_Garfield - Kommentare
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Alle Kommentare von _Garfield
Ganz ungeahnt taucht in diesem Film der blauen Himmel und großen Weiten eine weihnachtliche, besinnliche Botschaft auf. In einer Shopping Mall ruft Protagonist Max (Jeff Bridges) die Mitüberlebende Carla (Rosie Perez) dazu auf, gemeinsam Geschenke für die Toten zu besorgen – inmitten des weihnachtlichen Shoppingterrors, der billigen Plastikdekorationen und der traurig dreinschauenden Weihnachtsmänner. Max und Carla kennen sich eigentlich nicht und sind doch auf intime Weise miteinander verbunden. Beide haben einen Flugzeugabsturz überlebt. Max verlor seinen Arbeitskollegen, Carla ihr zweijähriges Kind.
Beide Figuren sind auf ihre Weise traumatisiert, auf ihre Weise zu Gespenstern geworden, die nun verlorengeglaubt durch ihre alten Leben streifen. Max kauft also einen Werkzeugkoffer für seinen verstorbenen Vater, Carla Spielzeug für ihr totes Kind. Diese Geschenke ohne Beschenkte, ohne physischen Adressaten, verbildlichen ihr gestörtes Verhältnis zur Welt. Sie finden keinen kommunikativen Anknüpfungspunkt zu ihren Ehepartnern mehr, finden zu keiner Sprache, die beschreiben könnte, was sie erlebt haben. Wie weiterexistieren, wenn die Existenz derart radikal und derart plötzlich zur Disposition gestellt wurde? Wie Bedeutung, wo Sinn schöpfen?
Fearless spielt oft in einem Zwischenbereich. Zwischen Jenseits und Diesseits. Zwischen Traum und Realität. Zwischen Neuanfang und existenzieller Heimatlosigkeit. Kann man zurückkehren, wenn man fast gestorben ist? Oder bleibt etwas zurück? Geht vielleicht sogar etwas ein Stück voraus? Bringt die Nahtoderfahrung eine Gewissheit? Trost? Schuldgefühle? Peter Weir stellt sich ganz in den Dienst der Geschichte und der Fragen, die sie aufwirft. Und er findet atemberaubende, poetische Bilder für die Verschiebungen und Irritationen, die sich im Zwischenmenschlichen derer abspielen, die der Katastrophe gerade so entkommen sind.
Max und Carla tanzend zu Beethovens Für Elise, zwischen Einkaufsläden und Weihnachtsdekoration; Jeff Bridges Gesicht, wenn er eine reife Erdbeere isst oder den Kopf bei voller Fahrt aus dem Autofenster steckt; der wissende, schmerzliche, zugleich tröstende Blick, den Max der Frau seines verstorbenen Kollegen zuwirft, zwischen dem Gewühl und Gerede während eines Erntedankfest-Dinners. Oder einfach nur eine Ohrmuschel in Großaufnahme, die Kante eines Hochhausdaches, der unendlich blaue Himmel, der Lichtblitz, der über dem Rand des Flugzeugfensters aufblitzt. Oder (erneut) Jeff Bridges: jede Angst verloren, nickt er uns wissend zu. Ein Blick, der alle Begrenzungen überwindet. Der ganz unmittelbar in uns einfährt, der sagt: alles wird gut. Alles. Wird. Gut.
Entweder werde ich jährlich dümmer oder Sucker Punch ist doch ein ganz passabler Film. Der Einstieg ist jedenfalls klasse, ganz pointiert, vor allem rein visuell erzählt und stimmungsvoll begleitet von einer eigens für den Film produzierten Coverversion von Eurythmics‘ Sweet Dreams, gesungen von Hauptdarstellerin Emily Browning (mein Lieblingscover im Film: Where Is My Mind von Yoav und Browning). Dann geht’s ins Tollhaus, wo ein asozialer Oscar Isaac eine Mischung aus Pimp und Schwester Ratched mimt.
Überhaupt: Isaac ist ein starker Antagonist, changiert gekonnt zwischen kindlicher Unsicherheit und tyrannischer Ereiferung. Zugleich ist er keine reine Cartoonfigur, sondern ein ziemlich menschliches Arschloch und gerade in der porträtierten Menschlichkeit, in seiner Geltungs- und Liebessucht, so abscheulich, dass man stets auf der Seite von Babydoll und ihren Girls steht. Die verschiedenen Realitätsebenen führt Snyder gekonnt ein, findet tolle Übergänge und etabliert auch das Tanzen und das damit einhergehende Betreten der finalen Fantasy-Ebene ohne große, verklausulierte Erklärungen zu liefern.
Dann geht’s irgendwann mit den Kämpfen los. Das lass ich mir bei den Riesen-Samurais noch irgendwie gefallen, aber schon beim Zombie-Weltkrieg, spätestens aber beim Drachentöten und allerspätestens bei der futuristischen Zug-Klopperei verliert Snyder den emotionalen Kern seiner Geschichte aus den Augen. Trotz wechselnder Settings ist die Action repetitiv, zerdehnt die unkreativen Choreos entweder mittels Zeitlupe bis zur Ungeduld oder verliert sich in den abgehangendsten Filmklischees (Bullet Time, Dreipunktlandung). Ich teile weder Snyders Verständnis von Coolness noch von dynamischer Actioninszenierung, die sichtlich verschiedenen Games und Animes entlehnt ist.
Aber und dieses aber ist mit einem Ausrufezeichen zu verstehen: den ganzen Film zeichnet ein imponierendes Selbstbewusstsein im Umgang mit den eigenen Fetischen aus. Snyder kommentierte das einmal selbst: “Though it’s fetishistic and personal, I like to think that my fetishes aren’t that obscure. Who doesn’t want to see girls running down the trenches of World War One wreaking havoc?” Diese unverfrorene Herangehensweise an den Film ist Snyder größte Schwäche und größte Stärke zugleich. Das absurde popkulturelle Sammelsurium, das der Film auffährt – Hotte Lolita mit Katana, Mechs, Orks, Drachen, Roboter, Samurais mit Gatling-Guns – ist auf eine merkwürdige Weise ermächtigend, in dem Sinne, dass es die eigenen Fetische und Vorlieben eben nicht regressiv einzuhegen versucht, sondern in all ihrer Infantilität auslebt und feiert.
Sucker Punch weiß ziemlich genau, was er sein will und schämt sich nicht für die Fantasien, die er fantasiert. Die Vorstellung des Filmes von einer Ermächtigung durch die Kunst (das Tanzen) mag naiv sein und Snyders Vorliebe für Minirock-tragende Schulmädchen infantil – aber beides ist im Brustton der Überzeugung vorgetragen und vor allem: aufrichtig. Das ist, wenn schon geschmacklos, zumindest beachtenswert.
[...] „I used to be someone else. But now I’m your friend”, sagt Narvel zu Maya an einer Stelle des Filmes. Aus der zärtlichen Annäherung zwischen diesen beiden Figuren spricht die leise Hoffnung, dass wir uns verändern können. Dass wir nicht bloß das determinierte Ergebnis jener Umstände darstellen, in die wir geworfen sind, sondern selbst gestalten können, was aus uns wird. Der Garten dient in diesem Zusammenhang als Verbildlichung des Resozialisierungsgedankens. Er erfordert Muße, bedarf der dauerhaften Aufmerksamkeit und unermüdlichen Pflege und geht ein, sobald man sich nicht länger um ihn kümmert. In den Zyklen des Aufblühens und des Zerfalls findet Narvel zu einem stoischen Frieden mit sich und seiner Vergangenheit. Ein Frieden, der jeden Tag aufs Neue gewonnen werden muss.
[...] So stellt sich ein paradoxes Gefühl von Gegenwartsnostalgie ein– eine Art Sehnsucht, dem flüchtigen Augenblick irgendwie habhaft zu werden, ehe er im Strom der Zeit entschwindet. Einer Sehnsucht also auch danach, die Zeit stillstehen zu lassen: Wo in der Wirklichkeit jeder Augenblick schon im Akt der Betrachtung zur Vergangenheit zerflossen ist, kann das Kino einschreiten, sich zum Meister der Zeit aufschwingen und Augenblicke zu Ewigkeit werden lassen. In den Wiederholungsschleifen, die Vicky Nacht für Nacht durchlebt, erstarrt die Zeit in ewiger Sehnsucht. [...]
Ein ganzer, halber Film über Marcie? Die Marcie? Diese obskure Nebenfigur, die den Peanuts stets mit klugem Rat zur Seite steht, ansonsten aber hinter dicken Brillengläsern und den Seiten eines dicken Buches verschwindet? "Keine ist wie Marcie" ist genau das. Ein TV-Special über eine Nebenfigur, die plötzlich zur Hauptfigur wird, über eine Introvertierte, die plötzlich im Mittelpunkt steht. Diese Marcie ist eine Leseratte, äußerst klug, aber auch äußerst schüchtern und – nicht zu vergessen – ein absoluter Weltklasse-Caddie! Marcie soll neue Schulsprecherin werden, denn sie hat viele gute Ideen zur Verbesserung der Schule, aber sie hat auch wahnsinnige Angst davor, vor großen Menschenmengen zu sprechen.
"Keine ist wie Marcie" ist zu einem triumphalen Liebesbrief an die Nebenfiguren des Fernsehens geworden und bildet den nunmehr fünfzigsten Eintrag in die seit den 1960er-Jahren erscheinenden Peanuts-Specials, die ihren Fokus auch immer wieder auf jene Peanuts richten, die neben Charlie Brown und dessen Hund Snoopy diese melancholisch flirrende Cartoonwelt bevölkern. Den Charakter von Marcie führte Charles M. Schulz zuerst 1971 namentlich in den Peanuts-Kosmos ein, obwohl bereits seit 1968 eine ähnlich aussehende Figur mit dem Namen Clara in einzelnen Panels auftauchte. Marcie folgte somit ganze 25 Jahre nachdem Charlie Brown und Snoopy im wöchentlichen Comicstrip "Li‘l Folks" ihr Debüt feierten. Die Story rund um die introvertierte Nebenfigur wurde von Craig und Bryan Schulz entworfen, Sohn respektive Enkel des Peanuts-Schöpfers. Das Drehbuch stammt von Betsy Walters, welche unter anderem für "Die Snoopy Show" als Autorin tätig ist.
Introversion als Stärke
Marcie ist selbstlos und hilfsbereit – manchmal vielleicht zu selbstlos und zu hilfsbereit. Sie denkt immer zuerst an andere und zuletzt an sich. Sie ist ein Teamplayer, uneigennützig darin, ihr Wissen und ihre Ideen für die Gemeinschaft einzubringen. Aber es mangelt ihr an Durchsetzungswillen, den ihre Freundin Peppermint Patty, der sportliche Tomboy, den sie andauernd mit „Sir“ anredet, dafür im Übermaß besitzt. So wie Charlie Brown nie allein war, sondern immer Bestandteil des Mikrokosmos Peanuts, in dem er sich den Rat seiner Freunde einholte, ist auch Marcie in den Peanuts-Kosmos eingebunden. Und in diesem Kosmos hat jeder seine Stärken und Schwächen, die über Zusammenarbeit genutzt oder ausgeglichen werden können.
"With those specials we went back to the strip and looked at the line weight. We picked an era, maybe early-mid or late ’70s, and looked to recreate the line weight of Charles Schulz’s pen line. A lot of work was done to get that line feel, to let the line have this sort of wiggle to it, so it felt more hand-drawn." (Raymond S. Persi)
Der schlichte Animationsstil und der abwechslungsreiche Jazz-Score (von Jeff Morrow, inspiriert von Peanuts-Stammkomponist Vince Guaraldi) sind elegant und zeitlos. Anders als beim 2015 erschienen Peanuts-Kinofilm oder beim Löwenanteil der TV-Specials setzt man bei "Keine ist wie Marcie" auf digitale, handgezeichnet anmutende 2-D-Animationen. Klare Konturen und dicke Linien kennzeichnen den prägnanten und ökonomischen Schulz-Stil. Der Fokus ist stets auf die Figuren im Vordergrund gerichtet, während die impressionistischen Hintergründe bisweilen wie Wasserfarben in die Unschärfe kippen. Doch die Macher um Regisseur Raymond S. Persi finden auch immer wieder dynamische, surreale Einschübe, die die Innenwelt von Marcie visuell repräsentieren – von hoch aufragenden, bedrohlich verzerrten Menschenmassen, die auf die schüchterne Marcie einreden bis zu Fischschwärmen als Repräsentationen des chaotischen Schulflurverkehrs.
Persi hat immer wieder treffende visuelle Einfälle, die die hypersensible Weltwahrnehmung von Marcie sinnlich erfahrbar machen. Wir verstehen diese Figur, weil wir die Gelegenheit bekommen, die Welt durch ihre Augen zu sehen. Der Film schafft Verständnis für ihren Charakter und ihre finale Entscheidung, ohne sich in abgehangenen Steh-zu-dir-selbst-Plädoyers zu ergehen. Am Ende ihrer Selbstsuche weiß Marcie nicht bloß, wer sie ist und was sie will, sondern vor allem, was sie nicht will. Als jemand, der sich charakterlich auch eher auf dem Spektrum der Introversion verorten würde, war es erfrischend eine Figur zu sehen, die sich für ein geglücktes Finale mal nicht zur extrovertierten Rednerin wandeln musste, um von ihren Mitschülern anerkannt zu werden. Marcie vollzieht keine charakterliche Kehrtwende, bleibt im Grunde immer dieselbe und ist am Ende des Filmes paradoxerweise doch eine andere, weil sie gelernt hat, sich und ihre Fähigkeiten neu zu bewerten.
"You once told me you were an invertebrate." (Peppermint Patty)
"I think you mean “introvert”, sir." (Marcie)
Für einen Film von 1998 ist der Einstieg erschreckend gegenwärtig: im College werden David (Tobey Maguire) und seine Kommilitonen über den angespannten Arbeitsmarkt, Unfallstatistiken, Ozonlöcher und die Klimaerwärmung unterrichtet – „Wer kann mir sagen, was man unter einem Taifun versteht?“ Auf dem Campus tagträumt David derweil davon, wie er seinen heimlichen Schwarm anspricht, während er sie in Wirklichkeit nur aus der Ferne beobachtet. Zuhause sitzt er dann vor dem Fernseher, verfolgt alte Folgen der 50er-Jahre-Sitcom „Pleasantville“ und muss ein wütendes Streitgespräch zwischen seiner Mutter und ihrem Ex-Gatten überhören, ehe er gemeinsam mit seiner Schwester auf wundersame Weise in der Welt der Fernsehserie landet.
Flucht in die Fiktion
Die Serie dient als temporärer Fluchtpunkt aus der unsicheren Gegenwart, als Rückzugsort in eine nostalgische Amerika-Erinnerung, in der die Gartenzäune noch weiß und der Rasen noch grün war. Es ist eine Flucht in die Vergangenheit einer trügerischen Utopie, in die Kleinstadtidylle eines Frank Capra etwa, die im starken Kontrast zu den anonymen, urbanen Räumen der Großstädte steht. Und es ist eine Flucht ins Fernsehen mit seinen fest etablierten Genre-Konventionen und der tröstenden Gewissheit, dass nächste Woche wieder alles so ist, wie man es gewohnt ist.
Wenn ich also David sehe, wie er selig in die Flimmerkiste starrt, dann kann ich das als Filmliebhaber natürlich nur nachvollziehen. Selbst der herausforderndste Kunstfilm ist immer noch stringenter und kohärenter als alles, was einem in der chaotischen, aufregenden und unkontrollierbaren Wirklichkeit begegnet. Zugleich bietet der Film eine Antwort auf die restaurativen und regressiven Bewegungen, die momentan Politik und Gesellschaft erfassen. Zurückgehen in die Sicherheit, in die Struktur liebgewonnener Gewohnheiten, fühlt sich so viel leichter an als mit Veränderungen umzugehen. Der Film stellt sich diesem ängstlichen Impuls entgegen, indem er Veränderung als Fortschritt erzählt und zugleich die Lügen falscher Erinnerung entlarvt.
Befreiung durch Kunst
Besonders eindrücklich erzählt der Film die Transformationsprozesse dieser Truman’schen Traumwelt (Doublefeature Trumanville) über die Figuren von Bill (Jeff Daniels) und Betty (Joan Allen). Während Betty über ihre Rolle als Ehefrau und Mutter hinauszuwachsen beginnt, entdeckt sich Bill in der Welt der Kunst neu – mehr noch: er beginnt die Welt durch die Farben der Kunst, durch die Verfremdung und Abstraktion, durch die Bilder von Van Gogh, Turner und Picasso gänzlich neu zu sehen. Zugleich entdeckt sich Betty durch seine Kunst als begehrenswertes, sexuell selbstbestimmtes Subjekt.
In der schöpferischen Sphäre können Bill und Betty ihre Masken ablegen, sich zeigen als jene, die sie wirklich sein wollen. Daniels und Allen spielen diese Momente der Annäherung und Neuentdeckung voller Zärtlichkeit und Verletzlichkeit. In den sehnsuchtsvollen Blicken, die sie sich unsicher zuwerfen, verwirklicht sich die Prämisse des Filmes, auf einer ganz konkreten, menschlichen Ebene von Veränderung zu erzählen; vor allem vom Mut, den es braucht, sie herbeizuführen und mit ihr umzugehen.
Make Pleasantville Great Again!
Andere reagieren auf die Veränderungen Pleasantvilles mit Abwehr und Abwertung – mit neuen Regelwerken und Verhaltenscodes, mit Bücherverbrennungen und Einschüchterung. Im Bürgermeister Big Bob (J.T. Walsh) verkörpern sich die regressiven Abwehrhaltungen der Arrivierten und Mächtigen. Den simplen, überzeichneten Antagonisten bringt Walsh in nur wenigen, effektiven Einzelszenen auf den Punkt, etwa wenn ein Kunde beim Friseur den plötzlich eintretenden Bürgermeister seinen Platz anbietet und dieser, schon während er sich setzt, gönnerhaft antwortet: „Ich kann doch unmöglich deinen Platz einnehmen“ – höfliche Worte, begleitet von Gesten selbstverständlich gewordener Macht.
Das letzte Refugium der weißen Herren, die in der Kleinstadt einst den Ton angaben, bildet das Bowlingcenter, wo Bettys Ehemann George seinen Leidensgenossen die plötzliche Wandlung seiner Ehefrau beklagt (kein Essen auf dem Tisch, nicht mal was Vorbereitetes im Ofen!) William H. Macy spielt diesen George brillant: patriarchale Gesten der Selbstbehauptung sind bei ihm nur mühsam draufgeschaffte Mimikry, im Grunde ist jedem seiner Blicke eine tiefe Verunsicherung vor den Zeichen der Zeit eingeschrieben. Der Film gibt diese Figur bei alledem nicht der Lächerlichkeit preis, sondern zeigt sie in ihrer ganzen menschlichen Hilflosigkeit.
Die Grenzen der Metapher
Die Details der Welt und damit der genialen Prämisse des Filmes, sind bei alledem nicht immer klar. Woher wissen die Bewohner Pleasantvilles was Farben sind, wenn sie nie welche gesehen haben? Was dachten sie, wofür Bücher gut waren, als diese bloß aus weißen Seiten bestanden? Der Film begibt sich zudem in einen Widerspruch, wenn er im dramatischen Höhepunkt im Gerichtssaal erst davon erzählt, dass das Leben nicht immer nur pleasant sein kann, aber zugleich in einem alle Konflikte auflösenden Happy Ending gipfelt.
Einige der Konfliktfelder, Bettys Affäre mit Bill etwa, werden darum bewusst offengelassen. Auch ließe sich darüber diskutieren, ob es der Botschaft des Filmes nicht zuträglicher wäre, wenn dessen Cast diverser wäre. Natürlich ist das Thema Rassismus bereits durch die Farbmetapher implizit, dennoch wird die Existenz anderer ethnischer, sexueller oder ökonomischer Identitäten nicht konkret aufgenommen.
Das revolutionäre Subjekt
Heute würde ein solcher Film also sicherlich anders aussehen. Auch das gehört zum Umgang mit Veränderung dazu: zu akzeptieren, wie es einmal war, ohne es zu beschönigen, aber auch, ohne es zu dämonisieren. Der Film selbst pflegt ein erstaunlich differenziertes Verhältnis zur Vergangenheit. Davids Schwester Jennifer (Reese Witherspoon) entdeckt in der entschleunigten, medial entschlackten Welt von Pleasantville beispielsweise die stille Freude des Lesens für sich.
Überhaupt spielen Bücher, zumindest auf einer formalen Ebene, eine große Rolle in der Revolution der Kleinstadt. Sie bilden das Medium der Veränderung. Sie sprengen die inneren Grenzen jener Menschen, die schließlich zum revolutionären Subjekt heranreifen und die Veränderung herbeiführen. Die einzige Konstante, so erkennen sie, ist die Veränderung. So wie das Farbfernsehen nicht aufgehalten werden konnte, so wie der Tonfilm vor ihm, können auch soziale Bewegungen nicht aufgehalten werden, wenn sie wirklich aus der Mitte der Gesellschaft erwachsen. Denn wie stellte schon die unsterbliche Joni Mitchell lakonisch fest:
„Well something’s lost, but something’s gained.”
Die einigermaßen alberne Prämisse um eine Super-KI aus dem Kalten Krieg, die nur raunend die „Entität“ genannt wird, kann ich ja noch verkraften, aber muss man die ganze Zeit drüber reden? Exposition – der Film. McQuarrie hat leider seinen Platz gefunden – als Erfüllungsgehilfe und Geschäftsbuddy an der Seite von Cruise inszeniert er routiniert zum nunmehr dritten Mal dessen Superheldenausflüge als seelisch vernarbter IMF-Agent Ethan Hunt. Und weil dieser selbst nach sieben (!) Filmen erschreckend blasse Charakter ganz viel Ballast mit sich rumschleppt und weil trotz eines unterkomplexen Plots alles furchtbar kompliziert erzählt werden muss, wird in diesem Film andauernd gelabert.
Achterbahnfahren in Rom
Es wird wirklich gelabert, als gäbe es kein Morgen mehr und das fast immer nur in Innenräumen (Pegg und Rhames hocken gefühlt den gesamten Film hinterm Laptop), mit Schuss-Gegenschuss und mit tiefen Stimmen. Diese Sache mit den Blockbustern soll doch Spaß machen, MI7 fühlt sich dagegen viel zu oft nach Arbeit an. Die ganze Zeit ist man am Warten und Warten auf die rasante Achterbahnfahrt, aber wie in der Warteschlange im Heidepark an einem wolkenlosen Samstag kommt man nur mit Trippelschrittchen voran und alles zieht sich gen unendlich. Und dann, nach gefühlt zehn Stunden Wartezeit und Antizipation, sitzt man endlich drin, erste Reihe, die Sperrstange ist eingerastet, auf geht’s: Achterbahnfahren in Rom.
In der rasanten und lustigen Rom-Sequenz bekommt man eine leise Ahnung davon, wie so ein Film aussehen könnte, wenn er einfach mal freidrehen würde. Die Zutaten dieser mitreißenden Verfolgungsjagd in der ewigen Stadt: fette Karren (die Soundkulisse), eine manische Verfolgerin (Klementieff!), ein streitendes Duo (Cruise und Atwell in Handschellen) und gut getimter Humor (Fiat). Das ist also dieser Fun, von dem immer alle sprechen! Eine leichte Sommerbrise, die leichtfüßig unterhält, ohne sich und die behauptete Gefahr ironisch entwerten zu müssen. Es geht um was, aber ohne die Nolan’sche Betonschwere. Es ist witzig, aber ohne das peinliche Humor-Tourette einschlägiger Marvel-Filme.
Leichte Unterhaltung
Auf der Besetzungsliste reißen es übrigens vor allem die Frauen raus: ihre rudimentären Figurenskizzen spielen diese pointiert und glaubwürdig – in wenigen sehnsuchtsvollen Blicken (Ferguson), in nur einem wahnsinnigen Lächeln (Klementieff), in einem arroganten Mundwinkelzucken (Kirby). Ihre Dialoge sind (zumeist) ausgesprochen albern, eben weil sie ausgesprochen werden. Auch die sorgsame Trennung von beweglichen Acionparts und statischen Expositionsparts verstehe ich nicht. Gibt es keine Wege, Plot über die Bewegung zu erzählen – in wenigen Worten und vor allem mit Handlung? Hier muss man sich für drei/vier große Action-Set-Pieces immer wieder durch egale Dialogarien kämpfen, deren Inszenierung einem manchmal glauben macht, man hätte sich in den neuen Terry Gilliam-Film verirrt.
MI7 ist ausgesprochen altmodisches Action- und Agentenkino, von dem ich mir wünschte, dass seine Macher die aufgeblähte Wichtigtuerei moderner Spektakel-Blockbuster abstreifen und sich endlich auf ihre Kernkompetenzen verlagern könnten (logistisch herausfordernde, praktisch umgesetzte Action, Gadgets und Heists). Mission Impossible könnte ein federleichtes Gegengewicht zu gegenwärtigen Kinotrends der Marke Snyder, Villeneuve oder Nolan bilden; in Form eines Kinos, das sein Publikum erbaut, ohne kitschig zu werden und es unterhält, ohne es für dumm zu verkaufen. Dann könnte Tom Cruise vielleicht wirklich zum Retter des (Blockbuster-)Kinos werden.
Als Kind habe ich solche Geschichten – Robinsonaden werden sie in Anlehnung an Daniel Defoes berühmten Abenteuerroman um den gestrandeten Seefahrer Robinson Crusoe wohl genannt – sehr geliebt. Von der Verfilmung des Buches mit Pierce Brosnan in der Titelrolle über die ABC-Serie Lost und ihre nicht enden-wollenden Mysterien bis zu Robert Zemeckis Cast Away, den ich nun nach geschätzt zehn Jahren mal wieder gesehen habe.
Arbeit und Struktur
Statt eines havarierenden Segelschiffes ist es hier ein abstürzendes FedEx-Flugzeug, das Systemanalyst Chuck Noland (Tom Hanks) auf einer einsamen, pazifischen Insel stranden lässt. Auffällig finde ich zunächst die Struktur des Filmes, die grob in vier Abschnitte unterteilt werden kann. 1. Chucks (Arbeits-)Leben vor dem Absturz, das vornehmlich daraus zu bestehen scheint, dass dieser irgendwelche russischen FedEx-Mitarbeiter anbrüllt und (zugegebenermaßen) sehr süß mit seiner Freundin Kelly (Helen Hunt) zum Takt eines Kopierers tanzt, 2. Absturz, Strandung und erste Eingewöhnung ins Inselleben, 3. Zeitsprung um vier Jahre, Hanks trägt jetzt eine verfilzte Perücke und ist dünn, 4. Finaler Fluchtversuch, Rettung und Rückkehr in die Zivilisation.
Abschnitt 1 und 4 fallen dabei viel größer aus als ich sie in Erinnerung hatte und waren zu meiner weiteren Überraschung auch jene Teile des Filmes, die mir am besten gefallen haben. Das hat vor allem mit dem Zusammenspiel zwischen Hanks und Hunt zu tun, insbesondere ihrer vorsichtigen, zarten Annäherung nach seiner Rückkehr, die im stimmigen Kontrast zum Verliebtsein vor dem Absturz steht. Der Absturz selbst, den Zemeckis im Grunde in Realzeit inszeniert, kann noch heute Beklemmungen auslösen. Die Desorientierung, die Panik und die Gewalt des Aufpralls bekommt dieser in fiebrigen Handkamerabildern und flackernden Lichtern zu fassen.
Mann vs. Natur
Chucks Leben auf der Insel, das den mittleren und größten Teil des Filmes ausmacht, empfand ich hingegen als nur leidlich interessant. Das mag wiederum mit zwei Staffeln 7 vs. Wild und dem oberflächlichen Survivalwissen zu tun haben, das sich dadurch via Osmose in mir eingelagert hat. Jedenfalls wird schnell offensichtlich, dass Chuck im Grunde alles falsch macht, was man in so einer Situation falsch machen kann. Das ist natürlich kein ernsthafter Kritikpunkt – Hanks Figur ist Analyst für FedEx, ich erwarte also nicht, dass dieser irgendetwas darüber weiß, wie man auf einer einsamen Insel überlebt. Anders als früher hat man jedoch die einzelnen Etappen des Gestrandet-auf-einer-einsamen-Insel-Szenarios (Kokosnüsse knacken, Feuer machen, Kleidung anfertigen, Shelter bauen, Wasser sammeln) mittlerweile schon zu oft gesehen, um noch davon begeistert zu werden. Das sagt allerdings mehr über mein verändertes Sehverhalten aus als über den Film selbst.
Konsumkritik
Anders verhält es sich mit den thematischen Perspektiven, die der Film eröffnet – oder eben: nicht eröffnet. Die Prämisse, Hanks in einem voll beladenen FedEx-Flugzeug abstürzen und ihn daraufhin immer wieder angespülte Pakete finden zu lassen, finde ich genial. Was aber daraus gemacht wird, ist eher enttäuschend. Zemeckis scheint nämlich so gut wie gar nicht daran interessiert zu sein, inwiefern sich der Blick von Chuck auf die Gesellschaft verändert hat, nachdem er für über vier Jahre von ihr isoliert war. Hier hätte sich ein Kommentar auf den Konsumismus und Hedonismus der westlichen Erlebnisgesellschaften, gerade in den Neunzigerjahren, geradezu angeboten.
Der Film bietet Ansätze eines solchen Kommentars in einer kurzen Szene, die nach der Rückkehr spielt. Nachdem eine große Wiedersehensfeier in Chucks Hotelzimmer gegeben worden ist, schlendert dieser nachdenklich am reich gedeckten Buffet vorbei und blickt gedankenverloren auf die Flamme, die er mit einem Stabfeuerzeug entstehen lässt. Die Botschaft der Szene ist klar: Nahrung, die er sich auf der Insel mühsam hatte erjagen müssen, ist in der Zivilisation in verschwenderischem Maße vorhanden, ebenso das Feuer, das er unter großen Kraftanstrengungen hatte entfachen müssen. Zugleich haben die Menschen um ihn herum, so wie er selbst vor seinem Absturz, jedes Gespür dafür verloren, was so reichlich und mühelos erreichbar vor ihnen liegt.
Spielberg für Arme?
Chuck hat eine neue Perspektive auf diese Gesellschaft gewonnen, aber wir werden als Zuschauer abseits von dieser knappen Szene nicht daran beteiligt. Zemeckis scheint lieber den gefahrlosen Weg einer Liebesgeschichte gehen zu wollen, die aufgrund der Hauptdarsteller auch durchaus funktioniert, aus der Prämisse aber nur einen Bruchteil herausholt. Zemeckis arbeitet sich am Spielberg-Katalog gefühligen Erzählkinos ab, aber ohne dessen technische Brillanz. Für eine Robinsonade erfährt man erschreckend wenig über die Insel, von der man im Grunde nur den immer-gleichen Strandabschnitt sowie einen Bergzipfel mit Bluescreen Backdrop zu sehen bekommt. Am Ende bleibe ich darum ein bisschen berührt, aber auch ein bisschen unbefriedigt auf meinem Sofa zurück, während Silvestris einlullender Score den Abspann begleitet. Vielleicht hätte dem Strand etwas Plastikmüll nicht geschadet.
Ein sinistres Duo verübt einen Mord und ein rechtschaffener Amerikaner stellt sich ihnen entgegen. Das Duo besteht aus einem ideologischen Brandstifter (John Dall) und seinem willensschwachen Gefolgsmann (Farley Granger). Rope erschien nur drei Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs, wodurch sich die historischen Parallelen geradezu aufdrängen. Doch Rope verortet seine Erzählung im modernen New York City und gibt sich dadurch als selbstkritischer Kommentar auf die Überlegenheits- und Unterdrückungs-Fantasien verstehen, die sich ideologisch weit über den europäischen Faschismus hinaus in die westlichen Gesellschaften eingeschrieben haben. Die mutwillig falsch verstandene Übermensch-Theorie Nietzsches dient dabei lediglich als intellektuelle Verkleidung für die eigenen faschistischen (Wahn-)Vorstellungen. Mit Stewart als Superheld, als freiheitliche, intellektuelle Symbolfigur (gewissermaßen auch ein Übermensch) profiliert sich Hitchcock als humanistischer Universalist und warnt gerade in einer Zeit der großen Euphorie eindringlich vor der Vorstellung, das Gespenst des Faschismus sei auf ewig vertrieben, bloß weil seine territorialen Besitzansprüche unterbunden worden sind. So ein klug konstruierter Film zu solch einer Stunde kann wirklich nur einem absoluten Meister gelingen, der über technische Raffinessen hinaus auch immer die Ideologien seiner Zeit im Blick hatte. Meisterhaft.
Theoretisch mag ich den Film. Aber theoretisch schaut man keine Filme. Ich mag die Idee, Diskriminierung an ein Gefühl der Paranoia zu koppeln. Filmisch ist das leider der ewig gleiche Aufguss deutschen und internationalen Kunstkinos. Alles ist deprimierend. Zimmer sind immer nur indirekt beleuchtet, überall Schatten. Gesichter sind meistens kalt. Die Dialoge sollen alltäglich klingen, aber ich höre nur Drehbuchrascheln. Da läuft auch nie irgendwo Musik! Nicht im Auto, nicht in der Küche beim Abwasch! Einfach eine triste Welt mit tristen Menschen. Am besten ist die Szene, in der dem Protagonisten die gesamte Belegschaft applaudiert. Gewalt durch Applaus, das Händeklatschen als regelrechtes Trommelfeuer, das ist wirklich grandios, wie gewaltsam Integration in vermeintlich positiven Gesten erzählt werden kann. Sicherlich kein dummer Film, der mir viele Fragen aufgeworfen hat, mir in seiner Inszenierungsweise aber leider allzu bekannt ist.
Wie schon in Stalker spricht Tarkowski der Natur eine Art personales Eigenleben zu. Der alles umschließende Organismus der Pflanzen ist auch das passende Bild für den Erzählmodus dieses Filmes: sinnliche, assoziative Bildeinstellungen springen wie Gedanken in der Zeit, die vom Wind hinfort getragen werden. Tarkowski lässt diesen Erzählmodus zu Beginn des Filmes auch durch eine seiner Figuren verbal explizieren:
„Has it ever occurred to you that plants can feel, know, even comprehend. The trees, this hazel bush–“
“This is the alder-tree.”
“It doesn’t matter. They don’t run about. Like us who are rushing, fussing, uttering banalities. That’s because we don’t trust nature that is inside us. Always this suspiciousness, haste, and no time to stop and think.”
Das ist die Perspektive, die uns Tarkowswki gewährt, das ist der Raum, den er uns erlaubt, zu besetzen. Ein innerer Raum der Selbst- und Fremdbetrachtung, ein Raum zum Innehalten und Denken. Wenn die Kamera über die bewegte Landschaft fährt, sich ihr neugierig zuwendet, ist es so, als konsultiere der Film die Natur selbst.
War da was? Was sagt sie? Spürt sie meine Anwesenheit? Wie adressiere ich sie? In welcher Sprache äußert sie sich?
„Ich weiß es nicht, aber ich bin bereit, hinzuhören“, scheint Tarkowki zu sagen. Und ich bin gerne bereit, mich ihm anzuschließen.
Unfreiheit in der Heimat oder Freiheit in der Heimatlosigkeit? Im Paris der 50er-Jahre spielt im Kontrast zu den polnischen Volksliedern und Hymnen auf die Führerfigur Josef Stalin der Jazz. Doch die Liebe zwischen Zula und Wiktor wird gerade hier verschwenderisch und leichtsinnig aufs Spiel gesetzt. Andere Liebespartner und die hedonistischen Freuden der westlichen Nachkriegsgesellschaften führen die Liebesbeziehung an einen Siedepunkt. Und die Verlockungen der Freiheit, der naive Glaube an seinen Selbstzweck wird enttäuscht. Cold War stellt sich sehr unbequeme Fragen und findet zu keinen bequemen Antworten. Freiheit bedeutet absolute Selbstverantwortlichkeit. Freiheit heißt, schuldig zu sein für die eigenen Fehler. Freiheit lässt keine Hintertür offen, sondern alle Optionen frei. Mit jeder Entscheidung kommt auch die Aussicht, die falsche zu treffen. Freiheit beinhaltet auch die Möglichkeit, sich gegen sich selbst zu wenden, beinhaltet das Recht, auf Selbstvernichtung. Während der Sichtung drängte sich mir daher ein ungeheurer Verdacht auf: vielleicht ist Freiheit nicht für jedermann. Vielleicht sind wir mehr in die Idee von Freiheit verliebt, als sie in allen Konsequenzen ausleben zu müssen. Freiheit aus sicherer Distanz also - eine schöne Idee, die sich vom Fenster aus sicher begutachten lässt.
Obwohl ich dem Kevin-Smith-Fanlager bisher einigermaßen ratlos gegenübergestanden habe, muss ich gestehen, dass mich Clerks III ein bisschen berührt hat. Kevin Smith schwelgt darin in der eigenen filmischen Geschichte, fragt sich aber zugleich ganz offen, was von alledem übrigbleiben wird, wenn er einmal gegangen ist. Das ist sentimental, manchmal kindisch, aber auch erfrischend konsequent. Dadurch vermittelt mir ein Smith-Film jedenfalls zum ersten Mal ein Gefühl von Dringlichkeit, statt sich in seinem postmodernen, selbstreferentiellen Verweiskino zu verlieren. Filmisch ist das immer noch Stillstand, die meiste Zeit werden Leute flach und einfallslos beim Reden abgefilmt, dafür treibt das Drehbuch seine Figuren beständig voran. Den viel erwähnten Herzinfarkt, den Smith 2018 erlitt und der hier ad nauseam verarbeitet wird, nimmt dieser zum Anlass einer kritischen Selbstbefragung. Indem er den ersten Teil nachspielen lässt, rekonstruiert er zugleich sein eigenes, filmisches Vermächtnis, wobei die Geschichte um Dante und Randal vor allem seine eigene ist. Die Perspektive, die er auf dieses Vermächtnis und damit seine Figuren gewinnt, ist bisweilen erstaunlich schonungslos und hat mich auf meine alten Tage (ich bin 30, haha) richtiggehend berührt. Eine schöne Überraschung.
Eine Deckenlampe wirft flackernde Lichtkegel und ein Mann (Rufus Sewell) erwacht in der Badewanne, aber ohne Erinnerung an sich und den Ort, an dem er erwacht. Unser namen- und erinnerungsloser Protagonist sieht sich um, sein Blick fällt auf einen Fisch im Fischglas. Als Zuschauer finden wir uns mit diesem rätselhaften Einstieg in einer seltenen Lage wieder: gestrandet sind wir mit einem Protagonisten, der ebenso wenig weiß wie wir selbst. Da ist kein Wissensvorsprung über die Welt, über die eigene Rolle darin, nicht einmal über die eigene Verfasstheit. Gemeinsam erwachen wir aus einem Traum, der sich schnell in einen Albtraum verkehrt: er müsse vorsichtig sein, erklärt eine unbekannte Stimme hastig am Telefon, Menschen würden nach ihm suchen; er habe infolge eines schiefgelaufenen Experimentes sein Gedächtnis verloren, finstere Gestalten seien ihm nun auf den Fersen.
Alsbald treten auch ebenjene Verfolger auf den Plan – Männer in Schwarz; jene mysteriösen Bleichgesichter, die im verschwörungstheoretischen Diskurs entweder als ominöse Regierungsvertreter oder maskierte Außerirdische kodiert sind. Parallel dazu trifft die Ehefrau des Protagonisten (Jennifer Conelly) auf einen hypernervösen Psychiater (Donald Sutherland). Dieser weist sie auf ein „rather crude experiment“ hin: eine Ratte ist in einem labyrinthischen System gefangen, sucht einen Ausweg, aber findet ihn nicht. Die Ratte, wir ahnen es, ist natürlich unser Protagonist. Die Ratte im Labyrinth reiht sich nahtlos in Proyas symbolträchtige Filmsprache ein. Fisch und Ratte – beides Repräsentanten eines orientierungslosen, verwirrten Nachtläufers. Die Stadt als Fischglas, die Stadt als labyrinthisches System, die Stadt als Versuchslabor.
Immer wieder tauchen die Kreissymbole auf, die unser Protagonist zu Beginn des Filmes auf einer nackten Frauenleiche entdeckt. Auch seine Fingerabdrücke gleichen denselben rätselhaften Symbolen. Und wie in Kreisen bewegt er sich durch die expressionistischen Stadtarchitekturen und vernebelten Straßen von Dark City. Die ontologische Sinnkrise schreibt Proyas tief in die Mise-en-scène seines Filmes ein. Die Fassaden schreiben sich in den Zügen des Protagonisten fort und andersherum. Wer bin ich? Was bin ich ohne Erinnerung? Und wer ist es, der uns in der Suche nach Antworten auf den Fersen ist? Die Männer in Schwarz sind unter der Stadt verortet. Die Charakterisierung der Verschwörer als uniforme, sinistre Halbwesen, die Mensch scheinen, aber nicht sind, erfolgt gleichsam über die versteckten Architekturen, die sie beheimaten. Unter einem doppelten Boden kommen sie zum Vorschein, erinnern an die Grauen Herren aus Michael Endes Momo, nur, dass diese blassen Gestalten nicht die Zeit stehlen, sondern … Erinnerungen.
Kollektiver Bildspeicher
Aus der Gedächtnisforschung ist schon länger bekannt, dass Menschen Szenen aus Filmen oder Literatur in ihr eigenes, erinnertes Leben verbauen. In Dark City ist genau das die Frage, die sich stellt: wie fiktiv sind unsere Erinnerungen? Und wie eigen sind uns die Bilder, die wir unser Eigen nennen?
"Unsere inneren Bilder sind nicht immer individueller Natur, aber sie werden auch dann, wenn sie kollektiven Ursprungs sind, von uns so verinnerlicht, dass wir sie für unsere eigenen Bilder halten. Die kollektiven Bilder bedeuten deshalb, dass wir die Welt nicht nur als Individuen wahrnehmen, sondern dies auf eine kollektive Weise tun […] Unsere Bilderfahrung gründet zwar auf eine Konstruktion, die wir selbst veranstalten, und doch wird sie gesteuert von der aktuellen Verfassung, in der die medialen Bilder modelliert sind. Es läuft auf einen Akt der Metamorphose hinaus, wenn sich die gesehenen in erinnerte Bilder verwandeln, die fortan und in unserem persönlichen Bildspeicher einen neuen Ort finden." (Belting, S. 24)
Die Bilder unseres persönlichen Bildspeichers sind so wirkmächtig, so intuitiv wahr und wirklich, weil sie sich aus epistemologischer Sicht so verführerisch auf die Netzhaut legen. Sie führen uns vor, wie manipulationsanfällig wir sind – und wie fragil das ist, was wir Wahrheit nennen. Dark City spielt demnach ein doppeltes Spiel. Er verführt und verwirrt uns mit den Bildern, deren Urheber er unbezeichnet lässt. Und dadurch, dass sie unbezeichnet bleiben, werden sie gleichsam kollektiv austauschbar; werden zu Werkzeugen eines ideologischen Streits, der nur den Sieg, nicht aber die Wahrheit kennt. Bilder ohne Urheber tragen, so wie Erinnerungen ohne Erinnernden, keine Wahrheit in sich, sind leer.
Die Erinnerungsdiebe behalten die Kontrolle über die Menschen, weil sie ihre Erinnerungen kontrollieren. Dadurch, dass diese ihre Vergangenheit nicht lückenlos klären können, ihr im Gegensatz ständig nachhängen in dem Impuls, die verloren gegangenen Puzzlestücke aufzufinden und in eine Ordnung zu überführen, sind sie in der Gegenwart gelähmt und ohnmächtig eine Zukunft zu gestalten. Der Blick in die Zukunft ist folglich ein finsterer in diesem gleichfalls finsteren Film. „I don’t think the sun even exists“, erklärt unser Protagonist, der mittlerweile weiß, dass er John Murdoch heißt. Dieser John Murdoch hat ein Ziel, einen Sehnsuchtsort: Shell Beach, Muschelstrand, Hüllenstrand. Entkernte Realitäten werden hier wie Sandkörner vom Strand aufgelesen und am Ende treibt die Welt als gigantische Raumstation durch das unendliche Schwarz des Weltraums. Der Verschwörungstheoretiker darf erleichtert aufatmen: die Welt, am Ende doch nur eine Scheibe.
Fußnote:
Belting, Hans (2001): Bild-Anthropologie: Entwürfe für eine Bildwissenschaft. München: Verlag Wilhelm Fink, zitiert nach Roloff, Volker (2008): Intermedialität und Medienanthropologie. Anmerkungen zu aktuellen Problemen. In: Intermedialität Analog/Digital. Theorien – Methoden – Analysen. München: Wilhelm Fink Verlag. S. 24
Ich habe dieses Jahr alle Staffeln nachgeholt und sehe mich nach meinem anfänglichen Desinteresse geläutert: Better Call Saul ist alles, was Fernsehen sein kann und eigentlich noch mehr. Die Serie ist besser als Breaking Bad je war und wird zum Ende der sechsten und letzten Staffel nur noch besser und besser; die finalen schwarzweißfotografierten Episoden sind bisweilen fast europäisch in ihrer Inszenierung, aber immer mit dem amerikanischen Drive für Plot und Figuren. Ein kleiner Kritikpunkt, der nicht nur die sechste Staffel, sondern die gesamte Serie betrifft, bildet für mich die Figur von Gustavo Fring (Giancarlo Esposito), die wie schon in der Vorgängerserie eine wichtige Rolle spielt, die ich aber leider noch nie interessant fand. Allgemein interessierte mich die Seite des organisierten Verbrechens, und die Verstrickungen mit dem Kartell, immer am wenigsten; ernste Gesichter und Blickduelle auf irgendwelchen Parkplätzen, geheime Drogenlabore und Killer-Zwillinge gehören für mich eher ins Comicland. Abgesehen von diesen Vorbehalten, wartet die Serie mit einer der besten Charakterstudien der Fernsehgeschichte auf, die Staffel 6 furios zu Ende führt. Saul Goodman/Jimmy McGill (Bob Odenkirk) ist Dreckskerl und Betrüger, Träumer und Arbeitstier, aber auch eine tieftraurige, widersprüchliche und darum allzu menschliche Figur, die glaubt, anderen beständig etwas vorspielen zu müssen. Saul ist eine Art uramerikanischer Archetyp des Showmans, die sich hinter falschem Spiel und Alter Ego bisweilen zum Verschwinden bringt. Daneben gibt es eine Wagenladung interessanter Nebenfiguren, allen voran Anwaltskollegin und Love Interest Kim Wexler (Rhea Seehorn), der man nach dieser Serie direkt ihr eigenes Spin-off wünscht.
LSD, Psilocybin, MDMA und Meskalin – jedem dieser Wirkstoffe widmet die Miniserie eine eigene Folge und gibt unter anderem Einblick in ihre historische Entdeckung oder Entwicklung. Vor allem zeigt die Serie auf, wie die Drogen zur therapeutischen Behandlung verwendet werden und beeindruckt durch die Erfahrungsberichte von Patienten und Konsumenten, ganz ohne Scheuklappen und vorgefasste Meinungen. Die Schilderungen der Rauschzustände und die bisweilen trippigen Bilderwelten der Serie können wirklich zu einer neuen Vorstellung von Wahrnehmung, Welt und Selbstverständnis verhelfen, ohne eigene bewusstseinserweiternde Erfahrungen selber gemacht zu haben.
Durch die beteiligten Namen, insbesondere die Involvierung von Martin in die Konzeption der Serie, war ich recht früh guter Dinge, was die Umsetzung von Fire & Blood auf die Fernsehbildschirme anging. Und mein Vertrauen wurde belohnt: sinnige Zeitsprünge, ein grandios besetztes Figurenensemble und das Produktionsniveau von HBO wecken Erinnerungen an beste GoT-Zeiten, ohne, dass die erste Staffel den Eindruck erweckt, verzweifelt daran anknüpfen zu wollen. House of the Dragon hat seine eigene Identität, nicht zuletzt durch die starke zeitliche Raffung, aber auch durch die machtpolitische Ausgangslage, die fast ausschließlich auf das Herrschaftsgeschlecht der Targaryans und den angeheirateten Anhang fokussiert ist. Abstriche gibt es von meiner Seite lediglich für ein paar unnötige Gewaltspitzen (u.a. die Schlacht bei den Stepstones) und Anflüge der brachialen Drehbuchverrenkungen, wie sie GoT zum Ende seiner Laufzeit nur allzu gerne vollzogen hat (die hässliche Krönungsszene im Dragonpit aus Episode 9). Abgesehen davon schlägt die Serie zumeist sehr leise und nuancierte Töne an und ist ganz auf seine Figuren konzentriert. Besonders deutlich wird das anhand der Figurenentwicklung von King Viserys I. (Paddy Considine), die in der herausragenden achten Episode kulminiert. Der herzzerreißende Gang des sterbenden und entstellten Königs zum Thron, um ein letztes Mal den Versuch zu unternehmen, eine friedliche Erbfolge sicherzustellen, ist ebenso zu nennen wie das letzte gemeinsame Abendessen der versammelten Familie, ehe der unausweichliche Bürgerkrieg sich bereits am Horizont kommender Staffeln abzeichnet.
Selten gab es beim dritten Akt eines Hollywoodfilms so viel zu sehen. Dieses eigenartige, an die Engel aus Neon Genesis Evangelion gemahnende UFO-Alien, das sich wie ein Origami entfaltet und immer neue geometrische Formen findet, hat mich ebenso begeistert wie Peeles Fähigkeit, verschiedene Genres nahtlos miteinander zu verkitten. Western, Horror, Science Fiction – das will erstmal zueinander finden. Dazu filmgeschichtliche Exkurse und eine zunächst rätselhafte Sequenz um einen Fernsehaffen, der Amok läuft, die sich alsbald jedoch ebenso nahtlos in den Motivreigen des Filmes einfügt: das Tierische, das nicht gezähmt werden kann, die Sensationslust am Unzähmbaren und die rücksichtlose Gewalt, mit dem es sich jedem Versuch entzieht, domestiziert zu werden. Hier findet alles zueinander: der Mythos des Western von der Zivilisierung der letzten Westgrenzen, verkörpert im Pferd, die Faszination mit außerirdischem Leben, die sich in unzähligen UFO-Legenden bündelt (die wirklich letzte Grenze) und die Auseinandersetzung mit dem Monster als das radikal Andere, die eine zentrale Triebfeder des Horrorgenres bildet. Peele weiß um die thematischen Überschneidungen dieser Genres, die sich in Nope nicht nur vertragen, sondern substanziell ergänzen.
Ein in der Nachbarschaft Andersons entstandenes, mit Freunden und Familie realisiertes Period Piece, das bei allem Rückblick nie zur biografischen Nabelschau gerät. PTA macht nicht den Fehler, sich der Erinnerung nostalgisch zu überantworten, sondern bewahrt sich einen kritischen Blick auf die Zeit und ihre Leute. Ölkrise, Machismo, alttägliche Rassismen und Sexismen sind ständige Begleiter in einem Film, dem es durch die Fokussierung auf zwei lebenshungrige, ganz und gar idiosynkratische Hauptfiguren dennoch gelingt, eine spielerische, warmherzige Liebesgeschichte zu erzählen, die wie die Serpentinen des San Fernando Valley beständig überraschende Haken schlägt.
Kunst, die sich der Gegenwart offen zuwendet, im Konkreten aber zugleich nichts von ihrer universellen Kraft verliert, ist selten. Filme, die das Gefühl der Millenial-Generation zu fassen bekommen, ohne sich in Memes und identitätspolitischen Buzzwords zu verlieren, fast noch mehr. Joachim Trier gelingt es, gegenwärtige Debatten aufzugreifen und sie mit existenziellen Fragen neu zu perspektivieren. Der Filmtitel stellt jene pathetischen Gesten einer zwischen Selbstmitleid und Ironie wankenden Generation zur Schau, die einem viel zu gut bekannt sind, denen sich Trier aber zu keinem Zeitpunkt überlegen fühlt. Stattdessen nimmt er sie ernst, berücksichtigt neue Formen des Umgangs und der Empfindsamkeit, ohne auf neue Empfindlichkeiten Rücksicht zu nehmen. Entstanden ist ein beizeiten leichtfüßiger, dann wieder tonnenschwerer Beziehungsfilm, der die Ambivalenzen unserer Zeit aufzeigt, statt sie auszublenden; der bei alledem aber nie vorgibt, mehr Antworten zu geben, als er Fragen stellt.
Die anachronistische, bisweilen atonale, aber immer stimmungsvolle Musik von Matthew Herbert ist der große Gewinner dieses Filmes. Wie ein Omen legt sie sich unter diesen ruhigen, fast schon meditativ erzählten Film; besonders der rätselhafte Lautgesang, der auch einem animistischen Keltenritual entstammen könnte, lädt die eindrücklichen, kargen Landschaftsbilder Irlands immer wieder atmosphärisch auf. Landschaften von einer melancholischen Tristesse, wo der Torf reichhaltig gestochen wird, aber die Kartoffeln rar sind. Das kollektive Trauma der irischen Hungersnot hallt lebhaft in der Figur von Anna (Kíla Lord Cassidy) wider, deren Fasten zugleich ein Ausdruck persönlicher Traumata und religiöser Schuldkomplexe darstellt. Das nuancierte Drehbuch greift daneben das zerrüttete Verhältnis zwischen den Iren und ihren ehemaligen englischen Besatzern auf, was zusätzlich zur unterschwelligen Spannung zwischen der englischen Krankenschwester Elizabeth (Florence Pugh) und den irischen Dorfbewohnern beiträgt. Besonders das Thema Hoffnung in einer tristen, hungernden Welt hat mich sehr berührt; insbesondere der aufopferungsvolle Einsatz von Elizabeth für das Mädchen und eine mögliche Zukunft – entgegen der Dogmen und Ängste, die ihr tief eingeschrieben (worden) sind.
Schon der Beginn ist ein Highlight: die verdreckten, blutgetränkten Uniformen getöteter deutscher Soldaten werden gesäubert, Einschusslöcher im Stoff geflickt, anschließend aufgehängt; rotes Wasser tropft auf den Boden. Dann lernen wir den Protagonisten Paul Bäumer (Felix Kammerer) kennen, einen kriegsbegeisterten Schüler, der die Propaganda seines Landes wie ein Schwamm aufgesogen hat. Er bekommt eine jener Uniformen ausgehändigt, die wir zu Beginn des Filmes am Körper eines anderen jungen Soldaten gesehen haben; sie ist gewaschen und getrocknet, aber das Namensschild des vorigen Trägers ist noch angeheftet. Der Kreislauf der Tötungsmaschinerie auf ein kleines Stoffschild verdichtet, die brutale Gleichgültigkeit des Krieges in einem einfachen Prozess erzählt. Regisseur Edward Berger findet viele solcher eindrücklichen Bilder für Erich Maria Remarques Roman von 1929, abseits der obligatorischen Schlachtsequenzen, die – so die immanente Paradoxie des Kriegsfilmes – jenes Bedürfnis nach Spektakel befriedigen müssen, dessen Grausamkeit sie zugleich betonen möchten (zumindest jene Genre-Einträge, die auf das „Anti“ in der Selbstbeschreibung bestehen). Im Westen nichts Neues kann diesen inneren Widerspruch nicht auflösen, findet aber am Rande der Frontgräben immer wieder einen Weg aus dem Spektakel.
Endlich einmal ein Film, der von radikaler Kunst erzählen kann, ohne sich in abgegriffenen Arthaus-Inszenierungen peinlich zu überhöhen. Die Gäste, die zugleich Opfer sind, werden nicht zu Karikaturen verunstaltet, die in Zeitlupe zu klassischer Musik das Weinglas schwenken und dabei einen fettigen Lippenabdruck am Glasrand hinterlassen, sondern lediglich als ein Haufen recht unsympathischer, reicher Menschen, wie es sie, mutmaße ich, genau so auch in der Wirklichkeit gibt: der alternde Filmstar, die unzufriedene Assistentin, das unglückliche Ehepaar, die versnobten Restaurantkritiker, die neureichen Start-Upper, der Fanboy und sein Date (Anya Taylor-Joy), das nur zufällig Teil der titelgebenden Inszenierung von Starkoch Julian Slowik (Ralph Fiennes) wird. Das sind keine tiefen Charakterstudien, aber einprägsame, bunte Figuren, die dem Film völlig ausreichen, um seine Geschichte erzählen zu können. Ich kann nur empfehlen, während der Sichtung darauf zu achten, was die Aussagen von Fiennes bedeuten würden, wäre seine Figur nicht Koch, sondern Filmemacher. So oder so ergibt sich eine ziemlich ätzende Kunstkritik, die ausnahmslos alles und jeden unter Beschuss nimmt – vor allen den Künstler selbst. The Menu nimmt sich dabei nicht zu ernst und weiß, in Analogie zum Ende des Filmes, ziemlich genau, was er sein will: ein gut gemachter Cheeseburger, mit American Cheese, weil der so gut schmilzt.
[...] Nachdem sich Dracula und Mina das erste Mal in den Straßen Londons begegnen und dort den Tag miteinander verbringen, sitzen sie am Abend schließlich bei einem Gläschen Absinth in einem Salon und reden über die Heimat Draculas. „A land beyond a great vast forest, surrounded by majestic mountains and lush vineyards and flowers of such frailty and beauty as to be found no where else“, seufzt Mina in der trüben Erinnerung an ihr früheres, vage erinnertes Leben. Hier führt der Film das weiter, was er in den ersten Interaktionen zwischen Mina und Dracula bereits andeutet: zwischen den Beiden herrscht nämlich nicht vorherrschend Abneigung, wie es der Roman beschreibt, sondern eine tiefe, gegenseitige Verbundenheit. Der Drehbucheinfall, die beiden Figuren über eine vermeintliche Reinkarnation historisch miteinander zu verkitten, verändert auch die Bedeutung ihrer Umgebungen und wie sie zu lesen sind.
Die Landschaften des fernen Transsilvanien drücken in dieser Szene scheinbar auch die Sehnsucht nach einem Ausbruch aus den strengen Rollenbildern der Londoner Gesellschaft aus. Der Fluch Draculas, der Vampirismus, kann demnach sogar als Heilsbringer verstanden werden, der Mina, in Buch wie Film immer den Befehlen und Handlungen der von Van Helsing angeführten Männerbande unterworfen, die Möglichkeit eröffnet, sich ein Stück weit Unabhängigkeit zu erkämpfen. Nicht ohne Grund sind im Hintergrund der Szene die erhabenen Panoramen und die mysteriösen Schlösser Transsilvaniens visualisiert. Sie bilden eine Projektionsfläche für ihre Sehnsucht. Diese Sehnsucht, ihre gemeinsame Sehnsucht, ist ein Zurückerinnern, ein nostalgischer Gedanke an das Mittelalter als ihr Glück noch währte, und damit zum Ursprungspunkt des Traumas und des Fluches. Der Salon wird zu einem Zwischenraum dieser gemeinsamen Erinnerung. [...]
Am Anfang bin ich noch an Bord: Berlin im Schneegestöber, ein Sarg, eine trauernde Witwe – das lass ich mir gefallen. Dann geht es ins Flugzeug und auch hier bleibe ich zunächst willig auf dem mir zugewiesenen Fensterplatz, denn Flugzeuge mag ich und besonders mag ich es zu beobachten, wie Regisseure Normalität inszenieren; das Boarding, die vielen kleinen Handgriffe der Crew, aber auch die typischen Verhaltensweisen der Passagiere. So was muss man erstmal inszenieren können! Sehr gut hat das Patrick Vollrath jüngst in 7500 gemacht – da bekommt man ein gutes Gefühl für das Flugzeug als Arbeitsplatz und das Prozedere der Crew, um dann um weiteren Verlauf erleben zu können, wie das Standardisierte, Alltägliche durch einen Entführungsversuch in eine Ausnahmesituation verwandelt wird. Klassisches Filmhandwerk also: Normalität erzeugen, um das Außergewöhnliche wirkungsvoll heraufzubeschwören. Schwentke macht das okay, aber er ist auch kein Vollrath, erst recht kein Fincher, an den ich aufgrund der Querverbindung von Foster zum gleichfalls kammerspielartigen, aber unendlich viel effektiveren Panic Room denken musste. Aber wo war ich? Ach ja, Flugzeuge als Schauplatz bergen Potenzial: das gedimmte Licht der Passagierkabinen, das Behagliche des Flugzeugs, das jederzeit ins Klaustrophobische kippen kann; da liegt eine naturgegebene Spannung, die sich filmisch aufgreifen lässt. Flightplan weiß das kaum für sich zu nutzen.
Die Idee, Foster zur Flugzeugkonstrukteurin zu machen, bildet eigentlich eine wunderbare Ausgangslage für ihre spätere John McLane-Situation. Auch Peter Sarsgaard mag ich, der hat ein Gesicht, dem das „fick dich“ natürlicherweise eingeschrieben ist. Leider ist die Auflösung, wie schon oft bemerkt, sehr dumm. Die Folge: totaler Druckabfall, die Spannung verflüchtigt sich, es droht – um die Flugzeug-Metaphern auf Reisehöhe zu bringen – die Bruchlandung. Geld als Motivation und Bösewichte, die nur böse sind, gehören ins 20. Jahrhundert verbannt, aber leider sterben sie nicht aus. Foster macht das schon okay, wenngleich sie andauernd in die Rolle der hysterischen Löwenmutter gedrängt wird (auch hier: Panic Room das bessere Beispiel für eine ähnliche Figur). Da ist noch Sean Bean, der einmal nicht das Arschloch spielen muss und tatsächlich leben darf (!) – eine von wenigen Überraschungen in einem eher überraschungsarmen Film, der lediglich durch seinen Schauplatz und die reizvolle Prämisse leidlich zusammengehalten wird. Ich rate dazu, sich den Trip einfach zu sparen – ist ohnehin besser für die CO2-Bilanz.