huababuar - Kommentare

Alle Kommentare von huababuar

  • 7 .5
    huababuar 26.03.2016, 17:02 Geändert 26.03.2016, 19:50

    So sorgsam und liebevoll Martin Scorsese New York in der letzten Einstellung kuriert und zur heutigen Kulturmetropole zusammenmontiert, so brachial und grausam hat er es zuvor eingerissen. In „Gangs of New York“ erleben wir einen anderen Martin Scorsese, einen leidenschaftlicheren, einen enthemmteren. Einen aus Queens stammenden Enkel italienischer Einwanderer, der seine Herzensangelegenheit verfilmt hat und über die Untiefen seiner Stadt sprechen möchte. Der sonst doch so besonnene Regiemeister, der zwar schon immer gerne mit Gewalt und Gangstertum hantiert, sie allerdings noch nie in solchen Ausmaßen verbildlicht hat, eruptiert nun komplett, beginnt und beendet sein Schaffen in wahren Tobsuchtsanfällen, lässt massenhaft Gliedmaßen abhacken, Köpfe spalten, Körper durchlöchern, Leichen brennen, Existenzen im Kampf um die Ehre und die eigene Überzeugung vernichten. Dazwischen setzt er Kulissenperfektion, Charakterpflege und ganz viel Liebe zum Detail.

    An der Schnittstelle von Immigrationswelle und Sezessionskrieg erzählt er vom präindustriellen New York, das Toleranz und die gelebte Multi-Kulti-Gesellschaft von heute noch nicht kannte, sondern im Kampf gegen sich selbst zugrunde zu gehen drohte. South Manhattan, Elendsviertel Five Points: Ein Bürgerkrieg im Bürgerkrieg. Eine Zeit, in der Glaube mehr trennt als verbindet, in der die Herkunft den Lebensweg vorzeichnet. Nativismus gegen Kolonialismus. Einheimische gegen Iren. Gang gegen Gang. Polizei gegen Gang. Feuerwehr gegen Feuerwehr. Arm gegen Reich. Im anarchorassistischen Schmelztiegel erodiert die Moral analog zu den Häuserfassaden, damals vornehmlich noch aus Holz und Backstein.

    Aus dem ziemlich konventionellen Korsett seiner Kerngeschichte destilliert Scorsese so etwas wie die raue, umkämpfte Geburtsstunde des modernen Amerikas heraus, pinselt fernab seines Gangsterepos ein detailgetreues Zeitkolorit der allumfassenden, gesellschaftlichen Zerrissenheit und Rechtsfreiheit auf die Leinwand und beharrt dabei vor allem auf Themen wie Glaube, Rache, Ehre, aber auch Erlösung und Verschonung, wenn er den intimsten Moment eines Menschen und die Frage nach der Selbstbestimmung des eigenen Todes gar zum Stilmittel erhebt.

    Zu irischem Folk und operettenhafter Opulenz springt ein subversiver Leonardo diCaprio zwischen Bewunderung und tief inhärentem Hass, häufig lediglich durch ein helles Funkeln in den Augen zur Schau getragen, hin und her, agieren in den Nebenrollen Akteure wie Brendan Gleeson, John C. Reilly, Liam Neeson und auch die in der einzig relevanten Frauenrolle etwas undankbar platzierte Cameron Diaz höchstüberzeugend, stellt das charmant-chauvinistische Böse, Daniel Day-Lewis, letztlich aber alles in den Schatten.

    Diese grenzenlose Ambition und Scorseses beeindruckender Hang zur gestalterischen Größe sind es dann auch, die am Ende eine einfach gehaltene Story kaschieren können, die angesichts ihrer durchwegs interessanten Charaktere und der durchwegs interessanten und bewegten Zeit, in der sie spielt, Raum zu mehr Entfaltung hätte bieten können, sich schließlich aber etwas zu fest an die Bürde seiner Rache-des-Rückkehrer-Motivik kettet.

    22
    • 4 .5
      huababuar 24.03.2016, 02:50 Geändert 24.03.2016, 03:19

      Das Axiom der ehemaligen Tennisspielerin Anna Kurnikowa („sieht gut aus, gewinnt aber selten“), sonst eigentlich beim Pokerspiel für die Kartenkombination aus Ass und König verwendet, ließe sich auch vortrefflich auf den US-amerikanischen Thriller „Turistas“ übertragen. Der sieht wahrlich gut aus, ja. Und damit sind nicht nur Melissa George, Olivia Wilde und sämtliche andere sorgsam selektierte Protagonistinnen gemeint, die wahlweise lasziv zu portugiesisch-sprachigem Hip Hop die Hüften schwingen oder panisch vor ihren Peinigern in die Pampa fliehen. Beides im knappen Bikini, natürlich.

      „Touristas“ versteht es auch, die im Genre fast schon obligate Antithese des Höllenparadieses bildlich recht schick zu instrumentalisieren. Wie in jedem dieser letztlich doch meist belanglosen Backwoods-Thriller muss schließlich zuerst einmal eine heile Welt konstruiert werden, die man dann später wieder einreißen kann. Hier besteht sie eben aus Sex, Strand und Caipirinha und endet mit Knebel, Urwald und Betäubungsmittel.

      Dass zwei schwedische Rucksacktouristen synchronisiert klingen wie die Almöhis aus den Appenzeller Alpen, sei Regisseur John Stockwell („Into the Blue“) noch verziehen, hat er seinem Werk hier doch einen gelegentlich fiesen, wenn auch nur partiell wirklich spannenden Anstrich gegeben – speziell die Hatz in den Unterwasserhöhlen ist überzeugend klaustrophobisch geraten.

      Was „Touristas“ dann vollends zur Anna Kurnikowa des B-Movie-Grand-Slams reifen lässt, ist die Stumpfheit, die doch zuweilen innewohnt: Unterschwellig xenophob wird über 94 Minuten das Klischee des rückständig-ruralen, bestialisch-kriminellen Hinterwäldlerbrasilianers, des erbarmungslosen Wilden, kolportiert, dessen perfiden Plänen mit scheinheiliger Kapitalismuskritik eine Legitimation verschafft werden soll. Man sollte keineswegs Boshaftigkeit unterstellen, eher fehlgeleitete Ambition. Aber Kurnikowa war auch stets bemüht – und hat schließlich keinen einzigen Einzeltitel in ihrer Karriere gewonnen.

      18
      • 7
        huababuar 22.03.2016, 19:40 Geändert 22.03.2016, 20:11

        Alles beginnt mit einem Blowjob auf der Krankenstation. Es soll für eine beträchtliche Zeit die einzige explizit visualisierte, sexuelle Handlung in „Princesas – Prinzessinnen der Straße“ bleiben. Denn wenngleich der spanische Regisseur Fernando León de Aranoa hier vom Rotlichtmilieu in den sozialen Brennpunkten Madrids erzählt, ist er nicht darauf erpicht, Ressentiments in einem selbstgefälligen, arroganten Habitus aus Voyeurismus und Zeigefinger-Moral breitzutreten, ganz im Gegenteil: Schnell merkt man, dass de Aranoa am Klischee der willenlosen Hure nicht viel gelegen ist. Er gibt den beiden Prostituierten Caye und Zulema ein ambivalentes Gesicht. Mal froh, mal frustriert. Mal sehnsüchtig, mal selbstbewusst. Er lässt sie kichern, lässt sie weinen. Oft vom einen auf den anderen Moment, gelegentlich etwas überstürzt, wenn er das Pendel zwischen Hoffnung, Sehnsucht und Angst zu sehr schwingen lässt.

        „Princesas“ vergisst trotz seiner ernsten Thematik das Lachen und den Lebensmut nicht, was am feurigen, spanischen Kino liegen mag, das sich rein technisch gesehen hier vor allem im temperament- und kraftvollen Soundtrack, sowie der quirlig-körnigen Kamera in all seiner Bodenständigkeit präsentiert. Ein Sozialdrama, das im Bezug auf ursprüngliche und gesellschaftliche Fragen eher oberflächlich bleibt und stattdessen die Menschen, ja die Frauen, in den Vordergrund rückt, vor deren Eitelkeit und innerer Stärke er geradezu ehrfürchtig niederzuknien scheint.

        Ob Diskussionen über die neuesten Brustgrößentrends, die hochrangige, politische Klientel, Schlüsselreize bei Freiern oder die neue preisgünstigere Konkurrenz auf der Straße aus Afrika und der Karibik, die’s schon für ´nen Zehner französisch treibt – solche Gespräche geschehen, wenn auch manchmal etwas zu ausführlich, ganz beiläufig, ganz natürlich, nicht von oben herab, weil es (wahrscheinlich) einfach diejenigen Diskussionen sind, die man beim Friseur eben so führt, wenn man anschaffen geht.

        Den Fehler, allzu romantisierend vom Geschäft der käuflichen Liebe zu erzählen, begeht de Aranoa dabei aber nie, zeigt neben emanzipierten, im Leben halbwegs gefestigten Huren eben auch die Kehrseite eines sündigen Systems: Arbeitsmigration, Vergewaltigungen, zukunftsträchtige Dependenzen, Ablehnung und Stigmatisierung, eine verkommene, soziale Unterschicht.

        Ein einfühlsamer Film, der nie versucht, die Lasterhaftigkeit der Sphären, in denen er sich bewegt, zu leugnen, viel lieber aber den Kopf oben behält und von der Kraft und der Freundschaft zweier beeindruckender Frauen erzählt, von ihren Sorgen, Träumen und ihrem ansteckenden Blick auf das Leben: „Heute sind wir keine Huren. Heute sind wir Prinzessinnen.“

        17
        • 5 .5
          huababuar 20.03.2016, 01:24 Geändert 20.03.2016, 03:28

          Auch wenn sich die Gesetzmäßigkeiten der Logik und des Realismus im Slashergenre allgemein akzeptiert verbieten - „Mindhunters“ schafft es dennoch, sich durch seine allzu konzipierte und konstruierte Gesamtheit gelegentlich selbst auszuhebeln. Denn so wie sich die Protagonisten, Profiler in spe und Opfer a priori, ihrer psychoanalytischen Fähigkeiten zu sicher sind, ehe ihr Interesse am Serienkiller-Phänomen zum folgenschweren Verhängnis wird, sich im Stile ihrer zukünftigen Arbeit die eigenen Stärken und Schwächen plötzlich gegen sie wenden, so verzettelt sich auch der finnische Regisseur Renny Harlin („Cliffhanger“) beim Versuch, die Erwartungen und Reize des Publikums ausloten, zurechtrücken und in die Irre führen zu wollen. Letztendlich erwirkt er nämlich genau das Gegenteil: Am Ende ermüdet er es durch sein verzweifeltes Twistspektakel.

          Nötig gehabt hätte Harlin das nicht, ist „Mindhunters“ doch ein ordentlich bebilderter Mysterythriller, dessen dramaturgische Ziehfäden zwar voll und ganz an die systematische Dezimierung seiner blass bleibenden Figuren durch den unbekannten Täter sowie die skeptisch-septische, selbstzerstörerische Gruppendynamik gekoppelt sind, eben ganz nach den Leitlinien des trivialen Whodunit-Streifens, der gleichzeitig in gewissen Momenten aber auch einen Geist der Kreativität und des Ehrgeizes eingestreut hat. Innovative Mordtechniken mit einer verzwickt-subtilen Systematik dahinter – letztendlich ist das dann ruppiges Rätselraten mit mittelhohem Spannungsfaktor, keinesfalls aber so Verstand raubend wie der Titel suggerieren will.

          12
          • 9 .5
            huababuar 18.03.2016, 18:39 Geändert 19.03.2016, 22:45

            Es ist gerade kurz nach Fünf. 14°C, schönstes Föhnwetter, Semesterferien. Von draußen hört man die Vögel zwitschern, gleißendes Licht fällt mir ins Gesicht. Eigentlich kein Grund, gedankenversunken im Wohnzimmer zu sitzen und seit zwanzig Minuten auf ein leeres Word-Dokument zu schauen, oder? Ich tue es trotzdem. Warum? Da ist dieser überfüllte Brummschädel, der einfach nicht arbeiten will. Trotz Kaffee und Zigarette. Meine Synapsen blockiert, auch die Finger – tippbereit auf der Tastatur – rebellieren. Da sind diese flimmernden Bildfetzen, die von links nach rechts an mir vorbei zischen. Ein rasender Tom Cruise am Krankenbett des morbiden Jason Robards. Ein bitterlich weinender Philip Seymour Hoffman. Ein sturzbetrunkener, mit sich selbst hadernder William H. Macy. Die zu allem entschlossene Julianne Moore und Phillip Baker Hall mit dem Finger am Abzug. Und da ist dieses Lied – „Wise up“ – das im Moment, mittlerweile ist es bereits 18 nach Fünf, bestimmt zum siebten Mal den Raum durchdringt. Aimee Mann hat sich einen festen Platz in meinem Gehörgang verschafft. Doch was meint sie mit "daraus lernen" (wise up)? Woraus sollen wir lernen?

            „Wir haben mit der Vergangenheit abgeschlossen. Aber die Vergangenheit nicht mit uns.“

            Bereits nach dem Prolog ist klar, „Magnolia“, das ist kein simpler Film, das ist eine Erfahrung. In rasantem Staccato wird über die Bedeutungsleere von Zufällen und die Wahrhaftigkeit von Fatalitäten parliert. Sekündlich getakteter Schnitt, präzise Plansequenzen, weich fließende Übergänge. Neun Schicksale verschwimmen anfangs zu einem großen, undurchsichtigen Etwas bevor Anderson seinem Publikum mit fast schon distanzierter Trägheit Luft zum Atmen verschafft. Er verharrt in den Irrungen und Wirrungen der Protagonisten samt ihrem nicht ganz so makellosen Leben, das zu entblättern er mit szenischer Präzision und detaillierter Dialogführung geradezu zelebriert. Er hält lange drauf, manchmal vielleicht etwas zu lange. Dann aber geschieht etwas Wunderbares:

            Die einzelnen Folien, die der Autorenfilmer Anderson mit dezidiert-sorgfältiger Schwungbewegung selbst aufgemalt hat, fügt er zusammen, schichtet sie millimetergenau aufeinander, wie auf einem Tageslichtprojektor. Das Resultat, das sich dann schließlich auf der Bildwand zeigt, ist nicht weniger als die triste Essenz des wahren Lebens. Ein mit biblischen Zitaten geschmücktes Konglomerat aus Reue, Einsamkeit, Vergebung, Sühne, Druck, Erwartungshaltung (an Kinder und Eltern, an Männer und Frauen), Untreue und entzweite Vater-Sohn-Beziehungen. Anderson verwebt seine Geschichten, offenbart geschickt verbindende Elemente.

            Verbildlichte er die Probleme, Ängste und Sorgen zuvor noch mit einer gewissen Abstandshaltung, dringt er nun schonungslos in seine Charaktere ein, er entblößt ihr Innenleben, so lange und so robust, bis sie sich förmlich nackt gegenüber stehen und nichts mehr haben außer sich selbst und ihre schmerzliche, lasterhafte Verbindung zueinander. Hier kommt Andersons Vollkommenheit von Konstruktion, Bildästhetik und Narrativ am stärksten zur Geltung: Das Voice-Over des sterbenden Earl legt er in seinem Sinngehalt erschreckend adäquat über die Szenen der übrigen, implodierenden Figuren. Gemeinsam lässt er sie den genialen Soundtrack intonieren, sehnsüchtig und mit Tränen in den Augen darüber singen, dass sie nicht aufhören werden, diese peinvollen Gefühle, bis man daraus lernt.

            Der Weg zur Katharsis, zur endgültigen Läuterung des Moralischen führt eines der wohl großartigsten und stärksten Schauspielensembles aller Zeiten durch ein Tal voller Tränen, voller unschöner Erinnerungen und voller Gewissensbisse, mit dem Niederschlag als Gradmesser angestauter Emotionen, die sich letztlich hemmungslos entladen. Es ist die ehrlichste, die nahbarste, ja die in seiner ganzen Dramatik schönste und sentimentalste Art der Vergangenheitsbewältigung.

            Inzwischen ist es 18:29 Uhr. Sonne weg, Mutter zuhaus, kein Vogelgezwitscher mehr. "Wise Up" läuft immer noch in Dauerschleife, es dröhnt schon fast in den Ohren. Das Word-Dokument ist voll. Wirklich überzeugt von dem, was meine blockierten Synapsen und rebellierenden Finger zu Papier gebracht haben, bin ich nicht. Vielleicht soll das aber auch so sein. Vielleicht sollten wir öfter in die Leere blicken, um das Gehaltvolle zu sehen. Nachdenken über die Vergangenheit anstatt sie immerzu zu verdrängen. Vielleicht sollten wir uns einfach mal zufrieden geben, mit dem, was wir (erreicht) haben, mit den Leuten, die uns umgeben, die uns lieben. Uns derer Dinge und derer Personen bewusst werden, auf die es wirklich ankommt. Vielleicht ist es ja gerade das, was Aimee Mann meint, wenn sie engelsgleich singt, dass das alles nicht aufhören werde, ehe wir daraus lernen.

            25
            • 3 .5
              huababuar 16.03.2016, 17:45 Geändert 16.03.2016, 18:14

              Irgendwo zwischen Untergang des Römischen Reichs, barbarischen Germanenaufständen und den Abenteuermärchen des Kinderkaisers Romulus Augustulus beglückt Doug Lefler, bekannt für bahnbrechende Kassenschlager à la „Dragonheart II – Ein neuer Anfang“, den geneigten Zuseher mit der nächsten Rotzschleuder aus der Historical-Fantasy-Schublade. Geradezu lachhaft ist dabei nicht nur, dass er auf Kriegsfuß mit historischer Faktizität steht, sich seinen Plot wild aus Fantasy und Sandalenfilm zusammenschustert und das eigentliche Kapital eines Historienfilms, die Bildgewalt, mit der Ästhetik meines allmorgendlichen Toilettengangs ausschmückt. Hochnotpeinlich wird es nämlich dann, wenn er sein narratives Unvermögen – böse Zungen, zu denen ich mich natürlich nicht zähle, würden ihm an dieser Stelle vermutlich Ostentation unterstellen – fast schon minütlich zur Schau stellt. Leidlich lieblos vorgetragen, garniert mit gestelzter Lockerheit reiht ein gehetztes Drehbuch Szenen bedenkenlos aneinander, in denen der zweifelsohne talentierte Kinderdarsteller Thomas Brodie-Sangster, Colin Firth und ein Ben Kingsley mit Fremdschamgarantie mit aufgesetzt bedeutsamem, überkandideltem Schauspiel und grausamen Dialogen sorglos ins Verderben reiten.

              „Die letzte Legion“ sollte nicht einmal als die letzte Option angesehen werden, wenn es um Seichtigkeit an einem verregneten Filmsonntag geht. Ein unfreiwillig komischer Horrortrip durch altertümliche Gefilde, der wie das Pilotprojekt eines Filmstudenten wirkt, der sich am Sujet der römischen Antike abarbeiten durfte, dem Unterhaltungswahn der zeitgenössischen Blockbusterisierung verfallen und daran teilweise grandios gescheitert ist und letztlich einen Film aus dem Boden gestampft hat, den man mit selbiger Vehemenz gleich wieder zurück ins Erdreich der alten Cäsaren treten möchte.

              16
              • 8
                huababuar 14.03.2016, 17:56 Geändert 14.03.2016, 18:48
                über Oh Boy

                Im Laufe der Zeit ist uns Menschen die üble Marotte zu Eigen geworden, nichts mehr dem Zufall überlassen zu dürfen. Solange alles geplant, getaktet und terminiert ist, unser gestraffter Kalender dem jedes Bundestagsabgeordneten Konkurrenz machen kann, ist alles in gelenkten Bahnen, denken wir. Dass das der sichere Weg in den stinkspießigen Alltagstrott ist, uns der geschärfte Blick für scheinbar nebensächliche, wahrhaftig aber so existenzielle und auch schöne Dinge dabei abhanden kommt? Ein billigend in Kauf genommenes Übel der geordneten Welt.

                Diese Perversion des mit Stecknadeln durchzogenen Etappenlebens befällt uns sogar im Urlaub. Kurztrip nach Berlin: 8 Uhr Aufstehen, danach Frühstück in der Hotellobby, gefolgt von kurzen, weil ja verpflichteten, Abstechern zu East Side Gallery, Pariser Platz und Checkpoint Charlie, abgerundet von hektischen Spätnachmittagseinkäufen am Ku’damm. Ich will überhaupt nicht bestreiten, dass zu einer Städtereise freilich die Besichtigung der großen Touristenmagneten irgendwo dazugehört. Aber ist es nicht viel schöner, sich ab und zu auch mal treiben zu lassen? Von den Stimmungen und Schwingungen einer pulsierenden Metropole, von Gerüchen und Geräuschen, von Häuserzeilen und Neonbeleuchtungen. Die Stadtkarte nur als letztes Mittel der Orientierung in der Tasche, ansonsten Spontanität und Entdeckungsdrang als einzige Maxime. Mir hat das neulich eine unvergessliche Nacht in der Undergroundkneipe Dr. Pong beschert. Berlin, Prenzlauer Berg: Milchfolienfront, Tischtennisplatte, Cannabisschwaden (Schleichwerbung: https://www.facebook.com/DrPongBerlin/?fref=ts).

                Für Niko aus „Oh Boy“, notorischer Einzelgänger und Allesabbrecher, aber bedeutet das wahl- und ziellose Treiben durch Berlin eine schmerzvolle, mitunter auch humoristische Reise ins eigene Ich, eine Selbstreflexion des Seins: Leben aus Umzugskartons, in den Tag hinein, ohne Ziel, ohne Vision. Eine entfremdete Vater-Sohn-Beziehung. Kein Blick in die Zukunft, lediglich der sehnsüchtige Gedanke an das, was mal war, konserviert auf Fotographien voller demonstrativ glückseliger Menschen, und die beißende Frage: Sind alle anderen so merkwürdig oder bin nur ich es?

                Regisseur Jan Ole Gerster lässt seine tragische Hauptfigur, herrlich introvertiert, immerzu missverstanden und unkommunikativ interpretiert von Tom Schilling, repetitiv in unangenehme Begegnungen und Begebenheiten stolpern. Ob den selbstgefällig-suggestiven Psychologen beim MPU-Test, die verzweifelte Suche nach einem stinknormalen Kaffee – weder Arabica noch Columbia, einfach Kaffee, und wenn möglich für unter 3,20€ - oder doof-dreiste Trickbetrüger. Der Rasierklingenritt zwischen großstädtisch-situativer Alltagskomik und später auch schwermütigeren Tönen um verzweifelte Sinnsuche und bange Zukunftsangst gelingt problemlos.

                In fabulöser Bild-Ton-Komposition mit obligatorisch gedankenversunkenen Blicken aus dem Fenster, einem gewichtigen Piano und schwarz-weißer Melancholie, in der sich Berlin wunderbar macht, changiert Gerster aber nicht nur zwischen skurriler Metropolensatire und sinnierender Identitätsreise, subtil deutet er auch auf gescheiterte Existenzen, insinuiert damit die unbekannten Verlierer, das unsichtbare Leid, das in der Anonymität eines grassierenden Schmelztiegels unterzugehen droht: obdachlose Bettler, zerbrochene Ehen, erfolglose Schauspieler, Drogendeals in Omas blumentapeziertem Plattenbaudomizil, pöbelnd-pubertäre Vodkasäufer, traumatisierte Kneipenwracks.

                „Oh Boy“ ist wie eine eigene, kleine, wohnzimmerliche Entdeckungsreise durch die eben nicht immer nur sauber geschleckten Seiten einer Stadt und gleichzeitig auch eines Lebens. Divers, andersartig, unkonventionell, mutig, szenisch, in seiner dreckig-verruchten Art wunderschön und damit ja gleichzeitig mit all seinen Eigenschaften auch irgendwie eine Analogie zum einzigartigen Berlin selbst.

                17
                • 8
                  huababuar 06.03.2016, 13:36 Geändert 07.03.2016, 01:03

                  Wie konnte es nur so weit kommen? Wenn David Fincher gedeihlich mit Vergangenheit und Gegenwart jongliert – in der einen Hand die (zunächst noch) blumig-verträumten Anfangsjahre einer augenscheinlich perfekten Ehe, in der anderen das wolkenbehangene, schwermütige Hier und Jetzt – sie gegeneinander aufwiegt und Vorzeichen vollständig umpolt, dann hängt diese Frage wie ein böswilliges Menetekel über Allem. Und obschon die Antwort darauf in ihrer extremen und perfektionierten Formvollendung nicht immer genügsam ist, kann man dem neuzeitlichen Thrillertitan doch seinen nächsten clever verpackten Coup attestieren.

                  Mag Fincher vordergründig in so wunderbar farblos-fahler Optik von zwei Menschen erzählen, die sich wie aneinander reibende Kalksteine langsam abnutzen, und das in ein sorgsam konstruiertes Gerechtigkeitsdrama implementieren, geht es hinter der Fassade – wie eben auch in Amys und Nicks Romanze – um tiefsinnigere Dinge: Um das zurecht Kneten und Modellieren unserer Mitmenschen, das Projizieren unserer Wunschbeziehung in sie, den (Ein)druck der öffentlichen (sprunghaften) Meinung, des Umfelds, der Medienchargen, des Pöbels, vor dem die gutbürgerliche Fassade und das eigene Ansehen beständig sein muss. Schließlich auch um die urälteste aller Fragen der Schuld. In „Gone Girl“ lässt Fincher nicht nur Träume von fehlerlosen Ehen und wohlbehütetem Vorstadtleben platzen, Idealvorstellungen an uns und unsere Nächsten zerschellen und die Moralität der breiten Masse an der Hetze der treibjagenden Boulevardmedien bersten, er stellt die Wurzel unseres kompletten zwischenmenschlichen Umgangs infrage.

                  Inmitten eines Strudels aus Zynismus und Tragik, Gewalt und Liebe, Karikatur und bitterböser Realität mimt Ben Affleck den Stereotypen des lebemännischen Mittelständlergatten mit Dackelblick und Fremdgehfick und lässt so der Performance einer intensiv-intriganten Rosamunde Pike genügend Raum. Von den dunklen Molltönen einer immanent diabolischen, verabscheuungswürdigen femme fatale bis hin zum puristischen Dur einer treusorgenden Ehefrau brilliert Pike auf der gesamten Klaviatur des weiblichen Daseins und spielt sich so durch ihre wechselseitige Formbarkeit zum selbstreferentiellen Sinnbild des gesamten Films auf.

                  Eine herrlich fiese, großflächig spannende, dezidiert aufgeschichtete Allegorie einer egoistischen und heuchlerischen Gesellschaft. Wie es so weit kommen konnte? Es war schon längst da. Nur hat es uns Fincher einmal mehr zielsicher und effektiv vor die eigenen Füße werfen müssen.

                  19
                  • Wenn das 5:28 Uhr auf deinem Digitalwecker sich wie eine Brandmarke in dein Gehirn frisst und dir zuruft: "Junge, schlaf endlich ein, du Penner!". Wenn die Decke zu warm, der Mund zu trocken, die Luft zu stickig und überhaupt jedes an den Haaren herbeigezogene Detail viel zu wichtig ist und dich unruhig werden lässt. Wenn dein Kumpel sich wie ein räudig-stinkender Wikinger kurz vor Wallhalla keuchend, schnarchend und stöhnend auf der Couch wälzt, ja dann, aber nur dann, würd ich gern in übersteigerter Michael Bay-Manier mein ganzes Zimmer in seinen Grundfesten niederreißen!!!

                    PS: Sorry für diesen geltungssüchtigen, absolut entbehrlichen Kommentar. Du bist nicht du, wenn du schlaflos bist.

                    11
                    • 7 .5
                      huababuar 01.03.2016, 17:12 Geändert 01.03.2016, 17:57

                      Alles endet mit einem gequälten Blick irgendwo zwischen Hoffnung und Ausweglosigkeit. Zwei Gefühlsregungen, die sich im Großstadtgewusel Seouls immer diametral gegenüberstanden. Wo die Hoffnung herziehen, wenn Ausweglosigkeit jede Sekunde des Lebens dominiert und der Gedanke an die eigene Zukunft eine zeppelingroße, leere Blase ist? Der mürrische und vergangenheitsgeschundene Antiheld Cha Tae-sik – wunderbar impulsiv und mitunter apathisch gespielt von Won Bin – füllt diese Leere mit einer platonischen, fast schon melancholischen Beziehung zum vernachlässigten und frühreifen (auch in schauspielerischer Hinsicht) Mädchen So-mi (Kim Sae-ron), wie wir es von Jean Reno und Natalie Portman in „Leon – der Profi“ kennen. Eine so glaubhaft verbildlichte Bindung zweier Ausgestoßener als Vehikel für eine recht simple Rachestory nach altbekannten Mustern, Rollenverteilungen (unschuldig dreinblickendes Mädchen, einzelgängerischer Protagonist, ausgeflippter Bösewicht) und den legendären Gewaltauswüchsen des Asia-Kinos.

                      „The Man from Nowhere“ mag inszenatorisch nur halb so künstlerisch gewieft wie seine koreanischen Genrebrüder („The Chaser“, „Oldboy“, „I saw the Devil“) sein. Die Seoul-typische Verkommenheitsästhetik – allseits prononciert in gräulicher Tristesse und unentrinnbarer Abgründigkeit – hat Regisseur Lee Jeong-beom allerdings in all seiner Grässlichkeit perfektioniert.

                      Drogensyndikate, Menschen- und Organhandel, versiffte Wohnbaracken, Gewalt als legitimes Kommunikationsmedium. Wenn Jeong-beom das Milieu der sozialen Großstadtverlierer durchleuchtet und skizziert, zeigt sich die Extravaganz des so poppig-schillernden Südkoreas höchstens als Spielwiese der dekadenten Verbrecherbanden, als Hort des personifizierten Übels.

                      In fein choreographierten, manchmal etwas zu hektisch geschnittenen Actionsequenzen geschieht die letztlich letale Gewalt zunächst meist im Off, weil die Kamera im finalen Moment wegdreht. Doch die Wut staut sich an. Hat Jeong-beom den Bluthahn erst noch resistent geschlossen gelassen und dann stetig gelockert, muss er am Ende gezwungenermaßen aufdrehen und geradezu entfesselt das gesamte Elend seiner Geschichte in einer explosiven Gewaltorgie kanalisieren und abfließen lassen.

                      Hätte man das hemmungslose Schnetzeln am Ende anderen Produktionen vermutlich als reinsten Brutalo-Fetisch und Befriedigung des Voyeurismus angelastet, bleibt „The Man from Nowhere“ in all seinen Aktionen glaubwürdig. Weil die Bindung zwischen So-mi und Cha Tae-sik so real und emotional erscheint. Weil die Gräuel im Moloch der Metropole so authentisch wirken. Weil die Perspektivlosigkeit so spürbar ist. Weil man sich für die beiden eben irgendwie Hoffnung anstatt Ausweglosigkeit wünscht. Und wenn sich koreakitschige Theatralik, Gefühligkeit und Sanftmut mit bis zur letzten Konsequenz exerzierten Gewaltphantasien symbiotisieren, kann letztendlich schon fast nichts mehr schief gehen.

                      14
                      • 7
                        huababuar 28.02.2016, 14:39 Geändert 28.02.2016, 14:56

                        „Inherent Vice“ – ein Film, der gar nicht erst verstanden werden will. Irgendwo zwischen psychedelischen Rauschzuständen, anzüglicher Vulgärerotik und dem Abbild einer rebellischen Generation der Spätsechziger platziert und drapiert P.T. Anderson seinen ahnungslosen Zuschauer. Es geht um neonazistische Kredithaie, obskure L.A.P.D.-Cops, noch obskurere Zahnärzte, Dope und ganz viele unrasierte Muschis. Um nichts also und irgendwie um doch so Vieles.

                        So ist der verworrene, schwer zugängliche, fernab jedweder Narrativkonvention liegende Detektivplot letztendlich nur die Fassade für Andersons bzw. Thomas Pynchons (dem Autor der literarischen Vorgabe) philosophisches Gedankenspiel: Im vom Gras verrauchten und vernebelten Zeitkolorit der Hippie-Jahre thematisiert „Inherent Vice“ nicht etwa eine simple Kriminalkomödie, sondern vielmehr die Motivationen und Wünsche einer ganzen Gegenbewegung. Getrieben von einer fortwährenden Paranoia – gegenüber den fremdgehenden, durchbrennenden und identitätswechselnden Mitmenschen sowie dem Staat, der sich zu Zeiten der Nixon-Regierung und des Vietnamkriegs in einer Krise des Misstrauens befindet – geht es letztendlich um die Suche nach Ausflucht und Freiheit. Der eskapistische Drang, einem System der Untreue und Vortäuschung zu entrinnen, sei es in Drogenexzessen oder hemmungsloser Liebe.

                        Unbequem, fordernd und strapaziös mag das sein, doch gleichzeitig entlarvt Anderson etwas, das er jedem seiner Figuren in den Kopf gesetzt hat: Inherent Vice – innewohnende, natürliche Mängel. So wie jeder Charakter auf der Suche nach Erlösung lange im absoluten Nichts herumstochert und in einem Dauerzustand aus sexueller Enthemmung und absoluter Verwahrlosung zwischenzeitlich zwangsweise wieder auf dem harten Boden der Realität aufschlägt, so soll auch die Beschränktheit des Rezipienten dekuvriert werden: Ein Gefühl der Verunsicherung ummantelt ihn, weil er nicht folgen kann. Nicht versteht, worum es geht. Weil er sich der Grenze seiner eigenen kognitiven Fähigkeiten bewusst wird.

                        Ästhetisch, intelligent und gut gespielt ist das schon, anstrengend und unnahbar aber eben auch und somit hat „Inherent Vice“ weniger etwas von dem unbeschwerten Gefühl eines Joints, mehr jedoch vom hämmernden, schwindelerregenden Kopfdröhnen am Tag danach.

                        20
                        • 8
                          • 8
                            huababuar 26.02.2016, 13:04 Geändert 13.04.2016, 19:36

                            Die unheilvoll aufziehenden Gewitterwolkengeschwader und der schwermütige Pianosoundtrack von Howard Shore deuten es an: Im katholisch geprägten Boston ist nichts so aufgeräumt und ehrlich wie es beim Anblick der bescheidenen Backsteingebäude zu sein scheint. Wo schicksalsgeplagte Kinder – sei es durch die Trennung/den Tod ihrer Eltern oder finanzielle Probleme - ihren Lebensmut, ihre Zuversicht, ihre letzte Ausflucht im institutionalisierten Glauben der Kirche, sprich: in der Gemeinschaft, suchen, treffen sie oft nur auf triebgesteuerte Kleriker, die ihre so lange unterdrückte Libido an den Schwachen und Schutzlosen ausleben. Protegés des Christentums werden zu den Opfern desselbigen. Nächstenliebe auf katholisch.

                            Nun hätte es sich Regisseur Tom McCarthy ausgesprochen einfach machen können: Voyeuristisches Ausschlachten der Opferseite, gezielte Manipulation der Tränendrüse verpackt in einem möglichst sinistren Schicksalsdrama, fertig wäre der massenkonforme Oscarstandart mit Schmalz und Schnulz gewesen. Dass McCarthy andere Wege geht, zeigten die drei (!) cinephilen Nachtschwärmer, die sich gestern Abend im Kinosaal einfanden. (Kurze Randbemerkung: Armes Deutschland, soll euch der Blitz beim Schweiger-Schauen treffen!)

                            „Spotlight“ ist kristallklares New Hollywood-Kino transferiert in die Zeit des unausstehlichen Blockbuster-Molochs. Antiquierte, weil konventionelle, nicht effekthaschende Filmkunst und dabei nicht weniger als der wohl beste Journalistenfilm seit „Die Unbestechlichen“. So unscheinbar, so unspektakulär, so geradlinig und gerade deshalb so ausschweifend schön.

                            Geschäftige Großraumbüros, akribische Aktenarbeit, tatendurstige Telefontiraden - „Spotlight“ ist ein nostalgisches Sammelsurium redaktioneller Feinarbeit und Perfektion. Eine puristische Lobeshymne auf einen Berufsstand, der in unsteten Wetterlagen viel Gegenwind ertragen muss. Die vierte Macht, sie kann sich – trotz bereits sinkender Auflage - Anfang der 00er Jahre in Personifikation des Pulitzer-Preis-prämierten Investigativrechercheteams Spotlight noch frei entfalten. Frei vom rigiden Aktualitätenzwang des Internets, frei vom Misstrauen der Öffentlichkeit. Frei im Selbstverständnis ihrer Profession, um gegen die Unantastbarkeit und Omnipotenz der Kirche vorzugehen.

                            McCarthy gelingt eine schmale Gratwanderung, an die sich Filmemacher heutzutage kaum mehr herantrauen: Nicht nur, weil er mit dem Missbrauchskandal einen enorm wichtigen Sachverhalt thematisiert, dessen sich noch kein Projekt in vergleichbarer Weise angenommen hat. Er versteht es, eine Kriminalgeschichte zu erzählen, losgelöst vom explosions- und bleikugelbefangenen Kino der letzten Jahre, lediglich angetrieben von ausufernder Detektivarbeit, breitgefächerter Quellensuche sowie journalistischem Ehrgeiz, dabei aber – und das ist der Punkt, an dem wohl Viele scheitern würden – trotz des ambitionierten Detailreichtums eine stringente und verständliche Dramaturgie zu kreieren. Einen Tatbestand eben nicht aus der eingängigen, naheliegenden Perspektive zu sezieren, sondern den beschwerlichen, den weniger anschaulichen, den deshalb aber viel interessanteren Weg zu gehen. Alleine das sollte allerhöchsten Respekt abringen.

                            Seinen formidabel ausgewählten Cast, allen voran glänzt hier Marc Ruffalo, lässt er Bücher wälzen, Archive durchstöbern, unangenehme Interviews führen, sich langsam an den Skandal herantasten - wie bei einem auf Fingernagelgröße zusammengefalteten Papier, das schrittweise aufgeblättert wird, ehe sich alles zu einem großen Gesamtbild fügt. Was darauf letztendlich geschrieben steht, ist - ohne allzu belehrend wirken zu wollen - abgründiger und tiefschürfender, als man es sich im biederen Boston je vorstellen hätte können (Abspann mit Schluckblockade-Garantie) und sogar noch unumstößlicher und dunkler als die Druckerschwärze, die schließlich zur öffentlichen Entlarvung führte.

                            15
                            • 7

                              Sieh auf deinem Weg
                              Jungen, vergessen, verirrt,
                              Gib ihnen die Hand,
                              um sie zu führen
                              Zu einer anderen Zukunft.

                              Die Vergessenen, die Verirrten – man könnte sie auch die verloren Geglaubten und Aufgegebenen nennen -, engelsgleich besingen sie im Kanon ihr eigenes Schicksal. Ihre Augen leuchten. Nicht mehr vor Schmerz. Die Zeit der Züchtigung ist weitestgehend vorbei. Sie leuchten vor Freude, sie leuchten vor Sehnsucht. Vor dem Knabenchor dirigiert derjenige, der ihnen – wie in „voir sur ton chemin“ besungen - die Hand geben, sie führen soll. Zu einer anderen Zukunft.

                              Es ist ein mittelalterliches Phänomen, dass man die Individuen, die anders waren, nicht konform, nicht hörig, eben nicht normal, weggesperrt hat. Die Verrückten in die Psychiatrie, die Verbrecher in Gefängnis und Zuchthaus, die Leprakranken auf eine Insel und die schwer Erziehbaren ins Internat. Ein pädagogisch zweifelhaftes Konzept der Repression, der Hierarchie und der Disziplinierung.

                              Mit dem herzensguten Monsieur Mathieu als neuem Aufseher durchläuft das „Fond de L’Etang“ – ein Ort des Schreckens – einen Paradigmenwechsel. Herzlichkeit statt Herrlichkeit (im negativen Sinne), Musik statt Maßregelung.

                              „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ ist ein anrührender Film, der in einer Partitur aus Positivismus, Gutmütigkeit sowie grenzenlosem und –überwindendem Optimismus gelegentlich auch zur überzeichnenden Klischeeisierung seiner selbst neigt. Eine charmante Ode an die musische Magie, die Kraft der Noten, Melodien und Rhythmen, bei der der Glaube an das Gute im Menschen den Irrtum, bestimmte Kinder seien a priori böswillig, mit den Kräften ihres eigenen Gesangs einfach übertönt. Es war der falsche Umgang, der sie zu Vergessenen und Verirrten machte. Die Musik führt sie nun in eine andere Zukunft.

                              16
                              • 3 .5
                                huababuar 18.02.2016, 19:52 Geändert 18.02.2016, 20:47

                                Schuster, bleib bei deinen Leisten, heißt es immer so schön. Doch was, wenn der Schuster noch nicht einmal die Sohle, das Fundament seines Produkts, zurechtschneiden kann? So ähnlich verhält es sich mit Regisseur David Grovic und „Motel Room 13“. Auf den wackligen Sohlen eines sprunghaften Drehbuchs ohne sinnhaften Kern, lediglich darauf bedacht, einen Twist leidlich unspektakulär auf den nächsten folgen zu lassen, stampft ein peinlich deplatziertes Skurrilitätenkabinett aus überflüssig-grotesken Charakteren. Das Schlimmste aber: Mit John Cusack und Robert de Niro wetteifern hier zwei Schauspieler von Weltformat darum, wer in letzter Zeit mehr beschissene Rollen angenommen hat und zum größeren Schatten seiner selbst dahinvegetiert. Dass Cusack mit gruseligen Hotelzimmern umgehen kann, hat er in „Zimmer 1408“ und „Identität“ eindringlich bewiesen. Sein neuester Check-in aber gleicht dem tiefen Griff ins Lokus eines Noro-Infizierten. Ein dezent atmosphärischer und grusliger Schund, der nach vielversprechender Prämisse unrund und fehlkonstruiert ins Nichts führt. „Motel Room 13“ ist wie ein pubertärer Teenager: gezwungen extrovertiert und tough, innerlich aber unglaublich hohl und labil.

                                13
                                • 9
                                  huababuar 17.02.2016, 01:27 Geändert 22.02.2016, 03:47

                                  Manchmal im Leben – und ich weiß, dieser Satzanfang könnte kitschiger kaum sein - da gibt es Begegnungen, die sind ganz unverhofft, total beiläufig, immer dann, wenn du sie nicht geplant hast oder wenn ein guter Kumpel dir eine DVD in die Hand drückt mit den Worten: „Schau dir das mal an, ist ein toller Film!“ Keine spezielle Erwartungshaltung. Keine riesige Vorfreude. Doch am Ende ein tiefgreifendes Gefühl der inneren Zerrissenheit. Irgendwo zwischen „die ganze Welt umarmen“ und „alleine sein wollen und über sich selbst nachdenken“.

                                  „Little Miss Sunshine“ war so eine Begegnung. So ein gediegener Tritt in die Eier, der weh tun kann, im nächsten Moment aber zur reinsten Dopaminschleuder mutiert. Ein Film, der einen sprichwörtlich abholt in Albuquerque, wo die verträumt-naive Olive, ihr misanthropisch-introvertierter Bruder Dwayne (wundervoll-apathisch: Paul Dano), ihre Eltern Richard - überehrgeiziger Vater und versnobter American Dream-Prediger - und Sheryl - gutmütige und überforderte Hausfrau - sowie ihr cholerischer, heroinabhängiger Großvater Edwin (gewohnt trocken: Alan Arkin) und der selbstmordgefährdete Onkel Frank (die Überraschung: Steve Carell) eine nicht ganz so normale Familie bilden –, der einen mitnimmt nach Redondo Beach an den Pazifik und unter Garantie ebenso wie die sechs spleenigen Hauptcharaktere verändert zurücklässt.

                                  Ein Road Trip, in dem es weniger um die Road - sprich: die wunderschöne Landschaft in New Mexico, Arizona und Kalifornien - als um den Trip geht, der einst getrennte und zerstrittene Seelen wieder zusammenfügt und zueinander finden lässt. Da wo Träume schlagartig platzen und Existenzen zu scheitern drohen, kommt plötzlich das unvergleichliche Gefühl des Zusammenhalts, des füreinander Daseins ins Spiel. Finanzsorgen, unverwirklichte Ideale, ein verschobenes Weltbild, das streng zwischen Gewinnern und Verlieren separiert – scheinbar existenzielle Dinge durchlaufen im herzerwärmenden Gefühl der familiären Liebe plötzlich eine Metamorphose zu nichtigen Lappalien.

                                  Gezielt dekonstruiert und entmystifiziert „Little Miss Sunshine“ den so redundant propagierten American Dream, den Irrglauben, alles sei erreichbar, wenn man es nur will, geht dabei aber äußerst einfühlsam und überlegt pointiert vor. Auf Tragik folgt sofort Komik, auf Trübsal Charme. Ein Wechselbad der Gefühle, wie ein Stoß von der Klippe, bei dem man den Sturz gar nicht mehr mitbekommt, weil man schon längst von einer weichen Decke aufgefangen wurde, mit der finalen Erkenntnis: Um sich selbst zu finden und glücklich zu sein, muss man im Leben auch mal Scheiße fressen. Und so einfach und binsenmäßig diese Botschaft, so klein und schrullig dieser Film auch sein mag, so ergreifend, rührselig und letztendlich auch wahr ist die Geschichte dahinter.

                                  "Little Miss Sunshine" - eine Begegnung, die ich nicht missen möchte. Für keinen gewonnenen Schönheitswettbewerb der Welt.

                                  25
                                  • 8
                                    huababuar 16.02.2016, 19:11 Geändert 06.06.2016, 14:15

                                    Acht Fremde, eine Berghütte und das ewige Schneetreiben des wildwestlichen Wyoming. Zu seinem drittletzten Werk zieht es Quentin Tarantino in den entlegensten Winkel der USA, wo kurz nach dem Sezessionskrieg noch immer ein latenter, hässlicher Rassismus schwelt. In einem sechsaktigen Kammerspiel erzählt Tarantino von Misstrauen, Hass und Gewalt, von Kopfgeldjägern, Henkern und Sheriffs, von einem Land, das seine tiefen Gräben auch heute nicht überwunden hat und in dem die veritablen Grenzen nicht entlang irgendwelcher Flüsse in der Prärie verlaufen, sondern inmitten einer ethnisch segregierten Gesellschaft: Dem „Nigger“, der seinen Status mit einem Lincoln-Brief versucht aufzuwerten, glaubt man ohnehin kein Wort. Hunde und Latinos müssen leider draußen bleiben, wobei Ersteren seit zwei Jahren der Zutritt glücklicherweise wieder gewährt wird.

                                    „Hateful Eight“, womöglich Tarantinos dreckigster und ernstester Film, zieht klare Grenzen. Zwischen Konföderierten und Unionisten, die sich selbst in Minnies Miederwarenladen räumlich voneinander abtrennen. Zwischen Gesetz und Realität. Zwischen muffelig-modrigem Gasthaus und unzähmbarer Natur. Zeitweilig auch zwischen Zweckverbündeten und intriganten Unbekannten. Diese Einteilung allerdings lässt Tarantino nach geschwätziger Konstituierung eben jener Interessensgemeinschaften – getragen von einem einmal mehr kolossalen Drehbuch - mit Krach und Krawall in sich einstürzen. So destilliert er aus einem gewohnt theatralisch-tarantinoeskem Dialogkrieg, der die Grenzen der erträglichen Entschleunigung provokant und selbstbewusst austestet, eine Melange aus packendem Whodunit-Stil eines ausgedehnten „Reservoir Dogs“ und dem in all seiner Härte vorgetragenem Rassismus-Sujet, das wir bereits aus „Django Unchained“ kennen.

                                    Dass das zwangsweise in einer exaltierten Gewaltorgie enden muss, ist vorprogrammiert. Einmal mehr liebt es Tarantino, sich selbst zu zitieren. In all seiner Dramaturgie, seiner Themensetzung und seiner kunstvoll-geschwungenen Inszenierung samt Morricone-Score. Den Vortritt aber überlässt er diesmal seinen ebenso schwülstigen wie gekonnt wortgewandten Dialogen.Tarantino hat den Gipfel des Narzissmus und der Selbstbeweihräucherung endgültig erklommen. Das muss man nicht mögen oder gar ekstatisch abfeiern, seine stilistische Erhabenheit und sein Gefühl dafür, eine Geschichte zu erzählen, sollte man ihm aber auf keinen Fall absprechen.

                                    18
                                    • 7 .5

                                      Der Alptraum beginnt mit rhythmischem Latino-Pop. Auf einem Hinterhof irgendwo in den Hügeln Rios wackeln junge Menschen taktsicher mit ihren Hüften, heben ausgelassen ihre Hände über den Kopf und reiben sich – aufgeputscht von Alkohol und Rauschgift – wild aneinander. Die Kalaschnikows in den Händen der Aufpasser verschwimmen im nächtlichen Jugendrausch. Drei. Zwei. Eins. Zugriff!

                                      „Der BOPE springt immer dann ein, wenn die reguläre Polizei es nicht gebacken bekommt. Und in Rio heißt das: jeden Tag.“

                                      Mit dem ungeschönten Blick eines besorgten Anklägers erzählt Regisseur José Padilha von den Favelas eines zerrütteten Landes. Seines Landes. Er sieht keinen quietsch-bunten Karneval, er sieht keine perfekt modellierten Körper, die sich in der Sonne der Copa Cabana wälzen, so tief eingelegt in Öl wie ein Pfund mediterran marinierter Sardinen. Er sieht Drogenmassen, Waffenberge und Korruptionsfluten, die ein ganzes System zu erschlagen drohen. Ein brasilianischer Braukessel aus Blut, Gewalt und Gegengewalt.

                                      „Tropa de Elite“ zeichnet einen permanenten Zustand der Verrohung in einem anarchischen Raum, der jeglichen Rahmen der Brutalität längst gesprengt hat und in dem sich einem Polizisten stets die zynische, aber meist überlebenswichtige Frage stellt: Krieg oder Korruption? Dabei zerschellt die lakonische Stimme aus dem Off fast schon an der Bitterkeit seiner eigentlichen Aussagen. Und auch wenn Padilha seinen Figuren am Ende diskussionswürdige Motivationen implementiert und damit radikal mit seiner zuvor semidokumentarischen, distanziert vorgetragenen Bestandsaufname einer gespaltenen Gesellschaft voller Interpendenzen bricht, geht sein Projekt weit über eine banale und oberflächliche Systemschelte hinaus.

                                      Padilha scheut die simplifizierende Betrachtungsweise, lediglich Korruption und Bandenkriminalität an den Pranger zu stellen. Er wühlt tiefer, lässt anklingen, dass Armut eben oft zur Kriminalität zwingt, verbildlicht auf erschreckende Art und Weise die rigide, polizeiliche Nulltoleranzmethodik, die nicht selten mit einem Loch in der Brust oder einer Tüte über dem Kopf endet und entlarvt letztendlich nach einem cleveren Anflug foucaultscher Soziologie die arrogante Dekadenz, die sich öffentlich gegen einen Unrechtsstaat einsetzt, den Konflikt in den Favelas durch Drogenkonsum paradoxerweise aber selbst befeuert und überhaupt erst aufkommen lässt.

                                      Ein dreckig-düsterer, schonungslos-ehrlicher und augenöffnender Bilderrausch, einer Abrechnung mit der eigenen Heimat gleichkommend, der sich nach einem narrativen Bruch etwas zu sehr von menschlichen Rachegefühlen treiben lässt, skurrilerweise in der letzten Einstellung aber genau dadurch zum Sinnbild für die Entmenschlichung in den Armenhäusern dieser Welt wird. Hasserfüllte Augen. Flehende Worte. Drei. Zwei. Eins. Bumm!

                                      11
                                      • 6
                                        huababuar 09.02.2016, 17:23 Geändert 09.02.2016, 18:10

                                        „Schicksal ist etwas, das wir erfunden haben, weil wir den Gedanken nicht ertragen können, dass alles, was passiert, reiner Zufall ist“, sprach es, packte seine sieben Sachen und machte sich auf den Weg von Baltimore nach Seattle in den äußersten Nordwesten der USA, dorthin wo es neun Monate im Jahr regnet. Warum Meg Ryan ihre Haltung zu Zeichen, Vorbestimmtheit, ja Schicksal eben, verwirft, obwohl sie mit einem Mann verlobt ist, der ihr alles bieten kann, und für jemanden, den sie nie zuvor gesehen hat, quer durch die Staaten düst, bleibt ganz rational gesehen (vor allem wohl für die Männerwelt) schleierhaft. Ist es der Reiz des Unbekannten? Tom Hanks treudoof-herzliche Stimme? Oder sehnt sie sich als Pescetarierin nach der asiatisch angehauchten, fischlastigen Küche Seattles? Erfahren wird man es nie und so mancher muss sich deshalb mit dem im Film demonstrativ proklamierten Satz „Männer werden diesen Film wohl nie verstehen“ zufrieden geben.

                                        Und ganz provokativ und sexistisch gesagt ist „Schlaflos in Seattle“ natürlich größtenteils ein Film von einer Frau für Frauen. Der Schmalz trieft noch stärker als beim frisch-frittierten Chinesenfraß im Schatten der Space Needle, Seifenoper-Dialoge werden unbeirrt aneinander gekettet und am Ende, da geht es hoch hinaus, da muss natürlich alles perfekt sein. Schließlich hatte das Schicksal hier seine Finger im Spiel. Es geht um Träume, ums füreinander bestimmt sein und um die Vorstellung, die wir wahrscheinlich alle schon einmal hatten, dass es irgendwo da draußen jemanden gibt, der genau zu uns passt. Einen deckungsgleichen Konterpart, ein perfekt sitzendes Puzzlestück, einen Seelenverwandten.

                                        Während die bezaubernde Meg Ryan nur noch an den Unbekannten aus Seattle denken kann, lehnt der verwitwete Tom Hanks ebenda sehnsüchtig an der Veranda seines Hausbootes. Sein quirliger Sohn (beeindruckend: Ross Malinger) schläft bereits. Die mit Lichterketten behangenen Segelschiffe gleiten in der schwarzen Nacht entlang, lassen die Bucht des Lake Union grell glitzern. Schnulzige Musik. Sehnsucht. Ein gebrochenes Herz. „Schlaflos in Seattle“ ist in solch angenehmer Weise träumerisch, gutgläubig und kitschig, dass es fast schon gut tut. Aus Herzschmerz wird irgendwann doch noch Zuversicht und Hoffnung. Ein Film zum schmachten und einkuscheln, der wärmt wie eine wollig-warme Winterdecke, die uns in einer bitterkalten Nacht umschlingt und ins Ohr säuselt: „Entspann dich, lehn dich zurück, alles wird gut!“

                                        17
                                        • 7 .5

                                          Mit dicken Geldbündeln in der Hand erklärt uns Margot Robbie aus der Badewanne heraus, was Credit Default Swaps sind. Starkoch Anthony Bourdain kredenzt leckeren Fischeintopf aus altem Steinbutt und köchelt sich so seine ganz eigene Collateralized Dept Obligation, ehe Selena Gomez am Roullette-Tisch schildert, wie diese CDO’s synthetisch hergestellt werden können.

                                          Adam McKay versteht sich als großer Erklärer der Finanzkrise 2007. Um selbst dem minderbemittelten, Trump-wählenden und großgrundbesitzenden Eierkopf aus Oklahoma kraftvoll zu demonstrieren, wie sein opulentes Eigenheim mit Pool und Panikraum – sprich: seine ganze Existenz - zum Spielball nicht minder verachtungswürdiger Investmentbanker verkam, wird großes Geschütz aufgefahren: McKay übt sich in intelligent-simplifizierender Alltagsmetaphorik, hantiert mit bedeutungsschwerer Poesie und lässt seinen Cast – hierbei sei vor allem der brillant-impulsive Christian Bale erwähnt – die dritte Wand des Öfteren durchbrechen, auch wenn jene ohnehin kaum wahrnehmbar ist. Den modrigen Gestank der Dollarnoten riecht man bis in den Kinosaal.

                                          Wenngleich McKay hier reichlich kreative Ideen einfließen lässt, um eine trockene (und doch so wichtige) Thematik leicht verdaulich zu präsentieren, am Ende fühlt man sich von den Ereignissen im positiven wie im negativen Sinne erschlagen. So lassen die vielen parallelen Handlungsstränge, unzählige Fachtermini und zuweilen die Überfrachtung der Ereignisse beim nicht wirtschaftsaffinen Rezipienten schon bald Denkrauchschwaden empor wabern. Und das alles trotz sarkastischer Aufarbeitung und spitzem Witz. Trotz wohlwollenden Definitionen. Trotz visueller Virtuosität - sei es der elegante Schnitt oder der Diashow-ähnliche Schwenk in die Realität. Eine perfekte Illustration dessen, wie das Finanzestablishment eigentlich funktioniert: Es will gar nicht verstanden werden.

                                          Zum Anderen aber ringt einen "The Big Short" alleine schon deshalb zu Boden, weil er seinen vollmundigen Versprechen mit fast schon schwerfälliger Leichtigkeit nachkommt. „So schockierend, so unfassbar, so gewaltig“ heißt es im Trailer. Und ja, am Ende wird man sich selbst kopfkratzend wiederfinden, die kapitalistischen Finanzhaie verteufeln und dem alten Marx vielleicht sogar zustimmend zunicken wollen. Bis McKay die Blase einmal Platzen lässt, fließt viel Geld die Wall Street entlang. Mit zynischer Peitsche drischt der Regisseur auf das korrupte, profitgesteuerte, kriminell unterwanderte Bankensystem ein. Akribisch meißelt er sich formpassende Protagonisten, deren Wesen sich im rauen Mikrokosmos des Geldschäffelns verändert haben, die gegen die eigene Wirtschaft wetten und die - da können sie den Zuschauer zuvor noch so oft zum Lachen gebracht haben - alle für sich eine gewisse Läuterung erfahren, sobald ihr Plan aufgeht, alles implodiert und sie sich der Konsequenzen und ihrem jahrelangen Handeln erst bewusst werden. Vom unbeschwerten Bonzen-Habitus zu ernsthaften Gewissensbissen.

                                          Der schottische Philosoph Adam Smith hat einmal gesagt, dass Gemeinwohl paradoxerweise nicht dadurch entsteht, dass jeder das Gleiche will, sondern vielmehr darin begründet ist, dass das Individuum ausschließlich seine eigenen Wünsche und Begierden verfolgt. Der Bäcker will Profit machen und backt deshalb ein gutes Brot – nicht etwa, weil er uns damit einen Gefallen tun will. Klingt logisch. 1776 war das, im Jahr der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Dass dieses Land 230 Jahre später ein Paradies für Kapitalisten und Gutgläubige sein würde, konnte Smith damals freilich nicht ahnen. Der Wunsch nach Profit blieb derselbe. Doch aus gutem Brot wurden faule Kredite. Aus zufriedenen Kunden Millionen von Arbeits-, Mittel-, und Obdachlose.

                                          20
                                          • Hey meine virtuellen Filmfreunde,

                                            vielleicht ist es euch schon aufgefallen, vielleicht aber auch nicht. Zur Zeit bin ich hier weder selbst sonderlich aktiv, noch komme ich dazu, eure ganzen Kommis auf meinem Dash zu durchstöbern.

                                            Schuld daran ist jene Institution, die diese bestimmt famose Filmperle da oben, zum Thema hat.

                                            Für Klausuren muss man sich eben auf den Arsch hocken und Reportagen schreiben sich leider auch nicht von selbst. So viel Spaß das Studium auch macht, so vielseitig Erfahrungen im Journalismus sein können, die Filmleidenschaft bleibt dabei in der stressigen Prüfungszeit leider auf der Strecke.

                                            Ich hoffe, ihr seht mir das nach. Ab Anfang Februar lesen wir dann wieder voneinander.

                                            Bis dahin: Es lebe die Uni! :)

                                            18
                                            • 6 .5
                                              huababuar 13.01.2016, 03:38 Geändert 13.01.2016, 04:06

                                              36 Jahre nachdem Robert Redford gemeinsam mit Dustin Hoffman Watergate publik machte („Die Unbestechlichen“), sieht sich der wohl beste Filmreporter aller Zeiten selbst in den entlarvenden Fängen des Investigativjournalismus. Wo einst Redford wie besessen recherchierte und Richard Nixon gründlich auf den Leim rückte, hat er nun als scheinbar gefestigter Anwalt im rosaroten Leben der amerikanischen Mittelschicht selbst die Presse in Person des ehrgeizigen Jungredakteurs Ben Shepard (Shia LaBeouf) im Nacken. Dieser ist weit entfernt davon, für ein renommiertes Blatt wie die „Washington Post“ zu schreiben und fristet sein unauffälliges Lokaljournalistendasein bei der provinziellen „Albany Sun Times“ samt Stellenstreichungen, Budgetkürzungen, knorrigem Chefredakteur (Stanley Tucci) und allem, was zum Untergang des Printjournalismus eben dazu gehört – bis, ja bis ein alter Kriminalfall Schlagzeilen macht und plötzlich Anhänger der ehemaligen, links-autonomen, studentischen Terroristenvereinigung Weathermen in den Medienfokus geraten, die in Zeiten, als die USA in Südostasien ihr exzeptionalistisches Selbstbild zelebrierte, den RAF-mäßigen Aufstand probten.

                                              Der gedankliche Ausflug in die politischen Wirren der 70er Jahre bleibt schließlich die einzige Reminiszenz an den New-Hollywood-Knaller „Die Unbestechlichen“. „The Company You Keep“, bei dem sich Redford auch gleich selbst auf den Regiestuhl setzte, ist weniger ein konventioneller Journalistenthriller, der seine Geschichte packend, ruhig und unspektakulär durch nachvollziehbare Recherchearbeit voranbringt, sondern eher ein solides und atmosphärisches Katz-und-Maus-Spiel, das im Narrativ dann doch offensichtliche Mängel vorzuweisen hat. Will Redford seinen Plot vorantreiben, hakt und holpert und kneift es. Viele Dinge werden als gegeben vorausgesetzt, geschehen zufällig oder bedürfen keiner Erläuterung. Lückenhaft inszeniert er den Rechercheprozess, weil er einfach zu oft in Perspektivwechsel verfällt, zu leicht der Verlockung nicht widerstehen kann, vom eigentlich detektivischen Schaffen wegzugehen, um der fast schon zur Gewohnheit gewordenen Rollenverteilung von Jäger und Gejagtem nachzukommen.

                                              Mit Shia LaBeouf in der Hauptrolle wird man (oder besser gesagt ich) dabei nie so wirklich warm, was zum Einen daran liegen mag, dass ich ihn von Grund auf für einen unsympathischen Schauspieler halte, zum anderen wohl in der Tatsache begründet ist, dass er in seiner Rolle anfänglich zumindest fernab jeglicher Journalistenethik handelt (und das hat nichts mit der Zweifelhaftigkeit von Sensationsjournalismus, sondern vielmehr mit seinen Methoden zu tun). Dem gegenüber steht ein Robert Redford, der völlig hin- und hergerissen zu sein scheint zwischen seinem gutbürgerlichen Vaterleben und seiner düsteren Vergangenheit. Redford brilliert in dieser ausbalancierten, ambivalenten Performance und noch viel wichtiger: Mit laufender Spielzeit gelingt ihm doch noch die Wende vom mediokeren, ja fast schon leidlich profanen und doch nie spannungslosen Flüchtlingsthriller zu einem wundervoll melancholischem, musikalisch stark untermaltem Gerechtigkeitsdrama über Getriebenheit, Heimatlosigkeit, die Antithese von skrupellosem Journalismus und eigener Ideologie, darüber, wie leicht es doch eigentlich ist, seine Identität zu wechseln – aus Terroristen werden alleinerziehende Mütter, Anwälte und Professoren – und schließlich auch über das Älterwerden, das uns vordergründig immer näher an den eigenen Tod heranführt, gleichzeitig aber weiter und weiter distanziert von alten Zeiten, Beziehungen und Freundschaften, wenn man einmal losgelassen hat.

                                              9
                                              • huababuar 10.01.2016, 13:46 Geändert 10.01.2016, 13:53

                                                An alle Fans bajuwarischer Schmuddelschmonzetten: Ist der zu empfehlen? :D War ein gut gemeintes Geburtstaggeschenk von uns niveaulosen Bayern an einen Rheinländer.

                                                Wär mal ein etwas andersartiger Filmeabend..

                                                8
                                                • 9
                                                  huababuar 09.01.2016, 13:51 Geändert 10.01.2016, 13:14

                                                  So rau, dass einem der Hals kratzt – und das nicht wegen stecken gebliebenen Popcorn. So eisig und martialisch, dass einem das Blut in den Adern gefriert. So bildgewaltig, dass man nach der Vorstellung noch lange auf seinem Sitz kleben bleibt und innerlich tosenden Beifall klatscht.

                                                  Nun ist Alejandro González Iñárritu nach „Birdman“ also tatsächlich wohl der zweite Oscarabräumer innerhalb von nur zwei Jahren gelungen. Eine hochklassige Leistungsbestätigung, die in ihrer Größe, ihrer wohl nie dagewesenen Bildgewalt, ihrer so schrecklichen Authentizität doch mehr fasziniert als erwartet. „The Revenant“ ist der unverhohlene, präzise Blick eines Mexikaners auf die amerikanische Trapper-Bewegung. Aus der Synthese von Mensch und Natur erwächst ein Konstrukt aus Blut, Gräuel und Gewalt. Die gottgegebene Natur mit all ihrer Härte, ihren Widrigkeiten und ihren Gefahren auf der einen, das prädestiniert böse menschliche Wesen auf der anderen Seite, schon lange verroht von Eiseskälte, Raubtieren und den Übergriffen untereinander. Ein aussichtsloser Überlebenskampf getragen von der Liebe. Der Liebe zum einzigen Menschen, der einem noch geblieben war.

                                                  Doch abseits seiner simplen Vermischung von geographischer und menschlicher Natur ist „The Revenant“ eben weitaus mehr als ein Survival-Drama mit historischem Einschlag, dem man als einzigen Kritikpunkt vielleicht anlasten muss, dass er seinen unausweichlichen Showdown etwas zu sehr hinauszögert.

                                                  Es ist die Zusammenkunft zweier großer Schauspieler. Leonardo DiCaprio, der den Oscar wohl hoffentlich dieses Jahr einsacken wird, auch wenn es für andere Rollen noch etwas verdienter gewesen wäre, und Tom Hardy schaukeln sich gegenseitig in absolut außerirdische, schauspielerische Sphären. DiCaprio leidet, kämpft und liebt, stöhnt, robbt und ächzt, wandelt immer auf dem schmalen Grat zwischen Leben und Tod, ist aber nicht uneingeschränkt und plakativ der Gute, sondern hat doch einen animalischen Kern in sich. In Hardy ist dieser Kern schon lange gewachsen, hat seinen ganzen Körper befallen, ihn zu einem gierigen, eigensinnigen, sturen Misanthropen gemacht, der mit seinen aggressiven, wachen Augen für ein Übermaß an Bedrohlichkeit sorgt.

                                                  Es ist aber auch die filmische Perfektion des Duos Iñárritu und Lubezki (Kamera), die „The Revenant“ zur schlagfertigen Antwort auf visuell uniformiertes und liebloses Blockbusterkino erwachsen lassen. Hier ist Kino wirklich noch Kunst. Iñárritu subliniert und unterfüttert seine Botschaft mit einer Bildkomposition, die so flexibel, so mythisch, so gewaltig, so aufwühlend, ja trotz all ihrer Inhumanität so wunderschön ist. Pittoreske Panoramen. Weitläufige Winkel. Paradiesische Plansequenzen. Dem hypnotischen Schwanken der hochhaushohen Bäume folgt der eiserne Kampf mit dem Bären. Nach rauschenden Flussmaßen, stürzenden Wasserfällen und der Ruhe und Einsamkeit des dicht bewachsenen Waldes kommen todbringende Pfeile geflogen, landet das Messer in der Bauchhöhle oder durchschlägt die Kugel knackend und krachend den Kopf. Lubezkis Kamera fängt die volle Bandbreite des beschwerlichen Siedlerlebens ein. Ist so nah dran, dass DiCaprios Atem auf der Leinwand beschlägt. So nah, dass man Schneeflocken auf der Kameralinse zählen kann.

                                                  Seinen Soundtrack, der neben unheilvollem Trommeln aus leicht mystischen, übernatürlichen und dramatischen Klängen besteht, setzt Iñárritu hier anders als bei „Birdman“ nicht in den Vordergrund, sondern instrumentalisiert seine Musik viel mehr als Mittel zum Zweck, als Komponente, die das Gesamtbild abrunden, die volle Konzentration des Publikums aber bei den Bildern, den Emotionen und den Kruditäten belassen soll.

                                                  „The Revenant“ ist ein Bilderrausch. Zweieinhalb Stunden Rohheit. Zweieinhalb Stunden Kratzen im Hals, gefrorenes Blut und innerlicher Applaus. Zweieinhalb Stunden Wind, Schnee und Gedärme. Zweieinhalb Stunden Bangen, Hoffen und Zittern. Ein ganz kurzer Moment der Stille, in dem Leo seinem Filmsohn behutsam den Kopf auf die Brust legt. Totenstille. Kein Mucks, kein Rascheln, kein Tuscheln. Einfach nur fasziniertes Bestaunen, Gänsehaut und ekstatische Freude über einen Film, der regelrecht für das Kino geschaffen wurde.

                                                  26
                                                  • 6 .5
                                                    huababuar 07.01.2016, 16:29 Geändert 08.01.2016, 18:55

                                                    „Gibt’s hier ein Telefon bei Ihnen?“ – „Wen wollen Sie anrufen?“ - „Meine Mama!“

                                                    Keiner fährt ein Ford Modell A Coupe von 1928 lässiger durch die gottverlassene Wüste New Mexikos, nippt im Anschluss eleganter an einer Flasche extra feinem Whiskey, führt sein Publikum dabei mit zynischeren Voice-Overs durch seine Geschichten und erst recht niemand spuckt einem ein süffisanteres „Entschuldigung, wenn’s weh tut“ ins Gesicht, während er zum Revolver greift und ein ganzes Magazin im gegnerischen Brustkorb versenkt. Die Rede ist natürlich von Bruce Willis, dem Godfather der Coolness, der patentierten Gaunerglatze, ohne den „Last Man Standing“ vermutlich nur halb so stylisch wäre.

                                                    In diesem Neo-Western, der - sich selbst beweihräuchernd - prolliges Männerkino hochleben lässt, muss sich Willis in Jericho durchschlagen. Einem gesetzlosen Ort, an dem die Prohibition irgendwie vorbeigegangen ist, in dem der Sherriff die Rolle des neutralen Unparteiischen längst aufgegeben hat und zum korrupten Spielball, der stets zur zahlungsfähigeren Seite wechselt, verkommen ist. Ein bourbonschlürfender, apfelkauender und huttragender Willis handelt nach den gleichen Maximen. Getrieben von Geld, Gier, aber auch dem Schicksal zweier unterdrückter Frauen verkörpert er die altbekannte Rolle des Revolverhelden, der zwei konkurrierende Gangsterbanden gegeneinander ausspielt.

                                                    „Last Man Standing“ wärmt antiquiertes Western-Kino neu auf und stopft es gelungenermaßen in ein Willis-typisches humorig-hartes Korsett, das dann allerdings derart auf seinen Protagonisten ausgelegt ist, dass der Restcast weitestgehend verblasst. Willis ist wie ein Magnet, der mit seiner Aura jedwede Aufmerksamkeit auf sich zu lenken versteht. Er entzieht seiner Umwelt so die Kraft, selbstständig und autark aus seinen Schablonen herauszutreten und einen angemessenen Gegenspieler zu stellen. Mit Ausnahme von Christopher Walken fehlt es neben Willis an markigen Profilen, Charakteren, die ihm halbwegs das Wasser reichen können (auch wenn das angesichts eingangs erwähnter Huldigung natürlich schwer ist).

                                                    Schade ist das vor allem deshalb, weil „Last Man Standing“ eindeutig das Potential zu einem absoluten Kultfilm gehabt hätte, sich dann aber doch zu sehr auf die Prominenz seines leading actors verlässt. Übrig bleibt eine stilechte Zitatenschlacht, die vor allem für Anhänger des 90er Actionkinos uneingeschränkt zu empfehlen ist, insgesamt aber die Möglichkeit eines spektakulären Wettkampfes dreier Charakterköpfe versäumt hat.

                                                    „Haben Sie Angst?“ – „Das Wasser wird langsam kalt.“

                                                    14