huababuar - Kommentare

Alle Kommentare von huababuar

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    huababuar 02.01.2016, 02:13 Geändert 02.01.2016, 02:42

    Wer lichtempfindliche Augen hat, sollte die Gletscher, Moränen und Trogtäler Jotunheimens möglichst umschiffen. Bevor ein soziopathischer Killer rot sieht, ist im höchsten Gebirge Skandinaviens nämlich zunächst nur ein Farbton dominant: weiß. Nichts als Schnee. Meterdick. Kilometerweit. Dazu gesellt sich eine stürmische Kälte, die menschliches Leben über einen längeren Zeitraum nicht möglich macht. Doch in Zentralnorwegen sind es nicht etwa die widrigen Wetterbedingungen, die Existenzen auslöschen. Es ist Brath, der resistent geblieben ist, bei dauerexistenten Minusgraden und nicht vorhandener Vegetation ausharrt und sein kümmerliches Revier mit Eispickel und Feuerlöscher vehement verteidigt. Aus einer traumhaften Landschaft wird ein Alptraum aus Blut, Frost und Verzweiflung.

    „Cold Prey 2 – Resurrection“ knüpft nahtlos an die Handlung seines empfehlenswerten Vorgängers an, zieht vom Berghotel in die Gebirgsklinik und präsentiert sich dabei als deutlich blutigere Version des nordischen Slasher-Erfolgshits. Mit simplen Mitteln – gut situierte Jumpscares treffen auf eine düster-sterile Atmosphäre im skandinavischen Stil – ist Mats Sternberg auch ein ähnlich effektvolles Sequel gelungen. Das flackernde Licht weicht schnell unwohler Dunkelheit, die langen, verlassenen Gänge der Klinik – oder besser: winzigen Krankenstation – führen direkt in den Tod.

    Nur ist „Cold Prey 2“, wohl eher ungewollt angelehnt an sein Setting, auf rutschigem Terrain gebaut. Wie der englische Titelzusatz bereits preisgibt, leben Totgeglaubte im europäischen Norden scheinbar wirklich länger, der Dauerfrost muss auch die einheimischen Gehirngänge befallen haben – so manche Handlung der Protagonisten reiht sich nahtlos in die Hitliste der dümmsten Fehlentscheidungen des Horrorkinos ein – und auch das allgemeine Mordmotiv bleibt eher unschlüssig und fadenscheinig. Sternberg versucht das am Ende durch Übereifer und Sensationszwang noch irgendwie auszugleichen, übertreibt es dabei aber erst recht mit dramaturgisch überspitztem Bombast und fragwürdigen Twists.

    Das ist schade, weil es hier als durchaus möglich erschien, den 0815-Rahmen zu sprengen. Das ansprechende Niveau seines Erstlings führt "Cold Prey 2" summa summarum dennoch fort und kommt als packender Klinik-Horror daher, der sich aus den abgesteckten Grenzen des Genres nicht allzu sehr hinaus trauen will, durch eine schauderhafte und routiniert inszenierte Kulisse aber dennoch ein angsteinflößendes Eigenleben kreiert.

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      über Borat

      Von Judenläufen, Zigeunerfrauenflohmärkten und versehentlicher „Gummifaust in Anus“. Wenn man sich nicht zur affinen Klientel zählt und sich bei jeder eigenwilligen Hau-Drauf-Pointe mit Bauchschmerzen auf dem Boden kräuselt (was bei mir durchaus mal vorkam), ist es natürlich nicht abwegig, „Borat - Kulturelle Lernung von Amerika, um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu machen“ als grobschlächtigen Unfug abzutun. Letztendlich fußt der gesamte Film ja auf billigen Zoten, doch seine eigentliche Prämisse sollte man nicht aus den Augen verlieren.

      Sasha Baron Cohen wirft hier durchaus die richtigen Schattenseiten von „US und A“ (und in deutlich banalerer Weise natürlich auch die von Kasachstan, beste Land auf der Welt) auf, doch kratzt er gerade mal an der Oberfläche dessen, was möglich gewesen wäre. Homophobie, Rassismus, religiöser Fanatismus. Eigentlich hat sich Cohen alles auf dem Silbertablett zurecht gelegt, um beißende Gesellschaftssatire und Konformismuskritik zu betreiben. Beim Serviervorgang gerät er jedoch jäh ins Stolpern.

      Den überwiegenden Teil tangiert er nur Fassaden, verharrt in einer Ansammlung an Plattitüden, verfällt in seine typischen Klamaukmuster und schwafelt sich mit „rasierte Muschi“-Gelaber, überspitztem Antisemitismus und Antiziganismus sowie gewaltigem Machismo die kasachischen Lippen wund.

      Auf rein komödiantischer Ebene geht das voll in Ordnung. Von der Überstilisierung Borats als Kultfigur, über seine (W)Irrungen durch das Land angeblicher westlicher Leitkultur bis hin zur weitgreifenden Tarnung als billig aufgemachte Dokumentation. Satirisch wirklich gelungen wird es allerdings nur dann, wenn sich ganz unverhofft Gemeinsamkeiten zwischen den Ideologien von hinterwäldlerischem, reaktionärem Fernsehreporter und konservativem Republikaner auftun.

      Um vollends den Nerv zu treffen, ist „Borat - Kulturelle Lernung von Amerika, um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu machen“ letzten Endes trotz aller politischen Unkorrektheit nicht subversiv und tiefgründig genug. Zwar hebt sich Cohens Scheindokumentation im Rahmen einer Culture-Clash-Komödie vielleicht gerade durch seine Mischung aus grotesker Plakativität, Primitivität und purer Derbheit angenehm vom uniformierten Einheitsquatsch im Genre ab, den eigenen Ansprüchen aber wird man damit leider nicht gerecht.

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        Im bedrohlichen Nichts Alaskas, den wuchernden Wäldern, vereisten Permafrostböden und pittoresken Gletschern, nur erreichbar mit dem Propellerflugzeug, gibt es Braunbären und Wölfe. Gefährlicher aber ist Robert Hansen, den beiden genannten Raubtieren in seinen Jagdfähigkeiten mindestens ebenbürtig. Er liebt es zu töten. Aus Gier. Aus Verlangen. Aus Lust. Aus Spaß. Da kann man ihm noch so oft „Bitte, lass mich gehen!“ in die fiese Fratze winseln.

        Aus den vielversprechenden Komponenten Alaska, Rotlichtmilieu und Serienkiller konstruiert Regisseur Scott Walker in seinem Filmdebüt einen durchaus soliden, routiniert inszenierten Thriller, der viel mit Charakterperspektiven spielt – insgesamt gibt es drei parallele Handlungsstränge – und uns Anchorage und seine umliegende Peripherie „nach einer wahren Begebenheit“ als unheilvolle, winterliche, kleine Großstadt präsentiert. Ohne die allzu großen Ausschläge nach oben zehrt „Frozen Ground“ von einer betrübten Grundatmosphäre und -spannung, innerhalb der Nicolas Cage nach zuletzt äußerst fragwürdigen Rollen eine ernstzunehmende Figur als ermittelnder Officer macht und John Cusack dem Triebtäter Hansen eine furchteinflößende Kühle einhauchen kann.

        Zweifelsohne gibt es genreintern weitaus exquisitere und dramaturgisch aufwühlendere Werke zu bestaunen, wenn man da alleine an Glanzstücke wie „Sieben“ oder „Zodiac“ denkt. Einen vergleichbaren Thrill- und Suspensefaktor erreicht „Frozen Ground“ freilich nie. Das zu erwarten wäre allerdings auch gleichzusetzen mit der Aufforderung, Phillip Lahm solle beim Frikadellenwettessen
        mit Rainer Callmund möglichst Schritt halten.

        Weder kultiviert Walker seinen Killer derart grauenvoll – dafür wird seine Identität auch zu früh aufgedeckt und eine Bandbreite der Perversion, immerhin fallen ihm mindestens 17 Frauen zum Opfer, visuell nicht klargemacht. Noch verleiht er seinem führenden Ermittler wahnsinnig viel Profil. Dass er das klischeehafte Arbeitstier ist, das zu wenig Zeit für seine Familie aufbringt muss reichen. Auch Fassade und Hintergrund der 17-jährigen Prostituierten Cindy, die eine zentrale Rolle als Kronzeugin und Überlebende eines geplanten Hansen-Mordes spielt, bleiben weiten Teils oberflächlich und nebulös.

        Und doch macht „Frozen Ground“ eben im Rahmen seiner seichten, leicht konsumierbaren Krimi-Konventionen wirklich Spaß. Man zittert. Vor Cusack und vor der bitteren Kälte, die Alaska und die einschlägigen Straßen von Anchorage ausstrahlen. Und mal ehrlich: Wem kommt da die heiße Vanessa Hudgens in schwarzer Reizwäsche nicht gelegen?

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          Wenn eine jahrzehntelang vernachlässigte Gesellschaftsschicht plötzlich den Aufstand probt, wenn politisches Randgebiet zur militärischen Staatsangelegenheit erwächst, wenn das Paradies zur Hölle wird. Zwischen Neukaledonien und Paris liegt in etwa der Durchmesser eines Globus. Direktflüge gibt es keine. Mit Zwischenstopps ist man je nach Verbindung zwischen 24 und 42 Stunden unterwegs. Da verwundert es nicht, dass der kleinen Inselgruppe im zentralistisch regierten Frankreich gemeinhin recht wenig Beachtung zufällt. Eine kleine Einöde unter dem Diktat der Grande Nation.

          Welches Ausmaß Protest in Form einer eigentlich gewaltlos geplanten Geiselnahme auf diesem unbeachteten Fleckchen Erde erreichen kann, zeigt der Tatsachenbericht „Rebellion“ in erstaunlicher Objektivität. Mathieu Kassovitz, unter anderem verantwortlich für den französischen Klassiker „Die purpurnen Flüsse“, erweist sich als politisch überaus engagierter Regisseur, der sehr um ein differenziertes Bild bemüht ist und eine gewisse Nüchternheit dem Pathos vorzieht. Die emotionale Tragweite großer Politikdramen wird dadurch nie erreicht, was sicherlich auch einem gelegentlich starren, recht behäbigen Narrativ geschuldet ist, das an manchen Stellen mit einer gewissen Dichte so viel mehr hätte erreichen können. Doch die Offenheit, mit der Kassovitz sein patriotisches Herkunftsland, dessen kriegstreiberisches Militär und die vor Ignoranz gegenüber Widerspruch nur so strotzenden Politikeliten an den Pranger stellt, beeindruckt.

          Was viele aus Liebe zur Nation nicht aussprechen, entlarvt Kassovitz couragiert: Die Kolonialpolitik ist gescheitert. Das hätte spätestens nach dem Algerienkrieg jedem Franzosen bewusst sein sollen. Neurotische Hegemonialansprüche und Fremdherrschaftsgelüste rächen sich. Und weil Neukaledonien eben 24 Flugstunden von Paris Charle de Gaulle entfernt ist, vergisst man das schnell.

          „Denn wenn die Wahrheit segnet, dann ist es die Lüge, die tötet“, heißt es einmal. Die Wahrheit segnet in „Rebellion“ keinesfalls. Die Wahrheit heißt hier Waffengewalt gegen das faktisch eigene Volk – auch wenn es sich selbst nicht als solches fühlt -, westliche Profitgier sowie der Zynismus des großen politischen Business. Was kommt ein Aufstand im kleinen Neukaledonien zu Wahlzeiten aber auch ungelegen. Die Worte des Rebellenführers Alphonse sind eben nicht nur haltlose Vorwürfe, sondern eine schonungslose Anklage französischer Kolonialperversion, ein Fingerzeig auf den Boomerang-Effekt verfehlter Außenpolitik.

          Wo die moralische Kompassnadel ausschlägt in Richtung Repressionsverhalten und Selbstherrlichkeit, versucht Verhandlungsführer Phillipe, überzeugend gespielt von Regisseur Kassovitz, zu verhindern, was kaum noch zu verhindern ist angesichts des aggressiven Barbarei-Gefasels militärischer Entscheidungsträger, das leidlich an die derzeitigen Panikreden eines Francois Hollande erinnert: die Eskalation eines der natürlichsten Verteidigungsreflexe überhaupt, dem Protest gegen Fremdbestimmung. Dass der Kampf gegen die Stigmatisierung der Rebellen letztlich erfolglos bleibt, berührt zwar nicht vollends, weil „Rebellion“ schlussendlich dann doch ein wenig zu prosaisch und unausgereift im Umgang mit dem Schicksal seiner Charaktere bleibt. Was die intentionierte Kritik am Staat der geheuchelten Trinität aus „Liberté, Fraternité, Egalité“ betrifft, ist Kassovitz allerdings ein mutiges, leidenschaftliches und auf ganz eigene Facon, nämlich nicht zwingend durch seine Actionszenen, fesselndes Werk gelungen.

          Bei aller Schwarzmalerei besteht übrigens auch ein Grund zur Hoffnung. Nach einer Verfassungsänderung wird es zwischen 2014 und 2019 in Neukaledonien ein Plebiszit über die Zugehörigkeit der kleinen Inselgruppe geben. Die Einöde wird sich loslösen können vom Diktat. Vor 27 Jahren haben für diesen Wunsch noch Leute ihr Leben lassen müssen.

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            huababuar 25.12.2015, 02:56 Geändert 25.12.2015, 03:01

            Es gibt sie doch noch, die kleinen (Weihnachts-)Wunder in unserer ungerechten, anonymisierten und gewaltverseuchten Welt. Und so kommt es, dass Jonas (quastenflosser) nach einem Zugtrip durch halb Deutschland, spontanen Alkoholeskapaden und einem unplanmäßigen Aufenthalt in der Notaufnahme um drei Uhr nachts mit reichlich Verspätung doch noch seinen Wichtelkommentar bekommt. Ein dickes Sorry dafür Jonas, aber wie du sicherlich verstehst, lassen sich spontane Studentenpartys, Ausnüchterungsnachmittage und halb abgetrennte Ringfinger nicht wirklich vorhersehen. Dir und allen Moviepiloten wünsche ich an dieser Stelle dennoch ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest, viel Ruhe und Muße, sowie einen guten Fitnessplan für die Zeit nach dem Festfressen. :)
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            Eigentlich müsste der kleine, blonde Junge schon lange im Reich der Träume versunken sein. Fast zehn Uhr ist es schon. „Wer wird Millionär“ durfte er im elterlichen Wohnzimmer noch angucken, dann war Schluss. Das 1+1 in der Grundschule morgen rechnet sich schließlich nicht von selbst und allgemein kommen 8-Jährige für gewöhnlich um diese Uhrzeit nur auf dumme Gedanken. Im sandig-gelb bestrichenen Kinderzimmer mit der Muschel-Dekoration an der Decke und den dazu vollkommen unpassenden Eishockeypostern an der Wand brennt dennoch Licht. Ein quengelndes „Mamaaa, ich kann nicht schlafen!“ – als kleiner Lausbub weiß man, welche Knöpfe es zu drücken gilt – und schon werden aus wütend dreinblickenden Schlitzen kullernde, leuchtende Kinderaugen. Märchenstunde. Immer weiter ziehen die kleinen, schwachen Hände die Piratenbettwäsche ins Gesicht. Bis zum Kinn. Bis zu den schmalen Lippen. Bis zur Nase. Seine Mutter, die mit einem dicken Schmöker in der Hand an der Bettkante sitzt und geduldig von bösen Zauberern und wunderhübschen Prinzessinnen erzählt, sieht der kleine Junge schon gar nicht mehr. Ebenso wenig, wie er die Schweißperlen spürt, die sich an seinen Füßen gebildet haben. Auch dass er gerade vor lauter Elan in die Decke gebissen hat, fällt ihm nicht auf. Momentan dreht sich alles nur um den bösen Zauberer. Und die Prinzessin, die er entführt hat.

            Auch wenn die Rollenverteilung in „The Fall“ leicht abweicht von den heiß geliebten Märchenstunden, die ich als Kind durchleben durfte – am Bettrand sitzt nun die kleine Alexandra, die den warmen Worten des bettlägerigen Roy lauscht und das Kinderzimmer ist jetzt eine Krankenstation – fühle ich mich sofort in meine Kindheit zurückversetzt. Und genau darum geht es in diesem verschrobenen Fantasydrama. Den kindlichen Instinkt, die Naivität, das Interesse an der Transzendenz wiederzuentdecken. Die früher demonstrativ gestellte Frage „Wie geht die Geschichte weiter?“ aus sich herauszukitzeln. Voll aufzugehen in dieser Allegorie über Hass, Rache und Ungerechtigkeit, über Verzweiflung und Selbslosigkeit, die so einzigartig divers und grotesk ist.

            Denn der fiktive Strang von „The Fall“, wenngleich er zunehmend mit der Realität verschmilzt und sich plötzlich ganze Protagonisten und deren Motivationen einverleibt, hat Bezüge zum biblischen Ägypten, zu 1001er Nacht, zum Kolonialzeitalter und zu vielen anderen Epochen. Und wo am Anfang die bitterböse Realität rund um Suizidgedanken, sterbende Kinder und harte Arbeit noch strikt von der bloßen Traumwelt separiert war, verschwimmen beide Sphären im Laufe der Zeit immer mehr, paaren sich Angst, Verzweiflung und der Wunsch, dass alles doch nur gut werden soll, ohne je zu psychedelisch zu wirken und den Charakter der kindlichen Mär zu verlieren.

            Phantasie wird zum eskapistischen Mittel, um dem Krankenhausalltag zu entfliehen. Der Glauben und die Vorstellungskraft durchschlagen jedwede Grenzen. Wie weit sie gehen können? Unendlich weit.

            So simpel die Idee, so toll hat sie der indische Regisseur Tarsem Singh umgesetzt. Wie ein Adlerauge schweift die Kamera über die Weiten der Steppen, der Wüsten und der prunkvollen Paläste und über das authentische Zeitkolorit der 1920er in Los Angeles (wo die Non-Fiktion spielt). Analog zu den Abenteuern der schrulligen, quietschbunten Banditen wächst die Bindung eines kleinen, dicklichen Mädchens, das sich bei der Arbeit auf der Orangenplantage den Arm gebrochen hat, und eines distinguierten und dennoch tieftraurigen Stuntmans, der um die Kraft seine Beine bangt.

            Am Ende sucht man zwischen all der videokünstlerischen Finesse, der Wärme der Figuren, der Suggestionskraft der Phantasie und dem effektvoll erzählten Gleichnis nach einem Stückchen Substanz. Nach einer versteckten Variable, die dem Übersinnlichen doch einen Sinn gibt. Die diesen wortwörtlich verzaubernden Bildporno zu mehr machen als einer brillant fotografierten Ode an die Kraft der Phantasie. Man tut es vergeblich.

            Doch während der kleine, blonde Junge damals nie erfahren konnte, wie die Geschichte mit dem bösen Zauberer und der hübschen Prinzessin ausging, weil ihm schon davor die müden Äuglein zugefallen sind und sich sein kräftiger Biss in die Decke gelockert hat, hört er heute - immer noch blond, nun aber deutlich größer und um mehr als zehn Jahre gealtert – bis zum Ende zu. Das Zimmer ist mittlerweile ein anderes. Halb braun, halb cremefarben gestrichen. An den Wänden prangt ein Empire-State-Building-Dekor. Die Piratenbettwäsche wurde gegen ein grün-weiß gestreiftes Exemplar ausgetauscht. Es geht um Roy, Alexandra und um die sechst Abenteurer, nicht um Zauberer. Der sehnsüchtige Blick aber bleibt der gleiche. Und es fühlt sich an wie früher.

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              huababuar 14.12.2015, 01:52 Geändert 14.12.2015, 02:24

              Dieser Kommentar ist ein Wichtelkommentar im Rahmen der User-Wichtel-Aktion 2015 für thekyotoguy. Und passend zum Namen meines Wichtelpartners geht es heute nach Fernost, genauer gesagt nach Südkorea zu Choi-min Sik und „I saw the devil“. In Filmkreisen schon lange kein Geheimtipp mehr. Wer dennoch nie davon gehört, sollte diese Bildungslücke so schnell wie möglich schließen (am Besten uncut und im koreanischen Originalton).
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              Leise rieselt der Schnee,
              Moral ist in Seoul längst passé.
              Alles steht kurz vorm Verfall,
              freu dich, der Rächer kommt bald.

              Ostentativ blinken die Engelsflügelchen im Kleinbus des Teufels, während sich der Eispickel immer wieder durch die Schädeldecke bohrt. Der weiße Schnee, der sich wie Zuckerwatte über die koreanische Prärie gelegt hat, färbt sich grell rot. Wer Humanität im Großraum Seoul sucht, wird in Kim-jee Woons „I saw the devil“ nicht fündig werden, so viel sei verraten. Ein Triebtäter, der nette Busfahrer von nebenan, stimuliert nächtlich seine perverse Libido. Der dicke Hinterwäldler-Kannibale erreicht den Zenit seiner kognitiven Leistung erst nach drei aufgehäuften Tellern rohen Menschenfleisches. Ein rachsüchtiger Verlobter lässt kein Mittel zur Selbstjustiz aus, um den Mord an seiner Geliebten zu begleichen und Gerechtigkeit herzustellen. Doch wie soll es überhaupt Gerechtigkeit geben in einem urbanen Moloch, in dem Gewalt, Sünde und Blutrache so allgegenwärtig sind?

              Sein triviales Grundgerüst um den Rollentausch von Jäger und Gejagtem und die fest im asiatischen Kino manifestierte Rachestory baut Regisseur Kim-jee Woon zu einem artifiziellen Thriller oberster Güte aus und umschifft mit handwerklichem Feingefühl, sinuskurvenartiger Dramaturgie und unwiderruflicher Aussagekraft am Ende die potenzielle Gefahr der Austauschbarkeit. Was mit einem der wohl grausigsten Prologe beginnt, findet seine Fortführung in mehreren Spannungsspitzen und kumuliert schließlich in einem bitterbösen Finale, das am Ende doch zwei Verlierer hervorbringt.

              Woon stilisiert seine Inszenierung zur verbildlichten Antithese. So klar und doch so dreckig. So blutrünstig und doch so wunderschön. Aufgesetzt wirkt seine schier unerträgliche Brutalität nie. Sie ist vielmehr Ausdruck von Rohheit, Realismus und Ästhetik. „I saw the devil“ ist Englisch und heißt übersetzt so viel wie filmtechnische Offenbarung. Gekonnt verdrängt das Orchester die Schreie verzweifelter Menschen. Musik und Bilder sagen mehr als tausend Worte. Selbst in Momenten größter Hektik verschafft ein getakteter Schnitt Übersicht, gibt den Blick auf zertrümmerte Schädel, spritzendes Blut und Gesichter des Wahnsinns frei. Verharrt die Kamera und will Ruhe ins Geschehen bringen, nachdem sie noch kurz zuvor elegant um ein Taxi gekreist ist, dann sind auch diese immobilen Bilder nicht leicht verdaulich.

              „I saw the devil“ als einfache Rachestory abzutun, wäre töricht. Denn es geht um viel mehr. Um Auswirkungen. Um Instinkte. Darum, dass für echte Trauer kein Platz mehr ist, wenn die Seele von Rache und Hass zerfressen wird. Wie weit gehen Menschen, wenn sie von Emotionen geleitet werden? Was braucht es, um gefestigte Individuen der Mitte der Gesellschaft an den Rand zu drängen und sie selbst zu den Monstern zu machen, denen sie hinterherjagen? Choi Min-sik mit einer Diabolik, auf die Mephisto wohl neidisch wäre, und der zutiefst verbitterte Lee Byung-hun beweisen in ihrem Wettstreit der Grausamkeit eindrucksvoll, dass der Wandel vom Mensch zum Tier, vom Engel zum Teufel, schneller geht, als man denkt.

              Leise rieselt der Schnee,
              Moral ist in Seoul längst passé.
              Folter, Blutrache und Qual.
              Freu dich, die Hölle kommt bald.

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              • 5 .5
                huababuar 06.12.2015, 23:42 Geändert 07.12.2015, 01:59

                Dieser Kommentar ist ein Wichtelkommentar im Rahmen der User-Wichtel-Aktion 2015 für Jimmy.Valmer. Leider genauso unpünktlich wie letzte Woche und dieses Mal mit einem vergleichsweise ungewöhnlichen Filmtitel zu diesem Anlass. Aber Wichteln ist Wichteln und somit wird hier jeder noch so krude Wunsch erfüllt.
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                Wenn ich zum Japaner gehe, dann bleibt ein Schälchen garantiert unangetastet: Das mit Wasabi. Wie man sein leckeres Nigiri mit einer eklig-grünen, abstoßend-scharfen Pampe verunstalten kann, war mir noch nie verständlich. Wer mir die Kombination aus delikatem Rohfisch, essiggetränktem Reis und purem Feuer in Pastenform dennoch erklären kann, der darf das in der Kommentarbox gerne versuchen.

                Um den mehr als kläglichen Bogen zum eigentlichen Sujet zu spannen: Auch im Film „Wasabi“ stimmt das Zusammenspiel der Geschmäcker nicht. Actionkomödie? Familiendrama? Groteskes Culture-Clash-Movie? Regisseur Gérard Krawczyk schmeißt Versatzstücke jedweden Genres in einen Topf, rührt gut um und denkt, dass das schon irgendwie schmecken wird. Tut es dann aber nur mit Abstrichen. Denn selektiert man fein säuberlich und verlaibt sich die Zutaten einzeln ein, kann "Wasabi" durchaus munden.

                Mit kleineren technischen Kniffen – Flashbacks, Cuts, Szenenwechseln – beweist Krawczyk gerade zu Beginn eine humoristische Finesse wie man sie oft in Komödien von Simon Pegg und Edgar Wright bestaunen kann. Dazu gesellt sich ein Jean Reno, der gerade deshalb so lustig ist, weil er seiner Verkörperung eine gewisse Gleichgültigkeit beimengt. Wo andere Darsteller gnadenlos an ihrer unsubtilen Lustlosigkeit scheitern, stilisiert Reno in „Wasabi“ diese „Wär-ich-doch-lieber-Sashimi-essen-gegangen“-Attitüde zu einer lakonisch wirksamen Eigenart.

                Hinter seiner scheinbar unantastbaren Fassade steckt ein einsamer Mensch, der der alten Liebe hinterhertrauert und eigentlich nur noch Dienst nach Vorschrift macht -- wobei Vorschriften bei Renos Charakter eher großzügig ausgelegt sind. Gelegenheit, seine kämpferischen Fähigkeiten in visuell überzeugenden Kampfchoreographien und Schießereien unter Beweis zu stellen, gibt es genug.

                In Tokio trifft Reno jedoch nicht nur auf die hiesige Yakuza, sondern auch auf die Geister der Vergangenheit und somit auf seine angebliche, uneheliche Tochter. Aufmüpfiges, knalliges Gör versus gewaltversessener Cop. Zwei harte Schalen prallen aufeinander und geben den berühmten weichen Kern frei. Auch in dieser Hinsicht hat „Wasabi“ zweifelsohne seine starken Augenblicke, doch nun kommt das Salz in der Suppe, der Wasabi auf meinem Fisch: Die verschiedenen Einflüsse beißen sich, die Aromen übertünchen einander, das Endprodukt schmeckt bitter.

                Jeder Anflug von Melancholie und ehrlichen Emotionen wird postwendend im Keim erstickt. Zu schnell schwingt „Wasabi“ in trashig-überzeichneten, ja mitunter ausgelatscht-unlustigen Humor um, zu deplaziert wirken angesichts der beschwingten Grundatmosphäre die Szenen, in denen man aus der Seichtheit herausbricht. Das ist am Ende nicht Fisch und nicht Fleisch. Weder Sushi, noch Wagyu-Rind. Eher Glasnudeln mit Ketchup. Oder um es in meinen kulinarischen (Nicht-)Präferenzen auszudrücken: Nigiri mit Wasabi.

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                • 8 .5
                  huababuar 30.11.2015, 01:10 Geändert 30.11.2015, 18:51

                  Dieser Kommentar ist ein Wichtelkommentar im Rahmen der User-Wichtel-Aktion 2015 für den lieben looshi (superber Kommentar zu Oldboy: http://www.moviepilot.de/movies/oldboy-3/comments/1440208)

                  PS: Sollte das Sprichwort „Die Letzten werden die Ersten sein“ wirklich irgendeine Gültigkeit besitzen, werde ich in den nächsten Jahren wohl ein Dauerabo für’s Siegertreppchen haben. Sorry dafür Basti! Hoffe du und die restliche Community hattet trotzdem einen wunderschönen und vor allem stressfreieren ersten Advent als ich. Ich gelobe, wie immer, Besserung.
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                  Jake LaMotta wankt, aber er fällt nicht. Das Feuer brennt in seinen Augen, die sich durch fiese Schwellungen an den Wangen zu einem dünnen Schlitz deformiert haben. Der Bulle aus der Bronx schnaubt, trabt und tippelt wild umher. Die Kamera schwirrt um ihn herum wie eine lästige Fliege. Er bündelt seine animalischen Kräfte, schnaubt noch einmal, eher er wie wild geworden auf seinen wehrlosen Gegner eindrischt. Links. Rechts. Links. Tödliche Kombo.

                  „Why? Why? Why?...Why'd you do it? Why? You're so stupid...I'm not an animal.“

                  Und was für ein Tier Jake LaMotta ist: Stur wie ein Esel, herrisch wie ein Alphatier im Wolfsrudel und stark wie ein Löwe. Eine zerrissene Seele, ein beispielhafter Soziopath, die menschliche Inkompetenz in Person. Denn eigentlich kämpft LaMotta nicht gegen einen x-beliebigen Gegner im Ring. Er kämpft gegen die ganze Welt, an die er sich einfach nicht anpassen kann und die ihn immer weiter an den Abgrund drängt. Ob er fallen wird?

                  Ganz bewusst hat Martin Scorsese „Wie ein wilder Stier“ in schwarz-weiß gedreht. Der banalste Grund wäre angesichts des Settings in den 40er und 50er Jahren natürlich der zeitgenössische Faktor. Doch Scorseses Farbgestaltung hat eine viel subtilere Symbolik: Zum Einen kreiert das farblose, körnige Bild selbstredend die bestmögliche Atmosphäre, um dem rauen, dreckigen, harten und auch etwas verruchten Charakter des Boxsports gerecht zu werden. Zum Anderen spielt die Optik suggestiv mit LaMottas psychischem Zustand. Der Tristesse dieser vollkommen desillusionierten Figur kann man sich nicht entziehen, wenn man fortwährend nach Farbe lechzt und sie letztendlich nur für einen kurzen Augenblick bekommt, in dem LaMottas Leben doch noch eine Wendung zu nehmen scheint.

                  Robert De Niros Performance ist derartige Perfektion, dass die Grenzen zwischen Realität und Wirklichkeit förmlich verschwimmen. In diesen zwei Stunden und darüber hinaus ist Jake LaMotta nicht Robert De Niro. Robert De Niro ist und lebt Jake LaMotta. Und ähnlich wie Jahre zuvor in „Taxi Driver“ bleibt einem die Beurteilung seiner Rolle selbst überlassen. Soll man LaMotta bemitleiden, weil er einfach nicht fähig ist, zwischenmenschliche Beziehungen zu pflegen? Soll man ihn verteufeln, weil er selbst die einzigen zwei Verbündeten, die ihm noch geblieben sind, verletzt?

                  Zwar gelingt es Scorsese nie wirklich, aus den einzelnen, ultrabrutal inszenierten Boxsequenzen eine stringente, sportliche Dramaturgie zu formen (auch wenn dieser Handlungsstrang natürlich zweitrangig ist), doch der Blick für das scheinbar Unwichtige und doch so Relevante, dieser unverhohlene Fingerzeig auf den Niedergang des menschlichen Individuums machen „Wie ein wilder Stier“ zu einer der schonungslosesten und greifbarsten Tragödien, die je auf Film gebannt wurden.

                  Ein Film voller Gewalt über eine ekelhaft-patriarchalische Gesellschaft. Gewalt im Ring. Gewalt auf den Straßen. Gewalt unter Brüdern. Gewalt an Frauen. Gewalt gegen Stühle. Mit einem herausragenden Robert De Niro, einem genial-cholerischen Joe Pesci und einer so unglaublich verführerischen Cathy Moriarty.

                  „That’s entertainment!“

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                    huababuar 27.11.2015, 02:40 Geändert 27.11.2015, 15:17

                    Afrikanische Rhythmen fegen über die Sandpisten von Kigali, der belebten Hauptstadt Ruandas. Wildes Gewusel, bunte Farben, fremde Kultur, exotisches Lebensgefühl. Die Freiheit klingt nach Bongotrommeln.

                    Nur Augenblicke später ist jedwede, scheinheilige Glückseligkeit erloschen. Wie wegradiert. Anstatt taktvoller Klänge rattern jetzt Maschinengewehrsalven durch diese so ländlich erscheinende Metropole. Ein pulsierender, vor Leben nur so sprudelnder Ort wird zum dunklen Moloch. Jene Sandpisten, auf denen jüngst noch fröhlich musiziert wurde, gleichen nun einem Schlachtfeld. Unzählige Leichen. Über eine Million sollen es am Ende sein. Wie Freiheit klingt, ist eine obsolete Frage geworden.

                    Inmitten dieses stürmischen Ozeans der Unmenschlichkeit gibt es eine kleine Wohlfühlinsel: Das „Hotel de Mille Collines“, geleitet von Paul Rusesabagina. Auch sonst steht dieses Luxusressort mit Pool, Lobster und Scotch diametral zum vergleichsweise ärmlichen Kigali, in Bürgerkriegszeiten aber sind das zwei verschiedene Welten.

                    Paul ist Hutu, Teil jener sozialen Gruppe, dessen militante Rebellen gerade im Begriff sind, die Tutsi – von den Aufständischen nur Kakerlaken genannt – und ihre eigenen, gemäßigten Stammeskollegen systematisch abzuschlachten. Ein ehrenwerter Mann, der weiß, wie er sein Kapital einzusetzen hat. Hier mal eine teure Zigarre dem Geschäftspartner mitgebracht, da mal unbemerkt dem Klienten einen edlen Tropfen in den Aktenkoffer gesteckt. Wir mögen das Korruption nennen, Danny Archer aus „Blood Diamond“ würde entgegnen: DIA – Das ist Afrika. Nur leider ist Afrika, oder genauer gesagt Ruanda im Jahre 1994, nicht nur korruptes Geschäftstreiben, sondern auch Mord, Blut und ein sinnloser Konflikt, der von den treibenden Kräften durch fragwürdige ethnologische Ideologien legitimiert wird.

                    Wo es Ungerechtigkeit gibt, da tun sich allerdings auch Retter auf, die sich dem Wahnsinn widersetzen. Einer davon ist eben Paul. Eine besonnene, rationale, friedfertige Heldenfigur. Die Verkörperung von Menschlichkeit in einer Welt, die inzwischen nur noch die Macht der Machete anerkennt. Pauls Hotel wird zum Flüchtlingsheim, zur Rettung für über 1200 Menschen. Für die Familie und für Fremde. Für Tutsi und für Hutu. Das bleibt nicht lange unbemerkt. Ein nervenzehrender Kampf beginnt.

                    „Hotel Ruanda“ ist ein wichtiger Film. Ein sehr wichtiger sogar. Weil er auf einen Genozid aufmerksam macht, von dem Viele vermutlich noch nie etwas gehört haben. Weil er größtenteils objektiv ist, unmittelbar, differenziert. Eben keine standardisierte Traumfabrik-Produktion mit schwarz-weißer Färbung und einem ausgeprägten Hang zu übersteigertem Bombast und explosiver Effekthascherei. Und – der wichtigste Punkt – weil er, fußend auf den zwei bereits genannten Gründen, uns, dem Westen, schonungslos den Spiegel vorhält. Wen interessieren denn schon hunderttausende, getötete Zivilisten in Afrika, wenn nach der „Tagesschau“ das Bier auf dem Tisch steht und die feine Lasagne im Ofen wartet? Die Freiheit klingt für uns nach dem Ploppen des Kronkorkens und dem Piepen aus der Küche. Und schließlich tut der Westen doch auch etwas. UN-Truppen zum Beispiel. Dass die in etwa so mittellos sind wie ein Schiedsrichtergespann, dem die Spielleitung komplett entgeglitten ist und das jetzt ohnmächtig dabei zusehen muss, wie ein Team sich au das andere stürzt, ist doch nur eine kleine Randnotiz.

                    Bei aller Tragik und Dramatik verzichtet Regisseur Terry George weitestgehend auf typische Tränenzieher. Bedeutungsschwangerer Pathos kommt wenn überhaupt nur bedacht vor, in wohl dosiertem Maße. Eigentlich nur dann, wenn mitklingt, dass neben Pauls ehrenwerten Taten auch das Wohlergehen seiner eigenen Familie eine Rolle spielt. Ansonsten bündelt sich Georges enorme Aussagekraft und Ästhetik vor allem in einem stark besetzten Schauspielensemble, aus dem explizit ein herausragender Don Cheadle mit seinen leuchtenden Augen und seinem freundlichen Gesicht heraussticht, und in der authentischen, aufwühlenden Atmosphäre, die zwischen dekadentem Luxusleben, afrikanischer Quirligkeit, roher Gewalt und dem Status absoluter Rechtslosigkeit pendelt. Der Balanceakt zwischen persönlicher Heldenzeichnung des Protagonisten, Differenziertheit und gewichtiger, politischer Aussage wurde selten so gut gemeistert wie bei „Hotel Ruanda“.

                    Neben all dem Leid, durch das man sich als Zuschauer kämpfen muss, nach all der Selbstreflexion über die Rolle der westlichen Welt in solchen Konflikten, bleibt vor allem die Entschlossenheit eines Mannes, bleiben überlebenssichernde Werte wie Zusammenhalt, Brüderlichkeit (im Geiste) und Gutmütigkeit in Erinnerung. "Hotel Ruanda" schließt nicht mit dem Ende des Bürgerkriegs, findet aber dennoch ein versönliches, ein Mut machendes Ende:

                    Eine kleine Menschentraube trottet etwas außerhalb von Kigali über die Sandpisten. Die Maschinengewehre in der großen Stadt haben vermutlich immer noch nicht aufgehört zu rattern. Doch im Moment ist das nebensächlich. Mutig gehen sie in einer Reihe voran. Sie lächeln. Sie singen. Sie leben. Die Freiheit klingt nach hoffnungsvollen Kinderstimmen.

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                      huababuar 25.11.2015, 00:18 Geändert 25.11.2015, 20:44

                      Atmosphärische Dichte, eine aufwühlende Suggestionskraft und eine durch absolute Nüchternheit und Unmittelbarkeit erreichte Authentizität bilden das Gerüst für eine Dokumentation über die perversen Auswüchse staatlicher Paranoia. Aus der sorgfältig-investigativen Recherche von Laura Poitras (in Zusammenarbeit mit Glenn Greenwald und Ewen MacAskill) erwächst eine Reportage, die beunruhigt, die stutzig macht und die Sorgen bereitet. Wie weit ist ein Staat, getrieben von Terror, Angst und Kontrollwahn, bereit zu gehen, um vermeintliche Sicherheit herzustellen? Inwieweit missinterpretieren Regierungen ihre Aufgabe, die allgemeine Ordnung aufrecht zu erhalten und konterkarieren mit ihrem Überwachungswahn genau den Wert, für den die westliche Welt eigentlich steht - Freiheit? Nicht nur in den USA, sondern auch in Großbritannien, auch in Frankreich, und ja, auch in Deutschland. "Citizenfour" stellt diese Fragen nicht, sondern liefert anhand der NSA-Affäre um Edward Snowden konkrete Fakten und Denkanstöße. Wie diese zu werten und zu interpretieren sind, das bleibt dem Rezipienten selbst überlassen. Ein journalistisches Glanzstück!

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                      • Wer will mich? Nehmt mich, nehmt mich, nehmt mich!! Sofort! :)

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                          Der Kalte Krieg ist seit einer Dekade zu Ende, die Sowjetunion zerfallen, doch die Folgen der paranoiden Aufrüstungspolitik sind noch immer greifbar. Atomare Satelliten kreisen um den Erdball, das kommunistische Kuba scheint noch immer ein gutes Pflaster für militante Russen zu sein und ein Panzer in St. Petersburg hat beileibe keine dekorative Funktion, sondern taugt auch ganz gut als Verfolgungsvehikel.

                          Ganze sechs Jahre nach „Lizenz zum Töten“ mit Timothy Dalton wird in der James Bond-Reihe der Reset-Knopf gedrückt. Den MI6 leitet nun Judi Dench als M und erstmals darf sich der Ire(!) Pierce Brosnan als britischer Geheimagent mit Charme und Charisma um die Welt vögeln und en passant zwei abtrünnigen Psychopathen das Handwerk legen. Entscheidend ist hier aber nicht was passiert, sondern vor allem wie es passiert, denn „GoldenEye“ nimmt sich den Namen der im Film vorkommenden Verbrecherorganisation doch sehr zu Herzen: Janusköpfig ist hier nämlich vor allem die Wirkung der überkandidelten Grundtonalität. Wenn Gottfried John als kalter General Arkady schaltet und waltet oder Bond in besagtem Panzer St. Petersburg plattwälzt, ist das genau die Art von Überspitztheit, die man sehen will. Lebt ein verräterischer, piepsstimmiger Computernerd namens Boris allerdings seine Minderwertigkeitskomplexe aus, während sich Bond todesmutig hunderte Meter in die Tiefe stürzt, um punktgenau im Bauch eines vorbeifliegenden Helikopters zu landen, schlägt die durchaus amüsante Ader allerdings ganz schnell in lächerliche, schwer zu ertragende Skurrilität um.

                          „GoldenEye“ hat durchaus seine ganz starken Momente, auch wenn man dramaturgisch gesehen gelegentlich etwas abrüstet anstatt schwere Geschütze aufzufahren, verbindet die Kühle der Nachkriegszeit und den typischen 90er-Look zu einem fröstelnden Zeitkolorit, beraubt sich durch seine „over the top“-Attitüde aber leider eines notwendigen Maßes an Ernsthaftigkeit.

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                            huababuar 16.11.2015, 23:58 Geändert 17.11.2015, 01:20

                            „Shuttle – Endstation Albtraum“ funktioniert insoweit, als dass die Prämisse einer Horrorfahrt durch die wuchernden Industriegürtel von Los Angeles zwar nie einen Innovationspreis ergattern könnte, trotzdem aber eine gewisse dreckige Verruchtheit in sich trägt. Das ist auch für eine bestimmte Zeit ziemlich spannend. So lange jedenfalls, bis Regisseur Edward Andersons Entführungsalp herhalten muss für einen fortwährend unglaubwürdigen Täter-Opfer-Konflikt, bei dem sich unbedarfte Glanztaten stapeln wie die Sammelklagen in Wolfsburger Aufsichtsratbüros. Von Filmen, die auf der Bekanntheitsskala irgendwo zwischen Dolly Busters Schwippschwager und Pamela Andersons Natürlichkeit aus Kindertagen liegen und sich nach mehr B-Movie anhören als es Steven Seagals nächstes Actiontrauerspiel je sein könnte, sollte man grundsätzlich natürlich keine cineastische Offenbarung erwarten. Das wäre in etwa so, als ginge man zum Heimderby des FC Ehekirchen gegen die TSG Untermaxfeld und will Tiki-Taka-Costa-Müller-TOOOR-Fußball sehen. Und zweifelsohne erfüllen sowohl Duelle zweier Rivalen in der Bezirksliga Schwaben Nord, als auch „Shuttle“ ihren Zweck: Freitagabends kann man sich diese Unterhaltung auf gemäßigtem Niveau schon mal antun, wenn gerade keine bessere Alternative zur Hand liegt. Mit welcher Chuzpe Anderson dann aber der perfektioniert-anspruchslosen Mittelmäßigkeit einen irgendwie fast schon herrlich fiesen, jedoch auch absolut deplatziert-pseudointellektuellen Überbau geben, den zwei rumhurenden Mädels ihre scheinbar „gerechte“ Lektion erteilen will, das wiederum kommt so gekünstelt und gestelzt, wie wenn FCE-Innenverteidiger David Labus mit gespreizten Beinen in Christiano-Ronaldo-Manier zum Freistoß antrabt. Und mal wieder fünf Meter über das Tor schießt.

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                              huababuar 09.11.2015, 18:20 Geändert 09.11.2015, 19:27

                              „I may hit Bond!“ – „Take the bloody shot!“

                              Knall. Ein starrer Körper stürzt rücklings in die Tiefe. Es platscht laut, als er auf der klaren Wasseroberfläche auftrifft.

                              „Agent down!“

                              Stille. Dann Adeles engelsgleiche Stimme, die mit den schwermütigen Worten „This is the end..“ ihren legendären Welthit anstimmt.

                              „Skyfall“ beginnt mit einem polterndem Donnerschlag, einem wahren Fausthieb, und annonciert schon in der psychedelischen Titelsequenz, die gespickt ist mit Kreuzsymbolik, Gräbern, Totenköpfen und Schattenkämpfen, wohin die Reise gehen wird. Wie auch im neuen Teil „Spectre“, in dem die (Schein-)Dekonstruktion der Geheimdienste – wenn auch mit viel mehr Humor gewürzt - eine elementare Komponente darstellt, wird ordentlich an Bonds Stuhl gesägt. Seine gesamte Rolle steht zur Disposition. Kann er es noch? Oder ist er doch entbehrlich? Daniel Craig wird am Ende die eindeutige Antwort darauf geben. Mit erschreckender Authentizität mimt er einen abgehalfterten und unrasierten Agenten mit blutunterlaufenen Augen, der zur Rehabilitation eine mehr oder weniger freiwillige Reise in die Vergangenheit wagt und sich so mit seinen Wurzeln, seiner Kindheit und sich selbst auseinandersetzen muss.

                              Auch M, der die großartige, leidenschaftlich aufspielende Grande Dame Judi Dench gleichwohl die Herzlichkeit einer liebenden Mutter sowie die eiserne Strenge einer MI6-Leiterin einhaucht, avanciert zu einer zentralen Figur. Sie kämpft gegen alte Geister, genauer gesagt gegen einen ambivalent boshaft-skurrilen Javier Bardem, der ihr nach dem Leben trachtet und alte Wunden aufbricht, gegen ihr eigenes Gewissen, das nach schwerwiegenden Entscheidungen nie ganz rein ist, und schließlich wie auch Bond gegen aufkommende Zweifel an der eigenen Funktionalität.

                              Nie schlug die Bondreihe ernsthaftere Töne an. Nie ist die unnachahmliche Bandbreite an Kulissen, die 007 diesmal über die hochtechnisierten Fernostmetropolen Shanghai und Macao, einen orientalischen Basar, eine verlassene, altkoloniale Insel bis hin zu den nebeldurchfluteten Hochländern Schottlands führt, so düster geraten. Nie wurde dem inneren Konfliktpotenzial in 50 Jahren James Bond eine so große Bedeutung zugemessen, ohne allerdings als actionbefreites Psychogramm zu enden. Denn wo Sam Mendes zu Beginn noch poetisch-provokativ und mit einer kraftvollen Frauenstimme das Ende eines Leinwandhelden in den Raum wirft („This is the end..“), huldigt er eben jener Lichtgestalt, subliniert von einem wummernden Score, in einem wuchtigen Finale. Die Geister sind vertrieben. Tabula Rasa. Eine neue Ära hat begonnen.

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                                huababuar 07.11.2015, 17:25 Geändert 04.04.2016, 19:30

                                Die James-Bond-Reihe ist unter Sam Mendes nun endgültig im Diesseits angekommen. Was schon in „Skyfall“ mit einer tiefschürfenden Reise in Bonds Vergangenheit und der Frage nach der Funktionalität 007's begonnen hat, findet nun in „Spectre“ seine revolutionäre Fortsetzung. Die Doppelnull, sie hat sich verändert, ist den Wandel als Abziehbild des Männerideals, nicht zuletzt dank Daniel Craig, mitgegangen. So mimt Craig zwar immer noch den alkoholsüchtigen, kosmopolitischen Casanova mit Vorliebe für trauernde Frauen, der von seiner Lizenz zum Töten nicht selten Gebrauch macht. Das wird wohl keinem sauer aufstoßen. Schließlich soll Bond immer noch Bond bleiben, mit all dem Machismo, der britischen Trockenheit und dieser göttergleichen Ausstrahlung. Und doch ist Flemings Figur gereift: rationaler nicht nur im Bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen ist Bond geworden, ein bisschen abgekehrt vom starren Utilitarismus, er kann nun entscheiden, ob er den Abzug betätigt oder nicht, verletzlicher auch – also rein psychisch gesehen natürlich, physisch kann einen Bond entgegen jeglicher logischen Gesetzmäßigkeiten nichts zur Strecke bringen (was aber irgendwie genauso zu dieser Reihe gehört wie geschüttelter Martini) – ja sogar selbstreflektierter und gefühlvoller und somit irgendwie auch eine ganze Spur humaner.

                                „Spectre“ geht wohltuend den Schritt mit und nicht gegen die Zeit. Mendes kumuliert kontemporäre Thematiken wie Überwachung, Digitalisierung und Datenschutz (Stichwort: NSA-Affäre) und stellt damit sogar die Zeitmäßigkeit des gesamten Geheimdienstapparats infrage. Können Drohnen leibhaftige Spione ersetzen? Wie wichtig ist der Austausch von Geheimdienstinformationen unter Bündnispartnern? Hat dauerhafte Überwachung einen Nutzen? Symbolisch wird das alte 00-System am Ende zum Einsturz gebracht. Wie es faktisch weitergeht, wird als eine Art Cliffhanger offen gelassen.

                                Bis es allerdings soweit kommt, darf „American Beauty“-Regisseur Mendes nach „Skyfall“ zum wiederholten Male unter Beweis stellen, dass er jedwede Fingerübung, die ein klassischer Actionthriller bereithält, blind beherrscht. „Spectre“ ist beileibe keine narrative Offenbarung – vieles muss sich der Dramaturgie unterordnen, wenn der Handlungsverlauf seine franchiseüblichen Haken schlägt und Totgeglaubte ein ums andere Mal wieder auftauchen – wohl aber ein inszenatorisches Glanzstück. Vielfältige Kulissen erstrahlen entweder in edlem Glanz (Rom), kultureller Schönheit (Mexiko-Stadt), oder eindrucksvoller Abgeschiedenheit (Österreich, Marokko). Rasante, dabei aber stets übersichtliche Actiongewitter finden ihren fulminanten Höhepunkt samt fabulöser Plansequenzen bereits in der tadellosen Exposition auf einem obskuren Totenfest.

                                Und während man sich an Mendes‘ bildlicher Vollkommenheit ergötzt, kann man indes nur hoffen, dass sich Daniel Craig nicht – wie freilich bewusst überspitzt in einem Interview behauptet – lieber die Pulsadern aufschlitzt, ehe er einen weiteren `Bond´ dreht, sondern auf ewig weiter macht. Er ist fast schon eine Art Heilsbringer des mittlerweile 53 Jahre alten Franchise. Keinem stehen Anzüge jeglicher Couleur so gut, niemand schlendert so elegant und stilvoll in Zeitlupe durch einen Ort der Zerstörung und die pfiffigen One-Liner nach gewohnt britischem Humorrezept beherrscht auch kein Zweiter so wie er.

                                Was erschwerend hinzu kommt: Mit Christoph Waltz hat man nun auch noch den Prototypen eines Antagonisten gefunden. In seiner extrovertierten, speziellen und amüsanten Manier holt der Österreicher aus einer Rolle, der es an Hintergründen und Tiefe von vorne bis hinten mangelt, das absolute Optimum heraus. Aus verdammt wenig macht er verdammt viel und spielt mit Eindringlichkeit und unnachahmlicher Diabolik eklatante Schwächen seines Charakters galant weg. Ein Augenschmaus.

                                "Spectre" ist sozusagen fehlerhaft genial, dabei aktuell und angepasst wie nie zuvor und hat sich somit einen Platz auf dem jüngeren Bondolymp, auf dem Schwergewichte wie "Casino Royale" oder "Skyfall" thronen, ohne jeden Zweifel verdient.

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                                  huababuar 06.11.2015, 18:09 Geändert 06.11.2015, 18:17

                                  Für Viele bedeutet Winnetou vor allem eines: Kindheitserinnerung. Ganze Generationen wuchsen mit den Verfilmungen des tapferen und schweigsamen Apachen heran, wurden geprägt von Karl Mays romantisierter Blutsbruder-Vorstellung in seinen Wild-West-Erzählungen und verehren ihn dafür bis heute. Und ja, auch ich verbinde mit diesem Stückchen Literaturgeschichte Schlüsselpunkte meiner Kindheit, wenngleich die natürlich nicht ganz so weit zurückliegt wie die der meisten Winnetou-Verehrer. Regelmäßig wurde sich in die warme Winterdecke eingekuschelt, heimlich, still und leise spätnachts das Hörbuch gelauscht und leidenschaftlich mitgefiebert.

                                  Gestern kam es dann zum ersten filmischen Kontakt mit dem Kindheitshelden. Der kleine Junge, der immer wieder müde zur Schule kam, weil er bis zwei Uhr morgens gespannt an seinem Kuscheltier zerrte und wissen wollte, wie Old Shatterhand und Winnetou Santer in die Flucht schlagen, fährt nun, Jahre später, verschlafen zur Uni, weil er mit der gleichen kindlichen Sorglosigkeit die Nacht zum Tag gemacht hat und in Karl Mays Abenteuergeschichten versunken ist. Bilder, die man sich damals im Kopf ausgemalt hat, füllen sich endgültig mit Farbe. Nscho-tschi ist ja wirklich wunderschön, Old Shatterhand das erhofft coole und charismatische Bleichgesicht und der Rio Pecos genauso wild und unberührt wie man ihn sich vorgestellt hat.

                                  Bei aller Nostalgie muss man natürlich auch Realist bleiben: „Winnetou“ ist aus kinematographischer Sicht kein Meisterstück. Diejenigen, die sich da gegenseitig offensichtlich mit Platzpatronen beschießen und in Streichholzhäusern verbarrikadieren, sind allesamt keine begnadeten Darsteller. Und doch füllen Lex Barker als rechtschaffenes Greenhorn Old Shatterhand, Pierre Brice, der Appachenhäuptlingssohn Winnetou verkörpert, und Mario Adorf als der beispielhafte Frühkapitalist der Pionierzeit Santer ihre Rollen aller Theatralik zum Trotz mit Einzigartigkeit und ansteckender Passion.

                                  Allgemein ist Harald Reinls Winnetou-Interpretation voller Herzblut. Weitwinklige Panoramaaufnahmen fangen die dampfig-schwüle und dichte Prärieatmosphäre wunderbar ein. Martin Böttchers Musik ist zeitgenössisch omnipräsent und dauerbeschallend, unterstreicht aber präzise die fast schon majestätischen Schlachten zwischen Indianern und Siedlern. So bleibt Reinl rein stilistisch und was das Setting betrifft auf Linie mit dem klassischen Western, mischt gelegentlich sogar Anleihen des konventionellen Historien- und Monumentalfilms unter, gibt dem Inhalt allerdings (gemäß Mays Vorlage) eine merklich überspitztere und (manchmal unfreiwillig) pointiertere Note.

                                  Auf fast schon kindlich-naive Weise, also genau nach den Wünschen des breit gefächerten Zielpublikums, wird ein Blick auf die Indianerkriege geworfen und zu einer ungewöhnlichen Bindung und Freundschaft zweier Männer transformiert. Bis zur endgültigen Zusammenkunft ist es ein langer Prozess, den Viele nicht überleben werden. Friedenspfeifen müssen geraucht und Saloons besetzt werden. Am Ende aber dürfen Old Shatterhand und Winnetou gemeinsam dem Sonnenuntergang entgegen reiten. Die Wollust des Publikums ist gestillt, der Weg für neue Abenteuer geebnet. Im weiteren Sinne eine Parabel über die Gleichheit des Menschen und die Überbrückbarkeit kultureller Diskrepanzen. So simpel, so toll und so anspruchslos, dass man sie gerade in der heutigen Zeit dem ein oder anderen Montagabend-Spaziergänger vor den Latz knallen sollte.

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                                    huababuar 03.11.2015, 00:35 Geändert 03.11.2015, 13:32

                                    Langsam schiebt sich das terrorisierte Opfer den Hausflur entlang. Die Szenerie ist gehüllt in absolute Dunkelheit. Totenstille. Dann ein leises Knarzen der Tür, die Nerven zum Zerreißen gespannt, ein fortwährendes Gefühl der Angespanntheit. Was wird gleich passieren? Wir kennen solche Momente aus dem klassischen Horrorgenre, Suspense in der Fachsprache. Begründer: kein geringerer als Alfred Hitchcock. Den Peruaner Luis Llosa („Anaconda“) als Alfred Hitchcock des Dschungel-Suspense zu bezeichnen, wäre freilich realitätsfremd und vermessen. Doch wie der Regisseur in „Sniper – Der Scharfschütze“ ein klassisches Segment des Horrorfilms zu seinen Gunsten nutzt, es auf die militärisch beherrschte Natur projiziert und somit eine stimmige Symbiose aus konstanter Spannung und exotisch-atemberaubender Regenwaldatmosphäre kreiert, ist zumindest im Rahmen eines B-Action-Movies erstaunlich.

                                    Jeder mechanische Sound kann im grünen Dickicht entweder Tod oder Rettung bedeuten. Das Dröhnen der Helikopterrotoren oder das Rattern von Maschinengewehren, das sich urplötzlich in die Geräuschkulisse von Vogelgezwitscher und dem Quaken der Frösche schiebt, kündigt aus dem Nichts Unheilvolles an. Abseits davon ist „Sniper – Der Scharfschütze“ natürlich zugeschnitten auf sein angepeiltes Zielpublikum: Grölende Männer mit notorischem Drang zum Kriegsvoyeurismus, sprich: den gemeinen Actionfan. Das pompöse Patronenfinale am Ende ist substituierbar. Die beiden Hauptfiguren, die sich da mit ihrer Tarnung als Lebensversicherung durch die Tropen quälen, agieren als Schablonen des typischen Action-Buddy-Films. Der Veteran und das Greenhorn, sehr ordentlich gespielt übrigens von Tom Berenger und Billy Zane. Ihre Herkunft? Ihr Schicksal? Entbehrliche Randerscheinungen. Und doch unterscheiden sie sich in einem Detail wohltuend von ihren unzähligen Spiegelbildern: Ihre konträren Meinungen zum Thema Gewalt und militärische Operation hält so manch interessanten und auch tiefsinnigeren Dialog parat.

                                    Ansonsten aber wandelt „Sniper – Der Scharfschütze“ stets innerhalb der fest abgesteckten Grenzen der Action-Konformitäten. Der politische Subtext um einen gezielten CIA-Komplott mit dem Ziel „Regierungswechsel in Panama“ wird rigoros eingedampft, der aufzuwendende Konzentrationsfaktor auf das Wesentliche reduziert. Wäre da Llosas Gefühl für gut situierte Spannung und ein pittoreskes Setting - das gekörnte, ungefilterte Bild versprüht noch mehr an Rohheit, Echtheit und Authentizität - nicht, das Abenteuer von Berenger und Zane wäre wohl schnell eine entbehrliche Nullnummer im B-Movie-Einheitsbrei. So aber bleibt ein Film, der bewusst oberflächlich bleibt, nicht wertend ist, auf dieser Ebene aber erstaunlich gut wirkt und damit seinen doch eher dürftigen Kern zum Großteil geschickt kaschiert.

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                                      huababuar 29.10.2015, 17:39 Geändert 29.10.2015, 18:30

                                      Enge Hemden mit Blumendekor, Vokuhila und ein extrovertierter Tanzstil. Was nach heutigen Maßstäben aussieht wie eine metrosexuelle Jugendclique, die sich zu Britney Spears kreischend in Ekstase steppt und in westlichen Schmelztiegeln wie Berlin wohl als hochnotpeinliche Zirkusnummer abgetan würde, war im Taipeh der 1980er Jahre eine berüchtigte Straßengang. Mit allem drum und dran sogar. Reviermarkierung, Schlägereien, Folter, Kontrollherrschaft ganz unpolitisch, sondern eben rau und nah dran am wahren, harten Leben. Die Gangs aus Taipeh.

                                      Um die Werte „Bruderschaft und Treue“ entspinnt sich langsam ein menschliches Jugend- und Gangsterdrama über pubertäre Eigenheiten und Wünsche wie Freiheit, Unsicherheit, Sehnsucht und den notorischen Drang für irgendetwas, für irgendwen, von Bedeutung zu sein. Rebellisch und wild – das sind die fünf Jungs der Tempeltorbande. Und es hat fast schon etwas Melancholisches an sich, wenn sie durchs so wunderschön glitzernde, nächtliche Taipeh irren, auf der Suche nach Bestätigung, Selbstvertrauen und dem letzten Kick.

                                      Regisseur Doze Niu hätte es eigentlich überhaupt nicht nötig gehabt, seine Figuren in vorgefertigte Klischees zu pressen. Protagonist Mosquito ist anfangs freilich ein Außenseiter und wandelt sich erst durch die Mitgliedschaft der Gang zum maskulinen Idealtypus, dem starken, selbstbewussten Mann. Auf seinem Weg dorthin trifft er – natürlich im Bordell – auf die Liebe seines Lebens und am Schluss endet selbstverständlich, wie in quasi jedem Film aus Fernost, alles in einer blutigen Racheorgie. Die Klischeeisierung der ansonsten so ehrlich-menschlichen Geschichte und auch die suboptimale Musikauswahl, die das Geschehen allzu oft und gewollt kontrastieren soll, stehen diametral zum großartigen Rest des Films und verhindern leider auch, dass aus „Gangs of Taipeh“ etwas ganz ganz Großes, so etwas wie das taiwanesische Pendant zu „GoodFellas“ wurde.

                                      Ausgeflippt asiatischer Bilderporno und eigentlich typisch westliche Charakterrollen und Gepflogenheiten kreuzen sich, taiwanesische Tradition trifft auch auf den neuen Einfluss des großen chinesischen Nachbarn. Ein Potpourri aus verschiedensten Versatzstücken diverser Popkulturen: Atemberaubende Kampfszenen, eine artifizielle Inszenierung mit fokuswechselnder Kameraarbeit, skurriler Humor, amerikanische Schnulzensongs, dekadentes Nachtleben.

                                      Lange lässt einen Doze Niu in dem naiven Glauben, dieses Gangster-Wirr-Warr könnte doch noch irgendwie gut ausgehen. Unsere fünf Transen von der Tankstelle kratzen irgendwie noch die Kurve und tanzen zu YMCA dem südostasiatischen Sonnenaufgang entgegen. Nix da! Mit der brutalen Härte des Straßengesetzes zerschlägt sich die Bandenidylle, der zerstörerische Sog von Gewalt, Abhängigkeit und Realitätsverlust hat Mosquito, Dragon Lee und die anderen schon längst mit sich gezogen. Und ehe sie sich versehen, ist das Blumenhemd befleckt, der Vokuhila zerzaust und zum Tanzen ist auch keinem mehr zumute. Aus lachenden Teenagern, die ihr Heil in der Gemeinschaft suchten, sind ausgehöhlte und leere Seelen geworden.

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                                        huababuar 22.10.2015, 21:39 Geändert 23.10.2015, 03:15

                                        Türen knarzen. Das Geschirr klimpert. Knochen klackern. Irgendwo wimmert und kreischt eine verlorene Seele, gefolgt von einem dämonischen Lachen ihres Peinigers. Im Hintergrund dröhnt ein Generator, der gleichsam wie die immerzu knatternde Kettensäge disparat zum malerischen Untergang der texanischen Sonne für unerträglichen Lärm sorgt. Geradezu poetisch legt Tobe Hooper seine schauderhafte Geräuschkulisse samt blechernem Soundtrack über die trostlose Schönheit der amerikanischen Peripherie. Er braucht keine Blutfontänen, keine pompös inszenierten Splatterszenen und folglich auch keinen Kameramann, der voyeuristisch auf alles draufhält, was knackst, bricht, aufplatzt und aufreißt, um im Eigenheim seines Publikums aus den Alltagsmenschen die sich hilfesuchend an ihren Sitznachbarn anschmiegenden Frauen und deren panisch an ihren Fingernägeln knabbernden Männer herauszukitzeln.

                                        Die Crux von „Blutgericht in Texas“ liegt nicht zwingend in dem, was der Konsument sieht. Es ist vielmehr das fehlend Explizite in den geisteskranken Gewalteskapaden, es ist die alleinige Vorstellungskraft und der kreative Freiraum, den uns Hooper lässt, und der das Kettensägenmassaker in Texas zum erschütternden Terrorkino mit exorbitant hohem Morbiditätsfaktor macht. Schon zu Beginn flimmern verweste Leichen wie ein Zündfeuer über den Bildschirm, hinter jeder Tür scheint fortan der Wahnsinn ausufernder, die Perversität noch extremer, die Taten sadistischer und der latente Ekel noch intensiver zu werden. Sich im Reiz der Abnormalität sudelnd entfacht „Blutgericht in Texas“ von Anfang an dieses fiese Gefühl von Unbehagen – in etwa so angenehm wie ein Zungenkuss nach dem Genuss eines „Döner mit alles und viel scharf“ - und stellt es im weiteren Verlauf auch nicht mehr ein. Hat einen dieses Monumentalwerk des Horrorgenres, das mit lächerlichen 60.000 Dollar Budget nach heutigen Standards freilich etwas amateurhaft gefilmt wirkt, von seiner Wirkung dadurch allerdings nichts einbüßt, einmal gepackt und das geschieht spätestens wenn der erste schwache, aber schrullige Charakter dem „Leatherface“ zum Opfer fällt, lässt Hooper einen mit seiner abstrus-brutalen Geschichte nicht mehr los.

                                        Der psychotische Wahnwitz nimmt unweigerlich seinen Lauf. Der Koch hat leckeres Menschenfleisch aufgetischt. Großvater, bekanntlich ohnehin der Beste, sitzt teilnahmslos am Tischende, leckt apathisch anderer Finger. „Leatherface“ wartet ungeduldig auf seinen todbringenden Auftritt, dazu angestachelt von seinem leicht ungesund lächelnden Bruder. Und dann zeigt sich die texanische Sonne wieder, die nach einer grauenvollen Nacht langersehntes Licht ins weite Niemandsland der Kannibalen und Grabschänder zurückbringt. Kein Knochengeklacker, kein Türenknarzen, kein Geschirrgeklimper und auch kein Generatorgedröhne mehr. Nur noch die Kettensäge kreist bedrohlich und laut knatternd umher. Zielgerichtet folgt sie einem ungläubigen Schreien, das sich langsam in ein verkrampftes Lächeln verwandelt.

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                                          huababuar 20.10.2015, 03:16 Geändert 20.10.2015, 13:08

                                          Mit inszenatorisch gewohnter Erhabenheit, die sich in farbgesättigter Hochglanzoptik, einer rasanten Kamera und fast schon dokumentarischer Detailarbeit im Kulissenwechsel manifestiert, liefert Tony Scott einen dialoglastigen und größtenteils wirklich gelungenen Politthriller über Machtmissbrauch, Korruption, Verrat, sowie den Einfluss von Geld im geheimdienstlichen Zyklus aus Misstrauen, staatlichen Interessen und amoralischem Handeln. Scott erweist sich dabei als sehr konventionsbeschränkt und ergänzt bisher Dagewesenes nie groß oder schlägt gar neue Wege ein. Den Zeitsprüngen in die Vergangenheit, die die hauptsächliche Sachlage näher erläutern sollen, misst er in Relation zum gegenwärtigen Handlungsstrang zu viel Bedeutung bei. Und dennoch gehört „Spy Game“ durch seine überzeugend puzzleteilähnliche Auflösung und allen voran aufgrund seiner zwei Ausnahmedarsteller Robert Redford und Brad Pitt in den Hauptrollen zum besseren Output des jüngsten Spionagefilms.

                                          „Zufrieden?“ - „74 Tote, ein ganzer Wohnblock eingerissen, ein toter Terrorist. Ja zufrieden.“

                                          Bilaterale Verträge und die Aufrechterhaltung guter politischer Beziehungen stehen über dem Leben eines Einzelnen und Kollateralschäden sowie Opfer in den eigenen Reihen werden billigend in Kauf genommen. Als Einzelkämpfer darf sich Redford durch diesen inhumanen Komposthaufen, der sich Geheimdienst nennt, kämpfen, Akten durchwühlen, um die halbe Welt telefonieren und so langsam der Wahrheit nachkommen. Gerade jener Teil von „Spy Game“, der sich in den weitläufigen Gängen und Büros der CIA-Zentrale in Langley abspielt, macht den einzigartigen Drive des Films aus, während die etwas ausufernden Rückblicke in die Vergangenheit, die für die Auflösung im Nachhinein natürlich von Belangen sind, durch ihre detaillierte Ausführung aber auch Spannung raus nehmen.

                                          Umso interessanter ist dafür die Ausarbeitung der beiden Hauptcharaktere, die in vergleichbaren Werken oft merklich dürftiger ausfallen: Die Tätigkeit als Geheimdienstler, sie vereinnahmt einen, verroht den Betroffenen. Ich will nicht sagen sie entmenschlicht ihn, auf jeden Fall aber verändert sie ihn zum Negativen. Spätestens dann, wenn staatlich orientiertes, tabuloses Denken die verbleibende Ratio endgültig aufgefressen hat.

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                                            Wer wissen will, wo SS-Standartenführer Hans Landas Vorliebe für Apfelstrudel reifte, am besten natürlich mit einem feinen Gläschen Milch von Monsieur LaPadite (Inglourious Basterds) und woher eigentlich Dr. King Schultz‘ erprobte Schießfähigkeiten als Kopfgeldjäger kommen (Django Unchained), der sollte sich unbedingt mal „Jennerwein“ anschauen. Oder eben auch nicht….

                                            Denn sind wir mal ehrlich: Der einzige Grund, sich diese austro-bajuwarische Schmonzette zu geben ist Christoph Waltz, der auch schon vor seinem internationalen Durchbruch tadellos spielen konnte und hier mit feinstem Bayerisch aufwartet. Doch leider erfüllt nicht nur Waltz alle Erwartungen, auch „Jennerwein“ als Gesamtprodukt liefert genau das, was man bei einer Fernsehproduktion des Bayerischen und Österreichischen Rundfunks eben zu erwarten und bei solch altbackenen Credits im Vorspann zu fürchten hatte: Biederes Heimatkino aus der Alpenregion mit all seinen dilettantischen Nebenwirkungen. Arm ausgestattete, unauthentische Kulissen, die auch noch äußert dürftig (bzw. gar nicht?) nachbearbeitet wurden dienen als Schauplatz, an dem sich das laienhafte Nebendarstellerensemble kräftig austoben kann.

                                            Dem kann man natürlich entgegnen, dass das Budget bei solchen Produktionen begrenzt ist, doch selbst mit viel Kulanz wird „Jennerwein“ nicht besser: Ein holpriges Drehbuch lässt seine blassen Charaktere durch die bergigen Wälder streifen, sich rund um die Uhr streiten und als kleines Augeleckerli gelegentlich innig in der hiesigen Wirtschaft herzen, Hüttengaudi zu Zeiten des deutsch-französischen Krieges, zerbricht aber an seiner eigentlich so interessanten Prämisse. Denn weder kann diese Alpenwesternromanze ein ansprechendes Gefühl für die Zeit, in der er spielt, vermitteln, noch schafft er es, seine Geschichte über die zerbrochene Freundschaft zweier langjähriger Weggefährten in irgendeiner Form spannend, vertiefend oder gar berührend zu erzählen.

                                            Wenn aus einer tiefen Bindung plötzlich Hass wird, wenn zwei Menschen, die über Jahre so eng zusammen waren, plötzlich getrennte Wege gehen und im Gegenüber eine Bedrohung sehen, dann braucht es Protagonisten mit Profil, Menschen mit Ecken und Kanten, Sympathieträger oder eben solche Originale, an denen man sich reiben kann, ja dann will ich einfach mitleiden und gegebenenfalls auch mal mitheulen (#nopussy). Das alles hat „Jennerwein“ nicht und das liegt weder an Waltz, noch an Fritz Karl, sondern vielmehr an der mangelhaften Vorlage. Das fast schon ästhetisch anmutende Ende bringt dann leider auch keine Emotionalität mehr ins Spiel.

                                            Zwischen Kufstein und Tölz hätte man so viele schöne Sachen machen können. Bergsteigen, Skifahren, zünftig bayerisch Essen gehen und sich den lokalen Bierspezialitäten widmen. „Jennerwein“ zu drehen war von allem mit Abstand die schlechteste Alternative.

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                                              Was von nicht wenigen vermutlich nur als amüsante, schwarzhumorig-satirische Literaturverfilmung erwartet worden war, offenbart sich als augenöffnender Blick tief in die deutsche Seele: Er ist wirklich noch da, der Adolf. Nicht überall in der Bundesrepublik freilich. Doch wer sucht und sich auf den Straßen, in den Cafés und den Einkaufsmeilen erkundigt und umhört, der wird auch fernab von Pegida, NPD und anderen rechtsverseuchten, bildungsverweigernden Allianzen auf tief verankerte Ressentiments und Ausländerfeindlichkeit oder zumindest Skepsis treffen. Ablehnung in Zeiten unserer lobgepriesenen Willkommenskultur? Ja, die gibt es noch zuhauf und um das zu beweisen braucht es eigentlich nur einen blendend aufgelegten Oliver Masucci, ein ordentlich getrimmtes Schnäuzerchen, den einschlägigen Scheitel und genügend Ausdruck, Manipulation und Hetze in der Stimme.

                                              Man will es nicht für möglich gehalten haben, weiß nicht, ob man nun lachen oder weinen soll, doch Masuccis gelungene Hitler-Attrappe wird teilweise empfangen wie ein Flüchtlingszug in den großen deutschen Bahnhöfen – Willkommenskultur eben mal anders herum. Da wird gewunken, gelacht, freudig fotografiert, gelegentlich auch mal die rechte Hand demonstrativ gen Himmel gestreckt und die Boulevardpresse? Stürzt sich natürlich sofort auf den wiedererwachten Führer.

                                              Teils dokumentarisch, teils fiktiv lässt Regisseur David Wnendt geschickt die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Illusion verschwimmen. Er tut das schlüssig, stringent, doppelbödig, mit genial eingeflochtenen tagespolitischen Referenzen und Fingerzeigen und mit einer Menge schwarzem Humor gewürzt, auch wenn einem das Lachen angesichts der teilweise schockierenden Reaktionen fast schon im Halse stecken bleibt und auch wenn dem Regisseur ganz selten die Kontrolle etwas entgleitet und er sich zu sehr im Slapstick-Hitler-Humor und den entbehrlichen Nebenhandlungen verliert. Das trübt den Eindruck, den man von dieser bissigen Antwort auf den wieder aufkeimenden Rassismus hat, nur kurz vor Schluss ein klein wenig, wenn Wnendt sich doch merklich von der Buchvorlage distanziert, Hitler beispielsweise sein eigenes Buch schreiben und seinen eigenen Film drehen lässt und den Plot mit aufgebauschten Meta-Ebenen damit eigentlich unnötigerweise verschachtelt, verkompliziert und ein wenig unrund werden lässt. Den "rechen" Weg findet Wnendt mit seiner gelungenen Schlusssequenz dann Gott sei Dank doch noch.

                                              Denn grundsätzlich ist „Er ist wieder da“ eine hervorragende Mischung aus (Medien-)Satire und Gesellschaftsstudie geworden – nie zu plakativ, nie zu gewollt, sondern immer mit der richtigen Liaison aus bitterböser Schwarzhumorigkeit, Situationskomik und der bei dieser Thematik zweifelsohne angebrachten, entlarvenden Ernsthaftigkeit. Exemplarisch dafür auch die Reaktionen im Publikum: Heitere und belustigte Stimmung schwingt letztendlich um in absolute Stille. Wnendt (bzw. Autor Vermes) hat seinen Konsumenten in eine geschickt gestellte Falle gelockt: Generierte der Film seine Lacher eigentlich ausschließlich durch die Figur Adolf Hitlers, wird in den späten Filmminuten dann ganz nebenbei daran erinnert, dass dieser Mann, an dem sich gerade der ganze Kinosaal ergötzt, vor etwa 70 Jahren für den Tod von 6 Millionen Juden und vielen weiteren Opfern verantwortlich war. Mundwinkel ziehen sich nach unten, Selbstreflexion tritt ein, Wnendt setzt uns den Spiegel vor: Eigentlich ist der gemeine Filmliebhaber doch auch nicht viel besser, als derjenige, der - die Gehirnzellen im Standby-Modus - vor dem Brandenburger Tor mit dem Führer für ein Selfie posiert.

                                              Manipulatives, doppeldeutiges, zum Nachdenken anregendes und gleichzeitig urkomisches Kino, wie man es aus deutscher Hand schon lange nicht mehr gesehen hat. Denn er war tatsächlich wieder da, leibhaftig: Nicht nur in den Flaniermeilen Berlins, nicht nur in den einfachen Arbeiterkneipen auf Sylt und nicht nur auf den Demos in Dresden, sondern am gestrigen Abend auch in einem Münchener Lichtspielhaus. Und erschreckenderweise hat er es wieder geschafft, uns um den Finger zu wickeln.

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                                                huababuar 05.10.2015, 23:31 Geändert 06.10.2015, 15:39

                                                Als rauchender Journalistik-Student mit einer Vorliebe für die filmischen 90er kommt man vor allem in Skandalzeiten, in denen ein Konzern, wahlweise auch ein Staat, nach dem anderen der Korruption oder auch der bewussten Manipulation überführt wird, um „Insider“ von Michael Mann wohl oder übel nicht herum. Tutto completto, alles in einem Paket, wunderschön verpackt in ausführlichen 160 Minuten. Nur geht es hier nicht um „gelbe Engel“, die gar nicht mehr so fromm erscheinen, den zerplatzten Traum vom abgassparenden, deutschen Dieselmotor oder die Aufdeckung einer der größten Abhörskandale aller Zeiten. „Insider“ handelt von bewusster Substanzenbemeischung zur Suchtförderung in der amerikanischen Tabakindustrie und von wirtschaftlichen Einflüssen in der freien Presse.

                                                Widererwartend ist das unterm Strich allerdings nur als kleiner, bissiger Seitenhieb gegen die Tabakindustrie und die Medienintegrität zu verstehen. Die Dimensionen, die Mann anstrebt sind viel höher. Es geht um das große Ganze, um den symbolischen Kampf Gut-gegen-Böse, rechtschaffener Einzelgänger gegen manipulative Obrigkeit. Und wie schon in der New Hollywood-Bewegung nimmt den Platz des Antagonisten der Staat und seine (geförderten) Institutionen selbst ein. Intrigante Machenschaften der großprofitablen Industrie und juristische Hürden stehen dem Gerechtigkeitssinn eines Mannes und dem unermüdlichen Interesse eines storybesessenen Journalisten gegenüber.

                                                Neben den richtigen Bildern, Kameramann Dante Spinotti verzaubert schon ab der ersten Sekunde mit seiner ästhetisch-rasanten, druckreifen und immer wieder für eine Überraschung sorgenden Bebilderung, findet Mann vor allem die richtigen Darsteller, die seine brillant gezeichneten Rollen voll ausfüllen. Während Philip Baker Hall, Diane Verona und Christopher Plummer hintergründig ein famoses Nebendarstellertrio geben, sind es mit Russell Crowe und Al Pacino zwei Vollblutschauspieler, die gemeinsam für die Gerechtigkeit kämpfen und das ohne jegliche Präsenz von physischer Gewalt über eine solche Lauflänge spannender und mitreißender tun wie nur ganz selten zuvor in der Filmgeschichte.

                                                Wenn Pacino jemanden darstellt – egal ob nun Gangster oder Polizist – dann mit vollem Einsatz, mit viel Elan und zuweilen sehr cholerisch. Als Verfechter des investigativen Qualitätsjournalismus und Wärter der Pressefreiheit hat er nicht nur charakterlich, sondern auch rein visuell so manche Gemeinsamkeit mit Michel Friedman, wenngleich Pacino den Krawallmacher um einiges sympathischer hinbekommt und Koks wohl auch eher nur im Rahmen von „Scarface“ scheinkonsumiert hat, während Friedman sich für einen Journalisten eher weniger authentisch als Paolo Pinkel im Frankfurter Rotlichtmilieu herumtrieb. Aber das nur am Rande.

                                                Neben dem gewohnt aufbrausenden Pacino nimmt Crowe eine Rolle ein, die ich bislang noch nicht von ihm gesehen habe: klar denkend, ambivalent, nicht nur auf seinen Körper reduziert. Ein entlassener Forschungsabteilungsleiter eines Tabakkonzerns, Whistleblower und Familienvater. Ein gefestigter Bürger im mittleren Management, dessen schmuckes Leben plötzlich aus den Fugen gerät. Hinter der biederen Fassade der Nerdbrille und des gepflegten Äußeren regt sich erbitterter Widerstand. Crowe verkörpert eine Rolle im tiefen Zwiespalt und innerer Zerrissenheit: Aufdeckung oder Verschwiegenheit? Ehrlichkeit oder Loyalität? Reines Gewissen oder Gesetzesbruch? Wahrheit oder Familie? Entscheidungen, die kein Mensch treffen will. Entscheidungen, die auch nicht leicht zu treffen sind, wenn einem Michael Mann die Schlinge um den Hals legt und mit fortwährender Paranoia und sogar Morddrohungen immer fester zuzieht.

                                                Es sind zwei Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen gemeinsam erbittert für Gerechtigkeit kämpfen. Und selten hatte man trotz aller Umstände, trotz aller Widrigkeiten, das unerschütterliche und empathische Gefühl, dass sie in diesem Moment, in dem Entscheidungen eine Wende im Leben herbeirufen können – sowohl positiv als auch negativ - das absolut richtige getan haben.

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                                                  Des einen Freud ist des anderen Leid. Nie passte eine Redensart im kinematographischen Kontext besser als bei „Sleep Tight“. Es geht um Caesar, einen Soziopaten, der die Suche nach Glück schon längst aufgegeben hat und deshalb den Menschen in seiner Umwelt jedes Lächeln, jede Freude, jede sich anbahnende Spur von Fröhlichkeit auf perfideste Art und Weise entziehen will. Warum genau das jetzt so ist, lässt uns „REC“-Regisseur Jaume Balagueró leider nicht wissen, doch mit welch suggestiver Kraft der Spanier seinen abgründigen Thriller füllt, ist dafür umso erstaunlicher.

                                                  Wo bei uns der böse, graue Wolf kommt und unterm Bettchen lauert, ist es im Herzen Barcelonas der fiese, kahle Caesar, Concierge, Stalker und chronischer Misanthrop in Personalunion. Balaguerós Blick ist stets an seine schauderhafte und doch nicht gänzlich abstoßende Hauptfigur geheftet, wir alle dürfen uns ein wenig Psycho fühlen und dem analogen Alltagsduktus des eher minder passionierten Housekeepers beiwohnen: Tagsüber Interaktion mit den Bewohnern und berufliche Nebensächlichkeiten, nachts dann makabre Psychospielchen, um jedwede Glückseligkeit aus seinem Mehrparteienhaus zu verbannen. Selbstverständlich birgt solch ein Handlungsaufbau nicht nur extraklassigen Thrill, sondern irgendwann auch eine gewisse Redundanz in sich und hemmt den Spannungsfluss geringfügig, bevor Balagueró bzw. Caesar zum diabolischen Finale ausholt. Dennoch wird so Manchem das Zubettgehen nach „Sleep Tight“ merklich schwerer fallen.

                                                  Die bodenständige, äußerst atmosphärische Inszenierung lässt genügend Raum für die Hauptattraktion: Luis Tosar, der mit subtilem Spiel den Balanceakt zwischen krankhaft perverser Boshaftigkeit und grundsympathischem Auftreten perfekt meistert und maßgeblichen Anteil daran hat, dass „Sleep Tight“ ein kleines, fieses und stellenweise derb spannendes Nischenprodukt geworden ist, das ferner wohl auch einen ganz speziellen Nebeneffekt in sich trägt: Als Hausmeister in Spanien hat man wohl noch heute mit seinem Image zu kämpfen ;)

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                                                    Die Haut von Randy Robinson alias „The Ram“ ist fahl und vernarbt geworden, das Gesicht aufgedunsen und zugeschwollen, der Körper zerbrechlich. Viele Jahre im Ring haben ihr Übriges getan. Und was macht die spärliche Menge? Sie grölt.

                                                    „The Ram“ ist so etwas wie das Paradebeispiel des kurzlebigen Sportgeschäfts. Denn so schnell die Erfolgsspirale im Land der unbegrenzten Möglichkeiten nach oben führt, so erbarmungslos und abrupt spuckt sie einen ganz unten wieder heraus: Früher Wrestling-Idol, heute armer und veralteter Kleinbühnen-Klopper. Damals Publikumsmagnet, jetzt abgewrackte Attraktion für ein Klientel, das höchstwahrscheinlich unter denselben kümmerlichen Umständen haust wie „The Ram“ selbst. Aus Ruhm wurde Entbehrlichkeit, aus Beliebtheit Einsamkeit und aus schnell verdientem Geld Sozialhilfe, lästige Nebenjobs und Kleinauftritte, die mit dem einstigen Glanz des Wrestlings nichts mehr gemein haben.

                                                    Mickey Rourke passt in diese Rolle wie der Undertaker in sein Totengräber-Kostüm. Wie er sein Spiel nuanciert zwischen Leid, innerer und äußerer Gebrochenheit und Melancholie abmischt und es mit seiner unverkennbaren Abgefucktheit würzt, hätten dem eher grobschlächtig daherkommenden Actiontypus von Schauspieler wohl die wenigsten zugetraut.

                                                    Während „Zwei vom alten Schlag“ das in etwa selbe Handlungsgerüst selbstironisch ausschlachtet, negligiert "The Wrestler"-Regisseur Daron Aronofsky diese naheliegende Option – Rourke nimmt sich nur ganz selten, dann aber nie wirklich lächerlich, sondern dennoch mit dramatischem Unterton auf die Schippe, so beispielsweise als Metzgereifachverkäufer – und schlägt weitaus ergreifendere und schwerwiegendere Töne an. Wo „The Ram“ (leicht vorhersehbar) zwischen den Ruinen seines Wrestler-Lebens und den Trümmern seiner privaten Existenz pendelt, ist die einzige Sache, die „The Wrestler“ bloßstellt, das Wrestling an sich: Aronofsky entlarvt seine packend inszenierten Kämpfe als teutonisches Testosteronstheater mit etwaigen Kniffen und Tricks, jeder Menge affigen Attitüden und gravierenden körperlichen Konsequenzen. Im echten Leben ist das egal, solange eine gute Show geboten wird und das Publikum geifern kann. In „The Wrestler“ lässt Aronofsky seinen Protagonisten an dieser Welt gnadenlos zerbrechen.

                                                    Glaubhaft, authentisch und absolut anrührend erzählt er von einem Milieu, in dem Unterhaltung die einzige Maxime ist, und vom tragischen, gesellschaftlichen Abstieg eines ehemaligen Idols, den dieses Business in die soziale Inkompetenz und auch in die absolute Abhängigkeit geführt hat. "The Ram" hat alles verloren, nichts außer Wrestling ist ihm geblieben. Und was macht die spärliche Menge? Sie grölt.

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