln sollen. Popstars, nackte Blondinen und Kochsendungen. Dabei sind die Erklärungen nicht nur sachdienlich, sondern bringen einen auch aus dem sich abzeichnenden Abwärtsstrudel der Wirtschaftsszenerie raus. Der Strudel selbst wird mit eben solchen Bildern unterfüttert. Bilder, die sich im Laufe des Films anpassen und Ansichtskarten unserer Bedeutungs- und Ahnungslosigkeit darstellen. Die Wackelkamera unterstreicht das Chaos indem sich keiner mehr zurechtfindet. Dabei bekommt der Zuschauer auch nur die Informationen, die er benötigt um weiter mitzukommen. Es ist letztlich somit die menschliche Gier die hier zurückgespiegelt wird, denn auch in der Finanzwelt kann der normale Mensch nur noch mitlaufen, weil er gar nicht mehr versteht, wovon dort eigentlich gesprochen wird, Vertrauen vorausgesetzt. Bezeichnend ist hier das Krokodil im Swimmingpool.

                                            Der Zuschauer sitzt mit Fassungslosigkeit und blankem Entsetzen vor der Wahrheit, die der Film rausbrüllt. Mit fast diebischer Freude erwartet man den gerechtfertigten Untergang, weil alle sich rigoros davor verschließen und an ihren Betrügereien festhalten. Wäre da nicht der mahnende Zeigefinger Bens, der uns brutal an die Wirklichkeit erinnert. Obdachlosigkeit, Armut und dieses für lange Zeit gebrochene Vertrauen. Fakten, die am Ende noch mal mehr als deutlich werden und die bis heute nichts verändert haben. Es gibt in dieser ganzen Geschichte letztlich nur eine Person, die wirklich den Durchblick hat und auch behält, und das ist Michael Burry.

                                            Michael Burry hat mutmaßlich das Asperger Syndrom, ist eigenbrötlerisch, fremden Menschen gegenüber nicht emotional zugewandt und scheint auch Schwierigkeiten zu haben, generell mit menschlichen Signalen umzugehen, die nicht in Codes verpackt sind (wie z.B. Sprache). Kontakt mit seinen Kunden hält er beispielsweise per Mail. Auch Zahlen sind codierte Signale. Es ist deshalb bezeichnend, dass nur er es ist, der dieses System aus Zahlen versteht und auch entlarvt. Dieser Film ist unter anderem auch eine hervorragende Grundlage für die Debatte, ob psychische Einschränkungen wirklich als solche gesehen werden sollten oder nur die Umwelt nur nicht mit ihnen umzugehen weiß bzw. die Vorteile dieser Persönlichkeiten nicht einzusetzen/ zu schätzen weiß.

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                                              über Sicario

                                              Innerhalb des mexikanischen Drogenkrieges sind FBI-Agentin Kate Macer (Emily Blunt) und ihrem Partner Reggie (Daniel Kaluuya) die Hände gebunden. Je näher sie dem Drogensumpf kommen, desto mehr müssen sie auch um ihr Leben kämpfen. Frustriert und abgekämpft sehen sie aus, allen voran Kate. Schlabberlook, Augenringe und eine ausgemergelte Figur zeichnen die FBI-Agentin aus, aber auch ein nicht schweigender Idealismus treibt sie an sowie um. Innerhalb einer Task Force der CIA soll Kate nun ihre Chance bekommen, die Verantwortlichen zur Strecke zu bringen. Dies ist die grobe Rahmenhandlung von „Sicario“, aber im Kern geht es, wie so häufig, um etwas anderes.

                                              Das Einsatzgebiet der Task Force erstreckt sich entlang der Grenze zwischen Arizona und Mexiko und konzentriert sich die Ciudad Juárez, welche auch im realen Leben für ihre Drogenkartelle berüchtigt ist. Wie eine Schlange und mit nervenbefeuerndem Sound (Oscar-Nominierungen für Jóhann Jóhannsson für die beste Filmmusik und Alan Robert Murray für den besten Tonschnitt) wälzt sich der Konvoi von schwarzen Spähern nach Juarez und wieder zurück. In einer atemberaubenden langen Einstellung sollen wir die ganze Willenskraft der Regierung zu spüren bekommen, aber auch die Verzweiflung Kates spüren, die mehr als deutlich wird. Es ist dieser erste Moment, die erste Konfrontation auf der Straße, welche enthüllt, was das eigentliche Thema ist. Hier werden keine Drogenkartelle bekämpft, hier bekämpfen sich Organisationen. Hier stehen Idealismus und Rechtschaffenheit gegen sich reproduzierende Gewalt. Gut gegen Böse in jedem selbst.

                                              Sicario, wie einem am Anfang erklärt wird, steht für Auftragskiller. Bewusst wird dieser Hinweis durch den ganzen Film verfolgt. Dabei geht es schon lange nicht mehr um den hier namentlich mit Manuel Diaz (Bernardo P. Saracino) vertretenen Drogenboss, sondern um Ausgeburten von Gefügen, die sich einander immer mehr annähern. Nicht nur Kate, sondern auch der Zuschauer, wird lange im Dunkeln gelassen, worauf man sich hier eigentlich eingelassen hat. Die beiden Hauptverantwortlichen, der Leiter der Spezialeinheit Matt (Josh Brolin) und der kolumbianische Staatsanwalt Alejandro (Benicio del Toro) verkörpern die geballte Schlagkraft und die Undurchsichtigkeit von Regierungen, denen jedes Mittel recht ist, um die Waagschale wieder in ihre Richtung zu bewegen.

                                              Denis Villeneuves Filme zeichnen sich nicht gerade durch Schnelllebigkeit aus, aber durch eine langanhaltende subtile Spannung, die genau dadurch aufgebaut wird. Filme wie „Prisoner“ und „Die Frau, die singt-Incendies“ wirken lange verstörend, nur um dann mit menschlichen Abgründen zu konfrontieren. In Sicario gelingt das bedingt. Die schnellen Sprünge auf der einen Seite (v.a. in der Charakterentwicklung), und die langsame Erzählweise auf der anderen Seite, machen es einem manchmal nicht leicht am Ball zu bleiben und wollen sich nicht so recht in stimmiges Bild fügen. Aber das, was Sicario mindestens sehenswert macht, sind seine Schauspieler. Benicio del Toro und Emily Blunt müssen hier besonders hervorgehoben werden. Es ist fast eine Befriedigung Alejandro auf seinem Rachefeldzug zu begleiten, dabei aber immer auch Bedauern zu empfinden. Egal, auf welcher Seite man steht, man ist im Recht.

                                              ---Spoiler---

                                              Im letzten Satz Alejandros: „Jetzt lernst du Gott kennen“ wird eine Warnung sowie auch Hoffnung deutlich. Hier gibt es nur einen Richter. Dieser wird über uns richten, aber nicht im Leben. Chance auf Erlösung aus diesem Kampf, kann es nur im Tod geben, niemand kann gewinnen.

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                                                Wie rutscht man eigentlich in seiner eigenen Scheiße aus? Indem man eine Welt erschafft, die die Künstlichkeit vor die Wirklichkeit stellt, indem man Champagner vor Spott und Verhöhnung nur so knallen lässt, indem man… Bullshit! Gar nicht! Es ist die Zeit der Kannibalen.

                                                Ort: unbekannt, aber höchst zweifelhaft.

                                                Durchkomponierte Manierismen werden ins Hotel getragen und auch der Dreck vor dem Fenster knallt ein Lied. Es ist das Lied der Straße, es ist ein Lied von Widerstand und freier Sicht, welches man innen nicht mehr sehen, aber hören kann. Innen zählt nämlich nur das Team! Gemeinsam suhlt es sich eben doch viel besser. Und nur wer bereit ist, sich schmutzig zu machen, darf hier rein. Consulting. Globalisiert. Uniformiert. Willkommen zu unserer heutigen Sitzung: Kapitalismus at its best.

                                                „India was Yesterday“and „Pakistan is on special offer now.” So move along.

                                                Der Pöbel bleibt aber gefälligst draußen, während ich deren Frauen befriedige. Mein Kundenstamm dankt es ihnen. Dankbar dürfen aber auch sie sein. Optimierung! Hier geht es nicht nur um Geld und Sex, sondern um Verbesserung! Ja, meine Damen und Herren! Das scheinen sie noch nicht verstanden zu haben. Ein wacher Geist ist bestrebt, sich selbst zu optimieren und, wenn er das geschafft hat, andere zu befriedigen, pardon: zu optimieren. Entwicklungshilfe nennt man das. Und dieser Weg führt über die proaktive Routine! Gleiches Ambiente, gleiches Aussehen, gleiche Standards, gleiche Krawatte! Routine, meine Damen und Herren, die Routine! Globaler Funktionalitäts-Konsens.

                                                Gut, dass der Kollege endlich abgetreten ist, nun kann ich was verändern in der Welt. Routiniert und ambitioniert, aber vor allem geradeaus. Und beim Powerpoint-Karaoke lassen wir später unseren lösungsorientierten Dunst ab. Partner sein, heißt hier nämlich nicht nur, endlich aufzusteigen. Partner sein, heißt was zu bewirken. Präsentiert das Humankapital! Endlich keine Bescheidenheit mehr.

                                                “Have you ever asked yourself, what we are doing here?”

                                                Was? Nee? Warum auch? Läuft doch, nicht? Die draußen haben was dagegen, meinen sie? Frauen? Unterdrückt, sagen sie? Bürgerkriege??? Nun machen sie mal einen Punkt, ich kann mich schließlich nicht um alles hier kümmern. Und die entscheiden doch selbst, wem sie ihre Titten vor die Nase hängen. First things first. Uneffiziente Afghanen, musikverschmähende Nigerianerinnen, befindlichkeitsfixierte Spitzmaulnashörner und Moskitos im Hotelzimmer. Ich, ja ich, werde die Welt verändern! Hoch die Tassen!

                                                „See you at the top“

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                                                  Vier Stunden sind für diese Verfilmung nicht zu lang, sondern höchstens ausreichend. North & South wird innerhalb der Literatur von manch Abtrünnigen als das bessere Stolz und Vorurteil gehandelt. Immerhin hat man mich nun so weit, dass ich dazu keine Stellung mehr beziehe, bevor ich das Buch nachgeholt habe.

                                                  Zur Sache: Niemals gefühlsduselig, fesselnd und nie auch nur einen Schritt daneben, präsentiert sich diese Verfilmung von Elisabeth Gaskells Roman. Um Stolz und Vorurteile dreht sich auch hier alles, aber vor allem handelt es auch von Sitten und Sittlichkeit. Sittlichkeit kommt immer mit gemein akzeptierten gesellschaftlichen Regeln und Bestimmungen. Diese stellt hier auf, wer sich auch anderweitig an der Macht bedient und diese für sich zu gebrauchen weiß. Sie begrenzt das Denken Untenstehender und verwehrt ihn das Emporkommen. Mit den Erschwernissen an Bildung, Nahrung und Meinung zu kommen, hält man den denkenden Geist fest im Zaum, die Tugend gilt dabei als Wert der Vermarktung und Chance des Emporkommens in der Welt.

                                                  Dies sind alles keine neuen Themen aus dieser Zeit und unter anderem auch bei Charles Dickens sehr gut aufgehoben, dennoch weiß dieser Film diese einzelnen Stränge in Schönheit und mit Liebe zu verpacken, ohne je willkürlich zu wirken. Es ist somit ein aktuelles Portrait einer Gesellschaft, wie sie heute existiert, wenn auch mit feineren Abstufungen. Eine Liebesgeschichte, die eigentlich von der Liebe der Menschen handelt, die sich in verschiedenen Ansichten, aber in der gleichen Lage wiederfinden und gemeinsam etwas bewegen wollen. Menschen, deren Interessen und Leidenschaften nicht so entfernt voneinander sind, wenn sie sich die Mühe machen, einander zuzuhören. Sehr sehenswert!

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                                                    AktionMorgenluft 11.02.2016, 02:33 Geändert 11.02.2016, 10:47
                                                    über Shame

                                                    Vorgestern hatte ich das große Vergnügen, „Shame“ noch einmal im Kino zu sehen. Ich hatte vergessen oder eher verdrängt, was mir Shame eigentlich bedeutet hat, was ich an dieser Stelle nachholen möchte. Da die Veranstaltung eine analytische und kritische Rahmenhandlung hatte, würde es mir jetzt komisch vorkommen alles inhaltlich wiederzukauen. Und vielleicht ist das in diesem Fall auch gar nicht so wichtig.

                                                    Ich gehe ins Kino, um mich berühren zu lassen, denn es gibt nicht viele Orte, an denen noch Berührung stattfindet. Es sind kurze Beziehungen. Die Entscheidung ist mir überlassen. Der öffentliche wird so zu einem geschützten Raum. Ein Raum, der mir erlaubt mich emotional zu zeigen, mal traurig oder ausgelassen zu sein oder die Kontrolle für einen Moment an der Kinokasse abzugeben. Wenn ich möchte, kann ich das sein, was ich fühle. Wenn das Licht ausgeht und der Ton anhebt, dann kann ich mein Innerstes nach außen kehren. „Kehren“ ist wohl auch das richtige Wort, denn aufgeräumt ist dort meistens nicht. Auch Berührung ist nicht gut in Ordnung zu bringen. Man lädt sie kurz zu sich ein, lässt sie alles durcheinander bringen und im günstigsten Fall geht sie wieder, wenn man das Kino verlässt. Die Spur, die sie hinterlassen hat, kann man dann mit nach Hause nehmen. Man schreibt sie vielleicht nieder, um bei Gelegenheit wieder darauf zurückzukommen oder sie verblasst mit der Zeit. Berührung kann man im Kino auch nicht sehen. Entblößung existiert somit nicht. Keine Bedrängnis, die drohend hinter jedem Geschehen steht, nur pures Aufatmen. Ja, ich lebe hier. Ich atme. Ich bin nackt und frei und muss mich nicht abwägen. Muss mich nicht ausforschen, regulieren, kontrollieren. Nur fühlen. Nur für den Moment. Nur noch ein bisschen mehr. Und jetzt hau ab. Hau gefälligst einfach nur ab.

                                                    "You come in here and you're a weight on me. Do you understand me? You're a burden. You're just dragging me down. How are you helping me? You can't even clean up after yourself."

                                                    Shame hat mich in meinem Innersten erschüttert. Es gibt wohl nicht viele Filme, in denen man nicht traurig, aber in tiefster Verzweiflung ist. Abseits des eigentlichen Themas, ist es letztlich mein Spiegelbild, das mich hier kritisiert, mich hilflos zurücklässt und mir Entscheidungen abverlangt, die unmöglich zu treffen scheinen. Es ist meine eigene Scham, die hier schonungslos aufgedeckt, widergegeben und ins Unerträgliche verkehrt wird. Es ist die Geringschätzung meiner eigenen Berührung, die mich verfolgt.

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