_Garfield - Kommentare

Alle Kommentare von _Garfield

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    In seinen ersten beiden Beiträgen zur Polizeiruf-Reihe ließ Petzold noch erahnen, welche Chancen seine Mitwirkung an diesem Format bergen könnte. Wo sich seine Idee vom Film nicht mit den zu Konventionen erstarrten Strukturen des Krimi-Formats vereinbaren lässt, ergeben sich spannende Reibungspunkte und damit vielerlei Möglichkeiten zur Subversion. „Kreise“ und „Wölfe“ kommentierten die deutsche TV-Landschaft, so wie sie es gleichermaßen verstanden, darüber hinauszuweisen. Die Romanze zwischen Hans von Meuffels und Constanze Hermann installierte Petzold auf Kosten des Krimi-Plots mindestens gleichberechtigt, in „Wölfe“ experimentierte er zudem mit den expressiven Bilderwelten des deutschen Stummfilms. Im dritten Film, Abschluss der von Petzold verantworteten Polizeiruf-Trilogie und Abschied von Matthias Brandt in seiner Kommissaren-Rolle, ist das Drehbuch-Rascheln allerdings lauter geworden. Damit einhergehend ist Meuffels mehr denn je Sprachrohr seines Regisseurs. Andauernd gibt es einen Schlaumeier-Kommentar, eine korrigierende Bemerkung oder ein genervtes Ausatmen. Mit den Methoden der neuen Partnerin werden nämlich gleichsam die filmischen Methoden des Sujets kritisiert. Wenn diese auf Zwischenfragen ihres Vorgesetzten wartet, stößt sie lediglich auf Stille, wenn sie dessen Tathergangs-Rekonstruktion mit dem Smartphone zu filmen versucht, verliert er endgültig die Fassung. „Tatorte“ ist die postmoderne Dekonstruktion des 20:15-Uhr-Krimis und dabei ebenso neunmalklug wie unaufrichtig. Petzold scheint sich streckenweise sogar an seinem eigenen Film zu langweilen und trägt seine Abscheu über Meuffels offen zur Schau. Maximal zynisch ist auch der Abgang seiner neuen Partnerin, deren Tod lediglich Bewandtnis für die Charakterentwicklung des Kommissars hat. Der darf dann mit seiner Herzdame selig in einem schlechten Laurel und Hardy-Sketch schwelgen und alles ist gut. Wäre es stattdessen nicht Subversion genug gewesen, den Sendeplatz mit einem guten Film zu okkupieren? Und all die Kritik dadurch zu äußern, es einfach besser zu machen als diejenigen, die man kritisiert?

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    • Der eisige Windhauch, der aus den angestaubten Schnitträumen der Berliner Schule zu dringen scheint, ist gar nicht so eisig. Aus den formalen Selbstbeschränkungen dieser lose miteinander assoziierten Filmemacher, die vielleicht eher eine Philosophie des Kinos eint, auch gleichermaßen emotionale Kälte abzuleiten, wäre grob fahrlässig, Und es entginge einem eine Vision vom Kino, die gerade in der deutschen Kinolandschaft ein Gegengewicht zu verfilmtem Geschichtsunterricht oder Komödien über Männer und Frauen bilden könnte, indem es Platz für die Zwischenräume und Transitzonen menschlicher Biografien lässt. Jene Orte also, an denen das Gespenst sein Dasein fristet. Durch die Kino-Landschaften Petzolds geistert es seit jeher. Seine Figuren streifen durch diese Landschaften immer schwer nahbar, verloren, nicht wirklich da, nicht wirklich weg. Es wird schnell klar: das Kino Petzolds ist nicht nüchtern, sondern schüchtern.

      Intrinsische Charaktere, keine Extrovertierten oder Paradiesvögel, sondern in sich brodelnde, schüchterne Wesen, Einzelgänger, Grenzgänger bilden das Gravitationszentrum seiner Filme, laden sie auf. Seine Figuren wandeln auf Grenzen, bilden also eine Grenzerfahrung ab, schweben irgendwo im Dazwischen, harren in Zonen des Übergangs aus. Es geht immer um Gespenster, also die Vergangenheit und ihre Erfahrungen und wie sie in die Gegenwart hineinwirkt, um die Zukunft zu gestalten. Und es geht darum, wie sehr wir uns von unserer Vergangenheit gefangen nehmen, lähmen lassen; wie deterministisch unsere Leben vorgezeichnet sind, ob wir es auf Schienen durchfahren oder ob wir vor einer leeren Leinwand stehen. Mit der Vergangenheit sind die Schulden, mit denen wir beladen sind. Und da ist die Idee der Absolution und die Frage, ob wir sie erwarten sollen, sie erwarten dürfen.

      Mit den Hauptfiguren seiner Filme bin ich stets auf der Suche, oder auf der Flucht, manchmal ist das eine nicht vom anderen zu unterscheiden. Seine Filme zeichnet dabei eine eigentümliche impressionistische Qualität aus, wenngleich er sich bisweilen in expressionistischen Formspielen erprobt. Seine Figuren sind impressionistisch in dem Sinne, dass sie verschlossen bleiben, nach innen gerichtet. Jedes Zeichen, das nach außen dringt und anzeigen könnte, wie es um die Innenwelt der Figuren bestellt ist, gilt es deswegen umso begieriger, umso aufmerksamer zu deuten. Die Sichtung eines solchen Kinos – eines des aufmerksamen, proaktiven Auf-die-Suche-Machens – erfordert dementsprechend höchste Aufmerksamkeit. Petzold macht Angebote, gibt versteckt Hinweise, aber er hält die Tür immer nur einen Spalt offen.

      Seine Figuren sind in der Maskerade verfangen, spielen den anderen etwas vor, täuschen diese und sich selbst, manchmal verliert sich ihre Identität und sie stülpen sich eine neue über. Menschen sind dann nicht die, wofür wir sie gehalten haben. Das ist das allzumenschliche, dem Petzold stets mit schier unstillbarer anthropologischer Neugierde begegnet. Manchmal gehen die Menschen auch von uns, aber weigern sich die Szenerie zu verlassen. Sie werden zu Gespenstern. Wenn Petzold romantisch wird, dann können sich seine Figuren plötzlich ohne Spiel und ohne Falsch gegenüberstehen und miteinander sprechen, aneinander anblicken und nichts sagen; können sich aber dennoch erzählen, wie viel sie einander bedeuten ohne schüchtern zur Seite zu blicken. Hier liegt sein Versprechen an die Gespenster des Kinos: In der zwischenmenschlichen Begegnung überkommt man das Gespenster-Dasein, versichert sich seines Wertes, stiftet Sinn; oder man wird gemeinsam zum Gespenst.

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        Im Kern der Geschichte verbirgt sich ein fatales Missverständnis: Samuel (Robert Pattinson) will seine Angebetete aus den Fängen eines Kidnappers befreien, um sie dann an Ort und Stelle zur Frau zu nehmen. Doch diese hat, wie lästig, ihren ganz eigenen Willen. Die Damsel aus „Damsel“ möchte nämlich gar nicht gerettet werden. Stattdessen will sie einfach nur in Ruhe ihr Leben leben und hofft, ihr Glück in der Ehe gefunden zu haben - wären da nicht all die aufdringlichen Männer, die sich immer noch in den Zeiten eines John Wayne-Western wähnen. Diese wollen Penelope entweder erobern, besitzen oder auch zur Strecke bringen, sollten sich ihre Besitzansprüche an Penelope nicht verwirklichen lassen. „Damsel“ will also ein feministischer Western sein, tappt jedoch in dieselbe intellektuelle Falle wie seine radikalsten Ausprägungen im Netz.

        Die Frau stark zu machen, bedeutet nicht einfach den Mann schwach zu machen. Und Ungleichbehandlung löst sich nicht durch eine Invertierung solcher Machtstrukturen auf. Doch statt eines Nebeneinanders legt der Film vor allem eine neue Geschlechter-Hierarchie nahe. Penelope, trotz der Umstände wundervoll gespielt von Mia Wasikowska, steht über den anderen. Den Relikten eines totgeglaubten Genres tritt sie mit emanzipatorischer Entschlossenheit entgegen. Diese Asymmetrie drückt sich vor allem in der Charakterisierung der männlichen Figuren aus. Der zunächst als Protagonist installierte Samuel erweist sich als selbstsüchtiger Träumer, Parson Henry (David Zellner) versucht als rückgratloser Windhund lediglich zu überleben (und wird nach einem jämmerlichen Heiratsantrag abermals gedemütigt) und der Bruder ihres Mannes ist sich noch nicht ganz sicher, ob er Penelope nun umbringen oder doch zur Frau nehmen soll, um sie wie einen Gegenstand aus dem Erbe seines Bruders in seinen Besitz zu überführen. Selbst der Ureinwohner, der zu ihrer Rettung eilt, verschwindet im Morgengrauen mit ihren Pferden.

        Männer sind im Kern halt doch ziemliche Arschlöcher, und wenn sie nicht gewalttätig sind, dann sind sie schwach, gefühlsduselig, prinzipienlos oder schlichtweg verrückt. In solchen Typisierungen drückt „Damsel“ vor allem eine Rache- und Vergeltungsfantasie aus, durch die das progressive Grundanliegen des Feminismus plötzlich einen erschreckend erzkonservativen Anstrich bekommt. Als Rache für Dekaden von Filmen mit fehlender oder falscher weiblicher Repräsentation, bis hin zur blanken Frauenverachtung, gibt es nun Filme wie „Damsel“, die die Positionen ins Gegenteil verkehren. Dass der Film aus der Feder eines Brüder-Duos stammt, sollte hierbei nur im ersten Augenblick überraschen. Schließlich sind es nicht selten sich als politisch progressiv verstehende Männer, die in ihrem Kampf für die Geschlechter-Gerechtigkeit weit über das Ziel hinausschießen und aus deren bisweilen hysterisch betriebenen Zelebrierung der Frau sich eine dialektische Gegenbewegung ergibt, die in einer ebenso undifferenzierten Diffamierung des Mannes mündet. Von der Lust des männlichen Liberalen an der Selbstkasteiung mal ganz zu schweigen.

        Aus der reizvollen Prämisse, nämlich einer Frau, die den alten Gesetzen des Westens und den Konventionen der Zeit als unüberbrückbarer Widerstand begegnet, könnte sich sicherlich ein guter Film ergeben, zumal sich starke Frauenfiguren auch zu den entbehrungsreichen Zeiten der Westward Expansion historisch fundieren lassen. Aus dem feministischen Anliegen des Filmes ergeben sich aber leider zunehmend Akte der Demütigung und Verachtung, die kein Mann, also kein Mensch, verdient hat.

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          Schutt und Asche des zunehmend demolierten Nakatomi-Plazas interpretiert McTiernan als weiß-graue Winter-Landschaft und die hinabfallenden Wertpapiere als Schneeflocken. Zwei Geschiedene verlieben sich über die Ausnahmesituation neu und der Anti-Amerikanismus des Europäers wird durch eine Figur Lügen gestraft, die eigentlich nur irgendwo anders sein möchte und doch, oder gerade deswegen, über die Laufzeit des Filmes hinweg zur Ikone heranwächst. Bruce Willis bringt den Prototypen des Testosteron-schwangeren Actionstars seiner Zeit physisch auf Normalgewicht und all die Verletzungen zum Ausdruck, die bei Schwarzenegger und Stallone nur mit einem trockenen One-Liner quittiert wurden. Solche hat zwar auch McLane auf Lager, aber sie sind vor allem pointierter Galgenhumor angesichts hoffnungsloser Aussichten und nicht Ausdruck der eigenen Überlegenheit. Rickman spielt derweil alles außer einen Deutschen und bildet doch mit Leichtigkeit genau jenes Gegengewicht, das der stoische McLane benötigt, um über sich hinauswachsen zu können. Mit „Die Hard“ ist zum amerikanischen Actionkino eigentlich alles gesagt und der Reihe nichts weiter hinzuzufügen. Zugleich hat McTiernan einen erstklassigen Weihnachtsfilm inszeniert.

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            über Shoah

            So wie dies ein Film über das Erinnern ist, und damit gegen das Vergessen, so ist es ein Film der Gesichter. In ihren Konturen hält sich das Versprechen versteckt, der Erinnerung irgendwie fassbar werden zu können. Sie sind die Projektionsfläche, in ihnen finden also die Träume, die Ängste, das Denken des Zuschauers Ausdruck. Und sie sind schließlich des Filmemachers einzige Chance, denn sie gewähren Einlass, sie lassen die Dinge sichtbar werden, erzählen das, was in Worten keine angemessene Gültigkeit besitzt. Und sie grenzen an das, was nicht ausgesprochen werden kann, weil es zu gewaltig ist in seiner Erfahrung, aber auch in den Implikationen, die es birgt. „Shoah“ ist also nicht zufällig ein Interview-Film geworden, muss doch die Annäherung an nähere Geschichte auch immer über eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit dem Schicksal des Individuums erfolgen, weil erst in diesem die Konsequenzen politischer Prozesse sichtbar werden.

            Die Stimmen der Zeitzeugen werden von Claude Lanzmann voll ausgespielt. Der Film ist so lang, weil er sich die Zeit nimmt, all diesen Stimmen, in den Eigenheiten der jeweiligen Sprache, aber auch in den Eigenheiten der Sprechenden, einen Raum zu geben. Denn erst in Stimme und Sprache finden der Schmerz und der Horror der Erfahrung zu einem genuinen Ausdruck. Immer wieder ersticken die Stimmen in den Gesprächen, als stießen sie auf einen unsichtbaren Widerstand; etwas, das ihnen verbietet, weiterzusprechen, weil es zu tief führen würde. Dort liegt das Trauma begraben. In einer Schlüsselszene redet Lanzmann auf einen jüdischen Überlebenden ein, ein Friseur aus Israel. Er drängt ihn dazu, weiterzusprechen, schließlich müsse er weitersprechen, um das Vergessen zu verhindern. Der Friseur bittet darum, ihn nicht weiter zu drängen, die Erinnerung sei zu schmerzhaft. Schließlich lässt sich dieser doch dazu bewegen, seine traumatischen Erinnerungen weiter zu verbalisieren, unter Tränen. Lanzmann wird hier zum Geburtshelfer einer Erinnerung, die er durch seine filmische Arbeit gleichzeitig in das Kollektivgedächtnis seines Publikums überführt.

            Die Gesichter der Täter sind anders als die der jüdischen Opfer anonymisiert. Sie sind über einen zweiten, abgefilmten Bildschirm, der ein überbelichtetes, schlecht aufgelöstes Videobild einer versteckten Kamera zeigt, entrückt und verzerrt. Es macht die Gesichter der Täter unwirklich und monströs und ironischerweise ist diese Form der Repräsentation in gewisser Weise ein selbst gewähltes Schicksal. Die meisten von ihnen möchten nicht gezeigt werden, nur unter falschem Namen im Film auftreten. Es drängt sich natürlich die Frage auf, wer denn nun Verantwortung übernimmt, wenn jeder nur ein kleines Zahnrad in einem größeren System war, jeder nur auf Befehl gehandelt und jeder nur mitgemacht. Das ist aus der Perspektive des Zuschauers (auch als Zuschauer der Geschichte) so frustrierend, wie es beängstigend ist, weil es einen Wesenskern des Menschen offenbart, der alledem widerspricht, an das man glauben möchte. Und weil auf die Fragen nie befriedigende Antworten gefunden werden (können).

            Es verbleibt ein vernichteter Glaube, restlos ausgelöscht. Verlassen von der Welt, verlassen von der Menschheit. Lanzmann tritt den Zeitzeugen nicht mit der moralischen Überheblichkeit gegenwärtigen Wissens entgegen, also aus der Gewissheit eines historischen Danach heraus, er fragt nicht nach einer moralischen Beurteilung der Täter selbst, sondern scheint solche weitergehenden Fragen als Nebenprodukt eines zunächst einfachen Rekonstruktionsprozesses fragmentarischer Erinnerungen zu begreifen. Auch hier sprechen die Gesichter, und sie sprechen zu jedem anders, deshalb sind sie natürlich eine Projektionsfläche. Ich möchte in den Gesichtern der Täter bisweilen Reue erkannt haben, stilles Schuldbewusstsein, das nagt, das vor der Kamera aber nicht ausgesprochen werden kann; denn würde es laut ausgesprochen, könnte es Wirklichkeit werden. Die Kamera muss zur Stelle sein, wenn die Worte nicht genügen, die Sprache an ihre Grenzen gerät. Und nichts bleibt als der Ausdruck einer Erinnerung, die nicht erinnert werden will.

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              [...] Die Kamera fungiert im dokumentarischen Film als Erkenntnis-Apparat. Hier fungiert diese jedoch zuvorderst als eine Art Erinnerungsmaschine, die eine subjektive Erfahrung technologisch zu fixieren versucht. Später erklärt Hiroshi, dass er sich selbst in den Aufnahmen kaum wiedererkennt. Stattdessen sei es so, als schaue er einem Fremden dabei zu, wie er mit seinen Kindern spiele: „When I see myself in pictures or in videos, I just can't recognise that person as me. I have no impression of having been there. It's like I'm watching a film made about someone other than me. I think maybe someone who looks like me is playing at being me'” - Denn es ist am Ende eben doch nur eine Kamera, die die hochkomplexe sensorische Erfahrungswelt von Hiroshi wiederzugeben versucht, Bild und Ton zu einer Einheit verschmolzen, zwei von fünf Sinnen, eine Repräsentation, in anderen Farben und anderen Auflösungsraten. Wie soll die Komplexität der Welt, geschweige denn die Komplexität sensorischer Wahrnehmung hier angemessen Ausdruck finden? Sie kann nur repräsentiert werden - abstrahiert, vereinfacht, heruntergebrochen. [...]

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                Gestatten: Mr. Deeds (Gary Cooper). Ein bodenständiger, junger Mann vom Land. Ein anständiger Kerl. Die Zeiten sind hart, aber Mr. Deeds begegnet ihnen mit dem ungebrochenen Optimismus eines Idealisten, der bei allen Anstrengungen des (Über-)Lebens in der wirtschaftlichen Krise die Freude am Dasein nicht verlernt hat. Tuba-spielend begleitet er seine eigene Abschiedsfeier aus dem heimatlichen Nest, das er verlässt, nachdem ihn eine Gruppe Anwälte darüber unterrichtet, dass er alleiniger Erbe eines Vermögens geworden ist - zwanzig Millionen Dollar warten auf ihn. Das Geld führt ihn in die Stadt, jenen urbanen Raum, der in Capra-Filmen bestenfalls Unheil und schlimmstenfalls Verderben bedeutet. Das Verderben deutet sich an, nachdem Mr. Deeds erkennen muss, in welch korrumpierten, menschlichen Sumpf er gestolpert ist. Die Presse zerreißt jeden seiner öffentlichen Auftritte und nach einem gemeinsamen Abendessen zeigt er sich enttäuscht von der künstlerischen Elite der Stadt, die für seine Gedichte nichts als beißenden Sarkasmus übrig hat. Mit ein paar kräftigen Kinnhaken versucht er ihnen die Arroganz aus dem Leib zu prügeln.

                Denn auch das ist ein Markenzeichen des kleinen Mannes aus Capras „Little-Men“-Trilogie: wenn Sprache und Institutionen Gewalt ausüben können, dann können es die guten, alten Fäuste erst recht; und wenn man auch kein Intellektueller ist, so gelangt man doch mit ganz eigenen Worten zu profunden Einsichten über das menschliche Miteinander. Mit der Zeit wirkt der (bisweilen seltsam geartete) Humanismus von Mr. Deeds entwaffnend auf das elitäre Umfeld, in das er geworfen worden ist. Louise (Jean Arthur), die zynische Reporterin, die ihm nachspionieren und auf seine Kosten Schlagzeilen produzieren soll, verliebt sich in ihn. Der Zynismus verliert bei ihm seine Strahlkraft. „And I got to thinkin' about what Thoreau said: "They created a lot of grand palaces here, but they forgot to create the noblemen to put in them"“ bedauert Mr. Deeds in einer Szene. Mit den Nobleman ist natürlich auch er selbst gemeint.

                In einer Schlüsselszene wird Mr. Deeds in seiner Villa von einem Farmer mit einem Revolver bedroht, ein Sinnbild für die Verlierer der Great Depression. Dieser macht Mr. Deeds als Repräsentant der vermögenden Elite für seine persönliche Misere mitverantwortlich. Mr. Deeds erkennt allmählich, dass er in die Lage versetzt wurde, über die Ressourcen der Elite zu verfügen, ohne ihrer Klasse im sozialen Sinne anzugehören. Eine der Chancen, die diese Lage birgt, ist aus ihr heraus für gesellschaftliche Gerechtigkeit einzustehen und das eigene Vermögen zur Schaffung eines Friedens zwischen den Klassen wirksam zu machen. Er beginnt damit, den Arbeitslosen der Stadt die Papiere für eine 10 Hektar große Farm auszustellen, wenn diese sich im Gegenzug dazu bereit erklären, diese für mindestens drei Jahre zu bewirtschaften. Er erkennt also, dass die einen zu viel haben und die anderen zu wenig. Und er erkennt die Verantwortung an, die deswegen jenen zukommt, die im freien Wettbewerb am Ende als Gewinner dastehen. Er beginnt gewissermaßen damit, seine eigene New-Deal-Politik zu betreiben, angeleitet von der Idee der Agrarian Ideals.

                Trotz alledem ist Mr. Deeds jedoch alles andere als ein linker Revoluzzer; er ist nicht einmal wirklich kritisch gegenüber dem Kapitalismus und seinen Auswüchsen, sondern möchte die Ungerechtigkeiten, die im kapitalistischen Wirtschaftssystem nichtsdestotrotz entstehen, über einen tugendhaften Individualismus zivilisieren. Das bedeutet: der Einzelne muss das Richtige tun. Und das Problem ist nicht der große Reichtum, sondern nur, wie der Reiche mit ihm umgeht. Mr. Deeds propagiert damit eine Art solidarischen Kapitalismus nach dem Vorbild Andrew Carnegies, welcher als einer der reichsten Männer der Weltgeschichte damit begann, seinen Reichtum über gemeinnützige Projekte an die Gemeinschaft zurückzuführen. Die Kritik am Kapitalismus, die in der Prämisse der Erzählung schlummert, sowie die Kritik an der Elite, die Mr. Deeds sichtlich befremdet, werden auf einen wirtschaftsliberalen Grundappell heruntergebrochen. Systemische Fragen werden nicht weiter verfolgt dort, wo das System nicht das Problem ist, sondern immer nur der Einzelne, der darin agiert. Kurzum: Wenn jeder wie Mr. Deeds wäre, wäre die Welt ein besserer Ort. Und das Leben im Konjunktiv wäre ein schönes, wäre es nicht im Konjunktiv.

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                  Er ist der Künstler. Sie ist die Welt. Sie ist der Bezugspunkt der Kunst, der Ursprung der Inspiration. Die herausfordernde Melange besteht darin, zwischen den eruptiven Rauschzuständen, der wunderbaren Leichtigkeit der Improvisation mit der Welt und den kontrollierten Rahmenbedingungen des Kunstschaffens einen annehmbaren Kompromiss auszuhandeln. Und die Welt dabei nicht zu verlieren in ihrer an sich seienden Form, oder zumindest in einer Form, die nicht gänzlich im Sinne des Künstler-Blickes umgestaltet und verformt worden ist, indem sie vermessen, bürokratisiert, kategorisiert wurde. Es gilt die Wahrhaftigkeit nicht zu verlieren, sondern sie ins Artifizielle zu überführen. Das heißt sie nicht zu zerstören im Prozess, sondern sie zu veredeln. Dann wohnen der Kunst sogar transformatorische Kräfte inne: "In his work I become perfect." „Phantom Thread“ ist perfekt. Und Anderson muss sich schon lange nicht mehr ehrfürchtig verbeugen vor den Größen der Vergangenheit. Er erzählt eine universelle Geschichte, die doch ganz spezifisch ist in der Ausgestaltung seiner Figuren und ihren Eigenheiten. Zugleich ist dies eine wunderbare Liebesgeschichte über eine Liebe, die wirklich die gesamte Laufzeit braucht, um beidseitig entstehen und beidseitig akzeptiert werden zu können.

                  Er ist umrandet von Opportunisten, Mäzenen, Verehrern, Anhängseln, ökonomischen Notwendigkeiten; bis sie sein Leben streift und die ungebrochene Lebensfreude auch dann nicht verliert, wenn er sie einzuhegen, zu domestizieren versucht. Schon am ersten gemeinsamen Abend macht er sie zum Gegenstand seiner Kunst, er vergegenständlicht das Subjekt, weil es sich seiner Kontrolle und den prüfenden Blicken seiner Bürokraten (Lesley Manville) hier nicht entziehen kann. Aber sie ist nicht das Opfer. Sie ist gleichermaßen fasziniert von dem, was er in ihr sieht. Sein Blick ist sinnstiftend. Und der Film bricht die etablierte Asymmetrie der Beziehung sukzessive auf. Liebe entsteht hier an den Punkten des Widerstandes, der Reibung, nicht in der Dominanz, im Sieg des einen über den anderen. Stattdessen gilt es die Macken, die seltsamen Angewohnheiten, den Fetisch und die Idiosynkrasien des Anderen in all seinem Menschsein anzunehmen und aus dem Kampf gegeneinander, für die gemeinsame Sache, einen Lustgewinn zu generieren. Der Film endet in einem Happy Ending, denn Zynismus war eigentlich nie Andersons Sache. Er lernt die Kontrolle abzugeben, sie zähmt ihn, kanalisiert sein Genie. Und sie darf in seiner Kunst so etwas wie Sinn erfahren.

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                    Mit „22 July“ liefert „Based on true Events“-Spezialist Paul Greengrass so ziemlich genau das, was von ihm im Vorfeld zu erwarten war: gut funktionierende Handkamera-Bilder im Nah-dran- und Mittendrin-Modus, ein rhythmisierender Schnitt und gut geführte Schauspieler lassen den Terroranschlag auf Utøya und Oslos Regierungsbezirk im Jahre 2011 aus der allerersten Reihe fast in Echtzeit mitverfolgen. Der Fokus liegt dabei gleichermaßen auf Breivik, wie auf einer kleinen Gruppe von Überlebenden, was mancherorts zu empörten Reaktionen führte. Die Opfer der Anschläge würden vor allem als anonyme Masse porträtiert, Breivik zu viel Plattform gegeben. Solche Stimmen zeichneten sich vor allem durch eine inzwischen obligatorisch gewordene moralische Überheblichkeit aus. Stattdessen sollte sich im Umgang mit Filmen wie „22 July“ mal ehrlich gemacht und die eigene moralische Scheinheiligkeit abgelegt werden: Ich schaue Filme wie diese selbstverständlich aus Schaulust und Sensationsgier – und ich bezweifle, dass ich damit alleine bin. Statt des Gaffens am Straßenrand darf sich bei filmischen Rekonstruktionen realer Begebenheiten allerdings noch schön in die Decke eingemummelt werden und das ganze Grauen, das ist irgendwie so ähnlich tatsächlich irgendwo passiert, aus nächster Nähe (und doch aus sicherer Distanz) bestaunt werden. Und die Faszination geht natürlich vom Täter aus und weniger von den Opfern, weswegen Greengrass Interesse an diesem vor allem aufrichtig ist.

                    Das Grauen, die Zuspitzungen menschlichen Verhaltens, üben eine ungebrochene Anziehungskraft aus. Horrorfilme funktionieren (auch) nach genau diesem Prinzip: dem Grauen, im Film sichtbar gemacht, in die Augen blicken. Nun bedient sich Greengrass am Grauen der Welt und es drängt sich die Frage auf, wo nun die Fiktion liegt – wo sie beginnt und wo sie aufhört. Wo beschreitet ein Film, der sich konkret auf reale Begebenheiten bezieht, die moralische Trennlinie zwischen geschmackvoller und geschmackloser Unterhaltung? Jeder Filmemacher bezieht sich auf die Welt, die er in einer Repräsentation wieder zusammensetzt, wie offenkundig muss der Bezug zur Realität also sein, um den Filmemacher in die Lage besonderer Verantwortung zu versetzen? Das Fehlen einer klaren Antwort auf solcherlei Fragen macht nur das ganze Ausmaß der moralischen Scheinheiligkeit sichtbar, mit der sich im kritischen Umgang mit solchen Filmen geschmückt werden soll, ohne sich das Nacherleben der Tragödie entgehen lassen zu müssen. Erst sabbernd über zwei Stunden in den Zügen eines Massenmörders nach einer Regung suchen und dann die fehlende Sensibilität Greengrass zu kritisieren, ist maximaler Selbstbetrug. Die Schaulust ist eine zentrale Triebkraft des Kinos generell. Und sie ist immer schuldig, nie unschuldig. Aus einer eben solchen moralischen Ausgangslage gilt es auch einen Film wie „22 July“ zu betrachten.

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                      Was Jackie Chan besonders macht? Nun, danke, dass sie fragen. Zunächst: kämpfen. Das kann er wirklich ausgesprochen gut. Fausthiebe, Handkantenschläge, Tritte, Tiger-Style, Kranich-Style, das ganze Programm. Hinzu kommt ein unvergleichlicher Instinkt fürs Humoristische, oder genauer: für körperbetonte Komik. Hier spricht Jackie nur mit seinem Körper, wie ein Tänzer, nur, dass die Tänzer in Jackie Chan-Filmen auch hin und wieder Schellen verteilen. Sein Gesicht hat bei diesen Kämpfen immer die lustigsten Ausdrücke; entweder die Backen aufgebläht, der Mund zu einem erstaunten O geformt oder die Zähne vor Schmerzen zusammengebissen. Scheiße, tat das weh! Natürlich sind diese Fähigkeiten nichts wert, wenn derjenige, der die Kamera auf ihn richtet und derjenige, der das Material anschließend in einer Montage filmisch fruchtbar machen soll, nicht wissen, was sie tun. Jackie Chan ist nicht der gebrochene Charakter, den schon das "Police Story"-Franchise irgendwann aus ihm machen wollte. Dazu fehlt es Jackie an Talent, das er an anderer Stelle im Übermaß besitzt. Damit seine Talente nicht auf dem Boden des Schnittraums enden, muss verstanden werden, welche Erfordernisse dessen Fähigkeiten und dessen manischer Hang zum Perfektionismus an den Schnitt stellen.

                      Wo die Fähigkeiten echt sind, muss – ganz im Gegensatz zum sonstigen Sinn filmischer Arbeit - nicht so getan werden, als ob, sondern nur noch Strategien entworfen werden, die ebendiese Fähigkeiten am besten herausstellen. Jackie Chan zu schneiden, heißt nicht zu schneiden, sondern sich zurückzunehmen. Dessen Charaktere brauchen darüber hinaus auch keine tragische Hintergrundgeschichte; zumindest keine, die Jackie heulen, soll heißen: spielen lässt. Das exaltierte Gesichts-Gulasch ergibt im sinnlichen Faust-Ballett eine eigentümliche, humoristische Ausgleichsbewegung, wird aber die selbe Visage plötzlich in die Lage versetzt, existenzielle Krisen glaubwürdig ausdrücken zu müssen, werden die Grenzen eines sehr spezifischen Fähigkeiten-Katalogs erreicht. „The Foreigner“ will unbedingt Drama sein, wenn er viel zu viel Zeit darauf verwendet, Tragik und Motivik eines letztlich doch unfassbar langweiligen Charakters auszugestalten (Vergangenheit bei der Elite der Elite etc. pp.). Martin Campbell versteht Jackie Chan als Schauspieler grandios falsch: Jackie Chan muss tanzen, um zu einem genuinen Ausdruck zu gelangen. Vielleicht könnte er dann sogar die existenzielle Krise seiner Figur in einen einzigen Fausthieb verpacken.

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                        Wanda dominiert, die anderen lassen sich dominieren. Sie ist die Herrin, der die anderen zu gehorchen haben. Das Schicksal ihrer Sklaven ist dabei selbst gewählt: sie wollen geschlagen, bespuckt und erniedrigt werden, sie wollen kein Mensch mehr, sondern Kreatur, niederes Getier, bisweilen sogar Objekt sein. Manche wollen verschwinden, unsichtbar werden, bis zur Selbstaufgabe und im radikalsten Falle bis zur Selbstvernichtung. Sadomasochismus operiert mit invertierten Luststrukturen und sucht gerade die Asymmetrie in der zwischenmenschlichen Beziehung. Mehr noch als eine Krise der Männlichkeit lässt sich im lustvollen Spiel mit dem Schmerz, der Verachtung und Unterwerfung eine Krise des modernen Menschen per se diagnostizieren. Dieser leidet unter dem Erbe einer Freiheit, die er nie selber erringen musste. Jede offene Option birgt die Aussicht einer falschen Entscheidung, jedes Unglück die Aussicht, selber dafür verantwortlich zu sein. Die Albträume des modernen Menschen führen auf kürzestem Wege in die Selbstverantwortlichkeit und damit geradewegs in die Selbstverschuldung. Wanda fungiert als stabilisierende Kraft in einer Welt, die sich stetig verändert. Ihre Erniedrigungen sind ein Ausweg aus der überwältigenden Verantwortung, die der Freiheit stets anhaftet. Sie wird zu einer göttlichen Instanz in einer religiös erkalteten Gesellschaft. Sich Wanda zu überantworten bedeutet auch gleichzeitig den Rückzug in eine voraufklärerische Zeit und die Wiederherstellung einer selbst verschuldeten Unmündigkeit. Und hinter der Sehnsucht nach Strafe scheint vor allem die Gewissheit zu stehen, sich schuldig gemacht zu haben. Der (post-)moderne Mensch steckt tatsächlich in der Krise. Und er vereinzelt sich zusehends. Er hat Zugang zum gesammelten Wissen der Welt und agiert doch nur gelähmt angesichts ihrer überwältigenden Komplexität; und der Schuld, die am Grund der überwältigenden Leiden liegt, die er mitzuverantworten hat. Wie schön wär's also, Sadomasochist zu sein. Wie himmlisch die Aussicht, wie himmlisch die Unfreiheit.

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                          über Luz

                          „Luz“ ist in jedem Fall ein genuin filmisches Erlebnis. Mit einer Zusammenfassung inhaltlicher Eckpunkte ist dem Film also kaum beizukommen. „Luz“ ist gleichermaßen die penible Rekonstruktion eines vergangenen Kinos, mindestens einer vergangenen Kinoästhetik und damit natürlich Bestandteil jener Retromanie, die die westliche Filmwelt im Allgemeinen und das Horrorgenre im Besonderen seit mehreren Jahren fest im Griff hat. Neben dem 80er Jahre-Kino, gesteht „Luz“ auch dem 70er Jahre-Kino seine Liebe. Das tut er detailversessen: der richtige Teppich, die richtige Tapete, das richtige Möbelstück, die Klamotten (Sneakers und Cap, ausgelatscht und ausgetragen) verschmelzen hier zu einer Zeitkapsel. Derweil wummert der Synthwave-Score, jedoch mehr hintergründig und akzentuiert als in vergleichbaren Filmen – wenn es denn solche überhaupt gibt. Bildfehler, Farben, Formen, Klänge, 16mm-Filmmaterial, sie alle sollen an die Vergangenheit gemahnen, Referenzgrößen bereitstellen, an denen es sich dann, zwangsläufig, zu messen gilt. Inhaltlich bleibt vieles abstrakt, angedeutet, unausgesprochen, stattdessen wird das Gesprochene in Schleife geschaltet, im Mantra repetiert. Wenngleich man kruden Vorstellungen davon, Filme könnten anhand von Checklisten abgehakt und danach als Summe solcher Checkpunkte bewertet werden, nur allzu schnell eine Absage erteilen möchte, kommt man doch nicht umhin, nach dem Inhalt des Filmes zu fragen. Bricht er sich an der Oberfläche Bahn? Ist er nur Oberfläche und will genau das sein? Thematisiert er eben diese Oberfläche? Für eine rein ästhetische Erfahrung ist „Luz“ dann doch zu sehr darum bemüht, kausale Handlungszusammenhänge darzustellen und am Ende so bedeutungsoffen und vage, dass er sich eigentlich jeder Interpretation dienbar machen lässt. Oder: er ist so leer, dass er mir die Freude an der Interpretation genommen hat.

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                            Das Ende des Filmes ist spektakulär: Hier liest sich „Das Parfum“ als profunde Allegorie auf den Prozess des Kunstschaffens und begreift seinen Protagonisten unmissverständlich als Künstler-Figur. Nach all der Hingabe und all den Entbehrungen, die Grenouille auf der Suche nach dem vollendeten Kunstwerk in Kauf nahm, muss dieser erkennen, dass der eigentliche Gegenstand seiner Kunst (das Subjekt) im Laufe des Prozesses abgetötet wurde. Er war beseelt von der Idee einer vollendeten Kunst, die die weltliche Erfahrung im Kollektivgedächtnis ihrer Rezipienten in die Ewigkeit trägt. Die überwältigende Wirkung, die von seiner Kunst ausgeht, indiziert ihre Grundlage, ihre Inspiration, ihre weltliche Substanz, musste sie sich aber gleichzeitig einverleiben. Hier ist die Kunst zerstörerisch, gewaltig und gnadenlos. Und sie bezeugt eine gewisse Weltvergessenheit, weil sie den Künstler, der die Welt in einer Abstraktion umso intensiver lebt, einsam macht. Am Ende steht er mit seinem Kunstwerk dar, einem Meisterwerk, ganz ohne Zweifel, und ihm bleibst angesichts dieser erschütternden Erkenntnis nicht anderes übrig als sich und sein Kunstwerk der Hysterie der Massen zu überantworten. Er möchte sagen „tötet mich, tilgt mich von dieser Welt, denn ich bin nichts als ein Blender, meine Kunst ist grausam“. Zu spät begreift er um den Wert der Vergänglichkeit, die er die ganze Zeit zu bekämpfen suchte. Er wird nicht von den Massen verschlungen, sondern von seiner eigenen Kunst. Das ist fucking Poesie.

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                              Spike Lee hat nichts verstanden. Gemäß der „just a few bad apples“-Theorie lösen sich die eigentlich tiefen, strukturellen Probleme im US-amerikanischen Polizeiapparat bei diesem in wohliger Heiterkeit auf. Gerade derjenige Kollege, der Detective Ron Stallworth (John David Washington), dem ersten farbigen Cop im Colorado Spring Police Department, andauernd mit rassistischen Anfeindungen begegnete, wird gegen Ende des Filmes mit den gebündelten Kräften aller Kollegen aus dem Verkehr gezogen. Zuvor inszeniert Lee die Atmosphäre im Polizeirevier in einer fast schon parodistisch anmutenden Szene als absolutes Toleranz-El-Dorado – da wird sich geknuddelt und geherzt als gäbe es kein Morgen mehr, nachdem die Titel-gebende Infiltration des Ku Klux Klans durch Stallworth und sein Team, darunter der jüdische Detective Flip Zimmerman (Adam Driver), erfolgreich abgeschlossen wurde. Der Weg dorthin ist, selbst wenn man die ideologischen Frontlinien des Filmes kurz beiseite schiebt und sich ganz auf die Tugenden klassischen Unterhaltungskinos besinnt, erschreckend flach und tempoarm erzählt und von Lee fast durchgehend mit den erwartbaren musikalischen Einlagen beschallt.

                              In einer Parallelmontage zwischen den Black Panthers und einigen Kapuzen-Affen des KKK macht sich das fehlende Differenzierungsvermögen Lees besonders bemerkbar. Während die Mitglieder des Klans begeistert „The Birth of a Nation“ schauen und der Propaganda des Filmes völlig erliegen, hören die Anhänger der Black Panther- und Studenten-Bewegung einen Augenzeugen an, der die grausame Ermordung eines Freundes durch einen weißen Lynch-Mob im Jahre 1915 schildert. Die Legitimationen sind hiernach klar erteilt und das inbrünstige „Black Power!“ umso verständlicher. Dass propagandistische, vor allem an der Eskalation interessierte Kräfte auch dort an einer zunehmenden Polarisierung und Zuspitzung des Rassenkonflikts interessiert sind oder sogar die ethnopluralistischen Konzepte ihrer politischen Feinde begrüßen, tritt dabei in den Hintergrund. Eine wirkliche, kritische Distanz zur Black Panther-Bewegung wird angedeutet, steckt aber bis zum Ende des Filmes in den Kinderschuhen – und wird bisweilen sogar relativiert.

                              Der KKK ist derweil ein einfaches Ziel für all diejenigen, die sich einmal richtig wohl dabei fühlen möchten, sich auf der richtigen Seite zu wähnen. In der Abgrenzung zu den Schwachmaten des Klans darf jeder moralisch glänzen. Und ganz am Ende darf man sich dann nochmal richtig schön unwohl fühlen, wenn die Demonstrationen in Charlottesville gezeigt und die Themen des Filmes in der Gegenwart verortet werden. So ein bedrückendes Ende für einen doch so kauzigen Film. Charlottesville macht betroffen und schockiert, Trump sagt die Worte, die Trump eben sagt, dazu lässt sich dann kopfschüttelnd im Kinositz rotieren. Zu alledem ist angenehmerweise auch keine gedankliche Eigenleistung vonnöten, sondern man darf sich ganz seinen Emotionen hingeben – denn das ist ja auch das Kino: Emotionen! Und wenn man diese nicht dort zeigen darf, wo dann?

                              Alle Verfehlungen lassen sich so leicht von sich weisen, wenn man sie auf klare antagonistische Kräfte projizieren kann. Der Film unterbreitet genügend Angebote dazu und das Publikum nimmt sie mit betroffener Miene gerne an. Der Film erinnert in seiner Einfachheit an del Toros „The Shape of Water“, ohne über dessen filmästhetischen Reize zu verfügen. Aber es ist auch ein Film, der nichts bewegt, nichts anstoßen und keine Gedanken wirklich beeinflussen wird. Dazu müsste auf Seiten Lees erst einmal ein wirkliches Erkenntnisinteresse bestehen. Der Rechte fühlt sich bei „BlackkKlansman“ verarscht, der Linke darf klatschen. Und jeder ist so sehr in der eigenen identitätspolitischen Agenda verfangen, dass ein Diskurs zur Unmöglichkeit gerät. Dieser Film zeigt nur: Spike Lee hat nichts verstanden. Der Erfolg bei den Oscars dürfte ihm mit diesem durch und durch populistischen, und damit absolut zeitgemäßen Film jedoch sicher sein.

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                              • Im Winter diesen Jahres läuft im Ersten Petzolds Abschluss seiner Polizeiruf-Trilogie - interessanterweise unter dem Titel "Tatorte":

                                „There is a book by Joel Sternfeld called On This Site [he gave German title, Tatort] that has beautiful images of houses, and underneath each image there is a caption that says something like, “This is where John Downey was shot,” and “Here so and so was run over.”3 And suddenly these spaces have a real aura. When one goes through a German pedestrian zone or a German mall, one should have the feeling that there is somehow an idea, a ghost, a phantom in these places—maybe just the ghost of the architect or the developer. But something has to be at work behind the space. Tarantino manages to do that in the most unlikely places. In his Jackie Brown, there is this really disgusting shopping mall—as I find all these malls disgusting—but nonetheless, in the escalators and in the people who eat there, there is an idea, an idea of a way of life. So spaces have to have soul—not just as background. And if they do not have something like [a soul], if the spaces are completely ugly and broken, then the kiss that the lovers have there has to transform that space, has to enchant it. Yes, with magic. There’s a poem by Eichendorf that I always find fantastic and that I liked even as a child: “A song is sleeping in all things” (“Schläft ein Lied in allen Dingen”). That means that in all things, something is sleeping; one just has to be able to see it. I always say that to myself before I shoot. One really cannot forget that.“
                                (Christian Petzold in A Ghostly Archeology, S. 166-167)

                                https://www.br.de/presse/inhalt/pressedossiers/polizeiruf/polizeiruf-brandt-meuffels-tatorte-100.html

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                                  über Thelma

                                  Der furchterregendste Horror ist jener, der ganz tief in dich einkehrt und etwas in dir berührt, von dem du hofftest, es bliebe auf ewig unentdeckt. Horror weist also, im besten Falle, über sich hinaus, zumindest über die Oberflächenreize, das Blut, die Gedärme, das Moment des Erschreckens. Im besten Falle versteht ein Filmemacher das Horrorkino nicht als bloßen Katalog von Erwartungen und Formspielen, denen es eine Entsprechung zu liefern gilt. Die Bilder des Horrors gemahnen an die eigenen Alpträume, die dunkelsten Fantasien, die gewaltigsten Traumata, sobald sie allegorisch lesbar werden. Auch die Bilder in „Thelma“ sind das Resultat eines filmischen Übersetzungsprozesses, ohne sich in einem abstrakten Bilderreigen gefallen zu wollen.

                                  Der wahre Horror bekommt gerade durch seine klare Verortung in der modernen, zunehmend digitalisierten Alltagswirklichkeit seine Dimension: der Kursplan der Tochter ist für die konservativ-religiösen Eltern ständig online einsehbar, in der Facebook-Timeline wird jeder neue, soziale Kontakt unmittelbar sichtbar gemacht. Thelma leidet unter ihrem digitalen Echo und der erzeugten Transparenz gleichermaßen, wie es ihrem schüchternen Wesen erlaubt, sozial Anschluss zu finden. Es macht sie unfrei und bewahrt sie gleichzeitig vor der Einsamkeit. Umso stärkeren Reiz löst es für sie deswegen aus, ihre ersten sexuellen Erfahrungen fernab ihres Elternhauses für sich zu behalten. Ihr gespaltenes Verhältnis zur technisierten, zunehmend algorithmisierten Welt zerreißt sie.

                                  In einer Welt, die sich immer weiter de-materialisiert, jeder zum Kurator seiner Selbst(-Fiktion) wird, erlauben es Thelmas neu entdeckte Fähigkeiten sogar einen Schritt weiterzugehen. Sie kann den Menschen aus den Dimensionen herauslösen und ganz für sich behalten. Für sie setzt sich mit ihren Entdeckungen ein unaufhaltsamer, gnadenloser Emanzipationsprozess in Gang. Thelmas Vater verbrennt (oder ertrinkt) in der Folge grausam im See, die Mutter erfährt das Wunder wieder laufen zu können. Indem sich Thelma auf radikalste Weise von ihrem gleichermaßen aktivistischen, wie verängstigten Vater emanzipiert, eröffnet sie ihrer Mutter die Chance, einen ähnlichen Prozess zu durchlaufen. Die Welt verliert in der Folge seine feste Form, strukturelle Zwänge lösen sich auf. „Thelma“ lebt den Traum eines absoluten, kompromisslosen Freiheitskonzeptes. Koste es, was es wolle.

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                                    Freud-Enthusiasten, sowie Lack&Leder-Aficionados kommen hier gleichermaßen auf ihre Kosten: im begrenzten Raum des Fahrstuhls gleiten die Blicke zweier Frauen (die eine mit ihrem Mann, die andere mit dem Blue Steel) lustvoll aneinander herab, während der Mann (Caesar, der Mobster) nicht realisiert, welche ungeheuerlichen Begehrlichkeiten hinter seinem Rücken an Form gewinnen. Wenig später sind die Frauen ganz unter sich. Violet, die prototypische Trophy Wife, erzählt von den Erinnerungen an ihren Vater, Corky, der prototypische Tomboy, hört ihr zu. Die geschickten, kräftigen Hände ihres Vaters aus der Erzählung von Violet finden dabei in denen von Corky ihre bildliche Entsprechung. Alles zwischenmenschlich-psychologische scheint sich offenkundig aufzutun: Violet war ein Vaterkind, Corky wird folglich zur Vaterfigur, auf die sich alles Begehren richtet. Violet ist das schutzbedürftige Damsel in Distress, Corky die Heroine, die alle möglichen maskulinen Attribute auf sich vereint und deswegen genauso gut Mann, statt Frau sein könnte. Natürlich ist dem schlussendlich überhaupt nicht so. Corky zeigt ebenso eine zärtliche, weibliche Seite, wird von Violet verführt und gibt sich nach den ersten Annäherungsversuchen ganz ihrer Lust hin. Violet wird hier zur Verführerin, die ihre sexuelle Beute wie ein Raubtier umkreist und dann zuschlägt. Gleichzeitig weiß sie im Machismo-Kosmos ihres Mannes ganz genau, wann sie sich devot auf die Lippen beißen muss, das Dekolleté nach oben schieben, um den Mafiosi die Gelegenheit zu bieten entweder ihre physische Überlegenheit zu demonstrieren oder sich als ihre Beschützer aufzuspielen. Die sexuelle Konstellation zwischen Violet und Corky will dabei niemand wahrhaben: selbst Caesar stockt zwar der Atem als er seine sichtlich überraschte Frau mit Corky in der halbdunklen Wohnung sieht, kommentiert dann aber murmelnd, nachdem er erkennt, dass Corky kein Liebhaber im Unterhemd, sondern eine Frau im Tank-Top ist, wie dunkel es doch in der Wohnung sei. Die Vorstellung einer gleichgeschlechtlichen Liebe, zumal in seinen eigenen vier Wänden praktiziert, erscheint so absurd, dass sie sogar den Vorzug gegenüber der eigenen Wahrnehmung erhält. - Ignorance is bliss.

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                                      Der Score poltert wirklich bis zur Schmerzgrenze. Bei jeder gewalttätigen Eskalation rumort es auf der Soundspur wie in einer schlechten Horrorfilm-Parodie - maximal funktional, aber leider auch maximal anstrengend. Douglas und Paltrow kommen als längst entzweites, sich skeptisch beäugendes Ehepaar derweil ziemlich gut. Insbesondere Paltrow schafft es, anders als ihre Vorgängerin Grace Kelly, sich durch nuanciertes Spiel bisweilen vom ewigen Opfer-Gestus ihrer Figur freizuspielen, wenngleich der Vergleich zu Kelly sicherlich etwas unfair ist. Douglas spielt das intrigante Arschloch bei aller Freude an seiner Darstellung fast schon zu lustvoll, folglich ist seine Figur nach zwanzig Minuten im Grunde restlos ausbuchstabiert. Rein figurenpsychologisch indiziert der Film eine ziemlich verrohte, finstere Welt, in der sich Lover (Viggo Mortensen) und Ehemann im Grunde schon nach ein paar Minuten einig sind, die arme Paltrow über die Klinge springen zu lassen. Der einzige Anreiz zum Morden ist dabei das Geld, was Douglas Figur fast schon als zugespitzte Weiterführung seiner ikonischen Gordon Gecko-Performance lesbar macht. Die Abweichungen vom Theaterstück und damit zur wohl bekanntesten Adaption durch Hitchcock retten „A Perfect Murder“ gerade zum Ende hin davor, zum latenten Langweiler zu werden. Gerade die Funktion des Detektivs in der Geschichte lässt der Film jedoch sträflich ungenutzt, obwohl paradoxerweise gegenteiliges angeteasert wird. Alles in allem geht der trotzdem gut durch, in den Händen eines fähigeren Teams hätte man aus den zeitlos reizvollen Prämissen der Grundlage aber auch einen kleinen 90s-Classic drehen können. So bleibt das Mittelmaß.

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                                        Kogoro bittet natürlich als erstes um die Adresse eines guten Wirtshauses mit einer hübschen Bardame. Und irgendwo fühle ich mich diesem cholerischen, sexistischen Alkoholiker, dem der Ruf als Meisterdetektiv zu gelten eher zufällig zufiel, näher als dem titelgebenden Klugscheißer. Dieser muss auch in jeder Szene deutlich machen, wie sehr er den anderen, mit Lastern beladenen Menschen überlegen ist – schließlich hat er den „scharfen Verstand eines siebzehnjährigen Teenagers behalten" (sic!). „Die azurblaue Piratenflagge“ ist derweil eine der leichteren Urlaubsepisoden geworden – kaum spannend, nur leidlich aufregend, aber all das vor schönen, im Vergleich zum Serien-Standard leicht aufpolierten Landschaften. Vor dem unsäglichen CGI-Trend ist Conan bis hierhin nämlich weitgehend verschont geblieben. Die Geschichte um zwei Schnitzeljagden, die schließlich ineinander zusammenfließen, wäre allerdings schon für eine Doppelfolge reichlich dünn gewesen.

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                                          Keine locker-leichte Impro-Show, vielmehr eine zutiefst traurige Beziehungs-Studie. Der Elektrizität der Stadt weicht hier alsbald die lähmende Stille einer verzweifelten Landflucht. Am Seeufer tritt zutage, was in der Stadt noch vergraben war, aber von jeher angelegt. War es in Lass Vorgängerwerk noch seine eigene Figur, die in der stetigen Auseinandersetzung mit einem ausgeprägten Mutterkomplex durch sein Liebesleben stolperte, ist es nun die Figur seiner Freundin, die in den Armen älterer Männer auf Vatersuche geht. Wie in all seinen Filmen sind es pathologische Strukturen, die schlussendlich auch jeden Beziehungsverlauf determinieren. Formal ist das so ungezwungen wie das Spiel seiner Darsteller, aber auch „all over the place“, fragmentarisch, Impuls-getrieben, bisweilen kaum nachvollziehbar. Darin liegt die Großartigkeit der Filme des Berlin Flow, denen man in ihrer Verweigerung gegenüber herkömmlichen Storytelling-Anleitungen manchmal euphorisch zujubeln möchte. Auch weil diese Verweigerungshaltung sich nicht in anderen Dogmen manifestiert, sondern man das Gefühl bekommt, dass hier nach wie vor Filmemacher am Werk sind, die ihre intimsten Erinnerungen einem filmischen Übersetzungsprozess zugänglich machen. Kein Bullshit also, sondern Gefühlswelten und Ängste, unangenehme, schmerzhafte Beobachtungen, die in ihrer Beiläufigkeit erst ihre Wirkkraft entfalten; wenn die eigenen Fantasien scheitern und nichts übrig bleibt als das Gefühl, dass du dich schämen müsstest dafür zu denken; notfalls zu viel und in die falsche Richtung. Spricht man über den modernen deutschen Film, muss man auch dringend hierüber sprechen.

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                                            Ich benötigte eine geschlagene Stunde, um mir einen Reim darauf zu machen, wovon dieser Film eigentlich erzählt. Das sind immerhin Zweidrittel der gesamten Laufzeit, die ich so im Dunkeln verbrachte - nachdenklich, hadernd, suchend. Und bitte versprechen Sie mir, nicht zu gehen, wenn ich Ihnen verraten habe, was ich entdeckt habe. „Ende eines Sommers“ handelt nämlich von alledem, das zunächst kalt, dinglich und seelenlos erscheint. Er handelt von Objekten, die zu Artefakten werden, von Orten, die mit den Hinterlassenschaften eines Toten beladen sind und denen jedes Leben entwichen ist. Er handelt vom Schreibtisch - dem alten, der Kommode - der hässlichen, der Vase - der seltenen. In gewisser Weise handelt also auch „Ende eines Sommers“ von Gespenstern, oder doch zumindest von den Dingen, die ihre Anwesenheit indizieren. Und er erzählt von der seltsamen Praktik der Menschen, ein Leben lang die Dinge anzusammeln, als Ausdruck eines Selbstverständnis, aber auch als Teil eines Selbst, diese Dingwelten mit Bedeutungen aufzuladen und die intimsten Erinnerungen an sie zu ketten; er erzählt davon, sich in der Materialität der Dinge etwas gewiss zu werden, das sonst so unfassbar durch die Gedanken schwebt. Mit dem Ende eines Lebens stehen diese Dinge nur noch da, als Ankerpunkte und Erinnerungsfragmente an einen Menschen.

                                            Auf die Brutalität des Todes folgt gleichsam die Brutalität der Bürokratie, die die Dinge nach ihrem Verkaufswert evaluiert, Bestände aufteilt und sie aus der Sphäre des Privaten herauslöst, um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen – institutionalisiert, mit Sachverstand kommentiert und in weiten, kalten Räumen ausgestellt. Der Film erzählt deswegen auch von musealen Praktiken und dem verzweifelten Versuch der Vergangenheit materiell fassbar zu werden. Welchen Sinn hat die Vase in der Glasvitrine, mit Samthandschuhen präpariert, wenn sie keine Blumen trägt? Assayas ist parteiisch, nähert sich der Institution aus den intimen Erinnerungen einer weit verstreuten Familie heraus – und doch gelangt er zu einer ganz profunden Erkenntnis: Die Vergangenheit lässt sich nicht konservieren und sie haftet den Dingen nicht für ewig an – sie verblasst. Assayas verlässt das Museum und wischt den Staub von den Tischplatten. Das Gottverlassene Haus lässt er von Jugendlichen bevölkern, die die Räume der Vergangenheit mit neuen Bedeutungszuschreibungen überschreiben – indem sie dort eigene Erinnerungen erschaffen. Hinter den letzten Bildern des Films steht nichts als Zuversicht und Vertrauen. Auf den Tod folgt das Leben, aber auf das Ende des Sommers folgt... der Sommer!

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                                              Joe ist befremdet von der Moderne und seinen Widersprüchen, zerrissen von der Banalität der Gewalt (ein Kind erschießt ein anderes für einen Schockriegel) und ihren Hinterlassenschaften in ihm (er imitiert seinen Vater in der Wahl seiner Waffe). Die Erfahrung von Gewalt ruft in Joe jedoch nicht eine ebenso willkürliche, gewaltsame Reaktion hervor, wie sie Kriegsheimkehrer Travis Bickle einst charakterisierte, sondern ist ungleich kanalisierter (professionalisierter). Die gewaltsamen Erfahrungen aus Kindheit und Kriegszeit richten sich stattdessen gegen ihn selbst. Joe möchte nicht mehr da sein, weil er denkt nie wirklich dagewesen zu sein. Haben Depressionen ein Gesicht, sind sie bei Joaquin Phoenix zuhause, der durch diesen Film schlurft, Menschen mit einem Hammerhieb aus dem Leben tilgt und am liebsten gleich mitgehen würde - also legt sich Joe neben eines seiner Opfer, mit dem Bauchschuss langsam dahinsiechend und gemeinsam summen sie das Lied einer längst verblassten Erinnerung.

                                              Es sind solche Szenen der Irritation und Elegie, die "You Were Never Really Here" besonders machen; sie markieren das Moment der Überraschung. Und man ist froh, dass Ramsay die Errettung eines armen Mädchens aus den Fängen eines Prostitutionsrings überhaupt nicht versucht als erbauliche „Kick-Ass“-Variante zu erzählen. Die Beziehung zwischen Joe und Nina ist so ambivalent und vielschichtig wie der ganze Film: so sehr der finale Akt der Gewalt für Nina Selbstermächtigung bedeutet, so sehr bringt er für Joe die grauenvollste aller Realisationen mit sich. Und so wie sich die Gewalt durch die Erlebnisse seiner Kindheit in ihm fortgepflanzt hat, so hat sie sich nun in Nina neu gebärt. Joe reißt sich also das Hemd vom Leib, wünscht sich eine Kugel in den Kopf und sackt weinend in sich zusammen. Er muss erkennen, dass Gewalt niemals endet.

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                                                Eine Serie, die auch vornehmlich die Leitmotive der teenage angst behandelte, und es lediglich mit überbauhafter Phantastik zu garnieren wusste, war Whedons „Buffy“, in der auch ein mit übermenschlichen Kräften ausgestatteter Teenager mit seinen Freunden den Kräften des Bösen trotzte. „Smallville“ ist, bei allen strukturellen Gemeinsamkeiten, allerdings kein „Buffy“; nicht so Neunmalklug, nicht so witzig, nicht so konsequent und nicht so kreativ. Im Verbund stellen sie dennoch eine aussterbende Sorte Serien-Unterhaltung dar, in der hingebungsvoller Gefühlskitsch und Genre-Sensibilitäten noch eine hochentzündliche Verbindung eingingen. „Smallville“ geht dabei seinen eigenen Weg, bei dem nicht immer sicher ist, was ernst gemeint und was augenzwinkernd. Werden Teenager in Smallville zu Bad Boys tragen sie plötzlich Ledermantel und Sonnenbrille und haben die Haare hochgegelt – an einer Stelle tragen sie sogar einen Ghettoblaster durch die Gegend, weil das in der Schule ja besonders gut kommt. Die Stärken der Serie, bei aller Häme, sind indes nicht zu übersehen. Statt des Monsters of the Week gibt es den Freak of the Week, der immer auch Produkt seiner Umwelt ist und nicht bloß manifestiertes Böses in Mythengestalt. „Smallville“ behandelt die Leitmotive der Adoleszenz auch immer über seine Gegenspieler, deren Handeln fast immer Ausdruck verborgener Sehnsüchte oder angestauter Frustrationen ist. Bei so viel Menschenliebe verzeihe ich gerne jede Repetition, jeden hässlichen Weichzeichner und jede versteinerte Miene Tom Wellings, unfähig auch nur eine einzige ambivalente Emotion glaubhaft zu machen.

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                                                    Schon klar, das Leben ist kein Wunschkonzert. Ich wünsche Greta Gerwig trotzdem mehr Ruhe, in den Leben ihrer Figuren auch die hässlichen Momente auszuhalten. Denn das hohe Tempo fordert seinen Tribut: der tänzelnde Schritt des Filmes, einer Frances Ha gleich, verdichtet die vielen Themenkomplexe einer Emanzipationsgeschichte zu einem außerordentlich kurzweiligen, federleichten Vergnügen, droht aber auch über jede Tiefe ignorant hinweg zu tänzeln. Die extrovertierte Lady Bird knüpft direkt an jene lebensbejahenden, quirligen Figurentypen an, der sonst Gerwig selbst Gesicht und Körper leiht. Sie sind das Übertragungsmedium dieser sommerlichen, elektrisierenden Lebensfreude und der schier unstillbaren Lust auf die Welt, die einen, wenn unkontrolliert übertragen, fast zum bersten bringt. Aber sie schieben auch andere Dinge beiseite, die ebenfalls beachtenswert wären. Die liebevolle Vaterfigur hätte beispielsweise ebenso gut gleichberechtigt neben der Mutter existieren können, um den Film als ausgleichendes Temperament auch tonal zu erden.

                                                    Dieser schreitet – vielleicht ganz bewusst – tatsächlich wie ein bockiger, engstirniger Jugendlicher ohne einen Blick zur Seite zu wagen voran; mäht alles über, was sich ihm in den Weg schmeißt; kreischt los, wenn es sich richtig anfühlt, weint, wenn es sich richtig anfühlt, lacht, wenn es sich richtig anfühlt. Die Direktheit seiner Hauptfigur legitimiert dem Film jeden Ausrutscher: die Freundin wird für ein vermeintlich reiferes Mädchen fallen gelassen, die Mutter immer wieder vor den Kopf gestoßen. Fehltritte realisiert Lady Bird erst nachdem sie ihr unmittelbar vorgeführt worden sind und der Film kommentiert sie nicht, wenn sie geschehen. Hier spricht der Film ganz und gar die Sprache seiner Hauptfigur, die sich konsequenterweise in erster Linie um sich selber kümmert. Insofern lässt sich sicherlich für diese perspektivische Entscheidung argumentieren, auch wenn sich mir persönlich nur ganz sporadisch ein Zugang zu den Figuren und ihrer Welt eröffnete. Dafür blieben sie in der Geschwindigkeit, in der sie durch die Schauplätze der Adoleszenz rasten, immer seltsam distanziert. Wo ich lieber länger in den Gesichtern nach einer Regung geforscht hätte, kam mir ein Song dazwischen; wo die Worte eigentlich noch Raum benötigten, um ein Echo zu erzeugen, kam der Schnitt.

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