_Garfield - Kommentare
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Alle Kommentare von _Garfield
Mel Gibson spielt William Wallace und imaginiert sich einen Heiland. Taktisches Genie, furchtloser Kämpfer, treuer Freund, Superlover, Sprachentalent – sogar im Rock sieht dieser historische Superstar knackig aus. Wallace will Freiheit. Und da Freiheit ein ziemlich bedeutungsarmes Kofferwort ist, lässt sich damit politisch äußerst bequem hantierten. Selbst als sich der schottische Befreiungskampf zu einer Invasion auf England verkehrt, erklärt Wallace, dass sie es für die Freiheit tun. Der Unabhängigkeitskrieg ist nur Kulisse für einen ideologischen Krieg. Der Elite, dem Establishment steht Wallace als politischer Avantgardist entgegen, der sich nicht nur gegen die unterdrückerischen Besatzer wendet, sondern gegen die Korruption der gesamten, globalen Machteliten. Und doch sind seine Ideale nur eine Behauptung. Erst als Wallaces Frau den Engländern zum Opfer fällt, regt sich sein Protest und seine persönliche Vendetta verselbstständigt sich zu einem nationalen Protest gegen die Fremdherrschaft. Robert the Bruce wird in diesem Kontext zum waschechten Vaterlands-Verräter, der erst durch den Märtyrer-Tod von Wallace kathartisch gereinigt wird. Dessen Tod ist ohnehin ein Kernstück des Films: Gibson inszeniert die Erfahrung des Schmerzes durch die Folter der englischen Kirche als Übergangsritus zur Transzendenz. Hier verliert der Körper von Wallace seine angestammte Bedeutung und dessen Ideen transzendieren in die Köpfe der englischen Gesellschaft – in ihnen leben die Ideale, die er zeitlebens gelebt hat, fort. Dafür verdichtet Gibson gekonnt den filmischen Raum und universalisiert zugleich die historische Grundlage. So wird aus William Wallace Jesus, der Leibhaftige. Amen.
Wenn es nicht gerade kracht und die Kriegstrommeln trommeln, streichen die Streicher ganz betroffen. Traurige Szenen werden traurig bespielt, spannende Szenen spannend, bei den Gags setzt die Musik aus, um die Pointe hervorzuheben. Filme sind im Sinne des MCU lediglich die Summe funktionaler Bauteile, alles ist vertraglich geregelt, mit Testpublikum vorgekostet. Es geht um alles! Wirklich. Je größer die Bedrohung, desto tiefer die Stimmen und desto finsterer die Mienen. Iron Man wird in diesem epischen Weltenbrand endgültig zum Übermenschen. Seine Charakterentwicklung reicht vom Playboy und Technokraten ohne moralischen Kompass hin zum altruistischen Superhelden und Familienvater mit Landhaus. Coole Socke, krasser Krieger, liebevoller Familienmensch, Anführer, Genie, Märtyrer – alles in einem Paket. Bei aller Schwermut, aller bedeutungsschwangeren Geste fehlt dem Film leider der Mut zur endgültigen Selbstvertrashung, wo Hemsworth und Ruffalo doch ein gutes Stück vorausgehen. Natürlich geht es hier schon lange nicht mehr darum, einen guten Film zu drehen. Dies ist der letzte Meilenstein eines jahrzehntelangen Popkultur-Marathons und eines großen Studio-Projektes, das sich die politischen Befindlichkeiten seiner Zeit und die Mechanismen einer Hype- und Empörungskultur so gut wie keine Filmreihe vor ihr zu eigen und wirtschaftlich profitabel gemacht hat. Ein guter Film ist unter den gegebenen Umständen kaum möglich, nur ein Bewältigen von logistischen Herausforderungen. Jeder schiebt sich einmal in die Manege, winkt einmal in die Kamera, hier ein Audi, dort das Axe Body Spray, und es wird getrauert, weswegen man anfängt, in Tokio Yakuza abzumetzeln, weil das ist Psychologie und hat überhaupt keine Bedeutung mehr abseits einer Bildidee, und es wird viel gelacht, weil sich jemand in den Raumanzug pinkelt oder man die Referenz versanden hat. Und es darf gestaunt werden, ob der Fähigkeit, trotz 350 Millionen US-Dollar-Budget, keine Sekunde Kinomagie evozieren zu können.
Was wäre „Miss Americana“ für ein erwartbarer Biografie-Langweiler geworden, wenn Regisseurin Lana Wilson sich damit begnügte, lediglich die Geschichte einer erfolgreichen, schönen Person dramaturgisch nachzuerzählen. Sicher, einer eben solchen Nacherzählung widmet „Miss Americana“ einiges an Laufzeit, der Film tut dies aber auch, um mit genau diesem erzählerischen Modus des unaufhörlichen Aufstiegs schlussendlich zu brechen. Mehr noch: der Film stellt sogar heraus, zu welchem Preis der gezeigte Erfolg erreicht wurde und stellt ihn damit gleichsam ein Stück weit in Frage. Und es wird schnell klar, in was für ein diffiziles, reziprokes Abhängigkeitsverhältnis Fans und Stars und im besonderen Maße Stars und mediale Öffentlichkeiten geraten. Dabei lässt sich vor allem viel über das Verhältnis der Musikbranche zur US-Politik und das Selbstverständnis amerikanischer Stars lernen, insbesondere dann, wenn sie weiblich sind. Und es lässt sich viel darüber lernen, wie wir gesellschaftlich über andere Menschen denken und sprechen, die in der Öffentlichkeit stehen. Was verkörpert sich in den Stars neben persönlichen Sehnsüchten, Fetischen und Träumen? Und welche Wirkungsmacht haben die Stars über uns mit ihren Social Media Accounts, die ganze Nachrichten-Netzwerke in ihrer Reichweite überbieten? Welche Macht haben wir wiederum über unsere Stars? Taylor Swift erweist sich in diesem aufgespannten Bezugssystem als reflektierte Protagonistin, die sich immer wieder Fragen stellt, wo sie sich doch im Grunde auf ihren Erfolg als Musikerin zurückziehen könnte oder sich in nichtigen Branchen-Beefs verausgaben (Aussagen wie ein pathetisch-lappidares „run from fascism“ seien im Moment der kreativen Euphorie verziehen). Taylor Swift muss man vor „Miss Americana“ weder gehört, noch gesehen haben, um zu verstehen, was Regisseurin Lana Wilson hier alles entdeckt; unter dem Make-up, den Glitzer-Kostümen, dem ganzen Bombast eines Menschen – und eines Landes.
Vom blöden Titel sollte man sich nicht abschrecken lassen. Coming-of-Age auf norwegisch hatte ich zuletzt mit „Thelma“ (in einem Genre-Kontext) und davor mit „Der Mann, der Yngve liebte“ (in der eine queere Erweckung geschildert wird). „Psychobitch“ ist zwar nicht ganz so stilsicher wie diesen beiden Filme, verhandelt aber eine ganze Reihe von Themen, die auch weit über die Adoleszenz hinaus relevant sind. Im Zentrum dieser Themenparade steht für mich die Frage, inwiefern ein jugendliches Rebellieren in den modernen liberal-progressiven Gesellschaften (insbesondere auf Norwegen und den skandinavischen Raum zutreffend) überhaupt noch möglich ist. „Psychobitch“ konzentriert diese Fragestellung in ein paar wenigen Szenen sehr treffend. In einer Szene beschwert sich der jugendliche Protagonist Marius bei seinem für alles Verständnis findenden Vater, dass er ihn zu viel lobe. Der Vater reagiert daraufhin mit Verständnis und lobt ihn dann dafür, ihn darauf hingewiesen zu haben. In einer anderen Szene zerschneidet Marius seinen Skianzug mit einer Schere und legt damit gleichsam auch das gesellschaftliche Korsett ab. Die Skepsis der Hauptfigur gegenüber dem eingeforderten Konformismus seiner Lehrer, Eltern und Mitschüler und die Umgangsweisen mit einer Außenseiterin vermittelt der Film dabei auf sehr glaubwürdige Weise und findet im falsch getakteten Tanzschritt dafür das prägnanteste Bild. Geheimtipp!
Die Suche nach dem Vater muss nicht synonym für die Suche nach Gott sein. Sie kann auch die Suche nach dem Vater sein. Einem Vater, der sich immer weiter distanziert hat, sodass man dachte, er bevölkere einen anderen Planeten - so fern war seine Lebenswelt von deiner und sein Lebensentwurf von deinem. Diese Distanz im All sichtbar zu machen ist ganz einfach eine filmische Strategie, die wunderbare Bilder produziert. Bilder, die die Entfremdung, die Einsamkeit, die schwierigen Phasen der Niedergeschlagenheit, aber auch der aufkeimenden Hoffnung erlebbar machen. Brad Pitt, fast schon die Wiederentdeckung des zurückliegenden Kinojahres, spielt dafür eine der spannendsten Figuren seiner Karriere ganz ohne Gesichter zu machen. So eine uneitle Performance kann wirklich nur einem total in sich ruhenden Star gelingen. Das Voice over erweist sich hierbei als notwendiges filmisches Mittel, um diesem kühlen Kopf ein Stückchen näher zu kommen. Großes Kino.
Allerlei herzliche Umarmungen. Hier wird sich geknuddelt als gäbe es kein Morgen mehr. Alte Freunde, neue Freunde, das vergangene Ich – jeder bekommt Liebe. Das ist ebenso schön, wie die Idee hinter dem Film, eine produktive Begegnung mit dem früheren Ich zu initiieren, um so die inneren Monologe filmisch sichtbar zu machen. Leider klingen diese Monologe abgedroschen und verstehen sich kaum auf die philosophischen Qualitäten der Prämisse. Will Smith spielt seine Rolle derweilen genauso, wie er ernste Rollen seit zwanzig Jahren spielt. Eine wirkliche Verletzlichkeit möchte ich ihm jedenfalls nicht glauben, ebenso wenig seiner Fresh-Prince-Variante aus dem PC (sogar eine Anspielung auf eben diese Rolle wird sich nicht verkniffen). Die Action dieses Actionfilms ist leider ebenfalls unterentwickelt, vieles passiert digital, nicht selten hässlich digital. Statt den Hyper-Realismus der Bildrate auch auf der konzeptionellen Ebene fortzuführen, in der Art von Soderberghs „Haywire“ und dessen großartig choreographierten Kämpfen womöglich, scheint sich „Gemini Man“ in der Konkurrenz gegenwärtiger Blockbuster zu wähnen. Auch die Argumentation des vermeintlichen Bösewichts (Clive Owen) ist viel besser als es der Film sich offenbar selbst eingestehen möchte. Stattdessen muss sich im absurden Happy Ending wieder ausgiebig geknuddelt werden und kein Doppelgänger-Gag wird liegen gelassen. Das ist – so cheesy und altbacken es anmutet – dann fast schon wieder schön.
Ein Mittelklasse-Film über die Mittelklasse für die Mittelklasse. Neeson beschützt nun auch schon seit Jahrzehnten seine Familie vor verschwörerischen Kreisen, denn wer Familie sagt, macht sich keine Feinde. Jetzt zeigt er zusätzlich dazu einem Goldman Sachs-Trader den Mittelfinger, denn wer „die da oben“ sagt, klingt kritisch und ist doch vollkommen beliebig dabei. Die Mittelklasse erweist sich zudem als perfektes Zielpublikum. Selbst derjenige, der sich faktisch nicht hinzuzählen kann, fühlt doch zumindest eine geistige Verbundenheit und versucht ökonomisch Anschluss zu finden. „Commuter“ ist ein Film für Leute, die mit dem Geländewagen vor dem Multiplex vorfahren und sich beim Mittelklasse-Kitsch von Neeson dennoch verstanden fühlen. Dabei ist das alles auch noch so gut besetzt, dass man manchmal vergisst, wie billig das Ganze ist. Daran erinnert einen dann Collet-Serra, der CGI-Tricks mit Action verwechselt. Ich muss aufhören, seine Filme zu schauen.
Ein Bild: Vorhänge, die im Wind wehen. Das ist kein Arthouse. Das sind die Coens.
Julia Roberts ist von einem anderen Stern. Wie sie dort steht, mit dem festen Schritt und dem Blick, fest auf ihn gerichtet. Wie sie strahlt, auch wenn sie weint. Wie sie strahlt, wenn sie ein herzliches Lachen imitiert. Denn das kann niemand so gut wie sie. Sie strahlt bis in die hintersten Sitzreihen hinein, erhellt die finstersten Ecken und Winkel, in die sich der Zyniker gerne zurückzieht, um nicht erhellt zu werden. Gleichzeitig fühlt man sich auf intimste Weise mit ihr und ihrem Schicksal verbunden. Das ist auch das Unheimliche an einer großen Schauspielerin wie sie eine ist. Wir möchten ihr alles glauben, wissen aber um die Illusion des Kinos, die sie uns vergessen macht. Und kaum jemand belügt uns so charmant wie sie. In einer Szene tuckert sie mit ihrem besten Freund (er heiratet in wenigen Tagen eine andere, sie ist nach wie vor in ihn verliebt) auf einer Fähre einen Fluss hinunter. Die Kamera muss für diese Szene überhaupt nicht viel machen, sie nimmt die Darsteller lediglich in die Nahaufnahme und lässt die Stadt im Hintergrund vorbeiziehen - die Szenerie ist bereits hinreißend genug. Die Musik glaubt in diesem Moment große Gefühle evozieren zu müssen, schwillt an und ab, dabei sind alle Zutaten längst beisammen, alle Dinge von Bedeutung, die diese Szene vermitteln soll, ganz deutlich erkenn- und spürbar, in die Gesichter eingeschrieben, den Worten konnotiert.
Kurz vor der Hochzeit hinterfragt er seine Entscheidung, wagt mit ihr einen Blick zurück auf ihre frühere Beziehung. Es ist der perfekte Augenblick für sie, ihm ihre Liebe zu gestehen - im Moment seines Zweifelns. Doch sie schweigt und der Augenblick zieht vorüber. Mit ihnen verstummt die Musik. Ihr Freund beginnt zu singen, ihren Song, den alten, „The Way You Look Tonight“ von Tony Bennett. Und Mensch, könnte das kitschig sein. Doch die Reduktion der Geräuschkulisse, die Farbpalette, die fehlenden Weichzeichner machen das fast schon zu einer Verschmelzung von Classical und New Hollywood; klassisch in seinem Sentiment, im Drang, in der Musik den absoluten Ausdruck zu finden (heute wird viel zu wenig gesungen), aber geerdet in seiner filmischen, seiner ästhetischen Haltung. Es ist jener Augenblick unerfüllter Sehnsucht, die im Gesicht von Roberts einen Ausdruck findet, ohne sich in einer großen Geste verraten zu wollen. Es ist nur eine Träne, die sich augenblicklich wieder aus dem Gesicht gewischt wird, um die Illusion aufrecht zu erhalten. Dann lächelt sie wieder und erhellt damit jeden finsteren Winkel - auch wenn sie eigentlich weinen möchte. Ja, gerade dann strahlt sie am hellsten.
„Some day, when I'm awfully low
When the world is cold
I will feel a glow just thinking of you“
Selbst der harte Brite mit dem süffisanten Grinsen im Gesicht (Karl Urban) sitzt hier irgendwann mit dem Protagonisten auf der Parkbank und erzählt von seinen persönlichen Verlusten, den Schmerzen, die sie verursachen und dass er diesen deswegen total verstünde. Vermutlich ist das diese Charakterisierung von der immer alle erzählen und die ist immer ganz leicht daran zu erkennen, dass die Stimmen der Schauspieler ganz tief werden und der Blick glasig in der Erinnerung erweicht und filmisch ist das im Grunde immer Schuss/Gegenschuss und ich könnte jedes Mal vorspulen, wenn ich mir diese so säuberlich getrennten Dramaparts in amerikanischen Serien antun muss, um die guten Sachen sehen zu dürfen, bzw. die Dinge, die es nur dort zu sehen gibt. Zum Beispiel eine Gruppe zusammengewürfelter Jungs, die einen unzerstörbaren, unsichtbaren Superheld gefangen halten und darüber rätseln, wie sie ihn töten könnten, während eine Art Superman über die Stadt hinwegfegt und nach seinem Helden-Kollegen Ausschau hält; den Jungs geht der Kackstift, das ist nur verständlich und der Perspektivwechsel macht Spaß, wo man im Kino doch bislang stets auf der Seite der Helden stand und selten gegen sie agieren musste. Ganz plötzlich werden so die Nachteile absolut konzentrierter Macht deutlich.
Die Spaßigkeiten dieser unkonventionellen Prämisse gestaltet "The Boys" aber leider allzu konventionell aus. Das ewige Gelaber habe ich bereits erwähnt, jedes Trauma wird sich erzählt, jede Motivation, gerade dies oder jenes zu tun, ausführlich dargelegt und besprochen, damit auch ja nichts ungesagt bleibt. Das ist dann auch immer ganz klar von den schwarzhumorigen Teilen der Serie getrennt, wenngleich man sich auch hier eher auf dem pubertären Gewalt-ist-geil-Niveau anderer Superhelden-Stoffe bewegt, die R-Rating mit Erwachsenenunterhaltung verwechseln. Die Serie hat zudem ungleich höhere Ambitionen und möchte sich offenbar darüber hinaus, oder zuvorderst, als kritische Satire auf, ja, eigentlich alles verstanden wissen, das in den USA irgendwie eine geeignete Zielscheibe abgibt. Die Superhelden-Branche ist gänzlich privatisiert, die Medien und sozialen Netzwerke dienen als nützliche Mittel zu ihrer Vermarktung, die Politik wird im Verborgenen manipuliert und die Kirche stülpt den Brands der Superhelden auch noch irgendwelche Erlöser- und Erretter-Mythen über. Überhaupt sind die Mächtigen hier alle korrumpiert und alle tragen Masken und dahinter gilt es dann das wirkliche, das - natürlich - tief böse Gesicht der vermeintlich altruistisch agierenden Superhelden zu erkennen.
Dazu gibt es dann Bilder, die man eben erwarten kann, wenn im Fernsehen von Macht erzählt wird: falsche Reden, falsches Grinsen, falsches Winken vor jubelnden Massen, während man hinter vorgehaltener Hand die Wahrheit spricht. "The Boys" ist die Serie für den Verschwörungstheoretiker, der glaubt, über eine zweistündige Internetrecherche die Verästelungen der Macht durchschaut zu haben und sich in jedem Vorurteil über Macht und Personen der Macht bestätigt sehen darf. Gerade ästhetisch bleibt bei alledem jedoch wenig hängen, vielleicht der Schuss von Homelander (Superman), wie man ihn durch das Fenster eines Flugzeugs am dunklen Nachthimmel erblickt und dieser einem kleinem Jungen im Flugzeug zuwinkt, ehe sich seine Augen rot färben und er das Flugzeug gewaltsam vom Himmel holt. Diese Szene ist auch stellvertretend für das, was die Serie einem am besten vermittelt: die Angst der Menschen vor den Helden und ihren gottgleichen Fähigkeiten, sogar die Angst und Skepsis der Superhelden untereinander. Die Herangehensweise Snyders bei seinem großen Superhelden-Clash, nämlich die Helden ganz ernsthaft in die gegenwärtigen Machtstrukturen zu situieren, nimmt „The Boys“ wirklich ernst, findet bei Zeitlupen-Gore und cooler Musik aber zu keinen erhellenden Einsichten.
Fun Fact: die Müllabfuhr hinterlässt beim Abholen des Mülls immer selbst ein bisschen Müll. Bei dieser Müllabfuhr, jedenfalls, arbeitet ein junger Mann, der nicht hört und nicht spricht, aber natürlich trotzdem erzählt. Sein Körper erzählt beim Reiten der Wellen mit seinem notdürftig reparierten Surfboard, sein Gesicht erzählt, wenn es stoisch auf den Horizont, auf das Meer ausgerichtet ist. So wie dieser Film erzählt, gerade wenn nicht gesprochen wird, wenn sich die Prozesse wiederholen und wiederholen und wiederholen, bis der Stand auf dem Board ganz fest geworden ist und jede Welle eine Einladung. Der Film genießt zudem das Privileg, von der Musik Joe Hisaishis beseelt zu werden. Erst diese lässt die Bilder melancholisch flimmern. Ich musste an den viel späteren „Paterson“ von Jarmusch denken, der konzeptionell natürlich viel klarer und ausgefuchster ist. Das hemdsärmelige, rohe, filmisch nicht immer ganz glückende von „Das Meer war ruhig“ doppelt sich interessanterweise auch in der dezenten Aufstiegsgeschichte des Protagonisten. Vielleicht ist der Film das Äquivalenz-Stück zu den Slacker- und Surfer-Filmen aus den USA, wenngleich die kulturellen Unterschiede offenkundig sind. Statt eines ziellosen Umherirrens, findet der Protagonist ja gerade zum scheinbar ersten Mal in seinem Leben zu einem Ziel und ist den gesamten Film über ganz und gar fokussiert darauf, ein besserer Surfer zu werden. Das äußert sich im Film dann darin, dass er es bis in das Halbfinale eines regionalen Surf-Wettbewerbs schafft. Das war es dann aber auch schon. Es gibt keinen dramatischen Finalsieg, keine jubelnde Menge, sondern einfach nur den deutlichen Fortschritt der eigenen Fertigkeiten und den Respekt der Surfer-Kollegen. Zum Schluss lässt Kitano nochmal alle Figuren seines Filmes ganz im Doku-Stil mit ihren Surfboards in die Kamera blicken, Joe Hisaishi und seine Musik ziehen einem Schuhe mitsamt Socken aus, dann ist der Film zu Ende. Manchmal ist es einfach ganz einfach.
Ich kann mich an den Vater meiner Mutter, meinen Opa, kaum erinnern. Er ist wohl ein lieber Mann gewesen und hat mit mir als Kleinkind sehr viel gespielt. Mit Blick auf dessen VHS-Sammlung hätte man diese Sensibilität vielleicht nicht sofort erahnt. Neben einigen Disney-Filmen für die Enkel, bestand diese nämlich fast ausschließlich aus Kriegs- und Actionfilmen der 80er und 90er Jahre. Die Cover dieser Filme haben sich mir, anders als die Titel, fest eingebrannt. Eines dieser Cover zeigte Sylvester Stallone in Handschellen, die dieser fest gespannt vor sich hielt. Die gestählten Muskeln von Stallone machten einen Glauben, er könnte die Ketten jeden Moment zum Bersten bringen.
Das Cover gehörte zum Film „Lock Up“ - und kannte man wie ich bisher nur dieses grandiose Cover, rechnete man möglicherweise mit einem raubeinigen Gefängnis-Film und erwartete Stallone als unverwüstliche Kampfmaschine, die möglicherweise eine Häftlings-Revolte anzettelt, eine Gang gründet oder was man als harter Kerl in einem Gefängnis halt sonst so macht. Doch wie so viele von Stallones Rollen, die im Nachhinein zur tumben Haudrauf-Figur umgedeutet oder schlichtweg falsch erinnert wurden, ist dessen Figur auch in diesem Film um ein vielfaches sensibler als es der Blick auf das Cover erahnen lässt. Ähnlich wie John Rambo widerfährt Stallone als Musterhäftling Frank Leone vor allem jede Menge Unrecht und jeder Gewaltakt, der von ihm ausgeht, ist eine Gegenreaktion auf die Intrigen von Gefängnisdirektor Drumgoole, der von Donald Sutherland in etwa dem selben Modus gespielt wird, in dem Lena Headey die finale Staffel „Game of Thrones“ Wein-schlürfend absolvierte. Der fiese Direktor hat jedenfalls noch eine persönliche Rechnung mit Frank offen, steht andauernd am Fenster und grinst ein wenig schräg. Die Figur lässt sich dabei als Verkörperung der Vergeltungsjustiz lesen, die in seinen ständigen Versuchen, Stallones Figur zu provozieren, die Vergeltungsfantasien in diesem zu wecken versucht, um schlussendlich das eigene, System-inhärente Handeln zu legitimieren.
In einer wunderbaren Montage restaurieren Stallone und seine Kumpels einen schicken Oldtimer, alle haben mächtig Spaß, Stallone gefällt sich in der Rolle des ruhigen, strategisch denkenden Mechanikers, den er in seiner Karriere immer wieder gegeben hat und in der „Expandables“-Reihe bewusst forcierte, aus Jux und Tollerei bespritzen sich die Jungs noch mit ein bisschen Kühlflüssigkeit und Lackierfarbe und sie gehen voll auf in dieser gemeinsamen Tätigkeit, etwas vermeintlich Ausrangiertes und Kaputtes wieder aufzubauen – das Auto also als Symbol für den Resozialisierungsgedanken.
Im Anschluss an diese Montage darf einer von Stallones Gefängnis-Kollegen (Larry Romano, der den Macho Ricky in „The King of Queens“ spielte und hier einen Macho spielt) ein paar Runden mit dem restaurierten Auto in der Werkstatt drehen, nachdem er Stallone erzählt, dass er lebenslänglich bekommen hat und nie die Chance hatte, richtig Auto fahren zu lernen. Bei ausgeschaltetem Motor schiebt Stallone also das Auto, sein Kumpel Romano darf etwas lenken üben und Stallone beginnt den Raum der Werkstatt in seiner Imagination umzugestalten. In ihren Fantasien drehen sie dann ein paar Runden über den Broadway, halten Ausschau nach heißen Bräuten und haben einfach eine gute Zeit. In diesen kurzen, prägnanten Szenen wird das Auto als Symbol extremst aufgeladen, weswegen die darauf folgenden Szenen umso beeindruckender sind. Nach einer kurzen Spritztour bis in den Innenhof des Gefängnisses wird das Auto vor den Augen der Insassen, auf direktem Befehl vom fiesen Direktor, nämlich komplett zu Klump gehauen. Und das ist ganz großartig, weil dort zum einen Männer stehen, die ein schönes Auto zerstört sehen müssen, zum anderen, weil dort auch ein Symbol aus einer Welt getilgt werden soll, in der jede Form der Resozialisierung verunmöglicht wird.
Der Film bringt Stallone immer wieder in die Position, Vergeltung üben zu können, um sie dann abzulehnen. Das gipfelt in einer finalen Konfrontation, Sutherland auf dem elektrischen Stuhl, Stallone am Schalter, und kulminiert in einem Plädoyer gegen die Vergeltungslogik des US-amerikanischen Justiz-Apparats. Auffällig ist auch, wie von allen Gefängnis-Wärtern vor allem die Schwarzen zunehmend mit den Methoden des Direktors zu hadern beginnen und sich schlussendlich gegen ihn stellen. Überraschend ist das allerdings nicht, wenn man bedenkt, dass vor allem Afro-Amerikaner unter dem zunehmend privatisierten Gefängnis-System zu leiden haben.
Das alles klingt vielleicht nach einem ziemlich grandiosen Film, doch trotz dieses hochspannenden Subtextes, geht „Lock Up“ ziemlich raubeinig mit seinem Thema um. Die Fronten sind sehr schnell klar, die Figuren zügig auserzählt und die wirklich hervorstechenden Szenen nehmen nur einen Bruchteil des Filmes ein. Generell haut recht wenig wirklich rein, weder das Football-Spiel im Innenhof, noch die Schlägereien machen in Sachen Action richtig Lust, was vielleicht sogar mehr mit dem amerikanischen Actionkino in seiner Gesamtheit als mit diesem speziellen Fall zu tun hat. Stallone macht aber Spaß und atmosphärische Bilder tragen ganz gut durch den Film, dem thematisch verwandten, unsagbar hässlichen und vor allem unsagbar öden „Escape Plan“ ist „Lock Up“ sowieso jederzeit vorzuziehen.
Waltz spielt das alles - mittlerweile gewohntermaßen - vollkommen planlos und gedanklich schon im Feierabend. Aber wer will es ihm verdenken, im Karriereherbst werden sich endlich die Taschen voll gemacht, der Stoff ist egal, also verschlägt es ihn abermals ins Green Screen-Wunderland und der zentrale Spielpartner kommt aus dem Computer. Dieser ist ironischerweise einer der wenigen Lichtblicke in diesem seelenlosen Film, der sich weder traut, Trash zu feiern, noch in die philosophischen Untiefen anderer Cyberpunk-Stoffe vorzustoßen. Im Gesicht von Alita spielt sich eine ganze Bandbreite von Emotionen glaubwürdig ab und in ihren Kulleraugen kann man sich, ganz im Gegensatz zu einer total anonym bleibenden Welt, zeitweise verlieren. Der Plot ist im Vergleich zur Anime-Adaption von 1993 gleich geblieben, Rodriguez und sein Team schaffen es bei der doppelten Laufzeit aber sogar doppelt so wenig Spaß zu machen. Das soll weniger fies klingen als es gemeint ist, im Grunde hatte ich mich auf jene Sorte „Alternativ-Blockbuster“ gefreut, wie ihn Bessons spaßiger „Valerian“ 2017 darstellte - was wiederum alternativer klingt als es gemeint ist.
Ein Cowboy auf Krücken, ein Sheriff, ein alter Kauz, ein Revolverheld. An der Frontier, dem finalen Grenzabschnitt unerforschter Wildnis, an der das Licht der Zivilisation noch nicht jeden Schatten vertrieben hat, machen sie sich auf die Suche nach einer Gruppe Entführter und einer Damsel in Distress. Diese ist die klügste von allen, eine Medizinerin, die stoisch ihrer Arbeit nachgeht und der Zahler die schönste Zeile dieses an schönen Zeilen nicht gerade armen Filmes in den Mund legt: "This is why frontier-life is so difficult. Not because of the Indians or the elements but because of the idiots", erklärt diese entnervt aus der Zelle ihrer Entführer heraus. Das Versprechen des Manifest Destiny für einen Neuanfang in der neuen Welt, die ganze Erzählung eines schicksalshaften, humanistischen Zivilisierungs-Projektes, ist hier längst eine blasse Erinnerung geworden.
Die Realität ist ernüchternd: man droht durch kannibalische Indianer ohne Sprache und ohne Kultur mit Haut und Haaren verspeist zu werden. Der Weg zu den Kannibalen-Indianern und damit in ein grausames Schicksal ist ebenso ernüchternd. Die solidarische Mission der Gruppe ist eine einzige Tortur, ein unaufhörliches Schwitzen in dicken Klamotten, eine ewige Reiterei und Lauferei gegen die unwirtliche Mitwelt, mit kurzen Schlafphasen, die durch die ständige Bedrohung durch kriminelle Streuner-Banden nie wirklich geruhsam sind. Solchen Halunken schreibt Zahler auch die plakativsten aller Zeilen auf den Leib. Im Territorium der Kannibalen-Indianer, über die Zahler einen anderen Ureinwohner gleich zu Beginn erklären lässt, dass diese nichts mit den anderen indigenen Stämmen des Landes zu tun hätten, behauptet einer dieser raubenden und mordenden Bastarde, dass sie sich vor Indianern nicht zu fürchten hätten, da sie ja zivilisierte Männer seien – dabei kratzt er sich mit dem Revolver genüsslich im Schritt. Zivilisiertheit als Selbstzuschreibung und gleichzeitiger Abwertungsversuch des Wilden, des Anderen. Zivilisiertheit als Legitimation für koloniale Expansionsbestrebungen.
Und es stellt sich die Frage, was Zivilisiertheit denn nun tatsächlich bedeuten könnte in dieser brutalen Scheißwelt. Der Cowboy auf Krücken, überhaupt das schönste und vieldeutigste Bild dieses an schönen Bildern eher armen Filmes, handelt aus Liebe zu seiner Frau, der Sheriff aus einem Gefühl des Pflichtbewusstseins heraus und der alte Kauz spricht andauernd vom schönen Leben, der Erinnerung an gute Zeiten und träumt davon, ein Buch in einer Badewanne lesen zu können, denn nirgends fühle er sich besser als im heißen Wasser der Badewanne. Womöglich verkörpern sie alle zivilisatorische Ideale, während der Revolverheld lediglich vom Wunsch nach Rache beseelt ist und deswegen am weitesten von ihnen entfernt liegt. Die Mittel, die sie alle gebrauchen, um ihre zivilisatorischen Ideale zu verteidigen, sind denen der Wilden dennoch ganz ähnlich. Gewalt inszeniert Zahler nicht als ein heroisches schneller-ziehen, sondern als brutalen Überlebenskampf. Der Titel-gebende Bone Tomahawk wird dabei notfalls zur eigenen Waffe, während der Wilde sich am Repetiergewehr des zivilisierten Mannes versucht. Beide Waffen töten. Lieber er als ich. Hauptsache man kommt aus der Dunkelheit der Frontier irgendwie wieder lebendig heraus – bevor sie einen gänzlich verschlungen hat.
Zeitlinien, die verschmelzen, Figuren, die trauern, Figuren, die suchen, aber nicht finden können. Da sind Menschen, die alt werden und nie erlöst sind von den Schulden der Vergangenheit. Da sind Menschen, die sich schuldig gemacht haben. Die Suche einzustellen, heißt das Erinnern einzustellen, heißt zu vergessen. Erinnerung und Konzepte von Männlichkeit haben Pizzolatto seit jeher beschäftigt, sie sind wiederkehrende Themen in einer ständigen künstlerischen Selbstbefragung. Nun erweitert er diese Themen um Beobachtungen zum Alltagsrassismus in den USA. Sie treten jedoch lediglich als Begleiterscheinungen eines Kriminalfalles auf, der seine Spuren unabhängig von Hauptfarbe (und Geschlecht) in jedem Beteiligten hinterlässt.
Da gibt es dann ganz rührende Momente zweier alter, vereinsamter Männer, die sich von ihren Gefühlen erzählen, und da ist Enttäuschung, Trauer und Wut sich selbst und dem anderen gegenüber. Da gibt es das patentierte Dialogisieren im Auto vor künstlichen Rückprojektionen, die die Karre fast schweben lassen, beide sinnieren tief grummelnd über den Fall - hier schwebte „True Detective“ schon immer an der Grenze zur Albernheit. Und da gibt es Szenen einer Ehe, die überhaupt nicht albern sind, sondern die ein sukzessives Entzweien und wieder zueinander finden schildern, ohne überdramatisierte Eskalationen zu bemühen.
Ästhetisch will diese Staffel derweil nie so wirklich ein Eigenleben entwickeln, bleibt stets redselig, manchmal öde redselig, und lässt seine Bilder selten auf eigenen Füßen stehen, weil man ihrer Kraft (vielleicht zu Recht) nicht ganz vertraut. Filmisches und literarisches Denken griff in der ersten Staffel noch auf produktive Weise ineinander, setzte Synergien frei und wertete das jeweils andere auf, hier ist ein gewisser Stil erkennbar, der aber keine individuelle Handschrift sichtbar macht und die Schatten vermissen lässt, die die Geschichte beständig auf seine Figuren wirft. Aber das ist ohnehin ein Problem in diesem goldenen Serienzeitalter, das beileibe nicht nur „True Detective“ betrifft: nach der ersten Folge ästhetisch auserzählt zu sein.
Wo die zweite Staffel komplexe Verbindungen zwischen Charakteren und Milieus herstellte, ist die dritte Staffel wieder ganz auf wenige Charaktere und ihre Psychologie fokussiert. Und Pizzolatto hat sich spürbar weiterentwickelt: hinfort sind die lebensphilosophischen Einschübe seines Alter Egos Rust; stattdessen wird ein Interesse an Lebenswirklichkeiten sichtbar, die nicht der eigenen entsprechen. Das unter der Oberfläche Brodelnde der ersten Staffel ist noch da, aber ohne den okkulten Überbau. Da ist noch ein Schrecken, der nicht weichen will, eine Erinnerung, die nicht vergessen werden kann, da ist aber auch eine Liebe zwischen zwei Menschen, dem schwierigen, manischen Cop und der klugen Schriftstellerin, die nicht zerbrechen muss, um tragisch zu sein. Und da ist eine mindestens ebenso rührende Liebe zwischen zwei Männern, die der Stolz viel zu lange voneinander getrennt hielt. Vor allem sind da Gesichter, in denen man lesen möchte – und denen man bereit ist, zu verzeihen.
Nach Edwards klug inszenierten Weltenbrand jetzt der Ausverkauf am Grabbeltisch. Mittlerweile will ein ganzes Pack an Titanen Godzilla an den Kragen und macht dabei den Globus zum Kriegsschauplatz. Alles ist etwas größer, alles ein bisschen teurer. Aber von der behaupteten Epik ist nichts zu spüren, denn keine Sensation wird richtig verkauft und keine Enthüllung sorgsam vorbereitet. Wozu auch, sehen tut man hier sowieso nichts, ständig ist es dunkel und das Wetter schlecht. Zudem wird ausnahmslos jeder Kampf zwischen den Mostern mit dem Überlebenskampf der menschlichen Protagonisten am Boden parallelisiert. Dort wackelt die Kamera wie in einer schlechten „Bourne“-Kopie - das Resultat ist Bildmatsch mit lauter Musik. Für die Dutzend farbenfrohen, poetischen Bilder und die bisweilen wunderbar schwelgende Musik genügt ein Blick in die Trailer - viel mehr als das hat man sich nicht aufgespart. Das schlimmste sind jedoch die Figuren: die menschlichen Protagonisten und ihr tragisches Familienschicksal sind Ausgangspunkt und Zentrum des Films. Ständig müssen die drei Blassbacken ihren Verlust Anderen unter die Nase reiben; selbst bei wichtigen Regierungssitzungen wird das Private über den Videochat öffentlich verhandelt. Dazu kommen Raumladungen unterbelichteter Amis, die immer nur darauf warten, den nächsten dämlichen Spruch abzulassen. Warum wer was überhaupt tut, ergibt hier ohnehin keinen Sinn. Ein Ärgernis.
Seit der sechsten Staffel der Serie ist es zu einer Art Tradition für mich geworden, nach der neuesten Episode auf YouTube Reaction videos zu den zentralen Szenen der Folge zu schauen. Das heißt: ich schaue, nachdem ich die aktuelle Folge geschaut habe, noch einmal anderen, mir nicht näher bekannten Leute dabei zu, wie sie die selbe Episode schauen und darauf reagieren. So weit, so absurd. Ich kann nicht genau sagen, warum sich dieses Prozedere zu einer Tradition verfestigt hat, denn die meiste Zeit schäme ich mich für die Reaktionen der gezeigten Leute fremd. Am liebsten schaue ich die Reaction videos aus der Chicagoer Burlington Bar, in der die Gäste die Geschehnisse der Serie als public viewing gemeinsam verfolgen. Nach ein paar Videos begegnen einem dabei die immer gleichen Gesichter aus den ersten Reihen und damit sich wiederholende Muster und Modi der Rezeption.
Die Reaktionen der Zuschauer reichen dabei von großen Augen, über Tränen, aufgeplusterte Backen, facepalms bis zu euphorisierten „Whoo“ oder „Yeah“-Rufen als Kommentar auf besonders gelungene Szenen. Interessant wird es dann, wenn die Stimmung der Serie direkt auf die Bar-Gesellschaft übergreift und performativ angeeignet wird. Dann wird der Raum der Bar zu einer Art Erweiterung des fiktiven Raumes und dem neu gekrönten Monarchen wird gemeinsam mit den fiktiven Figuren der Serienwelt die Treue geschworen („To the Queen of the North!“) oder in ausufernden Party-Folgen (E04) symbolisch mit den Charakteren angestoßen. Hier reicht die Fiktion also bis in die Wirklichkeit hinein. Die Geschehnisse der Episode werden auf diese Weise nicht nur permanent beurteilt, bewertet und eingeordnet, in der Performanz der Zuschauer scheint sich in diesen Momenten auch die Sehnsucht auszudrücken, ganz in der Fiktion der Welt, seinen Figuren und Handlungen aufzugehen.
Bisweilen gleicht die Stimmung während der Sichtung einer Folge der eines Fußballspiels. Darüber hinaus werden auch strukturelle Parallelen zu einem solchen sichtbar: Wie bei einem Fußballspiel gibt es Teams (die konkurrierenden Adelshäuser von Westeros), ein Spielfeld und ein (un-)geschriebenes Regelwerk (die Welt von Westeros, die Regeln der Erbmonarchie) und wenn eine Figur eine andere ausgeschaltet hat, dann kommt dies einem Tor oder einem Punkt gleich, der einen näher an den finalen Sieg (den Eisernen Thron) bringt. Die große Kunst von „Game of Thrones“ lag nun aus meiner Sicht lange darin, dass die Serie es vermochte, den Zuschauer in die Lage zu versetzen, auch für das Tor einer eigentlich gegnerischen Mannschaft zu jubeln und über den Treffer des eigenen Teams lieber verstummen zu wollen. Die Ambivalenz, die zu diesen ebenso ambivalenten, unklaren Gefühlslagen führte, blieb bis zum Ende der Serie ein Element, erlitt aber einen deutlichen Bedeutungsverlust seit die Serienmacher mit Staffel 5 allmählich von den Vorlagen abweichen mussten.
Nun führen Ambivalenzen selten zu guten Reaction videos. Die Drehbücher der neuesten Staffeln erwecken den Eindruck, Benioff und Weiss schrieben mittlerweile eine Serie für die Leute aus der Burlington Bar. Die Ambivalenz wird dabei immer wieder dem Effekt geopfert. Zugleich sind die Szenen immer öfter auf eine möglichst gleichförmige emotionale Reaktion ausgelegt. Ein befriedigendes gemeinschaftliches Seherlebnis entsteht dann dadurch, dass alle das selbe fühlen. Wie schwer nun diese Entwicklung zum Kitsch für den Einzelnen wiegt, hängt maßgeblich von der eigenen Beziehung zur Serie ab. Buchleser, Gelegenheitsgucker und Feuilletonisten standen sich in der Rezeption der Serie immer wieder feindlich gegenüber, ohne die Form der Kritik des jeweils anderen wirklich verstehen zu wollen. Stattdessen wähnte sich jeder in seiner Zugangsweise zum Stoff auf der richtigen Seite. Wo das Feuilleton populäre Serien wie „Game of Thrones“ bisweilen nur noch zum Stichwortgeber für realpolitische oder akademische Diskurse degradiert, vergisst der Buchleser gelegentlich, welche Konsequenzen sich aus der Adaption in ein anderes Medium ergeben (müssen).
Ich persönlich versuchte mich in mehrfacher Hinsicht von zwei Seiten zu nähern, also die Serie zunächst in seinen ästhetischen und filmtechnischen Dimensionen ernst zu nehmen, ohne Fragen nach der Plausibilität und (vor allem charakterlichen) Konsistenz gänzlich ignorieren zu wollen und mich dafür nicht nur von den literarischen Vorlagen ausgehend zu nähern, sondern auch den gegenwärtigen Blockbustern, mit denen man die Serie durch ihren Event-Charakter sicherlich auch vergleichen kann. Während für die ersten vier Staffeln ein Vergleich zu den Buchvorlagen näher lag, scheint mir inzwischen ein Vergleich zu den Superhelden-Filmen des Kinos angebrachter.
Während der achten Staffel schlugen die Reaktionen zu dieser mal in die eine, mal in die andere Richtung aus. Die Vehemenz der Online geführten Debatten um den IQ der Showrunner befremdete dabei ebenso, wie die demonstrativen Gegenreaktionen derer, die die Macher vor jeder Kritik zu immunisieren versuchten. In diesem überhitzten, hysterischen Diskurs zu einer klaren Haltung zu finden, fiel mir immer schwerer. Das mag ironischerweise sogar mit einer Form der Überinformation durch das Internet zusammenhängen, in der alle möglichen Details der Staffel bereits erschöpfend diskutiert und alle möglichen Kaffeebecher und Plastikflaschen, die sich versehentlich auf das Set bzw. in die Fiktion der Serie verirrt hatten, identifiziert worden sind. Die Intensität und der schiere Umfang des Diskurses schien dabei schon lange nicht mehr durch die Komplexität des Gegenstandes gerechtfertigt. Deswegen bin ich im Moment vor allem froh darüber, dass der ganze Wahnsinn endlich ein Ende gefunden hat - und dass es noch keine Reaction videos zu Büchern gibt.
Die Paranoia des Verschwörungstheoretikers findet in diesem Kino entkernter Realitäten ihren Platz. Hinter jeder Tür ein Abgrund, der zur Bedrohung werden könnte, hinter jeder Wand ein Hohlraum der Geheimnisse und ein Geheimbund, der sie hütet. Unter allen architektonischen Strukturen eine weitere Struktur, ein doppelter Boden, eine zweite Realität, die echte Realität, die die wahren Herrschaftsstrukturen sichtbar macht. Einen ganzen Film über die Architektur seiner Sets zu erzählen, und damit die Kunst des expressionistischen Stummfilms in die Gegenwart zu tragen, blitzt auch in "Dark City" auf, um gleichsam als faszinierende filmtheoretische Überlegung als eben solche zu verbleiben. In der Praxis muss erzählt werden – und zwar bisweilen ausschweifend. Die Set-Konstruktionen sehen nicht billig aus und das Geld muss wieder rein. Der kleinste gemeinsame Nenner verlangt Exposition, eine geleitende Hand, das Investment muss geschützt werden. Und doch durchdringt diesen eigenartigen, irgendwie außer-weltlichen Fiebertraum trotz spürbarer Studio-Interventionen auch stets eine spürbare künstlerische Vision von einer Welt, in der jede Hoffnung eine Totgeburt bleibt. Die Stadt des Filmes ist ein Niemandsland, eine Konstruktion, Pastiche, eine Verlängerung jenes Molochs, das Proyas in seiner Crow-Adaption zum ersten Mal auferstehen ließ. Die Atmosphäre ist zutiefst beunruhigend an diesem Nicht-Ort, der vom Zweifel an eine feste Realität und den damit einhergehenden Glaubensverlust langsam aufgefressen wird. Die Angst hintergangen und gesteuert zu werden, keine Kontrolle über das eigene Schicksal zu haben, das Unbehagen einer ganzen Dekade gelangt in den Häuserfassaden dieser Stadt zu einer ganz eigenen Ästhetik - einer Ästhetik der Verschwörung.
Agent Starling steht dort, ein starker Wille in einem scheuen Blick, eingekreist. Aus einer Horde Uniformierter mit Kaffeebecher sticht sie heraus und droht doch unterzugehen. Den scheuen Blick, und den starken Willen, spielt Jodie Foster so über jeden Zweifel erhaben, dass die kurzzeitige Fokussierung des Films auf den zur Ikone gewordenen Hannibal Lecter fast schon zum Ärgernis gerät. Diesen stilisiert Demme im Mittelteil des Filmes über die Zuspitzung auf einen Twist endgültig zum faszinierenden Mastermind, dem keine Streitmacht gewachsen ist und der immer einen Ausweg zu finden scheint. Und er schwebt über Starling wie der Analytiker über dem Analysand, der Vater über dem Kind. Erst in der Schilderung von Starlings Ermittlungserfahrungen wird „The Silence of the Lambs“ spannend und lehrreich, ohne jene verklärenden Posen von der „starken Frau“, die heute nicht mehr fehlen dürfen. Starlings Blick weicht manchmal scheu zur Seite und wird dann wieder ganz klar, geradezu forsch, fokussiert. Starling darf zugleich schwach sein, Unsicherheit zeigen und sie darf sich gegen die anständigen Avancen fremder Männer spielerisch zur Wehr setzen. Starling schwitzt, Starling bricht heulend zusammen, Starling wird vor Angst fast der Kackstift in die Hose getrieben. Und beim genialischen Finale, wenn das Licht erlischt und wir sehen, was sie nicht sieht, die Kamera uns in die Perspektive des Killers zwängt, in die Rolle des Voyeurs, dann ist man ganz nah bei ihr.
Das postmoderne amerikanische Kino der 1990er Jahre fasst vielleicht kein Filmprojekt besser zusammen als dieses. Van Sants tollkühner Versuch, Hitchcocks Slasher-Klassiker „Psycho“ von 1960 penibel rekonstruieren zu wollen, kündigte gleichsam und fast schon prophetisch die Remakes, Reboots, Prequels und Sequels von Heute an. Jede Einstellung des Meisters drehte Van Sant noch einmal, mit neuen Gesichtern, aber mit alten Cameos und mit geschmeidigen Plansequenzen, wo die Technik Hitchcocks Vision einst limitierte. Den Zeitgeist ignorierte er und bekam dabei ironischerweise einen anderen zu fassen.
Alle Kameraoperationen sind durch die immense technische Weiterentwicklung mit solcher Leichtigkeit zu realisieren, aber der Zweck, dem sie dienen sollen, ihr eigentlicher Sinn, kann nicht gestiftet werden. Van Sant entlarvt seinen Film schon früh als ernsthafte Unternehmung, statt als prinzipiell reizvolle filmtheoretische Abhandlung über Sinn und Unsinn von Neuauflagen. Statt die Unmöglichkeit eines solchen Remakes eben gerade durch die exakte 1:1-Kopie zu demonstrieren, also auch Filmfehler und technische Beschränkungen mit zu übernehmen (ganz zu schweigen vom Schwarz-Weiß), erweitert er das Original immer wieder durch eigene Bilder: vom sich verdunkelnden Himmel und der in schierer Panik geweiteten Iris von Marion Crane in der Duschmord-Szene bis zu ihrer Schwester Lila, die bei der finalen Überwältigung von Norman Bates in den alten Lumpen seiner Mutter nochmal nachtreten darf, statt wie ihre Kollegin von 1960 zur Passivität verdammt zu sein.
Solche Details deuten eine Neuinterpretation oder zumindest eine behutsame Modernisierung des Originals an – die Frauenrollen dürfen etwas mehr agieren und der ikonische Duschmord wird durch assoziative Zwischenbilder den damaligen Sehgewohnheiten angepasst. Gleichzeitig bleibt die gesamte dramaturgische Struktur des Filmes unangetastet, selbst die Autos werden vor hässlichen Rückprojektionen wieder gesteuert wie zu Zeiten des Classical Hollywood. William H. Macy muss derweil mit albernem Hut den Detektiv vergangener Dekaden mimen und ein bemitleidenswerter Vince Vaughn arbeitet sich an der herausragenden Performance von Anthony Perkins ab, der den inneren Kampf von Norman Bates um seine Identität gegen eine drakonische Mutterfigur noch in ein hypernervöses, fiebriges Spiel zu überführen vermochte. Lediglich Julianne Moore gelingt es, in all dem Unsinn auf wundersame Weise Haltung zu wahren. Als sei sie direkt vom „Boogie Nights“-Set lässig herübergeschlendert und hätte einfach nur Bock auf den Quatsch gehabt.
Vielleicht hat sich Van Sant hiermit ja tatsächlich einen nerdigen Meta-Kommentar auf die Filmkultur seiner Zeit erlaubt, wenngleich dessen Änderungen am Ursprungsstoff gänzlich anderes vermuten lassen. „Psycho“ von 1960 funktioniert noch heute, weil wir die Filmgeschichte beim Schauen des Filmes mitdenken. Er funktioniert als Zeitkapsel, die das andere Schauspiel, die andere Dramaturgie, die anderen Dialoge, sprich den gesamten filmischen Impetus seiner Zeit, auch gleichsam zum Gegenstand einer filmhistorischen Betrachtung machen. Einen über 30 Jahre alten Film Szene für Szene, Sequenz für Sequenz auf exakt gleiche Weise nachzudrehen und sich den selben durchschlagenden Erfolg zu erhoffen, wäre anzunehmen, die Welt habe sich seitdem nicht mehr verändert. Van Sant war sich dessen sicherlich bewusst. Vielleicht wäre Van Sants Erwiderung auf das „Warum?“ also lediglich ein cooles „Warum nicht?“ und „Psycho“ ist am Ende vor allem das Produkt eines jung gebliebenen, neugierigen Filmemachers, der die Erfahrung des Drehs über sein denkbar langweiliges Resultat stellte. Nur um sich am Ende nicht vorwerfen zu müssen, man habe nicht alles einmal ausprobiert.
Zunächst ein entgegen jeder Franchise- und Sequel-Logik dekonstruierender Nachfolger zum unsterblichen Hitchcock-Klassiker, der sich mit etlichen Einfällen an dessen Ikonografie und dessen ikonischer Hauptfigur abarbeitet. Der Film kann zudem, und vielmehr noch, problemlos als metafilmische Abhandlung über die Slasher-Serien seiner Zeit gelesen werden. Während Bates nach seiner vermeintlich erfolgreichen Rehabilitierung mit den Gespenstern der Vergangenheit zu ringen hat, kämpfen die antagonistischen Kräfte um Lila Loomis, Schwester der legendär ums Leben gebrachten Marion Crane, mit ihrer Tochter Mary darum, dass dieser rückfällig wird. Um dieses Ziel zu erreichen ist ihnen jedes Mittel recht; sie beschwören die Vergangenheit herauf, indem sie Bates Mutter durch Verkleidungen und Telefonanrufe wieder auferstehen lassen. Bates soll dadurch wieder in ihren Bann geraten – und schlussendlich zum Mordversuch verleitet.
Lila und Mary übernehmen gewissermaßen die zweite Regie in diesem eigenartigen, höchst originellen Film. Sie kämpfen für einen zweiten Teil, der den Gesetzmäßigkeiten des Genres Folge leistet und Bates Reputation als Killer - nun auch in Serie! - endgültig zementieren soll. Der Film befindet sich als Konsequenz dieser Film-inhärenten Überlegungen im steten Konflikt mit sich selbst, steht zwischen der Hommage und der Kopie, zwischen Bates als Psychopath und unverhoffter Sympathieträger und letztlich sogar zwischen den Genres. Diesen Konflikt, der sonst in den Hinterzimmern der Filmstudios ausgetragen wird, zum Gravitationszentrum einer Fortsetzung zu machen, ist nicht nur hochgradig spannend, sondern auch seiner Zeit weit voraus. So viel klugen Meta-Kommentar hätte selbst Kevin Williamson nicht in ein Drehbuch verpacken können. Und so sollte dieser unglaubliche seltsame, gut gedrehte, bisweilen fast parodistisch wirkende Film auch gesehen werden – als geistiger Vorgänger zur „Scream“-Reihe und seinen nachfolgenden, postmodernen Dekonstruktionsversuchen.
Mit Norman Bates, der im Kampf um seine Vergangenheit und seine Autonomie schlussendlich den äußeren Umständen erliegt, verliert auch der Film seinen offen ausgetragenen Konflikt mit sich selbst. Er wird zum Franchise und bildet in einer atemberaubenden Schluss-Einstellung den Startschuss für zwei weitere Fortsetzungen. Das ist die eigentliche Tragik dieser Geschichte: Norman Bates darf unter keinen Umständen genesen, indem er der Einflusssphäre seiner geisterhaft präsenten Mutter entrinnt. Er muss in der Gegenwart auf ewig zerrissen sein im Konflikt mit der Vergangenheit um die Zukunft. Der Film macht klar, dass es keinen anderen Weg gibt als die vernichtende Niederlage gegen die Konvention, gegen die Kommerzialisierung und gegen die Logik des Marktes. Kurzum: Norman Bates ist dazu verdammt, auf ewig zu töten. Und mehr noch als ein Opfer seiner Mutter, muss er als Opfer des Filmgeschäfts, also des Geschäfts mit dem Film, verstanden werden.
Dem Film fehlt einfach die Dringlichkeit. Die sich langsam entfaltende Paranoia der Vorlage wird von Anfang an läppischem Klavierklängen geopfert, die beinahe 3 Stunden lang nicht verklingen wollen. Cruise gibt wie immer souverän den Yuppie seiner Zeit, die Figur der Abby hätte mit Gwyneth Paltrow besser besetzt werden können, Tarrance mit Edward Norton. Schon der Vorlage ging nach Dreivierteln die Puste aus, dem Film ist aber offenbar nur noch daran gelegen, irgendwie zum Ende zu kommen. Auch in der Führungsetage sind im Grunde alle Figuren durchweg zu alt besetzt und erzeugen deswegen überhaupt keine Spannung als übermächtige Drohkulisse: von DeVasher geht kaum Bedrohung aus, hier hätte ironischerweise gerade Hackman besser gepasst, der wiederum als Avery Tolar einigermaßen befremdlich besetzt ist. Und Jigsaw ist als Handlanger körperlich so wenig beeindruckend, wie er mit langen Haaren zum Lachen aussieht.
Ich liebe den Quatsch. Gehört für mich in die Kategorie „Unter-der-Woche-Kabel eins-Film“, als Kabel eins noch Filme unter der Woche zeigte und nicht nur "Reportagen" über Riesen-Schnitzel und Schrottwarenhändler. Zu dieser Sorte Film gehören beispielsweise die Grisham- und Clancy-Verfilmungen und sie zeichnet allesamt eine herrliche braun-erdige Farbpalette aus, die offenbar ihren Höhepunkt in den späten 80er bis frühen 90er Jahren fand und danach wieder verschwand. „The Seventh Sign“ ist vor diesem Hintergrund zwar noch kein guter Film, aber ein ästhetisches Vergnügen, das ich gerne wehmütig bestaune. PS: das Plakat kündigt bereits die üblen ästhetischen Eskapaden der Neunziger Jahre an.
Die Universen-Politik von Marvel und DC denken die Lego-Filme konsequent zu Ende. Wo bei den Avengers auf den Kauf des Kinotickets der Kauf der Actionfigur folgt, ist die Form der Lego-Filme selbst bereits das Merchandise. Und wo die Actionfigur immer nur eine möglichst realitätsnahe Repräsentation des Helden sein kann, ist das Spielzeug bei „The Lego Batman Movie“ bereits der Held. In der ersten Dreiviertelstunde beschleunigt sich der Film dabei auf absolute Höchstgeschwindigkeiten. Das breite Referenzsystem bedient zugleich ein breites Publikum. Die Leerstellen, die die ständigen Ironisierungen hinterlassen, werden mit Familienwerten aufgefüllt, die sich gerade aufgrund ihrer so offenkundigen Abwesenheit im ursprünglichen Batman-Mythos geradezu aufdrängen. Ebenso schlüssig ist es sogar, Robin als Ersatzsohn und Albert als Ersatzvater zu interpretieren. So wirkt das obligatorische, banale Loblied auf den Wert der Familie sogar kaum angeklebt, sondern richtiggehend schlüssig. Alles abseits dieses brav-konservativen Wiederholungszwanges ist Leere in Farben, mit Kompetenz gemachte Ablenkungsmanöver, oder um es pathetisch auszudrücken: zu einem Bildersturm verdichteter Spätkapitalismus.
Der Preis für den schönsten Filmtitel des Jahres steht schon mal fest. Zugleich ist es der irreführendste: Zahlers dritter Langfilm ist nämlich kein Exploitation-Film geworden. Im Gegensatz zu „Brawl in Cell Block 99“, der seine Gewalteskapaden immer weiter komisch überhöhte, erzählt Zahler hier eher ein Gewaltdrama, das viel Zeit für seine Figuren und ihre Lebensumstände findet. Gewalt ist stattdessen, bis auf eine kurze Eskalation in einer Bank, sehr realistisch gehalten. Statt zertretender Köpfe gibt es Lungenschüsse und harte Kerle, die langsam an ihrem eigenen Blut ersticken. Und da sind zwei suspendierte Cops, gespielt von Vince Vaughn und Mel Gibson, die sitzen in ihrer Karre und sinnieren über das Abgehängt- und nicht Gewürdigt-Sein, private Krisen und Geldnöte in Zeiten von Mikroaggression und Gender-Pronomen. Zahler geht über gegenwärtige Befindlichkeiten gnadenlos hinweg und entlarvt über die abgebildeten Ambivalenzen und Widersprüche zugleich die Einfachheit identitätspolitischen Denkens. Zahler erarbeitet sich filmische Erzählungen auch nicht über funktionale Figurenschablonen. Das Zwiegespräch im Auto, die Essenz des Buddy-Cop-Films, dessen Degeneration mit Bays Bösen Jungs schon um die Jahrtausendwende zureichend vorangetrieben wurde, verleiht Zahler neue Relevanz und macht den Innenraum des Fahrzeugs zum Verhandlungsraum für Politik und Identität. Aber Achtung: der Film burnt slow und fackelt nichts richtig ab. Die Konfrontationen bleiben sehr zurückgenommen und zielgerichtet. Keine übermenschlichen Fähigkeiten oder heldenhafte Manöver sichern das Überleben, sondern Geduld, Taktik und Glück. Das Gesprochene ist substanziell, die Menschen stehen im Mittelpunkt. Wer daran interessiert ist, wird beglückt.