Gabe666 - Kommentare

Alle Kommentare von Gabe666

  • 6

    "Girls Against Boys" von Austin Chick (ja, der Mann heißt wirklich so!) ist eine Mischung aus Rape-and-Revenge-Thriller und Drama, der aber einen deutlichen Schwerpunkt auf letzteres Genre setzt. Laut Chick, der zuvor die beiden Dramen "XX/XY" (mit Mark Ruffalo) und "Der Börsen-Crash" (mit Josh Hartnett, Naomie Harris und David Bowie) inszenierte, ging es ihm vor allem darum, das Geschlechterverhältnis in der modernen Zeit zu erforschen. Dementsprechend ist sein Film eher zurückhaltend in der Bebilderung der Gewaltausbrüche und widmet weit mehr Szenen den Interaktionen zwischen den Charakteren und der Darstellung des Innenlebens der Hauptfigur.
    Die Handlung dreht sich um die Studentin Shae, die ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann und Vater hat. Als dieser sie für seine Familie verlässt, verfällt sie in Depressionen. Ihre Kollegin Lu, mit der sie in einer Bar als Kellnerin arbeitet, tröstet sie und lädt sie auf einen Abend mit mehreren jungen Männern ein. Einer von ihnen begleitet Shae nach Hause. Als sie nicht auf seine Avancen eingeht, vergewaltigt er sie vor ihrer Haustür. Verstört sucht sie Trost bei ihrem alten Liebhaber, der sie jedoch missversteht und ihr gegenüber ebenfalls zudringlich wird. Aufgebracht schickt sie ihn weg, vertraut sich schließlich Lu an und geht zur Polizei, wird dort jedoch nicht ernst genommen. Lu beschließt darauf hin, dass sie die Dinge selbst in die Hand nehmen sollten. Beide beginnen einen erbarmungslosen Rachefeldzug, bei dem Shae jedoch mehr und mehr Zweifel kommen. Denn Lu scheint mehr aus Mordlust denn aus einem Verlangen nach Gerechtigkeit zu handeln und empfindet einen krankhaften Hass auf sämtliche Männer. Als Shae wieder getrennte Wege gehen will, droht eine tödliche Konfrontation...
    Bei dem plakativen Titel "Girls Against Boys" mag man an einen Exploitationfilm denken, wie erwähnt ist er aber alles andere als das. Die Hauptfiguren sind durchaus differenziert gezeichnete Charaktere mit realitätsnahen Problemen, deren Beziehungen aufgrund von Missverständnissen und nicht zu vereinbarenden Auffassungen scheitern. Besondere Spannung gewinnt der Film durch die Dynamik im Verhältnis zwischen den beiden gegensätzlichen Freundinnen. Die gewissenlose Lu bringt die traumatisierte Shae dazu, ihrer dunklen Seite nachzugeben und zieht sie immer weiter in einen Strudel aus Mord und Gewalt. Diese Charakterstudie an sich ist sehr interessant und originell. Leider bleibt der Film dabei eher an der Oberfläche, lässt vieles im offenen Raum stehen und führt die Geschichte viel zu früh zu einer Konfrontation. Die Handlung endet praktisch an dem Punkt, wo es eigentlich erst richtig interessant wird. Was schade ist, denn so bleibt einiges an Potenzial ungenutzt. Zumal der Film auch in anderer Hinsicht davon einiges verschenkt.
    Denn woran "Girls Against Boys" vor allem scheitert, ist die Inszenierung der Folgen von Missbrauch und Gewalt. Wie schon erwähnt, ergeht er sich nicht in drastischen Vergewaltigungs-, Mord- und Folterszenen, wie das die meisten Rape-and-Revenge-Vertreter tun. Austin Chick belässt es hier zumeist bei Andeutungen. Und es ist auch eine Tatsache, dass Gewaltszenen vor allem dann besonders verstörend wirken, wenn nicht auf das grausige Geschehen direkt draufgehalten wird, da die Zuschauer die Leerstellen dann mit ihrer eigenen Fantasie ausfüllen. Und selbige ist immer viel schlimmer als das, was man wirklich sieht. Allerdings sollte man als Regisseur dem Zuschauer durch eine bedrohliche Geräuschkulisse und klug ausgewählte Einstellungen dann auch effektives Ausgangsmaterial liefern. Und Austin Chick ist in der Hinsicht viel zu zaghaft. Bei der Vergewaltigung visiert die Kamera beispielsweise in Großaufnahme den in der Haustür steckenden Schlüssel an, während der brutale Akt im Hintergrund nur schemenhaft zu erahnen ist. Das ist leider zu wenig. Vor allem, wenn man es mit dem von der Handlung her ähnlichen "American Mary" aus demselben Jahr vergleicht, in dem die betreffende Szene viel eindringlicher geriet. Hier ist sie noch dazu viel zu schnell wieder rum. Wenn sich die Mädchen später auf sadistische Weise an dem Vergewaltiger rächen, geschieht das größtenteils auch nur im Off. Blut spritzt zwar im Film immer noch einiges, die Freigabe ab 18 resultierte aber wohl vor allem aus der Selbstjustizthematik, mit der die hiesigen Jugendschützer, wie wir wissen, schon immer Probleme hatten.
    Hinzu kommt, dass man Hauptdarstellerin Danielle Panabaker (bekannt u.a. aus "Sky High", "Mr. Brooks" und dem Reboot von "Freitag der 13.") ihr Trauma nicht wirklich anmerkt, weswegen es einem als Zuschauer schwer fällt, mit ihrer Figur mitzufühlen. Besser sieht es da schon mit der eher unbekannten Nicole LaLiberte aus (sie hatte eine Nebenrolle in "Dexter" und spielte später in der dritten Staffel von "Twin Peaks" mit), der man die mordlüsterne Psychopathin voll und ganz abkauft. Eine echte schauspielerische Überraschung. Im restlichen Cast stechen ansonsten noch der häufig in Nebenrollen anzutreffende Andrew Howard (u.a. "Revolver", "Ohne Limit", "Taken 3", "Tenet") als Shaes Liebhaber und Michael Stahl-David ("Cloverfield", "Narcos") als arroganter Vergewaltiger hervor. Sie agieren, wie auch die restliche Besetzung, mindestens solide.
    In handwerklicher Hinsicht bietet "Girls Against Boys" nicht viel Anlass zur Kritik. Kamerafrau Kat Westergaard fängt das Geschehen in eleganten Kamerafahrten ein und gibt vor allem Nicole LaLiberte in Nahaufnahmen Gelegenheit, ein ausdrucksstarkes Mienenspiel zu zeigen. Einige surreale Einfälle wie ein Mädchen mit Vampirzählen, das Shae in einer Szene halluziniert, sind dazu recht orginell. Der Ambient-Score von Nathan Larson (u.a. "Tigerland", "The Messenger", "Picknick mit Bären") gefällt auch, ist allerdings leider zu unscheinbar, um Emotionen zu wecken. Mit dem textlich sehr passend gewählten "She's Lost Control" von Joy Division und zwei Liedern von Donovan finden sich dafür gut ausgesuchte Titel auf dem Soundtrack.
    Das Problem an "Girls Against Boys" liegt eben hauptsächlich bei Regie und Drehbuch, wofür in beiden Fällen Austin Chick verantwortlich zeichnet. Einen Rape-and-Revenge-Film als Charakterstudie aufzuziehen, ist an sich eine erfrischende Herangehensweise. Und gerade die Grundidee um die verhängnisvolle Beziehung zwischen zwei Frauen, von denen eine ein Missbrauchsopfer ist, das von der anderen zu einem gnadenlosen Rachefeldzug getrieben wird, gibt viel Stoff für eine interessante Geschichte her.
    (Tatsächlich trage ich selber schon länger eine Idee für eine ähnliche Story mit mir herum, die ich aber bisher noch nicht zu Papier gebracht habe. Mein Traum wäre ja, diese auch als Film umzusetzen, aber dazu wird es wohl nie kommen.)
    Nur hapert es leider an der Umsetzung. "Girls Against Boys" hinterlässt kaum bleibende Eindrücke und hat eine zu blasse Hauptdarstellerin.
    Die häufig gegen diesen Film vorgebrachte Kritik, dass er eine radikal-feministische Agenda vertreten und die Selbstjustiz der beiden Hauptcharaktere glorifizieren würde, kann ich übrigens nicht teilen. Es wird schon ziemlich früh klar, dass Lu ernsthafte psychische Probleme hat und was diesen Rachethriller von vielen anderen abhebt, ist auch, dass die Hauptfigur klarstellt, dass es ihr nach der Vergeltung nicht besser geht. Die Morde an den Männern werden nicht wirklich verherrlicht und das Ende bleibt in seiner Aussage auch eher ambivalent.
    Insgesamt betrachtet jedenfalls kein schlechter Film, allerdings auch einer, bei dem man sich die ganze Zeit denkt, dass da eigentlich viel mehr möglich gewesen wäre.

    9
    • Und hier nun mein Ranking der Kinofilme, die ich in diesem Jahr gesehen habe. Wegen der Pandemie sind es letztlich dieses Mal nur relativ wenige geworden. Dadurch kann der Eindruck entstehen, dass dieses Jahr ein vergleichsweise schwaches war. Zumal die, welche mich am stärksten interessierten, auf das nächste Jahr verschoben wurden. Insgesamt ziehe ich dennoch eine positive Bilanz. Mit einer Ausnahme konnte mich jeder der hier gelisteten Filme unterhalten. Wenngleich diese Zusammenstellung natürlich nicht als repräsentativ für 2020 angesehen werden kann.
      Wie dem auch sei: ich hoffe, dass sich die Situation im nächsten Jahr bald bessern wird und wünsche euch allen schon mal einen guten Rutsch ins neue Jahr! Bleibt gesund! :)

      9
      • Zum Ausklang dieses ereignisreichen Jahres werde ich hier noch zwei neue Listen erstellen.
        Den Anfang macht diese zu einem der bekanntesten Science-Fiction- und Thriller-Autoren. Die meisten werden ihn natürlich als Schöpfer von "Jurassic Park", "Emergency Room" und "Westworld" kennen, aber Crichton zeichnete noch für viele weitere originelle Stoffe verantwortlich, wobei er sich öfters auch mal selbst auf den Regiestuhl setzte. Hier möchte ich einen möglichst vollständigen Überblick über sämtliche Werke mit seiner Beteiligung und alle Bestandteile von Franchises, die er begründet hat, liefern.

        4
        • 7 .5

          Bei „Los Debutantes“ handelte es sich um den chilenischen Beitrag zu einer Nominierung für den Besten Fremdsprachigen Film bei der Oscarverleihung 2003. Und sein Titel ist dabei Programm: er ist auch das Spielfilmdebüt des Regisseurs und Drehbuchautors Andrés Waissbluth und mehrerer der auftretenden Akteure. Waissbluth, Absolvent einer renommierten internationalen Filmhochschule in Kuba, baute mit seinem ersten Langfilm einen seiner zuvor inszenierten Kurzfilme zu einem fast zweistündigen Werk aus. Die Arbeit am Drehbuch nahm dabei laut ihm ganze 6 Jahre in Anspruch, wobei das Skript über ein Dutzend verschiedene Versionen durchlief.
          Die letztendlich verwendete erzählt eine clever konstruierte Gangstergeschichte aus drei verschiedenen Perspektiven. Hauptfiguren sind die gegensätzlichen Brüder Victor und Silvio, die nach dem Tod der Eltern in einer Wohnung in Santiago de Chile zusammenleben. Der ältere Silvio nimmt Gelegenheitsjobs an, um die schulische Ausbildung des pubertierenden Victor zu bezahlen. Als er ihn zu dessen 17. Geburtstag nachts in einen Stripclub mitnimmt, damit Victor dort seine Jungfräulichkeit verliert, kann er einen betrunkenen schießwütigen Gast außer Gefecht setzen, woraufhin ihn der Clubbesitzer Don Pascual als Fahrer und Bodyguard anheuert. Victor verguckt sich derweil in die attraktive Tänzerin Gracia, die allerdings die Geliebte Don Pascuals ist und von diesem als sein Eigentum betrachtet wird. Trotz Silvios Warnungen trifft sich Victor mehrmals mit ihr, wobei sich durch mehrere Geschehnisse sein Verdacht erhärtet, dass auch Silvio ein Verhältnis mit ihr hat. Als er ihn zur Rede stellt, zerstreiten sich die beiden. Bald darauf wird Victor von Don Pascuals Männern, die ihm auf die Schliche gekommen sind, niedergeschlagen und verschleppt. Im Stripclub kommt es schließlich zu einer folgenschweren Konfrontation aller Beteiligten.
          In mehreren Kritiken wurde „Los Debutantes“ mit „Pulp Fiction“ verglichen, da die aus mehreren Sichtweisen erzählte Handlung im Ganovenmilieu deutlich an diesen erinnert. Und Andrés Waissbluth räumte in Interviews auch ein, dass die frühen Filme Tarantinos als Inspirationen dienten. Viel deutlicher verweist „Los Debutantes“ jedoch auf ältere Werke und Genretraditionen. So stand ganz offensichtlich Akira Kurosawas „Rashōmon“ Pate für die Art und Weise, wie die Handlung dreimal hintereinander aus den Perspektiven Victors, Silvios und Gracias erzählt wird. Waissbluth nannte außerdem die Klassiker Elia Kazans als wichtigen Einfluss, wobei die Figur des Silvio auf Marlon Brandos Charakter aus Kazans „Die Faust im Nacken“ verweist. Für den naiven Victor diente wiederum die Hauptfigur aus François Truffauts „Sie küssten und sie schlugen ihn“ als Vorbild. Die Rolle der Gracia wurde schließlich von der von Rita Hayworth verkörperten Titelfigur aus dem Film-Noir-Klassiker „Gilda“ beeinflusst. Überhaupt kann man „Los Debutantes“ eindeutig als modernen Film Noir bezeichnen, da viele Tropes, Rollentypen und Inszenierungstechniken aus dieser Filmströmung hier aufgegriffen und variiert werden. Für die Darstellung der Halbwelt Santiago de Chiles ließ sich Waissbluth außerdem von den Gangsterfilmen Martin Scorseses inspirieren und zuletzt finden sich auch Anleihen aus den Werken David Lynchs. So verweist eine Gesangsnummer Gracias kurz vor dem Showdown, bei der sie vor einem violetten Vorhang steht, sehr deutlich auf Lynchs eigenen Neo-Noir „Blue Velvet“.
          Positiv hervorzuheben sind in „Los Debutantes“ definitiv noch die Schauspieler, bei denen es sich, wie erwähnt, damals noch zumeist selbst um Debütanten im Filmgeschäft handelte. Die beiden außerhalb ihres Heimatlandes eher unbekannten Juan Pablo Miranda als ungestümer Victor und Nestor Cantillana als besonnener Silvio, die später beide in der von HBO produzierten Thrillerserie „Prófugos – Auf der Flucht“ auftraten, geben glaubwürdig das gegensätzliche Brüderpaar. Cantillana, der in „Prófugos“ sogar eine Hauptrolle innehatte und später auch im 2017 mit dem Oscar für den Besten Fremdsprachigen Film ausgezeichneten „Eine fantastische Frau“ auftrat, kann als Silvio, der offensichtlich schon früh Verantwortung für seinen jüngeren Bruder übernehmen musste, besonders glänzen. Der altgediente Theater- und Fernsehdarsteller Alejandro Trejo ist als schmieriger Don Pascual, der gleichzeitig auch eine väterliche Seite hat, ebenfalls sehr überzeugend. Die beste Performance liefert aber eindeutig die ehemalige Balletttänzerin Antonella Ríos ab, deren Figur am dreidimensionalsten gezeichnet wurde und die innerhalb der Handlung auch die größte Wandlung durchmacht. Erscheint sie anfangs noch als manipulative Femme Fatale, die mit den Träumen und Gelüsten der beiden jungen Männer spielt, so wird in der letzten Episode deutlich, dass sie eigentlich nur ein Opfer ist und mit ihrer Verführung der Brüder versucht, ihrer von Gewalt und Missbrauch geprägten Beziehung zu – oder vielmehr Abhängigkeit von – Don Pascual zu entfliehen. Rios erscheint in der Rolle mal schnippisch und entschlossen, mal verletzlich, und stellt eine große Wandlungsfähigkeit unter Beweis. Es ist schon schade, dass sie danach keine größeren Rollen mehr an Land ziehen konnte und ansonsten nur noch in verschiedenen Telenovelas auftrat.
          Freilich ist nicht alles an „Los Debutantes“ gelungen. Beispielsweise hätte man sich manche Wiederholungen bestimmter Szenen auch sparen können. Im Mittelteil gerät der Erzählfluss etwas ins Stocken und es wird zu lange auf den Showdown hingearbeitet. Dieser wiederum ist dann ironischerweise viel zu schnell vorbei und weniger eindringlich geraten, als der Spannungsaufbau davor hoffen ließ. Immerhin kann Waissbluth die Geschichte zu einem bitteren und konsequenten Ende führen. Aber was einem noch besonders sauer aufstößt, ist die stellenweise extreme Sexualisierung von Rios' Figur. Ich will nicht leugnen, dass ihre Striptease-Einlagen (darunter die atemberaubende Nummer mit der Sahne auf ihren eindeutigen Körperteilen, die auch auf dem Kinoplakat und den meisten DVD-Covern abgebildet ist) sehr sinnlich und visuell beeindruckend geraten und auch ihre freizügigen Kleider schön anzuschauen sind. Die Frau ist eben wirklich eine Augenweide. An manchen Stellen nimmt die Fokussierung der Kamera auf sie jedoch grenzwertige Züge an. Sicher ist es zumindest in den Episoden aus Victors und Silvios Perspektive irgendwie auch nachvollziehbar, da man diese durch die Augen der beiden Figuren betrachtet und selbige nunmal triebgesteuerte junge Männer sind. Dass der male gaze aber sogar in den unangenehmen Missbrauchsszenen beibehalten wird, hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack.
          Trotz all dieser Schwächen ist „Los Debutantes“ insgesamt doch ein durchaus sehenswerter Film geworden. Spannend, auf interessante Weise erzählt, mit sehr guten Schauspielleistungen und dazu noch einem coolen Soundtrack, der hauptsächlich aus Liedern hierzulande unbekannter chilenischer Alternative-Rockbands besteht (darunter übrigens auch eine, in der Andrés Waissbluth selbst Schlagzeug spielt). Ein echter Geheimtipp für Freunde des Gangsterfilms.

          13
          • 4

            "Warlock III - The End of Innocence" ist, wie schon der zweite Teil der Reihe, nur dem Namen nach ein Sequel. Denn abgesehen davon, dass der Bösewicht ein Hexer ist, der danach strebt, die Hölle auf die Erde heraufzubeschwören, bestehen kaum Verbindungen zu den Vorgängern. In diesem Fall wurde sogar der Hauptdarsteller ausgewechselt: statt Julian Sands verkörpert nun Bruce Payne, ein britischer Schauspieler derselben Generation, den titelgebenden Charakter. Payne, der wie Sands auf Schurkenrollen abonniert ist (in seinem Fall seit "Passagier 57"), macht seine Sache dafür aber ebenfalls ziemlich gut, wenn nicht sogar besser als sein Vorgänger. Durch sein nuanciertes Schauspiel verleiht er seiner Rolle einen einnehmenden Charme, strahlt ebenso aber auch glaubhafte Bedrohlichkeit aus.
            Abgesehen vom charismatischen Hauptdarsteller lässt sich jedoch nicht viel Positives über den nunmehr dritten Teil einer schon von Anfang an nicht sonderlich originellen Fantasy-Horror-Reihe berichten. "Warlock 3" entspricht von seinem Handlungsaufbau und der Charakterkonstellation her einem x-beliebigen Teenieslasher. Auch wenn die Hauptfiguren hier erwachsene Studenten sind und der Bösewicht seine Opfer nicht ersticht, sondern umgarnt, bis sie ihm persönliche Gegenstände geben, durch die er sie verflucht, entspricht ansonsten alles altbekannten Horror-Tropes.
            Die Charaktere stammen wirklich aus dem Klischeebaukasten. Die Heldin des Films ist zwar keine Jungfrau mehr, aber das typische nette, zuvorkommende All-American-Girl, das eine traumatische Kindheit überwinden und sich zum Schluss alleine gegen den Bösewicht behaupten muss, der es natürlich hauptsächlich auf sie abgesehen hat. Die restliche Clique besteht aus dem aufrechten Alphamännchen, einem feigen Kiffer, einem Goth-Pärchen, das auf SM-Spiele steht und einer schrägen Wicca-Anhängerin. Allesamt nur Variationen der typischen Horror-Filmcharaktere.
            Ähnlich vorhersehbar ist die Handlung. Am Anfang gibt es mehrere Point-of-View-Shots aus der Sicht eines vermeintlichen Killers, der der Protagonistin zu ihrer Wohnung folgt. Bedrohliche Musik schwillt an, als sie nach Hause kommt, sie wird von hinten gepackt... aber es ist doch nur ihr Freund. Auf dem Weg zu einem verlassenen Anwesen, das sie geerbt hat, begegnet die Heldin natürlich auch einem unheimlichen Einsiedler, in diesem Fall einer alten Frau, die sie mit kryptischen Äußerungen warnt. Das hat man nun schon so oft gesehen, dass es einem nur noch ein Gähnen entlockt. Als die Hauptfiguren dann in dem Geisterhaus versammelt sind (das eindeutig kein Schloss ist, wie es der deutsche Titel anpreist), kann das muntere Ratespiel beginnen, wer wann und wie draufgehen wird. Überraschungen gibt es kaum. Hinzu kommen abgedroschene Dialogzeilen und fantasielose Oneliner.

            "Glaubst du, du kannst mich mit meinen eigenen Waffen schlagen?"
            "Nein, aber mit meinen!"

            Ähnlich mau sieht es beim Cast aus. Neben Payne liefert nur die einstige "Hellraiser"-Hauptdarstellerin Ashley Laurence als Heldin Kris eine anständige Performance ab. Ihre Rolle mag schlecht geschrieben sein, aber durch ihr ausdrucksstarkes Schauspiel verleiht sie ihr immerhin einigermaßen Profil. Alle anderen bleiben genauso blass wie ihre Figuren. Namhafte Akteure finden sich hier ansonsten ohnehin nicht. Erwähnenswert sind höchstens Rick Hearst und Angel Boris, die das erwähnte SM-Pärchen verkörpern. Hearst war der Hauptdarsteller in Frank Henenlotters "Elmer", Boris ist ein ehemaliges Playboy-Model. Viel Schauspieltalent zeigen sie nicht. Dafür allerdings viel nackte Haut.
            Aber es ist nicht alles am dritten "Warlock" misslungen. Originell ist beispielsweise eine Montage zu Beginn, bei der die Kamera durch den Flur des Wohnhauses, in dem die Studentenclique wohnt, fährt und sich der Tür jedes Appartments nähert, um dann mittels einer Überblendung deren Inneres und damit die Hauptfiguren bei ihren Lieblingsbeschäftigungen zu zeigen. Eine durchaus einfallsreiche Methode, die Protagonisten eines Films vorzustellen. Kameramann Andrew Turman (gehörte auch zum Team der letzten beiden "Hunger Games"-Filme) gelingen außerdem einige schöne Bilder und Kamerafahrten. Dazu gehören auch stimmungsvolle Aufnahmen der irischen Natur. Gedreht wurde der Film nämlich in Irland, auch wenn die Besetzung hauptsächlich aus Amerika stammt und die Handlung dort vorgeblich angesiedelt ist.
            Das baufällige alte Geisterhaus gibt außerdem eine schön morbide Kulisse ab. Durch effektvolle Ausleuchtung entsteht eine zumindest anfangs noch funktionierende gruselige Atmosphäre. Am stärksten ist der Film tatsächlich in der ersten halben Stunde, wenn die Protagonistin sich zunächst noch alleine im Spuhaus einquartiert und nachts von unheimlichen Erscheinungen heimgesucht wird. Dabei werden Erinnerungen an auf gothic-novels basierende Geisterfilm-Klassiker wie "Bis Das Blut Gefriert" wach. Flackernde Schnitte und aufblitzendes Licht lassen im Höhepunkt dieser Szene tatsächlich Gänsehaut und Spannung aufkommen... bis dann die Freunde der Hauptfigur eintreffen und alles wieder ausgetretenen Pfaden folgt. Das Finale enttäuscht sogar auf ganzer Linie. Wenn Laurence zuerst mit einer Fackel und dann einer Kinderpuppe gefühlt minutenlang unbeholfen nach Payne stößt, wird es unfreiwillig komisch.
            Aber gute Ansätze sind wie gesagt da. Regisseur und Co-Drehbuchautor Eric Freiser (der weder davor noch danach sonst irgendetwas nennenswertes abgeliefert hat) baute auch einige nette surreale Elemente ein. Beispielsweise eine Szene, in der Ashley Laurence' Spiegelbild sich verzerrt, wild gestikuliert und schreit, ohne dass sie es merkt. Oder eine Art Zeitschleife, in die sie auf der Flucht vor dem Hexer gerät, in der sie durch ein Loch in einer Mauer sich selbst ständig denselben Weg nehmen sieht.
            Die Tötungsarten sind immerhin auch einigermaßen kreativ. So wird ein Opfer beispielsweise in eine Porzellanstatue verwandelt und dann zertrümmert, ein anderes verwest bei lebendigem Leib und das SM-Pärchen erhält eine an "Hellraiser" erinnernde "höllische" Bestrafung. Letzteres ist auch eine der wenigen Szenen, in denen es wirklich blutig wird. Splatter und Gore sind hier, gerade verglichen mit dem zweiten Teil, sehr rar gesät. Daher erscheint es wieder mal besonders unsinnig, dass der dritte Teil zunächst wie seine Vorgänger ab 18 freigegeben wurde. Heute trägt er aber, wie diese, das passende blaue Siegel. Immerhin sind Effekte und Make-Up größtenteils handgemacht und sehen überzeugend aus. Was man von den Computereffekten, die bei der "Erweckung" des anfangs unter dem Spukhaus eingeschlossenen Hexers und seinen magischen Fähigkeiten zum Einsatz kommen, nicht sagen kann. Glücklicherweise gibt es davon aber auch nur wenige.
            Komponist David Reynolds (arbeitete u.a. an "Get Smart", "Wanted" und "Duell der Magier" mit) steuerte zum Film noch einige atmosphärische Keyboardthemen bei. Diese werden leider aber auch ziemlich häufig durch unpassende Technobeats ruiniert. Der Soundtrack besteht ansonsten noch aus Titeln eher unbekannter Alternative-Rock-Bands wie Thick Liquid und Haze, die aber meist ziemlich poppig und generisch ausgefallen sind. Der von Celtic Folk angehauchte Abspannsong gefällt aber.
            Bleibt unterm Strich ein insgesamt einfallsloser, extrem vorhersehbarer Direct-to-Video-Horror, von dem nach Sichtung kaum etwas hängenbleibt. Überzeugende Sets und Splattereffekte und die angesprochenen surrealen Szenen sind letztlich zu wenig. Besser wäre es auf jeden Fall gewesen, man hätte den Film komplett als Haunted-House-Horror aufgezogen und nicht versucht, ein Slasher-Publikum anzusprechen. Und man hätte ihn definitiv nicht als "Warlock"-Teil verkaufen sollen, denn gegenüber den beiden Sands-Filmen (sogar dem auch für mich weniger gelungenen ersten Teil) stinkt er gewaltig ab. Wären Payne und Laurence nicht, könnte man ihn komplett vergessen. Das hier ist insgesamt zwar keine verschwendete Lebenszeit, aber schon nah dran.

            12
            • 7 .5

              "Idlewild" ist ein Film, an den sich heute noch kaum jemand erinnern dürfte. Von André Benjamin alias "André 3000" und Antwan "Big Boi" A. Patton, die das erfolgreiche Hip-Hop-Duo OutKast bilden, als aufwändiges Musical mit begleitendem Studioalbum geplant, lief das Werk letztlich mit fast einjähriger Verspätung im August 2006 an, da sich die Arbeit am Album verzögerte, und ging an den Kinokassen unter. In den vierzehn Jahren seit Kinostart scheint sich auch nur wenig in Sachen retrospektiver Betrachtung getan zu haben. "Idlewild" ist nun mal für viele einfach nur der gefloppte Film zu OutKasts letztem Album. Aber ist er deswegen automatisch schlecht?
              Beileibe nicht, wie ich meinen würde. Sicher ist die Geschichte klischeehaft und auch in Sachen Inszenierung und Charakterkonstellation übernimmt "Idlewild" viel von bekannteren Filmen des Genres. Man kann sich beim Schauen tatsächlich mehrmals des Eindrucks nicht erwehren, dass die Jungs von OutKast hier eine afroamerikanische Version von "Moulin Rouge" hatten schaffen wollen, denn gerade zu diesem lassen sich, auch was das Milieu betrifft, viele Ähnlichkeiten feststellen. Nichtsdestotrotz besitzt "Idlewild" viele Qualitäten, die ihn doch noch aus der Masse herausstechen lassen.
              Die eigentlich nicht wirklich der Rede werte Handlung fasse ich mal grob zusammen: OutKast verkörpern die beiden Kindheitsfreunde Percival (Benjamin) und Rooster (Patton), die in der titelgebenden fiktiven Stadt in Georgia aufgewachsen sind. In den 1930er Jahren, als beide erwachsen sind, haben sie sich jedoch auseinandergelebt: Percival führt eine bescheidene Existenz als Bestatter im Unternehmen seines Vaters und tritt nachts als Pianist in der Band des Nachtclubs "The Church" auf, wogegen Rooster der umjubelte Star dieses Etablissements ist und sich zudem als Alkoholschmuggler seinen Kontostand aufbessert. Während Percival noch Junggeselle ist, hat Rooster außerdem bereits geheiratet und fünf Töchter gezeugt, wobei er seine Frau Zora allerdings laufend betrügt, weswegen diese kurz davor steht, ihn zu verlassen. Die Ereignisse überschlagen sich, als eines Abends Ace, der arrogante Besitzer der "Kirche", und der ansässige Gangster Spats, welcher sich aus dem Geschäft zurückziehen wollte, von Spats' rechter Hand Trumpy ermordet werden, was Rooster zufällig beobachtet. Er selbst wird nun zum neuen Eigentümer des Clubs und von Trumpy, der Spats' Imperium übernommen hat, dazu gedrängt, Ace' Schulden zurückzuzahlen. Die Gelegenheit dazu ergibt sich, als die berühmte Sängerin Angel Davenport in Idlewild auftaucht. Angel, welche jedoch nicht die zu sein scheint, als die sie sich ausgibt, wird von Rooster dazu verpflichtet, im Club aufzutreten. Percival flößt der unter Lampenfieber Leidenden Mut ein, während sie ihn darin bestärkt, seine eigenen Songs zu veröffentlichen. Bald verlieben sich die beiden ineinander. Rooster hingegen wird nun tatsächlich von Zora verlassen, welche ihre Kinder mit sich nimmt. Zudem ist er dazu gezwungen, immer riskantere Geschäfte einzugehen, um den unberechenbaren Trumpy zufrieden zu stellen. Die Freundschaft zwischen Percival und Rooster steht bald auf dem Spiel, ebenso wie ihrer beider Leben.
              Wie gesagt, sonderlich originell ist das alles nicht. Der spielfreudige Cast kann diesen klischeehaften Figuren jedoch Leben einhauchen. Benjamin und Patton überzeugen als gegensätzliche Freunde, wobei vor allem Benjamin, der zuvor schon Schauspielerfahrung sammeln konnte (u.a. in "Vier Brüder" mit Mark Wahlberg), und hier als hauptsächlicher Sympathieträger fungiert, eine einnehmende Darbietung abliefert. Auch die hochkarätige Nebenbesetzung ist nur zu loben. Terrence Howard, der mit Benjamin ebenfalls in "Vier Brüder" vor der Kamera stand und den meisten sicher aus "Iron Man" bekannt ist, gibt den brutalen Antagonisten Trumpy mit sichtlich viel Spaß am fies-sein. Ving Rhames als ehrfurchtgebietender Mafiapate Spats hat zwar nur einen eher kleinen Part, liefert jedoch die mit Abstand beste Leistung ab. Komiker Faizon Love (u.a. "Friday", "Blue Crush") als schmieriger Clubbesitzer sorgt in der ersten Filmhälfte dazu für einige Lacher. Die schöne Paula Patton, hier ein Jahr vor ihrem Durchbruch mit "Déjà Vu" zu sehen, zeigt als nur vorgeblich abgehobene Diva Angel Davenport, bei der es sich in Wirklichkeit um ein schüchternes Zigarettenmädchen handelt, dass das Zugticket und den Vertrag der echten Sängerin geklaut hatte, ihre Wandlungsfähigkeit und legt viele Emotionen in ihre Darbietung. Wobei sie in ihren Bühnenszenen allerdings nicht selbst singt, sondern von der Sessionmusikerin Debra Killings nachvertont wurde. Die echte, tatsächlich sehr arrogante Angel Davenport wird in einer kurzen Rückblendeszene von der berühmten R&B-Sängerin Patti LaBelle dargestellt. In weiteren Rollen sieht man noch die meist als Nebendarstellerin auftretende Malinda Williams (u.a. "High School High") als Roosters jähzornige Frau Zora, den eher als Voice Actor tätigen Jackie Long als zweiten Comic Relief, R&B-Sängerin Macy Gray als verführerische Nachtclubsängerin und Vorgängerin Angel Davenports, den als Musicalsänger ("Jesus Christ Superstar") bekannt gewordenen Ben Vereen als Percivals autoritäten Vater und die Charakterdarstellerin Cicely Tyson ("The Help") als eine tief gläubige, arme Mutter, deren Weg Rooster in einer Szene kurz vor dem Showdown kreuzt. Oscarwürdige Performances bekommt man hier zwar von niemandem geboten, aber insgesamt hinterlässt der Cast jedenfalls einen positiven Eindruck.
              Die größten Pluspunkte von "Idlewild" neben der Besetzung sind noch die Tanz- und Musikszenen. Mitreißende Lindy-Hop und Jitterbug-Nummern, die vom mehrfachen Tony-Award-Preisträger Hinton Battle (bekannt aus der Bühnen-Version von "The Wiz", "Dreamgirls" und der "Buffy"-Musicalepisode) choreographiert wurden, animieren unweigerlich zum Mitwippen. Vom eher unbekannten französischen Kameramann Pascal Rabaud (arbeitete zuvor u.a. mit Wim Wenders bei "Am Ende Der Gewalt" zusammen) eingefangene beeindruckende Bildkompositionen, die in einer oft bräunlichen Farbpalette gehalten sind, bieten viel Futter für die Augen. Die dynamische Montage der Cutterin Anne Goursaud (schnitt u.a. auch Francis Ford Coppolas Filme "One From The Heart", "Die Outsider" und "Bram Stoker's Dracula") stimmt Musik und Bilder rhythmisch perfekt aufeinander ab. "Idlewild" ist so deutlich von einer Musikclip-Ästhetik geprägt, was auch kaum überrascht, schließlich drehte Regisseur und Drehbuchautor Bryan Barber mehrere Musikvideos für OutKast (darunter die zu ihren größten Hits "Hey Ya!" und "Roses") sowie für andere Pop- und Hip-Hop-Künstler und - Künstlerinnen wie Christina Aguilera, will.i.am, Kelly Clarkson oder John Legend.
              Auf den Soundtrack muss natürlich noch einmal gesondert eingegangen werden. Dass in einem Film, der in den 1930er Jahren angesiedelt ist, moderner Hip-Hop, Funk und Soul zu hören ist, mag sicher für einige Zuschauer befremdlich erscheinen, allerdings sind diese Anachronismen beabsichtigt. Ähnlich wie "Chicago" und "Moulin Rouge" ist auch "Idlewild" nicht daran interessiert, ein der historischen Korrektheit verpflichtetes Sittengemälde auf die Leinwand zu bringen, sondern nutzt sein Setting hauptsächlich dazu, Impressionen der damaligen Zeit in ein modernes Musikspektakel massentauglich einzubinden. Als bloße Staffage sollte man die Hintergrundgeschichte aber dennoch nicht ansehen, denn Einflüsse aus der damaligen Musik werden hier durchaus aufgenommen. So verschmelzen die Lieder aus "Idlewild" teilweise Blues, Jazz, Swing, Boogie und Ragtime mit den genannten modernen Stilen und sind daher für ein Musical durchaus originell geraten. Zu erwähnen ist, dass es sich nicht bei allen Songs um zur Entstehungszeit neue Titel handelt. Gut zur Hälfte besteht der Soundtrack von "Idlewild" aus Liedern von OutKasts erfolgreichen Vorgängeralben "Speakerboxxx/The Love Below" und "Big Boi And Dre Present... OutKast", die hierfür umarrangiert und neu eingespielt wurden. Zwar ist nicht jedes Lied ein Ohrwurm, aber insgesamt machen die Gesangsnummern dennoch viel Laune, auch wenn man kein Fan der betreffenden Musikrichtungen ist. Das beste, weil mitreißendste, Lied hob man sich dabei für den Abspann auf, bei dem André Benjamin eine Performance zu einer von Busby-Berkeley-Musicals inspirierten beeindruckenden Massen-Choreographie in hauptsächlich schwarz und weiß gehaltenen Kostümen eine tolle Performance abliefert. Außerdem sind noch einige Titel von Jazz-Legende Cab Calloway ("Blues Brothers") im Film zu hören und Komponist John Debney (u.a. "Die Piratenbraut", "Sin City") steuerte einige schöne Klavierstücke für die emotionalen Szenen ohne Gesang bei.
              Das Hauptproblem an "Idlewild" ist, neben der unoriginellen und nicht wirklich spannenden Handlung, jedoch, dass er nicht konsequent genug als Musical inszeniert ist. Die meisten Gesangsnummern finden hier auf einer Bühne statt und gehören dementsprechend auch zur Handlung, weswegen es irritiert, wenn André Benjamin nach etwa 30 Minuten Laufzeit aus dem Bett steigt und plötzlich anfängt zu singen, wobei die vielen Kuckucksuhren seines Charakters in das Lied mit einstimmen. Die nicht-diegetischen, von der Realität losgelösten Gesangsszenen sind hier so rar gesät, dass sie wie Fremdkörper im insgesamt eher geerdeten Film wirken. Ebenso eigenartig ist beispielsweise auch eine Auto-Verfolgungsjagd kurz vor dem Showdown geraten, bei der Rooster vor Trumpy flieht und von diesem beschossen wird. Visuell ist diese, trotz vieler Computereffekte, beeindruckend geraten und bietet viele Schauwerte. Allerdings wird die Spannung dabei zerstört, indem man die Szene nur als Vorlage für eine Rapnummer Antwan Pattons benutzte. Die einzige solche Gesangsszene, die einen nicht aus dem Film herausreißt, ist eine gefühlvolle Ballade kurz vor Schluss, in der - SPOILER! - Percival die Leiche seiner Geliebten, die für ihn eine Kugel einfing, für ihre Beerdigung als Braut herrichtet und dabei seinem Schmerz gesanglich Ausdruck verleiht.
              Trotz dieser Schwächen ist "Idlewild" insgesamt ein immer noch sehenswerter Film geworden. Gut gespielt, toll gesungen, mit atemberaubenden Kamerafahrten und Montagen und sogar mehreren ordentlichen Actionszenen. Die vereinzelten Morde, Schießereien und die eine Folterszene, die es gibt, sind für die deutsche FSK-12-Freigabe sogar recht drastisch geraten. Einen "richtigen" Gangsterfilm kann man hier natürlich nicht erwarten, und als reines Musical ist "Idlewild" wie erwähnt, nicht so ganz in sich stimmig, aber als musikalische Liebeserklärung an die Südstaaten und Hommage an eine vergangene Zeit kann er überzeugen. Es ist schon bedauerlich, dass er zu seiner Zeit kaum Publikum fand. Denn mit ihm endete auch eine Ära. Der Soundtrack zum Film ist das bis heute letzte gemeinsame Studioalbum von Benjamin und Patton, die sich danach auf ihre Solokarrieren konzentrierten (aber fast 10 Jahre später immerhin wieder gemeinsam auftraten). Und es bleibt der einzige Film des Musikvideoregisseurs Bryan Barber, der danach wieder in sein eigentliches Metier zurückkehrte. Dabei zeigt er hier definitiv einiges an Talent. Aufgeschlossene Filmfans werden jedenfalls mit einem durchaus unterhaltsamen Werk belohnt, das auch Spaß macht, wenn man mit Hip-Hop eher weniger anfangen kann (wie ich, denn ich bin eher der härteren Musik zugetan). Im Musicalgenre ist "Idlewild" ein echter Geheimtipp.

              10
              • 4

                Eins vorneweg: "Hellraiser: Judgment", der zehnte Teil der Reihe, ist tatsächlich besser als seine beiden direkten Vorgänger. Andererseits war das auch nicht sonderlich schwer, bedenkt man, wie miserabel "Hellworld" und "Revelations" gerieten. Aber was für ein Film ist "Judgment" eigentlich geworden?
                Man könnte sagen, dass dies das Herzensprojekt von Gary J. Tunnicliffe ist, der die Reihe seit dem dritten Teil als Special-Effects- und Make-Up-Künstler begleitet. Zudem war er auch als Second Unit Director (beim siebten Teil "Deader") tätig und verfasste das Drehbuch zu "Revelations", von dem er sich allerdings distanzierte. Selbst Regie führen wollte er dabei schon länger, und dass er sich mit Leib und Seele Clive Barkers Schöpfung verschrieben hatte, stellte er 2004 mit seinem Kurzfilm "No More Souls" unter Beweis, in dem er selbst in die Rolle eines gealterten Pinhead schlüpfte. Mit "Judgment" bot sich ihm dann die Gelegenheit, endlich einen eigenen "Hellraiser"-Teil zu inszenieren. Nach den verheerenden Reaktionen auf "Revelations" sah man nämlich auch in der Chefetage von Dimension Films ein, dass man sich dem Franchise wieder etwas gewissenhafter widmen müsse. Daher bot man ihm nun die Regie an, wobei seine vorherigen Skripte noch abgelehnt worden waren.
                "Judgment" hatte Tunnicliffe dabei zuvor noch als eigenständigen Film konzipiert, da er zunächst nicht damit rechnete, dass man sein Drehbuch akzeptieren würde. Er versuchte den Film im Jahr 2013 erfolglos über Crowdfunding zu finanzieren, wobei er aus rechtlichen Gründen sämtliche Verbindungen zum "Hellraiser"-Franchise entfernt hatte. Da man bei Dimension in der Zwischenzeit keinen Regisseur für ein geplantes "Hellraiser"-Remake gefunden hatte und sie die Rechte erneut zu verlieren drohten, ließ man Tunnicliffe letztendlich doch noch sein ursprüngliches Drehbuch verfilmen, wenngleich es vor Drehstart geringfügig umgeschrieben wurde.
                Tunnicliffe hatte auch Doug Bradley wieder für seine Paraderolle des Pinhead gewinnen wollen, aber als man diesem statt des Drehbuchs eine umfassende Verschwiegenheitserklärung vorsetzte, die weitreichender als gewöhnlich ausfiel, lehnte er erneut ab. Dies führte letztlich auch zu einer unschönen Schlammschlacht zwischen beiden im Vorfeld der Veröffentlichung. Aber darum soll es hier nicht gehen. Das Budget bei "Judgment" fiel jedenfalls fast genauso niedrig wie das von "Revelations" aus, aber dank besserer Vorbereitung und eines größeren Zeitrahmens verliefen die Dreharbeiten harmonischer und fokussierter als bei den beiden Vorgängern.
                Die stilistischen Einflüsse von "Judgment" sind jedenfalls nicht zu übersehen: dieser "Hellraiser" ist eindeutig stark von "Sieben" inspiriert. Dies zeigt sich schon am Vorspann, der wie Kyle Coopers berühmte Arbeit für David Finchers Film mit Verzerrungen, Überblendungen und extremen Nahaufnahmen arbeitet. Die Haupthandlung um ein gegensätzliches Team aus Polizisten, die einen Serienmörder jagen, der religiöse Bezüge in seine Taten einfließen lässt, verweist ebenso deutlich auf Finchers Thriller. Ebenso wie der elektronische Score vom ansonsten unbekannten Komponisten Deron Johnson, der stark an Nine Inch Nails erinnert.
                Tunnicliffe hat das geringe Budget dabei gut kaschieren können. Es gibt viele Schauplatzwechsel, Außenaufnahmen und überzeugende Sets. Nur bei einigen Kamerafahrten stört gelegentliches Bildwackeln, weil man sich wohl keine Steadycam leisten konnte. Make-Up- und Splatter-Effekte, für die Tunnicliffe natürlich wieder selbst verantwortlich zeichnete, sind hervorragend gelungen und durchaus dazu geeignet, einem heftig auf den Magen zu schlagen. Und das, obwohl der Film zuvor in den Mord- und Folterszenen vom Studio um mehrere Minuten erleichtert wurde. Eine sehr realistisch wirkende Häutung bleibt dabei besonders im Gedächtnis.
                Woran es jedoch hapert, ist die Handlung. "Judgment" ist über weite Strecken ein Polizeithriller, wie es mittlerweile etliche gibt. Die Mörderhatz ist aufgrund der blassen Charaktere nur leidlich spannend geraten. Zumal man sich die Identität des Täters relativ früh zusammenreimen kann. Und die größtenteils abgedroschenen Dialoge machen es nicht besser. Interessant ist der zehnte "Hellraiser" allerdings in der Hinsicht, dass er die Mythologie des Franchise tatsächlich auf beträchtliche Weise erweitert. Mit der "Stygischen Inquisition" wird hier eine vollkommen neue Fraktion von Dämonen eingeführt, die sich deutlich von Pinhead und seinen Zenobiten unterscheiden. Diese benutzen keinen Zauberwürfel, um Menschen zu sich zu holen, sondern locken Sünder in ein abgelegenes Haus, unterziehen sie dort einer peinlichen Befragung und lassen sie anschließend von einer monströsen SM-Kreatur abschlachten und häuten. Selbige Prozedur wird gleich zu Beginn gezeigt und ist auf einfallsreiche Weise surreal geraten. Die ins Bräunliche gehende Farbpalette (im Gegensatz zu den Szenen der Zenobiten, die einen deutlichen Blaustich haben) unterstützt dabei die dreckige, krankhaft wirkende Atmosphäre.
                Das Problem an der Szene ist nur, dass sie durch einen viel zu sehr in die Länge gezogenen Dialog zwischen dem "Auditor", gewissermaßen dem "Chef" der Inquisition, und seinem Opfer praktisch zerredet wird. Es dauert gute zehn Minuten, bis der Vorspann einsetzt und damit die eigentliche Handlung beginnt. Überhaupt ist "Judgment" für einen "Hellraiser"-Film zu geschwätzig. Andauernd werden hier Fakten wiederholt, die man eigentlich auf Anhieb versteht. Man hätte eher bei mehreren der Dialogszenen anstatt bei den Gewaltausbrüchen die Schere ansetzen sollen.
                Dazu kommt, dass die Höllenwelt der Zenobiten in diesem Teil endgültig als die christliche Vorstellung der Hölle interpretiert wird, was zu mehreren weniger gelungenen Szenen mit einem nervigen weiblichen Engel führt, der Pinhead die Leviten liest. Immerhin sind die Auftritte nicht übermäßig klischeehaft geraten. Aber durch das übertriebene helle Licht bei ihren Auftritten bewegt man sich schon nah an der Schmerzgrenze.
                Was die Schauspieler betrifft, kann auch nicht jeder überzeugen. Die meisten Beteiligten sind hier ebenfalls Fernseh- und B-Movie-Akteure, die über kleinere Nebenrollen in Hollywoodfilmen bisher nicht hinauskamen. Damon Carney, der immerhin Kurzauftritte in "Logan" und "The Lone Ranger" hatte, liefert als innerlich zerrissener Detective Sean Carter, auf den sich die Geschichte hauptsächlich fokussiert, eine einigermaßen ausdrucksstarke Darbietung ab. Die bisher völlig unbekannte Alexandra Harris als dessen neue arrogante Partnerin und Randy Wayne ("Honey 2") als Carters ausgeglichener Bruder und Kollege hingegen sind vollkommen blass und verkörpern absolut uninteressante Charaktere. Genau wie Helena Grace Donald, die bisher ebenfalls noch keine große Karriere vorzuweisen hat, und als erwähnter Engel mit ihrem unbeholfenen Schauspiel ziemlich negativ auffällt. Im Vorfeld wurde außerdem mit Heather Langenkamp aus "Nightmare On Elm Street" geworben, aber die hat nur einen winzigen Auftritt als zynische Vermieterin eines der Opfer.
                Besser sieht es da schon mit den Darstellern der Dämonen aus. Die Rolle des "Auditors" übernahm Gary J. Tunnicliffe kurzerhand selbst und füllt diese mit Bravour aus. Der "Auditor" unterscheidet sich dabei radikal von den stoischen Zenobiten, denn bei ihm handelt es sich um einen Bürokraten, der seine Arbeit, so grausam sie auch sein mag, gewissenhaft erledigt. Als Inspirationen für die Figur sollen dabei Sam Lowry, der Held aus Terry Gilliams "Brazil", und Ben Kingsleys Interpretation von Itzhak Stern aus "Schindlers Liste" gedient haben. Sicher kommt es auch etwas prätentiös rüber, wenn der Regisseur eine selbst kreierte Figur in einem langlebigen Franchise verkörpert und als diese sogar mehr Szenen hat als das eigentliche Aushängeschild der Reihe. Die überzeichneten, etwas satirischen Auftritte des "Auditors" sind innerhalb der Reihe aber tatsächlich mal etwas erfrischendes. Das einzige Problem mit der Rolle ist eben, dass sie etwas zu geschwätzig ist. Als schräger "Assessor" (ein anderes Mitglied der Stygischen Inquisition) hat der ebenfalls als Regisseur tätige John Gulagher (bekannt für die "Feast"-Trilogie und "Piranha 3DD") zwei besonders skurrile Auftritte. Ansonsten ist noch Mike Jay Regan, der den Zenobiten "Chatterer" in den Teilen 6-8 darstellte, hier erneut in dieser Rolle mit von der Partie und wirkt gewohnt furchteinflößend.
                Aber die Frage aller Fragen lautet natürlich: wie ist denn nun der neue Pinhead-Darsteller? Überraschend gut, muss die Antwort lauten. Neubesetzung Paul T. Taylor (hatte davor kleine Nebenrollen in u.a. James Gunns "Super" und Robert Rodriguez' "Sin City") kommt natürlich zu keiner Zeit an Doug Bradley heran, aber er versucht auch garnicht erst, diesen zu imitieren, sondern interpretiert die Rolle auf eine ganz eigene Weise. Seine Version von Pinhead strahlt eine kühle Arroganz aus, wirkt aber nach wie vor bedrohlich. Taylor lässt seinen Vorgänger Stephan Smith Collins auf jeden Fall weit hinter sich und wird mit seiner minimalistischen, aber immer noch charismatischen Darbietung der Figur definitiv gerecht.
                Abgesehen von der Schlussszene. Und selbige ist es auch, die hauptsächlich für meine eher negative Bewertung verantwortlich ist. Man kann "Judgment" zwar tatsächlich als ein mutiges Sequel bezeichnen, da es, im Gegensatz zu allen anderen Fortsetzungen ab dem fünften Teil, den Status quo um Pinhead und die Zenobiten tatsächlich ändert. Ohne hier zuviel zu spoilern zu wollen: am Ende passiert etwas mit dem Höllenfürsten, das schlimmer ist als das, was ihm im zweiten Teil widerfuhr. Und an sich ist die Idee auch garnicht so schlecht und tatsächlich originell. Aber die Umsetzung... nein, einfach nein! Das ist so dermaßen übertrieben inszeniert und schlecht gespielt - wäre die verkorkste letzte Szene nicht, würde ich dem Film wohl noch 5 Punkte und keine 4 geben. Aber so beleidigt "Judgment" Clive Barkers Schöpfung leider.
                Eine Post-Credits-Szene gibt es auch noch, aber die fügt nur eine eher deplatziert wirkende humorvolle Pointe zum Subplot um die Stygische Inquisition hinzu. Interessanterweise spielt sie in Deutschland, aber ist im Grunde verzichtbar.
                Ist das auch der Film an sich? Sagen wir es so: "Judgment" ist in visueller Hinsicht gelungen, kann erzählerisch aber nicht überzeugen. Zu klischeehaft ist die Haupthandlung, zu umfangreich und gleichzeitig einfallslos sind die Dialoge. Und das Ende ist eine Frechheit. Aber dennoch bietet der Film einige positive Aspekte. Gary J. Tunnicliffe hat ein Auge für gute Bilder und einen Hang zum Surrealen. Sets und Effekte können sich sehen lassen und die Musik gefällt ebenfalls. Ein netter Einfall war es beispielsweise, Beethovens "Für Elise" als verfremdete Spieluhr-Interpretation, die an die Melodie des Zauberwürfels erinnert, bei den Auftritten der Stygischen Inquisition erklingen zu lassen. Und in Sachen Splatter und Gore macht dieser Teil keine Gefangenen. "Judgment" dürfte tatsächlich der härteste "Hellraiser" seit dem vierten sein.
                Man sollte auf jeden Fall unvoreingenommen an den Film herangehen. "Judgment" ist zwar nur ein weiteres Sequel, das aus vertraglichen Gründen produziert wurde, aber es besitzt auch nicht wenige Qualitäten. Mehr als unteres Mittelmaß ist für mich letztlich nicht drin, aber anderen könnte das hier mehr zusagen. Abschreiben sollte man die "Hellraiser"-Reihe definitiv noch nicht.

                17
                • 10

                  "Wie soll ein Mensch was lernen, wenn er in 'nem Burger-King schuftet?"

                  1998 schuf Hollywood-Tausendsassa Warren Beatty mit "Bulworth" die wohl respektloseste, bissigste und witzigste Politsatire über den Wahlkampf-Irrsinn in den USA. Wie schon bei "Der Himmel soll warten", "Reds" und "Dick Tracy" übernahm Beatty dabei als Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und Hauptdarsteller alle wichtigen Positionen vor und hinter der Kamera und sicherte sich damit volle kreative Freiheit. Anders wäre der Film wohl auch kaum so politisch inkorrekt und subversiv in seinem Humor geworden. Beatty prangert hier die Verquickung der Interessen mächtiger Konzerne mit der amerikanischen Politik ebenso an wie die Scheinheiligkeit politischer Führer aus allen Lagern. Und widmet sich ebenso den bis heute bestehenden Folgen der Sklaverei und anschließenden Rassensegregation, die ihren Niederschlag in institutioneller Benachteiligung und Diskriminierung von Minderheiten, vor allem der afroamerikanischen, seitens der Justiz hat. Mit seiner Geschichte eines Senators, der verrückt spielt, legte Beatty den Finger in die Wunde und konnte mutige Statements setzen, die - bedauerlicherweise - auch heute noch Gültigkeit haben.

                  "Konzerne sind effizienter als Regierungen, richtig? Die Versicherungsindustrie ist die profitabelste von allen. Weil die Versicherungen 24 Cent von jedem Dollar bekommen. Beim staatlichen Gesundheitswesen sind es 3 Cent pro Dollar. Was soll der Scheiß, dass die Wirtschaft effizienter wäre? Diese Versicherungstypen brauchen Gesetze. Glauben Sie, dass Sie sich selbst auf die Finger klopfen?"

                  Titelgebende Hauptfigur ist der demokratische Senator Jay Billington Bulworth, der sich Ende der 90er Jahre auf seine Wiederwahl vorbereitet. Am einstmaligen Kämpfer für Bürgerrechte und Hilfe für benachteiligte Gesellschaftsschichten hat jedoch der Zahn der Zeit genagt. Sein Idealismus wurde aufgerieben, sodass er sich mittlerweile an Großkonzerne und konservative Wählerschichten anbiedert. Auch seine Ehe existiert nur noch auf dem Papier: er und seine Frau Constance betrügen sich gegenseitig (mit Wissen des jeweils anderen) und halten nur noch für die Medien die Fassade eines glücklichen Paares aufrecht. Nach fünf durchwachten Nächten kurz vor Beginn seiner Wahlkampftour hat Bulworth schließlich genug: angewidert von seinem inhaltslosen Wahlprogramm, dem Verrat seiner einstigen Ideale und weil er davon ausgeht, die Wahl sowieso nicht zu gewinnen, lässt er einen Killer auf sich selbst ansetzen und beschließt, der Öffentlichkeit zur Abwechslung mal reinen Wein einzuschenken. Hörte man von ihm anfangs nur leere Worthülsen wie:
                  "Wir stehen an der Schwelle zu einem neuen Millennium."
                  Fasst er sich jetzt ein Herz und sagt den Leuten geradeheraus, was er denkt. Damit stößt er seine afroamerikanischen Wähler vor den Kopf:
                  "So lange ihr kein anderes Vorbild habt als einen Footballspieler, der seine Frau ersticht, so lange werdet ihr Leute wie mich nicht los."
                  Und schockiert sowohl sein Wahlkampfteam als auch die ihn bezahlenden Lobbyisten, seine Familie und die Konkurrenz. Aber er kann sich damit auch neue Sympathien sichern. So macht er die Bekanntschaft der schwarzen Rapperin und Aktivistin Nina, die von seinem furchtlosen Verhalten beeindruckt ist und mit ihren Freundinnen Cheryl und Tanya als Wahlkampfhelferin für ihn anheuert. Schon bald empfindet er für sie eine deutliche Zuneigung. Weil er auch Gefallen an ihrem Lebensstil findet, beginnt er selbst zu rappen und auf diese Weise seine Ansichten ans Volk heran zu tragen.

                  Dennis Murphy (sein Wahlkampfmanager): "Er spricht jetzt in Reimen. Ich finde das beunruhigend."

                  Sein neues zügelloses Verhalten bereitet Bulworth so viel Spaß, dass er seinen Lebenswillen wiederfindet. Sein Problem ist jetzt allerdings: der Killer ist immer noch auf ihn angesetzt. Und der Geschäftspartner, den er mit dem Auftrag betraute, erleidet einen Herzinfarkt, als Bulworth von ihm verlangt, den Deal zu stornieren. Bulworth versucht so nun verzweifelt und immer paranoider werdend, am Leben zu bleiben, während das Wahlvolk von seinem erfrischenden Auftreten begeistert und er damit auf dem besten Weg ist, wiedergewählt zu werden.
                  Beatty ist wirklich der Dreh- und Angelpunkt des Films: mit seiner energiegeladenen Performance dominiert er fast jede Szene, reizt mit seinen absurden, aber intelligent getexteten Rapeinlagen mehrmals zu Lachtränen, verleiht seiner Figur dabei aber auch eine gewisse Tragik. Sein Jay Bulworth ist keine reine Karikatur, sondern ein Mann, dessen Verhalten trotz aller Überzeichnung nachvollziehbar ist. Es gibt sicher nicht wenige Leute in wichtigen Positionen, die wie er ursprünglich hehre Absichten hatten, die ihre Ideale aber durch gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Druck und zermürbende Bürokratie aufgeben mussten und dadurch einen Selbsthass wie die Hauptfigur des Films entwickelt haben. Nur dürften die wenigsten den Mut und die Schamlosigkeit haben, dem ein Ende zu setzen. Mit Sicherheit dienten Beatty einige reale Persönlichkeiten als Vorbild für seine Rolle. Jay Bulworth ist somit eine der faszinierendsten Filmfiguren, von der man sich zudem wünschen würde, dass sie vielleicht mal einen echten Politiker dazu inspiriert, seine Haltungen zu überdenken.
                  "Bulworth" als reine One-Man-Show von Beatty zu bezeichnen, wird dem Film allerdings auch nicht gerecht. Denn er umgab sich hier mit einem beachtlichen Cast voller Könner, die an seiner Seite ebenso glänzen können. So verkörpert Oliver Platt den verzweifelten Wahlkampfmanager Dennis Murphy, der die Launen seines Arbeitgebers bald nur noch mit Koks erträgt und gegen diesen aufbegehren will, sich aber letztlich nicht durchsetzen kann. Auf sein Konto gehen ebenfalls viele Lacher. Hollywood-Veteran Jack Warden gibt Bulworth' Berater und Christine Baranski ("9 1/2 Wochen", "The Birdcage") die zynische Ehefrau Constance. Ex-Musical- und Theaterdarsteller Paul Sorvino (u.a. bekannt aus "Goodfellas" und "Die Firma") tritt als aalglatter Vertreter eines Versicherungskonzerns auf, der Bulworth zu bestechen versucht und gewissermaßen der "Bösewicht" (in einer Geschichte, in der die meisten Figuren eher grau gezeichnet sind) des Films ist. Und als selbstbewusste Nina ist Halle Berry in ihrer bis heute coolsten Rolle zu sehen (und das schreibe ich als großer "X-Men"-Fan!). Denn als zornige junge Frau aus dem Ghetto mit auffälliger Frisur und in knappen Outfits macht sie nicht nur optisch was her und ist dazu sehr durchsetzungsstark, sondern hat auch was im Köpfchen und kann den weißen Helden über die Ursachen der immer noch überproportionalen Armut in der schwarzen Bevölkerung aufklären.

                  Bulworth: "Was ist nur aus den schwarzen Führern geworden?"
                  Nina: "Manche Leute glauben, sie wurden alle getötet. Aber ich glaube, dass es an der Dezimierung der Wirtschaftskraft in den urbanen Zentren liegt. Nur eine optimistische Bevölkerung kann starke Führer hervorbringen. Wenn man die Produktion in die dritte Welt auslagert, vernichtet man die Arbeiterschaft in der schwarzen Bewegung. Eine hohe Beschäftigung bedeutet Jobs für Afroamerikaner. Der Weltkrieg sorgte für mehr Jobs für Schwarze. Das ist es, was die Gemeinschaft für die Bürgerrechtsbewegung der 50er und 60er Jahre mobilisierte. Eine energiegeladene, hoffnungsvolle Gemeinschaft produziert nicht nur Führer, sondern wichtiger noch: Führer, denen sie zuhört. Was meinen Sie dazu, Senator?"

                  Das sind Dialogzeilen, die wahrer nicht sein könnten und die viel bekannter sein sollten. Denn sie vermitteln auch wertvolle Fakten für das Verständnis der momentanen Situation in sozialen Brennpunkten in Amerika.
                  Eine weitere wichtige Rolle übernahm der 2014 verstorbene Poet Amiri Baraka als Obdachloser, der Bulworth immer wieder erscheint und ihm kryptische Ratschläge gibt, wobei bis zum Schluss offen bleibt, ob die Figur vielleicht nur der Einbildung des Hauptcharakters entstammt, denn dieser ist der einzige, mit dem er interagiert.
                  „Du musst ein Geist sein! Kein Gespenst!“
                  Darüber hinaus ist Don Cheadle, der kurz zuvor seinen Durchbruch mit Paul Thomas Andersons „Boogie Nights“ hatte, als charismatischer Drogendealer zu sehen und Isaiah Washington („Grey's Anatomy“, „Romeo Must Die“, „Exit Wounds“) verkörpert Berrys naiven und unbeherrschten Filmbruder Darnell, der diesem Geld schuldet und mit Bulworth aneinander gerät.

                  Darnell: „Ich sag, du bist kein richtiger Nigger!“
                  Bulworth: „Bist DU ein richtiger Nigger?“
                  Darnell: „Du nennst mich Nigger, Motherfucker?! Nenn mich nicht NIGGER, Motherfucka!“
                  Bulworth: „Würdest du Motherfucker bevorzugen, Motherfucker?“

                  Kleinere Parts haben dann noch einige Darsteller, die später wesentlich prominenter werden sollten, wie die Komikerin Sarah Silverman, der unvergessene Michael Clarke Duncan und „Herr der Ringe“-Star Sean Astin, der einen übereifrigen Kameramann verkörpert. Talkshow-Ikone Larry King absolviert dazu ein nettes Cameo.
                  Was „Bulworth“ zeitlos macht, ist seine scharfsinnige Analyse der größeren Zusammenhänge hinter gesellschaftlichen und politischen Krisen. Deutlich kritisiert wird die skrupellose Profitmaximierung von Konzernen, sei es aus der Versicherungs-, der Öl-, der Gesundheits- oder Waffenbranche, die auf Kosten der einfachen Bevölkerung, anderer Länder und der Umwelt geht. Ebenso wie die Einflussnahme ebenjener Konzerne durch Lobbyismus auf Politiker aus fast sämtlichen Lagern, die dann durch verabschiedete oder verhinderte Gesetze nur die Interessen des Großkapitals vertreten.

                  „Wir haben einen Club. Richtig? Republikaner, Demokraten, was ist der Unterschied? Eure Jungs, meine Jungs, unsere Jungs, wir Jungs. Es ist ein Club.“

                  Auch die zunehmende Monopolisierung der Medienunternehmen, die als Folge ein verzerrtes Bild des Weltgeschehens vermittelt, und die Beeinflussung der Bevölkerung durch die Werbeindustrie werden als Ursachen des Übels erkannt.

                  „Ihr seid drei wohlhabende Leute, die von noch reicheren Leuten dafür bezahlt werden, dass sie ein paar anderen recht reichen Leuten Fragen über ihren Wahlkampf stellen. Aber unser Wahlkampf wird von denen bezahlt, die euch bezahlen. Die Leute, die uns bezahlen, sind nicht an Neuigkeiten interessiert.“

                  Und, wie erwähnt, widmet sich Beatty in „Bulworth“ auch den Folgen der Rassentrennung. So wirkt Don Cheadle in seiner Rolle als gewaltbereiter Drogenboss zwar bedrohlich, in einem wichtigen Monolog legt er der Hauptfigur aber auch dar, dass er den Leuten in seinem Viertel hilft. Denn den zumeist afroamerikanischen Bewohnern von Ghettos bleibt aufgrund von Verarmung und Diskriminierung oft nichts anderes übrig, als kriminell zu werden. Auch die in diesem Jahr wieder präsent gewordene Thematik der Polizeigewalt wird angesprochen. Versinnbildlicht in einer Szene, in der schwarze, mit Drogen dealende Kinder von weißen Polizisten provoziert werden, die ihre Waffen schon ziehen, als sie nur ein Eis ins Gesicht gedrückt bekommen, jedoch von ihren Opfern ablassen, als sie feststellen müssen, dass der titelgebende reiche Senator diese begleitet.
                  All diese Sozialkritik würde aber wohl in ihrer Wirkung verpuffen, wenn sie nicht durch die Inszenierung unterstützt würde. Und glücklicherweise konnte sich Beatty hinter der Kamera mit Könnern ihres Fachs umgeben, welche den Film auch zu einem audiovisuellen Genuß machen. Der altgediente Kameramann Vittorio Storaro (u.a. „Der Letzte Tango in Paris“, „Apocalypse Now“) folgt in vielen Kamerafahrten den Protagonisten und fängt in Großaufnahmen deren ausdrucksstarkes Mienenspiel ein. Besonders hervorzuheben ist dabei eine überdrehte Tanzszene mit Beatty und Berry, bei der die Kamera fortwährend um beide kreist. Die flotte Montage vom oscarnominierten Robert C. Jones („Eine total, total verrückte Welt“, „Rat mal, wer zum Essen kommt“) und Billy Weber („Top Gun“, „Beverly Hills Cop 2“, „Tage des Donners“) hält die Handlung in Schwung und sorgt dafür, dass in den über 100 Minuten Laufzeit keine Langeweile aufkommt. Ebenso wie der schmissige Hip-Hop-Soundtrack mit Tracks von prominenten Interpreten wie Dr. Dre, LL Cool J, Method Man, RZA, Cypress Hill, Ice Cube, Public Enemy und den Black Eyed Peas. Auch muss der großartige orchestrale Score vom in diesem Jahr verstorbenen Meister Ennio Morricone erwähnt werden, der die emotionalen Szenen mit viel, aber nie zu dick aufgetragenem Pathos, untermalt. Dazu finden auch zwei klassische Musikstücke im Film Verwendung: Beethovens „Ode an die Freude“ und Joseph Haydns „Deutschlandlied“, das hier als Melodie für die Hymne „Glorious Things of Thee are Spoken“ dient. Letzteres bringt auf humoristische Weise in der betreffenden Szene auch den Gegensatz zwischen Ethnien und Klassen in den USA auf den Punkt: denn die beiden Charaktere Cheryl und Tanya singen das Lied während des Gottesdienstes in einer protestantischen Kirche laut und leidenschaftlich mit, womit sie die restlichen, zumeist weißen und reichen Gäste irritieren.
                  Positiv hervorzuheben ist auch die deutsche Synchronfassung, in der „The Voice“ Christian Brückner mit seinem unnachahmlichen Stimmorgan Warren Beatty auch auf deutsch viel Charisma verleiht. Das Einzige, was mich persönlich nach der ersten Sichtung am Film enttäuschte, war die letzte Szene nach dem konsequenten Ende: in dieser sieht man erneut Amiri Baraka in seiner Rolle als mysteriösen Obdachlosen, wie er sich nachts auf einer verlassenen Straße zuerst bedauernd über Bulworth äußert, um dann die Worte, die man im Film am häufigsten von ihm hörte, direkt in die Kamera zu sprechen. Das fand ich anfangs ziemlich nichtssagend, aber mittlerweile interpretiere ich die Szene so, dass sie als Aufforderung an das Publikum gedacht ist, sein Leben zu überdenken und es dem Hauptcharakter gleichzutun.
                  Und das ist es, was diesen Film so besonders macht: er ist nicht nur toll gespielt und zum Schreien komisch, sondern demaskiert auch die Heuchelei und Bigotterie in der Politik, kritisiert viel stärker als die meisten anderen Hollywoodfilme das kapitalistische System, tritt für Nächstenliebe ein und regt zum Nachdenken an. Und hat bis heute – leider – nichts an Aktualität verloren. Denn viele der Missstände, die Bulworth hier beklagt, bestehen immer noch oder sind sogar noch schlimmer geworden. Zusammen mit „Der Kandidat“ mit Robert Redford, Bob Roberts von und mit Tim Robbins und Barry Levinsons „Wag The Dog“ zählt Bulworth damit zu den intelligentesten und treffsichersten Auseinandersetzungen mit dem amerikanischen Politikzirkus. Und mehr noch: er ist eine Aufforderung, etwas am Status quo zu ändern. Sich nicht alles von den Regierungen gefallen zu lassen, Konzerne nicht mehr zu unterstützen, sich für Minderheiten und die Umwelt einzusetzen und ganz allgemein einfach das eigene Umfeld besser zu behandeln. Und trotz seines zynischen Grundtons versprüht er dabei viel Hoffnung. Was gerade in diesen Zeiten sehr wertvoll ist.
                  Und bevor ich euch entlasse, muss ich hier noch eine der gelungensten Weisheiten von Jay Bulworth wiedergeben, die er mit seinem letzten Rap äußert. Und obwohl ich die deutsche Fassung, wie erwähnt, sehr gelungen finde, kommt hier jetzt der Originaltext, da mir die deutsche Version nicht mehr ganz im Gedächtnis geblieben ist und dabei sicher auch einiges in der Übersetzung verloren ging:

                  „You been taught in this country there's speech that is free
                  But free don't get you no spots on TV.
                  If you want to have senators not on the take
                  Then give them free air time, they won't have to fake.

                  Telecommunications is the name of the beast
                  that, that, that, that, that's eating up the world from the west to the east
                  The movies, the tabloids, TV and magazines
                  they tell us what to think and do and all our hopes and dreams.

                  All this information makes America phat
                  But if the company's outta the country - How American is that?
                  But we got Americans with families that can't even buy a meal.
                  Ask a brother who's been downsized if he's getting any deal.

                  Or a white boy bustin ass til they put him in his grave.
                  He ain't gotta be a black boy to be livin like a slave.
                  Rich people have always stayed on top by dividing white people from colored people.
                  But white people got more in common with colored people then they do with rich people.
                  We just gotta eliminate them. White people, black people, brown people, yellow people, get rid of 'em all. All we need is a voluntary, free spirited, open-ended program of procreative racial deconstruction. Everybody just gotta keep fuckin' everybody til they're all the same color.“

                  In dem Sinne – Frohe Weihnachten! :D

                  12
                  • 7

                    "The Forbidden" ist ein früher Kurzfilm von "Hellraiser"-Schöpfer Clive Barker, den dieser während seiner Zeit bei der Theatergruppe The Dog Company Mitte bis Ende der 70er Jahre mit Freunden und Bekannten drehte. Zunächst blieb das Werk lange unvollendet, bis sich ihm Barker im Jahr 1998 wieder annahm, es fertigstellte und zusammen mit seinem anderen Frühwerk „Salome“ und einleitenden Kommentaren von ihm selbst, „Pinhead“-Darsteller Doug Bradley und seinem Freund Peter Atkins auf Video und später DVD veröffentlichte. Es handelt sich hierbei um einen knapp 40 Minuten langen Experimentalfilm ohne Dialoge oder logisch erschließbare lineare Handlung, der komplett in schwarzweiß gedreht wurde. Laut Barkers Aussage diente ihm Goethes "Faust"-Stoff als maßgebliche Inspiration, Verbindungen zu diesem lassen sich in dem Werk jedoch nur sehr vage ausmachen. "The Forbidden" besteht vielmehr aus einer assoziativen Bilderfolge, die nur wenig erzählerischen Zusammenhang aufweist und auf vielfältige Weise interpretierbar ist.

                    Die Handlung der einzelnen Kapitel werde ich hier nur kurz umreißen: Hauptfigur ist ein bärtiger Mann, der eine Beziehung führt, die ihm keine Erfüllung bietet, weswegen er einen teuflischen Pakt eingeht. Dies geschieht anscheinend, indem er ein Stück Pergament zerreißt, das vorher von einer Frau mit kryptischen Zeichen und Mustern im Stil asiatischer Kalligraphie beschriftet wurde. Später liegt er auf dem Boden mit hinter dem Rücken verschränkten (gefesselten?) Händen, windet sich und schreit vor Schmerzen. Außerdem tritt ein Mann mit einer Teufelsmaske auf, der zuerst in einer wilden Kostümierung als japanischer Dämon auftaucht und anschließend splitternackt mit erigiertem Penis einen wilden Tanz aufführt. Dazwischen sieht man immer wieder ein vergittertes Fenster, durch das man die Silhouetten schwarzer Vögel umherflattern sieht. Ebenso häufig blickt man in Großaufnahme und aus der Vogelperspektive auf ein perfekt symmetrisch angeordnetes Nagelbrett, das von einer kreisenden Lichtquelle beschienen wird, und beobachtet das Schattenspiel um die einzelnen Nägel. Am Ende wird der bärtige Mann von mehreren Personen bei lebendigem Leib gehäutet und läuft danach, offensichtlich ohne Schmerzen zu spüren, durch einen hell leuchtenden Garten.

                    Anzumerken ist, dass "The Forbidden" damals auf 16mm gedreht und zu einem Großteil negativ kopiert wurde. Dies geschah zwar hauptsächlich aus Kostengründen, ergibt aber auch aus ästhetischer Sicht Sinn. Die grobkörnigen und umgekehrt belichteten Bilder entwickeln einen ganz eigenen surrealen Reiz und verdecken auch produktionstechnische Unzulänglichkeiten. Beispielsweise erschuf man die Illusion der Häutung schlicht dadurch, indem man den Körper des Darstellers bemalte und dann dünne feuchte Folien darauf legte, die anschließend aufgeschnitten und abgezogen wurden. Es ist jedoch verblüffend, wie realistisch die Szene wirkt. Und dies ist wohl vor allem der Tatsache geschuldet, dass sie nur als Negativ existiert.

                    Für die Fans von „Hellraiser“ und Clive Barkers restlichem Werk ist es natürlich auch interessant, wenn man den Kurzfilm in Hinsicht auf die Themen anschaut, die in den erwähnten Stoffen auftreten. Hier taucht vieles auf, was sich in späteren Filmen und Kurzgeschichten wiederfinden soll. Sei es der faustische Pakt, die Zerstörung des menschlichen Körpers, unerfüllte Liebe, Genusssucht oder explizite Sexualität. Gerade in „Hellraiser“ griff Barker auf mehrere künstlerische Motive aus „The Forbidden“ zurück. So ähneln die kryptischen Zeichnungen auf dem Pergament beispielsweise dem Muster, das auf dem verhängnisvollen Zauberwürfel eingraviert ist. Und das Nagelbrett, von dessen Anordnung und Schattenspiel Barker damals laut der Aussage von Doug Bradley sehr fasziniert war, diente unverkennbar als maßgebliche Inspiration für das Aussehen eben jener Figur, die Bradley später verkörpern sollte.

                    Zuletzt sind auch hinsichtlich der Besetzung Überschneidungen zu Barkers bekanntester Schöpfung auszumachen. Doug Bradley, den Barker schon seit Schultagen kennt, ist nämlich als tanzender Teufel zu sehen und die Hauptfigur wird von Peter Atkins dargestellt, der später die Drehbücher zu den „Hellraiser“-Teilen 2 bis 4 verfasste und im dritten eine kleine Rolle übernahm. Clive Barker tritt in „The Forbidden“ zu Beginn auch kurz selbst vor die Kamera.

                    Insgesamt betrachtet ist das hier ein höchst ungewöhnliches Werk, das zwar nur wenig Spannung aufbauen kann und keine logisch nachvollziehbare Handlung aufweist, aber aufgrund seiner surrealen Bilder und seines unheilvoll wabernden Soundtracks im Gedächtnis bleibt. Fans von straighten Horrorfilmen dürften eher nicht abgeholt werden, wem jedoch surreale Experimentalfilme wie Luis Buñuels „Ein andalusischer Hund“, Maya Derens „Meshes Of The Afternoon“, David Lynchs „Eraserhead“ oder E. Elias Merhiges „Begotten“ zusagten, der dürfte auch hieran seine Freude haben. Und da „The Forbidden“ gemeinsam mit „Salome“ auf mehreren „Hellraiser“-Veröffentlichungen im Bonusmaterial zu finden ist, kommt man heute auch ohne Probleme an den Film heran. Als Blaupause zu „Hellraiser“ ist er definitiv nicht ohne Interesse und mehr als eine Sichtung wert.

                    13
                    • Hier eine weitere Liste von mir zu einem besonders spannenden Thema: Filme, in die während der Produktion so stark eingegriffen wurde, dass sie sich extrem von der ursprünglichen Version des Regisseurs unterscheiden.
                      Dass Filme fürs Kino gekürzt werden oder Nachdrehs stattfinden, ist ja an sich nichts ungewöhnliches. Manchmal nehmen die Meinungsverschiedenheiten oder ungünstigen Umstände hinter den Kulissen jedoch so extreme Ausmaße an, dass das Resultat oftmals ein konfuses Werk ist, das zwanghaft auf ein Mainstreampublikum zugeschnitten wurde. Ich habe ja schon häufiger die Einmischung von Studiobossen oder Produzenten in Dreharbeiten kritisiert. Viel zu oft resultiert das verzweifelte Bemühen, einen Erfolg zu landen nämlich darin, dass interessante Stoffe verwässert und ursprünglich in sich stimmige Werke entstellt werden.
                      Auf Filmtoast habe ich kürzlich einen ausführlichen Artikel zu dem Thema verfasst, in dem ich auf die Hintergründe von zehn Filmen aus dieser Liste genauer eingehe und diese in einen größeren Zusammenhang einordne. Hier könnt ihr ihn lesen: https://www.filmtoast.de/verschnitten-und-verpfuscht-diese-filme-waren-urspruenglich-ganz-anders-geplant/
                      In dieser Liste versammele ich weitere Beispiele. Wenn euch noch andere einfallen, auf die dies zutrifft, nehme ich sie gerne auf.
                      Ich mag übrigens tatsächlich die meisten der hier aufgeführten Filme, gebe aber in der Regel dem Director's oder Extended Cut den Vorzug. Und wenn eine derartige Fassung nicht existiert, denke ich mir immer: wie gut hätte der Film erst werden können, wenn man dem Regisseur freie Hand gelassen hätte!

                      12
                      • Nach einer längeren Pause gibt's von mir mal wieder eine Liste. ^^
                        Sie stammt aus diesem Buch: https://www.amazon.de/Horror-Cinema-Paul-Duncan/dp/3836561824/ref=sr_1_1?__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3%95%C3%91&dchild=1&keywords=taschen+horror&qid=1593538402&s=books&sr=1-1
                        Man kann sich sicher bei einigen Filmen drüber streiten, ob sie wirklich zu den besten Werken des Horrorgenres gehören bzw. ob sie überhaupt in erster Linie Horrorfilme sind. Insgesamt bekommt man aber einen sehr guten Überblick über die wichtigsten Werke und Strömungen innerhalb des Genres geboten.
                        Horror- und Filmfans generell ist das Buch jedenfalls nur zu empfehlen.

                        9
                        • 9 .5
                          Gabe666 30.06.2020, 16:46 Geändert 30.06.2020, 16:48
                          über Shame

                          "Shame" ist der zweite Film von Steve McQueen (dem britischen Regisseur, nicht dem amerikanischen Schauspieler! ^^) und ebenso seine zweite Zusammenarbeit mit Michael Fassbender. Inszenierte er selbigen in seinem Debüt "Hunger" als einen seiner Freiheit beraubten Fanatiker, der seinen Körper als politische Waffe benutzt, so besetzte er ihn hier als verwöhnten Yuppie, der alle Vorzüge der westlichen Wohlstandsgesellschaft genießt, sich durch eine zerstörerische Abhängigkeit aber sein eigenes inneres Gefängnis errichtet. So drückte es McQueen in einem Interview aus. Diese britische Produktion, die in New York gedreht wurde, ist in der Kritik dabei häufig mit "American Psycho" verglichen worden. Diese Analogie trifft es allerdings nicht so ganz. Denn durch die Thematisierung der Sexsucht des Protagonisten ergeben sich zwar auch hier einige Tabubrüche, allerdings geht Steve McQueen der Zynismus eines Bret Easton Ellis ab. "Shame" soll auch kein satirischer Abgesang sein, sondern versteht sich vor allem als Charakterstudie. Fassbenders Figur ist ein unter Bindungsängsten leidender Mann, der sich zwar andauernd auf erotische Abenteuer einlässt und dazu eifrig pornographische Medien konsumiert, allerdings unfähig ist, emotionale Nähe zuzulassen. Das plötzliche Auftauchen seiner ebenfalls psychisch labilen Schwester wirft ihn nun aus der Bahn, da er so dazu gezwungen ist, Verantwortung für einen anderen Menschen zu übernehmen.

                          Die beiden Hauptfiguren mögen extreme Charaktere sein, allerdings kann man "Shame" durchaus auch als allgemeinen Kommentar auf die Situation des modernen Menschen, vor allem in der Großstadt, sehen. Denn obwohl immer mehr Menschen auf engem Raum zusammenleben und die Menschheit durch das Internet immer stärker vernetzt wird, findet gleichzeitig auch eine starke Entfremdung der Leute voneinander statt. Und es gibt sicher nicht wenige, die nach gescheiterten Beziehungen bzw. aus Angst vor Zurückweisung lieber Pornos konsumieren, sexuelle Dienste in Anspruch nehmen oder sich allein auf One-Night-Stands einlassen, anstatt wirklich enge Bindungen zuzulassen. Ein Stück weit können sich so mit Sicherheit viele im Protagonisten Brandon wiedererkennen. Der Film wertet sein Verhalten dabei nicht, sondern bildet das Geschehen nur mit einem kühl registrierenden Blick ab. Auch wird die Kindheit Brandons und seiner Schwester Sissy, in der wohl die Ursachen für seine emotionale Abstumpfung und ihr verzweifeltes Bedürfnis nach Liebe liegen, nicht näher beleuchtet. So kann jeder Zuschauer die Leerstellen für sich ausfüllen und zu einem eigenen Schluss kommen.

                          McQueen setzt bei der Visualisierung dabei vor allem auf lange Einstellungen mit zumeist statischer Kamera, die häufig das Gesicht Fassbenders anvisiert oder in Close-Ups seine Sicht und damit die Objekte seiner Begierde zeigt. Vereinzelt wagen McQueen, sein Kameramann Sean Bobbitt und Cutter Joe Walker (mit denen er auch bei sämtlichen seiner anderen Filme zusammenarbeitete) jedoch auch visuelle Experimente. Wie beispielsweise eine lange Kamerafahrt, bei der Fassbender in einer immer gleich bleibenden seitlichen Einstellung dabei gefilmt wird, wie er rastlos durch die nächtlichen Straßen New Yorks joggt, wobei auf der Tonspur klassische Klaviermusik läuft, die sein Charakter gleichzeitig über Kopfhörer hört. Oder eine schnelle Montage, in der er, zumindest kurzfristig, beschließt, seine Sucht zu bekämpfen und sich von sämtlichen pornographischen Medien in seiner Wohnung zu trennen. Dabei werden in sehr schnellen, stakkatoartigen Schnitten extreme Close-Ups von Bildern aus Pornomagazinen gezeigt, die er noch ein letztes Mal durchblättert, bevor er sie entsorgt. Was die Sexszenen betrifft, so sind diese, da es sich um einen britischen Film handelt, wesentlich zeigefreudiger ausgefallen als in vergleichbaren Hollywoodproduktionen. Dies brachte "Shame" in den USA auch prompt ein NC-17-Rating ein. Sogar etwas Full-Frontal-Nudity wird dem Publikum geboten, denn in den ersten Minuten kann man Fassbenders bestes Stück in all seiner Pracht bewundern (^^). Den Film nur auf seinen schlüpfrigen Inhalt zu reduzieren, wird ihm aber bei weitem nicht gerecht. Denn der Sex hat in "Shame", entsprechend der Gleichgültigkeit des Hauptcharakters, nur wenig von der typischen Stilisierung, die sich in den meisten Spielfilmen findet und wird von der Kamera nur beiläufig zur Kenntnis genommen.

                          Herzstück des Films sind ohnehin die herausragenden Schauspielleistungen. Michael Fassbender ist wirklich die Idealbesetzung für die Hauptrolle. Durch sein nuanciertes Spiel lässt er den Charakter des Brandon in seiner Getriebenheit immer glaubwürdig erscheinen. Nach außen hin unnahbar und elegant, wobei jedoch immer ein gewisses Brodeln unter der Oberfläche zu spüren ist. Und wenn es dann mal zu einer emotionalen Explosion kommt, agiert er geradezu beängstigend intensiv. Wirklich ganz großes Schauspielkino und ein Beweis für Fassbenders Wandlungsfähigkeit und die Tatsache, dass er zu den besten Darstellern seiner Generation gehört. Carey Mulligan als seine auf den ersten Blick energiegeladen wirkende, in Wahrheit jedoch schwer depressive, Schwester agiert dabei nicht minder überzeugend. Ihre Verletzlichkeit bringt sie auf sehr glaubwürdige Weise zum Ausdruck. Und stellt dabei außerdem noch ihr Gesangstalent unter Beweis. In einer Szene gibt sie nämlich den ursprünglich von Liza Minnelli performten, aber durch Frank Sinatra berühmt gewordenen, Filmsong "New York, New York" auf besonders gefühlvolle Weise zum Besten. Auch die Nebendarsteller brauchen sich nicht zu verstecken. James Badge Dale (u.a. "The Departed", "Iron Man 3") spielt Fassbenders arroganten Chef, der sich zwar ebenso häufig auf sexuelle Eskapaden einlässt, sein Privatleben aber im Griff zu haben scheint. Und die großartige Nicole Beharie ist in einer kleinen, aber einprägsamen Rolle als Brandons nette Kollegin zu sehen, mit der dieser den Versuch einer romantischen Beziehung wagt, bei der ihn dann sein kleiner Freund (^^) aber auf demütigende Weise im Stich lässt.

                          "Shame" ist so insgesamt kein Film für die breite Masse. Er ist langsam inszeniert und bietet dem Publikum keine einfachen Antworten. Auch die ruhige, meist vom Klavier interpretierte Filmmusik von Harry Escott vermeidet eine allzu deutliche emotionale Beeinflussung, wobei die klassischen Musikstücke von Johann Sebastian Bach und die vereinzelt angespielten Lieder von den New-Wave-Bands Blondie und Tom Tom Club auf dem Soundtrack schon eher gewisse Assoziationen auslösen. Jedenfalls lebt der Film von der unaufgeregten Inszenierung, der ambivalenten Charakterzeichnung, den erzählerischen Andeutungen und, wie erwähnt, der absolut hervorragenden Leistung des Casts. Wer sich hierauf einlässt, wird mit einem richtig starken Drama belohnt, das zum Ende hin wohl nur wenige kalt lassen dürfte.

                          PS: Das hier ist - ungelogen - mein 4444. Kommentar!

                          22
                          • 7

                            Eine seichte, aber unterhaltsame Liebeskomödie mit Will Smith, als er noch ein Erfolgsgarant in Hollywood war und sich noch nicht hauptsächlich für Werke von zweifelhafter Qualität hergab.
                            Als titelgebender "Date-Doktor" berät er hier schüchterne Männer dabei, die Liebe ihres Lebens zu gewinnen. Was leicht in üblen Sexismus hätte abgleiten können, wird glücklicherweise dadurch aufgefangen, dass Hitch eben kein Manipulator vom Typ Pick-Up-Artist ist, der Männern zu One-Night-Stands verhilft - was auch mehrmals im Film betont wird - sondern dem tatsächlich daran gelegen ist, Leuten zu einer glücklichen Beziehung zu verhelfen. Darüber hinaus bietet der Film tatsächlich ein paar interessante Denkanstöße für Leute, die im echten Leben auf Partnersuche sind. Botschaften wie, dass man sein Gegenüber ernst nehmen sollte und immer am eigenen Selbstbewusstsein arbeiten kann, da die eigene Identität nicht unveränderlich ist, sind durchaus wertvoll. Dem gegenüber stehen allerdings auch platte Küchenpsychologie-Weisheiten in den Dialogen, die einfach nur altbekannte Geschlechterstereotypen wiederholen. So ganz ausgereift ist das Drehbuch also nicht.
                            Darüber hinaus ist die Handlung vorhersehbar und gerät zudem gegen Ende ziemlich unglaubwürdig.
                            [SPOILER: Dass die Angebetete von Hichts Klienten Albert sich in diesen gerade wegen seines tollpatschigen Verhaltens verliebt haben soll, ist eine absolut nicht überzeugende Wendung.]
                            Was den Film aber rettet, sind sein gut aufgelegter Cast und funktionierender Humor. Will Smith als charismatischer Womanizer in einer Rolle, die so auch gut zu George Clooney gepasst hätte, nimmt die Zuschauer von Anfang an für sich ein. Die hinreißende Eva Mendes als zynische Reporterin, welche sich nach und nach in ihn verliebt, kann mit ihrer nuancierten wie energiegeladenen Performance richtig glänzen. Und das, obwohl sie ihren Part tatsächlich in erster Linie der Feigheit der Produzenten zu verdanken hatte, denn diese befürchteten eine Kontroverse, wenn Smith' Leinwandpartnerin weiß wäre und gingen daher mit ihr als Latina auf "Nummer sicher". Sei es wie es sei, Mendes passt dennoch hervorragend in die Rolle.
                            Der, der allen hier die Show stiehlt, ist jedoch Kevin James als Hitchs glückloser Kunde Albert. James, der zu diesem Zeitpunkt noch als "King of Queens" im Fernsehen auftrat, variiert seine Paraderolle des liebenswerten Tollpatschs zwar kaum, sorgt mit seinem körperbetonten Slapstick aber für die meisten Lacher. Besonders gelungen ist dabei eine Szene, in der er Smith seine zweifelhaften Tanzkünste vorführt. Selbige war tatsächlich größtenteils improvisiert. Auch Smith zeigt sein komödiantisches Talent wenn sein Charakter, als er selbst eine Beziehung beginnt, sich genauso ungeschickt verhält wie seine Klienten.
                            James' Love-Interest gibt die sympathische Amber Valletta (u.a. "Gamer, "Transporter II"), eine scheinbar unnahbare berühmte Schauspielerin. In weiteren Rollen sieht man noch Adam Arkin ("Chicago Hope") als Mendes' väterlichen Chef, die damals noch völlig unbekannte Paula Patton in ihrem Spielfilmdebüt als attraktive Party-Bekanntschaft von Hitch in einer Szene zu Beginn (sie war übrigens auch der Hauptgrund dafür, dass ich mir den Film kürzlich nach Jahren wieder angesehen habe), Jeffrey Donovan ("Blair Witch 2", "Sicario") als schmierigen Sexisten, die hauptsächlich in Fernsehserien auftretende Julie Ann Emery als Mendes' unsichere Freundin, Michael Rapaport als verheirateten Kumpel Hitchs, Robinne Lee ("National Security", "Sieben Leben") als seine Exfreundin sowie die damals noch weniger bekannten Kevin Sussman ("The Big Bang Theory") und Ato Essandoh ("Blood Diamond", "Männertrip") als zwei von Hitchs Kunden, die in der Vorspannsequenz beim Erobern ihrer Herzensdamen zu sehen sind.
                            Zu Robinne Lee sollte noch erwähnt werden, dass ihr Charakter ursprünglich einen größeren Raum im Film einnehmen sollte. Im fertigen Film tritt sie nur in Rückblenden auf, tatsächlich hätte ihre Figur jedoch einen wichtigen Einfluss auf die Entscheidungen des Protagonisten durch mehrere Begegnungen zwischen den beiden im Laufe der Handlung gehabt. Man entschied sich jedoch letztlich dazu, ihren Part zu kürzen, um die Handlung so dynamischer vorantreiben zu können.
                            Auch erwähnenswert ist, dass ihre Rolle zuerst Bollywood-Star Aishwarya Rai angeboten wurde, die jedoch aus terminlichen Gründen absagte. Interessant in dem Zusammenhang ist, dass "Hitch" von einem älteren Bollywood-Film, "Chhoti Si Baat" aus dem Jahr 1975 mehrere Elemente übernahm - und 2007 dann ein eigenes (unautorisiertes) Bollywood-Remake namens "Partner" erhielt. Indien und die USA scheinen sich also gegenseitig künstlerisch zu befruchten.
                            Der R'n'B-Soundtrack mit zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuellen wie auch älteren Liedern (darunter Klassiker wie "Wonderful World" von Sam Cooke, "You Can Get It If You Really Want" von Jimmy Cliff, "I Can't Get Next To You" von den Temptations oder "Reasons" von Earth, Wind & Fire) bietet noch eine passende beschwingte Untermalung.
                            Regisseur Andy Tennant, seit jeher auf romantische Komödien spezialisiert (wie z.B. "Fools Rush In" oder "Sweet Home Alabama"), ist hiermit ein leichtbekömmlicher Film gelungen, der niemandem wehtut. Aus dem Komödien-Allerlei sticht "Hitch" zwar kaum heraus, dank der im Grunde positiven Botschaft, gelungenen Gags, toll aufspielenden Darsteller und anderer netter Einfälle wie Smith' Durchbrechen der Vierten Wand am Anfang und Ende des Films (wenngleich man auch letzteres konsequenter hätte umsetzen können) wird er nicht langweilig. Auch heute noch einen Blick wert.

                            16
                            • 8 .5

                              "Lakeview Terrace" ist ein äußerst intelligenter Thriller, der sich einem nach wie vor relevanten Problem widmet, das in allen Ländern und Gesellschaften auftritt, jedoch gerade in den USA immer noch einen gefährlichen gesellschaftlichen Zündstoff birgt: dem alltäglichen Rassismus. Ein Erbe des Kolonialismus und der Sklaverei, das Beziehungen zwischen Nachbarn, Freunden, Liebespaaren und Familienmitgliedern vergiftet. Und vor dem wirklich niemand sicher ist. Hier exemplarisch versinnbildlicht und auf subversive Weise einmal umgekehrt dargestellt durch einen afroamerikanischen Polizisten, der ein gemischt-ethnisches Ehepaar, das bei ihm nebenan einzieht, nicht akzeptiert und mit sich langsam steigernder Aggressivität schikaniert.

                              Verkörpert wird dieser Charakter auf wirklich bravouröse Weise von Samuel L. Jackson, der noch einmal auf beeindruckende Weise seine schauspielerische Bandbreite unter Beweis stellt. Sein Abel Turner ist dabei keine eindimensionale Figur, denn er wird als Person gezeichnet, die Leute anderer Ethnien nicht generell hasst, sondern durchaus akzeptiert. Jedoch ist er der Meinung, dass alle unter sich bleiben sollten. Gleichzeitig vertritt er ein extrem konservatives Weltbild, worunter das Verhältnis zu seinen beiden Kindern leidet und was auch zu politischen Differenzen mit seinen Nachbarn führt. Wie in einem wirklich eindringlichen Monolog verdeutlicht wird, ist es letztlich auch vor allem eine persönliche Tragödie, die sein Misstrauen und seine Abneigung gegenüber gemischtrassigen Beziehungen ausgelöst hat. Sein Handeln, das sich von nur unterschwellig rassistischen Andeutungen bis zum direkten Versuch, die Beziehung des Paars zu zerstören steigert, erscheint so zwar immer noch verwerflich, aber zumindest nachvollziehbar.

                              Der Film wirft dabei auch ein Licht auf die umgekehrte Seite der Thematik: den positiven Rassismus. Hier in einer Szene verdeutlicht, in der ein Freund des Ehemanns, der Frauen offensichtlich nur als Trophäen sieht und sich mit einer exotischen Frau "schmücken" will, diesem seinen Neid mitteilt, dass er eine schwarze Frau geheiratet hätte, während er selbst mit einer Asiatin "Vorlieb nimmt". Dass Paare unterschiedlicher Herkunft trotz aller Bemühungen ihrerseits kaum davor gefeit sind, letztlich nur darauf reduziert zu werden, ist ein leider nach wie vor auftretendes gesellschaftliches Problem.

                              "Lakeview Terrace" vermittelt so die definitiv lobenswerte Botschaft, die Mitmenschen nicht nur nach dem Äußeren zu beurteilen, sondern zuallererst als Menschen zu sehen. Die moralischste Botschaft nützt natürlich nichts, wenn sie auf ungeschickte Weise rübergebracht wird. Regisseur Neil LaBute und Drehbuchautor David Loughery gelingt jedoch das Kunststück, das meiste zwischen den Zeilen passieren zu lassen und den Zuschauern viel Raum zur eigenen Interpretation zu lassen. Dazu können sie auf einen fantastischen Cast zählen, der den realitätsnahen Charakteren Glaubwürdigkeit verleiht.

                              Neben Sam Jackson, der eine geradezu beängstigend intensive Leistung abliefert, sind besonders Kerry Washington und Patrick Wilson als das erwähnte Ehepaar hervorzuheben. Beiden gelingt es glaubhaft, Durchschnittsbürger zu verkörpern, deren Beziehung dieselben Höhen und Tiefen wie bei den meisten Paaren durchlebt. Wilsons Charakterzeichnung als eigentlich besonnener Mann, der sich durch die Provokationen und das Macho-Gehabe seines Nachbarn persönlich herausgefordert sieht und sich somit in einen Kleinkrieg mit ihm hineinziehen lässt, ist dabei besonders überzeugend. Washington als vernünftigere Ehefrau, die noch am ehesten versucht, eine Eskalation zu vermeiden, liefert hier aber ebenso eine der besten Leistungen ihrer Karriere ab.

                              In weiteren Rollen treten noch Ron Glass ("Firefly") als Washingtons Filmvater, Jay Hernandez ("Hostel", "Suicide Squad") als junger Kollege Jacksons und die durch"CSI Miami" bekannte Eva LaRue als Polizistin der Dienstaufsicht, die Jacksons Charakter für seine häufig überzogenen Methoden während der Arbeit maßregelt, auf. Mit Ausnahme von Hernandez allesamt Schauspieler, die mehr im Fernsehen als im Kino präsent sind, hier aber definitiv nicht fehl am Platz wirken.

                              Zu kritisieren ist am Film allerdings, dass er im letzten Drittel vom Weg abkommt und den raffinierten Spannungsaufbau zugunsten einer harten Konfrontation aufgibt. Dass sich die aufgebaute Spannung auf irgendeine Weise entladen muss, ist zwar selbstverständlich, aber die Art und Weise, wie es hier passiert, dann doch sehr ungeschickt. Der Showdown ist laut und übertrieben und kulminiert in einem absolut banalen Hollywood-typischen Happy End.

                              Abgesehen vom enttäuschenden Ende ist "Lakeview Terrace" insgesamt aber immer noch ein absolut sehenswerter, spannender Thriller über menschliche Abgründe und die Allgegenwart rassistischer Vorurteile, der von seiner unheilvollen Atmosphäre und herausragenden schauspielerischen Leistungen getragen wird. Neil LaBute zeigte hiermit, dass er definitiv was von seinem Handwerk versteht. Man mag kaum glauben, dass derselbe Mann auch für das bizarre "Wicker Man"-Remake mit Nicolas Cage verantwortlich zeichnete.

                              18
                              • 7 .5

                                Eine charmante Mischung aus Politsatire und Familiendrama mit einem richtig toll aufspielenden Cast.
                                "Swing Vote" bietet definitiv eine der besten schauspielerischen Leistungen Kevin Costners (der den Film auch mit produzierte) seit der Jahrtausendwende. Als versoffener, ungebildeter und unverantwortlicher Vater, der urplötzlich die Präsidentschaftswahl der Vereinigten Staaten entscheiden muss, sorgt er für viele Lacher, lässt seine Rolle aber nie zur reinen Karikatur verkommen, sondern verleiht ihr Glaubwürdig- und Menschlichkeit. Die damals erst zwölfjährige Madeline Carroll als seine im Gegensatz zu ihm durchaus politisch interessierte Filmtochter zeigt eine beachtliche Leistung und stiehlt vielen ihrer Co-Stars die Show.
                                Wobei diese allesamt ebenfalls nur positiv auffallen. So sind Kelsey Grammer als republikanischer Präsident (eine Rolle, für die er sich nicht sonderlich verstellen musste, da er auch im realen Leben einer der glühendsten Anhänger dieser Partei ist) und der altgediente Dennis Hopper als dessen demokratischer Herausforderer zu sehen. Beide bringen das für ihre Rollen nötige Charisma mit und wirken trotz ihrer nicht gerade moralisch vertretbaren Methoden sympathisch. In weiteren Rollen treten Judge Reinhold ("Beverly Hills Cop") als Costners Arbeitskollege, Paula Patton als Reporterin mit Herz, sowie Nathan Lane und Stanley Tucci als Grammers bzw. Costners rücksichtslose Wahlkampfmanager auf. Allen ist ihre Spielfreude und der Spaß, den sie am Set hatten, definitiv anzumerken.
                                Was besonders positiv an „Swing Vote“ hervorzuheben ist, ist seine kritische Beleuchtung des amerikanischen Wahlsystems und der unlauteren Methoden, zu denen beide Parteien greifen. Weder den Republikanern noch den Demokraten wird hier eindeutig die Sympathie geschenkt, sondern vielmehr gezeigt, dass beide Kandidaten mit allen Mitteln versuchen, die Gunst ihrer Wähler zu erreichen, was hier durch die (wenngleich sehr unwahrscheinliche) Situation auf die Spitze getrieben wird, dass ein einzelner Mann aufgrund mehrerer zufälliger Ereignisse als letzter Wähler antritt und ihm dabei die Rolle zukommt, die Wahl zu entscheiden. Um ihn auf ihre Seite zu ziehen, versuchen es beide Kandidaten zunächst mit Bestechung, indem sie ihn durch ihre prominenten Freunde (NASCAR-Legende Richard Petty und Country-Urgestein Willie Nelson, die in Cameos als sie selbst auftreten) zu Privatpartys einladen und anschließend Wahlwerbespots nur für ihn produzieren, in denen sie versuchen, seine politischen Ansichten anzusprechen. Da sie diese meist nur durch unbedachte Äußerungen von ihm erraten zu haben glauben, entsteht dadurch viel absurde Komik. Die satirischen Werbespots, in denen die Parteien ihr Programm um 180 Grad drehen, sind definitiv die unterhaltsamsten Szenen des Films. So treten die Republikaner urplötzlich für die Schwulenehe ein und die Demokraten sprechen sich gegen Abtreibungen aus, was an Aberwitz nur schwer zu übertreffen ist.
                                Negativ ins Gewicht fällt, dass der Film diese satirische Schiene im letzten Drittel nicht mehr fährt, sondern sich mehr auf den Drama-Aspekt fokussiert, der zwar auch toll gespielt, insgesamt jedoch weniger interessant ist. Gleichzeitig geht der Film in seiner Gesellschaftskritik nicht weit genug, denn wirklich bissige satirische Spitzen bleiben aus. Letztlich werden die Politiker an der Spitze immer noch zu positiv dargestellt, obwohl sowohl Republikaner als auch Demokraten Parteien des reichen Establishments sind und schon zur Entstehungszeit des Films schon lange keine Politik mehr für die kleinen Leute betrieben haben. Damit einher geht auch ein typisch hollywoodmäßiger Patriotismus, der das System an sich unangetastet lässt, und, gegen Ende, ein allzu schmalziger Pathos, den man sich besser gespart hätte, da er den satirischen Witz zusätzlich abschwächt. Andererseits sollte man von derart starbesetzten und nicht gerade billigen Hollywoodproduktionen wohl auch nicht zuviel erwarten, denn Hollywood ist schließlich selbst Teil des Establishments. Außerdem sollte angemerkt werden, dass zur Zeit der Veröffentlichung des Films, der ersten Wahl Barack Obamas zum Präsidenten, die amerikanische Gesellschaft noch nicht so gespalten war wie heute und beide Parteien sich noch auf einem vergleichsweise moderaten Kurs bewegten, anstatt sich immer stärker politischen Extremen zuzuwenden.
                                Wie dem auch sei, "Swing Vote" ist so zwar insgesamt kein wirklich mutiger oder gar subversiver Film, da er zum Schluss auch zu sehr ins Wohlfühlkino abrutscht, aber durch seine differenzierte und charmante Herangehensweise an das Wahlkampfthema, seine Kritik von Opportunismus und dem Medienrummel, und, wie erwähnt, das tolle Schauspielensemble, definitiv sehenswert. Ebenso gefällt der Country- und Southern-Rock-Soundtrack, zu dem Kevin Costner mit seiner eigenen Band Modern West gleich vier Titel beisteuerte und damit auch sein Gesangstalent unter Beweis stellt.
                                Im Grunde ist der Film immer noch viel zu unbekannt.

                                9
                                • 8

                                  "Der letzte König von Schottland" ist ein äußerst intensiver und spannender historischer Thriller, der sich mit der Herrschaft des ugandischen Diktators Idi Amin befasst. Die britisch-deutsche Coproduktion basiert auf dem gleichnamigen Roman des englischen Autors Giles Foden und verwebt wie dieser tatsächliche historische Ereignisse mit einer fiktiven Handlung. Als Identifikationsfigur fungiert dabei ein schottischer Arzt, der ursprünglich als Entwicklungshelfer nach Uganda kommt, mehr durch Zufall ins Umfeld des Diktators gerät, sich mit diesem anfreundet und zu seinem Leibarzt und Berater aufsteigt. Aus seiner Perspektive verfolgt der Zuschauer die Geschehnisse von Amins Machtübernahme 1971 bis zur Geiselnahme von Entebbe im Jahr 1976, die zu Amins internationaler Ächtung und letztlich zu seinem Sturz führte. Er ist dabei so sehr vom charismatischen Präsidenten eingenommen, dass er letztlich zu spät merkt, welch grausamem Tyrannen er dient.

                                  Sämtliche handelnden Figuren sind dabei, abgesehen von Idi Amin selbst und seiner Ehefrau Kay, frei erfunden. Sie werden allerdings allesamt von großartigen Darstellern verkörpert, die ihren Charakteren Leben verleihen. James McAvoy, der bald darauf mit "Abbitte" und "Wanted" seinen Durchbruch in Hollywood haben sollte, verkörpert den idealistischen Protagonisten Nicholas Garrigan, der im Verlauf der Handlung durch die Taten seines Vorgesetzten zunehmend desillusioniert wird, bis er schließlich um sein Leben fürchten muss. Forest Whitaker als eben jener Gewaltherrscher, den er einerseits als kumpelhaften, kindlich-naiven Draufgänger und auf der anderen Seite als paranoiden, sadistischen Egomanen interpretiert, liefert eine Leistung ab, die wohl kaum jemanden kalt lassen dürfte. Wenn am Ende des Films Aufnahmen des echten Idi Amin gezeigt werden, ist es geradezu beängstigend, mit welcher Konsequenz er sich vor der Kamera in diesen verwandelt hat. Für diese Rolle seines Lebens erhielt er zu Recht zahlreiche Auszeichnungen, darunter einen Oscar. Auch der restliche Cast ist nur zu loben. So spielt der britische Charakterdarsteller Simon McBurney einen Botschaftsangestellten, der den Protagonisten anfangs vergeblich vor Amins Gefährlichkeit warnt. "Akte-X"-Legende Gillian Anderson hat eine kleine Rolle als Missionsärztin. David Oyelowo ist als einer von Garrigans misstrauischen Kollegen zu sehen und die großartige Kerry Washington verkörpert die unter ihrem brutalen Ehemann leidende Kay Amin, die sich mit dem Hauptcharakter auf eine verhängnisvolle Affäre einlässt. Zu den Amerikanern Whitaker und Washington und dem Briten Oyelowo muss noch erwähnt werden, dass es diesen im O-Ton hervorragend gelingt, den ugandischen Akzent zu imitieren. Und im Zusammenhang damit verdienen auch ihre Synchronsprecher großes Lob, vor allem Whitakers Stammsprecher Tobias Meister, der für seine Leistung 2008 mit dem Deutschen Preis für Synchron ausgezeichnet wurde.

                                  Was man dem Film vorwerfen könnte, ist, dass er darin scheitert, das ganze Ausmaß von Amins Menschenrechtsverletzungen eindringlich zu vermitteln. Dadurch, dass er sich eben größtenteils auf eine einzelne Perspektive festlegt, kommen die Enthüllungen bezüglich der Säuberungsaktionen auch für den Zuschauer unvermittelt. Zwar ist an dieser erzählerischen Herangehensweise an sich nichts auszusetzen, aber dadurch, dass die betreffenden Gräueltaten mit blitzartigen Stakkatoschnitten bebildert werden, sorgen sie höchstens für einen kurzen Schock und nicht für eine längerfristige Nachwirkung. Den zivilen Opfern des Regimes wird der Film so nicht wirklich gerecht.

                                  [SPOILER: Kay Amins Schicksal wird dagegen eher ausgeschlachtet. Ihr Tod und die anschließende Drapierung ihrer Leiche werden hier nach dem Vorbild sensationalistischer Mythen und Gerüchte über Amins Herrschaft und Persönlichkeit inszeniert und haben nur wenig mit der historischen Wirklichkeit zu tun. Worauf übrigens auch Forest Whitaker im Making-Of des Films eher missbilligend zu sprechen kam.]

                                  "Der letzte König von Schottland" ist insgesamt ein Film aus westlicher Perspektive, dem es durch seine weiße, privilegierte Hauptfigur, der der Blick für die größeren gesellschaftlichen und politischen Zusammenhänge fehlt, an Substanz mangelt. Er funktioniert dementsprechend mehr als Charakterstudie eines Gewaltherrschers. Vermutlich sollte er aber auch nie mehr als das sein.

                                  In formaler Hinsicht kann man Regisseur Kevin MacDonald jedenfalls nichts vorwerfen. Die Kamera von Anthony Dod Mantle, der häufig mit Lars von Trier, Danny Boyle und Thomas Vinterberg zusammenarbeitete, fängt schöne Ansichten der afrikanischen Natur ein und kommt nah an die Akteure, wenn diese ihre emotionalen Szenen haben. Der von indigener afrikanischer Musik beeinflusste Score von Alex Heffes, mit dem MacDonald auch davor und danach häufig zusammenarbeitete, untermalt das Geschehen passend. MacDonald gelingt es dazu durch seine dynamische Inszenierung trotz der enormen Laufzeit von zwei Stunden kaum Langeweile aufkommen zu lassen. Im letzten Drittel, wenn das Geiseldrama von Entebbe thematisiert wird, steigert er dazu die Spannung und kann sie bis zum intensiven Showdown auf einem sehr hohen Niveau halten. Was auch kaum verwundert, da er mit seiner vorherigen Regiearbeit, dem Dokumentarfilm "Ein Tag im September" über die Geiselnahme bei den Olympischen Spielen 1972 in München, ein reales Ereignis sehr packend inszenieren konnte.

                                  "Der letzte König von Schottland", der in seinem Titel übrigens Bezug auf Amins Angewohnheit nimmt, sich selbst Adelstitel zu verleihen, lässt zusammenfassend zwar eine tiefer gehende Analyse der Umstände vermissen, die im postkolonialen Afrika zu Terrorherrschaften und Bürgerkriegen führten. Als Blick in die Psyche eines größenwahnsinnigen Despoten überzeugt er dagegen auf ganzer Linie, was vor allem dem großartigen Hauptdarsteller zu verdanken ist, der dafür sorgt, dass man auch als Zuschauer beinahe dem dämonischen Charme Idi Amins erliegt.
                                  Ein unbedingt empfehlenswerter Film. Auch wenn es bessere Werke zur Thematik gibt.

                                  17
                                  • 8 .5

                                    Der Film, mit dem Halle Berry endgültig zum Star in Hollywood wurde und welcher auch Regisseur Marc Forster seinen Durchbruch bescherte. Rückblickend ist es erstaunlich, dass einem eher unbekannten deutsch-schweizerischen Regisseur, der zuvor nur zwei Independentfilme gedreht hatte, gestattet wurde, ein hoch gehandeltes Drehbuch zu verfilmen und dabei mit prominenten Darstellern arbeiten zu können. Dies erwies sich jedoch als Glücksgriff, denn Forsters europäische Perspektive auf die Handlung trug sicher zur originellen Herangehensweise an den Stoff bei. „Monster's Ball“ behandelt so zwar spezifisch amerikanische Themen wie den nach wie vor allgegenwärtigen Rassismus in den Südstaaten und die Problematik der Todesstrafe, weist diesen jedoch nicht die größte Aufmerksamkeit zu. Im Kern wird hier die Geschichte zweier Menschen erzählt, die beide schwere Verluste erlitten und sich gegenseitig Halt geben.

                                    Das Drehbuch von den beiden eher unbekannten Drehbuchautoren Milo Addica (arbeitete später mit Jonathan Glazer bei dessen Filmen "Birth" und "Under The Skin" zusammen) vermeidet glücklicherweise größtenteils klischeehafte Dialoge, die nur Exposition vermitteln sollen, und räumt beiden Hauptfiguren viel Raum ein. Wenngleich es sich hauptsächlich auf den Charakter des Hank Grotowski konzentriert; eines Strafvollzugsbeamten, der mit seinem rassistischen Vater zusammenlebt und und unter dessen Einfluss die Menschen in seinem Umfeld vor den Kopf stößt, bis es schließlich zur Katastrophe kommt. Infolgedessen versucht er sein Leben neu zu ordnen und macht die Bekanntschaft der afroamerikanischen Witwe Leticia. Diese ahnt nicht, dass Hank für die Hinrichtung ihres Mannes zuständig war. Mehr zufällig kreuzen sich die Wege der beiden und eher zögerlich finden sie zueinander. Die Entstehung und Bewährungsprüfungen dieser Liebe sind vor allem in der zweiten Hälfte Inhalt des Films, gleichzeitig erzählt "Monster's Ball" die für Hollywoodfilme nicht untypische, aber hier sehr glaubhaft ausgeführte Geschichte einer Person, die Vorurteile überwindet und sich zu einem besseren Menschen wandelt.

                                    Möglicherweise hat man es sich hier auch etwas einfach gemacht, denn im Film wird mehrmals deutlich, dass Hank im Grunde keinen Hass gegenüber Personen mit anderer Hautfarbe empfindet und sich ihnen gegnüber nur feindselig verhält, um seinem Vater zu imponieren. Erst durch den Schock durch den Selbstmord seines eigenen Sohnes und die Beziehung zu Leticia findet er den Mut, gegen diesen aufzubegehren. Andererseits ist es mit Sicherheit keine falsche Annahme, dass vielen Rassisten ihre menschenfeindlichen Ansichten zuvor durch ihr Umfeld vorgelebt werden und sie nach diesen handeln, auch wenn sie daran zweifeln. Blut ist nun einmal dicker als Wasser.

                                    Auch wenn so die Figur des weißen Hank den wohl größten Raum im Film zugestanden bekommt, so ist Leticia doch nicht minder wichtig für die Handlung. Sie ist eine gequälte Seele, die nach zwei schrecklichen Verlusten das verzweifelte Bedürfnis verspürt, geliebt zu werden. Dies kulminiert im Film in einer gewagten Sexszene, die zur Entstehungszeit viel Aufsehen erregte, der jedoch jegliche Ästhetisierung abgeht, weswegen sie auch wirklichkeitsnah erscheint.

                                    Herzstück von "Monster's Ball" sind jedoch auf jeden Fall die Schauspielleistungen. Billy Bob Thornton stellt in seiner Hauptrolle als Hank mit seinem zurückhaltenden Mienenspiel seine beachtliche Wandlungsfähigkeit ein weiteres Mal unter Beweis. Und zu Halle Berry als Leticia muss wohl nicht mehr viel gesagt werden: sie spielt hier, als hinge ihr Leben davon ab und schafft es, die Verzweiflung und Verbitterung ihrer Rolle glaubwürdig zum Ausdruck zu bringen. Dafür erhielt sie zu Recht 2002 den Oscar für die Beste Schauspielerin. Von ihrer in Tränen aufgelösten Rede, die definitiv zu den denkwürdigsten Momenten in der Geschichte der Preisverleihung zählte, aber wohl nicht so ganz authentisch war, mag man halten was man will (ebenso wie von dieser alljährlichen Selbstfeier Hollywoods an sich) - ihre Leistung im Film schmälert das aber kein bisschen.

                                    Die restlichen Schauspieler brauchen sich vor diesen beiden großen Namen auch überhaupt nicht zu verstecken. Schauspielveteran Peter Boyle (u.a. "Taxi Driver") gibt Thorntons hassenswerten Filmvater mit viel Spielfreude und der unvergessene Heath Ledger überzeugt als jüngster Spross der Familie, die bereits in dritter Generation für den Todestrakt eines Gefängnisses zuständig ist. Ledger hat hier zwar nicht viele Szenen; mit dieser Rolle des jungen Gefängniswärters, der der psychischen Belastung seines Berufes nicht gewachsen ist, gelang es ihm jedoch, sich von seinem Image als Teenieschwarm langsam zu lösen. Die wohl größte schauspielerische Überraschung neben Berry ist wohl Sean "Puff Daddy" Combs, der Berrys Ehemann, den Todeskandidaten Lawrence, angenehm zurückhaltend verkörpert. Auch sein Rapperkollege Mos Def kann in seiner kleinen Nebenrolle als Thorntons Nachbar überzeugen.

                                    In handwerklicher Hinsicht liefert "Monster's Ball" ebenfalls kaum Anlass zur Beschwerde. Kameramann Roberto Schaefer fängt das emotionale Geschehen in nüchternen, eher beiläufig registrierenden Bildern ein, setzt aber in den entscheidenden Momenten wirkungsvolle Großaufnahmen ein. Besonders gelungen ist auch die Vorspannsequenz, bei der die Credits über eine Ansicht von Thornton in seinem Bett, über dem sich unablässig der Schatten seines Ventilators dreht, laufen. Editor Matt Chessé (der wie Schaefer seit Forsters zweitem Film "Everything Put Together" zusammenarbeitet) findet den richtigen Rhythmus zu den Bildern. Besonders hervorzuheben ist noch die Filmmusik vom Komponistenduo Asche & Spencer, die sich aus langgezogenen Klavier- und Gitarrenklängen zusammensetzt und es vermeidet, eindeutige Emotionen zu vermitteln. Gerade diese subtile Herangehensweise, die auch generell kennzeichnend für den Film ist, lässt den Score jedoch hervorstechen.

                                    Zum Schluss entlässt "Monster's Ball" die Zuschauer mit einem Ende, bei dem der Hauptkonflikt zwar nicht gelöst wurde, das jedoch viel Hoffnung verströmt. Diese Verweigerung, dem Publikum einfache Antworten zu liefern und stattdessen ungesagtes im Raum stehen zu lassen, damit sich jeder Betrachter seinen Teil dazu denken kann, ist ebenfalls kennzeichnend für den gesamten Film. Dies hebt ihn wohltuend vom üblichen Starkino ab. Kritisieren kann man am Film allerdings, dass die emotionalen Momente durchaus eindringlicher hätten gestaltet werden können. Und die Charakterzeichnung, abgesehen vom Leinwandpaar, in Teilen doch noch etwas zu wünschen übrig lässt und zu viel Leerstellen aufweist. Besonders, was Boyles und Ledgers Charaktere betrifft. Das ist allerdings Meckern auf hohem Niveau. Insgesamt ist "Monster's Ball" ein intensiver Film, der jedem Liebhaber anspruchsvoller Dramen empfohlen werden kann.

                                    16
                                    • 9

                                      Mit seinem Spielfilmdebüt ist dem australischen Theaterregisseur Benedict Andrews ein meisterhaft gespieltes, sehr unangenehmes Drama gelungen, das noch lange nachhallt.

                                      "Una und Ray" (der im Original nur "Una" heißt) ist die Adaption des preisgekrönten Theaterstücks "Blackbird" des schottischen Autors David Harrower, der auch das Drehbuch zum Film schrieb. Und sich dabei eines sehr brisanten Themas annahm: Film wie Bühnenstück handeln von der Beziehung eines erwachsenen Mannes zu einem minderjährigen Mädchen. Anders als bei ähnlichen Stoffen wie Vladimir Nabokovs mehrfach verfilmtem Roman "Lolita" geht es hier jedoch weniger um die inakzeptable Liebesgeschichte an sich, als vielmehr um deren Folgen. In "Una und Ray" sucht die titelgebende nun erwachsene Frau, fünfzehn Jahre nach der Verurteilung ihres älteren Liebhabers, diesen an seinem Arbeitsplatz auf, mit der Absicht, ihn zur Rede zu stellen. Ray, der mittlerweile seinen Namen ändern ließ, eine Familie gegründet hat und seine Vergangenheit, so gut es geht, hinter sich zu lassen versucht, wird durch ihr plötzliches Auftauchen völlig aus der Bahn geworfen. Im Verlauf nur eines Abends kommt es zu vielen Konfrontationen, die beide an die Grenzen ihrer emotionalen Belastbarkeit bringen.

                                      Andrews hätte sich für seinen ersten Spielfilm einen leichteren Stoff aussuchen können. Das Risiko hat sich jedoch gelohnt - hiermit ist ihm ein von Anfang bis Ende glaubhaftes, von intelligent geschriebenen Dialogen und überzeugenden Schauspielleistungen getragenes Kammerspiel gelungen, das sich seiner Thematik auf behutsame Weise widmet und nie ins Plakative abgleitet. Durch die ambivalente Charakterzeichnung und die vieldeutigen Leerstellen in der Erzählung verweigert sich der Film dabei einfachen Antworten und einer klaren Schuldzuweisung. Ray wird hier nicht etwa zum widerwärtigen Triebtäter gemacht, sondern auf differenzierte Weise als unauffälliger Jedermann gezeichnet, der durchaus aufrichtige Gefühle für die junge Una empfindet (oder sich das zumindest einredete), sich jedoch offensichtlich nicht bewusst war, dass diese als erst dreizehnjähriges Mädchen ihre damaligen Handlungen überhaupt nicht einordnen konnte. Als erwachsene Frau ist diese nun kaum noch zu emotionaler Nähe fähig, findet Erfüllung nur noch in kurzen, leidenschaftslosen Affären und verlangt von ihm wütend zu erfahren, warum er sie letztlich im Stich ließ. Dabei wird sie nicht wie ein bedrohlicher Racheengel inszeniert, sondern scheint ihn mehr wie ein Geist heimzusuchen. Das Wort "Missbrauch" fällt häufiger im Film, jedoch wird offen gelassen, ob sich etwas derartiges zwischen Una und Ray im eigentlichen Sinne tatsächlich ereignete. Was nicht heißen soll, dass Pädophilie hier verharmlost würde. Dadurch, dass es im Film keine eindeutige Bebilderung oder Schilderung der genauen Ereignisse gibt, ist die Deutung allerdings jedem einzelnen Zuschauer überlassen.

                                      Durch geschickt platzierte Rückblenden, die viel andeuten, aber nichts direkt zeigen, kann sich jeder seinen Teil dazu denken. Bei den Szenen in der Gegenwart bleibt dazu mehrmals offen, ob das Gesagte der Wahrheit entspricht. Dadurch kann sich das Publikum auch entscheiden, wem es mehr Glauben schenkt. Für beide Charaktere wird hier Verständnis geweckt und auf eine Verurteilung löblicherweise verzichtet.

                                      Daran haben auch die großartigen Darsteller ihren Anteil. Ben Mendelsohn, der seit dem "Star Wars"-Film "Rogue One" in den letzten Jahren hauptsächlich als klischeehafter Schurke in Blockbustern gecastet wurde, zeigt hier die ganze Bandbreite seines Könnens. Seine Figur Ray legt er als unsicheren Mann voller Selbstzweifel an, dem die ganze Zeit anzumerken ist, dass er mit der Situation eigentlich überhaupt nicht umgehen kann. Die tolle Rooney Mara fügt ihrer schon beachtlichen Filmographie eine weitere Glanzleistung hinzu. Mit reduzierter Mimik und starrem Blick lässt sie die seelische Verkümmerung ihrer Rolle erahnen, bringt ebenso jedoch ihre eiserne Entschlossenheit auf der Suche nach Antworten zum Ausdruck. Das hier ist wirklich ganz große Schauspielkunst, die viel Können erfordert, gerade weil dazu erforderlich ist, dass man nur wenig aus sich herausgeht. Auch die noch unbekannte Jungdarstellerin Ruby Spencer als Una im Teenageralter zeigt hier wirklich eine beachtliche Leistung als junges Mädchen, das gerade dabei ist, seine Sexualität zu entdecken und noch eine völlig naive Weltsicht hat. Der britische Charakterdarsteller Riz Ahmed (der ebenfalls in "Rogue One" mitwirkte) in seiner Nebenrolle als nichtsahnender Angestellter Rays hinterlässt trotz seines eher kleinen Parts ebenfalls Eindruck. Weitere Auftritte haben noch der hauptsächlich aus TV-Serien bekannte Tobias Menzies und die Darstellerinnen Indira Varma und Tara Fitzgerald (alle drei sah man in "Game of Thrones"), die ebenfalls überzeugen können.

                                      Durch das reduzierte Setting, das sich hauptsächlich auf ein Warenhaus beschränkt, ist der Film, wie schon erwähnt, sehr kammerspielhaft inszeniert. Vor allem, da in den meisten Szenen nur die beiden Hauptfiguren auftreten. Die von Thimios Bakatakis, dem Kameramann von Yorgos Lanthimos ("Dogtooth", "The Lobster"), geführte Kamera verzichtet auf ausgefallene Spielereien und unterstützt die nüchterne Wiedergabe der Handlung, wobei auch die emotionalen Ausbrüche oft nicht von nahem, sondern in Halbtotalen eingefangen werden. Die hauptsächlich elektronische Filmmusik von Jed Kurzel untermalt die Bilder dazu subtil und vermeidet es, eindeutige Gefühle dabei zu wecken.

                                      Zusammenfassend also ist das hier ein hervorragend gemachter Film zu einem wichtigen Thema, der ein großes Interpretationspotenzial bietet und dazu geeignet ist, viele Diskussionen anzustoßen.

                                      11
                                      • 9 .5
                                        über Lion

                                        Ein wunderschönes, beeindruckendes Werk.

                                        "Lion" basiert auf der außergewöhnlichen, aber wahren Geschichte von Saroo Brierley, der als Kind in Indien von seiner Familie getrennt wurde, als er in einem Zug einschlief, den er erst nach einer tagelangen Fahrt am anderen Ende des Landes verlassen konnte. In Kalkutta musste er sich als Straßenkind durchschlagen, bis er in einem Waisenhaus landete und schließlich vom australischen Ehepaar Brierley adoptiert wurde. Als erwachsener Mann beschloss er dann, zu versuchen, seine ursprüngliche Heimat wieder ausfindig zu machen, was ihm mithilfe von Google Earth schlussendlich auch gelang. Seine Lebensgeschichte verarbeitete er danach in einem Buch, das als Vorlage für den Film diente. Und obwohl man so als Zuschauer damit schon vor Filmsichtung das Ende kennt (hier in Deutschland auch durch den Zusatztitel) ist der Film deswegen kaum langweilig. Im Gegenteil, nachdem man zu Beginn in kurzen, aber warmherzig gestalteten Szenen den Hauptcharakter kennenlernen durfte, fiebert man mit ihm bis zum Schluss auf seiner Odyssee und verzweifelten Suche nach seinem Zuhause mit.

                                        Zu verdanken ist das zum Einen der souveränen Inszenierung des Regisseurs Garth Davis (u.a. "Top of the Lake"), die sich nahezu ausschließlich auf die Perspektive Saroos festlegt. Zum anderen der hervorragenden Darbietung des Kinderdarstellers Sunny Pawar und seines erwachsenen Gegenstücks, "Slumdog Millionär" Dev Patel, die die Verzweiflung, Getriebenheit aber auch Hoffnung ihrer Rolle mit großer Intensität zum Ausdruck bringen. Patel, der seit seinem Durchbruch mit Danny Boyles erwähntem Film schauspielerisch sehr gewachsen ist (wobei er schon in "Slumdog Millionär" großartig war) zeigt hier wahrlich eine der besten Leistungen seiner Karriere.

                                        Mit "Slumdog Millionär" hat "Lion" neben der identischen Hauptbesetzung dabei noch weitere Gemeinsamkeiten. So wird sich auch hier in der ersten Hälfte des Films vornehmlich der Kindheit des Protagonisten und in der zweiten dann seinem Leben als Erwachsener gewdimet, wobei "Lion" seine Handlung allerdings chronologisch und nicht mittels Rückblenden erzählt. Beide Filme sind in der ersten Hälfte zudem in einem ähnlichen Milieu angesiedelt und zeigen eine dramatische, aber realitätsnahe Darstellung des Alltags von Straßenkindern in Indien. Hier werden dabei auch gesellschaftliche Missstände wie Kinderhandel, die katastrophalen, gefängnisähnlichen Zustände in den überfüllten Waisenhäusern und das Geschäft mit den Adoptionen thematisiert. "Lion" streift diese Probleme jedoch nur, da seinem Hauptcharakter das Schlimmste letztendlich erspart bleibt. Dennoch ist es teilweise sehr bedrückend, durch die Augen eines Kindes zu sehen, wie Altersgenossen von Menschenhändlern verschleppt werden und er selbst von einem offensichtlich pädophilen Mann bedrängt wird. In seiner Porträtierung der Slums in den Millionenstädten Indiens vermeidet "Lion" dabei glücklicherweise einen allzu erhobenen Zeigefinger, führt durch den harten Kontrast mit dem idyllisch wirkenden neuen Zuhause Saroos in Tasmanien aber deutlich vor Augen, wie privilegiert die meisten Bewohner der westlichen Länder eigentlich sind.

                                        Viel wichtiger als dieser immer mal wieder aufblitzende sozialkritische Subtext ist jedoch die Geschichte der Hauptfigur. Wie schon erwähnt, sind die Leistungen des Darstellerduos in der Titelrolle das Herzstück des Films, da sie jede Szene dominieren. Der restliche Cast braucht sich aber nicht zu verstecken. So können hier auch David Wenham (Faramir aus "Der Herr der Ringe") und Nicole Kidman als Saroos Adoptiveltern glänzen. Insbesondere Kidman bietet hier ebenfalls eine der besten Performances ihrer Karriere, was am deutlichsten in einer Szene im letzten Drittel wird, in der sie ihrem Ziehsohn unter Tränen ihre Gründe für seine Adoption schildert, bevor sie ihn nach Indien reisen lässt. Sehr gut sind auch der eher unbekannte Divian Ladwa ("Ant-Man and the Wasp") als dessen traumatisierter und verbitterter Adoptivbruder und die tolle Rooney Mara als Kommilitonin Saroos, die eine Liebesbeziehung mit ihm eingeht. Mara sollte Garth Davis übrigens als Maria Magdalena in seinem folgenden gleichnamigen Film besetzen. In weiteren Nebenrollen sieht man noch die hierzulande kaum bekannten, aber in Indien sehr prominenten und angesehenen Darstellerinnen Deepti Naval und Priyanka Bose. Letztere tritt zwar nur am Anfang und am Ende als leibliche Mutter der Hauptfigur auf, legt aber eine derartige Wärme in ihre Darstellung, dass auch ihre Szenen lange hängenbleiben.

                                        Neben der tollen Besetzung bietet "Lion" zudem noch hervorragende Kameraarbeit von Greig Fraser, einem Meister seines Fachs (u.a. "Let Me In", "Rogue One"), der hier atemberaubende, aber niemals kitschig wirkende Aufnahmen Kalkuttas einfängt. Auch mit ihm sollte Davis bei "Maria Magdalena" erneut zusammenarbeiten. Als musikalische Untermalung fungiert schließlich ein äußerst emotionaler Klavier- und Streicherscore der beiden Komponisten Dustin O'Halloran und Volker Bertelmann alias Hauschka, der wohl mit zu den schönsten Filmmusiken gehört, die aufgenommen wurden. Sicher könnte man ihn auch als etwas zu dick aufgetragen empfinden, wie es offensichtlich viele auf dieser Seite taten, für mich war er jedoch genau richtig. Extrem berührend, ohne dabei zu aufdringlich zu sein. Auch Sias kraftvoller, von indischer Musik beeinflusster Abspannsong "Never Give Up" bleibt im Kopf und setzt einen schönen Schlusspunkt.

                                        "Lion" ist definitiv eines der kraftvollsten Dramen der Filmgeschichte. Von der erschütternden und spannenden Odyssee des jungen Saroo über die subtil erzählte Romanze zwischen Patel und Mara bis zum extrem gefühlvollen Wiedersehen zum Schluss passt hier so gut wie alles. Nur im Mittelteil gibt es einen kleinen Durchhänger, wenn sich zu sehr auf das Alltagsleben des erwachsenen Saroo in Australien konzentriert wird, wodurch der Erzählfluss etwas ins Stocken gerät. Auch kann man das mehr als offensichtliche Product Placement von Google kritisch sehen. Letztlich ist das aber Meckern auf hohem Niveau, denn die herausragenden Schauspielleistungen, die hervorragende handwerkliche Ausführung und die wunderschöne Musik wiegen das mehr als auf. Dass auch auf die positiven Seiten der digitalen Vernetzung hingewiesen wird, die, wie in diesem Fall, Familienzusammenführungen ermöglicht, ist an sich außerdem kaum als verwerflich einzustufen. Sehr berührend sind außerdem die letzten Bilder des Films, die dokumentarische Aufnahmen des echten Saroo Brierley und der ersten Begegnung seiner leiblichen und seiner Adoptivmutter zeigen. Sicher läuft der Film mehrfach Gefahr, allzu kitschig zu werden und, sieht man sich die Durchschnittswertung hier auf moviepilot an, scheinen ihn auch nicht wenige so wahrgenommen zu haben. Für mich glitt er jedoch nie ins übertrieben sentimentale ab. Letztlich ist sowas ja auch immer abhängig von der persönlichen Wahnehmung.

                                        Meine Meinung ist jedenfalls: Garth Davis ist hiermit einer der besten Filme der letzten zehn Jahre gelungen. "Lion" sollte man unbedingt gesehen haben!

                                        14
                                        • 8

                                          Der südkoreanische Horrorfilm "Into The Mirror" aus dem Jahr 2003 ist die Vorlage für die Hollywoodproduktion "Mirrors" mit Kiefer Sutherland und deren Fortsetzung mit Nick Stahl. Und verglichen mit diesen beiden Werken auch der bessere Film. Legten die amerikanische Version und ihr Sequel ihren Fokus nämlich auf derbes Gesplatter und vernachlässigten dafür Spannungsaufbau und Atmosphäre, so ist "Into The Mirror" ein Beispiel für wirklich gelungenen psychologischen Horror.

                                          Die Szenen, in denen sich Spiegelbilder selbstständig machen, sind hier am unheimlichsten inszeniert, da sie ihre Wirkung durch langsamen und subtilen Aufbau anstatt durch laute Jumpscares erzielen, die im modernen Horrorkino leider so häufig geworden sind. Blut fließt in den Mordszenen zwar durchaus ebenfalls, allerdings hält sich die Menge doch sehr in Grenzen. Abgesehen vom Showdown, der dann tatsächlich in einem recht drastischen Splatterausbruch gipfelt. Der restliche Film ist jedoch weniger zeigefreudig, arbeitet mehr mit Andeutungen und verbreitet durch effektive Lichtsetzung und den unheilvollen Score eine düstere und zuweilen auch sehr trostlose Atmosphäre.

                                          In visueller Hinsicht kann der Film besonders glänzen. Die Computereffekte, mit denen die Illusion lebendiger Spiegelbilder geschaffen wird, sind sehr überzeugend. Darüber hinaus bietet "Into The Mirror" zahlreiche optische Spielereien wie aufwendige Kamerafahrten durch Glasscheiben hindurch oder eine pendelnde Kamerabewegung bei einer blaustichigen Rückblende. Regisseur und Kameramann führen die Zuschauer zudem mehrmals aufs Glatteis, indem sie bei vielen Einstellungen den Anschein erwecken, diese wären normale Aufnahmen, um dann zu enthüllen, dass sie nur Spiegelungen sind. So wird ein ständiges Unbehagen verbreitet, da man sich als Zuschauer nie sicher sein kann, welche Version der Realität man gerade sieht. Man mag kaum glauben, dass "Into The Mirror" das Regiedebüt des Filmemachers Sung-ho Kim ist (der auch in den folgenden Jahren hauptsächlich Horrorfilme inszenieren sollte), so souverän ist der Film inszeniert.

                                          Spiegel sind hier wirklich das Hauptmotiv, da sie nicht nur in der Handlung eine wichtige Rolle spielen, sondern auch in fast sämtlichen Szenen im Bild auftauchen. Die Erklärung für die übernatürlichen Geschehnisse ist hier dabei weniger mythologischer Natur, sondern greift zurück auf psychoanalytische Theorien Carl Gustav Jungs und Jacques Lacans, die in einer visuell beeindruckenden Sequenz in der Mitte des Films der Hauptfigur erklärt werden. In dieser Sequenz sind dabei zahlreiche berühmte Werke der Kunstgeschichte zu sehen, in denen Spiegel auftauchen, wie beispielsweise die "Arnolfini-Hochzeit" von Jan van Eyck oder der "Zauberspiegel" von M.C. Escher. Auch das überraschende Ende ist in visueller Hinsicht herausragend, dabei jedoch weniger eindeutig als das Remake und lässt mehrere Interpretationen zu.

                                          Zuletzt profitiert der Film auch von einem hervorragenden Cast. Yoo Ji-Tae, der im selben Jahr dank seiner Rolle in Park Chan-wooks "Oldboy" international zu zu Ruhm gelangen sollte, überzeugt als Hauptfigur Woo Yeong-min, ein ehemaliger Polizist, der als Nachtwächter in einem Kaufhaus arbeitet und mit einer rätselhaften Selbstmordserie konfrontiert wird. Wie Kiefer Sutherland in "Mirrors" ist er mehr ein gebrochener Antiheld als ein aufrechter Sympathieträger, wird hier jedoch glücklicherweise nicht zum übermenschlichen Actionhelden stilisiert wie letzterer im Remake. Eine zurückgenommene, aber auch sehr überzeugende Darbietung zeigt die eher unbekannte Darstellerin Kim Hye-na als geheimnisvolle Frau, die ins Visier der Polizei gerät und deren geisterhafte Zwillingsschwester, die durch Spiegelbilder für ihre Ermordung Rache übt. Mit am besten ist der mittlerweile in Südkorea sehr bekannte Method-Actor Kim Myeong-min, der den aufbrausenden und zunächst skeptischen ermittelnden Kommissar und ehemaligen Kollegen Woo Yeong-mins spielt. Auch der restliche Cast ist nur zu loben.

                                          Kritisieren kann man an dem Film nur, dass er etwas zu lang geraten ist. Einige Szenen sind eher redundant, da in ihnen nur Sachen wiederholt werden, auf die schon früher hingewiesen wurde. Auch hat der Film im Mittelteil einen kleinen Durchhänger, wenn die Horrorelemente zugunsten der Detektivgeschichte um die Suche nach der Wahrheit über die übernatürliche Mordserie etwas in den Hintergrund treten. Teilweise zieht er sich so etwas.
                                          Aber durch die erwähnte hervorragende visuelle Inszenierung, die atmosphärische Filmmusik von Il Won (vertonte u.a. auch den Animationsfilm "Wonderful Days"), die überzeugenden Darsteller und den psychologischen und philosophischen Unterbau, der viele Deutungen der Geschichte ermöglicht, werden diese Schwächen mehr als aufgewogen. Insgesamt ist das hier ein sehr origineller und mehr als sehenswerter Beitrag zum Horrorgenre, der hierzulande leider immer noch viel zu unbekannt ist

                                          9
                                          • 8

                                            Warum gab es bisher eigentlich noch keine Hollywood-Adaption der Agent-Pendergast-Romanreihe von Douglas Preston und Lincoln Child? Hatten die Filmstudios anno 1997 noch nicht genug Vertrauen in die (damals erst zwei Bücher umfassende) sehr erfolgreiche Thrillerserie? Änderte man deshalb so viel von der Handlung des ersten Romans "Relic" ab, dass der gleichnamige Film kaum als angemessene Verfilmung gelten kann? Und war dessen enttäuschendes Abschneiden an den Kinokassen der alleinige Grund dafür, dass sich bis heute niemand mehr an die Buchreihe rantraute?

                                            Wie dem auch sei, der Monsterstreifen "Das Relikt" bleibt jedenfalls die bisher einzige Adaption eines Romans des Autorenduos. Und es ist ein mehr als gelungener Film dabei herausgekommen. Trotz der erwähnten zahlreichen Änderungen an der Vorlage. So wurde beispielsweise der eigentliche Held des Buches, der FBI-Agent Aloysius Pendergast, entfernt. Stattdessen nahm der Nebencharakter Lieutenant D'Agosta dessen Rolle ein. Zahlreiche andere Figuren aus dem Roman wurden entweder ersatzlos gestrichen oder umbenannt, anders charakterisiert und erlitten teilweise ein völlig anderes Schicksal. Auch wurde die Handlung von New York nach Chicago verlegt (was allerdings an der Museumsleitung des American Museum of Natural History in New York lag, welche die Dreharbeiten aus dem unsinnigen Grund ablehnte, dass Kinder sich nach dem Film nicht mehr ins Museum trauen könnten). Auch wird das Monster, das das Museum heimsucht, im Buch ganz anders beschrieben als die Version aus dem Film. Und zuletzt weicht besonders das Ende von der Vorlage ab.

                                            Eine Verfilmung sollte aber eben immer auch für sich allein stehen können. Und als eigenständiger Film überzeugt "Das Relikt" von Anfang bis Ende. Das Field Museum of Natural History in Chicago, in dem tatsächlich zu großen Teilen gedreht wurde, gibt eine sehr stimmungsvolle, unheimliche Kulisse ab. Regisseur Peter Hyams, Spezialist für Thriller, Sci-Fi- und Actionfilme, versuchte sich hiermit erstmals im Horrorgenre und macht dabei vieles richtig. So zeigt er in seinem Creature-Feature das Monster über weite Strecken des Films nicht, wodurch sich die Zuschauer ihre eigene Vorstellung davon machen können. Erst im Showdown lässt er es vor die Kamera (für die er seit "2010: Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen" bei sämtlichen seiner Filme auch selbst verantwortlich ist) treten und dann auch den Bodycount stark in die Höhe schnellen. Die Verfolgungsjagden und Monsterattacken kommen dabei löblicherweise noch ohne hektische Schnitte und wildes Kameragewackel aus, wie es in den meisten Genrefilmen nach der Jahrtausendwende üblich wurde. Der Score von John Debney (u.a. "Die Passion Christi", "Sin City") unterstützt zusätzlich die Spannung und düstere Atmosphäre.

                                            Zwischendurch wird diese aber auch immer wieder durch etwas Humor, vor allem in den Dialogen, aufgelockert. Beispielsweise mit dem Running Gag, dass die meisten Charaktere D'Agostas Namen nicht auf die Reihe kriegen. Dabei profitiert "Das Relikt" von seinen hervorragenden Schauspielern, die mitunter recht selbstironisch agieren und etwas Witz in den sonst ziemlich blutigen Film bringen. So verkörpert Tom Sizemore den mutigen und aufrechten, aber auch sehr abergläubischen Polizisten D'Agosta und ist damit in einer seiner seltenen Hauptrollen zu sehen. Das hier ist tatsächlich das einzige Mal, dass er in einer größeren Hollywood-Produktion den Helden und Sympathieträger spielen durfte. Er zeigt definitiv, dass er dieser Anforderung gewachsen ist, weswegen es doch recht schade ist, dass man ihm ähnliche Rollen nicht häufiger anvertraute.

                                            Als starke Frau an seiner Seite agiert Penelope Ann Miller ("Kindergarten Cop", "The Artist"), die eine schlagfertige Wissenschaftlerin verkörpert. Deren Mentor spielt der mittlerweile verstorbene Hollywood-Veteran James Whitmore und die versierte Darstellerin Linda Hunt ist als ignorante Museumsleiterin zu sehen. Bedenkt man, dass es sich hierbei im Grunde nur um einen Monsterfilm mit simpler Handlung und nicht allzu tiefgründigen Charakteren handelt, agiert die Besetzung jedenfalls weit über dem Durchschnitt.

                                            Besonders hervorzuheben sind natürlich noch die Spezialeffekte. Wie schon erwähnt, ist das Monster den Großteil des Films über unsichtbar und strahlt gerade dadurch Bedrohlichkeit aus. Wenn man es dann in den letzten 30 Minuten in all seiner bizarren Pracht bestaunen kann, wirkt es leider nicht mehr wirklich furchteinflößend. Beeindrucken können die vom Meister Stan Winston designten animatronischen Puppen dennoch, die wie eine Mischung aus Reptil, Raubkatze, Spinne und Hirschkäfer wirken und auch ein wenig an eine weitere berühmte Kreation Winstons, den "Predator" erinnern. Zwar kommen teilweise auch Computeranimationen für die Darstellung des komplett zu sehenden laufenden Monsters zum Einsatz, die eher schlecht gealtert sind. Aber diese sind eben auch nur in verhältnismäßig wenigen Einstellungen zu sehen und wirken auch nicht so trashig, dass es stören würde. Die für eine FSK-16-Freigabe doch sehr derben handgemachten Splatter- und Goreeffekte, die auch vor allem im Showdown zum Einsatz kommen, sind außerdem sehr gelungen.

                                            Bleibt unterm Strich ein sehr unterhaltsamer, spannender und brutaler Monsterhorror, der durch seinen spielfreudigen Cast, die souveräne Inszenierung und die größtenteils überzeugenden Effekte zu gefallen weiß. Regisseur und Kameramann Peter Hyams übernimmt zwar viel von älteren und bekannteren Werken wie "Alien", "Der Weiße Hai", "Predator" und "Stirb Langsam", verleiht seinem Film aber genug Eigenständigkeit, sodass dieser nicht als bloße Kopie erscheint. Ja, damals befand sich Hyams noch in einer Hochphase seines Schaffens, bevor er mit "A Sound Of Thunder" völlig abstürzen sollte.

                                            "Das Relikt" ist jedenfalls ein gut gemachter Horrorfilm, der sich für mehr als einen Filmabend lohnt. Dennoch wäre es wünschenswert, dass mal ein Filmstudio das Potenzial der zugrundeliegenden Romane erkennt und eine vorlagengetreuere Umsetzung produziert.

                                            17
                                            • 7 .5

                                              "Gimme Shelter" ist ein ergreifendes, wenn auch nicht durchgängig überzeugendes Drama mit richtig guten Schauspielleistungen.
                                              Vanessa Hudgens in der Hauptrolle ist dabei besonders hervorzuheben. Bereits zuvor versuchte sie sich in Filmen wie "Sucker Punch", "Spring Breakers" und "Frozen Ground" von ihrem "High School Musical"-Image zu lösen, aber so dermaßen gegen den Strich besetzt wie hier wurde sie bis dahin nie. Als leidgeprüfte und vernachlässigte werdende Mutter im Teenageralter spielt sie sich hier wirklich die Seele aus dem Leib. Ihre gepiercte und ihrem Umfeld gegenüber rüde und feindselig erscheinende Figur versteckt hinter ihrer harten Schale dabei einfach nur ein durch ständige Misshandlungen und Enttäuschungen entstandenes Misstrauen und ein verzweifeltes Verlangen, geliebt zu werden. Hudgens lässt diesen Charakter glaubwürdig und dreidimensional erscheinen und liefert hier die wohl beste Leistung ihrer Karriere ab.
                                              Der restliche Cast ist aber ebenfalls nur zu loben. Rosario Dawson als Hudgens' völlig kaputte, drogensüchtige Filmmutter zeigt sich hier auch auf dem Zenit ihres Könnens. Ihre Figur benimmt sich zwar auf geradezu ekelhaft hassenswerte Weise gegenüber ihrer Tochter, der Film vermittelt dabei jedoch gleichzeitig, dass sie auch nur ein Opfer ist, das durch seine Lebensumstände verbitterte. Die Besetzung mit ihr könnte auch in optischer Hinsicht kaum passender sein, da die beiden sich tatsächlich sehr ähnlich sehen. Brendan Fraser als Hudgens' Vater, bei dem sie zeitweise Zuflucht sucht, ist hier in einer seiner wenigen ernsten Rollen zu sehen und zeigt, dass er durchaus auch in diesem Metier überzeugen kann. Eigentlich schade, dass er sich zumeist für alberne Komödien und flache Actionspektakel hergibt. In weiteren Rollen sind noch Stephanie Szostak ("Iron Man 3") als Frasers überforderte Ehefrau und "Darth Vader" James Earl Jones als mitfühlender Pastor zu sehen. Direkt schlecht spielt jedenfalls niemand.
                                              Wodurch der Film jedoch weniger überzeugen kann, ist seine zu klischeehafte Handlung und die unoriginelle Inszenierung. Die im Film gezeigten Heime für minderjährige Mütter (auf englisch "shelters", wovon sich der Titel herleitet) mögen wertvolle Einrichtungen für mittellose Außenseiter sein, werden im Film aber vielleicht etwas zu sehr idealisiert. Da sie in kirchlicher Trägerschaft stehen, geht damit auch eine recht naive und etwas aufdringliche christliche Botschaft einher, auch wenn nicht direkt ausgesagt wird, dass allein der Glaube an Gott einen retten könne. Die Geschichte wird gegen Ende zu sehr hollywoodtypisch verkitscht und kommt eher als unglaubwürdiges Märchen der Marke "das hässliche Entlein wird zum Schwan" daher. Recht offensichtlich sind außerdem die Parallelen zum ähnlichen Drama "Precious", das ebenfalls von einer jungen Mutter in ärmlichen Verhältnissen erzählte, allerdings subtiler erzählt war und auf geschicktere Weise Emotionen vermitteln konnte.
                                              Dennoch, ein sehenswerter Film bleibt "Gimme Shelter" allemal. Die absolut starke Besetzung, realitätsnahen Charaktere und das lobenswerte Ansinnen, auf die Probleme gesellschaftlicher Außenseiter aufmerksam machen zu wollen, zusammen mit dem Aufzeigen zumindest einiger möglicher Auswege heben ihn über den Durchschnitt. Auch der gut ausgesuchte Soundtrack mit u.a. Liedern von Lana Del Rey, Jessie J, Mariah Carey und Celine Dion (und leider ohne das gleichnamige Lied der Rolling Stones oder zumindest eine Coverversion davon, obwohl es sich textlich gut angeboten hätte) passt zu den jeweiligen Szenen und driftet nicht allzu sehr ins Rührselige ab. Insgesamt wäre hier zwar mehr drin gewesen, aber "Gimme Shelter" ist insgesamt ein ordentliches Werk mit mehr als einer eindringlichen Szene geworden.

                                              10
                                              • 8

                                                Nanu, der Film ist hierzulande immer noch nicht erschienen und noch keiner hat hier was dazu geschrieben? Dem muss ich echt mal Abhilfe schaffen!

                                                „Ghost Killers vs. Bloody Mary“, eine brasilianische Horrorkomödie, die ich 2019 auf dem HARD:LINE-Festival in Regensburg sehen konnte, ist eine völlig überspitzte Hommage an das Splatterkino der 80er und 90er Jahre. Die Handlung dreht sich um vier Möchtegern-Geisterjäger, die in einer Schule einen Geist austreiben sollen, das natürlich nicht ernst nehmen und erst mal vorhaben, nur eine weitere Folge für ihren Youtube-Kanal zu drehen. Dann bekommen sie es aber mit einem echten dämonischen Geistermädchen zu tun, dessen Lieblingsbeschäftigung es ist, andere Leute auf möglichst fiese Weise zu sich ins Jenseits zu holen. Und spätestens nach einer halben Stunde suppen die Körperflüssigkeiten in bester „Braindead“-Tradition dann so richtig herum. Da explodieren Köpfe, machen sich Fäkalien selbstständig und einer der glücklosen Anwesenden wird unbewusst zum Kannibalen, indem ihm vorgegaukelt wird, eine Leiche wäre ein Festmahl.

                                                Wobei der Film schon vor dem Abbrennen seines Splatterfeuerwerks bestens bei Laune hält. Der anarchische, politisch völlig unkorrekte Humor in den Dialogen und die Missgeschicke der irgendwie doch liebenswerten Chaoten sorgen ab Beginn dafür, dass das Zwerchfell so richtig strapaziert wird. Die Handlung ist natürlich nur Nebensache, strunzdumm und ohnehin nur Mittel zum Zweck, um einen Charakter nach dem anderen auf möglichst spektakuläre Weise das Zeitliche segnen zu lassen. Das geschieht teilweise mit einer herrlichen Meta-Ebene: da unterhalten sich zwei Lehrer in einer Szene über die typischen Horrorfilmklischees und meinen, dass sie in einem derartigen Film nur unwichtige Nebenfiguren wären, die relativ früh ziemlich brutal sterben – und als Nächstes passiert dann genau das. In einer anderen Szene bekommt man sogar Musikclip-Ästhetik geboten, wenn eines der Opfer in einer Turnhalle zu Edvard Griegs „In der Halle des Bergkönigs“ unablässig mit Basketbällen bombardiert wird.

                                                Ist die Story dämlich? Und wie! Sind die Figuren platt? Aber sowas von! Ergeht sich die Handlung nur in ständigen Blutbädern und geschmacklosem Humor? Andauernd! Macht der Film Spaß? Ja, was denn sonst?!

                                                Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Fabrício Bittar serviert uns hiermit eine deftige Schlachtplatte, die zwar voller Klischees steckt und in Sachen Sadismus und Plattitüden gelegentlich vielleicht etwas übers Ziel hinausschießt – dafür aber (nicht nur im übertragenen Sinne) voller Herzblut steckt, in angenehmer Oldschool-Herangehensweise hauptsächlich handgemachte Ekel-Effekte bietet und von Anfang bis Ende einen Lachanfall nach dem Anderen bereithält. Hiermit dürfte er auch sein Heimatland auf den Radarschirm des Horrorpublikums geholt haben.

                                                Jetzt bleibt nur noch zu hoffen, dass sich bald ein deutscher Verleih findet und die so häufig humorlosen Prüfgremien keinen Anlass für eine Indizierung oder Beschlagnahme sehen. Denn diesen herrlichen Retroschinken sollte man vor allem auf eine Weise genießen: Hirn ausschalten, Kumpels einladen, Flaschen köpfen und sich gute 100 Minuten vor Lachen bepissen. So viel Spaß hielten die letzten Jahre viel zu wenig Filme bereit!

                                                16
                                                • 7 .5
                                                  über Polar

                                                  Der neueste Film des schwedischen Regie-Enfant-Terribles Jonas Åkerlund ist ein durchgestylter, äußerst brutaler Actionthriller mit beeindruckender Besetzung, der aber nicht durchgängig überzeugen kann.

                                                  "Polar", die Adaption des gleichnamigen Webcomics und gleichzeitig Åkerlunds erste Netflix-Produktion, wirkt so, als hätten er und sein Hauptdarsteller und Produzent Mads Mikkelsen ihren eigenen "John Wick" drehen wollen. Denn die Ähnlichkeiten sind nicht von der Hand zu weisen: ein schweigsamer Auftragskiller als obercool inszenierter Antiheld, der in knüppelharten Actionszenen Heerscharen von Gegnern niedermetzelt und gleichzeitig unter seiner grausamen Vergangenheit leidet. Verbunden wird dies mit teilweise wahnwitziger Kameraarbeit und grellen Neonfarben. Wobei Jonas Åkerlund es zusätzlich mit seinen typischen, auf sein Schaffen als Musikclip-Regisseur verweisenden, blitzlichtartigen Stakkatoschnitten, Hip-Hop-Montagen und vereinzelten Point-of-View-Shots verbunden hat. Neu oder originell ist daran freilich nichts; tatsächlich wirkt "Polar" leider in vielen Aspekten - neben seiner Inszenierung auch in seiner Handlung und den Charakteren wie einer schrägen Killertruppe - aus zahlreichen anderen Filmen zusammengeklaut. In seiner bemühten Coolness drängt einem das Werk zudem den Eindruck auf, die Macher wollten hier den nächsten Kultfilm fabrizieren. Nur kann man Kult eben nicht erzwingen.

                                                  Ebenso beißt sich der immer wieder, vor allem in Verbindung mit der Killertruppe und ihrem Boss auftretende, plumpe Humor mit der eher ernsten Geschichte um den Hauptcharakter. Dadurch ist "Polar" leider recht zerfasert und ergibt kein kohärentes Ganzes. Kann aber immerhin in den äußerst brutalen, aber glücklicherweise immer übersichtlich gefilmten, Kampfszenen und Schießereien überzeugen. Vor allem der finale Shootout, bei dem Mikkelsens Charakter sich einer Übermacht an Gegnern auf wirklich überraschende Weise entledigt, ist sehr beeindruckend geraten. Auch die sehr unangenehm inszenierte Folterszene bleibt noch lange im Gedächtnis.

                                                  Die Besetzung hinterlässt größtenteils ebenfalls einen positiven Eindruck. Mads Mikkelsen bringt das nötige Charisma und die Bad-Ass-Attitüde für seine Rolle mit, auch wenn er dabei nicht groß gefordert wird. Die sich mittlerweile von "Highschool Musical" emanzipierte Vanessa Hudgens darf zwar leider nur als damsel in distress herhalten, zeigt dafür aber in der sehr emotionalen Schlussszene, wie viel Schauspieltalent in ihr steckt. Die einzige richtige Fehlbesetzung findet sich bei "Little Britain"-Urgestein Matt Lucas (mit dem Åkerlund schon bei seinem früheren Werk "Small Apartments" zusammenarbeitete), der als Hauptantagonist völlig zur Lachnummer verkommt und mit seinem Overacting sogar mehr nervt als zu unterhalten. Katheryn Winnick als dessen kaltblütige Angestellte, die ständig ihr Erscheinungsbild wechselt, kann dagegen mehr überzeugen. Ebenso wie die Darsteller der erwähnten Killertruppe: der Wrestler Robert Maille, die chinesische Schauspielerin Fei Ren, die beiden noch unbekannten Josh Cruddas und Anthony Grant sowie die hierzulande - zumindest bei der jüngeren Generation - durchaus prominente Ruby O. Fee als lasziver Lockvogel. Außerdem sind die häufiger in Actionfilmen anzutreffende Ayisha Issa (u.a. "Krieg Der Götter", "Brick Mansions") als Mikkelsens Verbündete, Hollywood-Veteran Richard Dreyfuss als sein ehemaliger Arbeitskollege und sogar kein Geringerer als Johnny Knoxville (den Åkerlund ebenfalls bereits in "Small Apartments" besetzt hatte), in einem amüsanten Auftritt in der Anfangsszene als erstes Opfer der Killer, zu sehen. Mit der Ausnahme von Lucas fällt wirklich keiner negativ auf.

                                                  Hervorzuheben ist außerdem noch der treibende elektronische Soundtrack vom erfolgreichen House-Produzenten und DJ Deadmau5, der die Bilder ansprechend untermalt.

                                                  "Polar" ist insgesamt also ein zwar handwerklich mehr als überdurchschnittlicher, aber tonal chaotischer Film, der zudem an seiner nicht wirklich mitreißend erzählten Story und der erwähnten eklatanten Fehlbesetzung krankt. Er unterhält zwar als harter, anspruchsloser Actionreißer, aber es wäre wesentlich mehr drin gewesen. Schade. Vielleicht gelingt Åkerlund das aber bei einer Fortsetzung.

                                                  20
                                                  • 5 .5

                                                    Die nur ein Jahr nach Alexandre Ajas Horrorfilm-Remake "Mirrors" gedrehte Fortsetzung zu diesem reiht sich ein in die lange Liste billig produzierter Sequels zu erfolgreichen Hollywoodfilmen. Allerdings muss man sagen, dass dieses hier dabei zu den besseren gezählt werden kann.

                                                    Die Zusammenhänge zum ersten Teil halten sich dabei sehr in Grenzen. Tatsächlich sind die einzigen Verbindungen zu diesem, dass der Schauplatz ein Kaufhaus desselben Konzerns wie im Vorgänger ist und natürlich, dass wie in diesem Menschen von ihren eigenen Spiegelbildern umgebracht werden. Wurde das im ersten Teil noch mit dämonischer Besessenheit erklärt, ist "Mirrors 2" dagegen gewissermaßen ein übersinnlicher Rape-and-Revenge-Film. Denn die zumeist unsympathischen Opfer sind allesamt Ziele des Rachefeldzugs einer vergewaltigten und ermordeten jungen Frau, die nach ihrem Tod in die Spiegelwelt übertrat. Damit ähnelt "Mirrors 2" paradoxerweise mehr dem südkoreanischen Original "Into The Mirror", von dem Aja bei seinem Film nur die Grundidee und das Ende übernahm. Das Sequel könnte man dementsprechend als eigentliches Remake ansehen, zumal auch die Handlung mehr der Vorlage ähnelt. Ajas "Mirrors" war mehr eine Neuinterpretation der Vorlage, wogegen man hier näher am Ursprungsmaterial bleibt.

                                                    Leider kann "Mirrors 2", wenn man ihn denn als eigentliches Remake ansieht, auch nicht wirklich überzeugen. Denn er bestätigt sämtliche Vorwürfe, die für gewöhnlich bei amerikanischen Neuverfilmungen erfolgreicher Filme aus anderen Ländern aufkommen: die Plot-Points sind dieselben, aber die Inszenierung ist kraftloser, kontroverse Elemente wurden abgeschwächt oder gleich ganz entfernt, kulturelle Eigenheiten und komplexere Bezüge vereinfacht oder geändert, um auf westliche Sehegewohnheiten zu passen, und Spannung oder Atmosphäre konnten auch nicht wirklich übertragen werden. Kamera und Schnitt bewegen sich kaum über dem Durchschnitt und die sterilen Sets sorgen eher für Langeweile, als dass sie auf interessante Weise genutzt werden.

                                                    Womit der Film dafür punkten kann, sind die gegenüber dem Vorgänger noch häufiger auftretenden Splatterszenen, die wahrlich nicht mit derben Schauwerten geizen. Regisseur Víctor García, der seine Karriere tatsächlich als Special-Effects-Artist begann (u.a. bei mehreren Filmen von Guillermo del Toro) zeigt, dass er Effekte auch überzeugend inszenieren kann. Bei der hier dargebotenen Härte überrascht die vergleichsweise milde FSK-16-Freigabe daher, auch wenn keiner der hier gezeigten Splatter-Ausbrüche an die Drastik der Unterkieferszene aus Ajas Film heranreicht.

                                                    Die Besetzung liefert ebenfalls keinen Anlass zum Ärger, wenngleich man hier natürlich keine überdurchschnittlichen Leistungen erwarten kann. In der Hauptrolle als traumatisierter Wachmann mit einer hellseherischen Gabe, der den schrecklichen Vorkommnissen auf den Grund gehen will, ist Nick Stahl ("Terminator 3", "Sin City") zu sehen, seine Helferin und Schwester des ermordeten Mädchen spielt Emmanuelle Vaugier ("Saw 2", "Two and a half Men"). In weiteren Rollen treten u.a. noch William Katt (Horrorfans bekannt aus Brian de Palmas "Carrie" und dem Kultfilm "House") als Stahls Filmvater, Christy Carlson Romano (die der Zeichentrickfigur "Kim Possible" im Original ihre Stimme leiht) als dessen Arbeitskollegin, den häufig in Nebenrollen anzutreffenden Evan Jones als Stahls Vorgänger in seinem Beruf und die eher unbekannte Stephanie Honoré Sanchez (u.a. "Final Destination 4") als bedrohliches Geistermädchen auf. Wirklich schlecht spielt keiner, allerdings agieren praktisch alle hier nur auf Autopilot, da sie kaum wirklich gefordert werden. Woran auch die uninspirierten Dialoge ihren Anteil haben.

                                                    Negativ ins Gewicht fallen noch die billigen Computereffekte, die vor allem den Showdown kaputt machen. Der Score vom deutschen Komponisten Frederik Wiedmann dagegen bietet durchaus einige atmosphärische Themen, wenngleich er nicht allzu lange im Gedächtnis bleibt.

                                                    Letztlich ist "Mirrors 2" kein wirklich schlechter Film, aber auch kein sonderlich guter. Durchschnitt eben. Im Low-Budget-Horror-Segment, das wirklich unglaublich viel Schrott hervorgebracht hat, aber noch einer der besseren. Víctor García, der später auch den absolut grottigen "Hellraiser: Revelations" verbrechen sollte, zeigt hier, dass er zumindest etwas inszenatorisches Talent besitzt. Man kann sich den Film definitiv mal ansehen, hat aber auch nichts verpasst, wenn man ihn auslassen sollte.

                                                    15